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Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet?

Date post: 20-Jan-2017
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DOI: 10.1007/s00350-014-3445-5 Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet? Dagmar Felix I. Einführung Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet? Diese Fra- ge erinnert auf den ersten Blick an den jahrzehntelang in der rechtswissenschaftlichen Literatur, aber auch innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit 1 geführten Streit über die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen innovative Me- dizin im ambulanten Bereich erbracht werden darf. Hier ging es bekanntermaßen um die demokratische Legitima- tion des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) und die Bindungswirkung seiner Richtlinien 2 . Seit der durch den Gesetzgeber erfolgten Klarstellung in § 91 Abs. 6 SGB V und der Ergänzung des § 91 SGB V durch das GKV- VStG 3  – Stichwort: Vetorecht des Gesundheitsausschusses in personeller Hinsicht 4 – hat diese Diskussion deutlich an Fahrt verloren. Parallel hat sich jedoch ein weniger laut geführter neuer Streit über die Kompetenzen des GBA und die Bedeutung seiner Richtlinien entzündet, der allerdings diametral in die andere Richtung läuft. Konkret geht es um die Hand- habung von § 137 c SGB V, der sich unter der Überschrift „Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsme- thoden im Krankenhaus“ mit der stationären Versorgung befasst. Während im ambulanten Bereich das in § 135 SGB V normierte Entscheidungsmonopol des GBA kri- tisiert wurde, wird im stationären Bereich seine durch den Gesetzgeber eingeräumte Kompetenz vom BSG seit einigen Jahren in Frage gestellt. Das Gericht hatte die Norm zunächst als Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ver- standen mit der Folge, dass auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) so lange erbracht werden konnten, bis der GBA sie durch Erlass einer entsprechenden Richtlinie ausgeschlossen hatte. Im Jahr 2008 hat das BSG dann allerdings einen grundle- genden Rechtsprechungswandel vollzogen und auch den Krankenkassen und Sozialgerichten eine entsprechende Prüfungskompetenz oder gar -pflicht auferlegt. Dieses Verständnis von § 137 c SGB V ist in der einschlägigen Literatur 5 , aber auch in Teilen der Sozialgerichtsbarkeit auf Kritik gestoßen 6 . Die Auslegung des § 137c SGB V durch das BSG, die Hauck in einem ganz aktuellen Beitrag zutreffend als mitt- lerweile „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet 7 , begegnet allerdings grundlegenden Bedenken, weil sie weder der Systematik des SGB V noch der Stellung des GBA als für die sektorenübergreifende Qualitätssicherung beherrschen- de Steuerungsinstanz 8 entspricht. Die vom Gericht ange- führten Gründe für den Rechtsprechungswandel tragen die Entscheidung letztlich nicht; die Konsequenzen für die Rechtspraxis sind erheblich. II. Innovation in der Medizin und rechtliche Rahmenbedingungen Innovation ist ein schillernder Begriff und nicht immer wird – auch nicht im Krankenhauswesen – zwischen Pro- dukt- und Prozessinnovation unterschieden. Neue Orga- nisationsformen oder moderne IT-Konzepte sind eben- so innovativ wie der Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – aber nur um letztere soll es in diesem Beitrag gehen. Diagnose- und Therapiemöglich- keiten, die bislang so noch nicht zur Verfügung standen, halten Einzug in die Medizin, und sie erweisen sich je- denfalls in der Regel als vorteilhaft und angenehm für den Patienten. Neuartige Medikamente und innovative Therapien haben dazu beigetragen, dass die Lebenserwar- tung in den westlichen Industrienationen so hoch ist wie nie zuvor; dabei hat ein erheblicher Teil der innovativen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden erst ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Einzug in die Medi- zin gehalten 9 . Was sich für den einzelnen Patienten meistens als Wohl- tat erweist, wird aber zugleich mit Blick auf die unstreitig gegebenen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen kri- tisch bewertet: Innovationen sind in der Regel kostenin- tensiv – jenseits der konkreten neuen Methode verursacht innovative Medizin allein aufgrund der Lebensverlänge- rung Kosten, die nicht angefallen wären: Im Laufe der neu gewonnenen Lebenszeit werden Patienten nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut krank und verursachen Kosten, die nicht entstanden wären, wenn die Betroffenen bereits verstorben wären. Jenseits aller Kostenaspekte, über die Gesundheitsöko- nomen trefflich streiten können 10 , besteht in der gesetzli- chen Krankenversicherung – jedenfalls noch – Einigkeit darüber, dass die Versicherten am medizinischen Fort- schritt teilhaben und dabei ohne Rücksicht auf die kon- kret anfallenden Kosten diejenige Leistung beanspruchen können, die dem neuesten Stand der medizinischen Er- kenntnisse entspricht. Das betont das BSG immer wieder 11 ; und auch nur diese Sichtweise entspricht der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach Prof. Dr. iur. Dagmar Felix, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 33, 20148 Hamburg, Deutschland MedR (2014) 32: 283–290 283 1) Sehr kritisch im Hinblick auf das Entscheidungsmonopol des GBA war insoweit das LSG Niedersachsen (vgl. nur die Ent- scheidung v. 23. 3. 2000 – L 4 KR 130/98 –, NZS 2001, 32). 2) Hierzu statt vieler nur Schmidt=De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, 3. Aufl. 2012, § 92, Rdnr. 9 m. w. N. 3) V. 1. 1. 2012 (BGBl. I S. 2983). 4) § 91 Abs. 2 S. 5 SGB V; vgl. hierzu auch Roters, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 91, Rdnr. 10a. 5) Vgl. nur Flint, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, K § 137c, Rdnr. 6; Roters, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 137c, Rdnr. 2; oder Vießmann, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 1. Aufl. 2011, § 137c SGB V, Rdnr. 4 – alle sprechen von einer „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“. Die Erbringung von Leistungen im Kranken- haus ist „nur“ ausgeschlossen, „wenn der GBA diesen Ausschluss beschließt“ (Flint, a. a. O.). 6) Vgl. zur Rechtsprechung nur die ausführlich begründete Ent- scheidung des LSG Bad.-Württ. v. 13. 11. 2012 – L 11 KR 2254/10 –, Rdnrn. 28 ff., unter ausdrücklicher Ablehnung der Entscheidung des BSG aus dem Jahre 2008. 7) Hauck, SGb 2014, 8, 15, dortige Fn. 98; vgl. auch schon Hauck, NJW 2013, 3334, 3338. 8) So Schmidt=De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, 3. Aufl. 2012, § 91, Rdnr. 4. 9) Ausführlich zur historischen Entwicklung Eckardt, Geschichte der Medizin, 2009, S. 284 ff. 10) Hierzu Ullrich, Finanzierungslücken bei medizinischen Innova- tionen?, 2013, S. 20 ff. m. w. N. 11) Vgl. nur BSGE 93, 137, Rdnr. 10, unter Hinweis auf BSGE 81, 182, 187.
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DOI: 10.1007/s00350-014-3445-5

Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet?Dagmar Felix

I. Einführung

Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet? Diese Fra-ge erinnert auf den ersten Blick an den jahrzehntelang in der rechtswissenschaftlichen Literatur, aber auch innerhalb der Sozialgerichtsbarkeit 1 geführten Streit über die Frage, wann und unter welchen Voraussetzungen innovative Me-dizin im ambulanten Bereich erbracht werden darf. Hier ging es bekanntermaßen um die demokratische Legitima-tion des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) und die Bindungswirkung seiner Richtlinien 2. Seit der durch den Gesetzgeber erfolgten Klarstellung in § 91 Abs. 6 SGB V und der Ergänzung des § 91 SGB  V durch das GKV-VStG 3 – Stichwort: Vetorecht des Gesundheitsausschusses in personeller Hinsicht 4 – hat diese Diskussion deutlich an Fahrt verloren.

Parallel hat sich jedoch ein weniger laut geführter neuer Streit über die Kompetenzen des GBA und die Bedeutung seiner Richtlinien entzündet, der allerdings diametral in die andere Richtung läuft. Konkret geht es um die Hand-habung von § 137 c SGB V, der sich unter der Überschrift „Bewertung von Untersuchungs- und Behandlungsme-thoden im Krankenhaus“ mit der stationären Versorgung befasst. Während im ambulanten Bereich das in § 135 SGB V normierte Entscheidungsmonopol des GBA kri-tisiert wurde, wird im stationären Bereich seine durch den Gesetzgeber eingeräumte Kompetenz vom BSG seit einigen Jahren in Frage gestellt. Das Gericht hatte die Norm zunächst als Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt ver-standen mit der Folge, dass auch neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) so lange erbracht werden konnten, bis der GBA sie durch Erlass einer entsprechenden Richtlinie ausgeschlossen hatte. Im Jahr 2008 hat das BSG dann allerdings einen grundle-genden Rechtsprechungswandel vollzogen und auch den Krankenkassen und Sozialgerichten eine entsprechende Prüfungskompetenz oder gar -pflicht auferlegt. Dieses Verständnis von § 137 c SGB  V ist in der einschlägigen Literatur 5, aber auch in Teilen der Sozialgerichtsbarkeit auf Kritik gestoßen 6.

