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Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

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Universität Trier Trier, im Juli 2003 Fachbereich I – Psychologie DIE ZEITLICHE STABILITÄT DER HERZPERIODENVARIABILITÄT WÄHREND EMOTIONALER FILME Diplomarbeit vorgelegt von Henning Holle Betreuer: Dr. Dirk Hagemann Prof. Dr. Dieter Bartussek
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Page 1: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Universität Trier Trier, im Juli 2003

Fachbereich I – Psychologie

DIE ZEITLICHE STABILITÄT DER

HERZPERIODENVARIABILITÄT

WÄHREND EMOTIONALER FILME

Diplomarbeit

vorgelegt von Henning Holle

Betreuer:

Dr. Dirk Hagemann

Prof. Dr. Dieter Bartussek

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2 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Inhaltsverzeichnis

INHALTSVERZEICHNIS .......................................................................................... 2

0. EINFÜHRUNG..................................................................................................... 4

1. THEORETISCHER HINTERGRUND ............................................................. 6

1.1 ARBEITSDEFINITION EMOTION ........................................................................ 6

1.2 DIE AUTONOME KONTROLLE DES HERZENS .................................................. 10

1.2.1 Sympathikus und Vagus............................................................................ 11

1.2.2 Autonome Innervation des Herzens.......................................................... 13

1.2.3 Erregungsverlauf am Herzen ................................................................... 14

1.2.4 Chronotrope Wirkung .............................................................................. 15

1.2.5 Dromotrope Wirkung ............................................................................... 15

1.2.6 Inotrope Wirkung ..................................................................................... 16

1.2.7 Vagale Beat-by-Beat-Kontrolle................................................................ 16

1.3 RESPIRATORISCHE SINUSARRHYTHMIE ......................................................... 17

1.3.1 Ursachen der RSA .................................................................................... 18

1.4 MAßE DER HERZRATENVARIABILITÄT........................................................... 19

1.4.1 Frequency Domain Maße......................................................................... 20

1.4.2 Time Domain Maße.................................................................................. 22

1.5 VAGALE REAKTIVITÄT UND EMOTION .......................................................... 23

1.5.1 Das Modell von Thayer ............................................................................ 24

1.5.2 Modifiziertes Modell nach Lang .............................................................. 26

1.5.3 Vagale Reaktivität als Traitkomponente des Affektiven Stils ................... 28

1.5.4 Zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität .............................................. 29

1.6 HYPOTHESEN................................................................................................. 30

2. METHODE......................................................................................................... 32

2.1 VERSUCHSPERSONEN .................................................................................... 32

2.2 VERSUCHSABLAUF ........................................................................................ 32

2.3 STIMULUSMATERIAL ..................................................................................... 33

2.4 ERHOBENE RATINGDATEN ............................................................................ 34

2.5 ERFASSUNG DES EKG ................................................................................... 34

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Henning Holle 3

2.6 DATENVERARBEITUNG UND ANALYSE .......................................................... 35

3. ERGEBNISSE .................................................................................................... 37

3.1 RATINGS........................................................................................................ 37

3.2 VERÄNDERUNGEN DER HERZPERIODE........................................................... 40

3.3 VERÄNDERUNGEN DER VAGALEN AKTIVITÄT ............................................... 42

3.4 DIE VAGALE KOMPONENTE DER EMOTIONALEN REAKTION .......................... 46

3.5 LATENT-STATE-TRAIT-ANALYSE DER REAKTIONSMAßE. ............................. 50

3.5.1 Beschreibung der Modelle ....................................................................... 51

3.5.2 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor. ....................................... 52

3.5.3 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor ............................ 54

2.5.4 Modell mit unkorrelierten States.............................................................. 56

3.5.5 Ergebnisse der LST-Analyse .................................................................... 58

4. DISKUSSION ..................................................................................................... 66

5. LITERATURVERZEICHNIS .......................................................................... 71

ANHANG A: BESCHREIBUNG DER FILME ...................................................... 74

ANHANG B: FAKTORENANALYSE L-MSSD .................................................... 76

ANHANG C: FAKTORENANALYSE DER REAKTIONSMAßE L-MSSD ...... 77

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4 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

0. Einführung

Im Bereich der Emotionsforschung hat sich bis dato eine Vielzahl von

Arbeiten mit den autonomen Komponenten der Emotion beschäftigt. Eine mögliche

Funktion dieser autonomen Veränderungen, z. B. Beschleunigung der Herzrate,

erhöhte Kontraktionskraft des Herzmuskels usw., ist die Bereitstellung körperlicher

Ressourcen im Sinne einer Handlungsbereitschaft (Oatley & Jenkins, 1996). Häufig

wurde dabei die Veränderung der Herzrate als globaler Indikator für autonome

Aktivierung angesehen; teilweise sogar mit sympathisch vermitteltem Arousal

gleichgesetzt (Porges, 1995). Tatsächlich steht das Herz aber unter sympathischer

und parasympathischer (=vagaler) Kontrolle, so dass z. B. ein Anstieg der Herzrate

durch erhöhte sympathische Aktivität, verminderte vagale Aktivität oder durch eine

Kombination aus beidem erreicht werden kann. Es wäre also sinnvoll, die

autonomen Veränderungen, die mit dem Erleben einer Emotion einhergehen,

getrennt in ihren sympathischen und vagalen Anteilen abzubilden. Vor allem die

vagalen Anteile könnten dabei in Bezug auf Emotionen bedeutsam sein, da nur der

Parasympathikus die physiologischen Voraussetzungen für flexible und schnelle

Anpassungsprozesse erfüllt (Thayer & Lane, 2000). Auf der anderen Seite scheint es

eine Verbindung zwischen einem niedrigen vagalen Tonus, einer beeinträchtigten

Fähigkeit zur Emotionsregulation und der Panikstörung zu geben (Friedman &

Thayer, 1998). Wenn man dem Konstrukt der vagalen Reaktivität aber eine solch

wichtige Rolle als Indikator organismischer Responsitivät zuschreibt, sollten die

psychophysiologischen Maße der vagalen Reaktivität auch eine gewisse zeitliche

Stabilität und transsituative Konsistenz im Sinne eines Traits aufweisen.

Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich mit der zeitlichen Stabilität der

kardiovaskulären vagalen Reaktion im Kontext einer emotionalen Stimulation.

Zweiundsechzig Probanden sahen acht emotionale Filme, die Ausschnitte aus

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Henning Holle 5

kommerziellen Spielfilmen darstellten. Die Filme waren dabei so ausgewählt, dass

sie möglichst spezifisch und intensiv eine von vier basic emotions (Ärger, Ekel, Freude

und Trauer) induzieren, wobei je zwei Filme auf eine Emotion abzielten. Zusätzlich

wurde ein neutraler Film gezeigt. Während der Präsentation wurde ein

Elektrokardiogramm (EKG) aufgezeichnet. Aus dem EKG wurde ein Time-Domain-

Maß der Herzperiodenvariabilität errechnet (root mean square of successive differences r-

MSSD, d. h. die Wurzel aus dem Mittelwert der quadrierten sukzessiven

Differenzen). Die Herzperiodenvariabilität diente als Indikator für das Ausmaß der

vagalen Beeinflussung des Herzens. Um ein filmspezifisches Maß für vagale

Reaktivität zu erhalten, wurde die Herzperiodenvariabilität des neutralen Films von

der Herzperiodenvariabilität jedes emotionalen Films abgezogen. Die

Herzperiodenvariabilität der einzelnen Filme zeigte eine mittlere Stabilität über die

vier Messgelegenheiten (die meisten Korrelationen lagen im Bereich von r = .50 bis r

= .70). Die Reaktivitätsmaße der Herzperiodenvariabilität zeigten jedoch verminderte

Retest-Korrelationen, die sich um r = 0 bewegten. In einer differenzierten Analyse

nach der Latent-State-Trait-Theorie (Steyer, Schmitt, & Eid, 1999) wurde deutlich,

dass die vagale Reaktion auf emotionale Filme keine zeitliche stabile Disposition (i.S.

eines Traits) ist. Der messgelegenheitsspezifische Einfluss (State-Anteil) ist hingegen

vergleichsweise groß.

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6 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

1. Theoretischer Hintergrund

„Everyone knows what an emotion is, until asked to give a definition. Then, it

seems, no one knows.” (Fehr & Russell, 1984)

1.1 Arbeitsdefinition Emotion

Die Frage, wie man Emotionen definieren kann, ist so alt wie die

Emotionsforschung selbst. Fehr und Russell (1984) haben gezeigt, dass Menschen

sehr wohl in der Lage sind, Beispiele für Emotionen zu geben. Jeder Mensch scheint

z. B. eine Vorstellung davon zu haben, wie sich für ihn die prototypische Emotion

Freude anfühlt und in welchen Situationen er diese Emotion typischerweise erlebt.

Schwierig wird es erst, wenn man versucht, Emotionen zu definieren, indem

notwendige und hinreichende Bedingungen spezifiziert werden. Diese Arbeit folgt

dem Vorschlag von Frijda (1986), nach welchem die Veränderung hin zu einer

Handlungsbereitschaft (englisch: change in readiness for action) eine notwendige

Bedingung für eine Emotion darstellt. Sie stellt jedoch keine hinreichende Bedingung

dar, d. h. nach diesem Verständnis geht nicht jede Vorbereitung einer Handlung mit

einer Emotion einher.

