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I Informationszentrum Asyl und Migration N F Serbien … · 6 Helmut Kramer, Vedran Dzihic, Die...

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I N F O R M A T I O N Informationszentrum Asyl und Migration Serbien und Montenegro Die ungelöste Statusfrage des Kosovo Februar 2006
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Informationszentrum Asyl und Migration Serbien und Montenegro Die ungelöste Statusfrage des Kosovo Februar 2006

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Inhalt

Einleitung......................................................................................................................................2

1. Der völkerrechtliche Status des Kosovo ..................................................................................2 1.1 Historische Entwicklung.................................................................................................2 1.2 Der Kosovo unter UN-Verwaltung.................................................................................4

1.2.1 „Standards before Status“ ...................................................................................5 1.2.2 „Standards and Status“........................................................................................6

1.3 Verfassungs- und Völkerrecht ........................................................................................8 2. Ausgangslage ...........................................................................................................................10

2.1 Ausgangspositionen Belgrads und Pristinas ...................................................................10 2.1.1 Kosovo ................................................................................................................10 2.1.2 Serbien ................................................................................................................14

2.2 Die internationale Gemeinschaft ....................................................................................16 2.3 Regionale Problemlagen .................................................................................................20

3. Sicherheitslage in der Region ..................................................................................................22 4. Lösungsstrategie ......................................................................................................................25 5. Ausblick ...................................................................................................................................26

Anhang..........................................................................................................................................27 Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 24.10.2005 ....................................27 Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union vom 07.11.2005 .....................29

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Einleitung Der Status des Kosovo soll in diesem Jahr in Verhandlungen neu festgelegt werden. Seit Ende des Krieges im Juni 1999 warten Kosovo-Albaner und Kosovo-Serben auf eine Klärung des völker-rechtlichen Status dieses Gebietes. Bisher hat die Internationale Gemeinschaft das brisanteste Problem auf dem Balkan nicht abschließend gelöst, obwohl an der Entscheidung über diese Frage die Entwicklung und Stabilität der gesamten Region abhängt. Doch spätestens seit den Unruhen im März 2004 ist klar, dass der Kosovo ein Signal für die Zukunft braucht. Am 24. Oktober 2005 stimmte auf Empfehlung von UN-Generalsekretär Kofi Annan der UN-Si-cherheitsrat der Aufnahme von Verhandlungen über den künftigen Status der von der UN verwal-teten serbischen Provinz Kosovo einstimmig zu (vgl. Anhang). Es muss eine Lösung gefunden wer-den, die letztlich die Zustimmung aller ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats findet.

1. Der völkerrechtliche Status des Kosovo

1.1 Historische Entwicklung1 Vom 12. bis zum 14. Jahrhundert war der Kosovo Kernstück des serbischen mittelalterlichen Rei-ches. Dessen Herrschaft endete 1389 mit der Schlacht auf dem Amselfeld (Kosovo). In den folgen-den Jahrhunderten verschob sich - unter dem Druck der osmanischen Expansion - das Hauptsie-delungsgebiet der Serben vom Kosovo weiter nördlich in die Region Belgrad. In den frei werden-den Räumen siedelten zunehmend Albaner an. Etwa seit dem Ende des 17. Jahrhunderts dürfte die Mehrheit der Bevölkerung im Kosovo albanisch gewesen sein. Der eigentliche Konflikt zwischen Serben und Albanern um den Kosovo begann mit dem Zerfall des osmanischen Reiches und der darauf folgenden Herausbildung neuer Nationalstaaten Ende des 19. Jahrhunderts. Der Kosovo wurde bei der Gründung des ersten albanischen Staates 1913 kein Teil des albanischen Mutterlandes, sondern zwischen Serbien und Montenegro aufgeteilt. In der Zeit zwischen den Weltkriegen gehörte er zum ersten jugoslawischen Staat, nach dem 2. Weltkrieg zu Titos kommunistischem Jugoslawien. Mit der Bundesverfassung von 1963 erhielt der Kosovo - wie auch die Vojvodina seit 1945 - den Status einer autonomen Provinz. Doch im Herbst 1968 gab es bereits - blutig niedergeschlagene - Demonstrationen für eine „Republik Kosova“ im Rahmen Jugoslawiens. Der Status der Republik wurde zwar nicht zugestanden, aber im Dezember 1968 faktisch gewährt. Die albanische National-

1 vgl. hierzu, BAMF, Serbien und Montenegro/Kosovo, Online-Loseblattwerk, 4. Geschichte, aktuelle Situation,

November 2005

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flagge wurde stillschweigend als Fahne der Kosovo-Albaner geduldet. Als sich führende Repräsen- tanten der Kosovo-Albaner dennoch weiterhin für Kosovo als Republik aussprachen, entstand eine serbische Gegenbewegung. Schon damals wurde dem Kosovo nicht der Status einer Republik zu-gestanden, da man befürchtete, die Provinz werde diesen Status als Sprungbrett zu einer Vereini-gung mit Albanien nutzen. Unter Tito 1974 wurde in einer neuen Verfassung (sog. „Titos Verfas-sung“) der Autonomiestatus des Kosovos gefestigt. Die Provinz wurde weitgehend mit den Republiken gleichgestellt, auch erhielten die Albaner die Anerkennung als Nationalität. Im Unter-schied zu den anderen Republiken (Kroatien, Mazedonien, Slowenien, Montenegro, Bosnien) hatten die Provinzen (Kosovo, Vojvodina) aber kein Recht, sich von Jugoslawien zu lösen (Sezessions-recht).2 Nach Titos Tod im Mai 1980 war das Selbstbewusstsein der Albaner erheblich gestiegen. Sie, die nach den Serben und Kroaten das drittstärkste Volk bildeten, beharrten auf ihrer Forderung nach einer eigenen Republik. Die Studentenunruhen von 1981 nahmen bald die Ausmaße eines allge- meinen Aufruhrs an, gegen den die Serben mit der Armee und äußerster Härte vorgingen. 1987 war das Jahr des politischen Aufstiegs von Slobodan Milosevic. Der neue Chef des Bundes der Kommunisten Serbiens ließ keinen Zweifel daran, dass er die Autonomie Kosovos durch einen Staatsstreich beseitigen wolle. Ende März 1989 wurde die Aufhebung der Autonomie vom Regio-nalparlament des Kosovo „beschlossen“. Von nun an standen Polizei und Justiz im Kosovo unter serbischer Verwaltung, auch bestimmten fast ausschließlich Serben die Politik. Am 28. Juni 1989 wurde der 600. Jahrestag der Amselfeldschlacht begangen; dies diente Milosevic zur Inszenierung seiner Macht und der „glorreichen Vergangenheit“ des serbischen Volkes. Zwischen 1990 und 1998 übten serbische Sicherheitskräfte im Kosovo de facto die Funktion von Besatzungstruppen aus. Als Reaktion auf die serbische Zwangsverwaltung riefen die albanischen Abgeordneten am 2. Juli 1990 in Kaçanik die Teilrepublik Kosovo aus. Am 5. Juli 1990 wurden daraufhin das Parlament und die Regierung Kosovos durch serbische Polizei und Armee aufgelöst. Im September schließlich proklamierten die Albaner eine eigene Verfassung einer (völkerrechtlich nicht anerkannten) souveränen und unabhängigen „Republik Kosova“. Mit der Erklärung der Unabhängigkeit Sloweniens, Kroatiens, Bosnien-Herzegowinas und Maze-doniens 1991 und 1992 kam es zum Zerfall der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Die verbliebenen Republiken Serbien und Montenegro konstituierten sich 1992 neu zur Bundesre-publik Jugoslawien (BRJ), zu der auch der Kosovo gehörte. Bereits seit 1989 hatte die faktische Aufhebung des weit gehenden Autonomiestatus der serbischen Provinz Kosovo zur Zunahme der ethnischen und politischen Spannungen zwischen den 300.000 Kosovo-Serben (heute 100.000) und den rund zwei Millionen Kosovo-Albanern geführt. Der Konflikt erreichte 1999 seinen Höhepunkt,

2 Den Albanern im Kosovo und den Ungarn in der Vojvodina hat man eigene Republiken verwehrt, da in ihrem

Fall dieses Recht durch die bestehenden Staaten Albanien und Ungarn bereits „ausgeschöpft“ sei.

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als die BRJ sich weigerte, das Abkommen von Rambouillet zu unterzeichnen, mit dem dem Kosovo ein weit reichendes Autonomiestatut gewährt werden sollte.3 Am 24. März 1999 begann die NATO die Luftangriffe gegen die BRJ (Operation Allied Force) mit dem erklärten Ziel, „eine humanitäre Katastrophe zu verhindern (und) das Morden im Kosovo zu beenden“. Nach dem Kriegsende rückten im Juni 1999 die unter Führung der NATO gebildeten KFOR-Einheiten, die bis heute die Sicherheit in der Region gewährleisten, in den Kosovo. Am 10. Juni 1999 wurde der Kosovo auf der Basis der Sicherheitsrats-Resolution 1244 der vorläufigen zivilen VN-Verwaltung „United Nations Interim Administration Mission in Kosovo (UNMIK)“ unterstellt.4 Völkerrechtlich gehört der Kosovo aber nach wie vor zur BRJ (seit März 2003 „Serbien und Monte-negro).

1.2 Der Kosovo unter UN-Verwaltung Grundlage der derzeitigen Rechtslage ist die Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrates vom 10. Juni 1999. Darin wird der UNMIK der Auftrag erteilt, nach den kriegerischen Ereignissen eine lokale

Übergangsverwaltung zu schaffen. Mit Verabschiedung der Resolution 1244 wurde die Lösung der Statusfrage aufgescho-ben. Dort ist die Rede von einer „substanziel-len Autonomie“ des Kosovo innerhalb der BRJ und der Aufgabe der UN, einen politi-schen Prozess zu fördern, der den künftigen Status festgelegen soll. Eine zeitliche Begren-zung für die Mission im Kosovo gibt es nicht. Das bewusste Offenhalten des endgültigen völkerrechtlichen Status in der

Kosovo unter internationaler Verwaltung5 Sicherheitsrats-Resolution war eine Art „imperialer Kompromiss“ mit Russland und China. Russ-land sprach sich als traditioneller Verbündeter Serbiens gegen eine mögliche Abtrennung des Ko-sovo von Serbien aus und wurde im UN-Sicherheitsrat von China unterstützt. Beide Staaten be-fürchteten, dass eine Unabhängigkeit des Kosovo gefährliche Sezessionsbestrebungen, insbesondere in Tschetschenien und in den moslemischen Provinzen Chinas entfachen könnte.

