Abstract für das Symposium DGGG/SG – Potsdam, 03.-06.08.2008
Im Spannungsfeld zwischen Mobilität und Sicherheit -
ReduFix-Praxis im methodischen Diskurs zwischen verschiedenen
Projekt- und Forschungszugängen zur Thematik der Freiheitsentziehenden Maßnahmen
Das Projekt ReduFix befasste sich zwischen 2004 und 2006 in einer cluster-randomisierten multizen-
trischen Interventionsstudie mit der Wirksamkeit multifaktorieller Interventionen zur Reduktion von
freiheitseinschränkenden Maßnahmen. 45 Pflegeheime aus Baden-Württemberg, Bayern und Sach-
sen nahmen an dem Modellvorhaben teil. Einziges Kriterium war, dass mindestens fünf Bewohner von
körpernahen Bewegungseinschränkungen betroffen waren. In das Projekt eingeschlossen wurden
grundsätzlich alle fixierten Bewohner innerhalb der Einrichtungen. Nach Randomisation begann für die
23 Interventionseinrichtungen das Programm sofort, für eine Wartekontrollgruppe mit 22 Heimen drei
Monate später. Die jeweils 3monatige Intervention bestand aus einer eintägigen Schulung, dem Ein-
satz von Hilfsmitteln und der Möglichkeit zur Beratung sowie einmaliger Vor-Ort-Konsultation während
der gesamten Interventionsphase. Primärer Endpunkt waren die Fixierungsprävalenzen in der Inter-
ventions- und Wartekontrollgruppe nach 3 Monaten. Zudem wurden die individuelle Fixierungsdauer
sowie die Inzidenz von Fixierungsmaßnahmen erhoben. Sekundäre Endpunkte waren Stürze, Sturz-
bedingte Verletzungen, Medikation und das Verhalten. Aus dem ursprünglichen ReduFix-Konzept
heraus entwickelte sich der Bedarf, die Anwendung von freiheitseinschränkenden Maßnahmen auf
breiter Ebene zu überdenken. 2006 begann mit PräFix ein Modellvorhaben zur Prävention von Gewalt
in der Langzeitpflege, gefördert von der Landesstiftung Baden-Württemberg. Im Rahmen dieses Pro-
jektes werden möglichst viele Einrichtungen des Landes geschult. Seit 2007 fördert das BMFSFJ Re-
duFix Praxis mit dem Ziel, Konzept, Inhalt und Haltung des Interventionskonzeptes bundesweit zu
implementieren. Über Multiplikatoren- und Zielgruppenschulungen wird das ReduFix-Wissen verbrei-
tet, regionale Kompetenzteams werden ausgebildet. Ziel ist der Aufbau eines bundesweiten Netz-
werks, gelungene Praxisbeispiele werden gesammelt. Eine Plattform für Öffentlichkeitsarbeit entsteht.
Das Projekt ist eingebettet in bereits bestehende Aktivitäten der Bundesländer zur Sensibilisierung für
und Minimierung von FEM. Damit werden bundesweit verschiedenste Vorgehensweisen erprobt, mit
unterschiedlichen Akteuren den Einsatz von freiheitseinschränkenden Maßnahmen zu reflektieren.
Datum
Thema
Sprecher
Reduktion von Fixierung
Prof. Dr. med. Doris BredthauerFachhochschule Frankfurt/Main
Fachbereich Gesundheit und Soziale Arbeit
„ReduFix Praxis“ - im methodischen Diskurs
„Zwischen Mobilität und Sicherheit – Freiheitsentziehende Maßnahmen im Fokus unterschiedlicher Projekt- und Forschungszugänge“
Gemeinsamer Kongresses der DGG/ÖGGG und DGGG/SGG „Alter(n) gestaltenPotsdam, 05.12.2008
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
1. Prävalenz: 26-42% (5-10% körpernah)
2. Keine Studie weltweit zeigt positiven Effekt von Fixierungen
3. Daten über negative Folgen (Verletzungen, Todesfälle u. indirekte Folgen) alarmierend
4. Interventionsprogrammezur Fixierungsreduktion(multifaktorielle Schulungen):
Fixierungen ↓↔Stürze ↔ ↑↓Sturzbedingtes Verletzungsrisiko ↓Verhalten (BPSD) ↔(↑)↓Psychopharmaka ↔↓Personalschlüssel ↔
Becker, 2003; Berzlanovic 2007; Bredthauer 2005;, Evans D 2002 (Systematic Review); Evans LK 2007, Testad 2005,Klie, Pfundstein 2002; Meyer, Köpke 2007; Mohsenian C 2002, Sailas E & Fenton M 2000 (Cochrane Systematic Review)
Stand des Wissens
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Studiendesign: Cluster-randomisierte kontrollierte multizentrische Interventionsstudie
Förderung: BMFSFJ und Robert Bosch Stiftung
Laufzeit: 2004-2006
Studienpopulation: 45 Altenpflegeheime (+ 1Pilot) Baden-Württemberg, Bayern, Sachsen(Power-Analyse)
Einschlußkriterium ≥ 5 fixierte Bewohner/Einrichtung
Endpunkte: Fixierungsprävalenz; -inzidenz, - Dauer, Stürze, Frakturen, Psychopharmaka, Verhalten
Intervention: Interdisziplinäres, multdimensionales Interventions-programm (Sensibilisierung, Schulung, Hilfsmittel, Coaching, etc.)
