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Ingenieurhydrologie II - ihwb.tu-darmstadt.de · Vorwort Vorlesungsinhalt: Die Vorlesung baut...

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Ingenieurhydrologie II Prof. Dr.-Ing. Manfred W. Ostrowski Mitarbeit: Dipl.-Ing. A. Klawitter, Dipl.-Ing. M. Bach, Dr.-Ing. O. Kraft, Dr.-Ing. Jochen Hack Institut für Wasserbau und Wasserwirtschaft Fachgebiet Ingenieurhydrologie und Wasserbewirtschaftung
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Ingenieurhydrologie IIProf. Dr.-Ing. Manfred W. OstrowskiMitarbeit: Dipl.-Ing. A. Klawitter, Dipl.-Ing. M. Bach, Dr.-Ing. O. Kraft, Dr.-Ing. Jochen Hack

Institut für Wasserbauund WasserwirtschaftFachgebiet Ingenieurhydrologieund Wasserbewirtschaftung

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Vorwort

Vorlesungsinhalt:Die Vorlesung baut inhaltlich auf den Vorlesungen ‘Wasserbau, wasserwirtschaft und Hydrau-

lik’ und ‘Ingenieurhydrologie I’ auf, in denen im Wesentlichen Grundbegriffe, Messmethodenund einfache hydrologische Verfahren vermittelt werden. In der ‘Ingenieurhydrologie II’ werdendiese Kenntnisse vertieft sowie weitere Themengebiete und Verfahren vorgestellt.

Es werden mathematische Kenntnisse, insbesondere zur Lösung von Differentialgleichungenund zur Statistik vorausgesetzt. Physikalische Grundlagenkenntnisse sind ebenfalls erforderlich.Da die fundierte Analyse hydrologischer Systeme auf einer äußerst umfangreichen Datenbasisberuht, sind zur Anwendung fortschrittlicher Verfahren auch Kenntnisse der elektronischen Da-tenverarbeitung (EDV) unabdingbar. Im Rahmen der vorlesungsbegleitenden Hausübung (Stu-dienleistung) besteht die Möglichkeit der Verwendung eines Geoinformationssystems (GIS) zurBearbeitung ingenieurhydrologischer Fragestellungen. Grundkenntnisse in GIS sind daher vonVorteil.

Zusätzliche Literatur:Da es sich bei diesem Umdruck lediglich um eine Zusammenfassung des in der Vorlesung be-

sprochenen Stoffes handelt, wird empfohlen gegebenenfalls entsprechende zusätzliche Literaturzu Hilfe zu nehmen.

TECHNISCHE

UNIVERSITÄT

DARMSTADT

Institut für Wasserbauund Wasserwirtschaft

Prof. Dr.-Ing. Manfred W. OstrowskiFachgebiet Ingenieurhydrologieund Wasserbewirtschaftung

Franziska-Braun-Straße 764287 Darmstadt

http://www.ihwb.tu-darmstadt.de/

Stand: 18. September 2014

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis 7

Tabellenverzeichnis 9

1 Einleitung 111.1 Aufgaben der Hydrologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.3 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

2 Die Atmosphäre 152.1 Physikalische Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.2 Aufbau und Zusammensetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152.3 Kennwerte des Wasserdampfes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.4 Die Solarstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192.5 Der Strahlungshaushalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212.6 Vertikale Luftbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222.7 Die Winde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3 Verdunstung 273.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 273.2 Bestimmung der potentiellen und aktuellen Verdunstung . . . . . . . . . . . . . . . . 29

3.2.1 Ansatz nach Haude . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.2.2 Ansatz nach Penman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30

4 Niederschlag 334.1 Die Bildung von Niederschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334.2 Die räumliche Verteilung von Niederschlag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

4.2.1 Das Dreiecksverfahren nach Akin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 364.2.2 Das Rasterpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5 Das System Pflanze-Boden-Wasser 395.1 Die Interzeption von Niederschlag auf der Oberfläche . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

5.1.1 Einflussgrößen der Interzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395.2 Die Wasserbilanz der ungesättigten, durchwurzelten Bodenzone . . . . . . . . . . . 41

5.2.1 Zusammensetzung der Böden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415.2.2 Bereiche der Bodenfeuchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425.2.3 Aktuelle Infiltration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.2.4 Aktuelle Evapotranspiration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.2.5 Perkolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.2.6 Kapillarer Aufstieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445.2.7 Lateraler Abfluss (Interflow) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

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5.3 Die Wasserbilanz der ungesättigten, nicht durchwurzelten Bodenzone . . . . . . . 455.3.1 Grundwasserneubildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

5.4 Die Wasserbilanz des oberen Grundwasserträgers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455.4.1 Grundwasserneubildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45

6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser 476.1 Bilanzmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476.2 Kompartimentmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476.3 Mathematische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48

6.3.1 Modellansätze für die Interzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486.3.2 Modellansätze für die Bodenfeuchtesimulation . . . . . . . . . . . . . . . . . 506.3.3 Vereinfachte Modelle und Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516.3.4 SCS-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 526.3.5 Horton-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

7 Schneehydrologische Prozesse 577.1 Schneedeckenaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577.2 Schmelze und Setzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577.3 Abbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587.4 Berechnungsansätze für schneehydrologische Prozesse . . . . . . . . . . . . . . . . . 58

8 Die Theorie des Linearspeichers 618.1 Die Lösung des Einzellinearspeichers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618.2 Der Linearspeicher mit Erweiterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63

9 Abflusskonzentration 659.1 Lineare Speicherkaskaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659.2 Das Clark-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669.3 Abflussganglinien aus digitalen Höhenmodellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

10 Wellentransformation in natürlichen Gewässern und Kanälen 6910.1 Das Muskingum-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6910.2 Das Kalinin-Miljukov-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

11 Statistische Verfahren 7311.1 Elementarstatistik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73

11.1.1 Grundbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7311.1.2 Häufigkeitsanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7411.1.3 Statistische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76

11.2 Extremwertanalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7711.2.1 Stichprobengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7811.2.2 Aufbereitung der Daten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7811.2.3 Häufigkeitsverteilung und Summenhäufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7911.2.4 Anpassung einer Dichte- bzw. Verteilungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . 7911.2.5 Extremwertprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

4 Inhaltsverzeichnis

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11.3 Regressions-Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8111.3.1 Lineare Regression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8111.3.2 Nichtlineare Regression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83

12 Bewirtschaftung von Speichern 8512.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8512.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8712.3 Bemessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

12.3.1 Speichergröße von Hochwasserrückhaltebecken . . . . . . . . . . . . . . . . . 8912.3.2 Speichergröße von Talsperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9112.3.3 Hochwasserentlastungsanlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9312.3.4 Grundablass/Betriebsablass . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93

12.4 Betrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9312.4.1 Hochwasserrückhaltebecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9412.4.2 Talsperre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95

13 Anthropogene Einflüsse auf hydrologische Prozesse 9913.1 Auswirkungen des Bergbaus auf den Wasserkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99

13.1.1 Braunkohleabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9913.1.2 Steinkohleabbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100

13.2 Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Wasserkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . 100

14 Der hydrologische Kreislauf in Siedlungsgebieten 10114.1 Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10114.2 Die gegenseitige Beeinflussung von Energie- und Wasserhaushalt . . . . . . . . . . 10114.3 Die Wasserbilanz versiegelter Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10114.4 Das Abflussverhalten von Fließstrecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10214.5 Speicher und Überläufe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10314.6 Wasserwirtschaftliche Planung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10314.7 Ein Fallbeispiel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103

Literaturverzeichnis 109

Inhaltsverzeichnis 5

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Abbildungsverzeichnis

1.1 Der hydrologische Kreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12

2.1 Genereller Aufbau der Atmosphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162.2 Wasserdampfgehalt der Atmosphäre als Funktion der Höhe . . . . . . . . . . . . . . 172.3 Sättigungsdampfdruck und absolute Feuchte als Funktion der Temperatur . . . . . 182.4 Maximal mögliche Sonnenscheindauer in Abhängigkeit von geographischer Brei-

te und Jahreszeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202.5 Mittlere jährliche Energiebilanz des Systems Erde - Atmosphäre . . . . . . . . . . . 212.6 Isolinien der Wärmebilanz der Erdoberfläche für die Nordhalbkugel . . . . . . . . . 242.7 Ausbildung der innertropischen Konvergenzzone (ITCZ) . . . . . . . . . . . . . . . . 25

3.1 Wasser- und Wärmehaushalt als gekoppeltes System . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283.2 Berechnung der Verdunstung aus der Wasserbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293.3 Erläuterung zum Penman-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

4.1 Zusammenhang zwischen Fläche, Dauer und Abminderungsmaß eines Nieder-schlagsereignisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

4.2 Niederschlagshöhen-Flächen-Dauerbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354.3 Das Rasterpunktverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

5.1 Modellannahmen für eine Bodensäule . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405.2 Darstellung der Einflussgrößen der Interzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 415.3 Bereiche der Bodenfeuchte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435.4 Saugspannungs-Sättigungsbeziehung (pF-Kurven) verschiedener Böden . . . . . . 43

6.1 Kompartimentmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486.2 A = f(N , CN) für Ia = 0, 2 · Smax nach dem SCS-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 546.3 Horton-Infiltrationsverlauf bei Unterschreitung der Verlustintensität . . . . . . . . . 55

7.1 Wasserkreislauf - Schneebildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577.2 Berechnungszustände für das Schmelz-Setzungs-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 60

8.1 Prinzip des Einzellinearspeichers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 618.2 Prozesse am Bodenspeicher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638.3 Zusammenhänge zwischen Prozessen und Bodenfeuchte . . . . . . . . . . . . . . . . 64

9.1 Das Prinzip einer Speicherkaskade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 659.2 Komplexes Modell als parallele Speicherkaskade . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669.3 Berechnungsgang für das Clark-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 669.4 Rasterelemente eines digitalen Höhenmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67

10.1 Das Muskingum-Verfahren (Maniak, 1993) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6910.2 Zuordnung von Wasserstand und Abfluss für den stationären und instationären

Abfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70

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10.3 Charakteristische Länge nach Kalinin-Miljukov (Maniak, 1993) . . . . . . . . . . . . 71

11.1 Zeitreihe einer diskreten statistischen Variablen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7411.2 Zeitreihe und Häufigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7511.3 Definition der Unter- und Überschreitungslinie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7611.4 statistische Parameter einer Häufigkeitsverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7711.5 Komponenten einer Zeitreihe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7811.6 Anpassung einer stetigen Funktion an die diskrete statistische Zufallsvariable x . . 7911.7 Drei in der Hydrologie verwendete Dichtefunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81

12.1 Einzelspeicher und Speichersystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8612.2 Systemplan des California Water Projekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8612.3 Lageplan, Wasserstands-Volumen-Funktion, Staufläche-Volumen-Funktion . . . . . 8712.4 Einteilung des Speicherraums bei Talsperren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8812.5 Einteilung des Speicherraums bei Hochwasserrückhaltebecken . . . . . . . . . . . . 8912.6 Das Summenlinienverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9212.7 Möglichkeiten zur Steuerung von Einzelspeichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9412.8 Monitoringsystem mit Simulation-und Steuerungsmodell . . . . . . . . . . . . . . . 9612.9 System eines Einzelmehrzweckspeicher mit Regelkurven (Modell RESIM) . . . . . 97

14.1 Hydrologische Prozesse auf versiegelten Flächen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10214.2 Austausch von Bodenwasser zwischen unversiegelten und versiegelten Flächen . . 10214.3 Struktur eines komplexen hydrologischen Modells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10414.4 Einzugsgebiet des Braunebaches . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10514.5 Gewässer-und Kanalsystem am Braunebach (Systemplan) . . . . . . . . . . . . . . . 10514.6 Vergleich der Simulationsläufe für Systemzustände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10614.7 Dauerlinien für den Abfluss und die Mischungsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . 107

8 Abbildungsverzeichnis

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Tabellenverzeichnis

2.1 Zusammensetzung trockener reiner Luft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172.2 Albedo (Rückstrahlungsvermögen) verschiedener Oberflächen . . . . . . . . . . . . 202.3 Der Strahlungshaushalt der Erde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23

3.1 Umrechnung von Energieströmen in Wasseräquivalente . . . . . . . . . . . . . . . . 283.2 Monatsabhängige Beiwerte für bewachsene Böden (Haude-Verfahren) . . . . . . . 303.3 Ea und ∆ in Abhängigkeit von T . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32

5.1 BG und BFI für verschiedene Vegetationsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

6.1 CN -Werte in Abhängigkeit von Bodentyp und Bodennutzung für Bodenfeuchte-klasse II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54

6.2 Werte für die Horton-Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55

11.1 Eignung verschiedener Beobachtungszeitspannen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

12.1 Schema zur Ermittlung von Bemessungshochwasserwellen in Abhängigkeit vonvorhandenen Informationen (nach Schultz, 1973) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90

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1 Einleitung

1.1 Aufgaben der Hydrologie

Die Hydrologie ist die Lehre vom Wasser auf der Erde mit seinen unterschiedlichen Erschei-nungsformen inklusive seiner physikalischen und chemischen Eigenschaften.

Die Hydrologie ist eine vergleichsweise junge Wissenschaft, deren Bedeutung mit der Gefahrder Verknappung qualitativ hochwertigen Wassers auf der Erde zunimmt. Erst vor ca. 300 Jahrenwurde der erste Beweis erbracht, dass sich das Wasser auf der Erde über die Transportmecha-nismen der Atmosphäre in einem Kreislauf bewegt.

Basierend auf den Grundlagen der Physik und Mathematik haben sich seit dieser Zeit For-scher verschiedener Disziplinen bemüht, Details dieses Kreislaufs wissenschaftlich begründet zuerklären. Beteiligt an diesen Forschungen sind die Meteorologie, die Geologie, die Bodenkun-de, aber insbesondere die physische Geographie und das Bauingenieurwesen. Den Laien magzunächst wundern, dass Bauingenieure/innen intensiv an der hydrologischen Forschung undEntwicklung beteiligt sind. Nach näherer Betrachtung wird aber deutlich, dass Wasser für dieplanerische und konstruktive Tätigkeit im Bauingenieurwesen eine elementare Rolle spielt. AlsBeispiele seien genannt

• der Schutz der Menschen vor hydrologischen Extremen (z. B. Hochwasser, Dürre) durchTalsperren, Deiche usw.,

• die konstruktive Ausbildung von Ingenieurbauwerken (andere als Wasserbauten) aller Artwie Brückendurchlässe, Straßen- und Bauwerksentwässerung und

• die Bemessung von Wasserbauten wie Wasserkraftwerke, Schiffahrtskanäle und Bewässe-rungssysteme.

In den Jahrzehnten seit Ende des 2. Weltkrieges ist eine wichtige neue Aufgabe auf die Hydro-logie zugekommen. Es ist inzwischen sehr deutlich geworden, dass nicht die Auswirkung desWassers auf das Bauwerk allein, sondern nunmehr auch die Auswirkung des Bauwerks auf dasWasser abgeschätzt werden muss, um Schädigungen des hydrologischen Kreislaufs zu verhin-dern bzw. zu begrenzen.

Von größerer Bedeutung sind heute qualitative Eigenschaften des Wassers. Auch wenn sichdie Vorhersagen vieler Klimaforscher über die mögliche maßgebliche Veränderung der Wasser-bilanz als geringfügig heraustellen würden, so ist die Annahme einer stetigen Akkumulation vonSchadstoffen im Wasser und in der Atmosphäre gesichert, die auf lange Zeit den Lebenstandardeinschränken können. Als Planer/innen und Konstrukteure/innen sind wir zweifellos aufgeru-fen, die möglichen negativen Auswirkungen unseres Handelns bereits frühzeitig abzuschätzen.

1.2 Ausblick

Der hydrologische Kreislauf (siehe Abbildung 1.1) wurde bereits in der Vorlesung Ingenieur-Hydrologie I grundsätzlich erläutert. Zum vollständigen Verständnis des hydrologischen Kreis-laufs fehlt es jedoch noch immer an Grundlagenwissen einzelner Disziplinen, insbesondere aber

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an der wohl koordinierten Kooperation der Beteiligten. Darüber hinaus ist es selbst bei nachge-wiesener Erkenntnis von Grundprinzipien an einem Punkt (im Labor) nicht möglich, diese oh-ne Einschränkung auf die Fläche zu übertragen, da entweder stoffliche Inhomogenitäten (z. B.räumliche Schwankung physikalischer Parameter) oder Durchmischung mit anderen Prozessen(zwei- und dreidimensionale Prozesse in Mediengemischen) auftreten. Obwohl die Hydrologiegemeinsam mit der Meteorologie eine umfassende Analyse des Wassertransports mit den mögli-chen Aggregatformen beschreibt, wird die nachweisliche Bedeutung dieser Betrachtung häufignicht er- und anerkannt.

Niederschlag

Verdunstung von

Regentropfen

Evapotranspiration

Verdunstung von Seen

und Fliessgewaessern

Atmosphaere

Meeres-

Verdunstung

Ozean

Tiefenversickerung

Infil-

Grundwasser-stand

tration

Fluss

Grundwasser-Abfluss

Oberflaechen-Abfluss

Kondensation

Interzeption

Abbildung 1.1: Der hydrologische Kreislauf

Die Meteorologie hat bereits eine weitestgehend mathematisch-physikalische Beschreibungder Prozesse in der Atmosphäre erreicht. Es besteht durchaus die Absicht, dies in der Hydrologieebenfalls zu erreichen. Die Realisierung wird vornehmlich dadurch behindert, dass neben denGasen in der Atmosphäre auch die jeweiligen Eigenschaften der Erdrinde zu berücksichtigensind.

Die Hydrologie steht in engem Zusammenhang zur Hydromechanik. Die beiden Disziplinenwachsen aufeinander zu. Je höher die Informationsdichte auch für mittel- und großskalige Sys-teme wird, desto mehr können physikalisch definierte Grundgleichungen auch in der Hydrologieverwendet werden. Wo dies noch nicht vollständig möglich ist, können hydrologische Verfahren,die zumeist Energiebetrachtungen vernachlässigen, erweitert und verbessert werden.

Vor diesem Hintergrund mag es erstaunlich sein, dass es auch in der Vergangenheit bereitsmöglich war, hydrologische Verfahren zu entwickeln, die den Aufgaben der Wasserwirtschaftgenügen. Gleichwohl bleibt das Bestreben, die existierenden z.T. sehr vereinfachten Ansätzedurch bessere Algorithmen und Verwendung einer breiteren Datenbasis fortwährend zu verbes-sern; nicht allein die zunehmenden Erkenntnisse, sondern auch die zunehmende Komplexitätder Ingenieuraufgaben gebietet dies.

Letztendlich ist die Hydrologie die Grundlage für die quantitative und qualitative Bewirtschaf-tung unserer Wasserresourcen.

12 1 Einleitung

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1.3 Literatur

Deutschsprachige Literatur:• Barner, J.: ”Hydrologie: Eine Einführung für Naturwissenschaftler und Ingenieure”, UTB-

Taschenbücher, 1987

• Baumgartner, A.; Liebscher, H.-J.: ”Allgemeine Hydrologie”, Gebrüder Borntraeger, 1996

• Dyck, S. et al.: ”Angewandte Hydrologie Teil I und II”, VEB Verlag für Bauwesen, Berlin1978

• Dyck, S. und Peschke, G.: ”Grundlagen der Hydrologie”, Verlag für Bauwesen, 1995

• Maniak, U.: ”Hydrologie und Wasserwirtschaft - Eine Einführung für Ingenieure”, Springer-Verlag, 1997

• Maniak, U.: ”Wasserwirtschaft - Einführung in die Bewertung wasserwirtschaftlicher Vor-haben”, Springer-Verlag, 2001

• Schröder, W.; Euler, G.; Schneider, F.; Knauf, D.: ”Grundlagen des Wasserbaus - Hydrologie,Hydraulik, Wasserrecht” Werner Verlag, 1982

Englischsprachige Literatur:• Maidment, D. ”Handbook of Hydrology”, McGraw-Hill, 1992

• Shaw, E.: ”Hydrology in Practice”, Van Nostrand Reinhold, U.K., 1983

• Singh, V.P., ”Elementary Hydrology”, Prentice Hall, Inc., 1992

• World Meteorological Organization: ”Guide to hydrological practices, Volume I and II”,WMO-Publication No. 168

Internetquellen:• http://www.hydroskript.de

• http://www.spatialhydrology.com/

• http://indigo.meteor.tu-darmstadt.de/umet/

• http://webworld.unesco.org/water/ihp/db/glossary/glu/indexde.htm

1.3 Literatur 13

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2 Die Atmosphäre

2.1 Physikalische Grundlagen

Zum besseren Verständnis der hydrologischen Prozesse, insbesondere in der Atmosphäre, sollendie wesentlichen physikalischen Grundlagen hier zusammengefasst dargestellt werden.

Ein Fluid ist ein Gas oder eine Flüssigkeit. Durch die große Entfernung zwischen den Molekü-len ist Gas sehr kompressibel; ohne äußeren Druck dehnt sich Gas unendlich aus. Gas ist dahernur im Gleichgewicht, wenn es allseitig umschlossen ist. Vergleichsweise ist eine Flüssigkeitwenig kompressibel. Daher kann eine Flüssigkeit eine zur Atmosphäre offene Grenzfläche besit-zen, ohne dass sich die Flüssigkeit erheblich ausweitet. Dampf kann definiert werden als Gas,das aufgrund seines Druckes und seiner Temperatur der flüssigen Phase nahe ist. Die wesentli-chen Grundlagen für Flüssigkeiten, insbesondere für Wasser, werden in der Hydromechanik undHydraulik vermittelt. Die Zustandsgleichung für Gase lautet:

pρ= R · T (2.1)

p = absoluter Druck [N/m2]ρ = Dichte des Gases [N·s2/m4] bzw. [kg/m3]R = Gaskonstante [N·m/(kg·K)]T = absolute Temperatur [K]In der Atmosphäre kann der Druck verstanden werden als die Gewichtskraft einer Luftsäule

mit einer definierten Grundfläche vom Messniveau bis zur oberen Begrenzung der Atmosphäre.Für trockene Luft beträgt die Gaskonstante 287 N·m/(kg·K). Geht man an der Erdoberfläche voneinem mittleren Druck von etwa 100 kN/m2 = 1 bar und einer mittleren absoluten Temperaturvon 288 K (15°C) aus, so ergibt sich eine Dichte von 1,2 kg/m3.

Es sei erinnert an Avogadro’s Gesetz, nach dem alle Gase unter gleichen Druck- und Tempe-raturverhältnissen bei gleicher Erdbeschleunigung die gleiche Anzahl von Molekülen in einemgewählten Volumen enthalten. Daraus folgt, dass das spezifische Gewicht eines Gases propor-tional zu seinem Molekulargewicht ist. Das Produkt aus Molekulargewicht und Gaskonstante istdaher auch eine Konstante (m · R = 8312 N·m/(kg·K) für ein ideales Gas). Wichtig in diesemZusammenhang ist Dalton’s Gesetz. Dieses besagt, dass es sich bei der Betrachtung der Atmo-sphäre um Partialdrücke für trockene Luft und Wasserdampf handelt, die jeweils so wirken alssei das andere Gas nicht vorhanden. Bei Zunahme des Drucks und gleichzeitiger Abnahme derTemperatur erfolgt ein Übergang in die dampfförmige und nachfolgend in die flüssige Phase.Die Gleichungen werden dann erheblich komplexer.

2.2 Aufbau und Zusammensetzung

Die Atmosphäre ist eine geschichtete schützende Lufthülle der Erde, die etwa 100 km mächtigist. Ihr Aufbau ist in Abbildung 2.1 dargestellt. Trotz kontinuierlicher Abnahme des Luftdrucksund der Dichte zeigt der Temperaturverlauf einen unregelmäßigen Verlauf.

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Abbildung 2.1: Genereller Aufbau der Atmosphäre [1]

Zunächst nimmt die Temperatur in der Troposphäre, die etwa bis zur Höhe des Himalaya-Gebirges reicht, linear mit etwa 6,5 K/km ab. Der Druck sinkt von etwa 105 N/m2 auf 104 N/m2,die Dichte nimmt ebenfalls deutlich ab. In der Troposphäre ist der größte Teil der für den hy-drologischen Kreislauf relevanten Luftfeuchte enthalten.

In der darüber liegenden Stratosphäre bis etwa 50 km Höhe steigt die Temperatur nahe biszur Temperatur der Erdoberfläche an. Dies ist bedingt durch den erhöhten Anteil von Ozon, dereinen Teil der einfallenden kurzwelligen Solarstrahlung absorbiert und in Wärme umwandelt.Die Stratosphäre und die darüber liegenden Schichten sind für die Hydrologie nicht unmittelbarvon Bedeutung, jedoch sind sie derzeit Gegenstand intensiver meteorologischer Untersuchun-gen, da sich Veränderungen in den oberen Sphären auch auf die Troposphäre und damit auchauf den Wasserhaushalt auswirken können.

Die chemische Zusammensetzung der Luft ändert sich erstaunlicherweise bis zur Höhe vonetwa 80 km wenig. Die mittlere Zusammensetzung ist in Tabelle 2.1 dargestellt.

16 2 Die Atmosphäre

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Gas Volumen-% ppmStickstoff N2 78,08Sauerstoff O2 20,95Argon Ar 0,93Neon Ne 1,80 ·10−3 18,00Helium He 5,24 ·10−4 5,24Krypton Kr 1,10 ·10−4 1,10Wasserstoff H2 5,00 ·10−5 0,50Xenon Xe 8,0 ·10−6 0,08

Tabelle 2.1: Zusammensetzung trockener reiner Luft [3]

Neben den in Tabelle 2.1 vermerkten permanenten Gasen treten sogenannte Spurengase wiez. B. Wasserdampf, Kohlendioxid, Methan, Ozon, Stickoxide, Kohlenmonoxid, Schwefeldioxidusw. in der Luft auf. Die Konzentration dieser Spurengase ist jedoch sehr stark schwankend.Obwohl die Spurengase nur in einer sehr geringen Konzentration in der Luft vorhanden sind,haben sie dennoch einen maßgeblichen Einfluss auf das Klima.