3 Bereits im März 1998 hatte der Sicherheitsrat der UN in der Resolution 1160 seine Unterstützung „für einen verbesserten Status für den Kosovo“ bekundet, mit dem auch ein „erheblich größeres Maß an Autonomie und Selbstverwaltung“ verbunden sein müsse. 4 Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages; Nr. 33/05, Der aktuelle Begriff: Völkerrechtlicher Status

des Kosovo, 26.05.2005; http://www.bundestag.de/bic/analysen/2005/2005_05_26a.pdf 5 Deutsche Welle World, Fokus Ost-Südost, 19.01.2006, Kosovo-Albaner dringen auf lokale Selbstverwaltung

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Die Schwerpunkte der internationalen Verwaltung lagen in den ersten zwei Jahren nach Kriegsende im Wiederaufbau, der Rückkehr und in der Überwindung der humanitären Notlage. Mit Verab-schiedung des Verfassungsrahmens für eine provisorische Selbstverwaltung im Mai 2001 und den darauf folgenden ersten Parlamentswahlen kam es zu einer ersten Kompetenzübertragung an die neu geschaffenen Selbstverwaltungsorgane.6

1.2.1 „Standards before Status“ Im April 2002 formulierte der damalige UN-Chef (SRSG7) Michael Steiner erstmals die Strategie „Standards before Status (SBS)“. Als der Weltsicherheitsrat im November 2003 die demokrati-schen und rechtsstaatlichen Standards für Kosovo beschloss, wurde dies als ein wichtiger Schritt für die Zukunft des Kosovo bezeichnet. Mit diesem Konzept wurden Kriterien der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung definiert, deren Erfüllung die Voraussetzung für einen Beginn von Verhandlungen über die Statusfrage sein sollte. Definiert wurden acht so genannte benchmarks (Funktionieren der demokratischen Institu-tionen, Rechtsstaatlichkeit, Bewegungsfreiheit für alle ethnischen Gruppen, Rückkehr von Flücht-lingen und Vertriebenen, Lösung der Eigentumsfragen, Verbesserung der wirtschaftlichen Situation, Dialog mit Serben und Reform des KPC8. Eine Evaluation der Standards war für Mitte 2005 vorge-sehen. Bis zum März 2004 kam es zu keiner wirklichen Bewegung in der Statusfrage. Hinter der zögerli-chen Haltung verbarg sich die Furcht, dass eine Anerkennung der Unabhängigkeit zur Destabilisie-rung der gesamten Region führen könnte. Nationalistische Kräfte in Serbien könnten dies zum An-lass für einen neuen Konflikt nehmen, zumindest aber wäre eine Radikalisierung zu erwarten, wenn Kosovo von Serbien ohne dessen Zustimmung endgültig abgelöst würde. In Mazedonien wiederum könnten albanische separatistische Kräfte die Anerkennung zum Anlass nehmen, eine Aufteilung des Landes nach ethnischen Kriterien zu fordern und damit den unter Vermittlung der EU am 13. August 2001 mühsam erreichten Frieden gefährden. Nicht zuletzt in Bosnien könnte die Friedens-regelung von Dayton in Frage gestellt werden. Eine scheinbar nach ethnischen Kriterien erfolgte Abtrennung Kosovos von Serbien würde auch den nationalistischen Kräften in der bosnischen Ser-benrepublik Aufwind geben, sich weiter Serbien anzunähern, anstatt sich stärker in den gemeinsa-men Staat einzugliedern.9

6 Helmut Kramer, Vedran Dzihic, Die Kosovo Bilanz, LIT Verlag, Wien 2005 7 Special Representative of the Secretary General 8 Kosovo Protection Corps, Nachfolgeorganisation der UCK 9 Stefan Dehnert, Internationale Politikanalyse, Unruhiger Kosovo: Konfliktstrukturen und Lösungsansätze

(06/04)

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Dieses Aufschieben der Behandlung der Statusfrage wurde durch das Konzept (SBS) zur offiziellen Basisstrategie der UNMIK, obwohl das Vertagen des Problems immer mehr zu einem entscheiden-den Hindernis im Aufbau- und Normalisierungsprozess wurde und vor allem zu wachsendem Un-mut in der Bevölkerung führte, die mit der UN-Verwaltung nicht mehr zufrieden war.

1.2.2 „Standards and Status“ Erst die Unruhen im März 2004 führten zu einer neuen Dynamik in der Statusfrage. Der konstante Druck der albanischen Seite in Richtung Unabhängigkeit brachte die internationalen Akteure unter Zugzwang. Um der Gefahr einer Radikalisierung von Teilen der Gesellschaft entgegenzuwirken, hat die internationale Gemeinschaft seither Maßnahmen eingeleitet, welche die Lösung der Status-frage beschleunigen sollen.10 Der Ablösung des Verwalters Holikeris durch Jessen-Petersen folgte der Bericht des norwegischen Diplomaten Kai Eide im Auftrag des UN-Generalsekretärs zur Lage im Kosovo vom Juli 2004. Eide sprach sich dafür aus, die bisherige Politik der Statusfrage zu über-denken. Die neue Strategie lautete nun „Standards and Status“. Die Status-Frage sollte im Verlauf des Jahres 2005 weiter vorangebracht werden. Am 27. Mai 2005 wurde vom UNO-Sicherheitsrat offiziell bestätigt, dass es zwar unübersehbare Fortschritte gegeben habe, bis jetzt aber keiner der acht Standards vollumfänglich erfüllt wurde. Gleichzeitig wurde das Startsignal für deren erneute Prüfung (Evaluation) gegeben. Im Sommer 2005 ernannte der Gene-ralsekretär der UNO, Kofi Annan, den norwegischen Botschafter in der NATO, Kai Eide zum „Spe-cial Envoy“ für die umfassende Bewertung der Standards. Der im Oktober 2005 vorgelegte Bericht des UNO-Sondergesandten zeichnete ein verheerendes Bild von der Situation in der südserbischen Provinz: Die wirtschaftliche Lage sei „trostlos“ und die Aussichten für eine friedliche und multiethnische Gesellschaft „düster“, der Kosovo erfülle die von der UNO vorgegebenen demokratischen Standards bisher nur „uneinheitlich“. Eide sprach sich da-für aus, die „Dezentralisierung“ (verstärkte Gemeindeautonomie, in denen auch den Kosovo-Serben Selbstverwaltung und Autonomie im Bildungs- und Gesundheitswesen gewährleistet werden könn-ten) weiter voranzutreiben und die Autonomie der regionalen Einheiten auch auf Polizei und Justiz auszudehnen. Serbisch besiedelte Gebiete sollten sich vernetzen und „besondere Beziehungen“ mit Belgrad unterhalten dürfen. Gerade wegen der großen Schwierigkeiten sei „die Zeit für Statusver-handlungen gekommen“. Am 24. Oktober 2005 stimmte auf Empfehlung von UN-Generalsekretär Kofi Annan der UN-Si-cherheitsrat der Aufnahme von Verhandlungen über den künftigen Status der von der UN verwal-teten serbischen Provinz Kosovo einstimmig zu. Ziel der Verhandlungen solle es sein, einen multi-ethnischen und demokratischen Kosovo zu schaffen, der zur Stabilität in der Region beitrage, heißt

10 Robert Pichler, Kosovo vor der Statusfrage, in: Ost-West-Gegeninformationen, Jg. 17, Nr. 2/2005

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es in der UN-Erklärung. Dabei darf es keine Rückkehr in das Jahr 1999, keine Veränderungen des Territoriums, sowie auch keine Teilung oder Zusammenführung des Kosovo mit einem anderen Staat geben (vgl. Anhang). Zum UN-Sondergesandten für die Kosovo-Statusverhandlungen wurde der ehemalige finnische Präsident Martti Ahtisaari benannt. Dieser traf bereits am 21. November mit seinem Team zu einem ersten Besuch in Pristina ein. Die nächsten Stationen des Verhandlungsteams waren Belgrad, da-nach Podgorica, Skopje und Tirana. Ahtisaari erklärte, er werde bei seiner Arbeit den Prinzipien der

Kontaktgruppe (siehe 2.2) für die Lösung des Kosovo-Status folgen. Der UN-Sonderge-sandte weigerte sich, Spekulationen über ei-nen möglichen Ausgang oder über die Dauer der Statusverhandlungen anzustellen. Er be-tonte, man sei sich unabhängig vom Ausgang der Verhandlungen darüber einig, dass die in-ternationale Gemeinschaft noch einige Zeit im Kosovo bleiben müsse.11

Martti Ahtisaari Nach dem ersten Abtasten, über das nichts bekannt wurde, sollten ursprünglich in der zweiten Janu-arhälfte 2006, noch vor den eigentlichen Verhandlungen über den künftigen Status des Kosovo, in Wien die ersten direkten Gespräche zwischen Serben und Albanern beginnen. Wegen des Todes von Präsident Rugova am 21. Januar 2005 wurden diese Gespräche auf den 20. Februar verschoben. Die Status-Frage soll dabei zunächst (noch) nicht gestellt werden, stattdessen Themen wie die Dezentralisierung, die Kompetenzen von Gemeinden oder die Frage der Vermiss-ten besprochen werden. Es soll um technische Fragen wie „Wer ist zuständig für die Müllabfuhr“, Wasser oder Bildungseinrichtungen gehen mit dem Ziel, möglichst viele Gemeinsamkeiten und konkrete Lösungen zu finden. Die Lösung des Problems aus Belgrader Sicht liegt in der Bildung einer serbischen Entität, die die Kommunen mit serbischer Mehrheitsbevölkerung erfasst, die al-lerdings kein kompaktes Gebiet darstellen würde. Damit soll den Serben eine sichere Existenz in der Provinz ermöglicht werden. Bestandteile der serbischen Entität wären auch die bekanntesten serbisch-orthodoxen Klöster und Kirchen, die sich allerdings nicht auf dem Gebiet der serbischen Gemeinden befinden. Dabei betont Belgrad, dass eine serbische Entität keine Grundlage für eine Teilung des Kosovo wäre, sondern nur für eine serbische Autonomie im Kosovo. Zu erwarten ist, dass die kosovo-albanische Seite die Bildung von Entitäten und Teilungen jeglicher Art nicht ak-

11 Deutsche Welle, Fokus Ost-Südost, 24.11.2005 , Erste Kontaktaufnahme vor Kosovo-Verhandlungen

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zeptieren wird. Das Hauptargument der Kosovo-Albaner ist dabei: Die Dezentralisierung sei ohne-hin eine „innere Frage“, in die sich Belgrad nicht einzumischen habe.

