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Im Dialog mit Lk 19,1-10 - Theologische Fakultät · 2014-02-07 · So traf ich die Entscheidung...

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Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Theologische Fakultät Institut für Praktische Theologie Hauptseminar: „Homiletik II (010041)“ SS 2009 Im Dialog mit Lk 19,1-10 Eine Predigtarbeit Verfasst von: Antonia Elisa Gehrmann Adresse: Hofstraße 17, 24143 Kiel Telefon: 0431/8893670 oder 0163/4899185 E-Mail: [email protected] Studiengang: Ev. Theologie auf Pfarramt Fachsemester: 8 Eingereicht am: 10.11.2010
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Page 1: Im Dialog mit Lk 19,1-10 - Theologische Fakultät · 2014-02-07 · So traf ich die Entscheidung über Lk 19,1-10 zu predigen. Ganz im Sinne der Theorie des Bibliologs begann ich

Prof. Dr. Uta Pohl-Patalong Christian-Albrechts-Universität zu Kiel, Theologische Fakultät Institut für Praktische Theologie Hauptseminar: „Homiletik II (010041)“ SS 2009

Im Dialog mit Lk 19,1-10 Eine Predigtarbeit

Verfasst von: Antonia Elisa Gehrmann

Adresse: Hofstraße 17, 24143 Kiel

Telefon: 0431/8893670 oder 0163/4899185

E-Mail: [email protected]

Studiengang: Ev. Theologie auf Pfarramt

Fachsemester: 8

Eingereicht am: 10.11.2010

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Inhaltsverzeichnis

I. Prolog .......................................................................................................................... 3

II. „Schön dich kennenzulernen“ (Erstbegegnung mit dem Predigttext) ....................... 3

III. „Wo kommst du her?“ (Exegetische Überlegungen) ................................................ 5

IV. „Wovon sprichst du?“ (Systematisch-theologische Überlegungen) ....................... 10

V. „Was mich an dich erinnert“ (Impulse aus Alltag und Kultur) ................................. 13

VI. „Das muss ich bedenken“ (Homiletische Reflexion) ............................................... 15

VII. „Das bist du, so wie ich dich sehe!“ (Der Predigttext) ........................................... 17

VIII. Literaturverzeichnis ............................................................................................... 22

IX. Anhänge .................................................................................................................. 24

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I. Prolog

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Antonia und ich studiere Theologie.

Ich habe vor über dich zu predigen – oder besser: mit dir zu predigen. Hast du

Lust dich auf dieses Unterfangen einzulassen?“

II. „Schön dich kennenzulernen“ (Erstbegegnung mit dem

Predigttext)

„Welcher Text ist wohl der richtige?“ Diese Frage galt es zu beantworten. Drei

Texte standen mir zur Auswahl: Die Fürbitte Mose für das Volk Israel (Ex 32,7-

14), Zachäus der Zöllner (Lk 19,1-10) und der Tugendkatalog (Kol 3,12-17).

Instinktiv entschied ich mich sofort gegen den Kolossertext. Er wirkte auf mich

schwer verständlich und irgendwie fremd bzw. sperrig. Da ich eine ganz

bestimmte Hörerschaft vor Augen hatte1, suchte ich nach einem Text, der

leicht an die Lebenssituation dieser Menschen anknüpfen könnte und in

welchen sie sich selbst leicht hineinversetzen könnten. Der Text aus dem Buch

Exodus schien mir dafür schon geeigneter. Das spannende „Schachern“

zwischen Mose und Gott hätte ich gut in einer narrativen Predigt darstellen

können. Doch fühlte ich bei diesem Text ein leichtes Unbehagen: Das im Text

gezeichnete Gottesbild passte irgendwie nicht so richtig zu meinem eigenen.

Das wäre natürlich auch ein guter Ansatzpunkt für eine Predigt gewesen. Ich

wollte jedoch noch näher an meine zukünftigen Hörer heran, mehr an ihre

Gefühlswelt anknüpfen.

Schließlich führte ein Bibliolog zu meiner Entscheidung für die Erzählung über

Zachäus. Bei diesem Bibliolog ließ ich meiner Phantasie freien Lauf: So lieh ich

zum Beispiel einer Frau aus der Volksmenge meine Stimme. Sie hatte die

ganze Zeit auf Jesus gewartet und nun mit angesehen, wie er Zachäus

bevorzugte – ja sogar mehr noch – nur ihn beachtete! Das „weiße Feuer“ des

1 Siehe Kapitel VI. „Das muss ich bedenken.“ (Homiletische Reflexion), 15ff.

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Textes loderte wie wild auf. Wie muss sich diese Frau fühlen? Wie fühlt sich

Zachäus? Wieso handelt Jesus so? Mir wurde schnell klar: Dieser Text ist voll

von Emotionen verschiedenster Art: Trauer, Wut, Freude, Unsicherheit,

Scham, Neid, Verwirrung, Stolz, Missgunst, Verzweiflung – die Liste der

Gefühle wurde immer länger. Interessanter Weise finden sich in dem

Bibeltext, also in dem „schwarzen Feuer“, explizit nur wenig Angaben über die

Gefühlszustände der Protagonisten. Ich empfand es also sofort als eine

Herausforderung diese „Leerstellen“ des Textes zu füllen bzw. auf sie

aufmerksam zu machen, damit die Hörer und Hörerinnen sie selbst füllen

könnten. Ich konnte die Lebensrelevanz dieses Textes gut an meiner eigenen

Person spüren. So traf ich die Entscheidung über Lk 19,1-10 zu predigen.

Ganz im Sinne der Theorie des Bibliologs begann ich nun mit dem „weißen

Feuer“ zu spielen.2 Dies konnte ich nur mit Hilfe des Bibeltextes selbst. Ich

begann den Text an verschiedenen Orten – oft auch laut – zu lesen. Ich

empfand es als sehr hilfreich den Text meinen Freunden vorzulesen.

Kommentare wie „Boah, wäre ich sauer auf Jesus“ oder „Zachäus hat sie doch

nicht mehr alle – auf einen Baum klettern – das ist doch lächerlich“ waren

impulsgebend für mich. Ferner half mir der Besuch eines Konzertes mich in

die Situation hineinzuversetzen: Da so viele Menschen vor der Bühne waren,

begab ich mich alleine auf die Empore, da es mir unangenehm war, von so

vielen Menschen umgeben zu sein. Zuerst fühlte ich mich glücklich und clever.

Doch nachdem ich länger auf die tanzenden Menschen unter mir geschaut

hatte, fühlte ich mich alleine. Ich war gewissermaßen nicht mehr „im

Geschehen“. So ging mir durch den Kopf, dass Zachäus vielleicht ähnlich

gefühlt haben könnte. Schließlich kristallisierten sich für mich drei

Blickrichtungen heraus, denen ich näher nachgehen wollte:

1.) Was geht in Zachäus vor, wie erlebt er das Geschehen? 2.) Wie könnten

sich die verschiedenen Menschen in der Volksmenge, die auf Jesus warten,

2 Vgl. dazu: Pohl-Patalong, Uta, Bibliolog. Impulse für den Gottesdienst, Gemeinde und Schule.

Band 1: Grundformen, Stuttgart 2009, 35-36.

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fühlen, wie beurteilen sie die Szene? 3.) Was könnten Jesu Beweggründe sein

so zu handeln bzw. was trägt sein Handeln für mein Gottesbild aus?

