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Horst „Hotte“ Breuer - Zum Tod von Anton der Mann der ...horst-breuer.com/KK_Seite_06.pdf ·...

Date post: 14-Jul-2020
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Nr. 09/2005 6 Kunst Horst „Hotte“ Breuer - der Mann der Steine Zum Tod von Anton Constant Nieuwenhuys Artefakte aus Florida in neuem künstlerischem Kontext in Andernach Zwischen Malen, Städteplanen, den Situationisten und der Gruppe „CoBrA“ Was ist Kunst? Seit Menschengedenken haben Künstler und Kunsthistoriker versucht, eine schlüssige Antwort auf diese Frage zu formulie- ren. Von den mythischen Erzählungen über die antiken Götter als bildende Künstler und Patro- ne der Künste und der legendarischen Überlie- ferung vom Hl. Lukas, der das erste Marienbild gemalt hat, reicht diese reflexive Tradition bis zu den aktuellen Werken der Medienkunst. „Wir haben die Kunst, damit wir am Leben nicht zu- grunde gehen“, zitierte Evert Hofacker den Phi- losophen Friedrich Nietzsche, als er ins Werk des Künstlers einführte. Anders ausgedrückt: Wir haben die Kunst, damit wir nicht an der Wirklichkeit/Wahrheit zugrunde gehen. Doch wer interessiert sich schon für Steine? Hotte, wie sich Horst Breuer mit Künstlernamen nennt, tut dies nicht nur, er lebt sie geradezu. Er hat das Reizvolle an ihnen entdeckt und für sich und andere eine fortwährende Faszination dar- aus geschöpft. Jeder belassene Stein ist urtüm- lich, jeder bearbeitete ist kultiviert. Der Künstler hat Gefühl, Verständnis und Begeisterung für Steine – sie sind mitnichten tote Materie, viel- mehr lebender Organismus - und entwickelt und verarbeitet sie in seinen Bildern weiter. Die Steine stammen aus Florida (USA) – genau- er von einem der vielen Strände des Sonnen- staates. Wie besessen sammelt „Hotte“ diese von einer wundersamen Formung geprägten steinernen Zeugen, die, wie er sagt, nur zu be- stimmten Zeiten von der Flut an den Strand ge- spült werden. Er kann selbst nicht genau sagen, wie viele Steine er seit seinem ersten Florida- Aufenthalt (1998) bis heute gesammelt hat. Mit ihrer häufig an menschliche Physiognomie erinnernden Silhouette vereinen die Steine die archaische Anverwandtheit von Gestaltungsge- sten unserer steinzeitlichen Vorfahren in sich. „Der Stein, so wie ihn Hotte einsetzt und in seine Kompositionen einbindet, wird zum allge- genwärtigen Symbol des Menschen, ohne die- sen im strengeren Sinne selber zu bezeichnen“, schreibt Dr. Beate Reifenscheid, Leiterin des Ludwig Museum, Koblenz, in einer Druck- legung, die die Ausstellung von Horst Breuer begleitet. Die Steine im Zentrum der Bilder und Objekte sind nicht nur kompositorisch angelegt, sondern fundamental zur Verdeutlichung seiner inhaltlichen Aussage. Sie sind jeweils der einzi- ge konkret zu benennende Gegenstand im Bild, dessen malerische Komposition hingegen fast ausschließlich freie gestische Formen und Bewegungen sucht, ohne dabei an Grenzen zu stoßen. Im Fluss der Farben, die er bei einigen seiner neuen Arbeiten, die auf einer Keramik-Ober- fläche des Bildträgers entstanden, eher puri- stisch einsetzt, bildet die fest definierte Form des Steins einen in sich ruhenden Pol und zu- gleich jene Zone, in der sich Form und Inhalt aufeinander ausrichten und konzentrieren. „Dabei ist es weitgehend unwichtig“, so Beate Reifenscheid, „dass die Steine niemals das Bild beherrschen". Sie seien vielmehr eher klein, aber gerade darin scheint es um die Dualität von Mensch und Natur beziehungsweise