Aus diesem zentralen Element der Handlungsbereitschaft lässt sich eine

Arbeitsdefinition für Emotionen ableiten (Oatley & Jenkins, 1996):

1. Eine Emotion entsteht, wenn eine Person bewusst oder unbewusst ein

Ereignis bewertet, das als relevant für ein Anliegen (ein Ziel) erachtet wird.

Die gefühlte Emotion ist positiv, wenn das Ereignis die Zielerreichung

begünstigt wird und negativ, wenn es die Zielerreichung behindert.

2. Im Zentrum einer Emotion stehen die Handlungsbereitschaft und das

Anstoßen von Plänen; eine Emotion setzt die Priorität für eine oder mehrere

Handlungsarten fest und verleiht ihnen eine gewisse Dringlichkeit. So

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Henning Holle 7

entsteht durch die Emotion ein gewisser Wettbewerb der Pläne und

Handlungen, in dessen Verlauf es zu Handlungsunterbrechungen und –

veränderungen kommen kann. Unterschiedliche Arten der

Handlungsbereitschaft führen damit zu unterschiedlichen Beziehungen der

Pläne untereinander.

3. Eine Emotion wird normalerweise als ein distinkter mentaler Zustand erlebt,

in dessen Folge oder Begleitung es manchmal zu körperlichen

Veränderungen, Veränderungen im Ausdruck oder zu Handlungen kommt.

Der Autor ist sich bewusst, dass die Emotionsforschung von einer

konsensfähigen Definition noch weit entfernt ist und die Entscheidung somit recht

willkürlich ist. Die gewählte Definition fällt nach der Klassifikation von Meyer,

Schützwohl und Reisenzein (1993) in den Bereich der Syndromdefinitionen, d. h.

eine Emotion wird als Gesamtereignis aus mentalem Erleben, Verhalten und

physiologischen Veränderungen verstanden.

Beispiele für Dimensionen des zentralen Konstruktes Handlungsbereitschaft

finden sich in Tabelle 1. Frijda, Kuipers und ter Schure (1989) extrahierten diese

Dimensionen aus imaginierten prototypischen emotionalen Episoden. An den

Beispielitems wird leicht ersichtlich, auf welche Weise Handlungsbereitschaften die

Pläne der Person beeinflussen.

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8 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Tabelle 1

Auswahl von Dimensionen der Handlungsbereitschaft mit Beispielitems nach Frijda et al. (1989)

Dimension Action readiness item

Antagonismus „Ich wollte opponieren, angreifen, verletzen oder beleidigen”

Annäherung „Ich wollte mich annähern, Kontakt aufnehmen“

Vermeidung „Ich wollte nichts mehr mit der Person / der Sache zu tun haben“

Überschwang „Ich wollte mich bewegen, singen, springen, Dinge unternehmen“

Hoffnungslosigkeit „Ich wollte etwas tun, aber ich wusste nicht was; Ich war hilflos“

Kontrolle „Ich stand über den Dingen; Ich hatte die Sache im Griff; Ich hatte die Zügel in der Hand“

Inhibition „Ich fühlte mich gehemmt, paralysiert“

Entspannung „Ich fühlte mich entspannt; dachte, dass alles OK ist; sah keinen Anlass, etwas zu unternehmen“

Ein Beispiel möge die zentrale Rolle der Handlungsbereitschaft für die

Emotion verdeutlichen:

Sie möchten kurz vor Ladenschluss noch etwas Einkaufen und gehen auf dem

Bürgersteig die Straße entlang. Ein Auto fährt mit überhöhtem Tempo dicht am Bordstein

vorbei, wobei sie durch das aufgewirbelte Wasser völlig durchnässt werden.

Wutentbrannt drehen sie sich nach dem Auto um und schütteln drohend ihre Faust.

Die Handlung „Einkaufen“ wird hier für einen gewissen Zeitraum

unterbrochen, weil die Handlung „Protest“ zunächst eine höhere Dringlichkeit

bekommen hat. Da Sie nun nass und schmutzig sind, wird das Erreichen einiger

Ziele unwahrscheinlicher, z. B. dass der Einkauf heute noch erledigt wird. Die

gefühlte Emotion wird also negativ sein. Die beiden Handlungen stehen miteinander

im Wettbewerb, wobei dem Protest aktuell eine höhere Dringlichkeit zugeordnet ist.

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Wenn die Intensität der erlebten Emotion „Ärger“ nachlässt, ist damit zu rechnen,

dass die Handlung „Einkaufen“ fortgesetzt wird. Versucht man diese emotionale

Episode in den Dimensionen der Handlungsbereitschaft (vgl. Tabelle 1) zu

beschreiben, scheinen hier Antagonismus und Annäherung besonders wichtig zu

sein.

Emotionen dienen somit als Verbindungspunkte zwischen den Handlungen;

sie teilen uns mit, dass eine bedeutsame Veränderung eingetreten ist und wir unsere

Handlungen entsprechend anpassen müssen. Aus diesem Verständnis von Emotion

ergibt sich eine interessante Sichtweise des Verhältnisses von Kognition und

Emotion. Oft werden die beiden als konkurrierende Prozesse (miss-)verstanden,

wobei den Emotionen die Rolle eines phylogenetischen Erbes zugedacht wird, dass

uns beim Treffen von rationalen Entscheidungen behindert.

In real life, purely logical search through all possibilities is not possible (because of

limitations of resources, multiple goals, and problems of coordination with others).

Nevertheless we must act and, (…), herein are the roots of human tragedy: despite our

limitations we must take responsibility for our actions, and suffer their effects. This is

why emotions or something like them are necessary to bridge across the unexpected and

the unknown, to guide reason, and to give priorities among multiple goals (Oatley &

Jenkins, 1996).

Die Pläne, die durch Emotionen angestoßen werden, sind hauptsächlich

sozialer Natur, d. h. sie beziehen andere Personen mit ein. Insofern sorgen sie für

eine gewisse Infrastruktur des sozialen Miteinanders, ein Aspekt, den rein kognitiv

orientierte Emotionstheorien, wie z. B. die goal-relevance-theory von Lazarus (Oatley &

Jenkins, 1996), häufig vernachlässigen.

Nach Frijda (1986) kann man Emotionen also als distinkte mentale Zustände

verstehen, die eine wichtige Rolle in der Handlungsregulation spielen. Neben diesen

motivationalen Voraussetzungen müssen allerdings auch gewisse körperliche

Handlungsbereitschaften geschaffen werden, damit der Organismus erfolgreich

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10 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

handeln kann. Emotionen sollten nach dieser Vorstellung mit einer Aktivierung von

körperlichen Ressourcen einhergehen, die in Art und Verlauf auf die situativen

Anforderungen abgestimmt ist. Im folgenden soll skizziert werden, wie das

autonome Nervensystem einen wichtigen Teil dieser Anpassungsleistungen

vollbringt, wobei der Schwerpunkt auf der kardiovaskulären Handlungsbereitschaft

liegt. Ferner wird aufgezeigt, wie über die Analyse der Herzperiodenvariabilität ein

nicht-invasives und valides Maß für die vagale Beeinflussung des Herzens errechnet

werden kann.

1.2 Die autonome Kontrolle des Herzens

Das autonome Nervensystem stellt neben dem endokrinen System das zweite

große System für die Kommunikation zwischen den einzelnen Organen des Körpers

dar. Es innerviert die glatte Muskulatur aller Organe und Organsysteme, das Herz

und die Drüsen. Das autonome Nervensystem (ANS) regelt dabei lebenswichtige

Funktionen, z. B. der Atmung, des Kreislaufes, der Verdauung und des

Stoffwechsels. Im Gegensatz zum somatosensorischen Nervensystem unterliegt es

nur eingeschränkt der direkten, willkürlichen Kontrolle, weshalb es auch als

autonom bezeichnet wird (Birbaumer & Schmidt, 1999).

Das ANS sorgt für eine kontinuierliche Anpassung der intraorganismischen

Prozesse an die äußeren Umstände. So wird z. B. bei einigen Menschen der Anblick

einer Schlange von einem Anstieg des Herzzeitvolumens und der

Muskeldurchblutung begleitet, was die anschließende Flucht erleichtert. Hier wird

wieder das Konzept der Handlungsbereitschaft deutlich. „Die vegetativen

Veränderungen werden dabei aktiv vom Gehirn erzeugt, d. h. sie sind integrale

Bestandteile jeglichen Verhaltens und keine passiven Begleiterscheinungen oder

reflektorische Reaktion auf sensorische, motorische, emotionale oder kognitive

Prozesse.“ (Birbaumer & Schmidt, 1999). Umgekehrt erlaubt dieser enge

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Henning Holle 11

Zusammenhang, aus der Messung vegetativer Effekte Rückschlüsse auf

zentralnervöse Prozesse zu ziehen.

Das autonome Nervensystem setzt sich aus drei Teilsystemen zusammen, dem

Sympathikus, dem Parasympathikus bzw. Vagus und dem Darmnervensystem. Das

Darmnervensystem ist das einzige System, das wirklich autonom arbeitet. Es

beinhaltet eigenständige motorische Programme, z. B. für die Bewegungen des

Darmes zur Durchmischung und Weiterleitung des Darminhalts (Birbaumer &

Schmidt, 1999). Dieses System liegt jedoch nicht im Fokus dieser Arbeit.

