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II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs....

Date post: 06-Apr-2015
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II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs. rationales Wesen 1. Das Menschenbild als Merkmal zur Unterscheidung kognitiver Theorien 2. Konsistenztheorien 3. Selbstwahrnehmungstheorie 4. Weiterentwicklung und Integration
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II. Theoretische Traditionen und ihre Menschenbilder (1): Der Mensch als rationalisierendes vs. rationales Wesen

1. Das Menschenbild als Merkmal zur Unterscheidung kognitiver Theorien

2. Konsistenztheorien

3. Selbstwahrnehmungstheorie4. Weiterentwicklung und Integration

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1. Merkmal zur Unterscheidung kognitiver Theorien: Das Menschenbild

"Wozu dient das Denken?"

1. Antwort: "der Erkenntnis der Wahrheit"

Mensch als rationales Wesen (oder sogar "intuitiver Wissenschaftler")

(kognitiv)

2. Antwort: "der Vermeidung von Schmerz (bzw. Steigerung der Lust)"

Mensch als rationalisierendes Wesen (motivational)

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• Zwei prototypische Theorien:– Theorie der kognitiven Dissonanz (Leon Festinger, 1957)

– Theorie der Selbstwahrnehmung (Daryl Bem, 1967)

• Dissonanztheorie (DT):

Mensch als rationalisierendes Wesen

• Selbstwahrnehmungstheorie (SWT):

Mensch als rationales Wesen

• Konkurrierende Erklärungen

• Paradigmenwechsel in der SP("kognitiv" = nicht-motivational)

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2. Konsistenztheorien

• Grundkonzepte kognitiver Konsistenztheorien:– kognitive Elemente

– Beziehungen zwischen Elementen

– Streben nach Konsistenz

• Beispiel Balancetheorie (Heider, 1946, 1958)– p-o-x Triaden

– balancierte und unbalancierte Zustände

– Grundmotivation zur Herstellung von Balance

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p-o-x Triaden (nach Heider, 1958)

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Aufbau motivationaler Theorien • Man ist bestrebt, einen bestimmten Zustand zu

erreichen (z.B. Balance, Konsistenz, Gerechtigkeit, Übereinstimmung zwischen Soll- und Istwert im Selbstkonzept, gute Außendarstellung)

• Ist das Ziel nicht erreicht, wird unangenehme Erregung empfunden

• und man ist motiviert, den Zielzustand (wieder-) herzustellen.

• Dazu stehen verschiedene Mittel zur Verfügung, die Theorien können die Wahl der Mittel jedoch meist nicht vorhersagen.

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• Theorie der kognitiven Dissonanz (Festinger, 1957)

Annahme: Gedankeninhalte (= Kognitionen) stehen zueinander in drei Arten von Beziehungen:– irrelevante Beziehung– konsonante Beziehung– dissonante Beziehung

Festingers Definition von Dissonanz:

"Two things are in a dissonant relationship if, considering these two alone, the obverse of one element would follow from the other ... because of logic, because of cultural mores, because of things one has learned, and perhaps in other senses too."

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Zustand kognitiver Dissonanz = unangenehm

Dissonanzreduktion

Dazu quantitative Beschreibung der kognitiven Dissonanz:

Strategien der Dissonanzreduktion:

(a) Addition konsonanter Kognitionen

(b) Subtraktion dissonanter Kognitionen

(c) Substitution von Kognitionen

.).(.).(

.).(

KogdissNKogkonsN

KogdissN

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Streben nach kognitiver Konsistenz:

Gedanken des Kandidaten Gysi

FR: Wer, wenn nicht Gysi, wäre der beste Regierungschef für Berlin?

Gysi: Da will mir zurzeit partout keiner einfallen.

Quelle: Frankfurter Rundschau, 6.10.2001

FR: Was wäre Ihre erste Handlung, wenn Sie eine schwere Wahlschlappe kassierten?

Gysi: Mir die Vorteile zu überlegen, die das mit sich bringt.

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• Klassisches Experiment: Festinger & Carlsmith (1959)

"Induced compliance" Paradigma: Vp wird dazu gebracht, entgegen ihrer Einstellung zu handeln.

– Vp bearbeitet langweilige Aufgabe; beschreibt diese später einer "anderen Vp" als unterhaltsam und lehrreich Dissonanz zwischen Einstellung und Verhalten

– Unabhängige Variable: Höhe der Belohnung (die Vp erhält für ihre Lüge entweder 1$ oder 20$)

– Kontrollgruppe: keine Lüge, keine Belohnung

– Abhängige Variable: Einstellung zur langweiligen Aufgabe

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• Gegenüberstellung von Belohnungstheorie und Dissonanztheorie– Hypothese nach der Belohnungstheorie:

Einstellungsänderung ist wahrscheinlicher bei hoher Belohnung

– Konkurrierende Hypothese nach der Dissonanztheorie: Einstellungsänderung ist wahrscheinlicher bei geringer Belohnung

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Daten aus Festinger & Carlsmith (1959)

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• Zahlreiche konzeptuelle Replikationen– Variante induzierter Einwilligung: das "forbidden toy"

Paradigma (Aronson & Carlsmith, 1963). Kinder durften nicht mit einer bestimmten Puppe spielen (geringe/hohe Strafandrohung), AV: Attraktivität.