Die Auslegung des § 137 c SGB  V durch das BSG, die Hauck in einem ganz aktuellen Beitrag zutreffend als mitt-lerweile „ständige Rechtsprechung“ bezeichnet 7, begegnet allerdings grundlegenden Bedenken, weil sie weder der Systematik des SGB V noch der Stellung des GBA als für die sektorenübergreifende Qualitätssicherung beherrschen-de Steuerungsinstanz 8 entspricht. Die vom Gericht ange-führten Gründe für den Rechtsprechungswandel tragen die Entscheidung letztlich nicht; die Konsequenzen für die Rechtspraxis sind erheblich.

II. Innovation in der Medizin und rechtliche Rahmenbedingungen

Innovation ist ein schillernder Begriff und nicht immer wird – auch nicht im Krankenhauswesen – zwischen Pro-dukt- und Prozessinnovation unterschieden. Neue Orga-

nisationsformen oder moderne IT-Konzepte sind eben-so innovativ wie der Einsatz neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – aber nur um letztere soll es in diesem Beitrag gehen. Diagnose- und Therapiemöglich-keiten, die bislang so noch nicht zur Verfügung standen, halten Einzug in die Medizin, und sie erweisen sich je-denfalls in der Regel als vorteilhaft und angenehm für den Patienten. Neuartige Medikamente und innovative Therapien haben dazu beigetragen, dass die Lebenserwar-tung in den westlichen Industrienationen so hoch ist wie nie zuvor; dabei hat ein erheblicher Teil der innovativen Behandlungs- und Untersuchungsmethoden erst ab den 50er Jahren des letzten Jahrhunderts Einzug in die Medi-zin gehalten 9.

Was sich für den einzelnen Patienten meistens als Wohl-tat erweist, wird aber zugleich mit Blick auf die unstreitig gegebenen Kostensteigerungen im Gesundheitswesen kri-tisch bewertet: Innovationen sind in der Regel kostenin-tensiv – jenseits der konkreten neuen Methode verursacht innovative Medizin allein aufgrund der Lebensverlänge-rung Kosten, die nicht angefallen wären: Im Laufe der neu gewonnenen Lebenszeit werden Patienten nämlich mit hoher Wahrscheinlichkeit erneut krank und verursachen Kosten, die nicht entstanden wären, wenn die Betroffenen bereits verstorben wären.

Jenseits aller Kostenaspekte, über die Gesundheitsöko-nomen trefflich streiten können 10, besteht in der gesetzli-chen Krankenversicherung – jedenfalls noch – Einigkeit darüber, dass die Versicherten am medizinischen Fort-schritt teilhaben und dabei ohne Rücksicht auf die kon-kret anfallenden Kosten diejenige Leistung beanspruchen können, die dem neuesten Stand der medizinischen Er-kenntnisse entspricht. Das betont das BSG immer wieder 11; und auch nur diese Sichtweise entspricht der eindeutigen gesetzlichen Regelung des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V, wonach

Prof. Dr. iur. Dagmar Felix, Fakultät für Rechtswissenschaft, Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 33, 20148 Hamburg, Deutschland

MedR (2014) 32: 283–290 283

1) Sehr kritisch im Hinblick auf das Entscheidungsmonopol des GBA war insoweit das LSG Niedersachsen (vgl. nur die Ent-scheidung v. 23. 3. 2000 – L 4 KR 130/98 –, NZS 2001, 32).

2) Hierzu statt vieler nur Schmidt=De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, 3. Aufl. 2012, § 92, Rdnr. 9 m. w. N.

3) V. 1. 1. 2012 (BGBl. I S. 2983).4) § 91 Abs. 2 S. 5 SGB V; vgl. hierzu auch Roters, in: KassKomm.,

Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 91, Rdnr. 10a. 5) Vgl. nur Flint, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, K § 137 c, Rdnr. 6;

Roters, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 137 c, Rdnr. 2; oder Vießmann, in: Spickhoff (Hrsg.), Medizinrecht, 1. Aufl. 2011, § 137 c SGB V, Rdnr. 4 – alle sprechen von einer „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“. Die Erbringung von Leistungen im Kranken-haus ist „nur“ ausgeschlossen, „wenn der GBA diesen Ausschluss beschließt“ (Flint, a. a. O.).

6) Vgl. zur Rechtsprechung nur die ausführlich begründete Ent-scheidung des LSG Bad.-Württ. v. 13. 11. 2012 – L 11 KR 2254/10 –, Rdnrn.  28 ff., unter ausdrücklicher Ablehnung der Entscheidung des BSG aus dem Jahre 2008.

7) Hauck, SGb 2014, 8, 15, dortige Fn. 98; vgl. auch schon Hauck, NJW 2013, 3334, 3338.

8) So Schmidt=De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB  V, 3. Aufl. 2012, § 91, Rdnr. 4.

9) Ausführlich zur historischen Entwicklung Eckardt, Geschichte der Medizin, 2009, S. 284 ff.

10) Hierzu Ullrich, Finanzierungslücken bei medizinischen Innova-tionen?, 2013, S. 20 ff. m. w. N.

11) Vgl. nur BSGE 93, 137, Rdnr. 10, unter Hinweis auf BSGE 81, 182, 187.

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„Qualität und Wirksamkeit der Leistungen … dem allge-mein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu be-rücksichtigen hat“ 12.

Nun dürfte klar sein, dass sich neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in Abhängigkeit zahlreicher verschiedener Faktoren verbreiten. Zu nennen ist hier vor allem die Akzeptanz bei Ärzten und Patienten – aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen nehmen unmittel-baren Einfluss auf die Verbreitung einer neuen Methode. Gerade die staatliche Regulierung der Finanzierung des Zugangs zu medizinischen Innovationen steuert ihre Eta-blierung: Was von der GKV nicht finanziert wird, hat keine Chance, sich wirklich durchzusetzen. Ein Grund mehr, sich die rechtlichen Rahmenbedingungen näher anzuschauen.

III. Die gesetzliche Ausgangslage

Das SGB  V gewährt dem Versicherten in den §§ 27 ff. SGB V die Krankenbehandlung als wohl wichtigsten Be-reich der Versicherungsleistungen 13. Was zunächst ganz einfach klingt – die Krankenbehandlung umfasst „ärztli-che“ Behandlung (Nr. 1) und „Krankenhausbehandlung“ (Nr.  5)  –, lässt sich als konkreter Leistungsanspruch in der Praxis nicht so einfach bestimmen, denn die jeweili-ge Einzelleistung wird nach Maßgabe des in § 12 Abs. 1 SGB  V geregelten Wirtschaftlichkeitsgebots erst durch die ärztliche Therapieentscheidung 14 und nicht zuletzt durch die Richtlinien des GBA konkretisiert. Insofern überrascht es nicht, dass die Rechtsprechung § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V als „ausfüllungsbedürftiges Rahmenrecht“ 15 bezeichnet – das SGB V sähe ein „in sich geschlossenes und als abschließend konzipiertes Rechtskonkretisie-rungskonzept“ 16 vor, aus dessen Anwendung sich der konkrete Leistungsanspruch des Versicherten ergebe. Mit diesem Anspruch des Versicherten korrespondiert der Fi-nanzierungsanspruch des Leistungserbringers, denn das Finanzierungsrecht des SGB V ist gleichsam spiegelbild-lich auf das Leistungsrecht abgestimmt. Was Versicherte als Leistung der GKV beanspruchen können, ist auch zu finanzieren 17.

Maßgebliche Teile dieses Rechtskonkretisierungskon-zepts sind diejenigen Normen im SGB  V, die sich aus-schließlich oder jedenfalls auch mit neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden befassen. Bekanntermaßen differenziert das Gesetz hier zwischen der ambulanten Versorgung einerseits und der stationären Versorgung andererseits. Gemäß § 135 SGB  V 18, der für den Leis-tungsanspruch des Versicherten 19 auf den Erhalt innova-tiver Medizin eine ganz zentrale Rolle spielt, dürfen neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der ver-tragsärztlichen Versorgung zu Lasten der Krankenkassen nur erbracht werden, wenn der GBA auf Antrag der in § 92 Abs. 1 SGB V genannten Personen oder Institutionen in Richtlinien nach § 92 Abs.  1 S.  2 Nr.  5 Empfehlun-gen abgegeben hat insbesondere über die Anerkennung des diagnostischen und therapeutischen Nutzens der neu-en Methode sowie deren medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit (Nr. 1). Ob eine Methode neu in diesem Sinne ist, ist nicht davon abhängig, wann sie ent-wickelt oder erstmals angewandt wurde; maßgeblich ist vielmehr, ob ihr ein systematisch-wissenschaftlicher An-satz zugrunde liegt, der bislang noch nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abgerechnet werden konnte 20. Als neu gelten damit Leistungen, die nicht als abrechnungsfähige ärztliche Leistungen im EBM enthal-ten sind 21. Solange eine Leistung noch nicht Gegenstand eines vom GBA durchgeführten Bewertungsverfahrens war, darf sie zu Lasten der GKV grundsätzlich 22 nicht er-bracht werden. § 135 Abs. 1 SGB V begründet damit ein

sog. Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. Das antragsgesteuer-te Zulassungsverfahren soll sicherstellen, dass neue Me-thoden erst dann zur Anwendung kommen, wenn ihre Qualität und Wirksamkeit positiv festgestellt wurden. Zwar gibt es eine ganze Reihe von Fallkonstellationen, in denen dieses Verbot mit Erlaubnisvorbehalt durchbro-chen ist – Stichworte: Systemversagen, Seltenheitsfall oder „Nikolaus“  –, vom Grundsatz her hat der Gesetzgeber dem GBA aber eine starke Stellung eingeräumt, durch die eine einheitliche Handhabung einer für das Krankenver-sicherungsrecht zentralen Frage sichergestellt wird. Die langjährige Diskussion über die Frage der demokratischen Legitimation des GBA 23 und der Verbindlichkeit seiner Richtlinien, bei der in der Rechtsprechung vor allem das LSG Niedersachsen hervorstach 24, hat sich schon seit der Schaffung von § 91 Abs. 6 SGB V jedenfalls entspannt – auch wenn klar sein muss, dass sich verfassungsrechtliche Bedenken durch eine solche gesetzgeberische Anordnung nicht aus der Welt schaffen ließen 25.