III. „Wo kommst du her?“ (Exegetische Überlegungen)

Übersetzung3 von Lk 19,1-10:

¹ Und er kam nach Jericho und zog hindurch.

² Und da war ein Mann, der mit dem Namen Zachäus gerufen wurde, und

derselbe war Oberzöllner, und derselbe war sehr reich.

³ Und er suchte zu sehen, wer dieser Jesus sei, und er konnte es nicht

aufgrund der Menschenmenge, denn er war klein von Gestalt.

⁴ Und er lief voraus und stieg auf einen Maulbeerfeigenbaum, um ihn sehen

zu können, denn jener war im Begriff, dort vorbeizukommen.

⁵ Und als Jesus an die Stelle kam, blickte er hinauf und sagte zu ihm: Zachäus

steig schnell herab, denn heute muss ich in deinem Haus einkehren.

⁶ Und er stieg schnell herab und nahm ihn voller Freude gastlich auf.

⁷ Und alle, die dies sahen, murrten durcheinander und sagten: Er ist bei einem

sündigen Mann eingekehrt um Rast zu machen.

⁸ Zachäus aber stellte sich vor den Herrn und sagte: Siehe, die Hälfte meines

Vermögens, Herr, werde ich den Armen geben und wenn ich von

irgendjemandem etwas erpresst habe, werde ich es vierfach zurückgeben.

⁹ Jesus aber sagte zu ihm: Heute ist diesem Haus Heil geschehen, denn auch er

ist ein Sohn Abrahams.

;: Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und zu retten, was

verloren ist.

3 Dem Text liegt die Fassung des NTG²⁷ zugrunde. Im textkritischen Apparat sind einige andere

Lesarten zu finden, die z.T. auch gut bezeugt sind. Inhaltlich haben sie jedoch für meine Predigt nichts ausgetragen. Deswegen fehlt an dieser Stelle eine ausführliche Textkritik.

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Vorweg möchte ich erwähnen, dass ich im Folgenden nur die exegetischen

Überlegungen ausführe, die relevant für die Entstehung bzw. die Gestaltung

meiner Predigt sind.

Als äußerst wichtig empfinde ich die Kontextanalyse. Das Wechselspiel

zwischen Text und Kontexten macht sowohl Parallelen als auch Spannungen

deutlich, die meine Predigt inspiriert haben. Die Geschichte von Zachäus zählt

zum lukanischen Sondergut. Lukas (im Folgenden abgekürzt mit Lk) setzte

diese Erzählung an das Ende des Reiseberichtes von Galiläa nach Jerusalem (Lk

9,51-19,27)4. Die Perikope wird auch als Zusammenfassung der lukanischen

Soteriologie gesehen.5 Dafür spricht, dass sich hier zahlreiche lukanische

Themen begegnen und aufeinander beziehen, wie z.B.: Der Reichtum, das

Heil, die Identität Jesu, die Sünderannahme, die Abrahamskindschaft oder die

Suche nach dem Verlorenen. Ferner könnte man den Abschnitt, in dem diese

Geschichte steht, auch als „Evangelium der Ausgestoßenen“6 (Lk 15-19)

bezeichnen, da die Protagonisten der Erzählungen dieses Abschnittes fast

allesamt gesellschaftlich Geächtete sind: Zöllner, Reiche, der unehrliche

Verwalter und der verlorene Sohn.

Jesus befindet sich in Jericho und rettet den verlorenen Zachäus. Dieser ist

trotz seines Reichtums nicht glücklich, da er sich in der Liebe zum Besitz

verloren hat. Direkt vor dieser Erzählung berichtet Lk von einer weiteren

Rettungstat Jesu: Er heilt einen blinden Bettler, nahe bei Jericho (Lk 18,35-43).

Sowohl der blinde Bettler als auch Zachäus muss sich dem Widerstand der

Menge widersetzen. Beide suchen und finden ihr Heil in der Gemeinschaft mit

Jesus. In diesen Erzählungen tritt Jesus als Retter der Verlorenen auf (Lk

19,10) und dies erinnert stark an die Gleichnisse von der Freude am

wiedergefundenen Verlorenen (Lk 15, 1-32). Die Thematik vom „Suchen und

Finden bzw. dem Verlorensein“ sticht also schon im Kontext stark hervor. Für

4 Vgl. Schnelle, Udo, Einleitung in das Neue Testament, Göttingen ³1999, 264.

5 Vgl. Klein, Hans, Das Lukasevangelium (KEK I/3), Göttingen 2006, 599 und Schneider,

Gerhard, Das Evangelium nach Lukas. Kapitel 11-24 (ÖTK 3/2), Gütersloh 1977, 376. 6 Vgl. Bovon, François, Das Evangelium nach Lukas (EKK III/3), Düsseldorf und Zürich 2001,

266.

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meine Predigt ist sie ebenfalls von großer Bedeutung. Es lässt sich gut damit

spielen: Wer sucht wen? Wer findet wen/was bzw. wer wird gefunden? Wer

ist verloren und wie äußert sich das? Diesen Fragen gehe ich in meiner Predigt

zusammen mit meiner Zuhörerschaft auf der Spur. Zugleich bildet Zächaus

eine Kontrastfigur zum reichen Jüngling (Lk 18,18-23). Der sozial anerkannte,

reiche Jüngling, hängt im Gegensatz zur Spottfigur des Zachäus so sehr an

seinem Besitz, dass er Jesu Einladung nicht folgen kann. An dieser Stelle

folgert Lk noch: „Denn es ist leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe,

als dass ein Reicher in das Reich Gottes komme“ (Lk 18,25). Die kurz darauf

folgende Erzählung von Zachäus bildet nun aber einen großen Kontrast zu

dieser Aussage, die dem Leser des Evangeliums, sicher noch gut in Erinnerung

ist.7 Es scheint also kein Zufall zu sein, dass Lk diese beiden Geschichten in

einer so großen Nähe zueinander komponierte. Jesus soll der Retter aller

Menschen sein, die verloren sind: Der Retter der Armen und der Reichen. Die

Botschaft Jesu ist nicht nur eine „Religion der kleinen Leute“8.

Betrachtet man den Text unter begriff- und motivgeschichtlichen Aspekten,

sind besonders folgende Überlegungen relevant:

Der Name „Zachäus“ entspricht dem hebräischen yK;z; d.h. der Reine, der

Gerechte. Da der Name semitisch ist, muss der Träger ein Jude sein.9 Lk

schenkt der Etymologie des Namens jedoch keine besondere Beachtung.

Jedoch tritt der bedeutungsträchtige Name offensichtlich in ein

Spannungsverhältnis zur sonstigen Bezeichnung von Zachäus als Sünder (V. 7:

amartwloj). Ein Sünder der gleichzeitig ein Gerechter ist - wie bzw. warum

bringt man das zusammen?10 Ich gehe davon aus, dass Lk um die

7 Damit diese Spannung auch meinen Hörern und Hörerinnen auffällt, habe ich dieses Zitat in

meiner Predigt einer Frau aus der Menge in den Mund gelegt. Ich lasse dieses jedoch bewusst unkommentiert, da ich die Spannung nicht selbst auflösen möchte, sondern Raum für eigene Gedanken schaffen möchte. 8 Klauck, Hans-Josef, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte des Lukas (SBS 167),

Stuttgart 1996, 38. Das Adjektiv „klein“ bezieht sich in diesem Zusammenhang nicht auf die Körpergröße des Zachäus. 9 Vgl. Bovon, Lukas, 272.