1.3 Verfassungs- und Völkerrecht Die Kosovo-Albaner fordern die Unabhängigkeit und damit die Sezession des Kosovo von Serbien und berufen sich dabei auf ihr Selbstbestimmungsrecht. Serbien beruft sich dagegen auf seine Ver-fassung, seine staatliche Souveränität und territoriale Integrität. Verfassungsrechtlich steht dem Kosovo ein Sezessionsrecht nicht zu. Nach wie vor ist der Kosovo fester Bestandteil der Republik Serbien.12 Das Recht der externen Selbstbestimmung wurde in der sozialistischen jugoslawischen Verfassung den sechs jugoslawischen Republiken zuteil, nicht je-doch den beiden serbischen Provinzen Kosovo und Vojvodina. Dies wird auch durch die UN-Re-solution 1244 nicht in Frage gestellt. Dort heißt es, dass der Kosovo ein Bestandteil der Bundesre-publik Jugoslawien ist. Auch die Statusänderung der BR Jugoslawien hin zu dem Staatenbund Ser-bien und Montenegro hat nichts an der Souveränität Belgrads über den Kosovo geändert, da die Staatenunion sich als völkerrechtlicher Rechtsnachfolger der BR Jugoslawien mit einheitlicher Rechtspersönlichkeit betrachtet und so auch von der internationalen Staatengemeinschaft akzeptiert wird. Auch wenn Montenegro den Staatenbund verlassen sollte, so würde verfassungsrechtlich Ser-bien die Souveränität über den Kosovo beibehalten. Bereits in der Präambel der Verfassungsur-kunde wird die territoriale Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien bekräftigt. Darüber hinaus - und mit Weitsicht hinsichtlich der Kosovo-Frage - wird im Falle des Austritts Montenegros aus der Staatenunion die alleinige völkerrechtliche Rechtsnachfolge Serbien zuerkannt.13

Völkerrechtlich betrachtet stehen einem Sezessionsrecht der Grundsatz der territorialen Integrität sowie die Staatensouveränität entgegen. Daher wird ein automatisches Sezessionsrecht als Ausfluss aus dem Selbstbestimmungsrecht abgelehnt. Beherrscht von der Befürchtung, der Durchbruch des Selbstbestimmungsrechts in Gestalt eines ungezügelten Sezessionsrechts werde zur Instabilität der universellen Friedensordnung führen, hat die Völkerrechtsdogmatik ein ausgesprochen restriktives Sezessionsrecht hervorgebracht.14 Ob und wann eine ethnische Abspaltung aus einem multiethnischen Staat gerechtfertigt ist und wel-che Voraussetzungen dafür vorliegen müssen, ist umstritten. Das etablierte System von National-staaten, wie es die Grundlage des Staatenverkehrs innerhalb der Vereinten Nationen ist, würde da-

12 Verfassung der SFR Jugoslawien, - Erster Teil - Die Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien – Artikel 1, 4,

S. 9f. 13 Dr. Alexander Neu, Die Zukunft des Kosovo, in: Osteuropa, September 2005 14 Dördelmann, Gabriele, Rechtsethische Rechtfertigung der Sezession von Staaten, http://www.db-

thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-1405/doerdel-ch1.html

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durch in Frage gestellt. So ist es kein Zufall, dass Spanien unter der konservativen Regierung Aznar vehement gegen die Unabhängigkeit Kosovos eintrat. Mit Abspaltungstendenzen im eigenen Lande konfrontiert, will man dort jeden Anschein vermeiden, zu Konzessionen in dieser Frage bereit zu sein. Während die Debatten um eine Auflösung der nationalen Grenzen in Europa sich vom klassi-schen Nationenbegriff immer weiter entfernen, ist das Bedürfnis Kosovos nach Gründung eines weitgehend ethnisch verfassten, neuen Staates zwar aus der Geschichte heraus verständlich, liegt aber im Kontrast zur allgemeinen Entwicklung innerhalb der EU. Es wird argumentiert, dass mit dem Recht auf Selbstbestimmung nicht gleichzeitig ein Anspruch auf Sezession aus einem Vielvöl-kerstaat einhergehe. Solange das Selbstbestimmungsrecht durch weit gehende Autonomie oder fö-derale Organisation des Staates beachtet werde, entstehe auch kein Anspruch auf Loslösung aus dem Staatsverbund. Serbien ist durchaus bereit, dem Kosovo eine weitgehende Autonomie zuzu-gestehen.15 Fraglich ist, ob die Unterdrückung der Kosovo-Albaner durch das Milosevic-Regime zwischen 1989 und 1999 einen Anspruch auf Unabhängigkeit rechtfertigt. Es wird die Ansicht vertreten, es bestehe ein Sezessionsrecht in den Fällen, in denen das Selbstbe-stimmungsrecht dem betroffenen Volk in unzumutbarer Weise vorenthalten werde, insbesondere, wenn schwere Menschenrechtsverletzungen gegenüber dem Volk, das sich auf sein Selbstbestim-mungsrecht beruft, durch den Heimatstaat zu verzeichnen sind. Die Ausübung des Selbstbestim-mungsrechts in Form der Sezession könnte so als zulässige Selbstverteidigung anzuerkennen sein. Da die militärische Intervention im Kosovo mit dem Schutz der Kosovo-Albaner vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen gerechtfertigt wurde, wäre nach der hier vertretenen Auffassung auch die Durchsetzung einer Sezession gerechtfertigt gewesen.16 Dem könnte jedoch entgegen gehalten werden, dass zwar die Serben ihren Souveränitätsanspruch 1999 zu Recht verloren, die Albaner ihn noch keineswegs erworben hätten (die Standards nicht er-füllt). Schließlich seien für die Minderheiten weder Sicherheit und Eigentumsrechte noch das Recht auf Rückkehr und auf die eigene Identität ausreichend garantiert. Außerdem sei auch Serbien nicht mehr das gleiche Land wie unter Milosevic. Es habe eine demokratisch gewählte, dem Rechtsstaat verpflichtete Regierung, sei Mitglied der UNO und unwiderruflich auf dem Weg zur Integration in die EU.17 Das formale Recht ist jedoch nur die eine Seite. In den sechs Jahren seit Kriegsende haben die Ver-einten Nationen die südserbische Region nicht einfach nur verwaltet, sondern es entstand eine völlig

15 Stefan Dehnert, Unruhiger Kosovo: Konfliktstrukturen und Lösungsansätze, in: Europäische Politik 06/2004 16 Dördelmann, Gabriele, Rechtsethische Rechtfertigung der Sezession von Staaten, http://www.db-

thueringen.de/servlets/DerivateServlet/Derivate-1405/doerdel-ch1.html 17 NZZ vom 14.01.2006, Die Zukunft der Existenzform Kosovos als Quadratur des Zirkels

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neue Realität. Sie ist - bis auf die Stadt Mitrovica und einige andere Flecken im Norden - durchgän-gig albanisch geprägt. Paul R. Williams, ein amerikanischer Spezialist für internationales Recht, vertritt das Konzept der „earned sovereignty“, der verdienten Souveränität. Zur Lösung von Territorialkonflikten gebe es einen Mittelweg zwischen jenen, die an bestehenden Souveränitätsansprüchen festhielten (wie die Serben), und jenen, die das Prinzip des Selbstbestimmungsrechts forderten (wie die Kosovo-Alba-ner). Verdiente Souveränität bedeutet im Konzept von Williams die allmähliche, an Bedingungen geknüpfte Übertragung von Hoheitsrechten von einem Staat auf eine substaatliche Entität unter in-ternationaler Aufsicht. Genau dies hat in den vergangenen sechs Jahren im Kosovo stattgefunden.18

2. Ausgangslage Die internationale Gemeinschaft tut sich neben der Diskrepanz zwischen der Realität und dem Völ-kerrecht mit der Entscheidung über den endgültigen Status des Kosovo auch deshalb so schwer, weil zum einen die Grundpositionen der beiden Konfliktparteien äußerst gegensätzlich sind und eine von der Internationalen Gemeinschaft getroffene Regelung, die von den Parteien nicht mitge-tragen würde, nur von kurzer Lebensdauer wäre. Zum anderen gibt es aber auch innerhalb der In-ternationalen Gemeinschaft und der so genannten Balkan-Kontaktgruppe, der die USA, Russland, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien angehören, unterschiedliche Ausgangspositio-nen und Ansichten.

2.1 Ausgangspositionen Belgrads und Pristinas Die Ansichten der Kosovo-Albaner und der serbischen Führung in Belgrad über den völkerrechtli-chen Status Kosovos sind nach wie vor völlig unvereinbar. Beide Seiten haben wenig Handlungs-spielraum.

2.1.1 Kosovo Die kosovo-albanische Seite hat eine klare Vorstellung über den Endstatus: der Kosovo muss ein unabhängiger, völkerrechtlich anerkannter Staat sein, der als solcher zunächst Mitglied der Verein-ten Nationen und dann in der EU wird. Die Ungewissheit über den endgültigen Status wurde im März 2005 von 49,2% der Kosovo-Alba-ner als das größte Problem im Kosovo betrachtet (aber nur von 6,4% der Kosovo-Serben). Die ko-sovo-albanische Bevölkerung sprach sich zu 94,4% für die Unabhängigkeit im Rahmen der derzei-tigen Grenzen aus. Für eine Union mit Albanien (großalbanische Lösung) nur 5,2%. Andere Opti-

18 NZZ vom 14.01.2006, Die Zukunft der Existenzform Kosovos als Quadratur des Zirkels

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onen wie Teilung des Kosovo, Verbleib innerhalb Serbiens oder Beibehaltung des internationalen Protektorats wurden nur von wenigen Befragten unterstützt.19 Die überwältigende Mehrheit der Kosovo-Albaner und alle albanischen Politiker beharren auf ih-rem Standpunkt, dass nur die Unabhängigkeit des Kosovo Frieden und Stabilität sichern kann. Der im Januar 2006 verstorbene Präsident des Kosovo, Ibrahim Rugova, brachte 2003 unmissverständ-lich die Haltung der Kosovo-Albaner zur Statusfrage auf den Punkt: „Die Unabhängigkeit Kosovos ist eine Forderung des gesamten kosovarischen Volkes, und das seit der Volksabstimmung des Jah-res 1991.“20 Die Position anderer politischer Vertreter unterscheidet sich kaum von der Position Rugovas. Die Forderung ist seit Kriegsende für jeden Politiker zu einem politischen Muss gewor-den. Die vehementen Forderungen lassen sich durch die jahrelange Repression des serbischen Staates im Kosovo und das brutale Vorgehen der Armee und sonstiger Verbände gegen die Albaner erklären. Dadurch hätten die Serben ihren Souveränitätsanspruch 1999 verloren. Schließlich wurde auch die militärische Intervention im Kosovo mit dem Schutz der Kosovo-Albaner vor gravierenden Menschenrechtsverletzungen (ethnische Säuberung) gerechtfertigt. Durch diese Ereignisse ist die Vorstellung eines gemeinsamen Lebens im staatlichen Verband mit Serbien für die Albaner völlig unmöglich geworden. Zu tief sitzt das Misstrauen, dass Belgrad sei-nen Einfluss auf Kosovo wieder ausweiten könnte. Jeder Vorschlag in dieser Richtung wird radikal abgelehnt. Die Forderungen nach Unabhängigkeit spiegeln sich auch in zahlreichen Initiativen des kosovarischen Parlaments wider, mit denen in den letzten Jahren versucht wurde, den Anspruch zu untermauern.