• Weitere Anwendungsbereiche:– Aufwandsrechtfertigung (unrealistische Tätigkeiten

bzw. Studiengänge werden nicht abgebrochen, weil dies im Widerspruch zum bisherigen Aufwand steht)

– Dissonanz nach Entscheidungen (nicht gewählte Alternative wird abgewertet)

– Informationssuche (zur gewählten Alternative werden bestätigende Informationen gesucht bzw. soziale Unterstützung gesucht)

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3. Die Selbstwahrnehmungstheorie

• Formuliert als Alternative zur Dissonanztheorie– "Rationale" Prozesse statt Rationalisierung

– Motivationale Annahme zur Erklärung nicht notwendig

• Sparsamere Erklärung:– Personen erschließen aus ihrem Verhalten (und den

Bedingungen, unter denen dieses auftritt,) ihre Einstellungen, genau wie sie die Einstellungen anderer aus deren Verhalten erschließen.

– Verhalten ist bekannt, Einstellung zunächst nicht, wird dem Verhalten angepasst, ohne dass eine Motivation zur Übereinstimmung angenommen wird.

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Selbstwahrnehmungstheorie

„Gehen Sie manchmal in die Kirche?“„Beten Sie manchmal?“

„Gehen Sie häufig in die Kirche?“„Beten Sie häufig?“

Im ersten Beispiel stufen sich die Probanden anschließend als religiöser ein. Sie erschließen ihre Einstellung aus ihrem Verhalten.

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4. Weiterentwicklung und Integration

• Kontroverse um die notwendigen Bedingungen für Einstellungsänderung bei induzierter Einwilligung

Präzisierung der Vorhersagen der Dissonanztheorie

Notwendig sind:

• Entscheidungsfreiheit

• negative Folgen des Verhaltens

• Erregungszustand, der auf die Einstellungs-Verhaltens-Diskrepanz attribuiert wird

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• Studie zur Rolle der Entscheidungsfreiheit:Linder, D.E., Cooper, J., & Jones, E.E. (1967). Decision freedom as a determinant of the role of incentive magnitude in attitude change. Journal of Personality and Social Psychology, 6, 245-254.

[s.a. Blackwell Reader, pp. 268-283]

Problem: Scheinbar widersprüchliche Befunde zum Einfluss von Belohnung – Festinger & Carlsmith (1959): mehr EÄ bei niedriger als bei

hoher Belohnung

– Rosenberg (1965): mehr EÄ bei hoher als bei niedriger Belohnung

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Hypothesen von Linder et al. (1967): – Nur bei Entscheidungsfreiheit entsteht Dissonanz

negativer Einfluss der Belohnungshöhe;

– ohne Entscheidungsfreiheit positiver Einfluss der Belohnungshöhe

Faktorielles Design: 2x2 mit den Faktoren Entscheidungsfreiheit (gegeben, nicht gegeben) und

Höhe der Belohnung (hoch, niedrig)

Vpn argumentieren in einem Aufsatz gegen Redefreiheit an ihrer Universität und erhalten dafür $0.50 oder $2.50. Sie tun dies entweder freiwillig oder haben keine Wahl. Später wird ihre Einstellung zur Einschränkung der Redefreiheit (aV) erfasst.

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1

2

3

4

5

6

7

$0.50 $2.50

keine Wahl Wahlfreiheit

Daten aus Linder et al. (1967, Exp. 1)

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Weitere Alternativerklärungen und Reinterpreta-tionen zur Dissonanztheorie, z.B.– Theorie des Eindrucksmanagements:

– Menschen stellen sich konsistent dar, ohne wirklich ihre Einstellung zu ändern. Die Änderung tritt z.B. nicht auf, wenn im 2. Teil des Experiments (Einstellungsmessung) ein neuer Versuchsleiter erscheint, der das vorangegangene Verhalten nicht kennt.

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Einstellungsänderung tritt weiterhin nicht auf:– bei unsympathischem Versuchsleiter

– bei bogus pipeline-Bedingungen

– bei Instruktion, dass Angaben im Fragebogen nicht der wahren Einstellung entsprechen müssen

• Dissonanztheorie und Selbstwahrnehmungstheorie ergänzen einander:

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• Typische Situationen, in denen die Selbstwahrneh-mungstheorie eine gute Erklärung liefert:– Einfluss von einstellungskonsistentem Verhalten (z.B. "foot-

in-the-door"-Technik; Freedman & Fraser, 1966)– Unterminierung intrinsischer Motivation (Lepper, Greene &

Nisbett, 1973)– Schlussfolgerungen auf der Grundlage von Gefühlen

(Schwarz & Clore, 1983)

• Typische Situationen, in denen die Dissonanztheorie eine gute Erklärung liefert:– Einfluss von deutlich einstellungskonträrem Verhalten– andere Situationen, in denen starke Diskrepanzen bestehen,

die mit emotionaler Erregung verknüpft sind

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Kognitive Dissonanz: Ein Anwendungsbeispiel


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