1.2.1 Sympathikus und Vagus

Zunächst soll hier der anatomische Aufbau der beiden Systeme skizziert

werden, um anschließend die Besonderheiten jedes Teilsystems herauszuarbeiten.

1.2.1.1 Gemeinsamkeiten der beiden Systeme

Sowohl das sympathische als auch das vagale System sind als zweizellige

Neuronenketten organisiert. Der Zellkörper des ersten Neurons – präganglionär

genannt – liegt hierbei noch innerhalb des Zentralnervensystems, genauer im

Hirnstamm (Vagus) oder im Rückenmark (Sympathikus & Vagus). Acetylcholin ist

in beiden Fällen der präganglionäre Neurotransmitter, der dort an Rezeptoren des

nicotinergen Typs bindet.

Beide Systeme innervieren die gesamte glatte Muskulatur des Magen-Darm-

Traktes, der Ausscheidungsorgane, der Sexualorgane, der Lunge und der Vorhöfe

des Herzens. Auch diverse Drüsen (Tränen- und Speicheldrüsen, Drüsen des Magen-

Darm-Traktes) werden durch beide Systeme innerviert (Birbaumer & Schmidt, 1999).

Die beiden Systeme unterscheiden sich jedoch sowohl, was die Lage der meisten

Ganglien relativ zu den Effektororganen angeht, als auch bei den verwendeten

postganglionären Neurotransmittern (Jänig, 2000).

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12 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

1.2.1.2 Besonderheiten des Sympathikus

Einige Organe werden ausschließlich sympathisch innerviert. Hierzu zählen

das gesamte Gefäßsystem (mit Ausnahme der Genitalorgane) und die

Schweißdrüsen.

Die Zellkörper der präganglionären Neuronen des Sympathikus liegen im

Brustmark und im oberen Lendenmark. Die meist myelinisierten Axone verlassen

das Rückenmark über die Vorderwurzeln und ziehen zu den sympathischen

Ganglien. Die meisten dieser Ganglien liegen paarweise links und rechts der

Wirbelsäule. Im Bauch- und Beckenraum gibt es jedoch auch unpaare Ganglien. Die

paarigen Ganglienketten werden auch als linker und rechter Grenzstrang bezeichnet

(Birbaumer & Schmidt, 1999). Von hier ziehen die Axone zu den Erfolgsorganen,

wobei die postganglionären Axone unmyelinisiert und sehr dünn sind. Sie leiten die

Erregung nur mit etwa 1 m/s weiter (Antoni, 2000b). Bei den meisten sympathischen

postganglionären Axonen kommt Noradrenalin als Neurotransmitter zum Einsatz,

lediglich bei den Nebennierenrinden wird Acetylcholin verwendet (Jänig, 2000).

Die sympathische Beeinflussung des Herzens vollzieht sich dabei nur über

langsame Second-Messenger-Systeme (Berne & Levy, 2001). Aufgrund der relativen

Länge der postganglionären Axone, der geringeren Leitgeschwindigkeit und dem

langsamen postganglionären Second-Messenger-System wirkt hier eine

sympathische Aktivierung erst nach einer längeren Latenzzeit auf das Effektororgan

(Berne & Levy, 2001).

1.2.1.3 Besonderheiten des Parasympathikus

Die meisten präganglionären Neuronen des Parasympathikus liegen im

Hirnstamm und im Kreuzmark. Vom Hirnstamm aus ziehen die Fasern für den

gesamten Brust- und den oberen Bauchraum durch den X. Hirnnerv (Nervus vagus)

zu den nah an den Erfolgsorganen gelegenen Ganglien. Die Axone aus dem

Kreuzmark laufen im nervus splanchnicus pelvinus und ziehen zu den

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Henning Holle 13

Beckenorganen. Die Kopforgane (innere Augenmuskeln, Drüsen) werden über

verschiedene, aus dem Hirnstamm entspringende Hirnnerven (III = Nervus

oculomotorius, VII = Nervus facialis, IX = Nervus glossopharyngeus) versorgt

(Birbaumer & Schmidt, 1999).

Der postganglionäre Neurotransmitter des Parasympathikus ist Acetylcholin,

hier bindet er jedoch an muscarinerge Rezeptoren. Die Rezeptoren des Herzens

regulieren dabei direkt Kalium-Ionen-Kanäle, welche für ein promptes Entstehen

postsynaptischer Aktionspotentiale sorgen. Beim Vagus ist die Latenzzeit daher im

Vergleich zum Sympathikus kurz (Berne & Levy, 2001).

1.2.2 Autonome Innervation des Herzens

Nachdem bis hierhin die allgemeinen Eigenschaften von Sympathikus und

Parasympathikus beschrieben wurden, soll nun aufgezeigt werden, wie die beiden

Systeme in der autonomen Kontrolle des Herzens interagieren.

Die sympathische und parasympathische Regulation des Herzens wird von

verschiedenen absteigenden Bahnen moduliert, welche ihren Ursprung im

Hypothalamus und in der Amygdala haben. Von dort projizieren sie zu den

bulbomedullären Nuclei und zu den präganglionären sympathischen Neuronen

(Wittling, 1995). Genauer werden als wichtige subkortikale

„Hirnstammkontrollzentren“ die rostrale ventromediale Medulla, das

periaquäduktale Grau, der laterale und paraventrikuläre Hypothalamus und der

zentrale Nucleus der Amygdala angesehen (Wittling, 1997).

Die präganglionären Neurone des Sympathikus befinden sich im

intermediolateralen Trakt im oberen Brustmark. Von dort ziehen die Axone durch

das Rückenmark zu den Ganglien im Grenzstrang. Die postganglionären Fasern

innervieren den Sinusknoten, den Herzmuskel im Bereich der Hauptkammern, den

Atrioventrikularknoten (AV-Knoten) und den Herzmuskel im Bereich der

Vorkammern (Wittling, 1997).

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14 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Die vagalen präganglionären Zellkörper sind entweder im dorsalen

motorischen Nucleus oder im Nucleus ambiguus des verlängerten Rückenmarks

lokalisiert. Die präganglionären Axone laufen durch den Vagus zu den

parasympathischen Ganglien, die sich in der Herzwand befinden. Die

postganglionären Fasern innervieren den Sinusknoten, den AV-Knoten, den

Vorhofmyokard und in geringem Maße den Herzmuskel im Bereich der

Hauptkammern (Berne & Levy, 2001).

1.2.3 Erregungsverlauf am Herzen

Der Sinusknoten, der im rechten Vorhof nahe der Einmündung der Vena cava

superior liegt, funktioniert als primärer Schrittmacher. In Ruhelage sorgt er für eine

Frequenz von 60 – 90 Schlägen. Vom Sinusknoten breitet sich die Erregung innerhalb

von 100 ms über die Muskulatur beider Vorhöfe aus. Während der

Erregungssausbreitung kontrahieren die Vorhöfe. Im AV-Knoten wird die

Weiterleitung zunächst für 90 ms verzögert. Dies verhindert die gleichzeitige

Kontraktion von Vorkammern und Ventrikeln. Dann erfolgt die Weiterleitung über

das His-Bündel, welches sich im Verlauf zunächst in den linken und rechten Tawara-

Schenkel, dann in Purkinje-Fasern aufteilt. Dieses Fasersystem ist schnell leitend (2

m/s) und sorgt dafür, dass verschiedene Regionen der Herzkammer gleichzeitig

erregt werden. Von den subendokardialen Endigungen der Purkinje-Fasern breitet

sich die Erregung schließlich über die Kammermuskulatur aus. Diese letzte Phase

der Erregungsausbreitung dauert 100 ms.

Die Erregungsausbreitung des Herzens ist also gekennzeichnet durch eine

Erregungsausbreitung über beide Vorhöfe, eine Verzögerung im AV-Knoten und

anschließend eine schnelle Ausbreitung der Erregung auf die Kammermuskulatur.

Im Gegensatz zu Skelettmuskel- oder Nervenfasern ist das Aktionspotential der

Herzmuskelzellen durch eine lange Plateauphase gekennzeichnet. Dadurch erhöht

sich die Dauer des gesamten Aktionspotentials der Herzmuskulatur auf 200-400 ms,

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Henning Holle 15

d. h. etwa 100mal länger als bei einer Skelettmuskel- oder einer Nervenfaser (Antoni,

2000a).

Das autonome Nervensystem beeinflusst die Pumpleistung des Herzens,

indem es den beschriebenen Ablauf der Erregungsausbreitung an drei

Ansatzpunkten moduliert, (1) dem Sinusknoten, (2) dem AV-Knoten und (3) der

Muskulatur im Bereich der Hauptkammern.

1.2.4 Chronotrope Wirkung

Unter chronotroper Kontrolle versteht man die Beeinflussung des

Sinusknotens als primärem Schrittmacher. So führen die Reizung des rechten

Herzvagus sowie die Applikation von Acetylcholin auf den Sinusknoten zu einer

Verlangsamung der Herzrate. Dies wird als negativ chronotrope Wirkung

bezeichnet. Eine positiv chronotrope Wirkung lässt sich bei Sympathikusreizung

oder der Gabe von Noradrenalin beobachten (Antoni, 2000a).