Das Vorkommen von Wasserdampf in der Atmosphäre ist direkt an die Höhe der Tempera-tur gebunden, die in der Troposphäre stark abnimmt. Im Allgemeinen steigt der Anteil desWasserdampfes an der Atmosphäre nicht über 4 Volumenprozent. Mittlere Prozentanteile desWasserdampfs in der Atmosphäre als Funktion der geodätischen Höhe sind in Abbildung 2.2dargestellt. Jedoch variiert der Wasserdampfanteil nicht allein mit der Höhe, sondern auch mitdem Ort. Entsprechend der Verteilung der Oberflächentemperaturen, die wiederum von der re-lativen Lage zur Sonne abhängen, ist der Wasserdampfanteil am Äquator höher als an den Polen.

0

0.2

0.4

0.6

0.8

1

1.2

1.4

1 2 3 4 5 6 7 8

geodätische Höhe [km]

mittle

rer

Wa

sse

rda

mp

fge

ha

lt [

%]

0

Abbildung 2.2: Wasserdampfgehalt der Atmosphäre als Funktion der Höhe

Der Wasserdampfanteil der Luft oder die Luftfeuchte wird im Allgemeinen durch den parti-ellen Dampfdruck e (siehe Kapitel 2.3) beschrieben, der in der Meteorologie in hPa oder mbarangegeben wird (1 hPa = 1 mbar).

2.3 Kennwerte des Wasserdampfes

Im Zusammenhang zwischen Wasserdampf, Partialdruck und Temperatur sind spezielle Kenn-werte definiert, die den hydrologischen Kreislauf betreffen:

2.3 Kennwerte des Wasserdampfes 17

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partieller Dampfdruck: Feuchte Luft kann vereinfachend als ein Gemisch aus Wasserdampf undtrockener Luft angesehen werden. Der Luftdruck setzt sich somit zusammen aus einempartiellen Dampfdruck e und einem Partialdruck der trockenen Luft pL. Der Dampfdruck ewird i. d. R. in der Einheit hPa angegeben.

Sättigungsdampfdruck: Luft wird als gesättigt bezeichnet, wenn sie die maximale Anzahl vonWasserdampfmolekülen enthält, die bei der momentanen Temperatur möglich sind. In Ab-bildung 2.3 ist der Sättigungsdampfdruck Ea mit der dazugehörigen Wasserdampfdich-te ρd als Funktion der Temperatur (Grad Celsius) dargestellt. Bei sommerlichen Tempera-turen in Mitteleuropa stellt sich ein Partialdruck von etwa 40 bis 50 hPa ein.

Absolute Luftfeuchte: Sie wird beschrieben durch die Wasserdampfdichte ρd [g/m3], d. h.die Masse der Wasserdampfmoleküle Md [g] bezogen auf das betrachtete Kontrollvolu-men [m3] (feuchte Luft) bei der aktuellen Temperatur.

0

10

20

30

40

50

60

70

80

-20 -15 -10 -5 0 5 10 15 20 25 30 35 40

Temperatur (°C)

[mbar]

bzw

. [g

/m³]

Sättigungsdampfdruck

Dichte (absolute Feuchte bei U = 100%)

Abbildung 2.3: Sättigungsdampfdruck und absolute Feuchte als Funktion der Temperatur

Spezifische Luftfeuchte: Dies ist das Verhältnis der Wasserdampfmasse Md bezogen auf die ge-samte Masse (Wasserdampf Md + Luft ML); die spezifische Luftfeuchte q wird z. B. in derDimension g/kg angegeben.

Relative Luftfeuchte: Die relative Luftfeuchte U beschreibt das Verhältnis von aktuellem Dampf-druck e zu Sättigungsdampfdruck Ea, aus gedrückt in %. Der Begriff ist etwas verwirrend,da es sich um ein Verhältnis der Drücke und nicht der Wasserdampfmasse handelt, wiez. B. bei der absoluten Luftfeuchte.

Sättigungsdefizit: Dies ist die Differenz zwischen dem Sättigungsdampfdruck bei der momen-tanen Temperatur und dem tatsächlichen Dampfdruck. Über das Sättigungsdefizit kanndie bis zur Sättigung des Kontrollvolumens erforderliche Wasserdampfmenge berechnetwerden.

Taupunkt: Bei der Abkühlung eines ungesättigten Luftvolumens unter konstantem Luftdrucktritt bei einer bestimmten Temperatur Sättigung ein, d. h. e = Ea → U = 100%. Die dazu-gehörige Grenztemperatur wird mit Taupunkt Td bezeichnet.

18 2 Die Atmosphäre

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2.4 Die Solarstrahlung

Die Solarstrahlung ist gemeinsam mit der Erdbeschleunigung maßgeblich für den Antrieb deshydrologischen Kreislaufs verantwortlich. Hierzu sind einige zusammenfassende Bemerkungenhilfreich:

Die Ursprungsstrahlung der Sonne erfolgt in verschiedenen Wellenlängen (langwellig & kurz-wellig). Allein im sichtbaren Bereich (0,4 - 0,7 µm) liegt sie bei etwa 8500 kW/m2. Auf demlangen Weg von 145 Millionen Kilometern bis zur Erde geht allerdings der größte Teil derStrahlung verloren. Bei mittlerem Abstand zwischen Erde und Sonne beträgt die einfallendeStrahlung auf eine zur Strahlung orthogonal stehende Fläche an der Außenbegrenzung der At-mosphäre ca. 1368 W/m2; dieser Wert wird als Solarkonstante bezeichnet. Natürlich ist dieEntfernung zwischen Erde und Sonne aufgrund der elliptischen Umlaufbahn der Erde verän-derlich; somit ist die Solarkonstante nicht wirklich konstant, sondern schwankt jährlich umca. ± 3,5%.

Die Nettostrahlung Rn setzt sich zusammen aus der kurzwelligen Solarstrahlung Rk und derlangwelligen terrestrischen Strahlung Rl .

Rn = Rk + Rl (2.2)

Den Anteil an kurzwelliger Solarstrahlung, der von der Erdoberfläche empfangen (nicht ab-sorbiert) wird, bezeichnet man als Globalstrahlung RG. Sie ist aufgrund von Prozessen wieStreuung, Absorption und Reflexion an Luft (Beimengungen der Luft) schwächer als die amRande der Atmosphäre auftreffende extraterrestrische Strahlung Rex . Die Globalstrahlung setztsich zusammen aus der direkten Solarstrahlung RS und der diffusen Himmelsstrahlung RH , wel-che für die Restbelichtung bei Bewölkung sorgt.

RG = RS + RH (2.3)

In den mittleren Breiten ist RS im Mittel um etwa das sechsfache größer als RH . Bei zunehmenderBewölkung wird RH jedoch größer. Die Globalstrahlung wird teilweise an der Erdoberflächereflektiert und bildet so die Reflexstrahlung RR.

RR = µ · RG (2.4)

Das Reflexionsvermögen eines Körpers wird auch als Albedo µ bezeichnet. Die Albedo einesKörpers ist abhängig vom Einfallwinkel der Sonne, vom Anteil der diffusen Strahlung und vomreflektierenden Körper selbst.

Aus Gleichung 2.3 und 2.4 ergibt sich die kurzwellige Strahlungsbilanz.

Rk = RG − RR = (1−µ) · RG (2.5)

Rk entspricht dem Anteil der von der Fläche absorbierten Globalstrahlung.Während die kurzwellige Strahlung Rk nur während der hellen Tagesstunden auftritt, existiert

die langwellige terrestrische Strahlung Rl ganztägig. Die Erdoberfläche strahlt zu jeder Zeitlangwellige Wärmestrahlung RA ab. Gleichzeitig empfängt sie langwellige Gegenstrahlung RGeaus der Atmosphäre. Somit ergibt sich die langwellige Strahlungsbilanz aus der Differenz vonRGe und RA.

Rl = RGe − RA (2.6)

2.4 Die Solarstrahlung 19

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Da RGe im Allgemeinen geringer ist als RA ist die langwellige Strahlungsbilanz negativ.Sowohl die kurzwellige Strahlung als auch die langwellige Strahlung werden teilweise von der

Oberfläche reflektiert. Es ist jedoch zu beachten, dass für kurzwellige Solarstrahlung ein erheb-lich anderes Reflexionsvermögen besteht als für die langwellige Gegenstrahlung. In Tabelle 2.2sind Albedowerte für verschiedenen Oberflächen zusammengefasst.

Oberfläche kurzwellige Albedo langwellige AlbedoSchnee 0,9 - 0,8 0,01Sand 0,25 - 0,35 0,08Rasen 0,25 0,02Wasser 0,03 - 0,1 0,04

Tabelle 2.2: Albedo (Rückstrahlungsvermögen) verschiedener Oberflächen

Die absorbierte Strahlung, die nicht reflektiert wird, wird nachfolgend als Wärmestrahlung Hemittiert. Die Absorbtion der Wärmestrahlung durch Wasserdampf und Kohlendioxid führt dannzur fühlbaren Erwärmung.

Die kurzwellige Strahlung kann mit Strahlungsmessgeräten gut erfasst werden. Stehen keineMessungen zur Verfügung, so kann RG mit Hilfe der extraterrestrischen Strahlung Rex berechnetwerden.

RG =�

a+ b ·Sa

Sd

· Rex (2.7)

a = Koeffizient = f(geographischer Breite ϕ) = 0,29 · cosϕ (0,18≤ a ≤ 0,29)b = Koeffizient (0,5 ≤ b ≤ 0,6)Sa = gemessene SonnenscheindauerSd = maximal mögliche SonnenscheindauerAbbildung 2.4 zeigt die Veränderung der maximal möglichen Sonnenscheindauer in Abhän-

gigkeit von der geographischen Breite für Nord- und Südhalbkugel und der Jahreszeit.

7

9

11

13

15

17

J/J F/A M/S A/O M/N J/D J/J A/F S/M O/A N/M D/J

Monat (Nord / Süd)

So

nn

ensc

hei

nd

auer

[h

]

50. Breitengrad 40. Breitengrad 20. Breitengrad Äquator

Abbildung 2.4: Maximal mögliche Sonnenscheindauer in Abhängigkeit von geographischer Brei-te und Jahreszeit

20 2 Die Atmosphäre

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Zur Berechnung der langwelligen Strahlung ist die Stefan-Boltzmann Konstante σ wichtig(σ = 5,67 · 10−8 [W/(m2· K4)] bzw. [J/(m2· K4· s)]). Nach den Erkenntnissen von Stefan-Boltzmann ist die gesamte von einem schwarzen Körper abgestrahlte Leistung proportional zurvierten Potenz der Temperatur.

RA,ges = σ · T 4 (2.8)

Die Gesamtstrahlung eines schwarzen Körpers beträgt bei 20°C (293 K) daher etwa 418 W/m2.Die langwellige Strahlung kann näherungsweise mit Hilfe des folgenden empirischen Ansatzesermittelt werden.

Rl = −σ · (T + 273)4 ·�

0, 34− 0,044 ·p

e�

·�

0, 1+ 0, 9 ·Sa

Sd

(2.9)

Die langwellige Strahlung ist somit abhängig von der Temperatur T [°C], vom Dampf-druck e [hPa] und vom Bewölkungsgrad, ausgedrückt durch den Faktor Sa/Sd .

2.5 Der Strahlungshaushalt

Aufgrund der kugelförmigen Gestalt der Erde empfängt die Erdoberfläche zeitlich und räumlichgemittelt nur 1/4 der Solarkonstanten; das entspricht einer Energiestromdichte von 342 W/m2.Als Maßstab für die einfallende Solarstrahlung an der Obergrenze der Atmosphäre dient jedochoftmals nicht dieser Absolutwert, sondern ein Prozentualwert (100%). Abbildung 2.5 zeigt diemittlere jährliche Energiebilanz für Erde und Atmosphäre (Angaben in Prozentwerten).

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um

2 3 6 20 100 6 37 26

30

30

22 27 19 7 23

20

108 13

114 95

reflektierte Sonnen-Sonnenstrahlung strahlung Wärmestrahlung

Oberflächenabsorption Abstrahlung Wärme- (kurzwellige Strahlung) (langwellige Strahlung) transport

Abbildung 2.5: Mittlere jährliche Energiebilanz des Systems Erde - Atmosphäre

20% der einfallenden Solarstrahlung werden direkt in den Weltraum reflektiert, 30% errei-chen als vorwiegend kurzwellige Strahlung die Erdoberfläche. Davon werden 27% absorbiert,

2.5 Der Strahlungshaushalt 21

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3% werden reflektiert. 30% der ebenfalls kurzwelligen Strahlung werden zerstreut, wovon wie-derum 6% in den Weltraum reflektiert werden. 24% erreichen die Erdoberfläche; davon werden2% in den Weltraum reflektiert und 22% absorbiert. Die verbleibenden 20% werden vorwiegendals langwellige Strahlung von Wasserdampf, Aerosolen und Ozon absorbiert. In der Summe wer-den also 49% der kurzwelligen Solarstrahlung durch die Erdoberfläche absorbiert.

Aufgrund von Satellitenmessungen weiß man, dass von der Erde eine thermische Strahlungvon ca. 240 W/m2 ausgeht, welche nach dem Stefan-Boltzmann Gesetz (Gleichung 2.8) einerEmissionstemperatur von ca. 255 K (-18°C) entspricht. Aufgrund der dämpfenden Wirkung derAtmosphäre liegt die mittlere Temperatur auf der Erde aber bei ca. 15°C. Dieses Phänomenbezeichnet man als den natürlichen Treibhauseffekt oder den Glashauseffekt.

Bedingt durch den natürlichen Treibhauseffekt gibt die Erdoberfläche 114% der Solarstrah-lung an der Atmosphärengrenze als langwellige Strahlung ab, von denen 6% direkt den Welt-raum erreichen. Von den verbleibenden 108% kommen 95% als Gegenstrahlung von der At-mosphäre zurück, die restlichen 13% werden durch Treibhausgase (insbesondere Wasserdampfund Kohlendioxid) absorbiert. Diese Treibhausgase strahlen gleichzeitig Energie (37%) in Rich-tung Weltraum ab. Auch die Oberseite der Wolken verliert Energie in Form von langwelligerStrahlung in Richtung Weltraum, es handelt sich hierbei um 26%.

Zusätzlich zum Energieaustausch durch Strahlung erfolgt ein Energieaustausch zwischen Erd-bzw. Wasseroberfläche und Atmosphäre durch Verdunstung und Wasserdampftransport. DieserEnergiefluss wird als Verdunstungswärmestrom bezeichnet (siehe auch Kapitel 3.1). Der Was-serdampf gewinnt durch den Verdunstungsprozess Energie, die er beim vertikalen Transportder Atmosphäre zuführt (23%). Weiterhin erfolgt durch den fühlbaren Wärmestrom (7%) eineEnergieabgabe von der Erdoberfläche.

Zum besseren Verständnis sind die Strahlungssalden an der Obergrenze der Atmosphäre, inder Atmosphäre selbst und an der Erdoberfläche in Tabelle 2.3 zusammengestellt.

Die angegebene Aus Mittelwert. Die regionale Verteilung der Strahlungsbilanz ist stark vonder Ausbildung der Erdoberfläche (Wasser, Boden, Vegetation, Wassergehalt, etc.) und von dermittleren Ausbildung der Atmosphäre (Bewölkung, Wasserdampfgehalt, etc.) abhängig. Wie inAbbildung 2.6 dargestellt ist, ergeben sich dadurch keine regelmäßigen Isolinien. Die lokale, sichzeitlich ändernde Wärmebilanz wird stark durch den aktuellen Sonnenstand und die aktuelleSonnenscheindauer bestimmt.

2.6 Vertikale Luftbewegungen

Die Zustandsgrößen Temperatur, Druck und Dichte sind über die Zustandsgleichung für Gase(siehe Gleichung 2.1) miteinander verbunden. Änderungen einer Größe haben zwangsläufig dieWertänderung der anderen Größe zur Folge. Aufgrund von Temperatur- und Druckänderungenin Abhängigkeit der geodätischen Höhe haben vertikale Luftbewegungen starke Zustandsände-rungen zur Folge. Neben thermodynamischen Zustandsänderungen ergeben sich jedoch auchvertikale Schichtungszustände.

Wesentlich für das Verständnis der vertikalen Luftbewegung in der Atmosphäre ist der trocken-und feuchtadiabatische Temperaturgradient. Man spricht von adiabatischen Zustandsänderun-gen der Luft, wenn diese ohne Wärmeaustausch mit der Umgebung erfolgen. Ist der tatsächlicheTemperaturgradient kleiner als der adiabatische, so existiert eine stabile Schichtung, da ein aus-gelenktes Luftteilchen in seine ursprüngliche Lage zurückzukehren versucht. Entsprechen sichreale und adiabatische Schichtung, so existiert eine indifferente Schichtung. Ist der reale Gra-

22 2 Die Atmosphäre

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Einnahme AbgabeObergrenze der AtmosphäreVon der Sonne zugestrahlt 100In den Weltraum reflektierte Sonnenstrahlung (kurzwellig) 20In den Weltraum reflektierte diffuse Strahlung (kurzwellig) 6Von der Erdoberfläche reflektierte Sonnenstrahlung (kurzwellig) 3Von der Erdoberfläche reflektierte diffuse Strahlung (kurzwellig) 2Von der Erde ausgehende Strahlung (langwellig) 6Von der Atmosphäre ausgehende Strahlung (langwellig) 63Summe 100 100AtmosphäreAbsorbierte Sonnenstrahlung 20Von der Erde kommende Wärmestrahlung 108Verdunstungswärme 23fühlbare Wärme 7Gegenstrahlung 95Wärmestrahlung in den Weltraum 63Summe 158 158ErdoberflächeDirekte Sonnenstrahlung (kurzwellig) 27Diffuse Strahlung (kurzwellig) 22Gegenstrahlung (langwellig) 95Wärmestrahlung in den Weltraum (langwellig) 6Wärmestrahlung in die Atmosphäre 108Wärmeverlust infolge der Verdunstung 23Wärmeverlust infolge Abgabe fühlbarer Wärme 7Summe 144 144

Tabelle 2.3: Der Strahlungshaushalt der Erde [5]

dient jedoch größer als der adiabatische, so wird sich eine einmal begonnene Bewegung einesTeilchens in der gleichen Richtung fortsetzen.

Der feuchtadiabatische Temperaturgradient ist aufgrund des Wasserdampfanteils an der Luftmit ca. 0,65 K/100 m geringer als der trockenadiabatische Gradient, der 1,0 K/100 m beträgt.Die trocken- und feuchtadiabatische Temperaturabnahme, zusammen mit der aktuellen Tempe-raturschichtung, bestimmt maßgeblich das Kondensationsniveau und die vertikale Ausdehnungder Wolkenfelder.

2.7 Die Winde

Der Horizontaltransport von Luftmassen unterschiedlicher Temperatur und Feuchte erfolgtdurch Winde. Die Windrichtungen und -stärken sind im Wesentlichen bedingt durch Druck-gradienten und die Erddrehung. Regional können sich aufgrund zeitlich schnell veränderlicherTemperaturverhältnisse besondere Bedingungen ausbilden.

2.7 Die Winde 23

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Abbildung 2.6: Isolinien der Wärmebilanz der Erdoberfläche für die Nordhalbkugel [5]

Die großräumigen Luftströmungen werden ausgelöst durch den geringen Druck an den Po-len (niedrige Temperatur) und den durch die warme Luft bedingten Hochdruck am Äquator.Durch die Erddrehung von West nach Ost wird diese Strömung nach Westen abgelenkt. Dar-aus resultieren die Urpassate, die sich an der innertropischen Konvergenzzone treffen. Diebodennahen warmen Luftmassen steigen dort auf und verursachen die hochintensiven tropi-schen Niederschlagsmuster. Aufgrund verschiedener Ursachen, insbesondere aber wegen derhöheren Landmassen auf der Nordhalbkugel, liegt diese Konvergenzzone etwas nördlich desgeographisch/mathematischen Äquators. Abbildung 2.7 gibt diese Verhältnisse wieder. Überdie verschiedene Einstrahlung und die Verteilung der Landmassen ergeben sich zudem Strö-mungen in den Ozeanen, die ebenfalls die Ausbildung großskaliger Klimate bewirken (mari-tim/kontinental).

Bevor über die Ausbildung bestimmter hydrologischer Randbedingungen gesprochen wer-den kann, müssen die Ursachen der Zu- und Abgänge der Atmosphäre, d. h. Verdunstung undNiederschlag, etwas näher erklärt werden. Dies erfolgt in den folgenden zwei Kapiteln.

24 2 Die Atmosphäre

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Abbildung 2.7: Ausbildung der innertropischen Konvergenzzone (ITCZ) [5]

2.7 Die Winde 25

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3 Verdunstung

Der Beginn des hydrologischen Kreislaufs kann im Prinzip überall definiert werden. Jedocherscheint es sinnvoll, mit der Verdunstung zu beginnen.

3.1 Grundlagen

Im Wesentlichen sind drei Rahmenbedingungen für die Verdunstung zu unterscheiden:

Verdunstung von Wasserflächen: Es besteht ein uneingeschränktes Angebot von Feuchte.

Verdunstung von unbewachsenen Landflächen: Es besteht ein bedingtes Feuchteangebot ent-sprechend der aktuell verfügbaren Bodenfeuchte; dabei ist die Ausbildung der Oberflächevon entscheidender Bedeutung.

Verdunstung von vegetationsbedeckten Landflächen: In diesem Fall wirkt neben der unmittel-baren Verdunstung von der freien Oberfläche (Evaporation) die Transpiration. Unter Tran-spiration versteht man die Wasserdampfabgabe einer Pflanze an die Atmosphäre. Für dieKombination von Evaporation und Transpiration ist der Begriff Evapotranspiration defi-niert worden.

Die Evaporation ist entsprechend der bereits bekannten Grundlagen definiert durch den Unter-schied der aktuellen Feuchteangebote der verdunstenden Oberfläche und der aufnehmendenOberfläche. Mit zunehmender Luftfeuchte nimmt die Verdunstung ab, wenn nicht der Windgesättigte Luft in Bereiche mit geringerer Luftfeuchte abführt.

Die wesentlichen Einflussgrößen für die wichtigsten Ansätze zur Berechnung der Verdunstungsind

• die Temperatur,

• die relative Luftfeuchte zur Beschreibung des Sättigungsdefizits,

• der Wind als Indikator für den regionalen Austausch und

• die Sonnenscheindauer für die Abminderung der Strahlung wegen Bewölkung.

Die Verdunstung von unbewachsenen Oberflächen ist zunächst sehr ähnlich zur Verdunstungvon der offenen Wasserfläche, solange die Feuchtigkeit aus tiefer liegenden Schichten nachge-liefert werden kann.

Bei bewachsenen Böden wird die Wasserbilanz der Grenzschicht wesentlich durch den Feuch-tegehalt des Bodens bestimmt, viel stärker aber durch Art und Alter der anstehenden Vegetation.Die Grundlagen werden bei der Behandlung der Bodenfeuchtespeicherung (siehe Kapitel 5) nä-her behandelt.

Ist das Feuchteangebot auf bewachsenen und unbewachsenen Böden, sowie auf versiegeltenBöden begrenzt, weicht die aktuelle von der aufgrund der meteorologischen Randbedingungenmaximal möglichen potentiellen Verdunstung ab.

27

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Die Verdunstungsrate wird im Wesentlichen durch die Umgebungstemperatur und das Sätti-gungsdefizit der Luft bestimmt. Um Wasser bei gleicher Umgebungstemperatur vom flüssigen inden dampfförmigen Zustand überführen zu können, wird zusätzliche Energie benötigt, die mitlatenter Verdampfungswärme oder Verdunstungswärme bezeichnet wird; diese wird aus derNettostrahlung an der Oberfläche bezogen. Die Verdunstungswärme l ist von der Temperaturabhängig.

l = 2501− 2, 37 · T [kJ/kg] (3.1)

Bei einer Temperatur von 0°C sind also 2501 kJ erforderlich um 1 kg (1 mm) Wasser zu ver-dunsten.

Es wird deutlich, dass die Verdunstung nicht nur ein Element des Wasserhaushalts, sondernauch ein Element des Wärmehaushalts darstellt (hierzu siehe Abbildung 3.1).

Bodenspeicheränderung S Bodenwärmestrom B

Nieder- Evaporation Netto- schlag strahlung

N E lE H Rn

Wasserbilanz: Wärmebilanz:

N = E + A + S Rn = lE + H + B

Klima / Wetter

Abfluß A fühlb

are

Wär

me

Abbildung 3.1: Wasser- und Wärmehaushalt als gekoppeltes System [3]

Während die Elemente der Wärmehaushaltsgleichung z. B. in den Einheiten [W/m2] oder[J/(m2· s)] angegeben sind, besitzen die Elemente der Wasserhaushaltsgleichung z.B. die Ein-heiten [mm/d] oder [cm/d]. Somit wird es erforderlich diese Einheiten umzurechnen:

E [mm/d]=l E [kJ/(m2· s)]

% [kg/m3] · l [kJ/kg](3.2)

E entspricht hier der Verdunstungshöhe, l E ist der Verdunstungswärmestrom, % ist die Dichtedes Wassers (1000 kg/m3) und l ist die Verdunstungswärme. Daraus ergeben sich u. A. die inTabelle 3.1 angegebenen Umrechnungsfaktoren:

1 W/m2 = 0,0352 mm/d1 MJ/(m2· d) = 0,4057 mm/d

1 mm/d = 246,5 J/(cm2· d)1 mm/a = 6,75 kJ/(m2· d)

Tabelle 3.1: Umrechnung von Energieströmen in Wasseräquivalente

28 3 Verdunstung

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3.2 Bestimmung der potentiellen und aktuellen Verdunstung

Die Verdunstung von offenen Wasserflächen und bewachsenen Bodenkörpern kann messtech-nisch punktuell direkt erfasst werden. Bezüglich der Messgeräte wird auf den Vorlesungsum-druck Ingenieur-Hydrologie I Kapitel 4 verwiesen. Auch an größeren Wasserkörpern wie natür-lichen Seen, Talsperren und Kanälen kann die Verdunstung über eine einfache Wasserbilanz-gleichung bestimmt werden, wenn die übrigen Bilanzglieder zuverlässig abgeschätzt werdenkönnen. In Abbildung 3.2 ist ein Beispiel dargestellt. Anhand der Angaben kann die jährlicheVerdunstung aus dem Speicher bestimmt werden.