10 Auf diese Frage wird noch im Abschnitt der systematisch-theologischen Überlegungen

näher einzugehen sein, vgl. Kapitel IV. „Wovon sprichst du?“ (Systematisch-theologische Überlegungen), 10ff.

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etymologische Herkunft dieses Namens gewusst hat. Meine Vermutung ist,

dass die frühe Nennung des Namens in der Geschichte schon ein Hinweis auf

deren Ende ist.11 Die Spannung zwischen den beiden Begriffen „Gerechter“

und „Sünder“, die auf dieselbe Person angewandt werden, halte ich

theologisch betrachtet für äußerst reizvoll. Insofern bin ich auf die

Namensgebung des Zachäus in meiner Predigt explizit eingegangen.

Das Verb „suchen“, griechisch „zhtw“, kommt in V.3 vor und wird an dieser

Stelle häufig mit „wollen“ übersetzt. Ich habe mich jedoch ganz bewusst für

die ursprüngliche Bedeutung „suchen“ entschieden. Zum Einen hebt diese

Übersetzung noch einmal hervor, dass diese Perikope unter der

Berücksichtigung ihres Kontextes, also u.a. der Thematik vom „Suchen und

Finden“ zu lesen ist.12 Zum Anderen wird diese Vokabel von Lukas häufig im

metaphorischen Sinn gebraucht und kann die Suche nach Wahrheit,

Gesundheit, einen Sinn im Leben oder nach Heil bezeichnen.13 Meines

Erachtens hat sich Lk an dieser Stelle bewusst für das Verb „zhtw“

entschieden, um die oben genannten Deutungsrichtungen in den Text

hineinzuarbeiten. Er hätte andernfalls schlicht das Verb „qelw“ verwenden

können.14 Diese Überlegungen waren für meine Predigt insofern ertragreich,

als dass ich mich gefragt habe, was Zachäus denn überhaupt sucht. Eben diese

Frage habe ich in meine Predigt eingebaut und Überlegungen darüber

angestellt.

Schließlich empfinde ich eine zeit- und sozialgeschichtliche Betrachtung des

Begriffs des Oberzöllners, griechisch „arcitelwnhj“ (V.2) als unbedingt

notwendig. Zachäus zählt als Oberzöllner zur oberen Mittelschicht der

Gesellschaft. Als Oberzöllner ist er Hauptpächter und Geschäftsführer einer

11

Vgl. Nolland, John, Luke 18:35-24:53 (WBC 35c), Dallas 1993, 904: “The name could point to the man’s destiny beyond this encounter with Jesus”. 12

In Lk 11,9 verkündet Jesus: „Sucht und ihr werdet finden“. 13

Vgl. Bovon, Lukas, 272-273. 14

Gestützt wird die These durch die Tatsache, dass Lk das Verb „qelw“ in 23,8 in fast paralleler Weise für Herodes verwendet.

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Steuer-Pachtgesellschaft.15 Er handelt dabei selbstständig und beschäftigt

Unterpächter zum Einziehen von Steuern (z.B. für Brücken- und Wegesteuer,

Marktsteuer, Salzsteuer) und anderen Gebühren (z.B. Zölle für Ex- und

Import). Zachäus musste das Recht zur Einziehung von Steuern und Gebühren

pachten, und zwar ein Jahr im Voraus. So liegt der Schluss nahe, dass Zachäus

ein reicher Mann war. Denn nur reiche Menschen konnten es sich leisten die

Gesamtsumme der Abgabenpacht für ein Jahr im Voraus an den Staat zu

zahlen. Dieses Geld musste der Oberzöllner sich dann im Laufe des Jahres

wieder erarbeiten. Er war dann jedoch selbst dafür zuständig wieder auf seine

Kosten zu kommen bzw. sogar Gewinn zu machen. Mit einer

unternehmerischen Begabung, wozu vielleicht auch eine gewisse

Skrupellosigkeit zählt, konnte man sich als Oberzöllner ein ansehnliches

Vermögen erarbeiten – auf Kosten der Bevölkerung. Demnach genossen

Zöllner keinen guten Ruf. Als Repräsentanten der herrschenden Schicht und

zugleich mitleidlose Geschäftsmacher fühlte sich ein Großteil der damaligen

Bevölkerung von Zöllnern ausgebeutet und sogar bedroht: Häufig wurden

Gelder auch unter „Zuhilfenahme von Gendarmen und Soldaten mit

Polizeifunktion“16 eingetrieben.

Die Erkenntnisse dieser Analyse habe ich fast vollständig in meine Predigt

eingearbeitet. Denn ohne diese „Zusatzinformationen“ würde meine

Hörerschaft evtl. gar nicht verstehen, weshalb Zachäus als „Sünder“ (V.7)

bezeichnet wird. Heute könnte man mit dem Begriff Zöllner vielleicht eher

einen Beamten assoziieren, „der an einer Landesgrenze in seinem

Zollhäuschen sitzt und von Zeit zu Zeit Stichkontrollen macht“17. Ferner half

mir diese Betrachtung der sozialhistorischen Umstände ein Bild von der

Lebenssituation des Zachäus zu zeichnen. Nur so konnte ich dem nachspüren

was Zachäus dazu bewegte auf einen Baum zu klettern, um Jesus zu sehen.

15

Vgl. Eckey, Wilfried, Das Lukasevangelium. Unter Berücksichtigung seiner Parallelen. Teilband II: 11,1 – 24,53, Neukirchen-Vluyn 2004, 781-783. 16

Ebd., 782. 17

Ebner, Martin und Heininger, Bernhard, Exegese des Neuen Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis, Paderborn 2005, 254.

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IV. „Wovon sprichst du?“ (Systematisch-theologische Überlegungen)

„Simul iustus et peccator“ – diese reformatorische Grundaussage ging mir als

erstes durch den Kopf, als ich Lk 19,1-10 unter systematisch theologischen

Aspekten betrachtete. Zachäus ist sowohl ein Sünder, als auch ein Gerechter.

Beide Begriffe werden auf ihn angewandt im Text. Wie bereits erwähnt deutet

der Name „Zachäus“ meines Erachtens auf die Bestimmung seiner Person

hin.18 Doch bevor Zachäus auf Jesus trifft ist er zunächst einmal „nur“ ein

Sünder. Doch was ist damit gemeint? Eigentlich müsste man denken, dass

Zachäus sein Leben im Griff hat. Er ist reich und kann sich und seiner Familie

ein schönes Leben bereiten. Zachäus hat viel mehr, als er zum Leben

eigentlich bräuchte. Wilfried Joest beschreibt in seiner Dogmatik die Sünde

u.a. als eine „Sucht nach ‚Haben‘; als das Verlangen sich anzueignen und für

sich selbst zu genießen und zu verbrauchen, was immer er [der Mensch, A.G.]

erreichen kann.“19 Diese Besitzgier - oder traditionell gesprochen:

Konkuspiszenz - hat einerseits Auswirkungen auf das Verhalten zu den

Mitmenschen und andererseits bewirkt sie eine Abkehr von Gott. Diese

Kennzeichnung von Sünde trifft meines Erachtens gut auf die Situation von

Zachäus zu: Seine Gewinnsucht hat ihn zu einem Ausgestoßenen gemacht. Er

hat die Menschen um sich herum betrogen und jetzt verachten sie ihn.

Zugleich fehlt Zachäus der Zugang zu bzw. die Zusicherung von Gottes Liebe.