Mensch und Kosmos zu gehen. „Auf unpräten- tiöse Weise stellt die Malerei von Horst Breuer diesen Kontext her“. Parallel zu seiner aktuellen Ausstellung zeigt Breuer seine Arbeiten in der Villa „Weißer Berg“ in Neuwied. In den dortigen Seminarräumen hat er dem Unternehmer Wilfried Kurrat einige Exponate zur Verfügung gestellt. Kurrat, der das einzige europäische Pop-Art-Museum (Warhol) in Miková (Slowakei) in Form einer Stiftung zur neuen Blüte führen möchte, nahm am Rande der Ausstellung erfreut zur Kenntnis, das „Hotte“ Breuer dieses Projekt Miková persönlich unterstützen möchte. Seine Kreuzobjekte (Altär- chen), die der Künstler unter anderem in Ander- nach zeigt, stellen die religiöse Verbindungslinie zu Andy Warhol und in diesem Falle explizit Miková her. Warhol trug trotz aller ihm eigenen Lebensführung eine tiefe Religiosität in sich. Nicht nur beim kommenden Stifter Wilfried Kur- rat riefen vor allem diese Breuer-Exponate das besondere Interesse hervor. P. K. Der niederländische Maler und Architektur- theoretiker Anton Constant Nieuwenhuys starb am 1. August 2005 in seinem Haus in Utrecht im Alter von 85 Jahren. Constant wurde im Jahr 1920 in Amsterdam geboren, studierte an der Kunstgewerbe- schule und an der Rijksakademie van Beel- dende Kunsten und lebte ab 1946 in Paris und London. Im Jahr 1948 gründete er mit Asger Jorn die Künstlergruppe „CoBrA“ und die „Nederlands Experimentele Groep“ mit Karel Appel, die aber nur drei Jahre existierte. Constant warb Zeit seines Lebens für eine neue Gesellschaft, in welcher niemand mehr arbeiten müsse und sich somit ganz der Kunst widmen könne. Er kreierte unter dem Einfluss der Internationalen Situationisten in den frühen 50er Jahren das Stadtprojekt „Neu Babylon“, welches seine Idee aufgriff und weiterführte. Viele Künstler haben im Laufe der Zeit revolutionäre Stadtkonzepte geschaffen, die teils utopisch, größtenteils aber erschreckend waren. „Neu-Babylon“ ist dagegen nicht so weit hergeholt. Constant übernahm die Idee des „Einheitlichen Urbanismus“ von den Situatio- nisten konsequent und entwickelte ein heute vorstellbares System: In hohen, offenen Räu- men sollten ständig Techniker für Verände- rung in Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit sorgen. Die Bewohner sollten ungehindert durch diese Räume wandern und nur durch Zufall auf die sogenannten „Stimmungsräu- me“ stoßen, z.B. den lauten Raum mit starkem Lärm und Lichtgewittern oder den leisen Raum mit Schallschutzwänden und sanfter Beleuchtung. Das Ziel war eine Art „wohltuender Gehirnwä- sche“, die verhindern sollte, dass die Einwoh- ner durch aufkeimende Routine abstumpfen - so wie im üblichen Alltag, der oft mit einer Bahn- oder Autofahrt beginnt und mit Fernse- hen endet. Den Situationisten gefiel Constants Konzept allerdings nur bedingt, da sie der Ansicht waren, dass eine Stadt nur durch den allmäh- lichen Aufbau über Jahrhunderte hinweg schön würde. „Neu-Babylon“ allerdings sollte komplett neu erbaut werden, und als Con- stants Technophilie bekannt wurde, wurde er im Jahr 1960 aus der Gruppe ausgeschlossen und als „hinterhältiges Objekt, das sich schamlos als Agent einer Integration der Mas- sen verkauft“ beschimpft - für Constant ein schwerer Schlag, aber kein Weltuntergang. Als Vorbild für die in „Neu-Babylon“ propa- gierte frei entfaltete Kunst galt ihm die Vor- stellungskraft von Kindern, die noch nicht durch die Realität „verdorben“ war. So waren auch seine ersten Werke von Kinder- fantasie