Gänzlich anders ausgestaltet ist die Rechtslage seit nun-mehr fast 15  Jahren im stationären Bereich. Dass Kran-kenhäuser maßgeblich zum medizinischen Fortschritt beitragen, ist unbestritten 26 – und dies wird offenbar auch vom Gesetzgeber so gesehen. Im klinischen Bereich wur-de auf das eben beschriebene Verbot mit Erlaubnisvorbe-halt verzichtet. Gemäß § 137 c SGB V – eingefügt durch das Gesetz zur Reform der GKV ab dem Jahr 2000 27 und geändert zuletzt durch das Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Kranken-versicherung 28  – überprüft der GBA auf Antrag der in Abs. 1 der Norm genannten Stellen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen einer Krankenhaushand-lung angewandt werden oder angewandt werden sollen, daraufhin, ob sie für eine ausreichende, zweckmäßige

Felix, Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet?284 MedR (2014) 32: 283–290

12) Ob die Versorgung dem allgemein anerkannten Stand der me-dizinischen Erkenntnisse entspricht, bemisst sich grundsätzlich nach den in den „jeweiligen Fachkreisen anerkannten interna-tionalen Standards der evidenzbasierten Medizin“ (so auch der Wortlaut von § 35 b Abs. 1 S. 5 SGB V).

13) Nolte, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 27 SGB V, Rdnr. 5.

14) Zur medizinischen Indikationsstellung Hauck, NJW 2013, 3334 ff.

15) BSGE 81, 54, 60 f. m. w. N.; Schnapp, NZS 2001, 337, 338.16) BSGE 73, 271, 279 f., 281; auch Schwerdtfeger, NZS 1998, 49 ff.

und 97 ff.17) BSGE 86, 166, 168.18) Die Norm ist mit Wirkung v. 1. 1. 1989 durch das GRG v. 20. 12.

1988 (BGBl.  I S.  2477) geschaffen und wiederholt geändert worden.

19) Unmittelbarer Normadressat ist allerdings der Leistungserbrin-ger, weil die Regelung im 4. Kapitel zu finden ist.

20) BSGE 86, 54, 57; ausführlich Ullrich, Finanzierungslücken bei medizinischen Innovationen, 2013, S. 101 f.

21) Roters, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 135 SGB V, Rdnr. 6 m. w. N.

22) Auch insoweit gibt es bekanntermaßen Ausnahmen (vgl. etwa zu Seltenheitsfällen BSGE 93, 236; auch Hauck, NJW 2013, 3334, 3337 m. w. N.).

23) Das Problem wurde durch die Neufassung von § 91 Abs. 2 durch das VStG v. 22. 12. 2011 (BGBl. I S. 2983) jedenfalls entschärft, weil nunmehr der Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundes-tages im Hinblick auf die Benennung der unparteiischen Mit-glieder widersprechen kann.

24) Hierzu nur Kingreen, NZS 2007, 113 m. w. N.25) Schmidt=De Caluwe, in: Becker/Kingreen (Hrsg.), SGB V, 3. Aufl.

2012, § 91, Rdnr. 48 m. w. N.26) Das Krankenhaus ist der Ort, wo am ehesten medizinische In-

novationen zum Einsatz kommen (Hajen, Gesundheitsökonomie, 4. Aufl. 2008, S. 168).

27) GKV-GRG 2000 v. 22. 12. 1999 (BGBl. I S. 2626).28) GKV-VStG v. 22. 12. 2011 (BGBl. I S. 2938).

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und wirtschaftliche Versorgung der Versicherten unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse erforderlich sind. Ergibt diese Überprüfung, dass der Nutzen der Methode noch nicht hinreichend belegt ist und sie nicht einmal das Potenzial einer erforderlichen Behandlungsmethode bietet – insbe-sondere weil sie schädlich oder unwirksam ist  –, erlässt der GBA eine entsprechende Richtlinie, wonach die Me-thode im Rahmen einer Krankenhausbehandlung nicht mehr zulasten der Krankenkassen erbracht werden darf. Hat die Methode jedenfalls das Potenzial einer erforder-lichen Behandlungsalternative, beschließt der GBA eine Richtlinie zur Erprobung nach § 137 e SGB V. Im Rah-men der Krankenhausbehandlung gilt insoweit – jeden-falls nach überwiegender Einschätzung – eine Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt. Auch neuartige Methoden werden im Krankenhaus überhaupt nur auf Antrag nach Maßgabe von § 137 c SGB V einer Prüfung unterzogen – und sozi-alversicherungsrechtlich „verboten“ ist ihr Einsatz erst mit Inkrafttreten einer Richtlinie, die ausdrücklich feststellt, dass die Methode nicht mehr als GKV-Leistung erbracht werden darf 29. Darauf, dass das BSG das völlig anders sieht, wird noch zurückzukommen sein.

Diese Dichotomie der Regulierung von ambulanter und stationärer Versorgung bezogen auf die Erbringung innova-tiver Medizin mag vielleicht auf den ersten Blick erstaunen. Sie dient allerdings nach dem Willen des Gesetzgebers der Sicherstellung medizinischen Fortschritts in den Kranken-häusern 30. Der Gesetzgeber dürfte zudem die Gefahr der Erbringung zweifelhafter Methoden im Krankenhaus als geringer eingeschätzt haben als im ambulanten Bereich 31.

IV. Die Sichtweise des Bundessozialgerichts

Wenn man die maßgeblichen Normen des SGB V unbefan-gen liest, scheint ihre Anwendung aktuell keine Probleme zu machen. Über innovative Medizin entscheidet stets der GBA. Im ambulanten Bereich muss er vorab eine positive Stellungnahme abgeben; im stationären Bereich kann er den Einsatz innovativer Medizin ggf. nachträglich unter-binden. So einfach ist es allerdings nicht – jedenfalls nicht, wenn man die Auslegung des § 137 c SGB V in der Recht-sprechung des BSG berücksichtigt.

Das Gericht hatte die seit dem Jahr 2000 geltende Rechtslage zunächst akzeptiert. In seiner ersten grund-legenden Entscheidung zu § 137 c SGB  V aus dem Jahr 2003, in der es um das Einsetzen eines sog. Magenbandes bei Adipositas ging, stellt das BSG fest: „Das Fehlen eines Erlaubnisvorbehalts in § 137 c SGB V hat zur Folge, dass im Krankenhaus grundsätzlich auch neuartige Verfahren keiner vorherigen Zulassung bedürfen, sondern zu Lasten der Krankenkasse angewandt werden können, solange der Ausschuss sie nicht ausgeschlossen hat“ 32. Die zuständige Krankenkasse hatte die nicht ausreichende Erprobung des Verfahrens gerügt; ihre Bedenken hat das BSG aber mit folgender Begründung abgewiesen: „Die Prüfung und Entscheidung darüber, ob eine im Krankenhaus ange-wandte Untersuchungs- und Behandlungsmethode nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Er-kenntnisse als wirksam und zweckmäßig einzuschätzen ist und damit dem geforderten Versorgungsstandard ent-spricht, obliegt aber nicht der Krankenkasse oder den Ge-richten, sondern dem dafür nach § 137 c SGB V eingerich-teten Ausschuss Krankenhaus“ 33. Dabei betont das BSG ausdrücklich, dass auch Behandlungen im Krankenhaus den in § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1 und § 28 Abs. 1 SGB V für die gesamte Krankenversicherung festgelegten Quali-tätskriterien genügen müssten – die Kompetenz, darüber zu entscheiden, liege aber eben allein beim GBA. Nach Einschätzung des BSG soll das sachkundig besetzte Gre-mium die Frage der Zugehörigkeit einer Methode zum

Leistungskatalog der GKV verbindlich klären – ähnlich wie im Bereich der ambulanten Versorgung 34.

Dieser Entscheidung des BSG ist uneingeschränkt zuzu-stimmen. Völlig zu Recht betont das Gericht die Geltung der allgemeinen Qualitätsanforderungen auch für die Be-handlung im Krankenhaus. Die §§ 2 und 12 SGB V fun-gieren als „allgemeine Vorschrift“ bzw. als „gemeinsame Vorschrift des Leistungsrechts“ und gelten damit für das gesamte Leistungsspektrum der gesetzlichen Krankenversi-cherung. Nicht zuletzt werden die maßgeblichen Kriterien auch in § 137 c SGB V noch einmal ausdrücklich angespro-chen. Und völlig zu Recht betont das BSG auch die allei-nige Kompetenz des GBA im Kontext von § 137 c SGB V. Damit steht fest: Er allein entscheidet über die Zugehö-rigkeit einer Methode zum Leistungsspektrum der gesetz-lichen Krankenversicherung, bei der ambulanten Versor-gung im Rahmen eines Verbots mit Erlaubnisvorbehalts, bei der stationären Versorgung im Rahmen einer Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt.