Wegen der anhaltenden Auseinandersetzungen und Machtkämpfe zwischen der Regierungskoalition (LDK, AAK) und der Opposition (PDK, ORA), vor allem aber zwischen Rugova und Thaci, war es für die kosovo-albanischen Politiker dennoch schwierig, ein gemeinsames Verhandlungsteam und eine gemein-same Verhandlungsposition zu finden. Erst nach zä-hem Ringen konnte Präsident Rugova im September 2005 sein Verhandlungsteam der Öffentlichkeit vor-

Ibrahim Rugova vorstellen: Es sollte von Ibrahim Rugova (LDK) selbst geleitet werden. Parlamentspräsident Nexhat Daci (LDK), Ministerpräsident Bajram Kosumi (AAK) sowie die Führer der beiden Oppositions-parteien, Hashim Thaci (PDK) und Veton Surroi (ORA) wurden als weitere Mitglieder der Ver-handlungsgruppe genannt.21

19 Helmut Kramer, Vedran Dzihic, Die Kosovo Bilanz, LIT Verlag, Wien 2005 20 Die Albaner im Kosovo bekannten sich im September 1991 in einer Volksabstimmung zur „Republik Kosovo“. 21 Deutsche Welle, Fokus Ost-Südost, 29.09.2005, Kosovo: Verhandlungsteam für Status-Gespräche gegründet

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Hashim Thaci (PDK) Veton Surroi (ORA)

Die verfeindeten Politiker haben sich dann auch nicht auf viel mehr als darauf zu einigen vermocht, auf der Selbständigkeit Kosovos zu bestehen. Die offizielle Verhandlungsposition lautet: „Die Un-abhängigkeit ist nicht verhandelbar“. Dem wurde schließlich noch die Möglichkeit einer Volksbe-fragung über den Ausgang der Statusverhandlungen zugefügt. Damit soll es den Verhandlungsfüh-rern ermöglicht werden, unter Hinweis auf den Volkswillen Kompromissvorschläge abzuschla-gen.22 Eine weitergehende Kompromissformel wurde nicht gefunden. Insbesondere Präsident Ru-gova vertrat die Auffassung, dass die Kosovo-Albaner schon ausreichend Kompromissbereitschaft unter Beweis stellen, wenn sie auf eine Vereinigung mit Albanien verzichten. Rugova verlangte eine „direkte“ Anerkennung der Selbständigkeit Kosovos durch die USA.23 Direkte Gespräche mit Belgrad wurden zunächst abgelehnt, da Serbien kein Recht zustehe, über die Zukunft Kosovos mit zu entscheiden. Die Albaner machen keinen Hehl daraus, dass sie auf die USA setzen, um die Los-lösung von Serbien zu erreichen. Auch der Vorschlag der „bedingten Unabhängigkeit“ (vgl. unter 4) wonach der Kosovo erst nach Übergangszeiten souverän werden könnte, wurde abgelehnt. Nur wenige Kosovo-Albaner können sich eine „bedingte Unabhängigkeit“ vorstellen. Einer davon ist allerdings der einflussreiche Inha-ber der Zeitung Koha Ditore, Veton Surroi, Mitglied des Verhandlungsteams.24 Vehement abgelehnt werden auch die offiziellen Vorschläge der serbischen Seite, die Ende 2005 vorgelegt wurden (Schaffung eines serbischen Kosovo-Teils mit weit gefasster Autonomie, siehe unten). „Alles, was auf eine physische Teilung Kosovos hinausläuft, wird nicht gehen“, sagte der

22 Dusan Reljic, Krieg der Resolutionen, in SWP-Aktuell, Dezember 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1500 23 Franz Altmann, Unabhängigkeit auf Raten, in SWP-Aktuell, Juni 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php? 24 Der Standard, 17.01.2006, Kosovo-Zukunft: Mauern und Lauern

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Kosovo-Parlamentspräsident Nexhat Daci.25 „Wir wollen staatliche Eigenstaatlichkeit, mit einem eigenen Sitz in der UNO“ erklärt Hashim Thaçi, und dann allerdings weiter: „Aber internationale Experten für die Bereiche Sicherheit und Justiz sollen weiterhin im Kosovo bleiben. Hier könnte die EU eine wichtige Rolle spielen. Wichtig ist für uns, dass auch die USA und die Nato weiterhin prä-sent bleiben“.26 Nach dem plötzlichen Tod Rugovas am 21. Januar, knapp eine Woche vor dem ursprünglich ge-planten Verhandlungsbeginn, konnten sich die Kosovo-Albaner überraschend schnell auf einen Nachfolger einigen. Nach Rugovas Tod gab es Befürchtungen, dass in der von ihm mit autoritärer Hand geführten Partei Machtkämpfe ausbrechen könnten. Mit der raschen Nachfolgeregelung hat die LDK-Führung diese Ängste vorerst zerstreut. Bereits am 10. Februar 2006 wurde der Generalsekretär der LDK, Fatmir Sejdiu zum neuen Präsi-denten des Kosovo gewählt. Der 54-jährige Rechtsexperte war Mitglied des Parlamentspräsidiums und gehört zum Kreis langjähriger Mitarbeiter Rugovas. Der als ruhig und besonnen beschriebene Universitätsprofessor war Mitbegründer der LDK und gilt international als „berechenbar“. Der EU-Außen- und Sicherheitsbeauftragte Javier Solana bezeichnete die Wahl Sejdius als „Demonstration der Reife und ein wichtiges Zeichen der Einigkeit in dieser Zeit der Herausforderung für den Ko-

sovo“. Fatmir Sejdiu besitzt aber nicht die parteiübergreifende Autorität seines Vorgängers Rugova, innerhalb des Verhandlungsteams könnte ihm in Hashim Thaci Konkurrenz erwachsen. Beobachter erwarten, dass der Führer der zweitgrößten Partei (PDK) und Ex-Kommandant der „Befreiungsar-mee“ (UÇK) seinen Führungsanspruch nicht so schnell aufgibt. Sejdiu kün-digte zwar nach seiner Wahl die Fortsetzung der Politik seines Vorgängers Rugova an. Insider in Pristina befürchten jedoch, dass Fatmir Sejdiu zu einem Kompromiss mit Belgrad neigen könnte.

Neuer Kosovo-Präsident Fatmir Sejdiu (LDK) Die ersten direkten Gespräche zwischen Kosovo-Albanern und der serbischen Regierung sollen nun am 20. Februar in Wien stattfinden. Bei diesem Termin handelt es sich zwar um den symbolischen Start zu den Statusgesprächen, allerdings soll es vorerst „nur“ um technische Details ( Dezentrali-sierung und Reform der Lokalverwaltung gehen), so dass die Spitzenpolitiker noch nicht daran teil-nehmen.

25 Basler Zeitung, 11.01.2006, Albaner lehnen serbische Vorschläge für Kosovo ab 26 DiePresse.com, 20.01.2006, Hashim Thaçi: "Unabhängigkeit ist einzige Lösung".

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2.1.2 Serbien Die Haltung der Kosovo-Serben ist völlig konträr zu der der Kosovo-Albaner. Eine überwältigende Mehrheit von 95,5% optiert für eine autonome Provinz innerhalb Serbiens, also mit einem Status, der sich an die ehemalige Verfassung von 1974 anlehnt. Eine Teilung würden nur 3% bevorzugen. Auch für die serbischen Politiker ist die Unabhängigkeit der Provinz vollkommen inakzeptabel. Belgrad beharrt auf den Bestimmungen der Sicherheitsratsresolution 1244, wonach der Kosovo völ-kerrechtlich weiterhin Bestandteil von Serbien und Montenegro ist. Serbien argumentiert u.a. damit, dass laut UN-Charta und der Helsinki-Schlussakte die Unversehrbarkeit international anerkannter Staaten garantiert ist. Einzig die vormaligen Teilrepubliken des zerfallenden Jugoslawien hätten ein Recht auf Unabhängigkeit. Kosovo war aber lediglich eine Provinz Serbiens. Auch hier stellt das Festhalten an der Position für jeden Politiker ein politisches Muss dar. Für den überwiegenden Teil der serbischen Politiker und der serbischen Bevölkerung ist der Kosovo aus historischen, kulturellen und nicht zuletzt auch aus machtpolitischen Gründen weiterhin die „Wiege des Serbentums“. An dieser Position hat sich auch seit dem Sturz Milosevics nicht viel geändert. Mit dem Wiedererstarken der Nationalisten bei den Parlamentswahlen im Oktober 2003 und den Märzunruhen 2004 wurde der Kosovo wieder verstärkt zum Thema. Obwohl der Mythos des Ko-sovo als Wiege der serbischen Nation in Serbien langsam an Bedeutung verliert, kann es sich kein Politiker erlauben, einen Vertrag zu unterschreiben, der wirklich die Unabhängigkeit des Kosovo anerkennt. Dabei ist jedem realistischen Politiker in Belgrad klar, dass der Kosovo seit spätestens 1999 verloren ist. Nur hat niemand den Mut, dies deutlich zu sagen. Belgrad, das noch bis vor kurzem jegliche Verhandlungen ablehnte und stereotyp auf die Zugehö-rigkeit der Provinz zu Serbien beharrte, hat nunmehr die Formel „Mehr als Autonomie, weniger als Unabhängigkeit“ geprägt. Jede neue Grenzziehung auf dem Balkan erzeuge Instabilität. Durch Be-schwören des Domino-Theorie-Szenarios, das heißt der Möglichkeit nachfolgender Zerfallsent-wicklungen in den ohnehin instabilen multiethischen Staaten sucht Belgrad den Schulterschluss mit den Anrainerstaaten, insbesondere mit Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. Des Weiteren er-hofft sich Belgrad die Unterstützung Russlands. Schon seit März 2005 fanden regelmäßige Treffen der führenden Politiker statt (Unionspräsident Markovic, Serbiens Präsident Tadic, Serbiens Premier Kostunica, Unions-Außenminister Draskovic und der Kosovo-Koordinator Covic), um möglichst mit einer Stimme in die Verhandlungen zu ge-hen. Man wollte seine Verhandlungsposition nicht durch offensichtliche Uneinigkeiten im vorhin-ein schwächen.27

27 Franz-Lothar Altmann, Unabhängigkeit auf Raten, in SWP-Aktuell, Juni 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php

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Die Verhandlungsgrundlage Belgrads wurde am 21. November 2005 in einer Parlamentsresolution festgehalten, die den Verzicht auf die völkerrechtliche Zugehörigkeit Kosovos zu Serbien aus-drücklich ablehnt. Es wird aber auch die Bereitschaft angedeutet, weitgehende Zugeständnisse zu machen.28 Fünf Forderungen sollen durchgesetzt werden: der serbische Souveränitätsanspruch mit weitgehender Autonomie des Kosovo, die Dezentralisierung der Provinz und die Schaffung einer serbischen Entität sowie der Schutz des serbischen Kulturerbes und des Eigentums.29 Auch hier wird die Möglichkeit einer Volksbefragung über den Ausgang der Statusverhandlungen offen ge- lassen. Auch zwischen den beiden serbischen Spitzenpolitikern Tadic und Kostunica herrscht grundsätzlich Uneinigkeit. Nach wochenlangen Diskussionen nominierte Belgrad am 24. November 2005 endlich das Verhandlungsteam für die anstehenden Statusgespräche unter Führung des Präsidenten Tadic, des Ministerpräsidenten Kostunica und des Außenministers Draskovic.