Einzugsgebiet A = 10 kmAbflußhöhe: 300 mm/a

Abfluß:94,5 l/s

Niederschlag: 800 mm/aSpeicherfläche: 10 haWasserstandsänderung: +0,5 m

2

Abbildung 3.2: Berechnung der Verdunstung aus der Wasserbilanz

QZ = 300 mm/a · 10 km2 = 3.000.000 m3/aN = 800 mm/a · 10 ha = 80.000 m3/aQA = 94,5 l/s ∼= 2.980.000 m3/a∆S = 0,5 m/a · 10 ha = 50.000 m3/a∆S = QZ + N −QA− E ⇒ E = 50.000 m3/a

In den meisten Fällen sind die notwendigen Annahmen für die Berechnung der Verdunstungaus einer Wasserbilanz sehr unsicher, so dass häufig auf Berechnungsansätze zurückgegriffenwird, die gemessene Klimawerte verwenden. Beispielhaft werden hier die Verfahren von Haudeund Penman zur Berechnung der potentiellen Verdunstung erklärt.

3.2.1 Ansatz nach Haude

Der Ansatz ist ein stark vereinfachter aerodynamischer Ansatz, in den als Eingangsgrößen dieTemperatur und die relative Luftfeuchte eingehen [2].

EH = f(Monat) · (Ea − e)14:30Uhr (3.3)

EH = Verdunstung nach Haude [mm/d]f(Monat) = empirischer Monatsfaktor [mm/(hPa· d)]Ea = Sättigungsdampfdruck der Luft [hPa]e = aktueller Dampfdruck [hPa]

Zur Berechnung des Sättigungsdampfdrucks Ea in Abhängigkeit der Temperatur T bedientman sich der empirischen Magnusformel.

Ea(T ) = 6,11 · 107,5·T

237,3+T [hPa] (3.4)

3.2 Bestimmung der potentiellen und aktuellen Verdunstung 29

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Mit Hilfe der Formel für die relative Luftfeuchte U lässt sich dann der aktuelle Dampfdruck eberechnen.

U =eEa· 100 → e = U ·

Ea

100(3.5)

Damit berechnet sich die Haude-Verdunstung nach folgender Gleichung.

EH = f(Monat) · Ea ·�

1−U

100

[mm/d] (3.6)

Die monatsabhängigen Beiwerte für bewachsene Böden sind im Mittel wie folgt beschrieben:

Jan Feb Mär Apr Mai Jun Jul Aug Sep Okt Nov Dezf(Monat) 0,22 0,22 0,27 0,29 0,29 0,28 0,26 0,25 0,23 0,22 0,22 0,22T [°C] -1 2 6 9 13 17 19 17 15 10 3 1U [%] 82 75 70 62 60 54 60 91 68 63 85 91

Tabelle 3.2: Monatsabhängige Beiwerte für bewachsene Böden (Haude-Verfahren)

3.2.2 Ansatz nach Penman

Das Verfahren ist ein gemischtes aerodynamisches und Energiebilanzverfahren. Die Penman-Gleichung wurde für flache, stehende Gewässer entwickelt und wird für die Verdunstung vonErdoberflächen herangezogen. Sie wird hergeleitet mit Hilfe einer vereinfachten Wärmehaus-haltsgleichung sowie dem Gesetz nach Dalton.

Betrachtet man nur einen kleinen Ausschnitt der Erdoberfläche als Bilanzfläche für die emp-fangenen und abgegebenen Energieströme, so ergibt sich unter Vernachlässigung des Boden-wärmestroms die beim Penman-Verfahren zur Anwendung kommenden vereinfachte Wärme-haushaltsgleichung.

Rn = H + l E [W/m2] oder [J/(m2· s)] (3.7)

Rn = NettostrahlungH = Strom fühlbarer Wärmel E = VerdunstungswärmestromNach dem empirischen Gesetz von Dalton ergibt sich der Verdunstungswärmestrom l E zum

einen aus der Differenz zwischen dem Sättigungsdampfdruck Es an der zu verdunstenden Ober-fläche und dem aktuellen Dampfdruck e und zum anderen aus einem windabhängigen Term,der den Luftaustausch der bodennahen Luftschichten durch Wind berücksichtigt.

l E = f(u) · (Es − e) [mm/d] (3.8)

Weiterhin beschreibt Dalton den fühlbaren Wärmestrom H in Abhängigkeit der Temperaturdif-ferenz zwischen der Temperatur an der Wasseroberfläche Ts und der Lufttemperatur Ta multi-pliziert mit einem windabhängigen Term und der Psychrometerkonstante γ.

H = γ · f1(u) · (Ts − Ta) [mm/d] (3.9)

30 3 Verdunstung

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Die Psychrometerkonstante hat den Wert γ = 0,67 hPa/°C.Nimmt man an, dass der Temperaturunterschied zwischen Ts und Ta klein ist, dann kann der

Gradient der Sättigungsdampfdruckkurve ∆ in Abhängigkeit der Temperatur folgendermaßenbeschrieben werden. Td entspricht der Taupunkttemperatur.

∆=dEdT=

Es − eTs − Td

∼=Ea − e

Ta − Td(3.10)

LufttemperaturSättigungsdampfdruck der Luftaktueller Dampfdruck

Sättigungsdampfdruck Wasseroberflächentemperatur

Windgeschwindigkeit

T

E

e

E

T

a

a

s

s

u

Meß

höhe

z

Abbildung 3.3: Erläuterung zum Penman-Verfahren

Schreibt man Gleichung 3.9 um in

H = γ · f1(u) · [(Ts − Td)− (Ta − Td)] , (3.11)

so ergibt sich durch Einsetzen von Gleichung 3.10

H = γ · f1(u) ·�

Es − e∆−

Ea − e∆

. (3.12)

Mit Penman’s Annahme, dass f1(u)=f(u) und Substitution von H durch die übrigen Glieder derWärmebilanzgleichung kann Gleichung 3.12 folgendermaßen umgeschrieben werden.

Rn − l E =γ

∆· f(u) · (Es − e)−

γ

∆· f(u) · (Ea − e) (3.13)

Durch Substitution von Gleichung 3.8 und umformen nach l E ergibt sich die Penman-Gleichung.

l E =∆

∆+ γ· Rn +

γ

∆+ γ· f(u) · (Ea − e) [mm/d] (3.14)

Der erste Summand in Gleichung 3.14 entspricht dem Strahlungsterm, der zweite dem aerody-namischen Term.

Den Term f(u) ·(Ea− e) bezeichnet man als Ventilationsfeuchteglied [mm/d]. Ea− e beschreibtdabei das Sättigungsdefizit in hPa entsprechend Kapitel 2.3 und f(u) ist ein windabhängigerTerm für den in der Literatur zahlreiche Lösungen angegeben werden. Die World MeteorologicalOrganization (WMO) schlägt folgende Lösung vor.

f(u) = 0, 173+ 0,1245 · u2 [mm/(d· hPa)] (3.15)

3.2 Bestimmung der potentiellen und aktuellen Verdunstung 31

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u2 bezeichnet die Windgeschwindigkeit in 2 m Höhe über der Erdoberfläche und wird hier inm/s angegeben.

Die Steigung der Sättigungsdampfdruckkurve lässt sich mit Hilfe der folgenden Gleichungbestimmen.

∆=4098 · Ea

(237,3+ T )2[hPa/°C] (3.16)

Die Nettostrahlung Rn ergibt sich nach Gleichung 2.2 aus der Summe der kurzwelligen Strah-lung Rk und der langwelligen Strahlung Rl . Rk ergibt sich, wie bereits beschrieben, aus denGleichungen 2.5 und 2.7. Rl ergibt sich aus Gleichung 2.9. Es ist darauf hinzuweisen, dass dieNettostrahlung in den Einheiten mm/d vorliegen muss, um in Gleichung 3.14 eingesetzt werdenzu können!

Tabelle 3.3 gibt Werte für den Sättigungsdampfdruck der Luft, sowie für die Steigung derSättigungsdampfdruckkurve in Abhängigkeit der Temperatur an.

T [°C] Ea [hPa] ∆ [hPa/°C]0 6,11 0,445 8,73 0,61

10 12,28 0,8215 17,06 1,1020 23,39 1,4525 31,69 1,8930 42,44 2,4435 56,24 3,1240 73,77 3,95

Tabelle 3.3: Ea und∆ in Abhängigkeit von T

Wie bereits zu Beginn erwähnt, wurde die Penman-Gleichung für stehende Gewässer entwi-ckelt, wird jedoch häufig für die Berechnung der potentiellen Verdunstung über Landflächen(d. h. der potentiellen Evapotranspiration) herangezogen. Penman empfiehlt in diesem Fall ei-ne pauschale Abminderung des Werts für die potentielle Verdunstung durch den Faktor 0,75(Schwankungen zwischen 0,8 im Sommer und 0,6 im Winter).

32 3 Verdunstung

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4 Niederschlag

4.1 Die Bildung von Niederschlag

Die Bildung von Niederschlag ist der Umkehrprozess der Verdunstung. Aufgrund der mit derHöhe abnehmenden Temperatur in der Atmosphäre tritt bei der geeigneten Schichtung Wol-kenbildung ein. Der in der Atmosphäre enthaltene Wasserdampf kondensiert (Übergang in dieflüssige Phase) oder sublimiert (Übergang in die feste Phase). Dafür ist jedoch die Präsenz vonsogenannten Kondensations- oder Sublimationskernen zwingend erforderlich. Diese Kerne mithygroskopischen Eigenschaften sind z. B. Staub oder Salzpartikel für die Kondensation und kris-tallförmige Partikel für die Sublimation. Es sind verschiedene Ursachen für die Wolkenbildungund nachfolgend die Niederschlagsbildung bekannt:

• Abkühlung der Erdoberfläche und bodennaher Luft durch Ausstrahlung. Die Folge ist Ne-bel, der auch geringe Mengen Niederschlag verursachen kann.

• Abkühlung an einer kalten oder Erwärmung an einer warmen Unterlage. Überströmt Lufteine Unterlage mit entgegengesetzter Temperatur, so tritt ebenfalls Nebel auf.

• Durchmischung unterschiedlich temperierter Luftmassen.

• Abkühlung durch Ausdehnung (T=f(p)) bei Anhebung der Luftmassen.

Die ersten drei Prozesse betreffen die bodennahen Luftschichten und führen zu Nebelerschei-nungen, die als Wetterbildner interessant sind, in der Summe für den hydrologischen Kreislaufaber mit wenigen Ausnahmen zu vernachlässigen sind.

Die Abkühlung durch Ausdehnung lässt sich an einem sehr einfachen Beispiel demonstrieren:Steigt 20 Grad Celsius warme Luft an den Alpen auf, und beträgt der Taupunkt 14 Grad Celsius,so entstehen aufgrund des trockenadiabatischen Gradienten in 600 m Höhe Wolken.

Die wesentlichen Ursachen für die Anhebung und die damit verbundene Abkühlung von Luft-massen sind:

• Erhebungen der Erdoberfläche⇒ orographische Abkühlung

• Sich gegenseitig behindernde kalte und warme Luftmassen⇒ zyklonische Abkühlung

• Lokale Aufheizungen der Erdoberfläche⇒ konvektive Abkühlung

Die ersten beiden Arten der Anhebung sind an eine horizontale Bewegung von Luftmassen (Win-de) gebunden, während die Konvektion lediglich lokal vertikal wirkt.

Nach Eintreten der Kondensation bzw. Sublimation aggregieren die Tröpfchen zu stetig wach-senden Tropfen. Wenn diese Tropfen genügend Masse gewonnen haben und die aufwärts gerich-teten Kräfte übersteigen, beginnen sie zu fallen. Auf diesem Weg kann der Eintritt in ungesättigteSchichten zur erneuten Verdunstung führen. Letztlich erreichen aber Niederschlagspartikel dieErdoberfläche. Je nach bodennaher Luftschichtung kann der fallende Niederschlag sehr unter-schiedliche Aggregatformen haben (Schnee in jeder Form, Hagel, Graupel, Regen usw.).

Aufgrund der genannten Ursachen für die Abkühlung aufsteigender Luftmassen unterscheidetman drei Niederschlagstypen, die sich in ihrer räumlichen und zeitlichen Verteilung unterschei-den.

33

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Orographische Niederschläge: Orographische Niederschläge werden verursacht durch an Ge-birgen aufsteigende feuchte Luftmassen und können sehr unterschiedliche Dauern und In-tensitäten aufweisen. Sie sind typisch für Gebirgsregionen; die Niederschlagshöhe nimmti. d. R. mit der Geländehöhe zu.

Zyklonische Niederschläge: Zyklonische Niederschläge sind im Allgemeinen an Wetterfrontengebunden und werden deswegen oftmals auch Frontniederschläge genannt. Es wird wei-terhin unterschieden zwischen Warmfrontniederschlägen und Kaltfrontniederschlägen.

Kaltfrontniederschlagsgebiete weisen höhere Zuggeschwindigkeiten sowie höhere Nieder-schlagsintensitäten auf. Warmfrontniederschlagsgebiete sind hingegen meist ausgedehnterund werden charakterisiert durch gleichmäßigere mäßige Niederschläge.

In gemäßigten Klimagebieten liefern zyklonische Niederschläge den höchsten Anteil amGesamtniederschlag.

Konvektive Niederschläge: Konvektive Niederschläge entstehen, wenn erwärmte Luft in höhergelegene, kältere Luftschichten aufsteigt; es kommt dann zur Kondensation. KonvektiveNiederschläge sind meist kurz und in ihrer flächenhaften Ausdehnung beschränkt. DieIntensität von konvektiven Niederschlägen kann zwischen leichten Schauern bis hin zu ex-tremen Starkregenereignissen schwanken. Sie sind typische für äquatoriale Gebiete, tretenjedoch auch in den gemäßigten Breiten auf.

4.2 Die räumliche Verteilung von Niederschlag

Niederschlag fällt, wie oben erwähnt, je nach Typ des Niederschlags sehr unregelmäßig in einemEinzugsgebiet. Wesentliche Faktoren sind

• die Ausdehnung des Niederschlagsfeldes (Typ der Front, Konvektiv- oder orographischerNiederschlag),

• die Topographie und Exposition, und

• lokale Windfelder.

Es ist generell bereits erstaunlich, dass es durchaus gelingt, mit einem Niederschlagsmessermit seiner geringen Auffangfläche einen zumindest kleinräumig gültigen Wert zu bestimmen.Fehler bis zu ca. 10% sind jedoch möglich. Um zu den erforderlichen Aussagen über Volu-mina zu kommen, muss von einer bzw. mehreren Punktmessungen auf die flächenhafte bzw.räumliche Verteilung geschlossen werden. Neben der arithmetischen Mittelbildung sind ver-schiedene subjektive Verfahren und Verfahren mit gewichteten Mitteln bekannt. Dabei nehmenautomatisierbare Verfahren an Bedeutung zu.

Eine längere Stationsmessreihe kann bereits auf ihre Extrem- und Mittelwerte hin unter-sucht werden und die Übertragung von Extremwerten vom Punkt auf die Fläche kann durchAbminderung erfolgen. Abbildung 4.1 zeigt den Zusammenhang zwischen Fläche, Dauer undAbminderungsmaß eines Niederschlagsereignisses auf.

Es wird deutlich, dass

• Ereignisse mit langer Dauer wenig abgemindert werden, da sie im Wesentlichen durchgroßflächige Niederschlagsfelder verursacht werden und

34 4 Niederschlag

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Abbildung 4.1: Zusammenhang zw. Fläche, Dauer und Abminderungsmaß eines Nieder-schlagsereignisses [9]

• Ereignisse mit kurzer Dauer stärker abgemindert werden, da sie im Wesentlichen durchkonvektive Niederschlagszellen entstehen.

Abbildung 4.2 gibt eine Niederschlagshöhen-Flächen-Dauerbeziehung für extreme Nieder-schlagsereignisse wieder.

Abbildung 4.2: Niederschlagshöhen-Flächen-Dauerbeziehung [9]

Daraus lassen sich folgende Zusammenhänge ableiten:

• Niederschlagshöhen nehmen mit zunehmender Fläche ab

• Niederschlagshöhen nehmen mit zunehmender Dauer zu

• Niederschlagsintensitäten nehmen mit zunehmender Dauer ab

Für die Berechnung von Gebietsniederschlägen werden hier vier Verfahren genannt; dasThiessen-Polygon-Verfahren, das Isohyethen-Verfahren, die Dreiecksmethode nach Akin unddas Rasterpunktverfahren. Die ersten beiden Verfahren wurden bereits im Kaptitel 5 des Vor-lesungsumdrucks Ingenieur-Hydrologie I behandelt. Im Folgenden wird insofern nur auf dieDreiecksmethode nach Akin und das Rasterpunktverfahren eingegangen.

4.2 Die räumliche Verteilung von Niederschlag 35

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Von den 4 Verfahren ist das Isohyetenverfahren wegen der Möglichkeit der Berücksichtigungspezieller Ortskenntnisse zwar sehr flexibel, beinhaltet jedoch die Unsicherheiten aus subjektiverFehleinschätzung.

4.2.1 Das Dreiecksverfahren nach Akin

Analog zum Thiessen-Polygon-Verfahren wird auch hier die Einzugsgebietsfläche durch Drei-ecke mit den Eckpunkten auf den Stationen überspannt. Einer Dreiecksfläche wird dann derMittelwert der drei Stationswerte an den Eckpunkten zugewiesen. Das Verfahren ist leicht auto-matisierbar.

4.2.2 Das Rasterpunktverfahren

Das Rasterpunktverfahren ist, um in der Praxis einsetzbar zu sein, auf die elektronische Daten-verarbeitung angewiesen. Zu diesem Zweck wird über das untersuchte Gebiet ein Quadratrastergelegt. Die Niederschlagshöhe an einem Rasterpunkt wird berechnet durch das gewichtete Mit-tel der vier nächstgelegenen Stationen, wobei die Stationen in den vier Quadranten um denbetrachteten Gitterpunkt liegen sollen.

Die Gewichte werden aus dem Kehrwert des Quadrates der Entfernung (oder mit einem an-deren Exponenten) ermittelt.

N(x , y) =

Ni/di2

1/di2

(4.1)

Die Niederschläge an den Stationen werden gleichen Flächen zugeordnet. Daher wird das Mit-tel durch Summation aller Punktniederschläge, dividiert durch die Anzahl der Rasterpunkte,berechnet. Das Verfahren wird in Abbildung 4.3 erläutert.

Abbildung 4.3: Das Rasterpunktverfahren

Bevor die von Niederschlag und potentieller Evapotranspiration bedingten hydrologischenProzesse des Landkreislaufs näher erläutert werden, sei darauf hingewiesen, dass die aufge-zeigten Prinzipien lediglich einen groben Einblick in die Materie bieten können. Studierenden

36 4 Niederschlag

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mit tieferem Interesse wird unbedingt das Studium von Grundkursen der Meteorologie (FB 4)empfohlen. Es sei hiermit insbesondere auf die Internetvorlesung ”Einführung in die Umwelt-meteorologie” verwiesen (http://indigo.meteor.tu-darmstadt.de/umet/).

4.2 Die räumliche Verteilung von Niederschlag 37

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5 Das System Pflanze-Boden-Wasser

Die Belastung der Böden Mitteleuropas hat ein Ausmaß erreicht, das ernsthaften Anlass zur Sor-ge gibt. Schlagwörter wie Kontamination durch Pestizide und Abfall, Überdüngung durch Gülleund Mineraldünger, Stoffeintrag aus dem Niederschlag und Erosion sind hinreichend bekannt.Weitere anthropogene Einflussnahmen sind Drainage, Bewässerung und Verdichtung landwirt-schaftlicher Nutzflächen sowie Bodenversiegelung durch Siedlungs-, Industrie- und Verkehrsflä-chen.

Von besonderer Bedeutung für die Trinkwasserversorgung ist die Bestimmung der Grund-wasserneubildung, die außer durch die Klimarandbedingungen maßgeblich durch Boden undVegetation bestimmt wird.

Die Basis einer langfristig intakten Umwelt ist das ausgewogene Zusammenwirken zwischenPflanze, Boden und Wasser. Der Wasserhaushalt des Bodens nimmt dabei eine zentrale Stellungein.

Die Zusammensetzung der Böden und ihr Feuchtezustand bestimmen die Bodenfeuchtepro-zesse Infiltration, aktuelle Evapotranspiration, Perkolation und Kapillaraufstieg aus dem Grund-wasser. Die aufgrund der Inhomogenität der bestimmenden Einflussgrößen enormen räumli-chen und zeitlichen Schwankungen der Bodenfeuchte machen eine großräumige messtech-nische Erfassung äußerst schwierig. Wünschenswert ist es daher, das Verhalten des SystemsPflanze-Boden-Wasser durch Modelle zu erfassen, die auf möglichst physikalischen Grundlagenberuhen. Abbildung 5.1 zeigt schematisch die Unterteilung der Bodensäule sowie die sich dar-in abspielenden Prozesse. Diese oder ähnliche schematische Vorstellungen dienen oftmals alsGrundlage für Modellannahmen.

Im Folgenden soll auf die einzelnen Prozesse, die zum Verständnis des Bodenwasserhaushaltsvon Bedeutung sind, eingegangen werden.

5.1 Die Interzeption von Niederschlag auf der Oberfläche

Die Höhe der Interzeption ist maßgeblich abhängig von der jeweiligen Oberfläche. Insbesondereunterscheiden sich die Interzeptionsvorgänge in städtischen und ländlichen Gebieten.

Unversiegelte Einzugsgebiete lassen sich im Allgemeinen in Wald, Wiese und Ackerflächen un-tergliedern. Die verschiedenen Vegetationsdecken sind in der Lage, entsprechend ihrer DichteNiederschlag auf den Blättern aufzufangen und zu speichern. Dieser Prozess wird Interzeptiongenannt. Nach Ende des Niederschlags wird das gespeicherte Wasser verdunstet. Da die Grö-ßenordnung der Interzeptionsspeicherung räumlich und zeitlich stark schwanken kann, sollteder Prozess in angemessenem Detail berücksichtigt werden.

5.1.1 Einflussgrößen der Interzeption

Der Interzeptionsvorgang wird maßgeblich durch 2 Größen beeinflusst, welche in Abbildung 5.2dargestellt sind.

• Bedeckungsgrad (BG): Der Bedeckungsgrad beschreibt das Verhältnis der durch Vegetationüberdeckten Fläche zur Gesamtfläche, ausgedrückt in %.

39

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Abbildung 5.1: Modellannahmen für eine Bodensäule

• Blattflächenindex (BFI): Der Blattflächenindex beschreibt das Verhältnis der Gesamtober-fläche der Vegetation (d. h. der Blattoberfläche) zur überdeckten Fläche.

Der Bedeckungsgrad und der Blattflächenindex variieren stark in Abhängigkeit der Vegetati-onsart. Einige Vegetationsarten zeigen räumlich/zeitlich ein eher stationäres Verhalten, andereändern die Bedeckung in Raum und Zeit sehr stark. Einige wichtige Vegetationsarten lassen sichgemäß Tabelle 5.1 qualitativ unterscheiden.

40 5 Das System Pflanze-Boden-Wasser

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Abbildung 5.2: Darstellung der Einflussgrößen der Interzeption

Vegetationsart Bedeckungsgrad BlattflächenindexWald:Nadelwald hoch, konstant hoch, konstantLaubwald mittel, variabel mittel, variabelGras:Weide hoch, konstant mittel, variabelWiese hoch, konstant gering, konstantAcker:Getreide mittel, variabel mittel, variabelKartoffeln mittel, variabel hoch, variabelZuckerrüben mittel, variabel mittel, variabelMais mittel, variabel mittel/hoch, variabel

Tabelle 5.1: BG und BFI für verschiedene Vegetationsarten

5.2 Die Wasserbilanz der ungesättigten, durchwurzelten Bodenzone

Aus der Sicht der Ingenieurhydrologie und des landwirtschaftlichen Wasserbaus reicht eine ver-einfachte Bilanzierung des Bodenwasserhaushalts in vielen Anwendungsfällen vollkommen aus.Die Ansprüche an die Berechnung der bodenphysikalischen Zusammenhänge steigen allerdingsmehr und mehr. Der weitergehende Schutz des Bodens und des Grundwassers, eine verbesser-te Datengrundlage und leistungsfähigere Rechner haben zu verfeinerten Berechnungsverfahrenfür den Bodenwasserhaushalt geführt. Nachfolgend wird eine kurze Übersicht über die physika-lischen Grundlagen des Bodenwasserhaushalts gegeben.

5.2.1 Zusammensetzung der Böden

Der Boden besteht aus drei Phasen: der festen, der flüssigen und der gasförmigen Phase. Inner-halb der festen, körnigen Phase findet sich der Raum für die flüssige und die gasförmige Phase(Porenraum). Im Vergleich zur festen Phase verändern sich der Bodenwasser- und Bodenluftge-halt komplementär sehr rasch, d. h. das Korngefüge besitzt eine nahezu statische Eigenschaft,während Änderungen im Bodenwasser- und Bodenluftgehalt oftmals sehr dynamisch erfolgen.