In diesem Sinne möchte ich den Zustand von Zachäus als Sünder mit dem

Begriff „Entfremdung“, geprägt von Paul Tillich, zusammenbringen. Zachäus

(der Mensch im Allgemeinen) lebt im Zustand der Entfremdung. Er ist

entfremdet „vom Grund des Seins *also von Gott, A.G.], von den anderen

Wesen und von sich selbst“.20 Ich persönlich ziehe den Begriff „Entfremdung“

der Bezeichnung „Sünde“ vor. „Entfremdung“ weist darauf hin, dass der

Mensch (so auch Zachäus) ursprünglich zum Sein (zu Gott) dazugehört und

auch jetzt nicht komplett von ihm getrennt ist.

18

Vgl. Kapitel III. „Wo kommst du her?“ (Exegetische Überlegungen), 5ff. 19

Joest, Wilfried, Dogmatik. Band 2: Der Weg Gottes mit dem Menschen, Göttingen ⁴1996, 402. 20

Tillich, Paul, Systematische Theologie. Band II, Stuttgart 1958, 52.

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Doch warum begibt sich Zachäus auf die Suche nach Jesus? Selbstverständlich

bleiben alle Antwortversuche hypothetisch. Vielleicht ist Zachäus getrieben

von der Sehnsucht nach einem erfüllten Leben.21 Er hat bemerkt, dass

irgendetwas nicht richtig ist. Wilfried Härle merkt an, dass hinter dem Gefühl

des Wohlstandes die Angst stehen kann „selbst verlorenzugehen, das Leben

zu verfehlen, oder nicht zu schaffen“.22 Eventuell hat Zachäus eine ähnliche

Angst verspürt. Dieser Aspekt greift die immer wiederkehrende Thematik des

„Verloren-Seins“ auf. Nun „sucht“ Zachäus nach einem Ausweg aus seiner

Situation, aus welcher er aus eigener Kraft nicht heraus kommt.

Möglicherweise weiß Zachäus auch überhaupt nicht wonach er sucht bzw.

warum er Jesus sehen möchte. Vielleicht lassen sich die Beweggründe von

Zachäus am besten als ein Paradox beschreiben: „Solange er *Zachäus, A.G.]

Christus nicht begegnet ist, wünscht er sich und wünscht sich gleichzeitig nicht

das Kommen seines Herren.“23 Luther formuliert es folgendermaßen: „Die

Seele strebt nicht danach, wonach sie strebt, und was sie nicht erstrebt, das

erstrebt sie, denn sie weiß nicht, was sie erstrebt.“24 Diese Ambivalenz

zwischen dem gerechten und dem schuldigen Zächaus habe ich versucht in

meiner Predigt aufzuzeigen. Diese Zwiespältigkeit ist ein sehr guter

Ansatzpunkt für mich und meine Hörerschaft, sich mit Zachäus zu

identifizieren. Denn was der Theologe und die Theologin als „simul iustus et

peccator“ formulieren, bezeichnen Andere vielleicht schlicht als „menschlich“.

Wie bereits erwähnt ist Zachäus nicht nur Sünder, sondern auch ein

Gerechter. Jedoch wird er zum Gerechten gemacht. Dies geschieht durch die

Person Jesu Christi. Traditionell lutherisch gesprochen ist die Erzählung von

dem Zöllner Zachäus ein Rechtfertigungsgeschehen par excellence. Jesus ruft

Zachäus bei seinem Namen: Der Gerechte.25 Er holt ihn vom Baum und kehrt

21

Vgl. Härle, Wilfried, Dogmatik, Berlin ²2000, 189-190. 22

Ebd., 189. 23

Bovon, Lukas, 280. 24

„Anima quod petit non petit, et quod non petit hoc petit, quia nescit quod petit *…+.” Luther, Martin, Predigt vom 13.10.1516, in: WA 1, (95) 94-98. 25

Vgl. Lk 19,5. Es bleibt jedoch unklar woher Jesus diesen Namen kennt. Er könnte ihn von der Volksmenge gehört haben. Das Wissen um den Namen könnte jedoch auch Teil göttlicher Vorhersehung sein.

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in sein Haus ein. Jesus wendet sich Zachäus zu, stellt eine Beziehung zu ihm

her. Wichtig dabei ist: Jesus stellt keine Vorbedingungen. Zachäus musste

nicht vorher sein Leben besonders gerecht und fromm führen, damit Jesus

bzw. Gott sich ihm zuwendet. Jesus nimmt Zachäus so an wie er ist – mit all

seinen „Ecken und Kanten“. Genau dies ist die Zentralthese der

Rechtfertigungslehre nach Luther: „In den Augen Gottes ist das Heil des

Menschen gerade nicht davon abhängig, inwieweit dieser im christlichen

Lebensvollzug den göttlichen Geboten gerecht werden konnte.“26 Die

Entfremdung zwischen Gott und dem Menschen wird durch Gott

überwunden, ohne dass der Mensch dazu etwas getan hätte bzw. hätte tun

können. Rechtfertigung wird dem Menschen von Gott zugesprochen, allein

aus Gnade („sola gratia“). Aus diesem Handeln Gottes lässt sich die Erkenntnis

gewinnen: „Gottes Wesen ist Liebe“.27 Gott begegnet allen Menschen in

Liebe. Deswegen macht er sich auch auf die Suche nach den „Verlorenen“,

den „Sündern“. Die Liebe Gottes kann man sich nicht verdienen durch z.B.

gute Werke. Die Liebe Gottes ist konstitutiv – sie war, ist und wird immer da

sein und sie gilt für jeden Menschen. Diese Einsicht ist zur zentralen Botschaft

meiner Predigt geworden.

Ferner hat die Liebe Gottes eine verändernde Wirkung auf den Menschen: Sie

eröffnet ein neues Leben, ein Leben im Glauben.28 Bei Zachäus wird dies

deutlich in einer Verhaltensänderung. Er will den Schaden, welchen er

verursacht hat, wieder gutmachen. Insofern hat Lk 19,1-10 ebenfalls eine

deutliche ethische Dimension. Die Liebe Gottes wurde Zachäus durch Jesus

zugesagt. Jetzt ist Zachäus befreit von der Sorge um sich selbst (sein Heil). Er

kann sich jetzt mit seinen Taten auf seinen Nächsten „um dieses Nächsten

willen beziehen – und nicht um des eigenen Heils willen“29. Luther

argumentiert, dass Glaube mit innerer Notwendigkeit gute Werke

hervorbringt: „*…+ so, wie ein guter Baum gute Früchte hervorbringt – und

26

Leonhardt, Rochus, Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und Arbeitsbuch für das Studium der Theologie, Göttingen ⁴2009, 319. 27

Härle, Dogmatik, 236. 28

Vgl. Ebd., 376. 29

Leonhardt, Grundinformation, 322.

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nicht nur bringen soll“.30 Der Fokus meiner Predigt liegt nicht auf dem

ethischen Appell dieses Textes. Dennoch möchte ich diesen nicht

„unterschlagen“, da er zum Ganzen des Heilsgeschehens dazu gehört. So

findet dieser Gedanke auch in meiner Predigt seinen Platz.