Vagus und Sympathikus nehmen durch ihre Ruheaktivität – Tonus genannt –

einen unterschiedlich starken Einfluss auf die chronotrope Kontrolle. Wird das Herz

denerviert, schlägt es deutlich schneller (Birbaumer & Schmidt, 1999). Ebenso steigt

die Herzrate im Ruhezustand nach Gabe des Vagus-Antagonisten Atropin deutlich

an, während der sympathische Antagonist Propranolol nur zu einer leichten

Verlangsamung führt (Berne & Levy, 2001). Im Ruhezustand scheint also der vagale

Tonus zu überwiegen.

1.2.5 Dromotrope Wirkung

Unter dromotroper Wirkung versteht man die vegetative Beeinflussung des

AV-Knotens und damit der Erregungsleitung des Herzens. Der Sympathikus

verkürzt die atrioventrikuläre Überleitung und damit die Pause zwischen Vorhof-

und Kammerkontraktion (positiv dromotrope Wirkung). Der Vagus hingegen

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16 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

verlangsamt die atrioventrikuläre Leitung, im Extremfall bis zum totalen AV-Block

(Antoni, 2000a).

1.2.6 Inotrope Wirkung

Vagusaktivität führt zu einer Verringerung der Kontraktionskraft der Vorhöfe

(negativ inotrope Wirkung). Im Bereich der Kammern lässt sich unter vagalem

Einfluss kaum eine Verringerung feststellen, da dieser kaum innerviert wird. Unter

sympathischem Einfluss erhöht sich sowohl die Kontraktionskraft der Vorhof- als

auch der Kammermuskulatur (positiv inotrope Wirkung) (Antoni, 2000a).

1.2.7 Vagale Beat-by-Beat-Kontrolle

Über die chronotrope und dromotrope Wirkung ist es dem Parasympathikus

möglich, kurzfristige Veränderungen der Herzrate zu bewerkstelligen, was als

vagale Beat-by-Beat-Kontrolle bezeichnet wird. Bei den vagalen postgänglionären

Neuronen bindet Acetylcholin an muscarinerge Rezeptoren, welche die Kalium-

Ionen-Kanäle direkt regulieren. Dies führt zu einer Inhibition des SA-Knotens und

des AV-Knotens und damit zu einer prompten Verlangsamung des Herzschlags.

Gleichzeitig ist viel Acetylcholinesterase im synaptischen Spalt vorhanden, was eine

schnelle Spaltung von Acetylcholin ermöglicht. Eine Abnahme der vagalen

Stimulation führt hingegen zu einer Disinhibition. Aufgrund des überwiegenden

vagalen Tonus im Ruhezustand resultiert dies in einem kurzfristigen Anstieg der

Herzrate. Die Wirkung des Vagus auf das Herz ist also gekennzeichnet durch eine

kurze Latenzzeit von 50–100 ms (Berne & Levy, 2001) und ein rasches Nachlassen der

Wirkung nach Ende der Stimulation.

Die Auswirkungen des Sympathikus auf die Herzrate sind eher graduell, was

sich zum einen mit den langen und langsam leitenden postganglionären Fasern

(Antoni, 2000a), zum anderen mit den langsameren kardioeffektorischen Second-

Messenger-Rezeptoren (Berne & Levy, 2001) erklären lässt. Die sympathische

Latenzzeit bis zum Einsetzen eines Aktionspotentials im Effektororgan liegt im

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Henning Holle 17

Bereich von 1300-2000 ms (Berntson, Cacioppo, & Quigley, 1993). Während der

sympathischen Stimulation wird ein Großteil des Noradrenalins wieder in den

präsynaptischen Spalt aufgenommen, während der Rest vom Blutstrom weggespült

wird. Im Vergleich zur parasympathischen Deaktiverung mittels

Acetylcholinesterase ist dies ein langsamer Prozess, der sich in der langen

Abklingzeit (englisch: decay time) von mehr als 15 s nach Ende der Stimulation

niederschlägt (Berne & Levy, 2001). Zusammenfassend lässt sich sagen:

Thus the vagus nerves are able to exert beat-by-beat control of heart rate, whereas the

sympathetic nerves are not able to alter cardiac behaviour very much within one cardiac

cycle (Berne & Levy, 2001).

Die sympathischen kardioeffektorischen Synapsen werden in diesem

Zusammenhang auch als Low-Pass-Filter bezeichnet, da sie aufgrund ihrer Trägheit

nur auf niederfrequente Oszillationen reagieren können (Berntson et al., 1993).

Die absolute Pumpleistung des Herzens (gemessen z. B. durch das

Herzzeitvolumen) kann also auf chronotrope, dromotrope und intrope Weise

beeinflusst werden. Kurzfristige Veränderungen der Leistung sind dabei nur durch

eine Veränderung der vagalen Aktivität möglich.

1.3 Respiratorische Sinusarrhythmie

Der Parasympathikus vollbringt im Ruhezustand eine kontinuierliche

Anpassung der Herzrate, die sogenannte respiratorische Sinusarrhythmie (RSA).

Während der Inspiration beschleunigt sich der Herzschlag, wogegen er sich bei der

Exspiration verlangsamt (Berne & Levy, 2001). Die Herzrate variiert also in

Abhängigkeit der Atemfrequenz, wobei diese kurzfristige Variation über

chronotrope und dromotrope Wirkung erreicht wird.

Page 18: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

18 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

1.3.1 Ursachen der RSA

Zwei Reflexe zur Kreislaufregulation scheinen eine besonders wichtige Rolle

bei der Entstehung der RSA zu spielen.

1.3.1.1 Barorezeptorreflex

Der Barorezeptorreflex wird auch als Karotissinusreflex oder Barosensorreflex

bezeichnet. Drucksensoren im Aortenbogen und in der Karotisarterie melden

fortlaufend über den Karotissinusnerven den mittleren Blutdruck an die

Kreislaufzentren im Hirnstamm. Ein Abfallen des Blutdrucks führt zu einer vagalen

Hemmung (negative chronotrope und dromotrope Wirkung) und einer

sympathischen Erregung (positiv chronotrope, dromotrope und intrope Wirkung).

Entsprechend umgekehrte Folgen hat ein Ansteigen des arteriellen mittleren

Blutdrucks (Birbaumer & Schmidt, 1999). Der Barorezeptorreflex ist in erster Linie

für die Verlangsamung des Herzschlags während der Exspiration verantwortlich.

Während der Exspiration verringert sich das Volumen des Brustkorbs, d. h. der

intrathorakale Druck erhöht sich. Dadurch erhöht sich auch der Blutdruck, was die

Barorezeptoren im Aortenbogen und in den Karotisarterien zum Feuern veranlasst.

Über die Kreislaufzentren im Hirnstamm wird eine vermehrte vagale Aktivität

initiiert und durch die beschriebenen Mechanismen wird eine negativ chronotrope

und dromotrope Wirkung erreicht, was zu einer Verlangsamung der Herzrate führt

(Berne & Levy, 2001).

1.3.1.2 Bainbridge-Reflex

In den Vorhöfen befinden sich zwei Arten von Dehnungsrezeptoren. Die A-

Rezeptoren feuern während der Kontraktion der Vorhöfe, die B-Rezeptoren bei

passiver Dehnung der Vorhöfe, z. B. durch vermehrt einströmendes venöses Blut.

Die Impulse der Vorhofrezeptoren laufen über Vagusafferenzen zu den

kreislaufsteuernden Neuronen des Nucleus tractus solitarii. Die Erregung von B-

Page 19: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 19

Rezeptoren führt zu einer Erregung der sympathischen und einer Hemmung der

vagalen Strukturen (Antoni, 2000a).

Bainbridge hat demonstriert, dass der Reflex nach beidseitiger Durchtrennung

der Vagi verschwindet, was für eine vagale Vermittlung spricht (Berne & Levy,

2001). Hauptsächlich der Bainbridge-Reflex bewirkt die Beschleunigung der Herzrate

während der Inspiration. Bei der Inspiration dehnt sich der Brustkorb, wodurch der

intrathorakale Druck abfällt. Dies führt zu einem beschleunigten Rückfluss des

venösen Blutes, was eine Dehnung der rechten Vorkammer zur Folge hat. Das

Feuern der B-Rezeptoren bewirkt eine Disinhibition des Vagus, sodass das Herz

dann schneller schlägt.

Aus dem Zusammenspiel dieser beiden Reflexe entsteht die rhythmische

Variation der Herzrate. Für eine vagale Vermittlung dieser Reflexe spricht dabei,

dass die RSA nach der Gabe eines Parasympathikus-Antagonisten verschwindet,

während Sympathikus-Antagonisten kaum Auswirkungen zeigen (Berne & Levy,

2001). Die RSA kann also als Indikator für das Ausmaß der vagalen Beeinflussung

der Herzrate gesehen werden (Wittling, 1997). Im folgenden wird aufgezeigt, wie aus

einem EKG einige Indikatoren für die RSA und damit für die vagale Aktivität

errechnet werden können.

