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Im Alleingang - Ta Cave · 2017. 12. 19. · 60 å∂åç Reisemagazin å∂åç Reisemagazin 61...

Date post: 16-Aug-2020
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60 ååç Reisemagazin ååç Reisemagazin 61 Foto: 60 ååç Reisemagazin Im Alleingang Ein junger Berliner reist übers Wochenende nach Lausanne und taucht in das Nachtleben der Stadt ein. Die zeigt sich weltoen, lässig – und erstaunlich kontaktfreudig Lausanne ååç Reisemagazin 61 TEXT: Magdalena Zeller FOTOS: Anoush Abrar Stehvermögen: Der allein reisende Florens knüpft in der ABC Bar des D! Club erste Kontakte
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Page 1: Im Alleingang - Ta Cave · 2017. 12. 19. · 60 å∂åç Reisemagazin å∂åç Reisemagazin 61 Foto: Im Alleingang Ein junger Berliner reist übers Wochenende nach Lausanne und

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Im AlleingangEin junger Berliner reist übers Wochenende nach Lausanne und taucht in das Nachtleben der Stadt ein. Die zeigt sich weltoffen, lässig – und erstaunlich kontaktfreudig

Lausanne

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TEXT: Magdalena Zeller FOTOS: Anoush Abrar

Stehvermögen: Der allein reisende Florens knüpft in der ABC Bar des D! Club erste Kontakte

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A llein zu verreisen ist wie allein ins Kino oder ohne Begleitung in ein Restaurant zu gehen. Für die meisten von uns fühlt

sich das ungewohnt, ja fast unangenehm an. So ganz ohne Gegenüber. Ohne Gesprächspartner, mit dem man sich austauschen könnte. Grund genug also, es einfach einmal auszuprobieren: Flo-rens, 28 Jahre, aus Berlin stellt sich dieser Herausforderung und fährt für ein Wochenende nach Lausanne im Schweizer Kanton Waadt.

Grundsätzlich spricht ja viel dafür, Urlaub mit sich selbst zu machen: keine Kom-promisse beim Programm oder beim Essen, keine ner-vigen Gruppenfotos, keine anstren genden Diskussionen –und die Chance, mit neuen Menschen ins Gespräch zu kommen. Was fehlt, ist oft nur die bewusste Ent-scheidung, allein wegzufahren. Und vielleicht der Mut oder das Selbstvertrauen dazu.

Für das Wochenende in Lausanne hat Florens im Gepäck: ein Buch für Notfälle, um über et-waige einsame Phasen hinwegzu-kommen, einen Stadtplan für die grobe Orientierung – und die not-wendige Neugier. Also die Fragen: Wo pulsiert das Nachtleben in der idyllischen Stadt am Genfer See, nachdem die Sonne langsam hinter den kunstvoll verzierten Fassaden versunken ist? Wo wird getrunken, getanzt und gefeiert? Und stimmt eigentlich das Klischee des eher ver-schlossenen, unnahbaren Schwei-zers, oder ist alles vielleicht ganz an-ders? Denn eines ist klar: Florens will die Abende unter keinen Um-ständen allein verbringen.

Ohne Begleitung einen Kaffee zu trinken ist noch kein großes Ding, schon gar nicht auf der Dachterrasse des Lhotel an der Place de l’Europe: Im Friends Café fühlt man sich über-haupt nicht einsam, im Gegenteil – hier wim-

nen Weinbar. Das Team des Ta Cave wählt jeden Monat eine neue Weinregion, aus der dann sechs Weine auf die Karte kommen. Diese Wo-che ist der Schweizer Kanton Fribourg an der Reihe. Als Beilagen werden Käse und Schinken gereicht. Da die kleine Vorspeisenplatte für eine Person ziemlich überdimensioniert ist, braucht Florens ein wenig Unterstützung. Gut, dass Agathe, 21 Jahre, aus Paris noch kein Abend-essen hatte und gern aushilft. Die junge Frau wohnt seit vier Jahren in Lausanne und emp-fiehlt einen Besuch der Giraf Bar. Kommt auf die Liste – Florens ist in guter und überdies bes-tens informierter Begleitung. Es läuft.

Wer übrigens im Ta Cave eine Weinprobe mit mehreren Freunden erleben möchte, und das in absoluter Diskretion, kann den geheimen Wein-keller mieten. Nur wenn das richtige Buch aus dem Schrank an der Wand gezogen wird, schwingt ein Regal zur Seite und gibt den Weg zu einem kleinen, gemütlichen Raum frei. Hier wird für kleinere Gruppen ein Menü mit acht Gängen serviert, außerdem lagern hinter einer Glasfront die Weine des Ta Cave. Gehaltvoller kann Literatur kaum sein.