V. „Was mich an dich erinnert“ (Impulse aus Alltag und Kultur)

Im Internet stieß ich auf eine Ballade von Rainer Schnebel, die den Titel trägt:

„Zachäus, der Bäumling“.31 Hier beschreibt Schnebel seine vermutete

„Innenansicht“ von Zachäus. Diese Ballade hat mir einige Inspirationen

geliefert bezüglich der Überlegung, wie Zachäus sich eigentlich fühlt, bzw. in

was für einer Situation er sich befindet. Im Balladentext heißt es: „Mich im

Schatten sieht man nicht, ich sitze allein, sie stehen im Licht.“32. Zachäus führt

demnach also ein Leben im Schatten. Diese Formulierung brachte mich auf

den Gedanken, wie einsam Zachäus sich eigentlich fühlen muss. Er steht

außerhalb der Gesellschaft und betrachtet die anderen Menschen von außen

bzw. oben – ganz so, wie er es in der Bibelgeschichte ausdrücklich vom Baum

aus tut. Zugleich bemerkt er aber, dass etwas an seiner Situation nicht stimmt,

bzw. dass er unglücklich ist. Schnebel formuliert dies so: „Ich bin allein so wie

ich bin, allein zu sein macht keinen Sinn.“33 Diesen Gedanken habe ich indirekt

in meine Predigt eingebaut, als ich versuchte zu ergründen, warum Zachäus

Jesus sehen möchte. Schließlich lässt Schnebel seine Ballade mit den Worten

Enden: „Er holt mich vom Rand in die Mitte hinein, das muss Gottes Liebe

sein.“34 Dieser Satz passte hervorragend zu meinen vorherig angestellten

exegetischen und systematisch-theologischen Überlegungen und somit fühlte

ich mich in diesen bestätigt. Ferner brachte ich, durch diesen Satz inspiriert,

30

Härle fasst Luthers These hier zusammen: Härle, Dogmatik, 528. 31

Schnebel, Rainer, Zachäus, der Bäumling (WWW-Dokument, http://bezirksjugend.frommechaoten.de/impulsecke/balladen.php?i=0502), abgerufen am 24.08.10. Siehe auch Kapitel IX. Anhänge, 29ff. 32

Ebd. 33

Ebd. 34

Ebd.

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die Idee, dass jeder Mensch einen Platz bei den Menschen und bei Gott hat, in

meine Predigt hinein.

Desweiteren war ein Liedtext von einem mir gut bekannten Künstler

impulsgebend für mich. Das Lied trägt den Titel „Geld“ und wurde von Eric

Fish geschrieben.35 Im Refrain heißt es dort: „Geld, Geld, Geld regiert die

Welt. Ich fange jeden Träumer ein der‘s nicht mit dieser Regel hält.“36 Dieser

Gedankengang beleuchtet meines Erachtens eine andere Seite von Zachäus –

nämlich die Seite des knallharten Geschäftsmannes. Dieser Liedtext half mir

darüber zu reflektieren, wie Zachäus vor seiner Begegnung mit Jesus gedacht

haben könnte, bzw. wie er die Welt um sich herum wahrgenommen haben

könnte. Im Lied heißt es weiter: „Der Fluch des Geldes liegt über allem. Wer

viel hat kriegt mehr, den Armen lässt man fallen.“37 Diese Liedzeile lenkte

meine Aufmerksamkeit auf die Volksmenge um Zachäus herum. Solch ein Satz

drückt für mein Empfinden eine große Verbitterung aus. Für mich war es

durchaus denkbar, dass eine ähnliche Verbitterung von einigen Menschen um

Zachäus herum verspürt wurde. Dieses Gefühl versuchte ich im narrativen Teil

meiner Predigt hineinzuarbeiten.

Durch eine Kommilitonin wurde ich auf eine weitere „Gefühlsspur“ gebracht:

Sie brachte zu einer Sitzung des Homiletikseminars ein paar getrocknete

Melonenkerne mit. Als ich mir diese so anschaute, hatte ich eine interessante

Idee. Ich stellte mir vor, wie Kinder aus der Menge um Zachäus herum,

anfangen würden, Zachäus auf dem Baum mit Melonenkernen zu bespucken.

Diese „Geste“ der Kinder verdeutlichte mir, dass einige Menschen Zachäus

durchaus auch respektlos gegenüberstehen könnten und ihn öffentlich

verhöhnen könnten. Ich entschied mich jedoch dagegen, diese Szene in

meinen narrativen Predigtteil einzubauen, da ich mir nicht sicher war, ob die

Menschen bzw. Kinder aus der Menge ihrem Bedürfnis Zachäus zu verhöhnen

35

Fish, Eric, Geld, 02.03.2007 (Audio-CD, Titel Nr. 4 vom Album „Gegen den Strom“). Den Liedtext zitiere ich nach einer Liedtextveröffentlichung im Internet: Fish, Eric, Geld, 02.03.2007 (WWW-Dokument, http://www.magistrix.de/lyrics/Eric%20Fish/Geld-170125.html), abgerufen am 24.08.10. Siehe auch Kapitel IX. Anhänge, 24ff. 36

Ebd. 37

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so weit folgen würden. Schließlich bleibt Zachäus in seinem Amt als

Oberzöllner eine Autorität und es könnte eine Gefahr für den einzelnen

„Melonenkernspucker“ sein, ihn derart öffentlich bloßzustellen. Dennoch war

dieser Impuls sehr ergiebig für mich, um die Menge um Zachäus narrativ gut

darstellen zu können.

VI. „Das muss ich bedenken“ (Homiletische Reflexion)

„Eine Predigt ist für mich gelungen, wenn sie das Herz berührt und den

Verstand in Bewegung bringt“ – Dies war die Erwartung, die ich an mich selbst

stellte, bevor ich mit den Predigtvorbereitungen begann. Diese Aussage war

mein persönliches Fazit aus dem Homiletikseminar und ich wollte dieses nun

bei meiner eigenen Predigt gerne umsetzen.

Die Gemeinde für die ich predigen wollte, hatte ich ziemlich genau vor Augen.

Es ist die St. Johannis Gemeinde in Kiel – Gaarden. Ich gestalte dort ziemlich

regelmäßig den Kindergottesdienst, an dem sowohl Eltern als auch Kinder

teilnehmen. Dadurch hatte ich schon einige Erfahrungen gesammelt, wie die

Menschen dort auf Bibeltexte reagieren. Gaarden wird als sogenannter

„sozialer Brennpunkt“ bezeichnet. An einem agendarischen Gottesdienst

nehmen im Durchschnitt ca. 33 Menschen teil. Das Alter der Menschen ist

gemischt, es gibt jedoch auffallend viele junge Gottesdienstteilnehmer und

Gottesdienstteilnehmerinnen. Ebenso bedacht werden muss der

Migrantinnen und Migrantenanteil, der zwischen 5% und 20% schwanken

kann. Auffallend viele Menschen, die in Gaarden leben, kommen aus

komplizierten Familienverhältnissen. Einige Gemeindemitglieder sind

geschieden, leben alleine oder leben getrennt von ihren eigenen Kindern. Als

ich meinen Pastor bat, seine Gemeinde zu charakterisieren antwortete er:

„Irgendwie haben schon alle ein soziales Problem – deswegen wohnen sie ja

oft in Gaarden.“ Für meine homiletischen Überlegungen waren diese

Informationen insofern relevant, als dass ich mir folgendes verdeutlichte: Vor

mir sitzen größtenteils Menschen, deren Leben nicht immer so geradlinig

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verlaufen ist, wie sie es sich vielleicht gewünscht hätten. Es gibt Stolpersteine

in ihrem Leben, die sie überwunden haben bzw. noch überwinden müssen.

Auf diese Lebenswirklichkeit der Menschen vor mir, wollte ich in meiner

Predigt eingehen. Die Geschichte von Zachäus eignete sich meines Erachtens

sehr gut dafür. In dem Leben von Zachäus gibt es nämlich auch so einige

Stolpersteine.