1.4 Maße der Herzratenvariabilität

Unglücklicherweise stellt die RSA nicht die einzige Varianzquelle der

Herzratenvariabilität dar. Auch das Ausmaß der körperlichen Aktivität, circadiane

Rhythmen, Veränderungen im Renin-Angiotensin-System stellen zusätzliche

Varianzquellen dar (Stein, Bosner, Kleiger, & Conger, 1994). Verschiedene Ansätze

wurden mit dem Ziel entwickelt, die Quellen zu trennen, um einen möglichst reinen

Indikator für RSA zu errechnen. Ausgangspunkt für die Berechnung aller Maße stellt

zunächst ein EKG dar, in dem fortlaufend die R-Zacken identifiziert werden. Die R-

Zacke signalisiert die schnelle Depolarisation entlang der His’schen Bündel Richtung

Page 20: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

20 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Endmyokard und ist das am leichtesten identifizierbare Signal im EKG (Antoni,

2000a). Nun kann eine Datenreihe generiert werden, die entweder die fortlaufenden

Herzraten oder die Herzperioden beinhaltet. Letztere enthält die Abstände zwischen

den einzelnen R-Zacken in ms und wird als Inter-Beat-Interval-Zeitreihe (IBI-

Zeitreihe) bezeichnet. Berntson et al. (1997) empfehlen in ihrem Committee Report von

Herzperiodenvariabilität statt Herzratenvariabilität zu sprechen, wenn als

Ausgangsbasis eine IBI-Zeitreihe verwendet wurde. Diese Konvention wird für den

Rest dieser Arbeit eingehalten.

1.4.1 Frequency Domain Maße

Bei einer Frequency-Domain-Analyse wird die Gesamtvarianz der IBI-

Zeitreihe zerlegt. Dabei wird deutlich, wie viel der Gesamtvarianz auf periodische

Oszillationen verschiedener Frequenzen zurückzuführen ist. Stein et. al (1994)

erläutern das Prinzip an folgendem hypothetischen Beispiel, in dem die

Herzperiodenvariabilität nur das Resultat dreier zusammenwirkender Frequenzen

darstellt, nämlich einer „hohen“ Frequenz von 0.25 Hz (15 Zyklen pro Minute), einer

„niedrigen“ Frequenz von 0.1 Hz (6 Zyklen pro Minute) und einer sehr niedrigen

Frequenz von 0.016 Hz (1 Zyklus pro Minute, siehe Abbildung 1 oben links). Aus der

Kombination dieser Signale ergibt sich die beobachtete Herzperiodenvariabilität. Die

Fourier-Analyse des Signals (Abbildung 1, unten links) zeigt grafisch, welchen Anteil

an der Gesamtvarianz die einzelnen Frequenzen erklären. Dieser Anteil wird auch

als Power (Skala: ms2) bezeichnet. Einige Forscher berichten auch die spektrale

Amplitude (Skala: ms), was der Quadratwurzel der Power entspricht.

Page 21: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 21

Abbildung 1: Hypothetisches Beispiel der Fourier-Analyse einer IBI-Zeitreihe

Quelle: (Stein et al., 1994)

Auch in realen IBI-Zeitreihen finden sich immer wieder ähnliche periodische

Einflüsse auf die Herzperiodenvariabilität in bestimmten Frequenzbändern. In Bezug

auf die Namensgebung der einzelnen Bänder herrscht allerdings noch kein Konsens.

Diese Arbeit folgt den Richtlinien aus dem Committee Report zur

Herzratenvariabilität (Berntson et al., 1997).

Das high-frequency Band (HF-Band) reicht von ungefähr 0.15 bis 0.4 Hz und

spiegelt im Wesentlichen die respiratorischen Einflüsse auf die

Herzperiodenvariabilität wider, weswegen es auch als respiratorisches Band

Page 22: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

22 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

bezeichnet wird. Die HF-Power kommt nach vagaler Blockade praktisch zum

Erliegen, während eine sympathische Blockade kaum Auswirkung auf die HF-Power

zeigt (Akselrod et al., 1981). Dies ist auch physiologisch plausibel, da nur die vagale

Kontrolle die zeitlichen Eigenschaften besitzt, die für hochfrequente Oszillationen

der Herzrate nötig sind. Deshalb wird Power im HF-Band als sehr valider Indikator

für das Ausmaß vagalen Informationsflusses zum Sinusknoten des Herzens gesehen

(Wittling, 1997).

Etwas langsamere periodische Einflüsse akkumulieren im low-frequency Band

(LF-Band), das von 0.05 bis 0.15 Hz reicht. Nach Ansicht einiger Autoren reflektiert

das LF-Band hauptsächlich sympathische Einflüsse; die Mehrheit sieht in diesem

Band jedoch sowohl sympathische als auch vagale Aktivität abgebildet (Berntson et

al., 1997).

Weitere Fluktuationen der Herzperioden findet man im Frequenzbereich

unterhalb von 0.05 Hz. Häufiger beschriebene Bänder sind hier die very low

frequencies (VLF; ungefähr 0.003 – 0.05 Hz) und die ultra low frequencies (ULF), welche

circadiane Rhythmen umfassen. Es gibt recht wenig Forschungsarbeiten zu diesen

Bändern, und die dahinterliegenden physiologischen Mechanismen sind noch nicht

gut verstanden (Berntson et al., 1997).

1.4.2 Time Domain Maße

Die Time-Domain-Maße stellen eine etwas unaufwändigere Art zur

Beschreibung von bestimmten Varianzanteilen der Herzperiodenvariabilität dar.

Eine erste Klasse von Time-Domain-Maßen betrachtet die Varianz der IBI-

Zeitreihe. Ein Beispiel ist SDNN (englisch: standard deviation of all normal N-N

intervals, d. h. die Standardabweichung aller normalen R-R-Intervalle in einem 24-h-

EKG). Diese IBI-basierten Maße erfassen ein recht breites Spektrum an Einflüssen,

sowohl kurzfristige (z. B. respiratorische) als auch langfristige (z. B. circadiane)

Einflüsse.

Page 23: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 23

Die zweite Klasse von Time-Domain-Maßen vergleicht die Längen

benachbarter R-R-Intervalle, d. h. es wird die Variabilität der Abstände zwischen den

Abständen betrachtet. PNN50 (englisch: proportion of adjacent R-R intervals that are >

50 ms apart, measured in percent, d. h. der prozentuale Anteil benachbarter R-R-

Intervalle, die sich um mehr als 50 ms unterscheiden) und r-MSSD (englisch: root

mean square of successive differences, d. h. die Wurzel des Mittelwertes der quadrierten

sukzessiven Längendifferenzen benachbarter R-R-Intervalle) sind hier zwei häufig

verwendete Vertreter. Sie sind so gut wie unabhängig von langfristigen Einflüssen

und reflektieren hauptsächlich den vagalen Tonus (Sgoifo et al., 1999; Stein et al.,

1994).

Ein Nachteil der Time-Domain-Maße ist, dass sie eher qualitative als

quantitative Informationen liefern. Dennoch gibt es für jedes Frequency-Domain-

Maß ein hoch korrelierendes Time-Domain-Maß (Stein et al., 1994). Besonders r-

MSSD korreliert innerhalb von Bedingungen so hoch mit der HF-Power der

Herzperiodenvariabilität, dass sie als austauschbar bezeichnet werden (Sgoifo et al.,

1999).

Festzuhalten ist, dass über die Herzperiodenvariabilität ein valider Indikator

für das Ausmaß der vagalen Beeinflussung des Herzens errechnet werden kann. Den

Königsweg stellt dabei die recht aufwändige Berechnung der HF-Power dar. R-

MSSD ist jedoch aufgrund der hohen Korrelation ein akzeptabler Ersatz.

1.5 Vagale Reaktivität und Emotion

Zunächst sollen hier einige Anmerkungen zum Konstrukt der vagalen

Reaktivität erfolgen. Wie Berntson et al. (1997) anmerken, wird die HF-Komponente

der Herzperiodenvariabilität oft als Indikator der vagalen Kontrolle verwendet. Sie

weisen jedoch daraufhin, dass mehrere Dimensionen der vagalen Kontrolle für den

Zusammenhang relevant sind:

Page 24: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

24 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

a) Ausmaß der zentralnervösen vagalen Inhibition des Herzens

b) Durchschnittliches Niveau der vagalen Inhibition des Herzens (auch als

cardiac vagal tone bezeichnet)

c) Phasische Variation der vagalen Inhibition des Herzens, die in Verbindung

mit der Atmung steht

d) Dynamische vagale Reaktionen, die das R-R-Intervall beeinflussen.

Diese Dimensionen hängen oft eng miteinander zusammen, jedoch

beschreiben die Autoren auch Konstellationen, in denen sie voneinander dissoziiert

werden können, z. B. bei extremer vagaler oder parasympathischer Stimulation

durch die Gabe von Medikamenten. Im Rahmen einer emotionalen Episode geht es

um die kurzfristige Variation der vagalen Beeinflussung des Herzen relativ zu einer

Baseline. Im folgenden werden einige theoretische Ansätze vorgestellt, die erklären,

wie solche phasischen Variationen eine adaptive Handlungsbereitschaft des

kardiovaskulären Systems ermöglichen.