5.2 Die Wasserbilanz der ungesättigten, durchwurzelten Bodenzone 41

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Ein möglicher Grund für die Veränderung des Porenraumes ist die veränderliche Lagerungs-dichte der festen Bestandteile. Druck und Auflockerung können somit einen erheblichen Einflussauf den Porenraum von Böden haben.

Die bisher genannten Eigenschaften beziehen sich auf unbewachsene Böden. Betrachtet manzusätzlich den Einfluss der Vegetation, so sind die Durchwurzelung, der Nährstoffhaushalt undorganische Bestandteile ebenfalls von enormer Bedeutung für den Wasserhaushalt der Böden.

Die wesentlichen Eigenschaften der festen Phase sind Kornform und Korngröße. Bezüglichder möglichen weiten Spanne für die Korngröße wird in Kies, Sand, Schluff und Ton unterschie-den. Mit der Korngröße ist häufig auch die Kornform verbunden. Kies kommt häufig in runder,glatter Form, Sand in runder, aber scharfkantiger Form vor. Ton ist im Allgemeinen in kleinstenKorngrößen, aber plattenförmig anzutreffen. Nur in seltenen Fällen sind die Korneigenschaftenhomogen, in Größe und Form kommen Mischungen jeder Art vor. Die Häufigkeitsverteilung derDurchmischungsanteile werden durch die Korngrößenverteilung beschrieben.

5.2.2 Bereiche der Bodenfeuchte

Der Bodenwasserhaushalt wird durch den Grad der Füllung der Bodenporen mit Wasser be-schrieben. Innerhalb des Porenraumes lassen sich drei wesentliche Bereiche unterscheiden, wel-che durch die Wechselwirkung zwischen Boden und Wasser definiert sind.

Der hygroskopische Bereich: Der hygroskopische Bereich wird definiert durch elektrostatischeKräfte und chemisch gebundenes Wasser. Durch diese Einwirkungen werden die Boden-partikel mit Wasserschichten umgeben. Die Saugkraft der Pflanzenwurzel reicht im Allge-meinen nicht aus, die Wassermoleküle dieser Hülle zu entziehen.

Der Kapillarbereich: Nach Auffüllung der Hüllen bilden sich zwischen den Körnern sogenannteMenisken. Bei dem Bestreben, die Wasseroberfläche gegen die Luft zu minimieren, kön-nen diese Menisken in engen Kapillarporen aufsteigen. Das in Menisken und Kapillarengebundene Wasser kann durch die Saugkraft der Pflanzenwurzeln entzogen werden.

Der Gravitationsbereich: In einem Korngefüge gibt es u.U. größere, zusammenhängende Hohl-räume. Sind direkte Anziehungskräfte und Kapillarkräfte durch Auffüllung der entspre-chenden Porenräume erschöpft, beginnt die Durchströmung der Grobporen aufgrund derSchwerkraft.

Die drei Bereiche sind in Abbildung 5.3 dargestellt. Aus dieser Abbildung ergeben sich auchdie zwischen den Bereichen gelegenen bodencharakteristischen Werte permanenter Welkepunkt(PWP), Feldkapazität (FK) und Gesamtporenvolumen (GPV).

Nun bietet es sich an, wie bei der Fließbewegung in Oberflächengewässern und gesättigtemGrundwasser, das Potentialkonzept anzuwenden; d. h. das Wasser bewegt sich stets von Stel-len höheren Potentials zu Orten geringeren Potentials. Für den Bodenwasserhaushalt sind dasMatrixpotential und das Gravitationspotential von besonderer Bedeutung. Insbesondere diesebeiden bestimmen vorwiegend in ihrer Summe (Gesamtpotential) die Veränderung der Boden-feuchte. Das Matrixpotential entspricht der negativen Saugspannung und kann verstanden wer-den als der notwendige negative Druck, Wasser aus der Bindung mit den Bodenpartikeln zuentfernen. Das Gravitationspotential entspricht der Arbeit, eine bestimmte Menge Wasser voneinem Bezugsniveau auf eine bestimmte Höhe anzuheben.

42 5 Das System Pflanze-Boden-Wasser

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0

10

20

30

40

50

60

Saugspannung (pF)

Bo

den

wass

erg

eh

alt

[%

]

Ton

Schluff

Sand

hygros-kopischesBoden-Wasser

Per

man

ente

r Wel

kep

un

kt

Ges

amtp

ore

nv

olu

men

Fel

dk

apaz

ität

Gravitationsbodenwasser kapillares Bodenwasser

0 1 2 3 4 5

Abbildung 5.3: Bereiche der Bodenfeuchte

Es ist hier nicht erforderlich, die mathematisch-physikalischen Gleichungen zu erläutern1.Wesentlich ist aber, dass die Bodenfeuchte dem Gesamtpotential zugeordnet werden kann.Stellt man den Logarithmus der negativen Druckhöhe (Saugspannung in cm Wassersäule) demprozentualen Bodenfeuchtegehalt gegenüber, so erhält man die Saugspannungs-Sättigungs-Beziehung, auch pF-Kurve genannt (siehe Abbildung 5.4).

Abbildung 5.4: Saugspannungs-Sättigungsbeziehung (pF-Kurven) verschiedener Böden [3]

Nachfolgend werden die Prozesse definiert, die die Bodenfeuchte bestimmen. Sie sind dabeiselbst von der Bodenfeuchte abhängig.

1 Es wird verwiesen auf Scheffer, F. und Schachtschabel, P.: ”Lehrbuch der Bodenkunde”, Ferdinand Enke Verlag,Stuttgart, 1998

5.2 Die Wasserbilanz der ungesättigten, durchwurzelten Bodenzone 43

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5.2.3 Aktuelle Infiltration

Wenn Niederschlag direkt oder nach Abtropfen von der Vegetationsdecke auf die Erdoberflä-che auftrifft, wird er, soweit der Bodenfeuchtezustand des Bodens es erlaubt, in den Bodeneindringen. Dieser Prozess wird Infiltration genannt. Überschreitet die Niederschlagsrate dieAufnahmefähigkeit, d. h. die potentielle Infiltrationsrate, so bilden sich zunächst Pfützen, da-nach beginnt oberflächenhafter Abfluss.

Geht man von einer hohen Bodenfeuchte an der Bodenoberfläche aus, so ist dort das Gesamt-potential zunächst hoch gegenüber den tieferen Schichten mit einer geringen Bodenfeuchte,d. h. mit einem hohen negativen Potential. Wird die Bodenfeuchte in diesen tieferen Schichtendurch die Infiltration erhöht, so wird das Potentialgefälle reduziert. Die Infiltration nimmt ab.

5.2.4 Aktuelle Evapotranspiration

Die aktuelle Evapotranspiration ist die Summe der Transpiration der Vegetationsdecke und derdirekten Verdunstung aus den Bodenporen. Es ist wichtig zu errinnern, dass ein Teil der Gesamt-verdunstung auch aus dem Interzeptionsspeicher bezogen wird.

Sind die Grobporen des Bodens mit Wasser gefüllt, so kann die momentan aufgrund der kli-matischen Randbedingungen bestehende potentielle Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre (d. h.die potentielle Verdunstung), vermindert um die Interzeptionsverdunstung, befriedigt werden.Sinkt die Bodenfeuchte, kann die Verdunstung aus der Bodenmatrix nicht mehr mit potentiel-ler Rate erfolgen. Die Transpiration kann aber durchaus mit potentieller Rate erfolgen, bis dieSaugkraft der Wurzel nicht mehr ausreicht.

5.2.5 Perkolation

Im Bereich des Gravitationseinflusses bewegt sich Wasser in tiefere Bodenbereiche und letzt-lich zum Grundwasser. Je stärker der hemmende Luftanteil in den Poren durch zunehmendesBodenwasser reduziert wird, desto schneller kann das Wasser fließen. Ist der Boden gesättigt,erfolgt die Perkolation in der Größenordnung der hydraulischen Leitfähigkeit.

5.2.6 Kapillarer Aufstieg

Je nach vorhandenen Porenformen und -durchmessern kann Grundwasser in die ungesättigteBodenzone aufsteigen. Der Bereich zwischen Grundwasser und mittlerer Aufstiegshöhe wird alsKapillarsaum bezeichnet. Bei geringem Abstand zwischen Grundwasseroberfläche reicht die-ser Saum in die durchwurzelte Bodenzone hinein. Transpiration und gegebenenfalls direkteVerdunstung sind dann wirksam.

5.2.7 Lateraler Abfluss (Interflow)

Im Allgemeinen und insbesondere bei stark geneigten Hangflächen, kann häufig neben der ver-tikalen Perkolation und dem hangparallelen Oberflächenabfluss eine laterale, d. h. hangparalleleAbflusskomponente beobachtet werden. Diese wird auch Interflow genannt.

44 5 Das System Pflanze-Boden-Wasser

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5.3 Die Wasserbilanz der ungesättigten, nicht durchwurzelten Bodenzone

In den meisten Fällen liegt zwischen der durchwurzelten Bodenzone und dem Grundwasser eineungesättigte Bodenzone, die nicht von der Transpiration und direkter Verdunstung beeinflusstwird. Die Feuchte diese Zone sinkt nur selten unter die Feldkapazität, da bis zu diesem Wert dasBodenwasser gegen die Schwerkraft festgehalten wird.

5.3.1 Grundwasserneubildung

Nur das Sickerwasser, das letztlich die Grundwasseroberfläche ansteigen lässt, kann als ech-te Grundwasserneubildung bezeichnet werden. Die Transport- und Speichereigenschaften derunteren Bodenzone erfordern eine unterschiedliche Definition für Perkolation und Grundwas-serneubildung. Die Grundwasserneubildung erhöht den Grundwasserstand um einen Betrag, umden sich gleichzeitig mit gleichem Betrag aber umgekehrtem Vorzeichen die untere Bodenzonereduziert, gleiche Bodenkennwerte für beide Zonen vorausgesetzt.

5.4 Die Wasserbilanz des oberen Grundwasserträgers

Insbesondere nach langen Trockenperioden wird der Gewässerabfluss nur aus dem Grundwasserund dem unteren Bodenspeicher gespeist. Es ist wichtig, dass nach dem Absinken des Grund-wassers der Boden teilgesättigt bleibt und weiter mit relativer Leitfähigkeit zum Abfluss beiträgt.

5.4.1 Grundwasserneubildung

Die Grundwasserneubildung entspricht vom Betrag der Aussickerung aus dem unteren Boden-speicher. Die Abschätzung der Neubildungsrate kann über Grundwasserstandsmessungen undMessungen des Basisabflusses abgesichert werden. In vielen Fällen liegen für große, flache Aqui-fere solche Aufzeichnungen vor.

5.3 Die Wasserbilanz der ungesättigten, nicht durchwurzelten Bodenzone 45

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6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser

Die räumlichen und zeitlichen Schwankungen des Wassergehalts im Boden sind wie bereits er-wähnt im Allgemeinen sehr hoch. Mit mathematisch-physikalischen Modellen wird versucht, diewesentlichen Eigenschaften des Bodenkörpers abzubilden, ohne das System selbst abzubilden,wie dies bei physikalischen Modellen geschieht.

Für diesen Zweck werden für den betrachteten Bodenraum, häufig im Bereich zwischen Bo-denoberfläche und Grundwasser, Bilanzgleichungen aufgestellt.

6.1 Bilanzmodelle

Die Wasserbilanz dieser Zone wird durch die Kontinuitätsgleichung beschrieben.

Speicheränderung=∑

Zuflüsse−∑

Abflüsse

Der Bilanzraum wird im einfachsten Fall als ein einzelner Speicher angesehen, in weiterge-henden Ansätzen wird aber auch in zwei oder mehr Teilspeicher untergliedert. Diese Speicherwerden häufig Kompartimente genannt.

6.2 Kompartimentmodelle

Kompartimente sollten möglichst homogene Eigenschaften aufweisen. Bezogen auf den Boden-wasserhaushalt können dies z. B. die verschiedenen Bodenhorizonte sein. Richter (1986) un-terscheidet in Ein-, Zwei- und Mehrschichtbilanzmodelle. Abbildung 6.1 zeigt die Unterschiedeauf.

Einschichtmodelle: Nur in sehr wenigen Fällen weist die Durchwurzelungszone homogene Ei-genschaften auf. Die Reduzierung auf eine einzelne Schicht bedeutet daher eine erheblicheVereinfachung, es können aber bereits mit dieser groben Näherung praktisch verwertbareErgebnisse erzielt werden.

Zweischichtmodelle: Speziell für landwirtschaftliche Anbauflächen erscheint es sinnvoll, in denbearbeiteten Oberboden und den weniger beeinflussten Unterboden zu unterscheiden. Diesaisonale Veränderung der Lagerungsdichte im Oberboden ist erheblich.

Mehrschichtenmodelle: Die genaueste Erfassung der Variabilität der Bodeneigenschaften ge-lingt mit einem Mehrschichtenmodell. Bei der Simulation des Wasserhaushalts stark ge-schichteter Böden lassen sich die Prozesse erheblich genauer beschreiben als bei denvorgenannten Modelltypen, vorausgesetzt, die erforderlichen Bodenprofile sind verfügbar.Unter praktischen Bedingungen, z. B. bei der Verwendung der existierenden Bodenkarten,sind der Anwendung Grenzen gesetzt; die Vorteile der exakteren mathematischen Beschrei-bung gehen durch die vergleichsweise groben Eingangsdaten verloren. Dieser Modelltypist dann erforderlich, wenn detaillierte Informationen über die vertikale Veränderung derBodenfeuchte gewünscht werden.

47

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(a) Einschichtmodell (b) Zweischichtmodell (c) Mehrschichtmodell

Abbildung 6.1: Kompartimentmodelle

6.3 Mathematische Beschreibung

6.3.1 Modellansätze für die Interzeption

Die meisten bekannten Modelle gehen davon aus, dass sich die Interzeption durch einen maxi-malen Interzeptionsspeicher (I ZMAX ) beschreiben lässt. Dies entspricht der maximalen Nieder-schlagshöhe, die auf der Blattoberfläche gespeichert werden kann. Hoyingen-Huene beschreibtdie Interzeptionsprozesse auf landwirtschaftlichen Nutzflächen im Detail, wobei die Aussagenauf intensiven Beobachtungen beruhen. Er entwickelte einen Ansatz zur Beschreibung des ma-ximalen Interzeptionsspeichers als Funktion des Blattflächenindexes (BFI). Die Formel wurdeempirisch aus Messergebnissen abgeleitet. Physikalisch kann sie so interpretiert werden, dassmit zunehmendem Blattflächenindex die Interzeption proportional steigt, dass aber die gegen-seitige Abschirmung proportional dem Quadrat des Blattflächenindexes zunimmt (der negativeTerm).

I ZMAX = 0,935+ (0, 498 · BF I)− (0,00575 · BF I2) [mm] (6.1)

Je nach Bedeckungsgrad können Niederschlagstropfen ungehindert die Bodenoberfläche er-reichen. Für die Auffüllung des Interzeptionsspeichers steht daher nur der Anteil des Nieder-schlags zur Verfügung, der nicht durchfällt. Der nicht auf die Vegetation fallende Niederschlagberechnet sich zu

nd = ng ·�

1−BG100

(6.2)

nd = durchfallender Niederschlag [mm/h]ng = Freilandniederschlag (ohne Vegetation) [mm/h]

48 6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser

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Der auf die Vegetation fallende Niederschlag ni (Kronenniederschlag) beträgt somit

ni = ng − nd = ng ·BG100

(6.3)

Wesentlich für die zutreffende Beschreibung des Vorgangs ist aber nicht nur die maximale Grö-ße des Speichers und der verfügbare Niederschlag, sondern auch der Verlauf des Füllungs- undEntleerungsvorgangs. Die einfachste Annahme beinhaltet die kontinuierliche Aufnahme des ge-samten Niederschlags bis zur maximalen Speicherfüllung. Diese Annahme erscheint dann ge-rechtfertigt, wenn die Interzeptionsspeicherung im Vergleich zum Gesamtniederschlag geringist, wie im Fall von extremen Hochwasserereignissen. Bei der Berechnung von Wasserbilanzenüber lange Zeiträume können jedoch erhebliche Fehler auftreten.

Ein physikalisch besser begründeter Ansatz geht davon aus, dass die potentielle Interzep-tionsrate dem freien Interzeptions-Speicherraum proportional ist. Die Entleerung erfolgt mitpotentieller Verdunstungsrate. Die aktuelle Interzeptionsrate entspricht der potentiellen Ra-te, falls die Niederschlagsintensität die Interzeptionsrate übersteigt. Im anderen Fall wird dergesamte Niederschlag aufgefangen.

dI Zdt= iza − ei (6.4)

iza =min [izp, ni] (6.5)

ei =min [I ZMAX

dt, ep] (6.6)

izp = kizp · (I ZMAX − I Z(t)) (6.7)

ni = ng − nd (6.8)

nb = nd + na (6.9)

na =max(0, ni − iza) (6.10)

I Z(t) = aktueller Interzeptiosspeicherinhalt [mm]I ZMAX = max. Interzeptionskapazität [mm]iza = aktuelle Interzeptionsrate [mm/h]izp = potentielle Interzeptionsrate [mm/h]ep = potentielle Verdunstungsrate [mm/h]ei = aktuelle Interzeptionsverdunstung [mm/h]ng = Gesamtniederschlagsintensität [mm/h]nd = durchfallende Niederschlagsintensität [mm/h]nb = Bestandsniederschlagsintensität [mm/h]ni = Kronenniederschlagsintensität [mm/h]kizp = Neigung der Interzeptionsfunktion [1/h]Wird Gleichung 6.6 in Gleichung 6.4 eingesetzt, so ergibt sich eine lineare inhomogene Dif-

ferentialgleichung 1. Ordnung mit einer analytischen Lösung. Die maximale Verdunstungsra-te entspricht der potentialen Verdunstungsrate, jedoch höchstens dem maximalen Interzepti-onsspeicherinhalt dividiert durch das Zeitintervall.

6.3 Mathematische Beschreibung 49

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6.3.2 Modellansätze für die Bodenfeuchtesimulation

Die vertikale Wasserbewegung im ungesättigten Boden wird mit dem Ansatz von Darcy-Richardsbeschrieben.

∂Θ

∂ t=∂

∂ z·�

Kw(Θ) ·�

∂ (Ψ + z)∂ z

��

− Se(z, t) (6.11)

Θ = Wassergehalt [Vol%], Θ = f(z, t)z = Tiefe [m]t = Zeit [s]Kw = effektive (ungesättigte) hydraulische Leitfähigkeit, [m/s], Kw = f(Θ)Ψ = Saugspannung [m WS], Ψ = f(t, z),Se = Senkenterm, Wasseraufnahme durch Pflanzenwurzeln [m3/(m3·s)]Diese Differentialgleichung ist physikalisch gut definiert; ihrer Anwendung in der Praxis sind

jedoch enge Grenzen gesetzt, da sie nur numerisch mit beachtlichem Rechenaufwand lösbar ist,im Wesentlichen aber, weil die erforderlichen Funktionen (pF-Kurve und ungesättigte Leitfähig-keitsfunktion) in der erforderlichen Auflösung nicht vorliegen.

Ersatzweise kann für den Bodenspeicher die Veränderung der Feuchte durch eine inhomogeneDifferentialgleichung 1. Ordnung beschrieben werden, in der die Infiltration, die aktuelle Evapo-transpiration und die Perkolation als (bereichsweise) linearisierte Funktionen der Bodenfeuchteberücksichtigt werden. Die DGL ist dann vom Typ dy/dt = a− b · y (vgl. Mathematik III).

dBFdt= In f (t)− ETakt(t)− Pk(t) + Ka(t) (6.12)

mit

In f (t) = k1 · (GPV − BF(t)) (6.13)

ETakt = k2 · ETpot · BF(t) (6.14)

Pk = k3 · BF(t) (6.15)

BF = Bodenfeuchte [mm]In f = Infiltration [mm/h]ETakt = aktuelle Evapotranspiration [mm/h]ETpot = potentielle Evapotranspiration [mm/h]Pk = Perkolation [mm/h]Ka = Kapillaraufstieg [mm/h]GPV = Gesamtporenvolumen [mm]Der kapillare Aufstieg wird vereinfacht aus dem Flurabstand zu Beginn des Zeitschrittes und

der Bodenart ermittelt. Die Bereiche der Bodenfeuchte werden durch drei Stützstellen definiert(Welkepunkt, effektive Feldkapazität und effektives Gesamtporenvolumen). Diese Differential-gleichung besitzt eine analytische Lösung (e-Funktion), deren Parameter bodenphysikalischeSignifikanz besitzen.

Die kontinuierliche Simulation der Bodenfeuchte wird im Vertieferstudium (C) ausführlichbehandelt.

50 6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser

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6.3.3 Vereinfachte Modelle und Verfahren

Die angewandte Hydrologie hat häufig die Analyse und Synthese von extremen Hochwasserer-eignissen zur Aufgabe, z. B. für die Bemessung von Speicherräumen und Hochwasserentlastun-gen oder für die Festlegung erforderlicher Durchflussquerschnitte im Gewässer oder in Kanälen.Obwohl sich die Anwendung der kontinuierlichen Bodenfeuchtesimulation auch für die Hoch-wasserhydrologie wie oben beschrieben immer stärker durchsetzt, werden in der Praxis nochhäufig vereinfachte Ansätze angewendet. Hierzu ist der Zusammenhang zwischen Niederschlagund Abfluss näher zu betrachten.

Im Fall extremer kurzzeitiger Hochwasserereignisse ist der Einfluss der Verdunstung geringund die Wasserbilanzgleichung vereinfacht sich zu

hBF − hGW = hN − hI Z − hA (6.16)

hA = AbflusshöhehN = NiederschlagshöhehGW = GrundwasserstandhBF = BodenfeuchtespeicherhI Z = InterzeptionsspeicherDie Angabe erfolgt in mm bezogen auf die Hochwasserperiode. Um die Anteile identifizieren

zu können, müssen simultane Niederschlags- und Abflussmessungen an einem Kontrollquer-schnitt vorliegen. Der Abfluss Q(t) an einem Pegel wird jedoch nicht allein vom Niederschlag(über die Einzugsgebietsfläche integriert) während der Hochwasserperiode bestimmt, sondernenthält Anteile aus der Grundwasserspeicherung (Basisabfluss), die durch lange zurückliegendeNiederschläge bedingt sind. Wenn die für den Hochwasserabfluss effektive Abflusshöhe bekanntist, kann auch der Niederschlag in einen Effektiv- und einen Verlustterm aufgeteilt werden.

Es gelten folgende Gleichungen.

i(t) = ie f f (t) + iv (t) [mm/h] (6.17)

i = Niederschlagsintensitätie f f = effektive Niederschlagsintensitätiv = Verlustintensität

Q(t) =QB(t) +QD(t) [m3/s] (6.18)

Q = GesamtabflussQB = BasisabflussQD = DirektabflussFür den Verlauf des Basisabflusses während des Hochwasserereignisses ist zunächst ein sinn-

voller Verlauf anzunehmen, im einfachsten Fall ein konstanter Verlauf. Der Direktabfluss kannnun über die Dauer des Auftretens integriert werden. Bezogen auf die Einzugsgebietsfläche AEZGergibt sich eine Abflusshöhe, die der effektiven Niederschlagshöhe entspricht.

Für den Verlauf des effektiven Intensitätsverlaufs ie f f (t) ist ebenfalls ein sinnvoller Verlauffestzulegen. Dies geschieht mit Hilfe der Verlustrate iv (t), für deren Bestimmung es zahlreicheAnsätze gibt.

6.3 Mathematische Beschreibung 51

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In der Vorlesung Ingenieur-Hydrologie I wurden bereits einige Ansätze zur Bestimmung derVerlustintensität iv (t) besprochen; das Phi-Index-Verfahren, der konstante Abflussbeiwert unddas Horton-Verfahren. Im weiteren Verlauf sollen ein weiteres Verfahren (das SCS-Verfahren)vorgestellt sowie ergänzende Anmerkungen zum Horton-Verfahren gemacht werden.

Weiterhin sei auf das Green-Ampt Verfahren, auf das Verfahren nach Holtan, sowie auf dasVerfahren nach Philip hingewiesen. Diese Verfahren werden in jeder einschlägigen Literaturausführlich diskutiert.

6.3.4 SCS-Verfahren

Das SCS-Verfahren wurde vom U.S. Soil Conservation Service speziell für kleine natürliche Ein-zugsgebiete entwickelt. Mit Hilfe dieses Verfahrens können allein aus Niederschlagsmessungenund gebietsspezifischen Parametern für Boden und Vegetation unter Berücksichtigung des Bo-denfeuchtezustands die abflusswirksamen Anteile des Niederschlags bestimmt werden.

Das SCS-Verfahren basiert auf drei Annahmen:

• Jedes Einzugsgebiet besitzt einen fest zu definierenden maximalen Gebietsrückhalt Smax .Dieser setzt sich zusammen aus Muldenrückhalt und dem maximalen Speichervolumendes Bodens.

• Das Verhältnis von aktuellem Gebietsrückhalt Sakt (aktuelle Infiltrationsmenge) zu maxi-malem Gebietsrückhalt entspricht dem Verhältnis von aktuellem Oberflächenabfluss A zumNiederschlag N reduziert um die Anfangsverluste Ia.

Sakt

Smax=

AN − Ia

(6.19)

• Die Anfangsverluste sind linear abhängig vom maximalen Gebietsrückhalt.

Ia = a · Smax (6.20)

Die Konstante a wird in den meisten Fällen auf den Wert 0,2 gesetzt. Bei sehr kleinenRegenereignissen sollte diese Konstante jedoch auf den Wert 0,1 reduziert werden.