Damit aus dem Schwips kein Rausch wird, ist es Zeit für ein handfestes Essen. Agathe hat einen weiteren Tipp für Florens: Chez

melt es nur so von jungen Leuten mit einem Aperol Spritz oder einer Flasche Bier in der Hand. Sie alle wirken sehr sympathisch und gar nicht so posh und hochnäsig, wie man sich die

Schweizer Jugend vielleicht vorgestellt hat.

Die wichtigste Aufgabe be-steht aber darin, die großarti-ge Aussicht auf Lausanne und die schneebedeckten Berggip-fel drum herum zu genießen, und das schafft man in die-sem Fall auch gut ohne Be-gleitung. Die Loungesessel la-den eigentlich zum Verweilen ein, doch da es heute Abend noch einiges zu entdecken gibt und langsam der kleine Hunger einsetzt, geht es wei-ter in die Weinbar Ta Cave. Womöglich trifft man ja dort auf etwas Unterhaltung.

Die Schweizer konsumie-ren pro Kopf durchschnittlich 34 Liter Wein im Jahr, das sind knapp vier Flaschen pro Monat. In Deutschland liegt der durchschnittliche Ver-brauch pro Person jährlich bei 21 Litern, aller-dings kommen hierzulande noch ein paar

Fläschchen Bier dazu. Dass das Glas Wein in Lausanne eher halb voll als halb leer ist, liegt auf der Hand. Die Hauptstadt des Kantons Waadt ist umgeben von Rebbergen – das direkt an Lausanne grenzende Weinanbaugebiet Lavaux trägt seit Juni 2007 den UNESCO-Welt-kultur erbe-Titel (Seite 000).

Auch Yannick Passas, junger Winzer und Önologe, hat seine Lei-denschaft dem Wein gewidmet und wurde vom Gault & Millau als Neu-entdeckung des Jahres 2016 mit dem „Rookie of the Year“-Preis ausgezeichnet. Zusammen mit zwei

Freunden hat er im Frühling 2015 das Ta Cave eröffnet. Mithilfe einer Crowdfunding-Aktion bekamen die drei Gründer innerhalb nur einer Woche das Geld für die Verwirklichung ihres Traums zusammen: der Eröffnung einer eige-

Aussichtsvoll: Florens genießt im Friends Café mit einem Erdbeermojito in der Hand

den Blick auf Lausanne

Leuchterscheinung: Blick auf die Kathedrale von Lausanne

im Abendlicht

Treffsicher: Im Ta Caveprobiert Florens mit Agathe

Wein, Käse und Schinken aus der Region Fribourg

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Im Ta Cave genießt eine junge Frau aus Paris mit Florens eine

kolossale Vorspeisenplatte

Beim Kaffee auf der Dachterrasse des Lhotel, mit Aussicht auf die Berggipfel, fühlt man sich ganz und gar nicht einsam

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Mario soll die besten Pizzen der Stadt haben, heißt es. Es sind keine weiteren Argumente nötig, denn genau dahin will der selbst ernannte Ein-zelgänger Florens jetzt.

Und tatsächlich: So muss ein Italiener sein. 1958 eröffnet, gilt Chez Mario als erste Pizzeria in der Schweiz überhaupt und versorgt die Lau-sanner seither mit Steinofenpizzen, die unter der sizilianischen Sonne nicht besser schmecken könnten. Das einzige nicht typisch Italienische sind die Wände: vollgekritzelt bis oben hin, als sei ein Kleinkind künstlerisch ausgerastet. Das ist es auch, denn im Jahr der Eröffnung bemalte ein kleiner Junge mit einem Stift die Wand des Res-

taurants. Der damalige Besitzer fand das nicht schlimm, und so verwirklichten sich die Gäste über die Jahre im gesamten Innenraum. Heute gibt es keinen weißen Fleck mehr.