Serbiens Premier Kostunica (DSS) Serbiens Präsident Tadic (DS)

Beim ersten Treffen mit Ahtisaari im November 2005 bekräftigten Kostunica und Draskovic die Standpunkte Belgrads: Wahrung der Souveränität und Gebietseinheit Serbiens, sowie Schutz der Minderheiten in der Provinz, wobei die Strategie Belgrads auf der Lösungssuche eine europäische ist, die mit den Empfehlungen aus dem Kosovo-Bericht des UN Sondergesandten Kai Eide, sowie mit den Prinzipien der Kontaktgruppe in Einklang steht. Der montenegrinische Regierungsvorsitzende Milo Djukanovic erklärte am 03. November, dass Montenegro kein Interesse an einer Beteiligung an den Gesprächen über den Status des Kosovo habe, sprach sich aber für eine demokratische und schnelle Lösung des Problems aus.30

28 Dusan Reljic, Krieg der Resolutionen, in SWP-Aktuell, Dezember 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1500 29 Neue Zürcher Zeitung, 16.01.2006, Die Zukunft der Existenzform Kosovos als Quadratur des Zirkels 30 Hanns Seidel Stiftung, Serbien und Montenegro, Monatsbericht November 2005,

http://www.hss.de/downloads/Serbien_November.pdf

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2.2 Die internationale Gemeinschaft Die Internationale Staatengemeinschaft, vertreten durch den UN-Sicherheitsrat und die so genannte Kontaktgruppe, der neben Deutschland noch Frankreich, Großbritannien, Italien, Russland, die USA sowie die EU angehören, hat es bisher vermieden, klar Stellung zu beziehen. Bei allen Betei-ligten sind trotz grundsätzlicher Zusammenarbeit durchaus unterschiedliche nationale Interessen vorhanden. Nach der Beschlussfassung über die Aufnahme von Verhandlungen im Oktober 2005 hat die UNO den ehemaligen finnischen Präsidenten Martti Ahtisaari zum UN-Sondergesandten für die Kosovo-Statusverhandlungen benannt. Die Verhandlungen sollen auf Grund der UN-Resolution Nr. 1244 aus dem Jahre 1999 und relevanten Erklärungen des Sicherheitsrates durchgeführt werden. Als weitere Richtschnur für die Verhandlungen sollen die Empfehlungen der Kontaktgruppe dienen, in denen ein demokratischer und multi-ethnischer Kosovo unter Wahrung der Menschenrechte und grundlegenden Freiheiten angestrebt und die Rückkehr zur Lage vor 1999 ebenso abgelehnt wird wie eine Teilung des Kosovo oder dessen Anschluss an einen Nachbarstaat.31 Ahtisaari erklärte, dass das Ergebnis der Verhandlungen offen sei und den beiden Konfliktparteien keine Lösung auf-gezwungen werde, sondern das Ergebnis eines Kompromisses sein müsse. Als Stellvertreter Ahti-saaris gehört Albert Rohan, Ex-Generalsekretär im österreichischen Außenamt, zu den Spitzen des Verhandlungsteams. Der Verhandlungsort ist in Wien. In den Staaten der EU sind trotz der grundsätzlichen Einigkeit durchaus unterschiedliche Positionen und Interessen vorhanden. Großbritannien vertritt die Haltung, die Frage schnell zu lösen, verlangt dazu den Dialog zwischen Belgrad und Pristina. Ebenso sieht es Griechenland. Auch Italien ver-langt die Einbeziehung Belgrads. Frankreich und Spanien sehen eine Abspaltung Kosovos von Ser-bien eher zurückhaltend.32 Frankreich wird eine gewisse Nähe zu Serbien nachgesagt. Obwohl Frankreich am Krieg gegen die BR Jugoslawien teilgenommen hat, könnte man Paris als wichtigs-ten westlichen Fürsprecher Serbiens betrachten. Paris hat angesichts eigener nationalpolitischer Konflikte (Korsika) auch aus eigennützigen Gründen kein Interesse daran, mit einer Unabhängig-keit des Kosovo einen Präzedenzfall zu schaffen. Paris kann in der EU, im UN-Sicherheitsrat und in der Balkan-Kontaktgruppe seine Vorstellungen effektiv artikulieren. Der Rat der Europäischen Union hat am 7. November 2005 die EU-Position (vgl. Anhang) zu den bevorstehenden Verhandlungen festgelegt, die die Parameter für künftige Statusgespräche und -op-tionen formuliert. So besteht Konsens, dass jede Statuslösung zur Stärkung der regionalen Sicher-

31 Hanns Seidel Stiftung, Serbien und Montenegro, Monatsbericht November 2005,

http://www.hss.de/downloads/Serbien_November.pdf 32 Helmut Kramer, Vedran Dzihic, Die Kosovo Bilanz, LIT Verlag, Wien 2005

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heit und Stabilität beitragen muss, infolgedessen wurden für die Verhandlungen klare Prämissen definiert: - Keine Rückkehr des Kosovo zum Status von vor 1999, also keine Rückkehr unter serbische

Oberhoheit. - Keine Teilung in einen rein serbischen und einen albanischen Teil. - Kein Anschluss an einen Drittstaat (Albanien) oder Zusammenschluss mit anderen albanischen

Siedlungsgebieten (kein Großalbanien). Einigkeit besteht auch darin, dass dem Schutz der Rechte der Minderheiten im Kosovo eine zentrale Rolle zukommen müsse. Schließlich wird die Perspektive einer künftigen Integration Serbien und Montenegros wie auch des Kosovo in die euro-atlantischen Strukturen bekräftigt. Zudem gilt es in den kommenden Monaten, EU-intern zu klären, in welchem Ausmaß sich die Union im Kosovo nach der Festlegung des Endstatus engagieren will. Einige Modelle sehen für die EU eine wichtige Rolle bei der Implementierung einer Kosovo-Lösung vor, etwa in Form einer EU-Justiz- und Polizeimission.33 Nach den Unruhen im März 2004 hat sich die Balkankontaktgruppe34, in der Deutschland, Frank-reich, Großbritannien, Italien, Russland, die USA und die Europäische Union zusammenwirken, wieder verstärkt in die Kosovo-Diskussion eingeschaltet. Gerade in der Status-Frage ist Einverneh-men in der Kontaktgruppe aber nicht ohne weiteres zu erwarten. Staaten wie Russland und Frank-reich haben wegen nationaler Probleme (Tschetschenien, Korsika) mit Veränderungen des völker-rechtlichen Status quo größere Schwierigkeiten als andere Mitglieder der Kontaktgruppe. Die Kontaktgruppe hat einen Prinzipienkatalog erarbeitet, der eine gemeinsame Position der inter-nationalen Gemeinschaft zum Ausdruck bringt und sowohl prozedurale als auch inhaltliche Richtli-nien für die Statusverhandlungen festlegt. In einem am 10. November 2005 veröffentlichten Doku-ment des Weltsicherheitsrates wurden die Leitprinzipien der Balkan-Kontaktgruppe für den Ver-handlungsprozess dargelegt. Zusätzlich zu den EU-Positionen wird unter anderem hervorgehoben: - Wenn der Prozess einmal begonnen hat, darf er nicht blockiert werden und muss zu einem

Ergebnis gebracht werden. - Der UN-Sondergesandte kann Individuen oder Gruppen, deren Handlungen dem Verhand-

lungsprozess nicht dienlich sind, von den Verhandlungen suspendieren oder ausschließen. - Regionale Nachbarn oder andere interessierte Parteien werden nach Bedarf konsultiert.

33 DiePresse.com , 30.12.2005, Südosteuropa: Schwerpunkt Westbalkan 34 Die sog. Balkankontaktgruppe ist als agierendes Gremium insofern von Bedeutung, als hier Russland in die

Politik der NATO-Staaten eingebunden wird. Schon 1997 beschäftigte sich die Balkankontaktgruppe erstmals mit der Kosovokrise und forderte 1999 beide Konfliktparteien zur Aufnahme von Verhandlungen (in Rambouillet) auf.

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Bezüglich einer Stauslösung hält sich die Kontaktgruppe bedeckt. Zum einen soll dadurch jeglicher Anschein einer Präjudizierung von internationaler Seite vermieden werden. Andererseits hat sich auch unter den Mitgliedern bisher kein Einvernehmen in dieser Frage bilden können. Die Position der USA ist in der Frage des Kosovo derzeit sehr unbestimmt und offen gehalten. Of-fiziell wird die Notwendigkeit der konsequenten Umsetzung der Standards und von Statusverhand-lungen betont, wobei die USA früher grundsätzlich die Forderungen nach einer Unabhängigkeit unterstützten. Es besteht ein genereller Konsens mit der EU, dass die Staaten des Balkan langfristig als stabile und integrierte Gebiete in die EU und die euroatlantischen Strukturen eingegliedert wer-den sollen. Für die USA haben sich die Präferenzen seit Kriegsende 1999 verschoben. Der Balkan stellt angesichts neuer Krisenherde im Nahen Osten und der Bekämpfung des internationalen Terro-rismus keinen Schwerpunkt mehr dar. Es ist das Bestreben spürbar, sich zumindest politisch aus dem Balkan zurückzuziehen, allerdings ohne dabei gänzlich auf ein Mitspracherecht zu verzich-ten.35 Die in den Augen der Bush-Regierung machbarste Marschroute auf dem Weg Richtung Stabilisierung ist eine Integration in die Europäische Union. Nicholas Burns, Staatssekretär im US-Außenministerium, bekundete ganz offen, die verbliebenen 1.800 US-Soldaten - rund ein Zehntel der noch stationierten KFOR-Truppen - möglichst bald abziehen zu wollen.36 Die USA haben am 29. November 2005 den EU-Partnern und der NATO einen 13-Punkte-Vor-schlag für die Verhandlungen vorgelegt, laut welchem folgende Problembereiche im Vordergrund der Gespräche stehen sollen: Festlegung von Befugnissen für den Abschluss von Abkommen und Konventionen mit dem Europarat und der EU, Umsetzung der demokratischen Standards, Dezent-ralisierung, Minderheitenrechte, Flüchtlingsrückkehr, Schutz des Kulturguts, wirtschaftliche Ent-wicklung und Sicherheit.37

Russland ist ein wichtiger Partner in der Balkankontaktgruppe, weil von ihm erwartet wird, dass es mit Hilfe seines Einflusses möglich sein wird, Belgrad zu Zugeständnissen zu bewegen. Denn nur einem von Belgrad angenommen Verhandlungsergebnis wird Moskau im UN-Sicherheitsrat seine Zustimmung erteilen. Moskau wird nicht gegen einen Lösungsvorschlag stimmen, den Belgrad zu-vor akzeptiert hat.38 Andererseits wird sich Moskau im Hinblick auf eigene Interessen und Blick auf Tschetschenien und Abchasien schwer damit tun, eine Lösung zu akzeptieren, die auf eine Ab-trennung des Kosovo hinausläuft.