inspiriert, jedoch setzte er sich später auch mit Themen wie Krieg ausein- ander. Obwohl er in seinen Theorien ein illu- sionärer Optimist war, malte er in der Phase der Gruppe „CoBrA“ vor allem melancho- lisch-nachdenkliche Bilder, die seinen Schmerz, eine Art „Weltschmerz“, wider- spiegelten. Cobras sind nicht beliebt Die Gruppe „CoBrA“ wurde im Jahr 1948 in einem Pariser Café u.a. von Constant, Karel Appel und Asger Jorn gegründet. Diese Grup- pe hatte es sich zur Aufgabe gemacht, vom Surrealismus abzuweichen und statt dessen den Expressionismus mit den Stilmitteln des Informel wiederzubeleben. Elemente aus Volkskunst, Art Brut, Action Painting, japani- scher Kalligrafie und dem Informel, aber auch Impulse von Kinderzeichnungen oder Gei- steskranken, die in ihren Augen mehr Vitalität als die klassischen Vorbilder versprühten, wurden auf abstrakte Weise mit figurativen Farben und Formen gekreuzt. Die Mitglieder der Gruppe, die in der Regel äußerst kontaktfreudig waren und viel umher- reisten, hielten enge Verbindungen zu Litera- ten und Architekten, aber auch zu Fotografen und Filmemachern. Edward Lucie-Smith, der sich mit der Gruppe beschäftigte, sagte ein- mal, dass die Künstler der „CoBrA“ „ihren un- terbewussten Fantasien direkt Ausdruck ver- leihen“ wollten, „ohne jede Zensur durch den Intellekt“. So waren denn auch die Bilder vor allem durch ihre Spontaneität geprägt. Die Künstler sahen sich aber auch als politische Gruppe an, die vor allem die internationale Zusammenarbeit förderte und insgesamt zehn Ausgaben der gleichnamigen Zeitschrift herausbrachte, die vor allem von Asger Jorn gestaltet wurde. Die Ausstellungshöhepunkte fanden im Jahr 1949 in Amsterdam und 1951 in Lüttich statt. Der Gruppe je- doch wurde die Akzeptanz in der brei- ten Bevölkerung immer verwehrt, und so löste sich „CoBrA“ - deren Name auf die Anfangsbuchstaben der Hei- matstädte der Gründer, Copenhagen, Brüssel und Amsterdam, zurückgeht - nach nur drei Jahren wieder auf. Con- stant ließ sich trotz mancher Anfein- dung seiner Ideen nicht beirren und verfolgte weiterhin zielstrebig seinen Weg. Er wollte die Bevölkerung aufrüt- teln, sie umkrempeln und neu erschaf- fen. So schuf er Werke wie „Hinrich- tung“ oder „Das Verhör“, mit denen er zwar schockierte, aber doch nicht das gewünschte Ziel erreichte. Constant, der sich in seinen Werken immer di- rekt ausdrückte, indem er seine Urängste un- geschminkt in Bildern manifestierte, malte nicht nur wie mit Kinderhand, sondern zeigte auch seine Ängste mit der Direktheit eines Kindes. „Angst kann man nicht weg reflektie- ren“ schrieb Stephan Schmidt-Mühlisch schon im Jahr 1986. Ebenso lässt sich das bewegte Leben und Wirken des Anton Con- stant Nieuwenhuys nicht weg reflektieren - auch wenn die damaligen Situationisten das wohl gerne getan hätten. D.S. „Hotte“ Breuer und Wilfried Kurrat (Willii AG) bei der Betrachtung der neuesten Arbeiten des Künstlers, Foto: Peter Köster Constant, „New Babylon“, 1969; watercolor with pastel/paper Asger Jorn, „The Green Ballet“, 1960, oil on canvas Die Leiterin des Ludwig Museums, Dr. Beate Reifenscheid, und der Kulturdezernent der Willii AG, Peter Köster bis 11. September Galerie im Historischen Rathaus Andernach
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Page 1: Horst „Hotte“ Breuer - Zum Tod von Anton der Mann der ...horst-breuer.com/KK_Seite_06.pdf · men sollten ständig Techniker für Verände-rung in Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeit

Nr. 09/20056

Kunst

Horst „Hotte“ Breuer -der Mann der Steine

Zum Tod von AntonConstant Nieuwenhuys

Artefakte aus Florida in neuem künstlerischem Kontext in Andernach

Zwischen Malen, Städteplanen, den Situationisten und der Gruppe „CoBrA“

Was ist Kunst? Seit Menschengedenken habenKünstler und Kunsthistoriker versucht, eineschlüssige Antwort auf diese Frage zu formulie-ren. Von den mythischen Erzählungen über dieantiken Götter als bildende Künstler und Patro-ne der Künste und der legendarischen Überlie-ferung vom Hl. Lukas, der das erste Marienbildgemalt hat, reicht diese reflexive Tradition bis zuden aktuellen Werken der Medienkunst. „Wirhaben die Kunst, damit wir am Leben nicht zu-grunde gehen“, zitierte Evert Hofacker den Phi-losophen Friedrich Nietzsche, als er ins Werkdes Künstlers einführte. Anders ausgedrückt:Wir haben die Kunst, damit wir nicht an derWirklichkeit/Wahrheit zugrunde gehen.

Doch wer interessiert sich schon für Steine?Hotte, wie sich Horst Breuer mit Künstlernamennennt, tut dies nicht nur, er lebt sie geradezu. Erhat das Reizvolle an ihnen entdeckt und für sichund andere eine fortwährende Faszination dar-aus geschöpft. Jeder belassene Stein ist urtüm-lich, jeder bearbeitete ist kultiviert. Der Künstlerhat Gefühl, Verständnis und Begeisterung fürSteine – sie sind mitnichten tote Materie, viel-mehr lebender Organismus - und entwickelt und verarbeitet sie in seinen Bildern weiter.Die Steine stammen aus Florida (USA) – genau-er von einem der vielen Strände des Sonnen-staates. Wie besessen sammelt „Hotte“ diesevon einer wundersamen Formung geprägtensteinernen Zeugen, die, wie er sagt, nur zu be-stimmten Zeiten von der Flut an den Strand ge-spült werden. Er kann selbst nicht genau sagen,wie viele Steine er seit seinem ersten Florida-Aufenthalt (1998) bis heute gesammelt hat.

Mit ihrer häufig an menschliche Physiognomieerinnernden Silhouette vereinen die Steine diearchaische Anverwandtheit von Gestaltungsge-sten unserer steinzeitlichen Vorfahren in sich.„Der Stein, so wie ihn Hotte einsetzt und inseine Kompositionen einbindet, wird zum allge-genwärtigen Symbol des Menschen, ohne die-sen im strengeren Sinne selber zu bezeichnen“,schreibt Dr. Beate Reifenscheid, Leiterin des

Ludwig Museum, Koblenz, in einer Druck-legung, die die Ausstellung von Horst Breuerbegleitet. Die Steine im Zentrum der Bilder undObjekte sind nicht nur kompositorisch angelegt,sondern fundamental zur Verdeutlichung seinerinhaltlichen Aussage. Sie sind jeweils der einzi-ge konkret zu benennende Gegenstand im Bild,dessen malerische Komposition hingegen fastausschließlich freie gestische Formen und Bewegungen sucht, ohne dabei an Grenzen zustoßen.Im Fluss der Farben, die er bei einigen seinerneuen Arbeiten, die auf einer Keramik-Ober-fläche des Bildträgers entstanden, eher puri-stisch einsetzt, bildet die fest definierte Formdes Steins einen in sich ruhenden Pol und zu-gleich jene Zone, in der sich Form und Inhaltaufeinander ausrichten und konzentrieren.„Dabei ist es weitgehend unwichtig“, so BeateReifenscheid, „dass die Steine niemals das Bildbeherrschen". Sie seien vielmehr eher klein,aber gerade darin scheint es um die Dualitätvon Mensch und Natur beziehungsweiseMensch und Kosmos zu gehen. „Auf unpräten-tiöse Weise stellt die Malerei von Horst Breuerdiesen Kontext her“. Parallel zu seiner aktuellen Ausstellung zeigtBreuer seine Arbeiten in der Villa „Weißer Berg“in Neuwied. In den dortigen Seminarräumen hater dem Unternehmer Wilfried Kurrat einige Exponate zur Verfügung gestellt. Kurrat, der daseinzige europäische Pop-Art-Museum (Warhol)in Miková (Slowakei) in Form einer Stiftung zurneuen Blüte führen möchte, nahm am Randeder Ausstellung erfreut zur Kenntnis, das„Hotte“ Breuer dieses Projekt Miková persönlichunterstützen möchte. Seine Kreuzobjekte (Altär-chen), die der Künstler unter anderem in Ander-nach zeigt, stellen die religiöse Verbindungsliniezu Andy Warhol und in diesem Falle explizit Miková her. Warhol trug trotz aller ihm eigenenLebensführung eine tiefe Religiosität in sich.Nicht nur beim kommenden Stifter Wilfried Kur-rat riefen vor allem diese Breuer-Exponate dasbesondere Interesse hervor.