Mein Ziel war es, den HörerInnen eine Möglichkeit zu geben sich offen in die

Geschichte von Zachäus hineinversetzen zu können. Ich wollte eine Einladung

aussprechen „in die eigenen Geschichten mit dieser Geschichte

einzusteigen.“38 Die beste Methode um dieses Ziel zu erreichen war meines

Erachtens meine Predigt narrativ zu gestalten. Zum einen schafft die narrative

Struktur einen Freiraum, da der Prediger und die Predigerin so lebendige

Bilder in den Köpfen der Menschen entstehen lassen können, welche die

Menschen selber mitgestalten – das so genannte „offene Kunstwerk“39. Zum

anderen habe ich selbst im Kindergottesdienst schon etliche gute Erfahrungen

mit dem Erzählstil gemacht. Inhalte, die ich narrativ vermittelte, prägten sich

die Kinder und Eltern oft viel mehr ein, als andere. Ein weiterer Vorteil der

narrativen Predigt ist, dass man sie oft sehr spannend gestalten kann und so

verhindert, dass die Gedanken der HörerInnen abschweifen. Zu diesem

Zwecke habe ich auch einen sehr direkten Einstieg in die Geschichte bzw.

Predigt gewählt, um sofort die volle Aufmerksamkeit meiner HörerInnen zu

bekommen.40

Ich habe versucht, eine Sprache bewusst einfach zu halten. Die Menschen, die

ich in der Gemeinde kennengelernt habe, konnten häufig nicht viel mit

theologischem Fachvokabular anfangen. Aus diesem Grunde habe ich

versucht, Fachbegriffe nur selten zu nutzen. Ferner habe ich meine Sätze kurz

und prägnant formuliert, um die Aufmerksamkeit der HörerInnen

38

Grötzinger, Albrecht, Homiletik (Lehrbuch Praktische Theologie Bd. 2), Gütersloh 2008, 220. 39

Vgl. dazu Martin, Gerhard Marcel, Predigt und Liturgie ästhetisch. Wahrnehmen – Kunst – Lebenskunst, Stuttgart 2003, 183ff. 40

Dies ist mir zumindest beim Predigen in der Unikirche gut gelungen, da einige meiner Kommilitonen und Kommilitoninnen sich tatsächlich umgedreht haben, als sie meinen Einstiegssatz hörten.

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beizubehalten. Außerdem habe ich mich auf zwei Aspekte der

Zachäusgeschichte konzentriert: Das Motiv der Liebe Gottes, die jedem gilt,

und das Motiv des Verlorenseins bzw. des Gefundenwerdens. Schließlich

wollte ich auch erreichen, dass die Menschen zum Weiterdenken angeregt

werden und so vielleicht eigene Impulse für ihre Lebensgestaltung entwickeln.

VII. „Das bist du, so wie ich dich sehe!“ (Der Predigttext)

„Achtung, da kommt er!“ ruft jemand in die Menge. Die Menschen schauen

sich gespannt um. Sie erwarten jemand ganz Besonderen. Sie haben schon so

viel von ihm gehört. Er soll Wunder vollbringen. Echte Wunder: Die

Naturgewalten gehorchen ihm, er macht Kranke wieder gesund und sogar

Tote erweckt er wieder zum Leben! Man nennt ihn den Sohn Gottes! Und

dieser soll nun auf dem Weg nach Jericho sein!

Aber der, der da gerade kommt – den haben sie nicht erwartet. Ganz im

Gegenteil: Die Menschen entdecken einen sehr kleinen Mann, in kostbarer

Kleidung. Sie kennen ihn nur zu gut. Dieser Mann geht direkt auf die

Menschentraube zu. Seine Schritte sind unsicher. Ab und zu bleibt er stehen.

Dann stellt er sich auf die Zehenspitzen und blickt um sich. Er scheint

jemanden in der Masse zu suchen.

„Dass er sich überhaupt hier her traut…“, sagt eine Frau zu ihrem Nachbarn.

„Was sucht er denn hier? Hier ist kein Platz für Halsabschneider!“ Ein Mann

erhebt anklagend den Zeigefinger: „Diesem Mann habe ich es zu verdanken,

dass ich meine Familie nicht ordentlich ernähren kann! Er ist ein Wucherer,

ein Erpresser! Ich arbeite sehr hart. Aber fast alles, was ich verdiene, muss ich

diesem Mann an Steuern oder Zoll zahlen! Kaum etwas bleibt für mich und

meine Familie übrig! Als ich ihn neulich darum bat, nur ein einziges Mal einen

geringeren Wegzoll bezahlen zu müssen, lehnte er ab. Er antwortete: „So leid

es mir tut, aber auch ich habe eine Familie zu ernähren.“ Pah, dass ich nicht

lache!“

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„Aber was ist, wenn auch er Jesus sehen will, so wie wir?“ fragt eine junge

Frau. Eine Nachbarin antwortet: „Das wird er ja wohl nicht ernsthaft

versuchen. Und falls doch: Ich werde ihm keinen Platz machen.“ Dann ruft

einer plötzlich: „Seht doch, unser Oberzöllner klettert auf einen Baum!“

Tatsächlich versucht der kleine Mann auf einen Baum zu klettern. Es kostet

ihn viel Kraft. Aber er schafft es. Vom Baum aus hat er eine viel bessere Sicht.

Die Leute freilich finden den Anblick des Mannes auf dem Baum nur komisch.

„Hoffentlich zerreißt er sich seine schönen Kleider!“ raunt ein Junge seinem

Vater zu.41

Eine ältere Frau flüstert: „Ich habe gehört dass Jesus gesagt haben soll: Es ist

leichter, dass ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als dass ein Reicher in das

Reich Gottes komme. Unser Oberzöllner ist so reich und so schlecht – da wird

Gott ihn bestimmt nicht aufnehmen!“

Plötzlich verstummt die Menge. Sie hat Jesus erblickt. Langsam nähert er sich

ihnen. Jesus schaut auf die Leute. Dann bemerkt er den Mann auf dem Baum.

Sofort geht er zu ihm hin. Er schaut hinauf und spricht: „Zachäus komm

schnell herunter. Ich möchte heute bei dir in deinem Haus Rast machen!“

Stumm beobachtet die Menge das Geschehen. Zachäus steigt schnell hinab

und nimmt Jesus freudig in sein Haus auf. Die Menschen sind verblüfft und

verwirrt: „Das darf doch nicht wahr sein! Jesus bevorzugt einen Mann, der

Unrecht getan hat. Warum?“ Ein Mann aus der Menge erhebt seine Stimme:

„Was Jesus da tut gehört sich nicht! Es ist … ein Skandal! Er kehrt ein in das

Haus eines Verbrechers, um zu feiern! Uns Rechtsschaffende lässt er hier

draußen stehen!“42

Als Jesus wieder weiter ziehen will, begleitet ihn Zachäus vor die Tür. Es sind

immer noch viele dort versammelt. Sie sind wütend und enttäuscht. Da

erhebt Zachäus das Wort: „Jesus, ich werde die Hälfte meines Vermögens den

41

Diesen Satz habe ich eingefügt, um die Emotionen der Volksmenge noch deutlicher darzustellen. 42

Auch diese Passage habe ich hinzugefügt, um die Emotionalität dieser Szene zu unterstreichen.