35 Franz-Lothar Altmann, Unabhängigkeit auf Raten, in SWP-Aktuell, Juni 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php 36 Die WELT, 27.05.2005, Washington dringt auf Lösung der Kosovo-Frage 37 Hanns Seidel Stiftung, Serbien und Montenegro, Monatsbericht November 2005,

http://www.hss.de/downloads/Serbien_November.pdf 38 Franz-Lothar Altmann, Unabhängigkeit auf Raten, in SWP-Aktuell, Juni 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php

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Der zukünftige Status des Kosovo darf nach Ansicht des russischen Präsidenten Wladimir Putin keinen gefährlichen Präzedenzfall für Konflikte auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion schaffen. Es müsse eine „universell anwendbare“ Lösung gefunden werden, sagte Putin am 30. Januar 2006 in Moskau. „Das ist wichtig nicht nur wegen der Prinzipien des Völkerrechts, sondern auch wegen praktischer Interessen im postsowjetischen Raum39“, erläuterte Putin. Er wandte sich gegen die Einschätzung „einiger Partner“ in der Kontaktgruppe, dass der Kosovo ein „einmaliger Fall“ sei. Unter diesem Vorwand solle das Völkerrecht ausgehebelt werden. „Wir haben diese „Einmaligkeit“ in den letzten Jahren an verschiedenen Orten erlebt und wissen, wohin sie führt“, sagte Putin.40

Einige Beobachter sind der Meinung, dass Putin im Unterschied zu Jelzin (1999) durchaus bereit sei, in der Kosovo-Frage einen Streit mit Washington bis hin zu einem russischen Veto im UN-Si-cherheitsrat auszutragen.41 China ist weder Mitglied der Balkan-Kontaktgruppe noch der EU, es kann aber über den UN-Si-cherheitsrat Einfluss ausüben. China pflegt gute Beziehungen mit Belgrad und zeigt Verständnis für die serbische Position. Auch hier spielen die eigenen nationalpolitischen Konflikte bei der Beurtei-lung der Kosovofrage eine signifikante Rolle.42 Peking vertritt einen eindeutigen Standpunkt zu Grenzveränderungen beziehungsweise zu einer Unabhängigkeitserklärung des Kosovo, wogegen es sicher Widerstand leisten würde. So hat China bei den jüngsten Visiten serbischer Politiker unter Berufung der Staaten auf territoriale Unversehrtheit der Selbständigkeit der Kosovo-Albaner eine Absage erteil. Dabei dürften Bedenken wegen der Loslösungsbestrebungen in Tibet und der Kon-troverse um den Status von Taiwan mit ausschlaggebend sein. Nur wenige Staaten sprechen sich deutlich für oder gegen eine Unabhängigkeit aus. Die Schweiz43, ansonsten bekannt für eine zurückhaltende Außenpolitik, hat sie sich schon zu einem frühen Zeit-punkt öffentlich über den künftigen Status von Kosovo geäußert: In einer Erklärung vor dem UNO-Sicherheitsrat am 27. Mai 2005 schlug sie die baldige Aufnahme von Verhandlungen über den künftigen Status vor und betonte, dass eine Rückkehr von Kosovo unter serbische Souveränität we-der wünschenswert noch realistisch sei. Deshalb befürwortet die Schweiz für Kosovo eine formelle Unabhängigkeit. Die Schweiz ist entschlossen, sich mit anderen Mitgliedern der internationalen Staatengemeinschaft für eine Lösung der Statusfrage im Kosovo einzusetzen.44

39 Auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion sind zahlreiche Separatistenkonflikte ungelöst, zum Beispiel in

Moldawien (Dnjestr-Republik), Aserbaidschan (Berg-Karabach) und Georgien (Abchasien, Süd-Ossetien). Im Tschetschenien-Krieg geht es unter anderem um eine Abspaltung von Russland.

40 Der Standard, 30.01.2006, Putin will im Kosovo keinen Präzedenzfall geschaffen sehen 41 Dusan Reljic, Krieg der Resolutionen, in SWP-Aktuell, Dezember 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1500 42 Dr. Alexander Neu, Die Zukunft des Kosovo, in: Osteuropa, September 2005 43 Rund 400.000 Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien leben heute in der Schweiz, über 150.000 davon

stammen aus Kosovo. 44 DiePresse.com, 20.01.2006, Kosovo - eine Frage des Status

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2.3 Regionale Problemlagen Sollte der Kosovo unabhängig werden, befürchten Unabhängigkeitskritiker negative Auswirkungen (Dominoeffekt) auf die Region und einen Aufwind für separatistische Tendenzen der albanischen Bevölkerung Mazedoniens und im Presevo-Tal (Südserbien) oder auch auf die Unabhängigkeitsbe-strebungen Montenegros sowie die der bosnischen Serben in der Republika Srpska (Bosnien und Herzegowina). Auch wäre ein serbisches Bedürfnis nach einem Ausgleich für den endgültigen Verlust des Kosovo in Rechnung zu stellen. Dieses könnte sich in Forderungen auf Anschluss der bosnischen Republika Srpska an das serbische Mutterland artikulieren und entsprechende Forderungen in den kroatischen Gebietsteilen auf Anschluss an Kroatien nach sich ziehen. Für Bosnien und Herzegowina wäre dies existenzbedrohend. Der bosnische Gesamtstaat funktioniert nur partiell; bei Serben und Kroaten bestehen nach wie vor Wünsche nach Vereinigung mit der Mutter-Republik.45 Heraufbeschworen wird auch immer wieder (v. a. von Belgrad) die Gefahr des Zusammenschlusses der albanischen Bevölkerung des Balkan zu einem Großalbanien.

Insgesamt leben mehr als 5,5 Millionen Albaner in sechs Staaten, Teilrepubli-ken oder Provinzen des Balkans: 3,1 Millionen in Albanien (98%), 1,9 Mil-lionen in der Provinz Kosovo, 470.000 in Mazedonien (25%), 50.000 in Mon-tenegro (7%), 80.000 in Südserbien (1%) und ca. 50.000 in Griechenland (0,5%). Für die Mehrheit dieser Bevöl-kerung ist Großalbanien die Leitkultur, aber kein Lebenswunsch. Der Staat ließe sich nie wirklich zusammenfügen, lenken und lebensfähig halten.46

Verteilung der albanischen Bevölkerung in der Region

45 Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Hansjörg Eiff, Zum Problem des Kosovo-Status, 2005,

http://www.zei.de 46 DIE ZEIT 11/2001, Mazedonien war stets ein internationaler Zankapfel?

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Weder Albanien noch der Kosovo sind an einer solchen Vereinigung wirklich interessiert. Dies ist nur noch das Thema einiger weniger extremistischer Splittergruppierungen. Und auch ein Bericht der International Crisis Group (ICG)47 zum Thema des Panalbanismus kommt zum Schluss, dass die Behauptung, wonach alle Albaner im Grunde ihrer Herzen nach ei-nem Großalbanien trachteten, eindeutig nicht zutreffe. Tatsächlich haben sich auch nur 5,2% der kosovo-albanischen Bevölkerung bei einer Befragung im März 2005 für eine Union mit Albanien ausgesprochen.48 Auch die kosovo-albanischen Politiker sprechen sich nicht für ein Großalbanien aus. Die einzige Partei, die noch die Errichtung eines großalbanischen Staates anstrebt, die LPK49, ist politisch bedeutungslos geworden und erhielt bei der letzten Parlamentswahl nur 0,65% der Stimmen. Extremistische albanische Untergrundorganisationen, wie die AKSh50, die die albanische Frage in der Region mit Gewalt lösen wollen, haben in der Bevölkerung nicht viel Rückhalt. Die etablierten politischen Parteien lehnen die AKSh und ihr politisches Programm offiziell ab.51 In Albanien sind nur vereinzelt Forderungen nach einer Vereinigung aller von Albanern besiedelten Territorien zu vernehmen. Albaniens neue Regierung unter Premier Sali Berisha hat bisher öffent-lich die Unabhängigkeit Kosovos unterstützt. Im April 2005 erklärte Albaniens Außenminister Kastriot Islami, dass niemand in Tirana ein Großalbanien oder Großkosovo wolle. Die Regierung Albaniens halte an den Grenzen von Kosovo fest. Kosovo solle nicht einem anderen Staat angeglie-dert und nicht aufgeteilt werden. Tirana wolle die Lage im Kosovo beruhigen und sehe sich als Vermittler.52 Es werden lediglich vereinzelt Stimmen laut, die an der großalbanischen Idee festhalten. So schlug der Vorsitzende der oppositionellen Albanischen Demokratischen Partei (DPA) in Mazedonien, Arben Xhaferi, vor, Kosovo in Dardania53 umzubenennen und an Albanien anzuschließen. Darin ist aber vor allem der Versuch zu sehen, sich innerhalb der albanischen Wählerschaft in Mazedonien zu profilieren.54 In Mazedonien, das noch stark unter den Nachwirkungen des Albaner-Aufstandes von 2001 leidet, glaubt die slawische Mehrheitsbevölkerung, dass die Albaner (ca. 25%) letzten Endes doch die politische Vereinigung mit Kosovo und Albanien anstreben. In der gegenwärtigen

47 ICG, Pan-Albanism: How Big a threat to Balkan Stability? Europe Report Nr. 153. www.crisisweb.org 48 Helmut Kramer, Vedran Dzihic, Die Kosovo Bilanz, LIT Verlag, Wien 2005 49 Levizija Popullore e Kosoves - Volksbewegung Kosovo 50 AKSh/ANA (Armata Kombetare Shqiptare - Albanian National Army - Die Albanische Volksarmee) 51 BAMF, Serbien und Montenegro, Kosovo, On-line Loseblattwerk, 6. Parteien und Organisationen, März 2005 52 Newsletter Albanien, 22.04.2005, Tirana will kein Großalbanien,

http://www.albanien.ch/bb/article.php?article_file=1114185326.txt&printview=1 53 Die Bezeichnung Kosovo kommt aus dem slawischen, Dardania ist der Name eines illyrischen Stammes, auf den

laut albanischer Geschichtsschreibung die heutigen Albaner zurückgehen. 54 Dusan Reljic, Krieg der Resolutionen, in SWP-Aktuell, Dezember 2005, ehttp://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1500