1.5.1 Das Modell von Thayer

Thayer (2002; 2000) betont die Rolle des Parasympathikus in der Regulation

von Aufmerksamkeit und Emotion. Er betrachtet den menschlichen Organismus als

ein dynamisches System mit vielen Freiheitsgraden. Innerhalb des Systems gibt es

lose miteinander verbundene Bio-Oszillatoren. Wenn das System eine zielgerichtete

Verhaltensweise in einem bestimmten situativen Kontext ausführt, wirken die

einzelnen Bio-Oszillatoren in einer koordinierten Weise zusammen. Die vielen

einzelnen Elemente des Systems können zu diesem Zeitpunkt sparsamer durch eine

geringere Anzahl von Kontrollparametern beschrieben werden. Emotionen werden

in dieser systemischen Betrachtungsweise als Attraktoren angesehen, d. h. sie stellen

bevorzugte Konfigurationen im Verhaltensrepertoire des Organismus dar.

Abbildung 2 verdeutlicht diese Approximation relativ stabiler Zustände im

Page 25: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 25

konstanten Fluss der Organismus-Umwelt-Interaktionen. Die exakte Ausprägung

der Kontrollparameter ist irrelevant; der Attraktor (sprich die Emotion) wird

approximiert, wenn die Konfiguration in das basin of attraction fällt.

Anmerkung: Die Koordinaten (0.1,0.1) und (0.9,0.9) stellen die Attraktoren dar. Die Diagonale zwischen den Koordinaten (0,1) und (1,0) trennt die beiden Basins of Attraction

Abbildung 2: Basins of Attraction in einem Attraktorennetz

Dieser systemische Ansatz kann erklären, wie trotz enormer situativer

Variabilität dieselbe Emotion erlebt werden kann. Thayer versteht distinkte

Emotionen als einen Zustand im Verhaltensrepertoire des Organismus, der durch ein

kleines Set an Kontrollparametern definiert wird. Er verweist auf die breite

Befundlage, die auf Valenz und Arousal als wichtigste Dimensionen der Emotion

hindeutet, weshalb sie in seinem dynamischen Modell auch die wichtigsten

Kontrollparameter darstellen.

Die vagale Reaktivität ist in diesem System ein wichtiger Indikator für die

Flexibilität des Systems. Der Parasympathikus sorgt nach Thayer für die schnellen

Anpassungen im System. Irrelevante Informationen und Reaktionen werden

inhibiert, so dass sich die Aufmerksamkeit eher auf relevante Bereiche konzentriert.

Im Falle einer geringen vagalen Reaktivität gelingt diese Anpassungsleistung

Page 26: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

26 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

weniger gut. Aufgrund der geringeren Inhibition kann es dazu kommen, dass

positive Feedback-Schleifen immer wieder durchlaufen werden. Dies äußert sich z. B.

in dem hohen Arousal, das bei Angstpatienten häufig beobachtet wird. Der

Organismus reagiert häufiger nicht situationsadäquat und die erlebten Emotionen

sind nicht funktional: „...the individual is ‚stuck’ in an attractor or behavioral pattern

that is not responsive to the demands placed upon it by the environment” (Thayer &

Lane, 2000).

Eine geringe vagale Reaktivität wirkt sich darüber hinaus negativ auf die

selektive Aufmerksamkeit des Individuums aus. Irrelevante Aspekte der Situation

werden weniger gut inhibiert, deshalb muss ein Teil der Aufmerksamkeit auf sie

verwendet werden. Die Reaktion des Organismus auf die situativen Gegebenheiten

fällt damit suboptimal aus, da weniger bedeutsame Informationen aufgenommen

und verarbeitet werden können.

1.5.2 Modifiziertes Modell nach Lang

Wie kann nun die vagale Flexibilität in das Gesamtereignis Emotion integriert

werden? Eine Erklärung bietet Lang (1988), der von drei Reaktionssystemen ausgeht,

die nur lose miteinander verbunden sind; nämlich das kognitiv-verbale, das

körperlich-physiologische und das behavioral-expressive System. Die

Veränderungen, die während einer Emotion in diesen drei Systemen stattfinden,

werden auch als Reaktionstrias bezeichnet. Diese Annahme geschieht vor dem

Hintergrund zahlreicher Befunde, die auf bemerkenswert niedrige Zusammenhänge

zwischen dem Erleben, dem Ausdruck und körperlichen Veränderungen während

einer Emotion hinweisen.

Oatley und Jennings (1996) erweitern Langs Argumentation, indem sie den

Systemen unterschiedliche Funktionen zuschreiben. Die meisten Emotionstheorien

beschäftigen sich mit dem kognitiv-verbalen System. Einige Aspekte dieses Systems

können von uns erlebt werden, und nach diesen Erfahrungen dauert eine emotionale

Page 27: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 27

Episode einige Minuten bis Stunden. Diesen Aspekt von Emotion bemerken wir und

können uns im Anschluss darauf beziehen: „Ich war wütend, weil sie mich bei der

Auswahl übergangen haben!“ Daraus können wir einiges über unsere Anliegen und

Ziele erfahren. Die Funktion des kognitiv-verbalen Systems liegt also darin, für einen

Zustand der Handlungsbereitschaft zu sorgen, die nach Frijda im Zentrum der

Emotion steht (vgl. Seite 6). Einige Ziele und Pläne erhalten eine höhere Dringlichkeit

und werden mit höherem Einsatz („Das nächste Mal möchte ich dazugehören!“)

verfolgt als andere.

Die Reaktionen des körperlich-physiologischen (z. B. Anstieg der Herzrate)

und des behavioral-expressiven Systems (z. B. Kontraktion des musc. Corrugator)

spielen sich im Sekundenbereich ab. Die meisten dieser Reaktion entgehen unserer

Aufmerksamkeit und Berichte über körperliche Veränderungen scheinen nicht sehr

genau zu sein (Rime, Philippot, & Cisamolo, 1990). Die Funktion des körperlich-

physiologischen Systems liegt zum einen in der Regulation des komplexen Systems

im Sinne der Homöostase, zum anderen in der antizipatorischen Bereitstellung

körperlicher Ressourcen, z. B. für eine Flucht. Das Ausmaß der vagalen Reaktivität

könnte hier vor allem für die kurzfristigen Anpassungsleistungen bedeutsam sein. So

könnte ein schneller Anstieg der Herzrate über eine Vagus-Disinhibition erreicht

werden.

Wenn man diese Überlegungen berücksichtigt, ist es nicht verwunderlich,

dass die Reaktionen in den Systemen häufig eine geringe Kohärenz aufweisen. Lang

argumentiert, dass deshalb eine Beschränkung auf nur eine Reaktionsebene nicht

zulässig ist, da dies mit einem zu großen Informationsverlust verbunden sei.

Informativer sind Untersuchungen, in denen möglichst alle Reaktionsebenen der

Emotion erfasst werden. Dies ermöglicht eine differenzierte Analyse, unter welchen

situativen Gegebenheiten die drei Systeme kohärent reagieren und wann es zu

welchen Dissoziationen kommt.

Page 28: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

28 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Der Ansatz von Lang kann einen heuristischen Rahmen liefern, indem er die

unterschiedlichen Komponenten einer Emotion den drei Systemen zuordnet und

ihnen Funktionen zuschreibt. Thayers Modell hingegen liefert eine Vorstellung

davon, wie die Prozesse im körperlich-physiologischen System einerseits für eine

fortwährende Regulation des komplexen Systems sorgen, anderseits aber auch

körperliche Ressourcen im richtigen Moment zu Verfügung zu stellen, um für eine

systemübergreifende Handlungsbereitschaft zu sorgen. Dies ermöglicht schließlich

in Koordination mit den anderen Systemen eine erfolgreiche Interaktion mit der

Umwelt.

1.5.3 Vagale Reaktivität als Traitkomponente des Affektiven Stils

Die verschiedenen Emotionen werden nicht von allen Menschen gleich häufig

und gleich intensiv erlebt, sondern es gibt beträchtliche interindividuelle

Unterschiede. Ein einflussreiches Modell, das darauf abzielt, diese interindividuelle

Varianz im emotionalen Erleben durch Unterschiede im kortikalen Aktivitätsmuster

zu erklären, ist das Modell der anterioren Asymmetrie und Emotion von Davidson

und seinen Mitarbeitern (Davidson, 1992, 1993). Davidson zeigt auf, dass mit der

tonischen frontalen Asymmetrie (gemessen durch ein Ruhe-Elektroencephalogramm

(Ruhe-EEG)) die affektive Reaktion auf emotionale Stimuli vorhergesagt werden

kann. Die tonische frontale Asymmetrie ist dabei transsituativ konsistent und zeitlich

stabil im Sinne eines Traits und beeinflusst somit langfristig das emotionale Erleben

des Individuums, weshalb Davidson es als Affektiver Stil bezeichnet (Wheeler,

Davidson, & Tomarken, 1993). Dabei sind die tonischen frontalen Asymmetrien

weder als notwendige noch als hinreichende Faktoren für eine Affektivität zu

verstehen, sondern als Vulnerabilität im Sinne eines Diathese-Stress-Modells.