P. K.

Der niederländische Maler und Architektur-theoretiker Anton Constant Nieuwenhuys starbam 1. August 2005 in seinem Haus in Utrechtim Alter von 85 Jahren.Constant wurde im Jahr 1920 in Amsterdamgeboren, studierte an der Kunstgewerbe-schule und an der Rijksakademie van Beel-dende Kunsten und lebte ab 1946 in Parisund London. Im Jahr 1948 gründete er mitAsger Jorn die Künstlergruppe „CoBrA“ unddie „Nederlands Experimentele Groep“ mitKarel Appel, die aber nur drei Jahre existierte.Constant warb Zeit seines Lebens für eineneue Gesellschaft, in welcher niemand mehrarbeiten müsse und sich somit ganz derKunst widmen könne. Er kreierte unter demEinfluss der Internationalen Situationisten inden frühen 50er Jahren das Stadtprojekt„Neu Babylon“, welches seine Idee aufgriffund weiterführte. Viele Künstler haben imLaufe der Zeit revolutionäre Stadtkonzeptegeschaffen, die teils utopisch, größtenteilsaber erschreckend waren.„Neu-Babylon“ ist dagegen nicht so weit hergeholt. Constant übernahm die Idee des„Einheitlichen Urbanismus“ von den Situatio-nisten konsequent und entwickelte ein heute vorstellbares System: In hohen, offenen Räu-men sollten ständig Techniker für Verände-rung in Licht, Temperatur und Luftfeuchtigkeitsorgen. Die Bewohner sollten ungehindertdurch diese Räume wandern und nur durchZufall auf die sogenannten „Stimmungsräu-me“ stoßen, z.B. den lauten Raum mit starkem Lärm und Lichtgewittern oder denleisen Raum mit Schallschutzwänden undsanfter Beleuchtung.Das Ziel war eine Art „wohltuender Gehirnwä-sche“, die verhindern sollte, dass die Einwoh-ner durch aufkeimende Routine abstumpfen -so wie im üblichen Alltag, der oft mit einerBahn- oder Autofahrt beginnt und mit Fernse-hen endet.Den Situationisten gefiel Constants Konzeptallerdings nur bedingt, da sie der Ansichtwaren, dass eine Stadt nur durch den allmäh-lichen Aufbau über Jahrhunderte hinwegschön würde. „Neu-Babylon“ allerdings solltekomplett neu erbaut werden, und als Con-stants Technophilie bekannt wurde, wurde erim Jahr 1960 aus der Gruppe ausgeschlossenund als „hinterhältiges Objekt, das sich

schamlos als Agent einer Integration der Mas-sen verkauft“ beschimpft - für Constant einschwerer Schlag, aber kein Weltuntergang.Als Vorbild für die in „Neu-Babylon“ propa-gierte frei entfaltete Kunst galt ihm die Vor-stellungskraft von Kindern, die noch nichtdurch die Realität „verdorben“ war. Sowaren auch seine ersten Werke von Kinder-fantasie inspiriert, jedoch setzte er sichspäter auch mit Themen wie Krieg ausein-ander. Obwohl er in seinen Theorien ein illu-sionärer Optimist war, malte er in der Phaseder Gruppe „CoBrA“ vor allem melancho-

lisch-nachdenkliche Bilder, die seinenSchmerz, eine Art „Weltschmerz“, wider-spiegelten.