Ergebnisse: - Hohe Varianz der Prävalenzen: 0 – 34% (körpernahe Fixierung!)- Reduktion von Fixierungsprävalenz IG: 48/231 (20,8%), WG 15/133 (11,3%); p.021- Kein Anstieg von Psychopharmaka- Tendenziell Abnahme von herausfordernd. Verhalten bei entfixierten Bewohnern- Kein Anstieg sturzbedingter Verletzungen / Frakturen ( IG 2/231 vs. 2/133)- Hohe Akzeptanz der Mitarbeiter
Das ReduFix Projekt (RCT)
Reduktion von körpernaher Fixierung bei demenzerkrankten Heimbewohnern
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Interdisziplinäre Herangehensweisen
... „Wohl“ des Betreuten?
… Erforderlich?
… Verhältnismäßig?
… Stand wissenschaftlicher Erkenntnisse?
… Wirksam?
… Nutzen/ Schaden?
Haftungsängste
„Vollkasko“-Sicherheitsbedürfnis
Assymmetrie der Kommunikation
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Priv.-Doz. Dr. C. BeckerDr. P. KoczyU. RißmannD. BeischeGeriatrisches KompetenzzentrumRobert-Bosch-Krankenhaus Stuttgart
Prof. Dr. T. KlieA. KleinV. GuerraM. ViolS. BranitzkiKontaktstelle für praxisorientierte Forschungan der Evang. Fachhochschule Freiburg
Prof. Dr. D. BredthauerDenise LöwensteinFachhochschule Frankfurt am Main
Förderung: BMFSFJ
Laufzeit 07/2006 – 06/2009
Das Wissenstransfer- Projekt „ReduFix praxis“
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Wen wollen wir erreichen?
AKTEURE
Pflege, Einrichtungsträger
Wissenschaft
Fach- und Hausärzte
Industrie
Seniorenbeirat
NGO´s (z.B. Alzheimer Gesellschaft)
Selbsthilfegruppen
Beteiligte AKTEURE im Problemfeld FEM
Presse, Medien
Kostenträger
MDK, Heimaufsicht Schulen
Betreuungsbehörden, Gerichte
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
ReduFix Praxis - Bausteine
-Konzeptionelle und strategische Abstimmungmit den Ländern (polit. Eb.)
- Beratung und Begleitungder Länderaktivitäten und Implementierungsansätze
- Zentrale Veranstaltungen
-Schulungen von Multiplikatoren
- Zielgruppenspezifisch (Betreuer, Pflege, Ärzte, Richter, Heimaufsicht, etc.)
-Anlaufstelle fürfachspezifische Fragen
- Begleitung der Kompetenzteams
- Schaffung eines Kompetenznetzwerks
- Strateg. Beratung
- Übergreifende Öffentlich-keitsarbeit (Kampagne)
- Entwicklung zielgruppen-spezifischer (z.B. Leitfadenentwicklung) und
- interdisziplinärer Kom-munikationsstrategien(Entscheidungsprozess)
Zentrale Abschlussveranstaltung mit Ergebnispräsentation
Beiträge der Länder, z. B.:- Einbeziehung u. Darstellung bisheriger Aktivitäten u. Strukturen, Unterstützung bei der Aufbereitung u.Bestandsaufnahme- Identifikation von Kompetenzteampartnern, ggf. Netzwerkschaffung- Organisatorische und örtliche Unterstützung bei Veranstaltungen, - Nutzung von Qualifikationsnetzwerken, Einbeziehung des ReduFix Themas in die Fortbildungsprogramme der Länder- Kampagnen zur Sensibilisierung
Dokumentation und Evaluation der Prozesse
COACHING SCHULUNG CLEARING KOMMUNIKATION
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
ReduFix - Schulung
„Original“: Ganztägig (10-16 Uhr)
Methoden:
- Kurzvorträge: Wissensvermittlung
- Sensibilisierung/Selbsterfahrung/Praxisübung
- Kleingruppenarbeit
- Fallarbeit
Inhalte:
- Stand des Wissens: Definition, Prävalenz, Gründe, etc.- Risiken einer fachlich nicht korrekten Fixierung /
Konsequenzen für die Durchführung
- Medizinische und pflegerische Ursachenbehandlung/-behebung
- Rechtsgrundlagen und - fragen (incl. Haftung, etc.)