Die Wasserbilanzgleichung ergibt sich zu

Sakt = N − Ia − A (6.21)

Kombiniert man die Gleichungen 6.19 bis 6.21 und formt nach A um, so ergibt sich

A=(N − Ia)

2

(N − Ia) + Smax(6.22)

Gleichung 6.22 enthält nur noch den Gebietsparameter Smax , der sowohl von Bodencharakte-ristiken, als auch von der Vegetation abhängig ist. Dieser Parameter ist über folgenden Zusam-menhang mit einem CN -Wert (curve number) verbunden.

Smax =25400

CN− 254 (6.23)

52 6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser

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CN ist ein Maß für das maximale Speichervermögen und nimmt Werte zwischen 0 und 100an. Der CN -Wert kann mit Hilfe von Tabellen und/oder graphisch bestimmt werden. Dazu sindAngaben über den Bodentyp, die Bodenfeuchteklasse und die Vegetation notwendig.

Nach dem SCS-Verfahren gibt es vier verschiedene Bodentypen, die sich hinsichtlich ihresVersickerungsvermögens und ihres Abflussverhaltens unterscheiden.

Bodentyp A: Boden mit großem Versickerungsvermögen, auch nach starker Befeuchtung, z. B.tiefgründige Sande und Kiese

Bodentyp B: Böden mit mittlerem Versickerungsvermögen. Tiefe bis mäßige Böden mit feinerbis grober Textur, z. B. mitteltiefe Sandböden, Löß und (schwach) lehmiger Sand

Bodentyp C: Böden mit geringem Versickerungsvermögen. Böden mit feiner bis mäßig feinerTextur oder mit wasserstauender Schicht, z. B. flache Sandböden und sandiger Lehm

Bodentyp D: Böden mit sehr geringem Versickerungsvermögen. Tonböden, sehr flache Bödenüber nahezu undurchlässigem Material, Böden mit dauernd sehr hohem Grundwasserspie-gel

Der Einfluss von Vorregen wird mit Hilfe von drei Bodenfeuchteklassen berücksichtigt. Diesesind eingeteilt bezüglich eines Vorregenindexes, der den Niederschlag der vergangenen 5 Tageberücksichtigt. I. d. R. wird von der Bodenfeuchteklasse II ausgegangen.

Bodenfeuchteklasse I: Der Boden ist trocken; die Bodenfeuchte liegt aber noch über dem Wel-kepunkt. Die Niederschlagssumme der letzten 5 Tage beträgt weniger als 30 mm in derVegetationsperiode und weniger als 15 mm während der Wachstumsruhe.

Bodenfeuchteklasse II: Der Boden weist einen mittleren Feuchtegrad auf. Die Niederschlags-summe der vorangegangenen 5 Tage liegt zwischen 30 und 50 mm in der Vegetationsperi-ode und zwischen 15 und 30 mm außerhalb dieser Zeit.

Bodenfeuchteklasse III: Der Boden ist nahezu gesättigt. Die Niederschlagssumme der letzten5 Tage ist größer als 50 mm während der Vegetationsperiode bzw. größer 30 mm außerhalbder Wachstumszeit.

Mit dem entsprechenden Vegetationstyp bzw. der Bodennutzung kann nun mit Hilfe von Ta-belle 6.1 ein CN -Wert bestimmt werden. Besteht ein Einzugsgebiet aus mehreren Bodentypenmit unterschiedlichen Bodennutzungen, dann ist anteilig ein gemittelter CN -Wert für das Gebietzu bestimmen.

Mit dem entsprechenden CN -Wert kann nun mit Hilfe der Gleichungen 6.22 und 6.23 derAbfluss im Einzugsgebiet bestimmt werden. Die Lösung liegt auch graphisch vor (siehe hierzuAbbildung 6.2).

6.3 Mathematische Beschreibung 53

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Bodennutzung A B C DÖdland ohne nennenswerten Bewuchs 77 86 91 94Hackfrüchte 70 80 87 90Getreide, Futterpflanzen 64 76 84 88Weide (normal) 49 69 79 84Weide (karg) 68 79 86 89Dauerwiese 30 58 71 78Wald (stark aufgelockert) 45 66 77 83Wald (mitteldicht) 36 60 73 79Wald (dicht) 25 55 70 77Feldwege, befestigt 74 84 90 92undurchlässige Flächen (z. B. Straßen) 100 100 100 100

Tabelle 6.1: CN -Werte in Abhängigkeit von Bodentyp und Bodennutzung für Bodenfeuchteklas-se II

Abbildung 6.2: A = f(N , CN ) für Ia = 0, 2 · Smax nach dem SCS-Verfahren [7]

54 6 Ansätze zur Beschreibung des Systems Pflanze-Boden-Wasser

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6.3.5 Horton-Verfahren

Empfehlenswert für eine physikalisch sinnvolle Abbildung des Infiltrationsverlaufs ist eine mitder Zeit abnehmende Infiltrationsrate, wie nach dem Ansatz von Horton.

iv (t) = (iv 0 − iv c) · e−k·t + iv c (6.24)

iv 0 = Verlustintensität bei trockenem Boden [mm/h]iv c = konstante Verlustintensität am Ende eines langen Niederschlags [mm/h]k = Rückgangskonstante [1/h]Tabelle 6.2 gibt übliche Werte für die Hortonparameter an.

gS fS, lS sL, lU L,Tiv 0 [mm/h] 108 60 60 18iv c [mm/h] 10 6 3 1k [h] 5,4 3,6 3,0 0,9

Tabelle 6.2: Werte für die Horton-Parameter

Problematisch bei dem Ansatz nach Horton ist jedoch, wenn die Niederschlagsintensität ineinem Zeitintervall die Horton-Infiltrationsrate unterschreitet. In diesem Fall ist Gleichung 6.24nicht mehr gültig, da die Infiltrationsrate nicht mehr der beschriebenen e-Funktion folgt (sieheAbbildung 6.3). Modelltechnisch kann das Problem jedoch gelöst werden, indem zu Beginn desnächsten Zeitschritts durch Integration der Horton-Gleichung eine neue Horton-Infiltrationsratebestimmt wird. I. d. R. ist von solch einem Vorgehen jedoch abzuraten. Anstatt dessen sind an-dere Verfahren wie z. B. das SCS-Verfahren zu bevorzugen.

i ,i ,i [mm/h] N V eff

t [h]

Abbildung 6.3: Horton-Infiltrationsverlauf bei Unterschreitung der Verlustintensität

6.3 Mathematische Beschreibung 55

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7 Schneehydrologische Prozesse

Unter besonderen Bedingungen erreicht der Niederschlag die Erdoberfläche im festen Aggre-gatzustand, d. h. als Schnee oder Eis. Niederschlagstropfen beim Fall durch kalte Luftschichtengefrieren, im Allgemeinen bilden sich die Schneekristalle aber bereits in der kalten Umgebung-stemperatur durch Sublimation. Abbildung 7.1 zeigt die verschiedenen Möglichkeiten auf.

Wasserdampf

gasförmig

Eis

fest

Wasser

flüssig

Sublimation

(Wärme absorbiert) Sublimation

(Wärme abgegeben)

Kondensation

(Wärme abgegeben)

Evaporation

(Wärme absorbiert)

Gefrieren

(Wärme abgegeben)

Schmelzen

(Wärme absorbiert)

Abbildung 7.1: Wasserkreislauf - Schneebildung

7.1 Schneedeckenaufbau

Falls die Temperatur nahe der Erdoberfläche ebenfalls unterhalb einer Grenztemperatur (-0,5< Tg <0,5) liegt, bildet sich eine Schneedecke. Aufgrund der Struktur des Schnees ist dieDichte deutlich geringer als die des Regens, schwankt aber dennoch je nach Art des Schneeserheblich. Als Richtwert kann für eine normale Neuschneedecke 100 - 200 kg/m3 angenommenwerden. Für eine Schneedecke von 100 cm beträgt das Wasseräquivalent demnach 100 - 200 mmNiederschlag.

7.2 Schmelze und Setzung

Aufgrund der einfallenden Strahlung, eventuell steigender Temperaturen und dem Eintrag ausRegen wird der Schneedecke Wärme zugeführt, die einen Teil des Eises schmilzt. Dieses Wasser,analog dem Boden unterhalb der Feldkapazität, wird gemeinsam mit eventuell auftretendemRegen zunächst in der verbleibenden Schneematrix gespeichert. Diese Speicherung verursachteine Setzung der Schneedecke, die einer Zunahme der Schneedichte entspricht. Diese Setzungwird durch die Abnahme der Trockenschneematrix und eine Verdichtung bewirkt.

57

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7.3 Abbau

Wird das maximale Wasserhaltevermögen der Schneedecke überschritten, tritt das überschüssi-ge Wasser aus. Das maximale Wasserhaltevermögen entspricht einer Schneedichte von ca. 400 -450 kg/m3 (Die Schneedecke ist reif).

7.4 Berechnungsansätze für schneehydrologische Prozesse

Um die Schmelzrate (nicht Wasserabgabe!) zu berechnen, stehen verschiedene Verfahren zurVerfügung. Der einfachste Ansatz ist das Grad-Tag-Verfahren, für das lediglich das Tagesmittelder positiven Lufttemperatur benötigt wird.

Mp = ad · TL [mm/d] (7.1)

Mp = potentielle Schmelzratead = Grad-Tag-Faktor [mm/°C]TL = Tagesmittel der positiven Lufttemperatur [°C]

Weitaus gebräuchlicher ist ein Verfahren, bei dem sich die potentielle Schmelzrate Mp auseinem temperaturabhängigen Term und einem temperaturunabhängigen Strahlungsterm (auslangwelliger Gegenstrahlung und Bodenwärmestrahlung) zusammensetzt.

Mp = ah · TL +Ms,b [mm/h] (7.2)

Weitergehende Ansätze (kombinierte thermo/aerodynamische Verfahren) sind zwar bekannt,ihre Anwendung scheitert jedoch häufig an den fehlenden Eingangsdaten.

In der Ingenieurhydrologie bleiben kritische Hochwasserperioden, die durch die Schnee-schmelze ausgelöst werden, bei der Modellierung weitestgehend unberücksichtigt, weil eineVielzahl von Unwägbarkeiten darin enthalten ist.

Wenn die Bedeutung dieser Perioden sehr groß ist, erfolgt ihre Analyse häufig mit dem SNOWCOMPACTION Verfahren (Schmelzsetzungsverfahren). Dieses Verfahren wurde anhand umfang-reicher Messungen in der nördlichen Sierra Nevada, U.S.A. entwickelt. Es wird anhand vonAbbildung 7.2 und der folgenden Beschreibung erläutert. Um zu erfolgreichen Anwendungenzu gelangen, sind insbesondere im Bereich der Schneehydrologie Daten zur Schätzung undVerifikation der verwendeten Parameter erforderlich.

Ausgangszustand: Im Ausgangszustand ist der gesamte Schnee in der Eismatrix als Trocken-schnee vorhanden. Der Feuchtegehalt PW ist 0 %. Die Ausgangsschneehöhe H=100 cm miteiner Trockenschneedichte von 0,1 g/cm3 entspricht einem Wasseräquivalent von 100 mm.

Umwandlungsphase: Nun tritt eine Temperaturerhöhung, verbunden mit Niederschlag als Re-gen (10 mm) auf. Es erfolgt eine Umwandlung der Schneedecke durch Schmelze und Set-zung.

Die Temperatur wandelt einen Teil der Schneedecke in Wasser um (Mp=20 mm); dadurchkommt es zu einer Abnahme der Schneedecke durch Schmelze von ∆H=20 cm.

58 7 Schneehydrologische Prozesse

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Wichtig ist der akkumulierte Wassergehalt Wakk, bezogen auf den Trockenschneegehalt Wt .

PW =Wakk

Wt· 100

Dieses Verhältnis geht ein in die empirische Formel zur Berechnung der Zusam-mendrückung PH der Schneedecke.

PH = 147, 4− 0,474 · PW = 82,225 %

Die Schneehöhe berechnet sich dann zu

H = PH ·Ht = 65,8 cm

wobei Ht der Höhe der Trockenschneematrix entspricht. Die neue Schneedichte PD wirdaus akkumuliertem Wassergehalt, bezogen auf die neue Schneehöhe bestimmt.

PD =Wakk

H· 100= 16,7 %

Durch die Kompression der Schneedecke erhöht sich auch die Trockenschneedichte Pt von10 % auf 12,16 %.

Grenzzustand: Zu einem bestimmten Zeitpunkt wird die Sättigung der Schneedecke erreicht.Sind nochmals 10 mm Regen gefallen, so erhöht sich der akkumulierte Wassergehalt auf120 mm. Schmelzen weitere 16,7 mm Schnee aufgrund der Temperaturerhöhung ab, soreduziert sich der Wassergehalt als Trockenschnee auf 63,3 mm. Mit einer Trockenschnee-dichte von 0,1216 g/cm3 ergibt sich die Verminderung der Schneedeckenhöhe aufgrundvon Abschmelzen der 16,7 mm zu ∆H=13,7 cm.

Durch Abschmelzen und Setzung reduziert sich die Schneedeckenhöhe auf 30 cm. Es wirddamit gerade die Grenzdichte von 0,4 g/cm3 erreicht. Die Trockenschneedichte Pt pendeltsich bei ca. 0,21 g/cm3 ein.

Wasserabgabe: Wird der Feuchtegehalt weiter erhöht, so erfolgt eine Wasserabgabe aus derSchneedecke. Im Beispiel schmelzen weitere 21,1 mm, die die Trockenschneehöhe aufdann auf 42,2 mm reduzieren. Es ergibt sich eine Setzung um 10 cm. Die maximale Was-sermenge, die in der Schneematrix noch gehalten werden kann, beträgt 80 mm. Wasseroberhalb dieses Grenzwertes wird aus der Schneedecke abgegeben.

7.4 Berechnungsansätze für schneehydrologische Prozesse 59

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(a) Ausgangszustand (b) Umwandlungsphase

(c) Grenzzustand (d) Wasserabgabe

Abbildung 7.2: Berechnungszustände für das Schmelz-Setzungs-Verfahren [6]

60 7 Schneehydrologische Prozesse

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8 Die Theorie des Linearspeichers

Wie bereits erwähnt, kann der hydrologische Kreislauf durch eine gewisse Anzahl von Speichernbeschrieben werden, zwischen denen Wasser mit gewissen Raten transportiert werden, die vomInhalt der Speicher abhängen. Im Folgenden soll das hydrologische Verfahren des Linearspei-chers näher behandelt werden.

8.1 Die Lösung des Einzellinearspeichers

Aus der Hydraulik ist das Problem ”Ausfluss aus großen Gefäßen durch kleine Öffnungen” be-kannt. Nach mehreren Vereinfachungen lässt sich der Abfluss QA aus einem Gefäß mit vertikalerBerandung als Funktion der Wurzel der Speicherhöhe h beschreiben.

QA(t) = k ·Æ

h(t) (8.1)

Der Faktor k wird als Speicherkonstante bezeichnet. Wird der aktuelle Speicherinhalt V aus derHöhe und der Beckenfläche (=konstant) berechnet, so ergibt sich

QA(t) = k ·Æ

V (t) (8.2)

Weiterhin gilt die Kontinuitätsgleichung,

dV (t)dt

=QZ(t)−QA(t) (8.3)

d. h. die zeitliche Änderung des Speicherinhalts ergibt sich aus der Differenz von Zufluss QZ undAbfluss QA. Hierzu siehe auch Abbildung8.1.

V(t)

QZ(t)

QA(t)

Abbildung 8.1: Prinzip des Einzellinearspeichers

Kombiniert man die beiden Gleichungen 8.3 und 8.1, so erhält man eine nichtlineare inhomo-gene Differentialgleichung.

dVdt=QZ(t)− k ·

Æ

V (t) (8.4)

61

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In der Hydrologie wird der nichtlineare Zusammenhang zwischen Abfluss und Speicherinhaltim Allgemeinen aufgegeben und vereinfacht als linear angenommen. Die DGL vereinfacht sichdann zu einer linearen inhomogenen DGL 1. Ordnung.

dVdt=QZ(t)− k · V (t) (8.5)

Diese DGL 1. Ordnung hat eine analytische Lösung, deren Herleitung im Folgenden kurz darge-legt wird (siehe auch Mathematik III).

Zunächst wird nur der homogene Anteil der Differentialgleichung

dVdt= −k · V (t)

betrachtet. Durch Trennung der Variablen erhält man

dVV= −k · dt

Nach Integration und Umformung folgt

lnV = −∫

k dt = −k · t + C

elnV = e−k·t+C = e−k·t · eC

Die Lösung der homogenen Differentialgleichung lautet also

V (t) = C · e−k·t

In einem weiteren Schritt wird nun die Lösung des inhomogenen Anteils der Differentialglei-chung durch Variation der Konstanten bestimmt, d. h. die Integrationskonstante C wird durcheine zunächst unbekannte Funktion C(t) ersetzt.

V (t) = C(t) · e−k·t

Die 1. Ableitung dieser Gleichung ergibt

dVdt=

dCdt· e−k·t − k · C(t) · e−k·t

Setzt man die letzten beiden Gleichungen in die lineare Speichergleichung (Gleichung 8.5) ein,so ergibt sich

dCdt=QZ(t) · ek·t

Unter der Annahme, dass der Zufluss QZ konstant ist, ergibt sich nach Integration

C(t) =1k·QZ · ek·t

62 8 Die Theorie des Linearspeichers

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Mit dieser Gleichung ergibt sich die Lösung des inhomogenen Anteils der Differentialgleichungzu

V (t) =1k·QZ

Addiert man nun die beiden Teillösungen der Differentialgleichung, so erhält man

V (t) = C · e−k·t +1k·QZ

Jetzt kann die Integrationskonstante C mit Hilfe der Anfangsbedingung t=0 bestimmt werden.

V0 = C +1k·QZ ⇒ C = V0 −

1k·QZ

Einsetzen der Integrationskonstante C liefert die Lösung der linearen inhomogenen Differenti-algleichung für die Annahme eines konstanten Zuflusses QZ .

V (t) =QZ

k·�

1− e(−k·t)�+ V0 · e(−k·t) (8.6)

Die Lösung für den Abfluss QA aus dem Speicher ergibt sich durch Ableiten von Gleichung 8.6und Einsetzen in Gleichung 8.5.

QA(t) =QZ ·�

1− e(−k·t)�+ V0 · k · e(−k·t) (8.7)

Es soll abschließend nochmals betont werden, dass die Lösung für V (t) und QA(t) nur fürkonstanten Zufluss QZ innerhalb eines Zeitintervalls gültig ist.

8.2 Der Linearspeicher mit Erweiterung

Die Beschränkung auf jeweils einen Zufluss und einen Abfluss ist nicht erforderlich. Abbil-dung 8.2 zeigt ein System mit einem Zufluss und zwei Abflüssen, wie dies z. B. bei der ma-thematischen Beschreibung der Bodenfeuchte notwendig ist.

Bodenfeuchte BF(t)Infiltration

aktuelle

Perkolation

Verdunstung

Abbildung 8.2: Prozesse am Bodenspeicher

Die entsprechende DGL lautet

dBFdt= I(t)− Ea(t)− P(t) (8.8)

Qualitativ bekannte Aussagen können als lineare Abhängigkeiten ausgedrückt werden. Für dieBodenfeuchte kann beispielsweise angenommen werden:

8.2 Der Linearspeicher mit Erweiterung 63

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• Je trockener der Boden ist, um so mehr infiltriert.

• Unterhalb der Feldkapazität sickert kein Wasser aus. Oberhalb sickert um so mehr Wasseraus, je feuchter der Boden ist.

• Oberhalb der Feldkapazität entspricht die aktuelle Verdunstung der potentiellen Verduns-tung. Unterhalb nimmt sie entsprechend dem Füllungsgrad ab.

Diese linearen Funktionen sind in Abbildung 8.3 dargestellt. Diese Geradenstücke können als

PWP FK GPV

Perkolation P(BF)

akt. Verdunstung E(BF)pot. Verdunstung

Infiltration I(BF)

Abbildung 8.3: Zusammenhänge zwischen Prozessen und Bodenfeuchte

lineare Funktionen wiedergegeben werden.

I(t) = k1 · (GPV − BF(t)) für 0< BF(t)< GPV (8.9)

Ea(t) =

¨

Ep(t) für BF(t)> FKEp(t) · BF(t)

FK für BF(t)< FK(8.10)

P(t) =

¨

0 für BF(t)< FKk2 · (BF(t)− FK) für BF(t)< FK

(8.11)

Setzt man diese Gleichungen in die Speicherdifferentialgleichung ein, so ergeben sich wiederumbereichsweise gültige lineare inhomogene Differentialgleichungen 1. Ordnung mit analytischerLösung.

64 8 Die Theorie des Linearspeichers

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9 Abflusskonzentration

Einige Verfahren zur Abflusskonzentration wurden bereits im Vorlesungsumdruck Ingenieur-Hydrologie I beschrieben; darunter das Einheitsganglinienverfahren, das Verfahren des Ein-zellinearspeichers, und das Isochronenverfahren. Im Folgenden werden Erweiterungen dieserVerfahren vorgestellt.

9.1 Lineare Speicherkaskaden

Wie bereits in Kapitel 8 erwähnt, werden in der Hydrologie häufig lineare Modellansätze ver-wendet. Für alle Abflusskomponenten findet der Einzellinearspeicher und daraus zusammenge-setzte komplexere Modelle Anwendung.

Bei der Abbildung von Abflusskomponenten hat sich gezeigt, dass ein Einzellinearspeicheroftmals zu unscharfen Ergebnissen führt. Eine maßgebliche Verbesserung kann durch eine qua-si nichtlineare Abbildung des Systems, durch sogenannte Speicherkaskaden, erreicht werden.Hier wird eine Serie von n hintereinander geschalteter Einzellinearspeicher verwendet, diesich in einer einzigen Formel zusammenfassen lassen, wenn für alle Einzelspeicher die glei-che Retentionskonstante k angenommen wird. Für kleine Zeitintervalle (T ≤ ((n−1)/4) ·k))giltnäherungsweise für die Übertragungsfunktion:

u(T, t) =1

k · (n− 1)!·� t

k

�(n−1)· e−t/k (9.1)

Der Abfluss aus dem ersten Speicher wird zum Zufluss zum zweiten Speicher usw. Abbildung 9.1zeigt das Prinzip einer Speicherkaskade.

Abbildung 9.1: Das Prinzip einer Speicherkaskade [7]

Aus solchen Speicherkaskaden lassen sich letztlich auch parallele Speicherkaskaden zur Ab-bildung gleichzeitig auftretender Abflusskomponenten, z. B. für den Oberflächenabfluss, denInterflow und den Basisabfluss zusammensetzen (siehe Abbildung 9.2). Hierbei werden dieeinzelnen Abflusskomponenten durch einen Aufteilungsfaktor β1 bis βn mit

βn=1 auf dieeinzelnen Kaskaden aufgeteilt.

65

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Abbildung 9.2: Komplexes Modell als parallele Speicherkaskade [7]

9.2 Das Clark-Verfahren

Während die lineare Speicherkaskade den Abflussprozess insgesamt beschreibt (d. h. Translations-und Retentionsvorgänge), steht mit dem Isochronenverfahren ein Baustein zur besonderen Be-rücksichtigung der Translation des Niederschlags vom Punkt seines Auftreffens auf die Oberflä-che bis zu einem ausgewählten Kontrollquerschnitt in einem Gewässer zur Verfügung.

Das Clark-Verfahren (auch Clark’s Model) kombiniert das Isochronenverfahren mit einemEinzellinearspeicher. So können die Retentionseigenschaften eines Einzugsgebietes besser be-rücksichtigt werden. Abbildung 9.3 stellt den Gang der Berechnung für das Clark-Verfahrengraphisch dar.

Abbildung 9.3: Berechnungsgang für das Clark-Verfahren

66 9 Abflusskonzentration

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9.3 Abflussganglinien aus digitalen Höhenmodellen

Aufgrund leistungsstarker Rechenanlagen und verbesserter Verfügbarkeit digitaler topographi-scher Informationen nimmt die Anwendung automatisierter Berechnungsverfahren für denOberflächenabfluss zu. Eine Möglichkeit zur Automatisierung besteht in der Nutzung digita-ler Höhenmodelle.

Ein Einzugsgebiet wird dazu in ein Rasternetz untergliedert, für deren Stützstellen die Ge-ländehöhen bekannt sind. Dadurch ist die Fließrichtung auf einem solchen Raster bestimmbar(siehe Abbildung 9.4).

Abbildung 9.4: Rasterelemente eines digitalen Höhenmodells

Jedes der Rasterelemente kann als ein linearer oder nichtlinearer Einzelspeicher mit demZufluss aus effektivem Niederschlag, maximal 5 Zuflüssen aus oberhalb liegenden Elementenund Abflüssen in maximal 3 unterhalb liegende Elemente beschrieben werden.

9.3 Abflussganglinien aus digitalen Höhenmodellen 67

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10 Wellentransformation in natürlichen Gewässern und Kanälen

Natürliche Fließgewässer und Rohrleitungen verfügen über Speichereigenschaften, die zu einerVerzögerung und Dämpfung von Hochwasserwellen führen. Für die Berechnung der Abfluss-verformung innerhalb lokal begrenzter Gerinnestrecken können die hydrodynamischen Grund-gleichungen (St.Venant-Gleichungen) angewendet werden. Diese sind aber bezüglich der erfor-derlichen Informationen über die Gerinnegeometrie und wegen des erheblichen numerischenAufwands bei der näherungsweisen Lösung der Gleichungen für die großskalige hydrologischeModellierung wenig geeignet.

Wie bereits mehrfach dargelegt, wird in der Hydrologie versucht, durch linearisierende An-nahmen die Verfahren für die praktische Anwendung berechenbar zu halten, jedoch gleichzeitigden verwendeten Parametern eine möglichst physikalische Bedeutung zuzuweisen.