Für eine Überraschung sorgte das BSG dann allerdings nur wenige Jahre später. Im Kontext eines Rechtsstreits über den Abschluss eines Versorgungsvertrags gemäß § 109 SGB V begründete das Gericht den fehlenden An-spruch auf Abschluss dieses Vertrags – unter anderem auch – damit, dass das betreffende Krankenhaus nicht die Ge-währ für eine leistungsfähige und den Anforderungen des Qualitätsgebots des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprechen-de Krankenhausbehandlung biete 35. Der Behandlungs-schwerpunkt liege in dem betreffenden Krankenhaus auf sog. Außenseitermethoden, die nicht als GKV-Leistungen anzusehen seien 36. Dass diese Aussagen im diametralen Gegensatz zu den Ausführungen aus dem Jahre 2003 ste-hen, liegt auf der Hand; deshalb wird der 1. Senat dann auch sehr deutlich: „Der erkennende Senat gibt seinen hiervon abweichenden früheren Standpunkt auf, dass die Prüfung, ob eine im Krankenhaus angewandte Untersu-chungs- und Behandlungsmethode die vom Gesetzgeber geforderten Qualitätsstandards erfüllt, ausschließlich dem GBA obliege“ 37. Diese Feststellung musste das Gericht treffen, denn – es selbst hatte soeben das getan, was es 2003 noch für unzulässig gehalten hatte: Es hatte als Gericht unter Missachtung der früher betonten alleinigen Kompe-tenz des GBA eigenständig entschieden, welche Methoden bei einer stationären Behandlung in den Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung fallen und welche nicht. Das Gericht hatte insoweit keine Bedenken, Beur-teilungen des GBA aus dem Bereich der ambulanten Ver-sorgung im Rahmen von § 135 SGB V auch für die ge-richtliche Bewertung stationärer Behandlungsmethoden heranzuziehen, wenn diese Beurteilungen „gebietsüber-greifende Aussagen“ beinhalten 38. Nicht nur die Gerichte, sondern auch die Krankenkassen selbst müssten prüfen, ob „das Krankenhaus nach seiner jeweiligen Konzeption den Anforderungen des Qualitätsgebots gemäß § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V genügt“ 39.

Felix, Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet? MedR (2014) 32: 283–290 285

29) Ausführlich Felix/Deister, NZS 2013, 81 ff.30) Zur Entstehungsgeschichte der Norm auch Murawski, in: LPK-

SGB V, 3. Aufl. 2009, § 137 c m. w. N.31) Hierzu Hauck, NZS 2007, 461, 466 m. w. N.32) BSGE 90, 289, 294.33) BSGE 90, 289, 294. Seit 2004 nimmt der GBA diese Aufgabe

wahr.34) BSGE 90, 289, 294. 35) BSGE 101, 177, 190; zu den Voraussetzungen zum Abschluss ei-

nes Versorgungsvertrags vgl. im Übrigen Hess, in: KassKomm., Stand: 79. Erg.-Lfg. 2013, § 109 SGB V, Rdnrn. 4 ff.

36) BSGE 101, 177, 190.37) BSGE 101, 177, 191.38) BSGE 101, 177, 190.39) BSGE 101, 177, 190.

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So richtig überraschend war diese Kehrtwende letztlich übrigens nicht – hatte sie sich doch schon mit einem Beitrag des Richters am BSG Hauck aus dem Jahre 2007 angekün-digt 40. Wer allerdings gehofft hatte, dass es sich hier um eine Einzelfallentscheidung gehandelt hatte, die vor dem Hintergrund des in der Tat sehr ungewöhnlichen Sachver-halts der Sache nach völlig nachvollziehbar war 41, wurde kurze Zeit später enttäuscht. Die neue Rechtsprechung des BSG wurde im Jahr 2010 bestätigt. Nunmehr ging es um den Leistungsanspruch einer Versicherten auf die Kryo-konservierung von Eierstockgewebe vor dem Hintergrund der Erforderlichkeit einer Chemotherapie aufgrund einer Krebserkrankung 42. Das Gericht stellt hier wörtlich fest: „Der Anspruch auf Krankenhausbehandlung setzt zwar keine positive Empfehlung des GBA voraus, erfordert aber dennoch abgesehen von den hier nicht einschlägigen Fällen eines Negativvotums des GBA nach § 137 c SGB V, dass die streitige Maßnahme nach Überprüfung im Einzelfall dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkennt-nisse entspricht“ 43 – und das hat das BSG im konkreten Fall verneint.

Dass das Gericht aktuell davon ausgeht, dass es der Kran-kenkasse und den Sozialgerichten – und damit nicht nur dem GBA – obliege, die maßgebliche Qualitätsbeurteilung vorzunehmen, wird deutlich, wenn man in einem Beitrag von Hauck liest: „Solange solche Methoden nicht durch den GBA nach § 137 c SGB V ausgeschlossen sind, obliegt es den zuständigen Stellen bei der Zulassung des Krankenhauses, der Vergütung der Behandlung und bei der nachträglichen Kontrolle der Einhaltung der gebotenen Standards zu prü-fen, ob das Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V be-achtet ist“ 44.

Auch nach Inkrafttreten des GKV-VStG zum 1. 1. 2012 45, mit dem § 137 c SGB V umgestaltet und § 137 e SGB V ge-schaffen wurde 46, hat das BSG seinen Standpunkt beibehal-ten. Nach aktuellem Recht können Leistungen zu Lasten der Krankenkassen erbracht werden, wenn gerade noch nicht feststeht, dass sie den Anforderungen des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V genügen, aber jedenfalls das maßgebliche Po-tenzial einer erforderlichen Behandlungsalternative haben. In diesem Fall erlässt der GBA eine entsprechende Erpro-bungsrichtlinie. Der 3. Senat des BSG stellt in einer seiner jüngeren Entscheidungen zu § 137 c SGB V vom März 2013 allerdings fest, dass diese Gesetzesänderung sich auf die Prüf-kompetenz von Krankenkasse und Gericht nicht auswirke; auch die entsprechenden Gesetzesmaterialien, in denen der Gesetzgeber deutlich macht, dass er § 137 c SGB V als Er-laubnis mit Verbotsvorbehalt sieht, sind nach Ansicht des Gerichts für seine Auslegung ohne Bedeutung. Der 3. Senat stellt schließlich fest: „Insgesamt schließt sich der Senat nach eigener Prüfung der Rechtsprechung des 1. Senats des BSG an, wonach § 137 c SGB V nicht im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus mit Verbotsvorbehalt ausgelegt werden darf“ 47.

V. Zur Kritik an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts

Vor dem Hintergrund dieses „Rittes durch die Rechtspre-chung des BSG zu § 137 c SGB V“ muss man sich aktuell in der Tat die Frage stellen „Innovative Medizin im Kran-kenhaus – wer entscheidet?“. Wieder gibt es in Deutschland eine Diskussion über die Kompetenzen des GBA – wenn auch eine diametral entgegengesetzte.

Es wird zu zeigen sein, dass die Rechtsprechung un-vereinbar ist mit der Zielsetzung des § 137 c SGB V so-wie der Gesamtkonzeption des SGB V im Kontext neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden – und dass keines der vorgebrachten Argumente letztlich wirklich tragfähig ist. Man kann darüber streiten, ob die gesetz-liche Konzeption, so wie sie ist, sinnvoll ist; das zu ent-

scheiden ist allerdings allein Aufgabe des Gesetzgebers, solange die Grenze der Verfassungswidrigkeit nicht über-schritten wird.

Beginnen wir mit dem Wortlaut der Norm. Natürlich sagt § 137 c SGB V nicht ausdrücklich „Über die Bewer-tung von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden im Krankenhaus entscheidet ausschließlich allein der GBA“. Dann hätte das BSG sicherlich anders entschieden. Die Norm ist von ihrer Formulierung her allerdings vollstän-dig auf den GBA ausgerichtet: Er wird – durch den maß-geblichen Antrag – beauftragt, zu prüfen, ob der allge-mein anerkannte Stand der medizinischen Erkenntnisse nach § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V erfüllt ist. Der GBA erlässt ggf. eine Richtlinie, die die Erbringung der Methode zu Lasten der Krankenkassen untersagt – und es ist der GBA, der bei vorhandenem Potenzial der Methode eine Erprobungsrichtlinie erlässt. Eine unbefangene Lektüre der Norm – sowohl ihrer ursprünglichen wie auch der aktuellen Fassung – legt die Auslegung nahe, die das BSG kurz nach Inkrafttreten von § 137 c SGB  V ja zunächst auch genauso so vorgenommen hatte: Die maßgebliche Prüfung obliegt nicht den Krankenkassen und den Ge-richten, sondern allein dem GBA. Insofern erscheint es nicht überzeugend, die Norm als eine Regelung zu ver-stehen, die lediglich normiert, wann der GBA eine Me-thode ausschließen kann – aber völlig offen lässt, ob auch Krankenkassen und Sozialgerichte dies tun können 48. Es gäbe in diesem Fall gleichsam zwei Arten des Leistungs-ausschlusses – den individuellen, der durch eine einzel-ne Krankenkasse oder ein Sozialgericht erfolgt, und das „generalisierte, zentralisierte Prüfverfahren des § 137 c SGB V“, das über den Einzelfall hinaus „Rechtsklarheit“ schafft 49. Diese Auslegung ist sicherlich mit dem Wort-laut der Norm noch vereinbar, sie ist aber nicht das, was man der Norm bei unbefangener Lektüre und auch in Abgrenzung zu § 135 SGB V entnehmen würde. Insofern überrascht es nicht, dass auch das BSG selbst in seiner ersten Entscheidung ein völlig anderes Verständnis von § 137 c SGB V hatte.