- Alternative Interventionsoptionen- Prozess der interdisziplinären Entscheidungsfindung
Pädagogische Konzepte:- Problemorientiertes Lernen (Glen&Wilkie 2001)
- Cognitive Apprenticeship (Collins et al. 1989)
- Action Learning (Donnenberg 1999)
Theorie-Praxis-Transfer: Kompetenzerwerb
Handlungssicherheit gewinnen!
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Bei unruhigen Bewohnern und/oder ungünstiger Körperform („Zylinder-“, „Birnen“- Form):
Zusätzlich „Diagonalfixierung“ erforderlich
Bauchgurt mit Seitenstabilisatoren + durchgehendes Bettgitter
BfArM: Information für Fachkreise, 04.12. 2003 www.bfarm.de/; letzter Abruf: 10.10.08Segufix Handbuch 2008
Sensibilisierung
Segufix™ Fixiergurtsystem, Foto: Ulrich Lindemann, Ulm
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Art. 2 II Grundgesetz
Rechtsfragen
Fixierungen
HeimG
SGB V, XI, Haftungsrecht
BGH-Urteile
Betreuungsrecht
Legitimation„State of the art“
FürsorgeWürde
SelbstbestimmungFreiheitsrechte
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Interdisziplinärer Prozess der Entscheidungsfindung
Analyse der Situation („Problemanalyse“)
Ursachenabklärung
Einschätzung der Alternativen
Maßnahmeplan
Treffen der Entscheidung (Optimal: Fallkonferenz)
Durchführung der Maßnahme
Beobachtung und Evaluation
Evans 2002 (Systematic Review), Bredthauer et al. 2005, DeSantis et al. 1997)
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Interdisziplinärer Prozess der Entscheidungsfindung
Analyse der Situation („Problemanalyse“)
Ursachenabklärung
Einschätzung der Alternativen
Maßnahmeplan
Treffen der Entscheidung (Optimal: Fallkonferenz)
Durchführung der Maßnahme
Beobachtung und Evaluation
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Hilfsmittel / Technik
Raum/ Umgebung
Pflegende / Organisation
Person mit Demenz und
Sturzgefährdung/ fordernden
Verhaltensweisen
Alternative Interventionen (risikospezifisch, individuell)
Grösstenteilsnur schwache oder fehlende Evidenz!
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Schulung von MultiplikatorenZiel:
ein bundesweites Netzwerk an interdisziplinären Multiplikatorenteams zu schaffen, die auf regionaler Ebene Einrichtungen d. stationären Altenhilfe, aber auch andere Zielgruppen schulen können.
Schulung:
Zweitägige Schulung von regionalen interdisziplinären Teams
Umgang mit den Materialien:
Die Folien können modifiziert werden.Inhaltliche Ergänzungen bitte dem Projekt zurückmelden.Alle fachliche Aspekte miteinbeziehen.