Das Maskottchen von Chez Mario, einen Pa-pagei, gibt es leider nicht mehr. In den Anfangs-jahren des Lokals saß ein sprechender Papagei am Eingang und fragte jeden Gast gewissenhaft, ob er auch wirklich bezahlt habe. Diese etwas andere Form des Türstehers – oder auch Buch-halters – dürfte tatsächlich einzigartig gewesen sein, und es ist anzunehmen, dass sich unter die-sen Umständen damals wohl kein Gast getraut hätte, in der Pizzeria die Zeche zu prellen. Nach-

dem Florens sich an der Wand verewigt hat, wird in der überfüllten Pizzeria endlich ein Platz frei. Eine Gruppe Jungs aus der Nordschweiz rückt gern ein wenig zusammen, und bevor Florens sich überhaupt ordentlich vorstellen kann, schwirrt der tief gebräunte Chef-kellner herbei und nimmt die Bestellung auf. Zeit für einen Limoncello und den Austausch von Tele-fonnummern. Die Jungs wollten alle schon immer mal nach Berlin …

Und es geht weiter: Zeit für ein kühles Bier an einer ausladenden Theke. Wer im La Mise en Bière einen Pub mit grölendem Publikum erwartet, liegt vollkommen falsch: Hier wird Bier vielmehr genos-sen und nicht einfach nur lieblo s hinuntergeschüttet. Das Angebot reicht von japanischem Reisbier über schwarzes Imperial Stout bis hin zu lokalem Roggenbier. Für Menschen, die Entscheidungsprobleme haben, wird es nun wirklich knifflig, denn es gibt insge-samt 32  verschiedene Fassbiere. Am Tresen fach sim pelt Florens mit seinen Nachbarn über Geschmacksnoten und Herstellungsprozesse. Das „Even more Jesus“-Bier zeigt beispielsweise Noten von Kaffee und Schokolade, während das Reisbier „Gose in the shell“ Noten von Pflaume in sich trägt. Da viele der Sorten einen viel hö-heren Alkoholgehalt haben als das Wasser, das in Berlin als Bier verkauft wird, muss Florens die vierte Runde ablehnen – auch wenn er wirklich noch gern ein weiteres Bier gekostet hätte. Und: Er hat noch Termine. Schließlich gilt es zu prüfen, wie kontaktfreudig die Lausanner rund um eine Tanzfläche sind. Denn das ist die wahre Maßein-heit für einen, der allein auszog, um eine Stadt zu erobern. Oder um von ihr erobert zu werden.

Wo heute Elektrobeats ballern, war früher ein Kino und davor ein Theater untergebracht, das Anfang des vergangenen Jahrhunderts erbaut wurde. Seit 21 Jahren wird nun schon im D! Club

gefeiert, und das nicht zu knapp: Neben Partys zu Elektro, House und Minimal finden hier auch Rock- und Hip-Hop-Konzerte statt. Im ersten Stock ist die ABC Bar untergebracht, die nur für

Tänzer ab 25 Jahren zu-gänglich ist – und für die zum Preis von 450 Fran-ken eine goldene Mit-gliedskarte verkauft wird. Normalerweise ist die Bar vom restlichen Club abge-trennt, doch bei größeren Konzerten verschwindet die Wand und gibt den Blick auf den unteren Dancefloor und die Büh-ne des D! Club frei. Für eine Unterhaltung ist es im Club zu laut, aber wie man heißt oder woher man kommt, ist beim Tan-zen ja nicht ganz so wich-tig. Man tauscht Blicke und ein Lächeln, ver-schmilzt mit der Masse

und fühlt sich alles andere als allein. Als die Sonne Lausanne am folgenden Tag in

warmes Morgenlicht taucht, spürt Florens ein Brummen im Kopf. Die Kombination von Bier- und Weinverkostung war wohl nicht so ideal. Nur gut, dass es nicht weit ist bis zum Lokal Le  Pointu. Eine Portion French Toast und starker Kaffee sollten die Sache wieder richten. Am Abend und in der Nacht allein in Lau sanne hat sich Florens dann doch gar nicht einsam gefühlt, und er beschließt, auf jeden Fall wieder-zukommen. Denn er will die Stadt auch mal bei Tageslicht besichtigen. Und dann auch gern wie-der in interessanter Begleitung.

Beim Tanzen verschmilzt man mit der Masse und vergisst dabei vollkommen,

dass man allein unterwegs ist

Beim Italiener rückt eine Gruppe Nordschweizer ein wenig zusammen, und

schnell kommt man ins Gespräch

Schriftgut: Auf den Wänden der Pizzeria Chez Mario ha-ben sich die Gäste verewigt.

Florens (l.) isst mit einer Gruppe Nordschweizern

> Info Nachtleben ab Seite 000

.

Stoßrichtung: Im La Mise en Bière trinkt der

Berliner Florens (Mitte) ein Schwarzbier


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