Im Rahmen dieser Arbeit ist das Konzept des Affektiven Stils ein bedeutsamer

Beitrag der Theorie von Davidson. Jedoch beschränkt sich sein Modell auf das

Erleben und den Ausdruck und vernachlässigt damit die autonomen

Page 29: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 29

Veränderungen, welche den dritten Bestandteil in der Reaktionstrias auf emotionale

Stimuli bilden. Es wäre sinnvoll, wenn der Affektive Stil um autonome Traits

erweitert würde, z. B. im Sinne von Thayers vagaler Flexibilität. So könnte eine

Person mit positiver Affektivität neben der tonischen linksfrontalen Aktiviertheit

durch eine hohe vagale Reaktivität gekennzeichnet sein. Dies ermöglicht eine

situationsadäquate Handlungsbereitschaft, indem während der Verarbeitung der

Situation irrelevante Informationen inhibiert werden und eine schnelle autonome

Aktivierung via Vagus-Disinhibition erfolgt.

Für die tonische frontale Asymmetrie und die affektive Reaktivität konnte

Hagemann (1999) zeigen, dass es sich um transsituativ konsistente und zeitlich

stabile Verhaltensdispositionen handelt. Für die vagale Reaktivität wurde diese

Annahme bisher gemacht (z. B. Thayer & Lane, 2000), empirische Belege stehen

jedoch noch aus.

1.5.4 Zeitliche Stabilität der vagalen Reaktivität

Nach Wissen des Autors liegen derzeit noch keine Studien über die zeitliche

Stabilität der vagalen Reaktivität vor. Für die verschiedenen Indizes der

Herzperiodenvariablität wurde in 24 h EKGs eine hohe zeitliche Stabilität berichtet,

zumindest im Zeitintervall von 3 bis 65 Tagen (Kleiger et al., 1991). Über die

Stabilität von Reaktionsmaßen lassen sich daraus aber noch keine Schlüsse ziehen.

Für die Herzratenreaktivität auf Stimuli wie mentale Arithmetik wurde für

einen Zeitraum von 8 bis 14 Tagen eine mittlere Stabilität (Retest-Korrelation r = .55)

berichtet (Prkachin, Mills, Zwaal, & Husted, 2001). In einer Metaanalyse kommen

Swain und Suls (1996) zu dem Schluss, dass die Herzratenreaktion im Vergleich zu

systolischem und diastolischem Blutdruck noch die größte zeitliche Stabilität zeigt

(Durchschnittliche Retest-Korrelation: .55). Dabei zeigten sich auf kognitive und

behaviorale Stressoren stabilere Reaktionen als auf physische Stressoren (z. B.

Kältereiz). Ferner scheinen Herzratenreaktionen auf sprachfreie Stimuli zeitlich

Page 30: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

30 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

stabiler zu sein als auf sprachgebundene. Da die Herzratenreaktion aber ein

Komposit aus sympathischen und parasympathischen Anteilen darstellt, kann nicht

automatisch auf eine zeitliche Stabilität der vagalen Reaktion geschlossen werden.

1.6 Hypothesen

Zusammenfassend lassen sich die bisherigen Ausführungen zu folgenden

Hypothesen verdichten:

Hypothese I:

Das Konzept der Handlungsbereitschaft (Frijda, 1986) betont die

Funktionalität von Emotionen in der aktiven Auseinandersetzung mit der Umwelt.

Eine Voraussetzung für ein erfolgreiches Handeln stellt die schnelle und adaptive

Aktivierung des körperlich-physiologischen Systems (Lang, 1988) dar, die nur durch

verminderte vagale Aktivität erreicht werden kann (Berne & Levy, 2001). Eine

Veränderung der vagalen Beeinflussung des Herzens kann dabei nicht-invasiv und

valide durch das Time-Domain-Maß r-MSSD abgebildet werden (Kleiger et al., 1991).

Eine emotionale Induktion sollte also mit einer verkürzten durchschnittlichen

Herzperiode (MIBI, Hypothese Ia) und einer verminderten Herzperiodenvariablität

(r-MSSD, Hypothese Ib) einhergehen.

Hypothese II:

Die Reaktion des körperlich-physiologischen Systems sollte dabei nicht

gleichartig für alle Personen ausfallen, sondern es sollten sich interindividuelle

Unterschiede zeigen. Gerade das Ausmaß der vagalen Reaktivität scheint dabei von

Bedeutung zu sein und könnte ein Indikator für die Fähigkeit zur

Emotionsregulation sein (Thayer & Lane, 2000). Diese Rolle kann man dem

Konstrukt allerdings nur zuschreiben, wenn sich eine gewisse zeitliche Stabilität und

transsituative Konsistenz der vagalen Reaktivität zeigt.

Page 31: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 31

Eine emotionale Induktion sollte also mit einer verkürzten Herzperiode

(Hypothese Ia) und verminderter Herzperiodenvariablität (Hypothese Ib)

einhergehen. Bei einer wiederholten emotionalen Induktion sollte sich dabei eine

gewisse zeitliche Stabilität der Auswirkung auf die Herzperiodenvariablität

beobachten lassen (Hypothese II), z. B. in Form einer hohen Retest-Korrelation.

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32 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

2. Methode

2.1 Versuchspersonen

Dreiundsechzig Versuchspersonen wurden durch Aushänge und das

Versenden einer e-Mail an der Universität Trier rekrutiert. Als Intention wurde „die

Verarbeitung visueller Reize im Gehirn“ angegeben und es wurde eine

Aufwandsentschädigung von 200 DM für die vollständige Teilnahme in Aussicht

gestellt. Eine Versuchsperson musste aufgrund ihres ungewöhnlich submissiven

Verhaltens gegenüber dem Versuchsleiter aus der Stichprobe ausgeschlossen

werden.

Unter den verbleibenden 62 Versuchspersonen befanden sich 31 Männer

(durchschnittliches Alter: 25 Jahre; SD = 3.2; Spannweite: 21 – 36 Jahre) und 31

Frauen (durchschnittliches Alter: 23 Jahre; SD = 3.4; Spannweite: 19 – 34 Jahre). Die

Stichprobe bestand ausschließlich aus Rechtshändern, wobei die Händigkeit mit

Hilfe des Edinburgh Inventory (Oldfield, 1971) kontrolliert wurde.

2.2 Versuchsablauf

Die für diese Arbeit relevanten Daten wurden im Rahmen einer

umfangreicheren Untersuchung erhoben. Hier werden nur die Abläufe

wiedergegeben, die im Rahmen der formulierten Fragestellung bedeutsam sind. Eine

ausführlichere Darstellung findet sich bei Hagemann (1999). Zu Beginn der ersten

Messgelegenheit wurde den Probanden eine schriftliche Einverständniserklärung

vorgelegt. Gleichzeitig wurde jede Versuchsperson über ihr Recht informiert, die

Untersuchung jederzeit ohne Angabe von Gründen abbrechen zu dürfen. Die

Datenerhebung erfolgte an vier Messgelegenheiten mit je einem Monat Abstand. Zu

Beginn jeder Messgelegenheit wurden die Personen in eine schalldichte und

elektrisch isolierte Kabine geführt, wo sie auf einem bequemen Stuhl Platz nahmen.

Dann wurden die Elektroden für die physiologischen Messungen angebracht. In der

Page 33: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 33

ersten Phase wurde ein Ruhe-EEG aufgezeichnet und eine Erfassung der

emotionalen Grundstimmung durchgeführt. In der zweiten Phase wurde schließlich

die affektive Reaktivität auf Filme und Bilder erfasst. Am Ende jedes Films gaben die

Versuchspersonen emotionale Ratings ab. Das letzte Rating startete dann

automatisch den anschließenden Film. Im folgenden werden nur die relevanten

Operationalisierungen dargestellt.

2.3 Stimulusmaterial

Insgesamt wurden 8 kurze Ausschnitte aus kommerziellen Spielfilmen zur

Induktion verschiedener Emotionen ausgewählt. Die Filme sind identisch mit dem

Stimulusmaterial von Tomarken, Davidson und Henriques (1990), wobei der

interessierte Leser eine Beschreibung der Filme im Anhang dieser Arbeit oder bei

Hagemann, Naumann, Maier et al. (1999) findet. Zwei der Filme wurden so

ausgewählt, dass Personen im Anschluss an den Film über intensive positive

Emotionen berichten. Die anderen sechs Filme wurden so gewählt, dass sie möglichst

spezifisch und intensiv eine der Emotionen Ärger, Ekel bzw. Trauer induzieren,

wobei jeweils zwei Filme auf eine Emotion abzielten. Alle Filme wurden in Farbe

und ohne Ton präsentiert, und haben sich bei der Induktion von Emotionen bewährt.

Hagemann et al. (1999) berichten, dass nahezu alle Filme die jeweils intendierte

diskrete Zielemotion auslösen konnten und dass die durch negative Filme

ausgelösten Emotionen besser unterscheidbar waren als die durch positive Filme

ausgelösten Emotionen (die durch positive Filme induzierte Zielemotion wird im

folgenden als Freude, engl. happiness, bezeichnet). Zusätzlich wurde ein Film gezeigt,

der eine Zugfahrt aus Sicht des Zugführers zeigt. Dieser emotional neutrale Film

wurde bei jeder Messgelegenheit als erster Film präsentiert, während die Reihenfolge

der anschließenden Filme eingeschränkt randomisiert wurde. Dabei wurde

ausgeschlossen, dass zwei Filme der gleichen Zielemotion direkt aufeinander folgen.