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Armen geben. Und alles, was ich ihnen zu Unrecht genommen habe, werde

ich vierfach zurückgeben.“ Jesus antwortet ihm: „Deinem Haus ist heute Heil

geschehen. Auch du bist ein Sohn Abrahams.“ Ein Raunen geht durch die

Menge. Kaum einer mag glauben, was dort gerade gesagt wurde. Einige

können es nicht fassen: Zachäus will seinen Reichtum unter sie aufteilen! Wird

er seinen Worten auch Taten folgen lassen? Andere wiederum sind einfach

nur sprachlos, weil Jesus ihnen gezeigt: Gott liebt auch die Sünder. 43

„Vom Suchen und vom Finden“ – diese Überschrift würde ich dem Teil der

Bibel geben, in welchem der Evangelist Lukas44 uns von dieser Begebenheit

berichtet.45 In diesem Teil des Evangeliums geht es auch sonst um Menschen,

die auf der Suche sind. Sie suchen ganz unterschiedliche Dinge: Ein verlorenes

Schaf, einen verlorenen Groschen oder das verlorene Augenlicht – um nur

einige Beispiele zu nennen. Allen ist gemein, dass sie etwas verloren haben.

Aber was sucht denn eigentlich Zachäus? Im Bibeltext steht nur, dass Zachäus

auf der Suche nach Jesus ist: „und er suchte zu sehen, wer dieser Jesus sei“

heißt es dort. Warum Zachäus Jesus sehen möchte und vor allem was er sich

davon erhofft – darüber kann ich nur spekulieren. Sicherlich wird er von Jesus

und seinen Taten gehört haben. Ebenso wie die anderen Bewohner von

Jericho. Aber da ist, denke ich, noch mehr: Eine große Hoffnung oder eine

Erwartung treibt Zachäus an; anscheinend ist das Leben des Zachäus etwas

aus der Bahn geraten. Dies mag vor allem an der Art der Ausübung seines

Berufes liegen: Ein Oberzöllner genießt gewiss kein großes Ansehen innerhalb

der Gesellschaft. Seine Hauptaufgabe besteht darin, den Menschen Geld

abzunehmen. Ein Oberzöllner zahlt dem Staat ein Jahr im Voraus einen 43

Ursprünglich stand dort der Satz: „Jesus hat einen Sünder zu einem Gerechten gemacht.“ Ich habe diese Formulierung geändert, weil ich von meinen KommilitonInnen darauf aufmerksam gemacht wurde, dass sich meine HörerInnen darunter evtl. nichts vorstellen könnten. Deswegen formuliere ich an dieser Stelle konkreter: „Gott liebt auch die Sünder.“ 44

Beim Feedback meiner Predigt im Homiletikseminar wurde angemerkt, dass meine Hörerschaft evtl. nicht wissen könne was ein Evangelist sei bzw. wer Lukas wäre. Trotzdem möchte ich diese Formulierung nicht abändern. In der Lesung vor der Predigt werden dieselben Ausdrücke verwendet und ich gehe davon aus, dass die HörerInnen (und ebenso der „fremde Gast“) so verstehen, was ein Evangelium bzw. ein Evangelist ist. Ferner empfinde ich es als wichtig, die „Quelle“ meines Textes zu nennen. 45

Ich habe diesen Satz etwas abgeändert, um in einer direkteren Sprache zu bleiben. Außerdem habe ich den etwas unglücklich gewählten Begriff „Textabschnitt“ gemieden.

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gewissen Betrag. Und dann muss er dafür sorgen, dass er beim Einziehen der

Steuern und Gebühren irgendwie selbst auf seine Kosten kommt. Zachäus

kann also die Steuern und Zölle nach freiem Ermessen festlegen. Er verlangt

natürlich mehr Geld als nötig wäre. Zachäus ist ein knallharter

Geschäftsmann. Ein sensibles Gewissen und großes Herz sind hier fehl am

Platze. Nur so kann er sich selbst und seiner Familie ein besseres Leben

ermöglichen. Ein großes Haus, eine gut gefüllte Speisekammer und ein

bisschen Luxus. Zachäus hat seinen Traum realisiert: Er ist wohlhabend. Aber

er ist nicht glücklich. Er ist ein Ausgestoßener. Zachäus hat seinen Platz in der

Gemeinschaft der Menschen verloren. Er wird nicht anerkannt – er ist ein

echter „Nobody“, ein Niemand. Sicherlich leidet auch die Familie des Zachäus.

Wer will schon mit der Tochter des Oberzöllners etwas zu tun haben? Ihr

Vater zieht den Leuten das Geld aus der Tasche. Mit so Jemandem möchte

niemand befreundet sein.46 Zachäus hat sich in seinem Leben verirrt und nun

steckt er fest. Wie kommt er aus dieser Misere nur wieder raus?

Zachäus hat schließlich den Entschluss gefasst, irgendetwas in seinem Leben

zu ändern. Er weiß vielleicht gar nicht, was genau er ändern möchte. Er

möchte einfach nur glücklich sein. Ein Wunsch, den doch eigentlich jeder

Mensch hat. Zachäus sucht das Glück; er sucht – und er wird gefunden. Jesus

findet den Suchenden. Er ruft ihn bei seinem Namen: „Zachäus!“ – Der

„Gerechte“ bedeutet dies. Ein Name, der gar nicht zu seinem Träger passt,

war mein erster Gedanke. Doch Jesus schaut Zachäus ins Herz. Er sieht mehr,

als die anderen Menschen sehen. Er nimmt Zachäus wahr. Als Mensch, so wie

er ist. Jesus erinnert ihn daran, wo er hin gehört. Nicht auf einen Baum.

Sondern mitten in die Gemeinschaft. Er hat einen Platz bei den Menschen. Er

hat einen Platz bei Gott.

Ja, Zachäus hat sich verirrt. Aber jemand sucht ihn. Jemand hat bemerkt, dass

Zachäus verloren gegangen ist. Zachäus ist die Seele, die Gott sucht. Jesus

handelt in Gottes Auftrag: „Denn der Menschensohn ist gekommen, zu 46

Ich habe die Passage über die Familie eingefügt, um deutlich zu machen, dass das Verhalten von Zachäus nicht nur Auswirkungen auf sein eigenes Leben hat, sondern auch auf das Leben der von ihm geliebten Menschen.

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suchen und zu retten, was verloren ist“ steht im Text. Das heißt: Die

Verlorenen und Verirrten sind nicht ausgeschlossen aus der Gemeinschaft

Gottes. Schärfer formuliert: Gott nimmt auch die Sünder an. Denn Gott liebt

den Menschen. Den Schwachen und den Starken gleichermaßen. Dies ist

Gottes Zusage an uns: „Ich will das Verlorene suchen und das Verirrte

zurückbringen. Was schwach ist stärken und was stark ist behüten.“ (Ez

34,16a). So verspricht Gott es im Alten Testament. Und Gott freut sich über

die Verirrten, wenn sie sich von ihm wieder auf den rechten Weg bringen

lassen.