Cobras sind nicht beliebt

Die Gruppe „CoBrA“ wurde im Jahr 1948 ineinem Pariser Café u.a. von Constant, KarelAppel und Asger Jorn gegründet. Diese Grup-pe hatte es sich zur Aufgabe gemacht, vomSurrealismus abzuweichen und statt dessenden Expressionismus mit den Stilmitteln des

Informel wiederzubeleben. Elemente ausVolkskunst, Art Brut, Action Painting, japani-scher Kalligrafie und dem Informel, aber auchImpulse von Kinderzeichnungen oder Gei-steskranken, die in ihren Augen mehr Vitalitätals die klassischen Vorbilder versprühten,wurden auf abstrakte Weise mit figurativenFarben und Formen gekreuzt.Die Mitglieder der Gruppe, die in der Regeläußerst kontaktfreudig waren und viel umher-reisten, hielten enge Verbindungen zu Litera-ten und Architekten, aber auch zu Fotografenund Filmemachern. Edward Lucie-Smith, dersich mit der Gruppe beschäftigte, sagte ein-mal, dass die Künstler der „CoBrA“ „ihren un-terbewussten Fantasien direkt Ausdruck ver-leihen“ wollten, „ohne jede Zensur durch denIntellekt“. So waren denn auch die Bilder vorallem durch ihre Spontaneität geprägt. DieKünstler sahen sich aber auch als politischeGruppe an, die vor allem die internationaleZusammenarbeit förderte und insgesamtzehn Ausgaben der gleichnamigen Zeitschriftherausbrachte, die vor allem von Asger Jorngestaltet wurde. Die Ausstellungshöhepunkte

fanden im Jahr 1949 in Amsterdam und1951 in Lüttich statt. Der Gruppe je-doch wurde die Akzeptanz in der brei-ten Bevölkerung immer verwehrt, undso löste sich „CoBrA“ - deren Nameauf die Anfangsbuchstaben der Hei-matstädte der Gründer, Copenhagen,Brüssel und Amsterdam, zurückgeht -nach nur drei Jahren wieder auf. Con-stant ließ sich trotz mancher Anfein-dung seiner Ideen nicht beirren undverfolgte weiterhin zielstrebig seinenWeg. Er wollte die Bevölkerung aufrüt-teln, sie umkrempeln und neu erschaf-fen. So schuf er Werke wie „Hinrich-tung“ oder „Das Verhör“, mit denen erzwar schockierte, aber doch nicht dasgewünschte Ziel erreichte.

Constant, der sich in seinen Werken immer di-rekt ausdrückte, indem er seine Urängste un-geschminkt in Bildern manifestierte, maltenicht nur wie mit Kinderhand, sondern zeigteauch seine Ängste mit der Direktheit einesKindes. „Angst kann man nicht weg reflektie-ren“ schrieb Stephan Schmidt-Mühlischschon im Jahr 1986. Ebenso lässt sich dasbewegte Leben und Wirken des Anton Con-stant Nieuwenhuys nicht weg reflektieren -auch wenn die damaligen Situationisten daswohl gerne getan hätten.

D.S.

„Hotte“ Breuer und Wilfried Kurrat (Willii AG) bei der Betrachtung der neuesten Arbeiten des Künstlers, Foto: Peter Köster

Constant, „New Babylon“, 1969; watercolor with pastel/paper

Asger Jorn, „The Green Ballet“, 1960, oil on canvas

Die Leiterin des Ludwig Museums, Dr. Beate Reifenscheid,

und der Kulturdezernent der Willii AG, Peter Köster

bis 11. SeptemberGalerie im Historischen Rathaus

Andernach

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