Für die Berechnung der Wellentransformation stehen mehrere Verfahren zur Verfügung. Beiden hydrologischen Verfahren sind insbesondere drei Verfahren hervorzuheben; dies sind dasMuskingum-Verfahren, das Kalinin-Miljukov-Verfahren und das modifizierte Puls-Verfahren. Dasmodifizierte Puls-Verfahren wurde bereits im Vorlesungsumdruck Ingenieur-Hydrologie I be-schrieben. Im Folgenden wird daher nur auf die beiden erst genannten Verfahren eingegangen.

10.1 Das Muskingum-Verfahren

Das Muskingum-Verfahren ist ein erweiterter linearer Speicheransatz. Neben dem bekanntenlinearen Zusammenhang zwischen Speicherung und Abfluss wird auch die Differenz zwischenZu- und Abfluss gewichtet berücksichtigt (siehe auch Abbildung 10.1).

Abbildung 10.1: Das Muskingum-Verfahren (Maniak, 1993)

Für das Verfahren gilt folgende Arbeitsgleichung.

S(t) = k ·QA(t) + k · X · (QZ(t)−QA(t)) (10.1)

Die Speicherkonstante k und der dimensionslose Parameter X müssen über den Vergleich derBerechnungen mit gemessenen Wellenverformungen bestimmt werden.

Der Parameter X liegt für natürliche Abflussverhältnisse zwischen 0 und 0,5. Wenn X = 0,dann entspricht das Muskingum-Verfahren dem des Einzellinearspeichers. Wenn X den Wert 0,5annimmt, dann wird eine reine Translation der Hochwasserwelle erzeugt. Die Bestimmung vonk und X kann u.U. sehr aufwendig sein, was den Hauptnachteil dieses Verfahrens darstellt.

69

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10.2 Das Kalinin-Miljukov-Verfahren

Das Verfahren beruht ebenfalls auf der Annahme eines eindeutigen linearen Zusammenhangszwischen dem Abfluss und dem Volumen eines Gerinneabschnitts. Diese Annahme trifft jedochnur für den stationären Fall zu. Kalinin und Miljukov haben durch geschickte Annahmen fürdie Geometrie und durch vereinfachende Umformungen der Ausgangsgleichungen eine mathe-matische Beschreibung des instationären Abflussprozesses in Gerinnen durch den stationärenZusammenhang zwischen Wasserstand, Spiegelbreite, Abfluss und durch das mittlere Sohlgefäl-le erreicht.

Das Grundprinzip des Kalinin-Miljukov-Verfahrens liegt in der passenden Wahl der sogenann-ten charakteristischen Länge L der Gerinneabschnitte, d. h. diese Länge muss so bestimmt wer-den, dass sich die Volumenänderungen für den stationären und instationären Abfluss entspre-chen. Die charakteristische Länge L ergibt sich aus der Betrachtung der Abflussschleife (Abfluss-hysterese), die im Folgenden kurz erläutert wird.

Beobachtet man die Wasserstände während einer Hochwasserwelle, so zeigt sich, dass le-diglich im Bereich des maximalen Durchflusses der instationäre Wasserstand dem stationärenWasserstand in etwa entspricht. Ansonsten ergibt sich bei der anlaufenden Welle, bei gleichermittlerer Fließtiefe h, ein größerer Durchfluss als im abklingenden Ast der Welle. Eine eindeutigeVolumen-Abfluss-Beziehung ist somit nicht mehr vorhanden.

Es zeigt sich jedoch, dass die beiden instationären Wasserstände, die bei gleichem Abflussauftreten, in einem zeitlichen Verhältnis zum stationären Wasserstand stehen. Wie aus Abbil-dung 10.2 deutlich wird, eilt der instationäre dem stationären Abfluss, sowohl beim anlaufendenals auch beim abklingendem Ast der Welle, um ein Zeitintervall ∆t voraus.

Abbildung 10.2: Zuordnung von Wasserstand und Abfluss für den stationären und instationärenAbfluss

Eine eindeutige Volumen-Abfluss-Beziehung ist also nur gegeben, wenn die Abflüsse den umdas Zeitintervall ∆t später eintretenden Wasserständen zugeordnet werden. Mit Bezug auf Ab-bildung 10.3 wird dem Abfluss QA also nicht sein eigentlicher instationärer Wasserstand an derStelle ’r’ , sondern der stationäre Wasserstand an der Stelle ’m’ zugeordnet, der zu diesemZeitpunkt stromaufwärts in der Entfernung l auftritt. Dies bedeutet auch, das der stationäreWasserstand an der Stelle ’m’ nach einer Zeit ∆t an der Stelle ’r’ auftreten wird. Das Zeitin-tervall ∆t kann also als eine Länge l interpretiert werden.

70 10 Wellentransformation in natürlichen Gewässern und Kanälen

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Abbildung 10.3: Charakteristische Länge nach Kalinin-Miljukov (Maniak, 1993)

Das Volumen im betrachteten Gerinneabschnitt der Länge L in Abbildung 10.3 ist somit fürstationären und instationären Abfluss identisch, d. h. in diesem Abschnitt liegt auch für instatio-näre Fließvorgänge ein eindeutiger Zusammenhang zwischen Volumen bzw. Wasserstand undAbfluss vor. Unter dieser Voraussetzung wird nun eine Fließgerinnestrecke der Länge Lges fürdie Berechnung der Wellentransformation in die entsprechende Anzahl Speicher der Länge Lunterteilt.

n=Lges

L(10.2)

Jeder Einzelabschnitt der Länge wird nun als linearer Einzelspeicher gerechnet, das Gesamtge-rinne somit als lineare Speicherkaskade mit n Speichern.

Unter der Voraussetzung, dass das Energieliniengefälle parallel zum Wasserspiegel verläuftund sich die Gerinnerauheit nicht ändert, ergibt sich die charakteristische Länge L zu

L = 2 · l =Qst

Ist·

dhst

dQst≈

Qmax +Qmin

2 · Ist·

hmax − hmin

Qmax −Qmin(10.3)

Die charakteristische Länge lässt sich somit ausschließlich aus Größen des stationären Abflus-ses berechnen. Der Ausdruck dhst/dQst stellt die Steigung der Wasserstand-Abfluss-Beziehungdar, die im Allgemeinen nicht konstant ist. Vereinfachend wird ein über den auftretenden Ab-flussbereich auftretendes Mittel verwendet. Die Retentionskonstante k lässt sich nach folgenderGleichung bestimmen.

k = B · L ·dhst

dQst≈ B · L ·

hmax − hmin

Qmax −Qmin(10.4)

Als vereinfachte Arbeitsgleichung ergibt sich nach einigen Umformungen und Vereinfachungen,zu denen die Annahme eines Prismatischen Gerinnes gehört, aus der Kontinuitätsgleichung

dVdt=QZ −QA (10.5)

und einer eindeutigen Volumen-Abflussbeziehung

QA = k · V (10.6)

10.2 Das Kalinin-Miljukov-Verfahren 71

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die Arbeitsgleichung für das Kalinin-Miljukov-Verfahren in diskretisierter Form.

QA(t +∆t) = c1 · (QZ(t +∆t) +QZ(t)) + c2 ·QA(t) (10.7)

mit

c1 =∆t

2k+∆tund c2 =

2k−∆t2k+∆t

(10.8)

Der wesentliche Vorteil dieses Verfahrens gegenüber dem Muskingum-Verfahren ist seine An-wendbarkeit auch ohne Messungen, da die Parameter L und K aus der Gerinnegeometrie gewon-nen werden können. In Fällen mit Messungen hat sich gezeigt, dass das Verfahren realitätsnaheErgebnisse liefert.

72 10 Wellentransformation in natürlichen Gewässern und Kanälen

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11 Statistische Verfahren

11.1 Elementarstatistik

11.1.1 Grundbegriffe

Das Auftreten und der Ablauf von hydrologischen Prozessen, die meist durch Messungen erfasstwerden, erfolgt in nicht exakter Ordnung. So ist das Auftreten einer Niederschlagshöhe odereines Hochwasserabflusses nicht mit absoluter Sicherheit a priori bestimmbar. Die in der Hydro-logie vorkommenden Daten, die in erster Linie zur Ableitung von Bemessungswerten dienen,können aus diesem statistisch geprägten Ursprung heraus als Zufallsvariable angesehen werden.Für alle daraus erarbeiteten Analysen und Prognosen ist es erforderlich, die verwendete Variable(hydrologische Größe) eindeutig zu definieren, um Irritationen aus den Untersuchungsergebnis-sen zu vermeiden.

Folgende Informationen sind dabei hilfreich: Verbale Beschreibung, Messstelle, Messmethode,Zahl der Messwerte und Umfang der Stichprobe.

Bezüglich des Auftretens der hydrologischen Zufallsvariable wird nach diskreten und konti-nuierlichen Variablen unterschieden.

Diskrete statistische Variable: Der zeitliche Verlauf der Variable x ist intervallweise gegeben. Sowerden z. B. Niederschlagsmesser einmal am Tag abgelesen. Das Intervall beträgt in diesemFall einen Tag.

Kontinuierliche statistische Variable: Der zeitliche Verlauf der Variable x ist stetig. Als Beispielkann die kontinuierliche Aufzeichnung des Wasserstandes an einem Schwimmerpegel an-geführt werden.

In der Ingenieur-Hydrologie wird vorwiegend mit diskreten, zeitabhängigen Variablen gear-beitet, sogenannten Zeitreihen der Variablen x mit den Elementen x i. Wenn kontinuierlicheAufzeichnungen vorliegen, werden diese i. d. R. diskretisiert.

Grundgesamtheit (GG): Die Grundgesamtheit beschreibt die Gesamtheit der jemals eingetrete-nen und eintretenden gleichartigen Ereignisse der Variablen x . Die Grundgesamtheit istsomit theoretisch von unendlichem Umfang, umfasst in der Hydrologie jedoch entwedernur eine Zeitspanne von z. B. 20 bis 30 Jahren, oder eine kürzere Zeitspanne mit entspre-chend größerer Anzahl an Werten x i.

Stichprobe (STIP): Die Stichprobe ist ein willkürlich oder zufällig ausgewählter Teil einer Grund-gesamtheit, z. B. maximale Jahresniederschlagshöhen eines Ortes von 1930 bis 1950 inner-halb der Reihe aller (vergleichbarer) Jahresniederschlagshöhen dieses Ortes.

In nahezu allen statistischen Verfahren muss stets von der bekannten STIP auf die nach Umfangund Ausdehnung unbekannte Grundgesamtheit geschlossen werden.

Beobachtungszahl: Die Anzahl der in der Stichprobe bzw. in der Grundgesamtheit enthaltenenWerte wird Beobachtungszahl n bzw. N genannt.

73

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• n= (te − t0)/T bei Stichproben

• N bei der Grundgesamtheit

Umfang und Ausdehung: Als Umfang einer Zeitreihe wird die Zeitspanne n ·∆t = te − t0 be-zeichnet. Die Ausdehnung bzw. Variationsbreite R einer Zeitreihe beschreibt die Spannevom kleinsten bis zum größten x i-Wert. Hierzu siehe auch Abbildung 11.1.

Abbildung 11.1: Zeitreihe einer diskreten statistischen Variablen [8]

Im Allgemeinen kann davon ausgegangen werden, dass die Ausdehnung einer Stichprobe oft nurwenig kleiner ist als die Ausdehnung der Grundgesamtheit. Der Umfang einer STIP hingegen istimmer wesentlich geringer als der der GG.

Klassen: Die Ausdehnung einer Stichprobe wird für statistische Analysen oftmals in eine ganz-zahlige Anzahl k von Intervallen (Klassen) gleicher Größe ∆x unterteilt. Als eine Schätz-formel für die notwendige Anzahl von Klassen in Abhängigkeit der vorhandenen Werte ngilt k = 1+ 3,3 · log n. Die Klassenanzahl sollte jedoch in jedem Fall k ≥ 5 sein.

11.1.2 Häufigkeitsanalyse

Mit Hilfe der Häufigkeitsanalyse werden statistische Eigenschaften einer Zeitreihe ermittelt. Sieliefert Aussagen über die Häufigkeit des Auftretens, Überschreitens oder Unterschreitens einesWertes x i in der Stichprobe der Variablen x .

Häufigkeitsaussagen beziehen sich immer auf Stichproben! Wahrscheinlichkeitsaussagen be-ziehen sich immer auf die Grundgesamtheit!

absolute Häufigkeit bzw. Besetzungszahl: Die absolute Häufigkeit ni wird durch Auszählen desAuftretens der diskreten Variablen x innerhalb der i-ten Klasse ermittelt. Dabei ist eineVereinbarung über die Klassenränder erforderlich. Der Zusammenhang zwischen absoluterHäufigkeit ni und Beobachtungszahl n ergibt sich zu

n=k∑

i=1

ni (11.1)

74 11 Statistische Verfahren

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relative Häufigkeit bzw. Häufigkeitsdichte: Die relative Häufigkeit fi ist die auf die Beobach-tungszahl n bezogene absolute Häufigkeit ni.

fi =ni

n(11.2)

Es muss geltenk∑

i=1

fi = 1 (0≤ fi < 1) (11.3)

Häufigkeitsverteilung: Zur Bestimmung der Häufigkeitsverteilung einer Zeitreihe muss diese zu-nächst in Klassen unterteilt werden und für jede Klasse die absolute bzw. relative Häufigkeitbestimmt werden. Jede Klasse i wird durch den x i - Wert in der Klassenmitte gekennzeich-net. Trägt man nun die absoluten bzw. relativen Häufigkeiten über x auf, so ergibt sich dieHäufigkeitsverteilung.

Zur Vorgehensweise zur Bestimmung einer Häufigkeitsverteilung siehe Abbildung 11.2.

Abbildung 11.2: Zeitreihe und Häufigkeitsverteilung [8]

Summenhäufigkeit: Die Summenhäufigkeit einer Häufigkeitsverteilung ist definiert als die Sum-me der relativen Häufigkeiten über alle Klassen.

S(x ≤ x i) =i≤k∑

i=1

fi ≤ 1 (11.4)

Dabei wird die relative Summenhäufigkeit definiert als S(x i).

Beginnt man die Summierung mit der Klasse, die den niedrigsten Wert der Stichprobeenthält, so erhält man die Summenhäufigkeit der Unterschreitung (SU). Dieses gibt dieHäufigkeit des Auftretens der statistischen Variablen x im Bereich zwischen min x und x i,d. h. unterhalb von x i an und wird auch als Unterschreitungsdauerlinie bezeichnet.

Die Summenhäufigkeit der Überschreitung (SO) gibt die Häufigkeit des Auftretens derstatistischen Variablen im Bereich oberhalb von x i an und wird auch als Überschreitungs-dauerlinie bezeichnet. Sie ist definiert durch

SO(x i) = 1− SU(x i) (11.5)

Hierzu siehe auch Abbildung 11.3.

11.1 Elementarstatistik 75

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Abbildung 11.3: Definition der Unter- und Überschreitungslinie [8]

Die weitere statistische Analyse ist an den statistischen Eigenschaften und Gesetzmäßigkeitender Grundgesamtheit interessiert, die nur aus den Ergebnissen der Analyse der Stichprobe ge-schätzt werden kann. Um Aussagen über die Grundgesamtheit machen zu können, wird an dieHäufigkeitsverteilung eine theoretische Dichtefunktion mit stetigem Verlauf angepasst (hierzusiehe Kapitel 11.2.4).

Um sowohl die Häufigkeitsverteilung als auch die spätere Dichtefunktion charakterisieren zukönnen, sind sogenannte statistische Parameter notwendig, die im Folgenden kurz erläutertwerden sollen.

11.1.3 Statistische Parameter

Statistisches Moment 1. Ordnung: Das statistische Moment 1. Ordnung ist nichts anderes als derMittelwert x , definiert als

x =1n·

n∑

i=1

x i (11.6)

Der Mittelwert x kennzeichnet die Lage des Schwerpunkts der Häufigkeitsverteilung.

Aus einer genommenen Stichprobe bestimmt sich der Zentralwert (Median) x als der x-Wert mit gleicher Unter- wie Überschreitungshäufigkeit bzw. gleicher Unter- wie Über-schreitungsdauer.

Der Normalwert (Modalwert) x ist der häufigste Wert einer Stichprobe, d. h. er beschreibtdie Lage des Scheitelpunktes einer Häufigkeitsverteilung.

Abbildung 11.4 erläutert die beschriebenen statistischen Paramter.

Statistisches Moment 2. Ordnung: Das statistische Moment 2. Ordnung wird als Standardab-weichung s bezeichnet. Sie ist ein Maß für die Abweichung der Stichprobenwerte vomMittelwert.

s =

√ 1n− 1

·n∑

i=1

(x i − x)2 (11.7)

76 11 Statistische Verfahren

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Das Quadrat der Standardabweichung s wird als Varianz s2 bezeichnet. Aus Standardab-weichung s und Mittelwert x ergibt sich der Variationskoeffizient cv .

cv =sx

(11.8)

Statistisches Moment 3. Ordnung: Das statistische Moment 3. Ordnung wird als Schiefe be-zeichnet und beschreibt die Asymmetrie der Häufigkeitsverteilung bzw. der Dichtefunk-tion.

a =n

(n− 1) · (n− 2)·

n∑

i=1

(x i − x)3 (11.9)

Der Schiefekoeffizient cs ist ein Maß für Abweichung des Mittelwerts vom Normalwert; nurbei Null liegt eine Symmetrie vor (siehe Abbildung 11.4) .

cs =as3

(11.10)

(a) Symmetrie (b) rechtsschief (c) linksschief

Abbildung 11.4: statistische Parameter einer Häufigkeitsverteilung [8]

11.2 Extremwertanalysen

Die im Rahmen einer hydrologischen Extremwertanalyse zu untersuchende Fragestellung be-fasst sich stets mit der Über- bzw. Unterschreitungswahrscheinlichkeit des Auftretens einesEreignisses x i z. B. in Form eines Abflusses oder eines Niederschlagsereignisses. Die berech-neten Wahrscheinlichkeiten werden als Wiederkehrintervall Tn ausgedrückt, z. B. 100-jährigesHochwasser oder 10-jähriges Niederschlagsereignis.

11.2 Extremwertanalysen 77

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Beobachtungszeitspanne statistische Aussage<10 Jahre unbrauchbar

10-20 Jahre abschätzend20-30 Jahre bedingt geeignet>30 Jahre geeignet

Tabelle 11.1: Eignung verschiedener Beobachtungszeitspannen

11.2.1 Stichprobengewinnung

Die Zuverlässigkeit einer statistischen Aussage ist generell eng verknüpft mit der Länge der Be-obachtungszeitspanne. Um z. B. die Güte einer Aussage über Hochwasserwahrscheinlichkeiteneinschätzen zu können, sollte man sich an der folgenden Tabelle, herausgegeben vom DVWK,orientieren.

11.2.2 Aufbereitung der Daten

Jede Stichprobe, die zur statistischen Analyse verwendet werden soll, muss zuvor auf Kriterienwie Unabhängigkeit, Homogenität, Erfassungsfehler und Repräsentanz hin untersucht werden.Zudem muss sie auf mögliche Ausreißer untersucht werden, welche gegebenenfalls zu entfernensind.

Das hydrologische System ist nicht streng deterministisch beschreibbar. Oftmals besteht ei-ne zeitliche Abhängigkeit zwischen Stichprobenelementen, die mittels einer Trendanalyse aufSignifikanz hin überprüft werden kann.

Im Allgemeinen ist jede Zeitreihe aus mehreren, verschieden stark ausgeprägten Komponen-ten zusammengesetzt (siehe Abbildung 11.5).

x = xTr + xper + xst (11.11)

xTr = Trendanteilxper = periodischer Anteilxst = statischer Anteil

Abbildung 11.5: Komponenten einer Zeitreihe [8]

Stellt eine durchgeführte Trendanalyse einen signifikanten Trend fest, so ist eine Korrekturder Daten erforderlich.

78 11 Statistische Verfahren

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11.2.3 Häufigkeitsverteilung und Summenhäufigkeit

Nach Abschluss der Datenaufbereitung besteht der nächste Schritt in der Bestimmung der Häu-figkeitsverteilung, der Bildung der Summenhäufigkeiten und der Berechnung der statistischenMomente, d. h.

1. Einteilung der Stichprobe in Klassen und Aufstellen der absoluten ni(x) bzw. relativenHäufigkeitslinie fi(x)

2. Bildung der Summenhäufigkeiten

3. Berechnung der statistischen Momente der Stichprobe (d. h. Mittelwert, Standardabwei-chung, Schiefe usw.)

11.2.4 Anpassung einer Dichte- bzw. Verteilungsfunktion

Um die Grundgesamtheit beschreiben zu können wird der Häufigkeitsverteilung f (x) eine Dich-tefunktion p(x) und der Summenhäufigkeitslinie SU(x) eine Verteilungsfunktion P(x) ange-passt (siehe Abbildung 11.6). Für die Verteilungsfunktion gilt

P(x) =

∫ x

−∞p(ϕ)dϕ (11.12)

Sie gibt an, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Wert x der Grundgesamtheit unterschritten wird.

(a) Häufigkeitsdichte f (x) und Sum-menhäufigkeit SU(x)

(b) Dichtefunktion p(x) und Verteilungs-funktion P(x)

Abbildung 11.6: Anpassung einer stetigen Funktion an die diskrete statistische Zufallsvariable x[8]

Die Anpassung einer stetigen Funktion an die Häufigkeitsverteilung bzw. die Summenhäu-figkeitslinie ermöglicht eine Extrapolation der statistischen Analyse über die beobachtete Zeit-spanne hinaus, sollte jedoch im Allgemeinen nicht über eine Zeitspanne von Tn=(2 bis 3) ·n

11.2 Extremwertanalysen 79

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(=beobachtete Jahre) hinaus vorgenommen werden. Ergebnisse von Extrapolationen über die-sen Zeitraum dienen lediglich als Hilfsmittel und nicht als Bemessungsgrundlage für weiterePlanungen.

Die Anpassung einer Funktion könnte theoretische per Hand erfolgen; davon ist jedoch auf-grund von Subjektivität abzuraten. Die Anpassung erfolgt daher über die Schätzung der statis-tischen Parameter, die die Form einer Anpassungsfunktion eindeutig festlegen.

In der Ingenieurhydrologie kommen i. d. R. verschiedenen Dichte- bzw. Verteilungsfunktionenzur Anwendung. Im Folgenden werden drei exemplarisch aufgeführt.

Gauß-Verteilung: Die Normalverteilung nach Gauß ist eine zweiparametrige symetrische Dich-tefunktion. Sie enthält nur die beiden Parameter x und s.

p(x) = p(z) =1

s ·p

2π· e−0,5·z2

mit z =�

x − xs

(11.13)

Die Verteilungsfunktion der Normalverteilung nach Gauß lautet

P(x) = P(z) =1p

2π·∫ z

−∞e−0,5·ϕ2

dϕ (11.14)

Die Verteilungsfunktion P(x) ist nicht geschlossen integrierbar. Die Funktionswerte stehenjedoch in einschlägiger Literatur tabelliert zur Verfügung.

Gumbel-Verteilung: Die Gumbel-Verteilung, auch Extremwertverteilung Typ I genannt, ist einezweiparametrige Funktion und weist eine festgegebenen positive Schiefe von cs=1,14 auf.Die Dichtefunktion lautet

p(x) = p(y) = a · e−y−e−y(11.15)

mit

y = a · (x − b), a =π

s ·p

6und b = x −

0,57721a

Die Verteilungsfunktion der Gumbel-Verteilung lautet

P(x) = P(y) = e−e−y(11.16)

Die Werte für die Verteilungsfunktion sind direkt aus x und s über die Hilfsparameter y , aund b bestimmbar. Aus diesem Grund liegen für die Gumbel-Verteilung kein Tabellen vor.

Pearson Typ III-Verteilung: Die Pearson Typ III-Verteilung wird standardmäßig zur Berechnungvon Hochwasserhäufigkeiten genutzt und besitzt die drei Parameter x , s und cs. Die Funk-tion ist einseitig begrenzt; linksseitig bei positiver Schiefe (cs > 0) und rechtsseitig beinegativer Schiefe (cs < 0). Bei cs = 0 entspricht die Pearson Typ III-Verteilung der Normal-verteilung nach Gauß. Die Ergebnisse der Verteilungsfunktion sind aus Tabellenwerken inder einschlägigen Literatur zu entnehmen.

Die drei beschriebenen Funktionen sind in Abbildung 11.7 dargestellt.Die Auswahl einer geeigneten Dichte- und Verteilungsfunktion für eine möglichst gute An-

passung an die Häufigkeitsdichte bzw. Summenhäufigkeitslinie richtet sich nach der Güte derAnpassung. Da nicht vorab entschieden werden kann, welche Verteilungsfunktion die beste An-passungsgüte aufweisen wird, müssen z.T. mehrere Funktionen ausprobiert werden. Die Güteder Schätzung wird anschließend mittels eines Anpassungstests überprüft. Hier werden i. d. R.entweder der χ2-Test (Chi-Quadrat-Test) oder der K-S-Test (Kolmogorov-Smirnov-Test) heran-gezogen.

80 11 Statistische Verfahren

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(a) Gauß (b) Gumbel (c) Pearson III

Abbildung 11.7: Drei in der Hydrologie verwendete Dichtefunktionen [8]

11.2.5 Extremwertprognose

Nach Überprüfung der Anpassung der Verteilungsfunktion mit Hilfe eines geeigneten Anpas-sungstests kann die eigentliche Extremwertprognose vorgenommen werden. Dabei sucht manentweder eine Unter- oder Überschreitungswahrscheinlichkeit für einen vorgegebenen x-Wert(P(x)), oder es ist ein x-Wert für eine vorgegebene Unterschreitungswahrscheinlichkeit von z. B.99 % gesucht (x(P)).

Die Berechnung eines Wiederkehrintervalls Tn erfolgt mit Hilfe der Unterschreitungswahr-scheinlichkeit P(x).