Der Wortlaut des § 137 c SGB V spiegelt zudem genau das wider, was der Gesetzgeber mit § 137 c SGB V errei-chen wollte. Vor Inkrafttreten der Norm war es nämlich Aufgabe der Krankenkassen und der Gerichte, in jedem Einzelfall zu entscheiden, ob eine Methode im Kranken-haus erbracht werden sollte – und genau diesen Zustand wollte der Gesetzgeber beenden. Insoweit wird die hier vertretene wörtliche Auslegung des § 137 c SGB V durch die historische Auslegung bestätigt: Es wurde ein Gre-mium zur Qualitätssicherung beauftragt, das bei seinen Entscheidungen „dafür Sorge zu tragen hat, dass der me-dizinische Fortschritt nicht behindert wird“ 50. Gedacht

Felix, Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet?286 MedR (2014) 32: 283–290

40) NZS 2007, 461, 467. Der Autor spricht hier davon, dass es not-wendig sei, den bisherigen Standpunkt der Rechtsprechung zu überdenken, um dem Qualitätssicherungsgebot Beachtung zu verschaffen und um „Wertungswidersprüche“ zu vermeiden.

41) Das fragliche Krankenhaus war eine GmbH in Liquidation und hatte – ohne Zulassung – GKV-Patienten behandelt.

42) BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 18.43) BSG, SozR 4-2500 § 27 Nr. 18, Rdnr. 23.44) Hauck, MedR 2010, 226, 229.45) V. 22. 12. 2011 (BGBl. I S. 2983). 46) Hierzu Felix/Deister, NZS 2013, 81 ff.47) BSG v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R  –, MedR 2013, 820,

Rdnr.  24. Es handelt sich bei § 137 c SGB  V demnach um ei-nen „bloßen Verbotsvorbehalt“ (Hauck, NJW 2013, 3334, 3338 m. w. N.).

48) So aber nunmehr ausdrücklich BSG v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R –, MedR 2013, 820, Rdnr. 19.

49) So BSG v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R –, MedR 2013, 820, Rdnr. 24.

50) BT-Dr. 14/1245, S. 90.

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war § 137 c SGB V als „Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt“ – das hat der Gesetzgeber als grundlegenden Unterschied zu § 135 SGB V explizit betont 51 und zugleich festgestellt: „Erst ein negatives Votum schließt den Einsatz der Me-thode zu Lasten der GKV aus“ 52. Es sei ein „wesentliches Qualitätsmerkmal des Gesundheitswesens, dass Innova-tionen rasch Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen“ 53. Und der Gesetzgeber betont im Jahr 2011 im Kontext des GKV-VStG, dass selbst die bestehende „Er-laubnis mit Verbotsvorbehalt“ bislang „nicht hinreichend den besonderen Bedarf nach – bisher noch nicht auf ho-hem Niveau belegten – Behandlungsalternativen in der Versorgung von stationär behandlungsbedürftigen und daher typischerweise schwer erkrankten Versicherten“ 54 berücksichtige. Bewertet man die vorliegenden Gesetzes-materialien, ist es keineswegs zutreffend, dass der Gesetz-geber erst mit dem VStG entsprechende Ausführungen gemacht habe 55 – er wollte die Norm seit ihrer Schaffung als Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt verstanden wissen. Nun ist es richtig, dass zur verbindlichen Auslegung einer Norm allein die Fachgerichte berufen sind 56; soweit der Wille des Gesetzgebers im Wortlaut der Norm aber zum Ausdruck gekommen ist, darf auch die historische Ausle-gung nicht aus dem Blick geraten.

Die Missachtung des gesetzgeberischen Willens wiegt umso schwerer, als die Begründung für den Rechtspre-chungswandel inhaltlich nicht trägt. Das soll im Folgenden gezeigt werden. Verständlicherweise wurde vor allem der Rechtsprechungswandel im Jahr 2008 ausführlich begrün-det; aber auch in der Entscheidung vom März 2013 setzt sich der 3.  Senat noch einmal ausführlich mit der doch umfangreichen Kritik an der gerichtlichen Auslegung des § 137 c SGB V auseinander 57.

In seiner Entscheidung aus dem Jahr 2008, die im Kon-text des Streits über den Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsvertrags ergangen ist, beruft sich das Gericht – neben vielen anderen, die inhaltliche Entscheidung be-zogen auf das konkrete Krankenhaus durchaus tragen-den Erwägungen 58 – zunächst auf die so oft beschworene „Einheit der Rechtsordnung“ 59. Das Gericht stellt darauf ab, dass eine Behandlung, die möglicherweise strafrechtli-che Konsequenzen nach sich ziehen könnte, von den Kas-sen nicht bezahlt werden müsse 60. Bereits hier sollte man misstrauisch werden, denn die Rechtsfigur der Einheit der Rechtsordnung hat eine äußerst geringe Tragweite und wird eigentlich immer gerne dann zitiert, wenn einem das durch Auslegung des Gesetzes gewonnene Ergebnis irgendwie nicht gefällt 61. Die Einheit der Rechtsordnung gebiete ein einheitliches Begriffsverständnis innerhalb der Gesamtrechtsordnung; die Rechtswidrigkeit eines konkreten Verhaltens müsse in allen Teilrechtsordnungen einheitlich erfolgen und die Einheit der Rechtsordnung verbiete unterschiedliche Zielsetzungen in den Teil-rechtsordnungen. Die Liste der Forderungen ließe sich fast beliebig verlängern. Es ist aber bekannt, dass Begrif-fe in verschiedenen Gesetzen, ja sogar innerhalb ein und desselben Gesetzes unterschiedliche Bedeutung haben; es ist bekannt, dass ein aus Sicht des Strafrechts gerechtfer-tigtes Verhalten aus öffentlich-rechtlicher Sicht sehr wohl eine rechtswidrige Amtspflichtverletzung darstellen kann – und es ist bekannt, dass die Besteuerung der Einkünfte des Hehlers sehr wohl möglich und auch gewollt ist. Un-abhängig von der geringen Überzeugungskraft des Argu-mentes an sich erschließt sich aber auch nicht, wieso eine im Krankenhaus angewandte Methode, die nicht in die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung fällt, gleichsam automatisch eine strafrechtlich relevante Körperverletzung sein sollte 62. Jeder körperliche Eingriff stellt eine Körperverletzung dar; bei entsprechender Auf-klärung, zu der vorliegend dann auch die Aufklärung über die Einschätzung der Krankenkasse gehören dürf-

te 63, ist der Strafrechtsvorwurf allerdings – abgesehen von extremen Ausnahmefällen 64 – vom Tisch 65. Bei konse-quenter Anwendung der Einschätzung des BSG wäre an-sonsten auch jede individuelle Gesundheitsleistung – IgeL genannt – eine strafbare Körperverletzung 66.

Auch die vom BSG geäußerte Sorge, dass bei wörtli-cher Anwendung des § 137 c SGB V das Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V „außer Kraft“ gesetzt würde – so das BSG wörtlich 67 –, ist nicht begründet. Zunächst f ällt auf, dass das Gericht in seiner ersten Entscheidung zu § 137 c SGB V diesen Aspekt als völlig unproblema-tisch gewertet hat: Natürlich gelte dieses Gebot – die Prüfung obliege aber eben allein dem GBA. Das sagt ei-gentlich alles: Natürlich gilt das Qualitätsgebot auch für die stationäre Versorgung – das dürfte von niemandem wirklich bestritten werden. Eine ganz andere Frage ist aber doch, wer dessen Einhaltung überwacht, und das ist nun einmal der GBA und nicht die einzelne Kranken-kasse oder die Sozialgerichte. Hier vermischt das BSG die Ebenen des Prüfungsmaßstabs mit denen der Prü-fungskompetenz. Das überzeugt nicht; dennoch findet sich gerade dieses Argument in faktisch allen späteren Entscheidungen 68.

In seiner Entscheidung aus dem Jahre 2013 berück-sichtigt das BSG – wohl auch in Reaktion auf die mitt-lerweile in der Literatur vorgebrachte Kritik – einen weiteren Aspekt. § 137 c SGB  V müsse in seinem Sinne verstanden werden, weil die Krankenkassen schließ-lich auch verpflichtet seien, Krankenhausabrechnungen beim Vorliegen von Auffälligkeiten zu prüfen 69. Das ist unstreitig richtig – aber auch hier werden verschiedene Ebenen vermengt: Ob eine konkrete Methode, wie etwa das Legen eines Magenbandes, grundsätzlich den Vorga-ben des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entspricht, prüft allein der GBA; ob es zulässig ist, einer Frau mit der Kleidergröße 38 mit dem Magenband zur Kleidergröße 34 zu verhelfen, ist eine Frage des Einzelfalls, dem die Krankenkasse na-türlich nachzugehen hat. Zudem prüft der Medizinische Dienst der Krankenversicherung auffällige Krankenhaus-abrechnungen auch bei ganz „normalen“ Methoden, die als DRG abgerechnet werden.