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Opposition haben sich Kräfte um den früheren Ministerpräsidenten Georgievski sogar für die Tei-lung Mazedoniens ausgesprochen, weil sie dem binationalen Staat keine Zukunft geben. Die Ent-lassung des Kosovo in die Unabhängigkeit wäre aus dieser Sicht ein erster Schritt auf dem Weg zur Bildung eines großalbanischen Staats, der das Ende von Mazedonien bedeuten würde.55 Die Regie-rung in Skopje hat jedoch zu erkennen gegeben, dass sie bereit ist, die Unabhängigkeit Kosovos hinzunehmen, nicht zuletzt, weil sie sich dadurch noch mehr Unterstützung seitens der USA für den Bestand ihres Staates erhoffen. Sie verlangt allerdings, dass zuvor der künftige Status Kosovos de-finiert wird, formell der Grenzverlauf mit den Nachbarstaat Serbien und Montenegro auch im Ab-schnitt zu Kosovo fixiert wird.56 Unmittelbar vor Beginn der Verhandlungen über den künftigen Status des Kosovo haben die Alba-ner Südserbiens (in Presevo macht der albanische Anteil über 90% aus) erstmals die schon bei ei-nem Referendum 1992 gestellte Forderung nach einer weitgehenden politisch-territorialen Auto-nomie erneuert. Darüber hinaus versuchen sie, das politische Schicksal des „Presevo-Tales“ mit dem künftigen Status des Kosovo zu verknüpfen. Die vier wichtigsten albanischen Parteien kün-digten an, sich dem angrenzenden Kosovo (als Ostkosovo) anschließen zu wollen, sollte als Ergeb-nis der Status-Verhandlungen die jetzigen Grenzen verändert werden, sei es durch die Teilung der Provinz oder durch die Entlassung Kosovos in die Unabhängigkeit. Bereits in einem Referendum im Jahr 1992 hatten die Albaner in Südserbien für die Option des Anschlusses an den Kosovo ge-stimmt.57

3. Sicherheitslage in der Region Die Lage im Kosovo ist oberflächlich ruhig, aber gespannt. Der Beginn der Gespräche führt zu ei-ner gewissen Nervosität. Man befürchtet, dass Extremisten auf beiden Seiten versucht sind, die Si-tuation für ihre eigenen Zwecke zu missbrauchen. Allerdings sind heute die Militärpräsenz der NATO und die UNMIK-Polizei in viel besserer Verfassung als zur Zeit der Unruhen im März 2004. Man ist zuversichtlich, die Situation unter Kontrolle halten zu können. Vor Beginn der Status-Verhandlungen warnten zahlreiche Beobachter vor neuerlichen gewalttäti-gen Auseinandersetzungen. Insbesondere der ehemalige Belgrader Kosovo-Beauftragte, Nebojsa Covic, warnt vor Konflikten, die sogar zu einem neuerlichen Krieg in der Provinz führen könnten. Der ehemalige politische Sprecher der UCK und jetzige Vorsitzende des Schriftstellerverbandes im

55 Zentrum für Europäische Integrationsforschung, Hansjörg Eiff, Zum Problem des Kosovo-Status, 2005,

http://www.zei.de 56 Dusan Reljic, Krieg der Resolutionen, in SWP-Aktuell, Dezember 2005, ehttp://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1500 57 DiePresse.com, 16.01.2006, Südserbien: Albaner fordern Autonomie und Serben-Abzug;

http://www.diepresse.com/Artikel.aspx?channel=p&ressort=a&id=532110

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Kosovo, Adem Demaci, erklärte am 17. Januar 2006 „ Ich habe Angst vor einem neuen Krieg, wenn die Kosovo Frage nicht durch die Unabhängigkeit des Landes gelöst wird.58 Die überwältigende Mehrheit der Kosovo-Albaner setzt jedoch auf Gespräche und Verhandlungen

und will eine friedliche Lösung. Die Stim-mung kann sich aber jederzeit gefährlich auf-heizen, denn es Gruppen, die auf Gewalt set-zen. Neben der AKSh ist eine neue bewaff-nete Gruppe aufgetaucht, die im Westen und Südwesten des Kosovo agiert und dort Stra-ßensperren errichtete und Fahrzeuge und Pas-sagiere durchsuchte. Diese neue Gruppierung nennt sich „Armee für die Unabhängigkeit des Kosovo" (UPK). Sie hat Mitte Oktober damit gedroht, Pristina zu „befreien“. Laut

KFOR soll es sich aber nur um eine „kleine Gruppe ohne Unterstützung in der lokalen Bevölkerung handeln“ und warnt vor Panikmache. Tatsächlich sollen auch nicht mehr als 387 Mann dieser „Ar-mee“ angehören.59 Daneben macht auch eine neue, von jungen Aktivisten getragene „Bewegung für Selbstbestim-mung“ (Vetevendosje“ - LPV) unter Führung des bekannten ehemaligen Studentenführers Albin Kurti auf sich aufmerksam, die „Keine Verhandlungen! Selbstbestimmung“ fordert und die in den letzten Wochen mit Demonstrationen und Aktionen Aufsehen erregte. Experten gehen zwar von lediglich ca. 300 Anhängern aus, befürchten aber, dass die Gruppe Zehntausende mobilisieren könnte. Ende des Jahres 2005 haben einhundert vorwiegend junge albanische Demonstranten in Pristina UNMIK und KFOR als „Besatzer“ beschimpft und ihre Panzerfahrzeuge mit Steinen beworfen. Die Polizei beendete den Protest durch den Einsatz von Tränengas und verhaftete einige Demonstranten. Im Januar 2005 verübten Aktivisten einen Sabotageakt auf UNMIK-Fahrzeuge, indem sie deren Radventile abschraubten. Die Gruppe um Kurti versucht eine breite außerparla-mentarische Opposition aufzubauen und verlangt ein Referendum über die Zukunft des Kosovo. Sie findet insbesondere unter Jugendlichen im Kosovo Unterstützung.60

58 Kosova News, 20.01.2006, http://www.kosova-aktuell.de/aktuell/aktuell_frei/200106_neues.htm 59 tagesschau.de, 26.01.2006, Einigkeit im Kosovo nur auf den ersten Blick 60 Spiegelonline, 24.01. 2006, Sabotage gegen Unmik-Polizei

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„Keine Verhandlungen – Selbstbestimmung“ ist die Parole, die inzwischen auf vielen Gebäuden in allen größeren Städten des Kosovo zu sehen ist.61

Insgesamt gesehen ist es in den letzen Wochen relativ ruhig geblieben. Für Aufsehen sorgte ein Anschlag im Dezember 2005, als in der Nähe von Prizren auf einen Autobus mit serbischen Zivi-listen geschossen wurde. Wer hinter dem Anschlag steckt, ist nicht bekannt.62 Bewaffnete und Gewalttäter gibt es auch auf der serbischen Seite. Auch in Serbien zählt die Ko-sovo-Frage zu den kontroversesten Themen in der innenpolitischen Debatte. Die Stunde der Radi-kalen könnte schlagen, wenn die Bevölkerung den Eindruck gewinnen sollte, dass der Westen die Unabhängigkeit Kosovos gegen den Willen Belgrads durchsetzen könnte. Eine eventuelle Unab-hängigkeit des Kosovo werde Serbien als „Okkupation“ seines Territoriums ansehen, hat der Chef der ultranationalistischen Serbischen Radikalen Partei (SRS), Tomislav Nikolic, erklärt. 63 Im Ja-nuar 2006 erfolgte ein Sprengstoffangriff auf die albanische Botschaft in Belgrad. Albanien ist der einzige Nachbar Serbien-Montenegros, der die Forderung der ethnisch albanischen Mehrheitsbe-völkerung des Kosovo nach Unabhängigkeit unterstützt.64 Anfang Februar 2005 wurde ein An- schlag auf das Fahrzeug des kosovo-serbischen Politikers Oliver Ivanovic in Nord-Mitrovica verübt, der trotz Boykott-Aufrufen für die Serbische Liste für Kosovo-Metohija kandidiert hatte. Außerdem wird befürchtet, dass im mehrheitlich albanisch bewohnten Südserbien albanische Un-tergrundgruppen wie schon 2001 sozusagen als Ersatzschauplatz Anschläge durchführen könnten.65 Die Sicherheitslage in Mazedonien ist ruhig. Dies bedeutet aber nicht, dass die Gefahr von inter-ethnischen Auseinandersetzungen vollständig gebannt ist. Der Großteil der Albaner schaut mo-

61 tagesschau.de, 26.01.2006, Einigkeit im Kosovo nur auf den ersten Blick 62 Kosova aktuell, KMLDNJ verurteilt Anschlag auf Autobus, 08.12.2005, www.kosova-

aktuell.de/aktuell/aktuell.php 63 taz vom 14.02.2006, Serbiens Ultranationalisten rüsten auf. 64 Sprengstoffangriff auf albanische Botschaft in Belgrad, 26.01.2006,

http://www.balkaninfo.net/news/index.php?l=de&id=135645&q=search.txt 65 Dusan Relic, Entscheidungsjahr für den Kosovo, in SWP-aktuell, Januar 2005, http://www.swp-

berlin.org/common/get_document.php?id=1194

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mentan abwartend auf die Entwicklung im Kosovo. Mazedonien teilt sich im Zuge der Umsetzung des Ohrid-Abkommens immer stärker nach ethnischer Zugehörigkeit auf.

4. Lösungsstrategie Da die Positionen der Kosovo-Albaner und der serbischen Führung in Belgrad über den völker-rechtlichen Status Kosovos nach wie vor völlig unvereinbar sind, wird eine Kompromisslösung gesucht, mit der beide Seiten leben können. Am häufigsten wird das Konzept der „bedingten Unabhängigkeit“, das Think Tanks wie die Internationale Crisis Group (ICG) und die Experten-gruppe der Internationalen Balkankommission vorschlagen, als mögliche Strategie gesehen. In ihrem international sehr beachteten Bericht: Kosovo: Toward Final Status 66 hat die ICG die Tei-lung des Kosovo sowie auch die Rückkehr zu Serbien als Option explizit ausgeschlossen und eine „conditional independence“ und EU-Perspektive als Option für die Lösung der Statusfrage vorge-schlagen: “the best solution for Kosovo would be a form of "conditional independence...". Auch die Internationale Kommission für den Balkan (ICB)67, der zahlreiche ehemalige Diplomaten und Politiker sowie Wissenschaftler aus West- und Südosteuropa sowie den USA angehören, veröf-fentlichte im Frühjahr 2005 ein Dokument unter dem Titel „The Balkans in Europe`s Future“.68 Zur Kosovo-Frage schlug die Kommission vor, die Souveränität Kosovos in vier Stufen zu ver-wirklichen. Danach soll die UNO-Verwaltung die Zuständigkeiten schrittweise an die kosovarische Regierung und das Parlament abgeben. Nach einigen Jahren ( man rechnet mit drei bis fünf) soll das Land reif für die staatliche Selbstständigkeit sein. Gleichzeitig soll eine Beitrittsperspektive zur Europäischen Union entwickelt werden. Der Plan sieht eine Vier-Stufen-Lösung vor: 1) Am Anfang steht die de-facto-Loslösung des Kosovo von Serbien, die durch die Resolution

1244 seit Sommer 1999 längst eingetreten ist. 2) Der zweite Schritt wird unter „Unabhängigkeit ohne volle Souveränität“ zusammengefasst. In

dieser Phase soll die Staatengemeinschaft zwar die politische Verantwortung bis 2006 an die ko-sovarischen Politiker abgeben, sich jedoch Eingriffsmöglichkeiten vorbehalten.