Gott hat sein Versprechen gegenüber Zachäus eingelöst. Aber gelten diese

Worte auch noch heute, auch für uns? Gott hat seine Zusage nicht

zurückgenommen. In jedem Leben gibt es die Momente, in denen man sich

verloren fühlt und denkt: „Ich habe einen geliebten Menschen enttäuscht. Ich

genüge meinen eigenen Ansprüchen nicht. Ich bin alleine und ungeliebt. Ich

mache alles falsch. Ich bin einfach nichts wert.“ Der Erfolgsdruck in unserer

Gesellschaft ist enorm. Und wenn man dann einmal scheitert, besteht die

Gefahr, dass man daran kaputt geht. Man geht verloren: Plötzlich stehe ich

alleine da, ohne Freunde. Die Familie möchte nichts mehr mit mir zu tun

haben. Ich habe das Gefühl, die Kontrolle verloren zu haben. Das Leben geht

weiter ohne mich – und ich habe meinen Platz darin verloren.47 Doch genau

dann kann ich mir sicher sein, dass jemand diesen Verlust bemerkt. Gott

macht sich dann auf die Suche nach mir. Gott liebt mich. Er nimmt mich an. So

wie ich bin. Dieses Wissen wirkt unglaublich befreiend. Es nimmt den

Erfolgszwang weg. Ich muss nicht erst große Taten oder Veränderungen

vollbringen, damit Gott beginnt mich zu lieben. Seiner Liebe kann ich mir

sicher sein: Im Erfolg und im Scheitern.

Zachäus musste sich nicht erst vorher ändern, damit Jesus ihn besucht.

Dennoch bewirkt der Besuch von Jesus bei ihm eine extreme Verhaltens-

änderung: Er möchte seinen Reichtum teilen und den Schaden, den er

47

Aus dem Feedback ging hervor, dass die Formulierung „man geht verloren“ zu unkonkret war. Aus diesem Grund habe ich hier noch ein paar Ausführungen hinzugefügt.

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angerichtet hat, wieder gut machen. Zachäus hat jetzt eine andere

Blickrichtung. Er weiß wieder wo er hin gehört. Er wurde wieder auf seinen

Weg gebracht. Aber Zachäus hat nun ein anderes Verhältnis zu Gott – und zu

sich selbst. Dies wird ihm helfen, seinen richtigen Lebensweg wieder zu

finden, wenn er ihn einmal wieder verloren hat.

So können auch wir uns darauf verlassen: Wir gehen Gott nicht verloren!

Amen

VIII. Literaturverzeichnis

Kurztitel werden aus dem Nachnamen der Verfasserin bzw. des Verfassers

und einem sinntragenden Titelsubstantiv gebildet.

Die verwendeten Abkürzungen folgen:

Schwertner, Siegfried M., IATG². Internationales Abkürzungsverzeichnis für

Theologie und Grenzgebiete, 2., überarbeitete und erweiterte Auflage,

Berlin/New York ²1992.

Die Abkürzungen werden ergänzt durch das Abkürzungsverzeichnis von:

Redaktion der RGG⁴ (Hg.), Abkürzungen Theologie und Religionswissenschaft

nach RGG⁴, Tübingen 2007.

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Bovon, François, Das Evangelium nach Lukas (EKK III/3), Düsseldorf und

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Testaments. Ein Arbeitsbuch für Lehre und Praxis, Paderborn 2005.

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Parallelen. Teilband II: 11,1 – 24,53, Neukirchen-Vluyn 2004.

Engemann, Wilfried, Einführung in die Homiletik, Tübingen/Basel

2002.

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Fish, Eric, Geld, 02.03.2007 (Audio-CD, Titel Nr. 4 vom Album „Gegen

den Strom“). Den Liedtext zitiere ich nach einer

Liedtextveröffentlichung im Internet: Fish, Eric, Geld, 02.03.2007

(WWW-Dokument, http://www.magistrix.de/lyrics/Eric%20Fish/Geld-

170125.html), abgerufen am 24.08.10.

Grötzinger, Albrecht, Homiletik (Lehrbuch Praktische Theologie Bd. 2),

Gütersloh 2008.

Härle, Wilfried, Dogmatik, Berlin ²2000.

Joest, Wilfried, Dogmatik. Band 2: Der Weg Gottes mit dem Menschen,

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Klauck, Hans-Josef, Magie und Heidentum in der Apostelgeschichte

des Lukas (SBS 167), Stuttgart 1996.

Klein, Hans, Das Lukasevangelium (KEK I/3), Göttingen 2006.

Läufer, Erich, Kleine Leute im Neuen Testament, Kevelaer ²2010.

Leonhardt, Rochus, Grundinformation Dogmatik. Ein Lehr- und

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Martin, Gerhard Marcel, Predigt und Liturgie ästhetisch. Wahrnehmen

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Nolland, John, Luke 18:35-24:53 (WBC 35c), Dallas 1993.

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Schnelle, Udo, Einführung in die neutestamentliche Exegese,

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Ders., Einleitung in das Neue Testament, Göttingen ³1999.

Theißen, Gerd, Zeichensprache des Glaubens. Chancen der Predigt

heute, Gütersloh 1994.

Tillich, Paul, Systematische Theologie. Band II, Stuttgart 1958.

IX. Anhänge

A) Ballade: Zachäus der Bäumling (von Rainer Schnebel)

Ich sitze im Baum auf einem Ast, ich bin nur klein und er ist so groß. Wir tragen beide eine Last, der Baum trägt mich, ich Sorgen bloß. Der Baum ist schön, der Baum ist gut, im Baum zu sitzen macht mir Mut. Ich meide das Licht und liebe den Schatten, im Baum, im Schatten will ich sein, und die, die mich gefürchtet hatten, die stehen unten dichtgedrängt und klein. Mich im Schatten sieht man nicht, ich sitze allein, sie stehen im Licht. Man liebt mich nicht und will mich auch nicht sehen sie verachten mich schlicht, keiner will zu mir stehen. Ich bin allein so wie ich bin, allein zu sein macht keinen Sinn. Wir warten alle auf einen Mann, da vorne kommt er durch die Massen, es heißt, dass er Leben verändern kann, dann müsste ich ja meinen Schatten verlassen. Ich will ihn nur sehn, beim vorübergehen.

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Der Baum gibt mir Geborgenheit, doch vor meinem Baum hält Jesus an, er redet von tiefer Veränderbarkeit, ich bin ganz nah an Jesus dran. Jetzt trifft mich sein Blick, er meint mich, es gibt kein Zurück. Dann spricht er mich an, mein Versteck ist erkannt, Jesus selbst hat mich dann bei meinem Namen genannt. Er holt mich vom Rand in die Mitte hinein, das muss Gottes Liebe sein. B) Liedtext: Geld (von Eric Fish)

Die Hände sind wund vom Tun ohne Rast und krumm die Buckel vom Schultern der Last die man zu tragen uns ewig zwingt. Von West nach Ost und von Rechts nach Links.

Geld, Geld, Geld regiert die Welt. Ich fange jeden Träumer ein der‘s nicht mit dieser Regel hält.

Geld, Zaster, Kohle, Moneten, Penunse, Schotter, Staub und Knete

Es ballen sich Fäuste in leeren Taschen. Es strecken sich Arme das Wenige zu fassen. Das Volk kniet nieder und betet eilig. Den einzigen Götzen an der ihm noch heilig.

Geld, Geld, Geld regiert die Welt. Ich fange jeden Träumer ein der‘s nicht mit dieser Regel hält.

Geld, Zaster, Kohle, Moneten, Penunse, Schotter, Staub und Knete

Der Fluch des Geldes liegt über allem. Wer viel hat kriegt mehr, den Armen lässt man fallen. Ein Jeder steht einzeln wie ein Stab der leicht bricht. Ein Bündel Stäbe zerbricht jedoch nicht!

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Geld, Geld, Geld regiert die Welt. Ich fange jeden Träumer ein der‘s nicht mit dieser Regel hält.

Geld, Zaster, Kohle, Moneten, Penunse, Schotter, Staub und Knete


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