Vor diesem Hintergrund kann der Rechtsprechungs-wandel insgesamt nicht überzeugen. Weder der Wortlaut des § 137 c SGB V noch die vom BSG angeführten Gründe

Felix, Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet? MedR (2014) 32: 283–290 287

51) BT-Dr. 15/1525, S. 126.52) BT-Dr. 15/1525, S. 126.53) BT-Dr. 17/6906, S. 45.54) BT-Dr. 17/6906, S. 86.55) Davon scheint das BSG allerdings auszugehen (v. 21. 3. 2013 – B 3

KR 2/12 R –, MedR 2013, 820, Rdnr. 22).56) So BSG v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R –, MedR 2013, 820,

Rdnr. 22.57) Vgl. nur die in Rdnr. 16 der Entscheidung des BSG v. 21. 3. 2013 –

B 3 KR 2/12 R –, MedR 2013, 820, angegebenen Literaturhin-weise.

58) Hierzu auch Felix, SGb 2009, 367.59) BSGE 101, 177, 191. So auch Hauck, SGb 2014, 8, 15. 60) BSGE 101, 177, 191.61) Ausführlich hierzu Felix, Die Einheit der Rechtsordnung, 1998. 62) Hierzu Felix, SGb 2009, 369 m. w. N. in dortiger Fn. 20. Vgl.

aber auch insoweit Hauck, SGb 2014, 8 ff.63) Vgl. grundlegend §§ 630 d Abs. 2 und 630e BGB. 64) Hierzu Hauck, NJW 2013, 3334, der etwa auf § 216 StGB (Tö-

tung auf Verlangen) verweist.65) Hierzu nur Hauck, SGb 2014, 8, 9 f.66) Vgl. zu den sog. IGeL etwa Gerlinger/Schmucker, G + G Beilage

2011, Nr. 4, S. 23 ff. 67) BSGE 101, 177, 191.68) Vgl. etwa die Ausführungen in der Entscheidung des BSG v.

21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R –, MedR 2013, 820, Rdnr. 20.69) BSG v. 21. 3. 2013 – B 3 KR 2/12 R  –, MedR 2013, 820,

Rdnr. 20.

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sprechen dafür, die Bestimmung des Leistungsspektrums im stationären Bereich in die Hände der einzelnen Kran-kenkasse und der Sozialgerichte zu legen. Mit dem GBA hat der Gesetzgeber ein kompetentes Gremium geschaffen, das – genauso wie in der ambulanten Versorgung – der maßgebliche Entscheider sein sollte.

VI. Konsequenzen der Rechtsprechung

Die Konsequenzen der aktuellen Rechtsprechung lie-gen auf der Hand – die Rechtsunsicherheit ist erheblich. Ein einzelnes Beispiel aus der jüngsten Zeit soll dies ver-deutlichen. Verschiedene Sozialgerichte hatten sich in den letzten Jahren mit der sog. Liposuktion zu befassen. Hierbei handelt es sich um die Absaugung von Fettde-potansammlungen, die bei sog. Lipödemen zum Einsatz kommt. Während das LSG Baden-Württemberg in zwei Entscheidungen aus den Jahren 2012 und 2013 nach aus-führlicher Erörterung von § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V zu dem Ergebnis kommt, dass kein Anspruch auf eine stationäre Liposuktion bestehe, weil diese Methode „schon ganz grundlegend nicht den erforderlichen Qualitätsanforde-rungen“ entspricht, „die an eine zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung durchzuführende Behandlungsme-thode zu stellen sind“ 70, hat das Hessische LSG die Li-posuktion als Leistung der GKV im stationären Bereich qualifiziert 71.

Wenn in Zukunft Krankenkassen und Sozialgerichte über die Erfüllung der in § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V genannten Voraussetzungen zu entscheiden haben, steht zu befürch-ten, dass es eine Vielzahl divergierender Entscheidungen geben wird – vor dem Hintergrund des bundesrechtlich normierten Leistungsanspruchs des Versicherten wäre das ein auch unter Berücksichtigung von Art. 3 Abs. 1 GG bedenkliches Ergebnis. Und das würde vermieden, wenn man § 137 c SGB V so anwendet, wie er vom Gesetzgeber gedacht war – nämlich als Erlaubnis mit Verbotsvorbe-halt. Die verfassungsrechtlichen Bedenken in umgekehr-ter Hinsicht tragen dagegen nicht: Wenn das LSG Baden-Württemberg es mit der Verfassung für unvereinbar hält, dass Patienten, nur weil sie bestimmte Risikofaktoren erfüllen, die einen Krankenhausaufenthalt erforderlich machen, eine bestimmte Methode in Anspruch nehmen können, die sie ambulant nicht beanspruchen könnten 72, verkennt das Gericht die im SGB V angelegte Dichotomie von Innovation im ambulanten und stationären Bereich: § 137 c SGB V ist – und das stellt das LSG Baden-Würt-temberg auch selber fest 73 – innovationsfreundlich ausge-staltet. Der Gesetzgeber schätzt die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter Methoden im Krankenhaus wegen interner Kontrollmechanismen und der besonderen Vergütungs-strukturen im Krankenhausbereich eben geringer ein als im ambulanten Bereich, und dies ist ein sachlicher Grund für die ja unstreitig bestehende unterschiedliche Normie-rung innovativer Medizin in der gesetzlichen Kranken-versicherung, der auch vor Art.  3 Abs.  1 GG Bestand haben kann.

Die Bedenken hinsichtlich der gebotenen Rechtssi-cherheit werden noch größer, wenn man die wohl jüngs-te Entscheidung des BSG zu § 137 c SGB V in den Blick nimmt, die im Dezember 2013 ergangen ist und folgen-de Fallkonstellation betraf: Die Versicherte litt an einer schweren aplastischen Anämie (SAA), an der in Deutsch-land nur 80–160 Menschen jährlich neu erkranken. Da es bei der immunsuppresiven Therapie der Versicherten zu mehrfachen Infektionen kam, transplantierte das Kran-kenhaus allogene Stammzellen einer Tante der Versicher-ten und stellte der Krankenkasse rund 116.000 € in Rech-nung. Diese weigerte sich zu zahlen, weil die angewandte experimentelle Therapie nur im Rahmen kontrollierter klinischer Studien zu vergüten sei. Nach Klageerhebung

hatte der GBA die angewandte Methode als eine für die Versorgung mit Krankenhausbehandlung erforderliche Methode bestätigt. Das LSG Baden-Württemberg – in diesem Fall der 11. Senat – hat dem klagenden Kranken-haus Recht gegeben und dabei § 137 c SGB V – ausdrück-lich entgegen der Rechtsprechung des BSG – im hier ver-tretenen Sinne ausgelegt 74. Wegen der in § 137 c SGB V normierten Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt sei die Gren-ze der Methodenfreiheit im stationären Bereich erst dort erreicht, wo offensichtlich ungeeignete Behandlungsme-thoden zur Anwendung kommen – und davon könne im zu entscheidenden Fall keine Rede sein. Der 1. Senat des BSG hat in seiner Entscheidung vom 17. 12. 2013 75 erneut betont, dass die Behandlung auch im Krankenhaus § 2 Abs.  1 S.  3 SGB  V entsprechen müsse. Zugleich stellt es aber fest, dass „diese Anforderung … nicht als starrer Rahmen missverstanden werden“ darf, „der unabhängig von den praktischen Möglichkeiten tatsächlich erziel-barer Evidenz gilt“ 76. Zu mehr Rechtssicherheit dürfte diese Entscheidung jedenfalls nicht beitragen.

Im Kontext der Rechtssicherheit sei noch einmal die Aussage des BSG aus dem Jahr 2003 zitiert: „Die Gründe für die Schaffung des Ausschusses Krankenhaus sind die-selben, die für die Übertragung der Richtlinienbefugnis-se auf den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen im Bereich der vertragsärztlichen Versorgung angeführt worden sind: Über die Zugehörigkeit einer Untersu-chungs- oder Behandlungsmethode zum Leistungskata-log der Krankenversicherung kann nicht in jedem Einzel-fall neu, womöglich mit unterschiedlichen Ergebnissen, entschieden werden. Es bedarf vielmehr einer einheitli-chen Festlegung, die den Leistungsumfang für die Be-troffenen (Leistungsanbieter, Kostenträger, Versicherte) verbindlich regelt“ 77.

VII. Im Besonderen: Die Konsequenzen für die Krankenhausfinanzierung

Das Verständnis von § 137 c SGB  V hat unmittelbare praktische Konsequenzen für das Krankenhausfinanzie-rungsrecht. Innovative Medizin verursacht – jedenfalls in einem ersten Schritt – häufig zusätzliche Kosten, so dass dem Krankenhausfinanzierungsrecht entscheidende Be-deutung zukommt. Maßgeblich ist in diesem Kontext § 6 Abs. 2 KHEntgG, der zur Finanzierung neuer Untersu-chungs- und Behandlungsmethoden (sog. NUB) die Ver-einbarung von fallbezogenen Entgelten und Zusatzent-gelten vorsieht. Adressiert sind die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG, es geht also um die Vereinbarung für das einzelne Krankenhaus. Die Vereinbarung von NUB-Entgelten ist damit für alle unter das Pflegesatzrecht fal-lenden Krankenhäuser möglich, solange die Leistungen innerhalb des jeweiligen Versorgungsauftrags erbracht werden; eine Beschränkung auf sog. „Spitzenversorger“

Felix, Innovation im Krankenhaus – wer entscheidet?288 MedR (2014) 32: 283–290

70) LSG Bad.-Württ. v. 27. 4. 2012 – L 4 KR 595/11 –, juris, Rdnrn. 34 ff.; und v. 1. 3. 2013 – L 4 KR 3517/11 –, juris, Rdnrn. 30 ff.