3) In der dritten Phase der Stufenlösung, die als „geführte Souveränität“ bezeichnet wird, soll der Kosovo als EU-Beitrittskandidat anerkannt werden und in Verhandlungen mit Brüssel treten. Bis dahin müsste die EU allerdings ganz auf ihre Vollmachten verzichten, da sie nicht mit sich

66 International Crisis Group (ICG), KOSOVO: TOWARD FINAL STATUS, Europe Report N°161 – 24 January

2005, http://www.icg.org//library/documents/europe/balkans/161_kosovo_toward_final_status.pdf 67 auch sog. Amato-Kommission; Die Leitung der Kommission hat der ehemalige italienische Ministerpräsident

Giuliano Amato inne, zu den Mitgliedern zählt u. a auch Richard von Weizsäcker. 68 International Commission on the Balkans: The Balkans in Europe`s Future. In: Südosteuropa, 53 (2005)2, S.

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selbst über einen Beitritt verhandeln kann. Einfluss kann in dieser Phase nur noch indirekt über die Vorgaben des Beitritts ausgeübt werden.

4) Die vierte, noch in weiter Ferne liegende Phase sieht schließlich die „geteilte Souveränität“ vor – die Aufnahme des Staates in die EU.

Dieses Konzept wird mittlerweile auch vom internationalen Verhandlungsteam offen favorisiert. Albert Rohan, der Stellvertreter Martti Ahtisaaris, hat dies laut Medienberichten gegenüber der LDK erklärt.69

5. Ausblick In jedem Fall wird eine neue Resolution des Sicherheitsrates erforderlich sein, die die bisherige Entschließung 1244 ablöst. Wie diese aussehen wird, ist noch offen. Unvorstellbar ist es, dass Serbien wieder als Staatsmacht auftritt. De facto ist der Kosovo unabhän-gig, dennoch wird es wohl keine sofortige volle Unabhängigkeit und Souveränität für den Kosovo geben. Hierfür sind die Positionen der einzelnen Parteien zu unterschiedlich, die Ansichten der in-ternationalen Akteure zu divergierend. Schließlich sind auch die inneren Strukturen des Kosovo noch nicht gefestigt. Zwar wurden die Grundlagen für den Aufbau moderner politischer und administrativer Institutionen gelegt, es gelang aber (noch) nicht, eine demokratische politische Kultur zu entwickeln. Die Situation der Minderhei-ten bleibt weiterhin alarmierend und die Rückkehr der Flüchtlinge stagniert. Die Möglichkeit der bedingten Unabhängigkeit erscheint im Moment als die wahrscheinlichste und vernünftigste Option, die allen Seiten durchaus gerecht wäre. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass die internationale Gemeinschaft eine definitive Entscheidung aufschieben könnte. Den Kosovo-Al-banern würde eine positive Antwort geboten und die Serben nicht völlig vor den Kopf gestoßen. Im Kosovo könnte weiter an der Erfüllung der Standards gearbeitet werden und die internationale Ge-meinschaft hätte weiterhin Eingriffsmöglichkeiten. Zur Überwachung der Sicherheit und Stabilität muss sie ohnedies noch für einige Zeit im Kosovo bleiben.

69 UNMIK Media Monitoring, 1 February 2006, Rohan: Conditional independence favoured (Koha Ditore)

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Anhang

Erklärung des Präsidenten des Sicherheitsrats vom 24.10.2005

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Schlussfolgerungen des Rates der Europäischen Union, 7. November 2005 70

RAT DEREUROPÄISCHEN UNION DE

13622/05 (Presse 274)

(OR. en)

MITTEILUNG AN DIE PRESSE

2687. Tagung des Rates

Allgemeine Angelegenheiten und Außenbeziehungen

Außenbeziehungen

Brüssel, den 7. November 2005

Präsident Jack STRAW Minister für auswärtige Angelegenheiten und Commonwealth-Fragen des Vereinigten Königreichs

WESTLICHE BALKANSTAATEN – Schlussfolgerungen des Rates

Der Rat nahm die nachstehenden Schlussfolgerungen an: SERBIEN UND MONTENEGRO/KOSOVO

1. Der Rat begrüßt die umfassende Bilanz der Lage im Kosovo, die der Botschafter Herr Kai Eide vorgelegt hat, und bringt seine uneingeschränkte Unterstützung für die

70 Rat der Europäischen Union, www.ue.eu.int/ueDocs/newsWord/de/gena/86938.doc

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Absicht des VN-Generalsekretärs zum Ausdruck, einen politischen Prozess in Gang zu setzen, in dessen Verlauf der künftige Status des Kosovo festgelegt werden soll.

2. Der Rat begrüßt, dass der VN-Generalsekretär beabsichtigt, Herrn Martti Ahtisaari zum VN-Beauftragten für die Statusfrage und Herrn Albert Rohan zu dessen Stellvertreter zu ernennen, und betont, dass die EU Herrn Ahtisaari bei der Erfüllung seines Mandats unter-stützen wird und die Absicht hat, eng mit ihm zusammenzuarbeiten.

3. Der Rat ruft sowohl Pristina als auch Belgrad auf, unvoreingenommen und konstruktiv in diesen Prozess der Festlegung des künftigen Status des Kosovo einzutreten. Alle Bevölke-rungsgruppen des Kosovo einschließlich der Minderheiten – insbesondere der Serben – sollten in diesen Prozess einbezogen werden.

4. Der Rat betont, dass der Umsetzung der Standards sowohl jetzt als auch künftig entschei-dende Bedeutung zukommt. Besonders wichtig ist der Schutz der Minderheiten. Der Rat würdigt die Arbeit des Sonderbeauftragten des VN-Generalsekretärs, Herrn Søren Jessen-Petersen.

5. Der Rat weist auf die von der EU in Thessaloniki verabschiedete Agenda und die Erklä-rung des Europäischen Rates zum Kosovo vom 17. Juni 2005 hin und bekräftigt noch ein-mal die Entschlossenheit der Europäischen Union, sich in vollem Umfang an der Fest-legung des Status des Kosovo zu beteiligen, und ihre Bereitschaft zur engen Einbindung in die Verhandlungen und die Umsetzung des künftigen Status. Der Rat bekräftigt in diesem Zusammenhang seine Bereitschaft zur engen Zusammenarbeit mit den betroffenen Part-nern und anderen internationalen Organisationen, einschließlich der OSZE, die durch ihre Präsenz vor Ort eine wichtige Rolle im Kosovo spielt.

6. Der Rat begrüßt die Bereitschaft von Herrn Martti Ahtisaari zu einer engen Zusammen-arbeit mit der EU. Der Rat billigt die durch den Generalsekretär/Hohen Vertreter erfolgte Nominierung von Herrn Stefan Lehne als Beauftragter der EU für den Prozess der Fest-legung des künftigen Status des Kosovo. Gemäß den Vorgaben des Generalsekretärs/ Hohen Vertreters und des Rates wird der EU-Beauftragte den VN-Beauftragten für die Statusfrage bei der Umsetzung seines Mandats unterstützen und dem Generalsekretär/ Hohen Vertreter und den zuständigen Gremien des Rates regelmäßig und rechtzeitig Berichte übermitteln. Er wird ferner gemäß den Vorgaben des Rates und in enger Zusam-menarbeit mit der Kommission zu den Vorbereitungen für die zukünftige Rolle der EU im Kosovo beitragen.

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7. Im Hinblick auf eine mögliche Intensivierung des Engagements der EU im Kosovo ersucht der Rat den Generalsekretär/Hohen Vertreter, zusammen mit der Kommission die Arbeiten zur Ermittlung der möglichen künftigen Rolle der EU und ihres Beitrags auch in den Bereichen von Polizei, Rechtsstaatlichkeit und Wirtschaft fortzusetzen und dem Rat in naher Zukunft gemeinsame Vorschläge zu unterbreiten.

8. Der Rat begrüßt auch die Zusammenarbeit der Kommission mit der UNMIK und den vor-läufigen Selbstverwaltungsinstitutionen des Kosovo, die die schrittweise Angleichung der Kosovo-Standards und der im Rahmen der Europäischen Partnerschaft ermittelten Priori-täten zum Ziel hat, um Fortschritte beim Erreichen der EU-Standards zu fördern.

9. Der Rat bekräftigt noch einmal, dass der künftige Status des Kosovo ohne Einschränkun-gen mit europäischen Werten und Normen vereinbar sein und internationalen Rechts-instrumenten und -verpflichtungen sowie der Charta der Vereinten Nationen entsprechen muss. Die Vereinbarung über den Status sollte einen Kosovo zum Ziel haben, in dem alle Menschen ungeachtet ihrer ethnischen Herkunft frei und ohne Angst leben, arbeiten und reisen können, ohne Feindseligkeiten oder Gefahren ausgesetzt zu sein, und in dem alle Bürger gleich behandelt und unterschiedliche Kulturen geachtet werden. Die Vereinbarung sollte das Recht aller Flüchtlinge und Vertriebenen auf eine sichere Rückkehr schützen. Sie sollte ferner besondere Sicherungsmaßnahmen für den Schutz des kulturellen Erbes und der religiösen Stätten einschließen. Gleichzeitig sollte die Einigung über den Status gewährleisten, dass sich die Situation, die vor März 1999 im Kosovo herrschte, nicht wiederholt. Jede nur einseitige oder durch Gewaltanwendung erzwungene Lösung und jede Änderung des derzeitigen Gebiets des Kosovo wäre unannehmbar. Es darf nach der Lösung der Statusfrage weder eine Teilung des Kosovo noch einen Zusammenschluss des Kosovo mit einem anderen Land oder einem Teil eines anderen Landes geben. Die territoriale Integrität und die innere Stabilität der Nachbarländer müssen vollständig gewahrt bleiben. Ferner sollte der künftige Status den Kosovo in die Lage versetzen, sich wirtschaftlich wie politisch auf einer dauerhaften Grundlage zu entwickeln, und gewährleisten, dass er für seine Nachbarn keine militärische oder sicherheitsrelevante Bedrohung darstellt. Die Lösung der Frage des künftigen Status des Kosovo muss sowohl Belgrad als auch Pristina in die Lage versetzen, auf dem Weg der Annäherung an die Europäische Union voranzukommen."

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Impressum Herausgeber: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Frankenstraße 210 90461 Nürnberg Referat 413 – Analyse nichislamische Her-kunftsländer Tel.: 0911-943-7300 Fax: 0911-943-7299 Internet: www.bamf.de Stand: Februar 2006


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