Begleitung und Evaluation:
Das Projektteam steht für fachliche Fragen zur Verfügung. (ggf. Hospitation)Unterstützung bei selbst durchgeführten WerbemaßnahmenEvaluation der Schulungen mit standardisierten Evaluationsbögen zentral durch das ReduFix-Team
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Zwischen“ergebnisse“Länderspezifische Veranstaltungen, z.B.:
Bayern: Amtsgerichte, Betreuungsbehörden, Ärzteschaft, Lehrer, Pflegeeinrichtungen/Träger, Heimaufsichten, Angehörigenverbände
Baden-Württemberg: Schulung von bisher 85 interessierten Pflegeinrichtungen durch Pflegewirt (5 qual. Untersuchung Erprobung bürgerschaftl. Engagement), Richter- und Heimaufsichtsveranstaltung i.R. v. „Präfix“,
Rheinland-Pfalz: Betreuungsnetzwerke, Richter, Heimaufsichten, Pflegereinrichtungen
Hessen: Betreuungsbehörden, Pflegeeinrichtungen, Hessentag, Heimaufsichten (geplant f. 2009)
Sachsen: zielgruppenspezifische Veranstaltungen für Betreuungsbehörden, Heimaufsichten, stationäre Pflegeinrichtungen Frühjahr 2009
Sachsen-Anhalt: Dreitägige Tagung für Betreuungsbehörden und Amtsgerichte. Ziel: Entwicklung eines „Prüf“eitfadens
ReduFix Multiplikatoren:
aktuell 21 „Multis“ nach Schulungen:
- „Mitte“ (NRW, Hessen): 05/2008, Frankfurt/Main- „Nord“ (NDZ) : 09/2008, Walsrode
- „Ost“ (Thüringen, Sachsen, Berlin, Bayern): 01/2009, Jena
Öffentlichkeitsarbeit/Messen, z.B. :- „Kampagne“
- Altenpfegemesse Hannover 2008: Abseilaktion, Forum
- Rehacare Stuttgart 2008: Symposium
- diverse Veröffentlichungen in der nationalen Fachpresse
- website: www.redufix.de
Hohe Resonanz in Fachwelt und Öffentlichkeit!
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Nachhaltigkeit ?
08/2008; S. 73-77
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Ausblick: „ReduFix ambulant“
Bild: Dt. Ärzteblatt 48, 28.11.2008, S. B2174
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Vielen Dank!
www.redufix.de
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
www.buko-qs.de
Aktuell noch kein juristisch bindender nationaler fachlicher Standard, aber:
www.kda.de
BfArM
Heimgesetz
Institutionsinterne Richtlinien (z.B. LWV)
BGH-Urteile vom 28.04. und 14.07.05
Handlungs-empfehlungen DED
www.vincentz.net
„Evidenzbasierte Praxisleitlinie zur Vermeidung von freiheitsein-schränkenden Maßnahmen in der beruflichen Altenpflege“ (laufendes BMBF-Projekt 2007-2010)
www.pfv-nord.uni-bremen.de/projekt6.htm
www.stmas.bayern.de/pflege/pflegeausschuss/fem-leitfaden.pdf
www.dnqp.de
www.buko-qs.de
ReduFix Praxis | Reduktion von Fixierung
Weiterführende Literatur
Bredthauer D (im Druck): Freiheitseinschränkende Maßnahmen (FEM). In: Stoppe G und Mann E: Geriatrie für den Hausarzt. VerlagHans Huber, Bern
Bredthauer D (2008): Wie können freiheitseinschränkende Maßnahmen vermieden werden? – Handlungsempfehlungen aus den ReduFix-Projekten. BtMan 4:208-212
Bredthauer D (2006): Können Fixierungen bei dementen Altenheimbewohnern vermieden werden? BtMan 4:184-190
Bredthauer D (2006): Wenn Verhaltensprobleme die Betreuung von Demenzpatienten erschweren. MMW-Fortschr Med 51-52: 38-42
Hoffmann B, Klie T (Hrsg): Freiheitsentziehende Maßnahmen. Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen in Betreuungsrecht und Praxis. Müller, Heidelberg, 2004, S. 75-130
Klie T(2006): Der Einsatz von Sensormatten als Hilfsmittel in Pflege und Betreuung unter haftungs-, betreuungs- und heimrechtlichen Gesichtspunkten. PflR 04:152-159
Koczy, P, Klie T, Kron M, Bredthauer D, Rissmann U, Branitzki S, Guerra V, Klein A, Pfundstein T, Nikolaus Th, Sander S, Becker C (2005): Effektivität einer multifaktoriellenIntervention zur Reduktion von körpernaher Fixierung bei demenzerkrankten Heimbewohnern. Ziele und Studiendesign einer prospektiven clusterrandomisiertenInterventionsstudie. Z Gerontol Geriat 38: 33-39
ReduFix (2006): Reduktion von körpernaher Fixierung bei demenzerkrankten Heimbewohnern. Tagungsbericht zum Modellvorhaben. Abschlussbericht. Herunterzuladen unter: http://www.efh-freiburg.de/Dokumente/agp/00%20Tagungsbericht.pdf