71) LSG Hessen v. 5. 2. 2013 – L 1 KR 391/12 –, juris, Rdnrn. 17 ff. Das Gericht stützt sich dabei auf § 137 c SGB V und stellt aller-dings – insoweit nicht überzeugend – fest, dass im Bereich der stationären Leistungserbringung die Kriterien der evidenzbasier-ten Medizin nicht erfüllt sein müssen. Das müssen sie schon – aber diese Feststellung trifft der GBA.

72) LSG Bad.-Württ. v. 27. 4. 2012 – L 4 KR 595/11  –, juris, Rdnr. 40.

73) LSG Bad.-Württ. v. 27. 4. 2012 – L 4 KR 595/11  –, juris, Rdnr. 36.

74) Vgl. LSG Bad.-Württ. v. 13. 11. 2012 – L 11 KR 2254/10  –, juris.

75) BSG v. 17. 12. 2013 – B 1 KR 70/12 R –, juris. 76) BSG v. 17. 12. 2013 – B 1 KR 70/12 R –, juris, Rdnr. 21.77) BSGE 90, 289, 294.

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hat der Gesetzgeber nicht vorgenommen. Das Verständ-nis von Untersuchungs- und Behandlungsmethoden setzt auch hier ein theoretisch-wissenschaftliches Konzept und ein systematisches Vorgehen voraus; „neu“ ist eine Methode schlicht dann, wenn sie in den maßgeblichen Entgeltkatalogen bislang keine Berücksichtigung finden konnte. Solange sie dort nicht erfasst ist, ist ihre Finan-zierung durch sonstige Entgelte erforderlich. Es handelt sich bei § 6 Abs. 2 KHEntgG damit um eine notwendige Ergänzung des lernenden DRG-Systems 78. Geprüft wird die Frage der Neuartigkeit bekanntermaßen durch die in § 6 Abs. 2 S. 3 ff. KHEntgG normierte Einschaltung des InEK 79, ohne die eine Vereinbarung zwischen den Par-teien und auch eine Festsetzung durch die Schiedsstelle grundsätzlich nicht erfolgen kann. Das InEK vergibt im Idealfall den sog. Status 1 – den bekommen alle ange-fragten Methoden, für die ein NUB-Entgelt vereinbart werden kann; und alleiniger Maßstab ist dabei die in § 6 Abs. 1 Satz 1 KHEntgG normierte Voraussetzung „Leis-tungen, die noch nicht mit den DRG–Fallpauschalen und Zusatzentgelten sachgerecht vergütet werden kön-nen …“. Das InEK befasst sich also ausschließlich mit der Frage der Finanzierung; über die Qualität der Methode als solche trifft es keine Aussage.

Nun stehen das KHEntgG und das SGB V nicht bezie-hungslos nebeneinander. Das zeigt schon § 6 Abs. 2 S. 8 KHEntgG: „Die Vertragsparteien nach § 9 KHEntgG können eine Bewertung der Untersuchungs- und Be-handlungsmethode nach § 137 c SGB  V veranlassen; § 137 c Abs. 1 SGB V bleibt unberührt.“ Auf den ersten Blick erscheint es überraschend, dass § 6 Abs. 2 KHEntgG die sozialversicherungsrechtliche Regelung noch einmal in Bezug nimmt; allerdings wird durch S. 8 der Kreis der Antragsteller für eine Überprüfung nach § 137 c SGB V erweitert, denn in § 9 KHEntgG ist auch der Verband der privaten Krankenversicherung genannt. Angesichts des für das Schiedsstellenverfahren geltenden Beschleuni-gungsgrundsatzes 80 ist diese Regelung allerdings in die-sem Stadium faktisch bedeutungslos. Dasselbe gilt für § 6 Abs. 2 S. 9 KHEntgG: „Für das Schiedsstellenverfahren nach § 13 kann eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses nach § 137 c des Fünften Buches Sozi-algesetzbuch eingeholt werden“. Die Rede ist von einer Stellungnahme und nicht von einer Bewertung. Wenn eine Schiedsstelle sich in dieser Angelegenheit an den GBA wendet, wird sie allenfalls erfahren, ob es bezogen auf das konkrete Verfahren bereits eine Richtlinie gibt oder ob ein Bewertungsantrag vorliegt. Was sonst sollte der GBA in der kurzen Zeit, die das Schiedsstellenverfah-ren lässt, auch mitteilen können?

Auf das durchaus kompliziert ausgestalte Verfahren zur Festsetzung der NUB-Entgelte kann an dieser Stel-le nicht näher eingegangen werden 81; entscheidend im vorliegenden Kontext ist jedoch, ob das konkrete Kran-kenhaus einen Anspruch auf die Festsetzung eines NUB-Entgelts hat, wenn das InEK festgestellt hat, dass die Leistung bislang nicht sachgerecht vergütet wurde. Und genau hier wird die Schnittstelle zum SGB V relevant: Gewährt man den Krankenkassen – wie das BSG es tut – eine eigene inhaltliche Bewertungskompetenz bezüglich der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode, werden diese verständlicherweise in den Verhandlungen und auch vor der Schiedsstelle Bedenken im Hinblick auf § 2 Abs.  1 S.  3 SGB V geltend machen 82, über die dann letztlich die Schiedsstelle und, bringen wir es doch auf den Punkt, faktisch deren Vorsitzender, entscheiden müsste. Damit ist er schlicht überfordert. Insofern über-rascht es nicht, dass § 6 Abs. 2 KHEntgG in der Literatur als „verbindliche Vorgabe“ zur Vereinbarung bzw. Fest-setzung entsprechender NUB-Entgelte gewertet wird 83. Diese Regelungen wäre nutzlos, wenn die Krankenkasse

im Einzelfall die Vergütung einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode verweigern könnte. Würden die Kassen in den Schiedsstellenverfahren mit entspre-chenden Einwänden nicht gehört, käme es vielleicht endlich zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung über diese Frage. Dafür wäre bekanntermaßen die Verwal-tungsgerichtsbarkeit zuständig; und es wäre interessant, deren Sichtweise kennen zu lernen.

VIII. Fazit

Mit der Schaffung von § 137 c SGB V wollte der Gesetz-geber die bis dahin bestehende Rechtslage – Überprüfung innovativer Medizin durch Krankenkassen und Sozialge-richte – beenden. Stattdessen sollte ein dafür qualifiziertes Gremium entscheiden und dabei „dafür Sorge … tragen …, dass der medizinische Fortschritt nicht behindert wird“ 84. Gedacht ist § 137 c SGB V als „Erlaubnis mit Verbotsvorbe-halt“ – das hat der Gesetzgeber als grundlegenden Unter-schied zu § 135 SGB V von Beginn an explizit betont 85 und zugleich festgestellt: „Erst ein negatives Votum schließt den Einsatz der Methode zu Lasten der GKV aus“ 86. Es sei ein „wesentliches Qualitätsmerkmal des Gesundheitswesens, dass Innovationen rasch Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen“ 87.

Die Bewertung der Behandlungsmethode durch den GBA folgt denselben Maßstäben, die auch für den ambu-lanten Bereich gelten 88. Es findet eine sektorübergreifende Bewertung der Qualität, Wirksamkeit und Wirtschaft-lichkeit i. S. des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V statt. 89 Die Gel-tung einheitlicher Qualitätsstandards bei der Bewertung der Behandlungsmethode durch den GBA ändert jedoch nichts an der Entscheidung des Gesetzgebers, vor einer Prüfung durch den Ausschuss eben auch innovative, d. h. vielleicht nicht dem allgemeinen Standard entsprechende Behandlungsmethoden im stationären Sektor zuzulassen. Erst dann, wenn die Methode durch den GBA ausge-schlossen ist, darf sie – so ausdrücklich § 137 c SGB V in der bis zum Inkrafttreten des GKV-VStG geltenden Fassung – „nicht mehr“ zu Lasten der GKV erbracht werden. Nach aktuellem Recht besteht die Möglichkeit – und übrigens nur bei stationären Leistungen auch die Verpflichtung 90 – zur Erprobung einer jedenfalls mit Potenzial behafteten neuen Methode. Und solange die Erprobung läuft, darf die Leistung zulasten der gesetzlichen Krankenversiche-rung erbracht werden 91.

§ 137 c SGB V ist damit bewusst als innovationsfreund-liche Norm ausgestaltet. Diese Zielsetzung der Norm ist seit dem Rechtsprechungswandel, den das BSG im Jahr

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78) Hierzu Dietz/Bofinger, KHG u. a., Vorwort zum KHEntgG, S. 7.79) Hierzu Felix, MedR 2012, 777.80) § 13 Abs. 2 KHEntgG; in der Regel soll innerhalb von sechs Wo-

chen die Entscheidung der Schiedsstelle vorliegen.81) Hierzu Felix, in: Felix/Schütte (Hrsg.), Medizinische Innovation

im Krankenhaus, 2011, S. 59 ff.82) Kritisch deshalb auch Huster, GesR 2010, 337, 340, m. konkreten

Zahlen. Vgl. auch Blum/Offermanns, KH 2010, 199 ff.83) Tuschen/Trefz, KHEntgG, 2. Aufl. 2010, S. 279; Kutlu, in: Spick-

hoff (Hrsg.), Medizinrecht, 1. Aufl. 2011, § 6 KHEntgG, Rdnr. 6; Felix, in: Felix/Schütte (Hrsg.), Medizinische Innovation im Krankenhaus, 2011, S. 59, 70 f.