Tn =1

1− P(x)(11.17)

Die Extrapolation auf seltene x-Werte und somit sehr große Wiederkehrintervalle (z. B. 1000 Jah-re) über den Umfang der Stichprobe hinaus sollte wegen zunehmenden Fehleinschätzungen aufdas 2- bis 3-fache des Umfangs beschränkt bleiben, d. h. es sollten in etwa 35 Jahre lang Ab-flussmessungen durchgeführt worden sein, um ein 100-jähriges Hochwasser vorherzusagen.

11.3 Regressions-Analyse

Ziel der Regressionsanalyse ist es eine durchschnittliche Abhängigkeit einer Beobachtungsgrö-ße y von einer zweiten Größe x bzw. von weiteren Größen x i, die simultan beobachtet wordensind, zu ermitteln. Dabei unterscheidet man zwischen der Einfach-Regression (zwischen y undx) und der Mehrfach-Regression (zwischen y und x1, x2, x3, . . .). Weiterhin unterscheidet manzwischen der

• linearen Regression (Ansatz: Gerade) und der

• nichtlinearen Regression (Ansatz: e-Funktion, Parabel, . . .)

11.3.1 Lineare Regression

Im Falle eines linearen Zusammenhangs der zugehörigen Wertepaare, was durch graphischeDarstellung abgeschätzt werden kann, kann eine lineare Regression angesetzt werden. Hierbeiwird vorausgesetzt, dass jede Zeitreihe über den gleichen Zeitraum vorliegt. Es gilt

• yi = y ist die Datenreihe der Zielgröße

11.3 Regressions-Analyse 81

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• xki = xk ist die Datenreihe der Einflussgrößen

Es gilt der Mehrfachregressionsansatz:

y = a+ b1 · x1 + b2 · x2 + . . .+ bk · xk (11.18)

Aus obigem Ansatz folgt für die Bestimmung der Regressionskoeffizienten (a, b1, b2, . . . bk) einüberbestimmtes Gleichungssystem, da alle Größen y und x als Datenreihen mit je i Elementenvorliegen.

yi = a+ b1 · x1i + b2 · x2i + . . .+ bk · xki (11.19)

Es liegen i Gleichungen mit (k+1)< i Unbekannten vor (a, b1, b2, . . . bk)! Dieses überbestimmteGleichungssystem kann mit der Methode der kleinsten Abweichungsquadrate oder der Gauß-Ausgleichsrechnung gelöst werden. Die Auflösung ergibt die wahrscheinlichsten Werte für dieRegressionskoeffizienten.

an + b1

x1 + b2

x2 + . . . + bk

xk =∑

y1a∑

x1 + b1

x1 · x1 + b2

x1 · x2 + . . . + bk

x1 · xk =∑

y · x1a∑

x2 + b1

x1 · x2 + b2

x2 · x2 + . . . + bk

x2 · xk =∑

y · x2...

...... . . . ...

...a∑

xk + b1

x1 · xk + b2

x2 · xk + . . . + bk

xk · xk =∑

y · xk

Für den Spezialfall von nur einer Einflussgröße x vereinfacht sich der Term und es kommt zurAnwendung der linearen Einfachregression.

yi = a+ b · x i (11.20)

mit folgender Lösung für die Regressionskoeffizienten a und b.

a = y − b · x und b =sx y

s2x

mit sx y =1

n− 1

n∑

i=1

(x i − x) · (yi − y)

Den Term sx y bezeichnet man als Kovarianz. Die Regressionskoeffizienten a und b beschreibenden quantitativen Zusammenhang zwischen den beiden Zeitreihen x und y . Als qualitativesBeurteilungsmaß für die Güte des Zusammenhangs gilt der einfache Korrelationskoeffizient rbzw. das Bestimmheitsmaß r2.

r =sx y

sx · sy(11.21)

Es gilt 0 ≤ |r| ≤ 1 bzw. 0 ≤ r2 ≤ 1. Je näher |r| bzw. r2 an 1 liegt, desto enger ist der Regressi-onszusammenhang.

82 11 Statistische Verfahren

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11.3.2 Nichtlineare Regression

Wenn nach Auftragung ein nicht-linearer Zusammenhang zwischen y und x vermutet wird,kommt die nichtlineare Regression zur Anwendung. Es kann jedoch eine linearisierende Trans-formation zwecks Aufbereitung der Datenreihen vorgenommen werden. Danach sind die trans-formierten Werte für eine lineare Regression zugänglich!

vermuteter Zusammenhang linearisierte Gleichungy = a · eb·x ⇒ ln y = ln a+ b · x

y∗ = a+ b · x∗

y = a · x b ⇒ ln y = ln a+ b · ln xy∗ = a+ b · x

Mit den linearisierten Gleichungen wird die Regressionsrechnung durchgeführt und anschlie-ßend eine Rücktransformation vorgenommen.

11.3 Regressions-Analyse 83

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12 Bewirtschaftung von Speichern

12.1 Grundlagen

Neben der grundsätzlichen Erfassung des natürlichen Dargebots für die Nutzung dient die In-genieurhydrologie der Bemessung und dem Betrieb von wasserbaulichen Anlagen und darauszusammengesetzten wasserwirtschaftlichen Systemen. Diese Systeme dienen dem Ausgleichzwischen dem ungleichmäßig schwankenden natürlichen Wasserdargebot und dem nach Ort,Zeit und Menge wechselnden Wasserbedarf des Menschen. Wesentliche Komponenten solcherwasserwirtschaftlichen Systeme sind natürliche und künstliche Speicher.

künstliche Speicher: Talsperren, Hochwasserrückhaltebecken, Regenüberlaufbecken

natürliche Speicher: Seen und Auen, Grundwasseraquifere

Diese Speicher dienen unterschiedlichen Zwecken, häufig dienen sie mehreren, z.T. konkur-rierenden Zwecken gleichzeitig, wie z. B. dem Hochwasserschutz, der Trinkwasserversorgung,der Niedrigwasseraufhöhung, der Energieerzeugung, der Bewässerung, der Fischerei und derErholung.

Beispiele für konkurrierende Nutzungen:Das Absenken des Wasserstandes zur Freihaltung des Hochwasserschutzraumes konkurriert

z. B. mit

• Wasserkraftnutzung (aufgrund der reduzierten Druckhöhe)

• Erholung (unästhetische Seeufer, reduzierte Seefläche)

Bewässerung konkurriert z. B. mit der Trinkwasserversorgung (beide Nutzungen verbrauchenWasser in Menge und Güte)

Beispiele für sich ergänzende Nutzungen:• Wasserkraftnutzung und Niedrigwasseraufhöhung

• Wasserkraftnutzung und Bewässerung mit Freispiegelzufluss

• Erholung und Fischerei

In der Bundesrepublik werden nahezu keine neuen Talsperren gebaut. Auch werden wenigerHochwasserrückhaltebecken errichtet als in der Vergangenheit. Wichtig bleibt jedoch die effi-ziente und ökologisch verträgliche Bewirtschaftung von Talssperrensystemen. Nur selten sindTalsperren Einzelanlagen. Unterschieden wird in

• Einzelspeicher⇐⇒ Speichersysteme

• Einzweckspeicher⇐⇒ Mehrzweckspeicher

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Die Komplexität des Bewirtschaftungsproblems nimmt beginnend mit einem einzelnen Ein-zweckspeicher bis zu einem Mehrzweckspeichersystem fortlaufend zu.

Abbildung 12.1(a) zeigt ein Einspeichersystem mit seiner Verknüpfung mit Einzugsgebiet undUnterwasser. Abbildung 12.1(b) zeigt ein Mehrspeichersystem in gemischter serieller und par-alleler Anordnung mit Wasserkraftnutzung und Bewässerungsbetrieb.

(a) Einzelspeicher (b) Speichersystem

Abbildung 12.1: Einzelspeicher und Speichersystem [4]

Letztlich gibt Abbildung 12.2 die Struktur des California Water Project (CWP) wieder. DiesesSystem stellt eines der komplexesten und größten wasserwirtschaftlichen Verbundsysteme derWelt dar.

Abbildung 12.2: Systemplan des California Water Projekt [4]

86 12 Bewirtschaftung von Speichern

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Im Folgenden soll insbesondere näher auf Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken einge-gangen werden. Dazu sind zunächst einige Definitionen notwendig.

12.2 Definitionen

Eine Talsperre ist definiert durch eine Mindeststauhöhe von 5 m über der Gewässersohle, sowieeinem Mindeststauinhalt von 100.000 m3 bis zur Krone der Stauanlage. Mit Talsperren plantman den langfristigen Wasserausgleich des natürlichen Wasserdargebots mit dem gleichzeitigenZiel den Wasserbedarf der angeschlossenen Verbraucher zu decken. Hochwasserrückhaltebe-cken hingegen erfüllen eine Schutzaufgabe durch den kurzfristigen Abflussausgleich währendeiner Hochwasserperiode.

Ein Speicher ist durch folgende physikalischen Eigenschaften definiert:

• Speicherinhalt als Funktion der Stauhöhe

• Abfluss als Funktion der Stauhöhe

Die Stauhöhen- sowie Stauinhaltslinie eines Speichers wird durch Planemetrieren der Flächenzwischen Höhenlinien in topographischen Karten ermittelt (siehe Abbildung 12.3).

Abbildung 12.3: Lageplan, Wasserstands-Volumen-Funktion, Staufläche-Volumen-Funktion [7]

Die Wasserstands-Abfluss-Funktion ist im Fall eines feststehenden Abflussquerschnittes eineFunktion der Wurzel des Wasserstandes (hierzu siehe Kapitel 8). Dies ist häufig bei Hochwas-serrückhaltebecken der Fall.

Bei Talsperren wird der Abfluss im Allgemeinen durch ein oder mehrere regelbare Absperror-gane (Betriebsauslässe, Grundablassschieber) geregelt. Bei Erreichen des maximalen Stauzielsmuss der Überlauf schadensfrei über eine Hochwasserentlastung abgeführt werden. In man-chen Fällen ist dieser Überlauf ebenfalls mit einem Regelorgan (Klappe) ausgerüstet, um auchdie oberste Lamelle des Stauraums noch beherrschen zu können.

Der Stauraum wird bei Talsperren und Hochwasserrückhaltebecken i. d. R. in verschiedeneLamellen unterteilt, denen Nutzungen zugeordnet werden. Eine solche Einteilung für Talsperrenist in Abbildung 12.4 dargestellt.

12.2 Definitionen 87

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Abbildung 12.4: Einteilung des Speicherraums bei Talsperren [7]

Totraum: Die Speicherlamelle zwischen tiefstem Punkt im Stauraum der Talsperre und Einlauf-sohle des untersten Grundablasses bezeichnet man als Totraum. Der Totraum dient zurAufnahme von Sedimenten und wird oft über die kalkulatorische Lebensdauer einer Tal-sperre (50 bis 100 Jahre) und der in dieser Zeit anfallenden Menge an Sediment bemessen.

Eiserner Bestand: Der eiserne Bestand ist Teil des Betriebsraums und dient als Reserveraum füraußergewöhnliche Trockenperioden. Die Nutzung dieser Speicherlamelle unterliegt i. d. R.einer Zustimmung und Absprache mit der Aufsichtsbehörde.

Betriebsraum/Nutzraum: Der größte Stauraumanteil entfällt auf den bewirtschaftbaren Spei-cherraum, auch Betriebs- oder Nutzraum genannt. Dieser liegt zwischen tiefstem Absenk-ziel und Stauziel und dient zur Entnahme und Abgabe gemäß dem Betriebsplan.

Hochwasserschutzraum: Der Hochwasserschutzraum befindet sich zwischen Stauziel und Über-lauf der Hochwasserentlastung. Er kann im Laufe eines Jahres in der Größe variieren. Inden Wintermonaten wird z. B. aufgrund der zu erwartenden stärkeren Niederschläge eingrößerer Hochwasserschutzraum freigehalten als in den Sommermonaten.

unbeherrschbarer Hochwasserschutzraum: Zwischen Überlaufkrone und äußerstem Stauzielliegt der außergewöhnliche Hochwasserschutzraum. Die Größe bzw. die Höhe des äußers-ten Stauziels richtet sich nach der erforderlichen Überfallhöhe der Entlastung, die aus derBemessung für die Hochwasserentlastung zu entnehmen ist. Diese Staukote plus Freibord-maß ergibt die Höhenlage der Sperrenkrone.

Die Einteilung des Speicherraums bei einem Hochwasserrückhaltebecken ist in Abbil-dung 12.5 zu sehen.

Dauerstauraum: Die Nutzung des Dauerstauraums bei Hochwasserrückhaltebecken erfolgthauptsächlich nicht nach wasserwirtschaftlichen Gesichtspunkten. Der Dauerstau wird für

88 12 Bewirtschaftung von Speichern

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Abbildung 12.5: Einteilung des Speicherraums bei Hochwasserrückhaltebecken [7]

die Aufgaben aus dem Bereich der Wassergüte, Fischerei, Erholung oder zur Schaffung vonFeuchtbiotopen ausgelegt.

gewöhnlicher Hochwasserrückhalteraum: Der größte Teil des Speichervolumens entfällt beiHochwasserrückhaltebecken auf den gewöhnlichen Hochwasserrückhalteraum. Er wirdnach unten durch das Dauerstauziel und nach oben durch das gewöhnliche Stauziel be-grenzt.

12.3 Bemessung

Die Bemessung von Hochwasserrückhaltebecken unterliegt ganz bestimmten Bemessungsre-geln, die Auskunft geben sowohl über die Bemessung der Speichergröße, als auch der Betrieb-seinrichtungen, (Grundablass und Hochwasserentlastung).

Auch die Bemessung von Talsperren unterliegt bestimmten Bemessungsregeln. Sie geben Aus-kunft über die Vorgehensweise zur Bemessung der Speichergröße, der Entnahmeanlagen (Grun-dablass, Betriebsablass), der Hochwasserentlastung und der Messeinrichtungen am Speicherund am Bauwerk.

Während die Bemessung der Speichergröße sehr unterschiedlich erfolgt, ist das Vorgehen beider Bemessung der Hochwasserentlastungsanlage sowie bei Grund- und Betriebsablass iden-tisch.

12.3.1 Speichergröße von Hochwasserrückhaltebecken

Zur Bemessung der Speichergröße benötigt man grundsätzlich eine Bemessungshochwasserwel-le. Maßgebend ist die Abflussfülle und nicht der maximale Abflussscheitel. In Tabelle 12.1 istein Schema zur Ermittlung von Bemessungshochwasserwellen in Abhängigkeit von vorhande-nen Informationen gegeben. Kennwerte der Bemessung sind:

Wiederholzeitspanne: Die Wiederholzeitspanne Tn ist abhängig von der Art der Bebauung inden geschützten Gebieten. Bei hochwertig bebauten Gebieten bemisst man i. d. R. mit Wie-derkehrintervallen von 100 bis 200 Jahren; bei Ackerflächen reichen Wiederkehrintervallevon 10 Jahren aus. Beim Vorliegen von Abflussmesswerten sollte eine Extrapolation der sta-tistischen Aussage auf das Dreifache der Beobachtungszeit beschränkt bleiben, d. h. dass

12.3 Bemessung 89

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Nr. vorhandene Daten Weg zur Auffindung der Bemessungswelle1 Abflussdaten an der Sperrenstel-

le vorhanden1. Wahl einer extremen historischen Hochwasser-welle2. Hochwasserhäufigkeitsanalyse (Füllenstatis-tik)

2 Keine Abflüsse an Sperrstelle,wohl aber oberhalb oder unter-halb im gleichen Fluss

Transportieren der Welle mit Methoden des FloodRouting

3 Niederschläge und Abflüsse invergleichbaren Nachbargebieten

Unit Hydrograph - Transposition und Nieder-schlagstransposition

4 Nur Abflüsse in hydrologischvergleichbaren Nachbargebieten

Multiple Korrelationsrechnung, regional

5 Nur Niederschläge im Einzugs-gebiet oder Nachbargebiet

Niederschlags-Abfluss-Simulation ohne Abfluss-informationen

6 Weder Niederschläge noch Ab-flüsse

Übertragung von Informationen aus hydrologischvergleichbaren Fremdgebieten

Tabelle 12.1: Schema zur Ermittlung von Bemessungshochwasserwellen in Abhängigkeit vonvorhandenen Informationen (nach Schultz, 1973)

Abflussdaten über mindestens 30 Jahren vorliegen sollten, um auf ein 100-jährliches Er-eignis schließen zu können.

Abflussfülle: Die Bemessung der Abflussfülle erfolgt mit Hilfe der Abflussfüllenstatistik. Liegtan der Sperrenstelle eine langjährige Abflussganglinie vor, so können für sämtliche Hoch-wässer, die einen bestimmten Schwellwert überschritten haben, zunächst die zugehörigenVolumina berechnet werden.

Danach kann für alle ermittelten Volumina eine statistische Analyse durchgeführt wer-den, die eine Zuordnung von Abflussfüllen zu bestimmten Jährlichkeiten zulässt (meistensPearson III oder Gumbel). Der z. B. so ermittelten 100-jährlichen Fülle wird eine typischeWellenform zugeordnet, die aus der Abflussganglinie ersichtlich ist.

Ermittlung der Abflussfülle mit Hilfe einer N-A-Modellierung: Oftmals liegen jedoch keine Ab-flussmessungen an der Sperrstelle, sondern nur Niederschlagsaufzeichnungen im Ein-zugsgebiet vor. Man bedient sich in diesem Fall der Niederschlags-Abfluss-Simulation, umdie Abflussvolumina zu ermitteln. Dabei wird die Eintrittswahrscheinlichkeit von Nieder-schlagsereignissen gleich der Eintrittswahrscheinlichkeit von Abflussereignissen gesetzt,d. h. ein 50-jährlicher Niederschlag erzeugt ein 50-jährliches Hochwasser. Um nun die ma-ximale Abflussfülle zu erhalten muss so lange die Niederschlagsdauer variiert werden, bisbei gegebener Niederschlagshöhe sowie gegebenem Regelabfluss aus dem Speicher dasmaximale, zum Abfluss kommende Volumen bekannt ist.

Speicherwirkungslinie: Ist eine Bemessungswelle bekannt, lässt sich die Speicherwirkungslinieaufstellen. Sie beschreibt den Zusammenhang zwischen der Regelabgabe aus dem Speicherund dem notwendigen Speicherinhalt. Liegt keine Bemessungswelle aus der Abflussfüllen-statistik vor, sondern gibt es mehrere Wellen, die über den Niederschlag mit unterschied-lichen Dauern ermittelt wurden, so müssen zu jeder Regendauer und der zugehörigen

90 12 Bewirtschaftung von Speichern

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Welle eine Speicherwirkungslinie aufgestellt werden. Maßgebend ist dann die einhüllendeSpeicherwirkungslinie.

12.3.2 Speichergröße von Talsperren

Die Speichergröße von Talsperren ermittelt sich aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzungmeistens grundsätzlich verschieden zu Hochwasserrückhaltebecken. Die Bemessung richtet sichnach den gewünschten Sicherheiten gegen Versagen. Versagen einer Talsperre bedeutet hierz. B. die über das zulässige Maß hinausgehende Abgabe von Wasser an den Unterlauf infolgeHochwasser, das Reduzieren von Entnahmen aus der Talsperre aufgrund von Trockenperiodenoder das Nichteinhalten von Mindestabgaben an den Unterlauf.

Zur Bemessung sind verschiedene Verfahren möglich; dies sind das Summenlinienverfahren(SL), das Summendifferenzenverfahren (SDL), die stochastische Speichertheorie und Simulati-onsverfahren. Im Folgenden soll nur kurz auf das Summenlinienverfahren und auf Simulations-verfahren eingegangen werden.

Summenlinienverfahren: In diesem Verfahren werden Zuflüsse und Entnahmen aufsummiertund in einem Diagramm dargestellt. Mit einer gegebenen Anfangsfüllung werden überden betrachteten Zeitraum die Stellen im Diagramm betrachtet, die den größten vertika-len Abstand zwischen Zufluss- und Entnahmesummenlinie im Negativen wie im Positivendarstellen. Diese Abstände zusammen geben die Speichergröße an. Diese Vorgehensweisegilt für die Entnahme (QEntn=MQ). Für Entnahmen kleiner MQ gilt, dass an jedem Hoch-punkt der Zuflusssummenlinie die Neigung der der geforderten Entnahmensummenlinietangential angetragen wird. Dort, wo die vertikale Differenz zum nächsten oder einem dernächsten Tiefpunkte maximal wird, kann der für die Bemessung maßgebende Speicherbe-darf abgelesen werden. Das Summenlinienverahren ist in Abbildung 12.6 erläutert.

Simulationsverfahren: Mit der heutigen Computergeneration hat die Anwendung der oben ge-nannten Bemessungsverfahren an Bedeutung verloren, da die Realität mit mathematischenModellen in angemessener Zeit ausreichend genau abgebildet werden kann. Im Vergleichzu den anderen Verfahren besteht der Vorteil der Simulationstechnik darin, auch äußerst-komplizierte wasserwirtschaftliche Speichersysteme abbilden zu können. So werden dieBemessung der Speichergröße und die Suche nach einem möglichst optimalen Betriebs-plan heute am häufigsten durch Simulation ermittelt. Bei der Bemessung der Speichergrö-ße geht man oft den Weg, das System über funktionale Zusammenhänge mathematisch zubeschreiben. Als Input liegen die Zeitreihen über den Abfluss vor. Da diese meist zu kurzsind um eine abgesicherte Aussage treffen zu können, erzeugt man künstliche Zeitreihen,die aus den vorhandenen Daten abgeleitet werden.

Die Bemessung geht dann so vor sich, dass anhand mehrerer künstlich erzeugter Zeitreihenüber 100 oder 1000 Jahren mit unterschiedlichen Parametern (Abgaberegeln, Speichergrö-ße usw.) simuliert wird, bis die geforderte Wahrscheinlichkeit des Versagens erfüllt ist.

Simulationsverfahren haben gegenüber den anderen Verfahren den Vorteil auch komplizierteSysteme beschreiben zu können. Untersuchungen haben gezeigt, dass die Simulation (mit lan-gen künstlich erzeugten Zeitreihen) ähnliche bis gleiche Ergebnisse wie die stochastische Spei-chertheorie liefert. Ein einmal aufgestelltes und programmiertes Simulationsmodell hat den Vor-teil, dass Parameter leicht variiert werden können, wohingegen bei der Stochastik der Aufwand

12.3 Bemessung 91

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Abbildung 12.6: Das Summenlinienverfahren [7]

92 12 Bewirtschaftung von Speichern

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wesentlich größer wäre. Das Summenlinien- und Summendifferenzenverfahren sind beschränktnutzbar, wenn nur die historische Zeitreihe und die Annahme ”nie leerlaufen und nie vollaufen”benutzt wird. Mit künstlich erzeugten Zeitreihen und modifizierter Versagenshäufigkeit sind siedurchaus anwendbar.

12.3.3 Hochwasserentlastungsanlage

Bei der Bemessung der Hochwasseranlage werden folgende Annahmen getroffen:

• Der Abfluss durch Entnahmeanlagen darf nicht berücksichtigt werden.

• Das Becken ist bis zum Stauziel gefüllt.

• Die Retention kann berücksichtgt werden.

• Die Wiederholzeitspanne beträgt 1000 Jahre.

In diesem Fall kommt es auf den maximalen Abflussscheitel an. Von Bedeutung ist die Annah-me ”Becken bis Stauziel gefüllt”, die bedeutet, dass zuerst ein 100-jährliches Hochwasser undunmittelbar danach ein 1000-jährliches Hochwasser kommt.

Die Hochwasseranlage ist ausreichend dimensioniert, wenn zwischen höchstem Wasserstandund Sperrenkrone das notwendige Freiboard eingehalten wird. Dieser setzt sich zusammen ausWindstau, Wellenschlag, Eisstau und einem Sicherheitszuschlag.

12.3.4 Grundablass/Betriebsablass

Hier sei nur soviel angemerkt, dass sich die Bemessung hauptsächlich an die Anforderungen desStaubeckenbetriebs richtet. Kriterien hierfür sind

• die maximal zulässige schnelle Absenkung des Stauspiegels,

• die Abführung ausreichenden Abflusses bei abgesenktem Stau, und

• das Abflussvermögen des Gewässers unterhalb des Ablasses.

12.4 Betrieb

Bei der Bemessung oder dem Entwurf eines Speichers legt man eindeutig verschiedene Größenwie Speicherinhalt, Dimension und Lage der Entnahmeeinrichtungen, Hochwasserentlastungs-anlagen usw. fest. Der Betrieb bezieht sich dagegen auf die Zukunft des Speichers und bestehtaus Richtlinien (Regeln), die durchaus variabel sind, z. B.: wie groß soll die kontrollierte Abgabedurch den Betriebsablass für gegebenen Speicherinhalt, vorausgesagtem Zufluss, Schneevorrat,Speicherung in anderen Speichern des Systems, usw. sein. Dabei unterscheiden sich Talsper-ren von Hochwasserückhaltebecken, weil ein Hochwasserrückhaltebecken für nur einen Zweckerrichtet wurde und der Betrieb auch nur für diese Nutzung abgestimmt sein muss. Eine Tal-sperre aber muss i. d. R. mehrere Nutzungen erfüllen, und soll diese möglichst immer und imwirtschaftlichen Sinne möglichst optimal gewährleisten.

12.4 Betrieb 93

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12.4.1 Hochwasserrückhaltebecken

Die Steuerung von Hochwassereinzelspeichern stellt i. d. R. ein leicht lösbares Problem dar. Ab-bildung 12.7(a) bis 12.7(d) sind vier verschiedene Möglichkeiten der Steuerung dargestellt.

• In Abbildung 12.7(a) ist der Fall der ungesteuerten Abgabe dargestellt. Der Abfluss durcheinen Auslass mit konstantem Querschnitt führt zu einer Abhängigkeit des Abflusses vomWasserstand.