84) BT-Dr. 14/1245, S. 90.85) BT-Dr. 15/1525, 126.86) BT-Dr. 15/1525, 126.87) BT-Dr. 17/6906, 45.88) Zutreffend BSGE 103, 106. 89) Flint, in: Hauck/Noftz (Hrsg.), SGB V, Stand: September 2010,

§ 137 c, Rdnr. 38.90) Vgl. insoweit den Wortlaut von § 137 c SGB V; hierzu auch Felix/

Deister, NZS 2013, 81 ff.91) So § 137 e Abs. 1 S. 2 SGB V.

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2008 vollzogen hat, aus dem Blickfeld geraten 92. Of-fenbar sind die Sorgen des Gerichts vor einem völligen Qualitätsverlust der Medizin im Bereich der stationären Leistungserbringung groß. Diese Sorge ist aber nicht berechtigt. Der Gesetzgeber ist zu Recht davon ausge-gangen, dass die Gefahr des Einsatzes zweifelhafter oder unwirksamer Maßnahmen wegen der internen Kontroll-mechanismen und der anderen Vergütungsstrukturen im Krankenhausbereich als geringer einzustufen ist als bei der Behandlung im ambulanten Bereich 93. Im Kranken-haus ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit verschie-dener Arztgruppen ebenso stärker ausgeprägt wie die gegenseitige strukturelle und kollegiale Kontrolle bei Indikationsstellung und Therapieplanung. Allein diese Unterschiede bieten einen besseren Schutz vor einer medizinisch willkürlichen und auch vom Umfang her ausufernden Anwendung neuer Methoden 94. Das Risi-ko einer Haftung des Krankenhauses für gesundheitliche Schäden dürfte zusätzlich dafür sorgen, dass keine wirk-lich gefährlichen medizinischen Methoden zum Einsatz kommen. Und zuletzt darf man die wirtschaftlichen In-teressen des Krankenhauses nicht aus dem Blick verlie-ren: Faktisch jede Innovation in der Medizin erfordert vom Krankenhaus Investitionen, die nicht vollständig durch die NUB-Entgelte abgegolten sein dürften. Und auch die duale Finanzierung hat bekanntermaßen in der Praxis ihre Schwächen 95. Unter dem Regime des § 137 c SGB V muss das Krankenhaus aber befürchten, diese In-vestitionen umsonst getätigt zu haben – denn sobald der GBA die Methode ggf. nach einer Erprobung endgültig ausschließt, ist das Geld verloren.

Auch im Übrigen bestehen gegen das Verständnis von § 137 c SGB V als Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt keine Be-denken. Insbesondere besteht nicht das Risiko der Umge-hung von 135 SGB V, denn § 39 SGB V setzt bekannter-maßen voraus, dass eine stationäre Behandlung erforderlich ist – und das ist, wie das BSG zu Recht feststellt 96, nicht des-halb der Fall, weil eine bestimmte Leistung nach den Re-geln der ärztlichen Kunst zwar ambulant erbracht werden kann, vertragsärztlich aber mangels positiver Empfehlung des GBA nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversiche-rung geleistet werden darf.

Hilfreich ist schließlich ein Blick auf die Realität der NUB-Entgelte. Untersuchungen haben gezeigt, dass die finanzielle Belastung der GKV durch entsprechende Zu-satzentgelte gering ist. Nur sehr wenige Krankenhäuser beantragen in den Vergütungsverhandlungen überhaupt NUB-Entgelte 97; hier lässt sich eine gewisse Selbstregulie-rung konstatieren – NUB-Entgelte sind in der Praxis eher ein Thema für sog. „Spitzenversorger“ 98.

Unter Berücksichtigung aller Argumente fragt man sich unwillkürlich, was das BSG tatsächlich zu seinem Rechtsprechungswandel gebracht hat – und diese Frage führt zugleich zu einer möglichen Kompromisslinie. In der Entscheidung aus dem Jahr 2008, in der das Gericht über den Anspruch auf Abschluss eines Versorgungsver-trags zu entscheiden hatte, waren die Umstände des Ein-zelfalls in der Tat äußerst ungewöhnlich: Das betreffen-de Krankenhaus, das einen Versorgungsauftrag begehrt hatte, war insolvent und hatte bereits vor der Zulassung in erheblichem Umfang gesetzlich krankenversicherte Patienten behandelt. Dass man in diesem Fall keinen Versorgungsvertrag befürworten konnte und wollte, ist mehr als verständlich. Vor diesem Hintergrund des „Extremen“ drängt sich die Frage auf, ob man § 137 c

SGB V zwar als grundsätzliche Erlaubnis mit Verbots-vorbehalt ansehen sollte, aber den Krankenkassen und Gerichten eine Art Evidenzkontrolle zugesteht. Auch im stationären Bereich sollten die Grenzen der Methoden-freiheit jedenfalls dort erreicht sein, wo offensichtlich ungeeignete Behandlungsmethoden zur Anwendung kommen 99. In solchen Fällen könnte eine Berufung des Krankenhauses auf ein fehlendes negatives Votum des GBA als rechtsmissbräuchlich angesehen werden 100. In Konsequenz dessen wäre eine offenkundig ungeeigne-te oder gar schädliche Innovation nicht Gegenstand des Leistungskatalogs der GKV 101. Ein solches Vorgehen ent-spräche zudem der Handhabung von § 135 SGB V – auch hier gibt es bekanntermaßen eine Reihe von Ausnah-men, in denen auch eine nicht vom GBA empfohlene Methode ambulant erbracht werden darf 102. Wenn bei offensichtlich schädlichen Methoden nicht der GBA an-gerufen wird, könnte man insoweit von einem System-versagen sprechen 103.

Allerdings verursachen „Offensichtlichkeitsregeln“ in der Praxis häufig mehr Probleme als sie lösen 104. Bei ei-ner auch grundrechtlich relevanten Entscheidung sollte der Gesetzgeber selbst die wesentlichen Regeln vorge-ben. Insoweit erschiene es sinnvoller, die Finanzierung innovativer Medizin auf sog. „Spitzenversorger“ zu be-schränken 105 – eine Idee, die dem Gesetzgeber bei § 6 KHEntgG vorschwebte, die aber im Gesetz keinerlei Niederschlag gefunden hat. Bei einer entsprechenden gesetzlichen Festlegung im SGB V oder dem KHEntgG dürften auch die Bedenken des BSG hinsichtlich der Qualität medizinischer Innovation weitaus geringer ausfallen.

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92) Huster spricht sogar von einem „Scherbenhaufen“, GesR 2010, 337, 343.

93) So auch das BSG selbst in BSGE 90, 289, 294.94) All das rechtfertigt die großzügigere Freigabe von Innovationen

im stationären Bereich (so auch BSGE 103, 106, 128).95) Dietz/Bofinger, KHG u. a., § 4 KHG, Anm. 4.96) BSG, SozR 4-2500 § 13 Nr. 9. Vgl. auch Flint, in: Hauck/Noftz

(Hrsg.), SGB V, K § 137 c, Rdnr. 12.97) Vgl. Studie des Instituts für Arbeit und Technik, http://www.

iatge.de/aktuell/veroeff/ 2011/bandemer01.pdf, S. 12 ff. (zuletzt aufgerufen am 26. 1. 2014).

98) Auch hierzu die Studie des Instituts für Arbeit und Technik, http://www.iatge.de/aktuell/veroeff/ 2011/bandemer01.pdf, S. 12, die von „spezialisierten Zentren“ spricht (zuletzt aufge-rufen am 26. 1. 2014).

99) LSG Bad.-Württ. v. 13. 11. 2012 – L 11 KR 2254/10 –, juris, Rdnr. 33.

100) Vgl. schon Bender, NZS 2012, 761, 768.101) Ebenso Trefz, Anmerkung zum Urteil des SG Bremen v.

5. 7. 2011 – S 4 KR 15/06 –, PKR 2011, 105.102) Vgl. etwa zu den Seltenheitsfällen BSGE 93, 236.103) Bender, NZS 2012, 761, 768. An dieser Stelle sei eine Anmer-

kung erlaubt: Wollte man die Rolle des GBA im Kontext von § 137 c SGB V faktisch stärken, könnte man die vom BSG ge-forderte Kontrolle durch Krankenkassen und Sozialgerichte auf den Zeitraum beschränken, zu dem noch kein entsprechender Antrag an den GBA gestellt wurde. In diesem Fall würden die auf Seiten der Krankenhäuser berechtigten Antragsteller zügig den GBA anrufen.

104) Man denke nur an die umfangreiche Rechtsprechung zu § 40 SGB X (hierzu Roos, in: von Wulffen/Schütze [Hrsg.], SGB X, 8. Aufl. 2014, § 40, Rdnr. 10).

105) Vgl. auch Huster, GesR 2010, 337, 343, der eine „Konzentration der Innovationseinführung“ diskutiert.


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