• In Abbildung 12.7(b) ist der Fall einer regulierbaren Drossel gezeigt, so dass das Stauvo-lumen ausreicht, um den Abfluss ins Unterwasser auf das gewünschte Maß zu reduzieren.Der konstante Regelabfluss führt zu einer Minimierung des Stauraums.

• Abbildung 12.7(c) zeigt die Auswirkung einer starren Einhaltung des Sollabflusses ohneRücksicht auf das Volumen der einlaufenden Welle. Dies führt bei Erreichen des maximalenStauvolumens zum Überlauf des Hochwasserspeichers, der damit einen wesentlichen Teilseiner Schutzfunktion verliert.

• In Abbildung 12.7(d) wird durch Erhöhung des Regelabflusses der Sollwert zwar über-schritten, jedoch wird das Überlaufen durch optimales Ausnutzen des Stauvolumens er-reicht.

(a) Ungesteuerter Speicher (b) Gesteuerter Speicher mit ausrei-chendem Stauvolumen

(c) Steuerung mit nicht angepassterRegelabgabe und Überlauf

(d) Erhöhung der Abgabe mit Verhin-derung des Überlaufs

Abbildung 12.7: Möglichkeiten zur Steuerung von Einzelspeichern

94 12 Bewirtschaftung von Speichern

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12.4.2 Talsperre

Je nach Nutzung der Talsperre und Bedeutung ihrer Wirkung als Versorger gibt es unterschied-liche Betriebsregeln. Diese Regeln sind für jede Talsperre unterschiedlich, besitzen aber gemein-same Merkmale.

Standard Betriebsregel: Die Standard Betriebsregel definiert ein Ziel (z. B. Trinkwasserabgabe,Niedrigwassererhöhung, Bewässerung ...) das solange wie möglich aufrecht erhalten wird.

Regelkurve: Die Regelkurve gibt für ein Jahr den Verlauf des Speicherinhalts an, der so weit wiemöglich eingehalten werden soll. Damit werden über das Jahr verteilt unterschiedlicheHochwasserschutzräume definiert sowie andere Anforderungen erfüllt.

Lamellenplan: Diese Pläne benötigen eine Einteilung des Speicherraums in Lamellen mitSpeicherober- und untergrenzen und dazugehörigen Abgaben. Je voller der Speicher (hö-here Lamelle), desto größer kann die Abgabe festgelegt werden. Für mehrere Speichersollte diese Betriebsregel die Abgaben so steuern, dass alle Speicherinhalte in der relativenLamelle bleiben.

Bezüglich des Speicherbetriebs von Talsperren wird unterschieden in Langzeitsteuerung undEchtzeitsteuerung.

Langzeitsteuerung: Die Langzeitsteuerung basiert auf der Grundlage langfristiger mittlererhydrologischer und wasserwirtschaftlicher Verhältnisse. Für die Langzeitbewirtschaftungwird der Stauraum einer Talsperre im Allgemeinen in Lamellen eingeteilt, die sich jahres-zeitlich ändern können. So wird zumeist in Monaten mit hohen Wahrscheinlichkeiten fürdas Auftreten von Hochwasser ein vergrößerter Hochwasserschutzraum vorgesehen.

Echtzeitsteuerung: Die Echtzeitsteuerung dient dagegen der Beherrschung aktuell auftretenderHochwasserereignisse, die vorhersagt werden. Die Abgabe ist dann nicht allein abhän-gig von der Jahreszeit, sondern vom unmittelbar erwarteten zufließenden Volumen undSpitzenabfluss. Ein solches Vorhersagesystem ist in Abbildung 12.8 dargestellt.

In Abbildung 12.9 ist die Struktur eines Einzelmehrzweckspeichers dargestellt. Für die Nut-zungsabgaben und das Volumen sind Regelkurven mit oberen und unteren Toleranzen ange-geben. Die Betriebsregel beinhaltet, die Sollregelkurven möglichst einzuhalten. Ist dies nichtmöglich, werden die Abgaben in einer vorzugebenden Reihenfolge verändert.

Sind mehrere solcher Speicher in einem System verknüpft, wird der Betrieb um eine Dimen-sion komplexer. Deshalb ist die Hauptaufgabe der Speicherbewirtschaftung, den zugewiesenenNutzen des Speichers bestmöglich gerecht zu werden. Eine Formulierung dieser Aufgabe alsmathematisches Optimierungsproblem ist zwar durchaus möglich, jedoch bestehen Probleme

• bei der Formulierung der Nutzen- und Kostenfunktionen, und

• bei der numerischen Lösung des Optimierungsproblems, wenn eine Vielzahl von Nutzenund Kosten mit nichtlinearen Funktion vereinbart sind.

12.4 Betrieb 95

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Abbildung 12.8: Monitoringsystem mit Simulation-und Steuerungsmodell

96 12 Bewirtschaftung von Speichern

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Abbildung 12.9: System eines Einzelmehrzweckspeicher mit Regelkurven (Modell RESIM)

12.4 Betrieb 97

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13 Anthropogene Einflüsse auf hydrologische Prozesse

Das natürliche Abflussgeschehen wird auf vielfache Weise durch menschliche Aktivitäten ge-stört. Dies können direkte Eingriffe in den Wassermengenkreislauf durch Speicherung, Entnah-me und Einspeisung sein, es können Veränderungen der Wassergüte durch Einleitung von In-haltstoffen in den Mengenkreislauf sein; letztlich können die Charakteristika der Einzugsgebieteselbst verändert werden. Dies sind vorwiegend Veränderungen der oberen Bodenzone.

Natürlich dürfen auch die globalen Veränderungen des Naturkreislaufs nicht vergessen wer-den. Schlagworte wie Abholzung des tropischen Regenwaldes, langfristige Klimaänderungenund Ozonloch sind wohl jedem bekannt. Die davon ausgehenden Gefahren sind nicht zu unter-schätzen. Im Rahmen dieses Umdrucks sollen aber im Wesentlichen die Probleme, die innerhalbüberschaubarer Einzugsgebiete und Planungsräume auftreten, betrachtet werden. Beispielhaftwerden anthropogene Einflüsse anhand des Bergbaus und der Landwirtschaft erläutert. Aberauch die Abfallablagerung und Siedlungstätigkeiten (hierzu siehe Kapitel 14) haben einen si-gnifikanten Einfluss auf hydrologische Prozesse.

13.1 Auswirkungen des Bergbaus auf den Wasserkreislauf

Deutschland ist ein traditionelles Bergbauland. Der Abbau von Steinkohle war eine wichtigeGrundlage für die rasche wirtschaftliche Entwicklung Deutschlands. Der Abbau der Braunkohleversorgt die Energiewirtschaft mit einem großen Anteil der benötigten fossilen Brennstoffe. Dieswird auch noch einige Zeit so bleiben. Bereits jetzt ist absehbar, dass noch lange nach dem fort-schreitenden Rückgang des Steinkohleabbaus und dem absehbaren Ende des Braunkohleabbausim nächsten Jahrhundert die wasserwirtschaftlichen Folgen der bergbaulichen Tätigkeit spürbarsein werden.

13.1.1 Braunkohleabbau

Es war das Ziel der Energiewirtschaft, in der alten Bundesrepublik ca. 120 Millionen TonnenBraunkohle pro Jahr abzubauen. Mit der Wiedervereinigung könnten in den neuen Bundeslän-dern große Mengen hinzukommen.

Die Auswirkungen auf den Wasserhaushalt entstehen durch das Trockenlegen der Tagebaue.Es ist zu bedenken, dass der Abbau in bis zu 400 m tiefen, bis zu mehreren hundert Quadratki-lometer großen, offenen Gruben erfolgt. Die Folgen sind

• weiträumige Grundwasserabsenkungen der oberen und unteren Grundwasserstockwerke,

• Sümpfungswasserableitung,

• Verminderung des Abflusses in Quellgebieten,

• Trockenfallen von Feuchtgebieten und

• Beeinträchtigung der Wasserversorgung.

Langfristige Probleme sind

99

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• Grundwasserqualitätsveränderungen,

• Restseefüllung und

• Ersatzwasserlieferung.

13.1.2 Steinkohleabbau

Der Steinkohleabbau erfolgt unterirdisch in bis zu 1200 m tiefen Gruben. In der alten Bundes-republik waren dies 80 Millionen Tonnen pro Jahr, davon ca. 63 Millionen im Ruhrgebiet. Diewesentlichen Auswirkungen auf den Wasserhaushalt sind

• Bergsenkungen

– Vorflutveränderungen (Gefälleveränderung und Deichbauten)

– Grundwasserbeeinflussung

– Schädigung wasserwirtschaftlicher und andere Anlagen

– Beeinträchtigung von Wasserschutzgebieten

• Wasserversorgung und -entsorgung

– hoher Beriebswasserverbrauch

– Abwasserableitung in offenen Gerinnen (vormals natürlich)

– Grubenwasserentsorgung (hoher Salzgehalt und hohe Temperatur)

13.2 Auswirkungen der Landwirtschaft auf den Wasserkreislauf

Die Landwirtschaft nimmt in großem, flächenhaftem Ausmaß Einfluss auf den hydrologischenKreislauf. Die Rodung großer Flächen des tropischen Regenwaldes ist das herausragende Bei-spiel. Ein anderes Beispiel ist, in geringem Ausmaß, die unkontrollierte Landwirtschaft imäthiopischen Hochland, die nicht nur notwendige Waldflächen, sondern auch die Abschwem-mung des fruchtbaren Oberbodens zur Folge hat. In viel geringerem Umfang geschieht diesauch in Europa, z. B. durch Intensivanbau von Monokulturen wie Mais. Dort, wo sich die Land-wirte Dünger und Pestizide nicht leisten können, sind die Probleme vorwiegend quantitativerArt, in Mitteleuropa spielt der Eintrag von Nähr- und Schadstoffen aber eine mindestens gleich-wertige Rolle. Insgesamt können die Einflüsse des Ackerbaus folgendermaßen zusammengefasstwerden:

• Veränderung der potentiellen Vegetation (die Vegetation, die sich ohne menschliche Betä-tigung einstellen würde) =⇒ Änderung des Gesamtwasserhaushalts

• Drainage⇒ Änderung des natürlichen Fließschemas

• Maschineneinsatz⇒ Kompression der oberen Bodenzone unterhalb der Pflugschar

• Nutzung ungeeigneter Flächen⇒ Erosion

100 13 Anthropogene Einflüsse auf hydrologische Prozesse

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14 Der hydrologische Kreislauf in Siedlungsgebieten

14.1 Grundlagen

Die Urbanisierung hat einen erheblichen Einfluss auf die hydrologischen Prozesse in Einzugsge-bieten. Die Versiegelung durch Gebäude und Straßen verändert die natürlichen hydrologischenProzesse in der Weise, dass nahezu der gesamte Niederschlag auf solchen Flächen immer raschabfließt; dies tritt bei unversiegelten Flächen nur dann auf, wenn nach langen Niederschlags-perioden der Boden keinen Niederschlag mehr aufnehmen kann. Neben der Veränderung desOberflächenabflusses erfolgen aber auch Veränderungen anderer Komponenten des Wasserhaus-halts wie der Grundwasserneubildung und der aktuellen Verdunstung sowie Veränderungen desEnergiehaushalts.

Die hohen oberflächenhaften Abflüsse sind insbesondere in Siedlungsgebieten unerwünscht.Es werden daher häufig Kanäle, die ohnehin zum Transport des häuslichen und industriellenAbwassers notwendig sind, so groß ausgelegt, dass sie zumindest bereichsweise auch Nie-derschlagswasser aufnehmen können. Da nach Zusammenführung der Kanäle von mehrerenTeilflächen die erforderliche Kapazität der Haltung wirtschaftlich nicht mehr zu vertreten istund die Reinigung des gesamten Abflusses in Kläranlagen technisch schwierig und ebenfallsunwirtschaftlich ist, wird an einigen, für das Kanalnetz geeigneten Stellen ein beträchtlicherTeil des Misch- oder Regenwassers über Entlastungsanlagen direkt in natürliche Fließgewässerabgeschieden

14.2 Die gegenseitige Beeinflussung von Energie- und Wasserhaushalt

Die Besonderheiten versiegelter Oberflächen und die hohe externe Energiezufuhr bewirken be-achtliche Veränderungen des Mikroklimas in Ballungsräumen. Dadurch werden die hydrolo-gischen Prozesse verändert, die von Strahlungs-, Wind- und Temperatureinflüssen bestimmtwerden. Dies sind im Wesentlichen die potentielle und folglich auch die aktuelle Verdunstung,sowie die Entwicklung von Schneedecken. Folgende wesentliche Zusammenhänge sind zu nen-nen:

• Hohe Strahlungsabsorption und reduzierte Windgeschwindigkeit erhöhen die Temperatur.

• Geringere aktuelle Verdunstung reduziert die relative Luftfeuchte.

• Höhere Temperaturen reduzieren die Schneedeckendauer und erhöhen die potentielleSchmelzrate.

14.3 Die Wasserbilanz versiegelter Flächen

Auf versiegelte Flächen fallende Niederschläge benetzen zunächst die Oberfläche; allerdings istderen Speicherfähigkeit erheblich geringer als die von unversiegelten Flächen. Da Wasser nurin geringem Umfang in tiefere Bodenschichten eindringen kann, erfolgt nach Auffüllung von

101

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Abbildung 14.1: Hydrologische Prozesse auf versiegelten Flächen

Unebenheiten und Mulden ein rascher oberflächenhafter Abfluss. Abbildung 14.1 zeigt dieseVorgänge.

Je nach Bebauungsart können sich unversiegelte und versiegelte Flächen rasch ablösen. Dieskann dazu führen, dass in unversiegelte Flächen infiltriertes Wasser lateral in die abgedeck-ten Bodenräume sickert. Die Infiltrationskapazität der unversiegelten Böden nimmt dann zu.Abbildung 14.2 zeigt eine solche Situation.

Abbildung 14.2: Austausch von Bodenwasser zwischen unversiegelten und versiegelten Flächen

Es kann davon ausgegangen werden, dass bei intensiver Durchmischung versiegelter undunversiegelter Flächen Oberflächenabfluss von den unversiegelten Flächen seltener auftritt alsbei zusammenhängenden versiegelten Flächen gleicher Größe. Der Oberflächenabfluss sammeltsich zunächst in kleinsten Rinnsalen, deren Größenordnung mehr und mehr zunimmt. Je nachLage im Einzugsgebiet fließt der Oberflächenabfluss dann einem klarer definierten Gerinne zu.

14.4 Das Abflussverhalten von Fließstrecken

Ein natürliches Fließgewässer bildet im Mittel- und besonders im Unterlauf unregelmäßigeFluss-Vorland-Systeme aus. Ausgedehnte Vorländer, häufig mit Bewuchs, speichern und verzö-gern den Hochwasserabfluss erheblich. Hydraulisch glatte offene oder geschlossene Gerinnehingegen bieten diese Möglichkeiten nicht. Sie transportieren eine Welle, solange die Kapazitätdes Gerinnes nicht überschritten wird, schnell in den Unterlauf. Ihre Retentionswirkung (Spei-cherung und Dämpfung) ist sehr gering. Dies gilt nicht nur für Kanalrohre, sondern auch füroffene betonierte Abwasserschalen oder auch grasbewachsene begradigte Flussabschnitte. Ein

102 14 Der hydrologische Kreislauf in Siedlungsgebieten

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wesentliches Merkmal solcher Gerinne ist, dass die Überschreitung der Kapazität häufig un-kontrolliertes Ausufern (Überlaufen) zur Folge hat. Die Fließrichtung ist dann, insbesondere instädtischen Gebieten, nicht mehr parallel zum vorgesehenen Kanal.

14.5 Speicher und Überläufe

Speicher sind in ihrer Kapazität begrenzt, d. h. sie laufen bei Überschreitung ihrer maximalenKapazität über. Daher werden Speicher und Überläufe gemeinsam betrachtet.

In stadthydrologischen Systemen sind Speicher häufig allseitig umschlossene Betonbauwerke.Sie verzögern den Abfluss entsprechend der hydraulischen Eigenschaften des Auslasses bzw.Überlaufes und des verfügbaren Speichervolumens und teilen den Abfluss in Komponenten auf.

14.6 Wasserwirtschaftliche Planung

Neben anderen Aufgaben besteht in der wasserwirtschaftlichen Planung u. A. die Aufgabe, dieAuswirkung menschlichen Handelns auf die natürlichen Prozesse bereits vor der Handlung zu-verlässig abzuschätzen. Nur so ist die vorausschauende Reduktion von Planungsfehlern undder Nachweis der beabsichtigten Wirkung einer geplanten Maßnahme möglich. Über zukünfti-ge Zustände kann es jedoch keine historischen Daten geben. Es ist daher notwendig, sich vorder Realisierung ein genaues Bild, und dies ist ein Modell, vom geplanten Zustand zu schaf-fen. Bei größeren komplexen, insbesondere dynamischen Systemen scheidet die Möglichkeitphysikalischer Modelle zumeist aus Kostengründen aus. Hier bietet sich die Formulierung einesmathematischen, physikalisch begründeten Modells aus. Zweck eines solchen Modells ist es, diewesentlichen Eigenschaften eines Systems darzustellen, ohne das System selbst zu reproduzie-ren.

Im Rahmen dieser Darstellung ist es nicht möglich, ein solches Modell ausführlich zu beschrei-ben. Abbildung 14.3 gibt jedoch einen Überblick über die Struktur eines geeigneten Modells. Dieunterschiedlich wirkenden Prozesse in unversiegelten und versiegelten Gebieten gehen daraushervor. Naturgemäß sind die urbanen Prozesse durch hydraulische Bauwerke stärker beeinflusstals die Prozesse in natürlichen Gebiete.

14.7 Ein Fallbeispiel

An einem Beispiel soll demonstriert werden, welchen enormen Einfluss die derzeitige Entwäs-serungstechnik in Siedlungen auf den Abfluss hat. Es wird dargestellt, wie dieser Einfluss mitHilfe von Modellrechnungen quantifiziert werden kann. Es werden abschließend Möglichkeitenaufgezeigt und diskutiert, wie die negativen Auswirkungen durch alternative Regenwasserbe-handlungskonzepte zumindest teilweise vermieden oder kompensiert werden können.

Das Untersuchungsgebiet:Der Lippeverband beabsichtigt, die Seseke, ein Nebenfluss der Lippe, in einen naturnahen

Zustand zurückzuführen. Während die Ortschaften im Oberlauf durch Mischsysteme entwässertwerden, ist die Seseke im Unterlauf mit ihren Nebenbächen ein offenes Abwassersystem miteiner Flusskläranlage an der Einmündung in die Lippe. Dieser Zustand ist bedingt durch die his-torische Entwicklung dieses dicht besiedelten Schwerindustriegebietes. Das Sanierungskonzept

14.5 Speicher und Überläufe 103

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Abbildung 14.3: Struktur eines komplexen hydrologischen Modells

sieht nun vor, die Ortsnetze über ein Hauptsammlernetz an einige dezentrale Kläranlagen anzu-schließen. Die zur Zeit kanalisierten Fließgewässer sollen im Längs- und Querprofil natürlichenGewässern ähnlich sein. Die Sanierungskonzepte sind denen des Emscherumbaus sehr ähnlich.Im Rahmen der Planung der Umgestaltung sind einige Fragen zu beantworten:

• Welches Abflussverhalten werden die Gewässer nach der Umgestaltung aufweisen?

• Welche Zuflüsse sind aus den unversiegelten Einzugsgebieten zu erwarten?

• Wie stark und wie häufig werden die Mischwasserkanalisationen die Gewässer belasten?

• Welche Maßnahmen sind geeignet, die Belastung der Gewässer aus Regenentlastungen aufein naturverträgliches Maß zu reduzieren?

Obwohl eine Reihe von Pegeln im Einzugsgebiet der Seseke vorhanden sind, sind deren Auf-zeichnungen nur in äußerst begrenztem Umfang für zuverlässige statistische Analysen ver-wertbar. Bei der gegebenen hohen Siedlungsdichte ist die Identifikation der Abflüsse aus un-versiegelten Flächen kaum möglich. Es ist schwierig zu beantworten, welche Anteile in Nied-rigwasserzeiten aus der Kanalisation, und welche aus dem Grundwasser stammen. Es wurdedaher versucht, die Beantwortung der genannten Fragestellungen durch die Abbildung des Ist-Zustands und möglicher zukünftiger Zustände mit einem komplexen hydrologischen Modell zuunterstützen. Als Testgebiet wurde das Einzugsgebiet des Braunebaches (ca. 5 km2) ausgewählt.Abbildung 14.4 gibt einen Überblick über das Testgebiet.

Der Braunebach ist ein direkter Nebenbach der Seseke, der bereits naturnah verändert wurde.Es wurde dabei deutlich, dass die Mischwasserentlastungen der Ortschaft den Naturhaushalt desBaches durch häufige und hohe Entlastungsereignisse sehr belasten.

Vorgesehen sind demnach zwei Regenüberläufe am Ende von zwei Teilsystemen und ein Re-genüberlaufbecken vor dem Hauptsammler zur geplanten Kläranlage. Das StAWA Lippstadt er-kannte, dass der Braunebach auch nach der Sanierung erhebliche hydraulische Stöße sowie

104 14 Der hydrologische Kreislauf in Siedlungsgebieten

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Abbildung 14.4: Einzugsgebiet des Braunebaches

beachtliche Stoffausleitungen aus den Entlastungen zu erwarten hat. Es wurden daher zusätz-lich zwei offene Ausgleichsbecken zwischen den Entlastungen und dem Bach vorgeschlagen.Das System aus unversiegelten und versiegelten Teileinzugsgebieten mit den Gewässern undKanälen geht aus Abbildung 14.5 hervor.

Abbildung 14.5: Gewässer-und Kanalsystem am Braunebach (Systemplan)

Datengrundlage:Die Modellrechnungen basieren auf folgender Datengrundlage:

• Topographische Karte 1:25000 (TK25)

• Generalentwässerungsplan

• Bodenkarte 1:50000

• Eigene Feldaufnahmen

• Kontinuierliche Zeitreihen für Niederschlag und Verdunstung

Bis auf die überaus hohe Stationsdichte für Niederschlagsschreiber kann die Datenverfügbarkeitfür die Bundesrepublik als repräsentativ gelten.

14.7 Ein Fallbeispiel 105

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Modellrechnungen:Es wurden folgende Systemzustände mit einer Langfristsimulation auf der Grundlage 5-

jähriger kontinuierlicher Niederschlags- und Klimazeitreihen durchgeführt:

• Simulation ohne Berücksichtigung jeglicher Besiedelung

• Simulation des im Generalentwässerungsplan vorgeschlagenen Systems

• Simulation gemäß Entwässerungsplan mit zusätzlichen Ausgleichsbecken

• Simulation mit dezentralem Rückhalt

Für ein 15-stündiges Niederschlag-Abfluss-Ereignis sind die Ergebnisse in Abbildung 14.6 dar-gestellt.

Abbildung 14.6: Vergleich der Simulationsläufe für Systemzustände

Es lassen sich nun Maßzahlen berechnen, die den Einfluss der Versiegelung quantifizieren.Bisher ist es Praxis, eine Statistik nur für das abgeschlagene Mischwasser (Volumen, Häufig-keit, Dauer) zu erstellen. Dies stellt eine reine Emissionsbetrachtung dar, die den momenta-nen Zustand des aufnehmenden Gewässers vollständig außer Acht lässt. Mit der gewähltenUntersuchungsmethodik ist es nun möglich, das momentane Verhältnis zwischen entlastetemMischwasser und dem unbeeinflussten Gewässerabfluss zu vergleichen. Dies ist eine kombi-nierte Emissions-/Immissionsbetrachtung, die für die Beurteilung der Gewässerbelastung derGewässer erheblich aussagekräftiger ist.

Durch die Anwendung von Langzeitsimulationen ist es möglich, Dauerlinien für die Abflüsseder unterschiedlichen Systemzustände zu berechnen. Ebenfalls können Dauerlinien für die Mi-schungsverhältnisse hinter den Entlastungen erstellt werden. Abbildung 14.7 gibt solche Dau-erlinien für den zweiten Regenüberlauf (RÜ2) wieder.

Die verzögerte Abgabe des entlasteten Mischwassers durch die Regenrückhaltebecken führtdazu, dass diese Variante den höchsten Spitzenabfluss erzeugt. Ausgleichsbecken können dasdurch die Versiegelung erzeugte zusätzliche Abflussvolumen reduzieren.

106 14 Der hydrologische Kreislauf in Siedlungsgebieten

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Abbildung 14.7: Dauerlinien für den Abfluss und die Mischungsverhältnisse

Um die Belastung weiter zu reduzieren, wurden zusätzliche Modellrechnungen durchgeführt.Es wurde untersucht, inwieweit sich die entlasteten Mischwassermengen nach Volumen undHäufigkeit reduzieren,

• wenn Häuser mit kleinen Speichern ausgestattet werden (0.02 m3/m2 = 20 mm Nieder-schlag).

• wenn relativ unbelastete in der Nähe des Gewässers gelegene Flächen direkt in den Bacheingeleitet werden.

• wenn ein Teil dieses Wassers versickert wird.

• wenn ein Teil der Flächen entsiegelt wird.

• wenn die dezentralen Maßnahmen kombiniert angewendet werden.

14.7 Ein Fallbeispiel 107

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Literaturverzeichnis

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[3] DYCK, S. ; PESCHKE, G.: Grundlagen der Hydrologie. Verlag für Bauwesen, 1995

[4] HARBOE, R.: Optimaler Betrieb wasserwirtschaftlicher Verbundsysteme mit Speichern undanderen Anlagen. Schriftenreihe des Instituts für Hydrologie und Wasserwirtschaft, Ruhr-Universitaet Bochum, Dissertation, 1985. – Heft 4

[5] HEYER, E: Witterung und Klima. 2. Auflage. B.G. Teubner Verlagsgesellschaft, 1972

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