Der neutrale Film zu Beginn sollte den Versuchspersonen Gelegenheit geben, sich

mit der experimentellen Situation vertraut zu machen. Gleichzeitig konnte der

Page 34: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

34 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

neutrale Film so als Referenz bei der Bewertung der sich anschließenden

emotionalen Filme verwendet werden. Die Darbietung der Filme erfolgte mit einem

VHS Videorecorder (JVC HR-J248) über einen PC (CPU: Pentium - 100MHz; RAM: 16

MB; Festplatte: 1 GB; Graphikkarte: S3; TV-Karte: Grand TV-Capture; Betriebsystem:

Windows 3.11) auf einem Computerbildschirm (Eizo Flex Scan T662-T, TCO II, 20

Zoll).

2.4 Erhobene Ratingdaten

Im Anschluss an jeden Film gaben die Versuchsperson mittels einer

Computertastatur emotionale Ratings ab. Dabei wurden analog zum Vorgehen von

Wheeler, Davidson und Tomarken (1993) und Tomarken et al. (1990) die aktuelle

Ausprägung von vier positiven (Interesse, Glück, Freude und Vergnügen) und vier

negativen (Trauer, Angst, Ärger und Ekel) Emotionen auf einer 10-stufigen Skala

erfasst. Die Skalen reichten von 0 (überhaupt nicht) bis 9 (sehr stark). Darüber hinaus

bewerteten die Versuchspersonen Valenz und Arousal, wobei dies ebenfalls auf einer

10-stufigen Skala erfolgte. Im Falle der Valenz reichte diese von „insgesamt war das

Gefühl unangenehm/0“ bis „insgesamt war das Gefühl angenehm/9“, im Falle des

Arousals von „insgesamt war die Intensität des Gefühls gering/0“ bis „insgesamt war

die Intensität des Gefühls heftig/9“.

Hagemann (1999) berichtet eine zufriedenstellende interne Konsistenz der mit

diesen Skalen erfassten affektiven Reaktivität auf Filme. Die einzelnen

Emotionsskalen erwiesen sich als ausreichend konsistent, um ihrerseits zu

hochreliablen Skalen für positive bzw. negative affektive Reaktivität aggregiert zu

werden.

2.5 Erfassung des EKG

Vor dem Aufkleben der Elektrode wurde das Hautareal mit Alkohol gereinigt

und vorsichtig angerauht. Für die Aufzeichnung des Elektrokardiogramms (EKG)

wurden im Anschluss Ag/AgCl–Elektroden (8 mm Durchmesser) am linken und

Page 35: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 35

rechten Unterarm angebracht. Dies entspricht einer Extremitäten Ableitung Typ I

nach Einthoven. Das EKG wurde mit einer Frequenz von 500 Hz und einem low-

pass-Filter von 100 Hz aufgezeichnet. Die physiologischen Signale wurden verstärkt

und gefiltert auf zwei 32-Kanal-Verstärkern (Synamps, Model 5083, Neuroscan, Inc.)

bei einer Eingangsimpedanz von 10 MΩ. Die Datenaufzeichnung erfolgte auf einem

PC (CPU: Pentium 166 MHz; RAM: 32 MB; Festplatte: 4 GB; Betriebsystem: DOS

6.22) mit Hilfe des Programms Scan 3.0 (Modul: Aquire; Neuroscan, Inc.). Für spätere

Analysen wurden alle Daten auf magnetooptischer Diskette und CD-ROM doppelt

gesichert. Vor Beginn der Datenerhebung wurden die Verstärker mit einem Sinus-

Signal kalibriert (1 mV, 10 Hz).

2.6 Datenverarbeitung und Analyse

Für die Verarbeitung der EKG-Daten wurde das Programm Brain Vision

Analyser V. 1.03 der Firma Brain Products GmbH verwendet. Zunächst wurde die

Polarität der EKG-Daten umgekehrt, so dass positive Werte nun oberhalb der

Abszisse lagen. Dadurch stellten die R-Zacken die Maxima in der Datenreihe dar.

Die Daten wurden nun in neun filmspezifische Segmente zerlegt. Auf diese

Segmente wurde ein Makro zur Detektion der R-Zacken angewendet. Die R-Zacken

werden dabei durch einen Vergleich der aktuellen Steigung mit der

durchschnittlichen Steigung der Messstrecke identifiziert. Im Anschluss wurden die

gesetzten Marker visuell überprüft und gegebenenfalls von Hand korrigiert. Falls

sich hierbei eine R-Zacke nicht mehr eindeutig identifizieren ließ, wurde sie für bis

zu zwei fehlende R-Zacken linear interpoliert. Anschließend wurden die Positionen

der R-Zacken in Form einer Text-Datei exportiert.

Aus den Positionen der R-Zacken wurde deren Abstand in Millisekunden

errechnet, so dass sich eine IBI-Zeitreihe ergab. Aus dieser Zeitreihe wurden

schließlich die Maße MIBI (Mean of IBI, d. h. das durchschnittliche Inter-Beat-

Intervall) und r-MSSD für jeden Film errechnet.

Page 36: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

36 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Die filmspezifischen r-MSSD-Variablen zeigten bei einer ersten visuellen

Inspektion der Daten stark linksschiefe Verteilungen, wodurch viele statistische

Verfahren nicht anwendbar gewesen wären. Aus diesem Grund wurde eine leicht

modifizierte Form der Berechnung gewählt, nämlich der Logarithmus naturalis des

Mittelwertes der quadrierten sukzessiven Differenzen (l-MSSD). Die so errechneten

Variablen zeigten sich grafisch annähernd normalverteilt.

Für die kardiovaskulären Variablen (MIBI und l-MSSD) wurden

Reaktionsmaße gebildet. Ein populäres Verfahren ist dabei die Errechnung eines raw

change scores, indem der Baseline-Wert von dem Wert der experimentellen

Bedingung subtrahiert wird. Da solche raw change scores nach wie vor den Standard

zur Messung von Veränderung darstellen (z. B. Myrtek, Foerster, & Wittmann, 1977),

wurden sie auch im Rahmen dieser Arbeit verwendet, obwohl sie in der

psychophysiologischen Forschung nicht unumstritten sind (Sherwood et al., 1990).

So wurden vagale Reaktionsmaße errechnet, indem r-MSSD des neutralen Films von

r-MSSD jedes emotionalen Filmes subtrahiert wurde. So ergaben sich filmspezifsche

vagale Reaktionsmaße. Analog wurden filmspezifische Maße für die

Herzratenreaktivität errechnet.

Für eine Abschätzung der zeitlichen Stabilität der Reaktionen wurden die

Differenzmaße innerhalb der Messgelegenheiten über die acht filmspezifischen

Reaktionen aggregiert. Für diese Aggregate wurde anschließend die Retest-

Korrelation bestimmt. Die statistischen Analysen wurden dabei mit dem Programm

SPSS für Windows (Version 11.0; SPSS Inc.) vorgenommen.

Page 37: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 37

3. Ergebnisse

Zunächst soll der Frage nachgegangen werden, ob die emotionalen Filme sich

in erwarteter Weise auf das Erleben der Probanden ausgewirkt haben. Danach

werden die Effekte der Filme auf die durchschnittliche Herzperiode (Hypothese Ia)

und die Herzperiodenvariabilität (Hypothese Ib) berichtet. Schließlich wird die

zeitliche Stabilität der Reaktionsmaße der Herzperiodenvariabilität analysiert

(Hypothese II).

3.1 Ratings

Es zeigte sich ein signifikanter Haupteffekt Filmart in den 4 (Messgelegenheit)

X 3 (Valenz der Filme) ANOVAs für Arousal (F(2,120) = 54.340, p = .000, ω2= .37) und

Valenz (F(2,180) = 172.79, p = .000, ω2= .65) (vgl. Abbildung 3). Wie aus der Grafik

hervorgeht, wurden die durch die negativen Filme erzeugten Gefühle deutlich

unangenehmer (Valenz) und intensiver (Arousal) bewertet als die Gefühle während

des neutralen Films. Auch in Bezug auf die positiven Filme zeigten sich die

erwarteten Ergebnisse: Die während der positiven Filme erlebten Gefühle wurden

angenehmer und intensiver bewertet als die während des neutralen Films. Die

Gefühle während der negativen Filme waren dabei intensiver (d. h. sie gingen mit

höherem Arousal einher) als die Gefühle während der positiven Filme.

Page 38: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

38 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Der Haupteffekt Messgelegenheit wurde sowohl für Arousal (F(3,180) = 5.07, p

= .002, ω2= .05) als auch Valenz (F(3,180) = 3.17, p = .026, ω2= .03) signifikant (siehe

Abbildung 4). Im Falle des Arousals zeigte sich eine Habituation über die

Messgelegenheiten, d. h. die durch die Filme erzeugten Gefühle nahmen in ihrer

Intensität bei wiederholter Präsentation ab. Für die Valenz hingegen zeigte sich eine

Sensitivierung, d. h. die Gefühle während der Filme wurden zunehmend als

unangenehmer bewertet.

negativpositivneutral

Mitt

elw

ert A

rous

al-R

atin

g +-

2 S

E

6,0

5,5

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

2,5

negativpositivneutral

Mitt

elw

ert V

alen

z-R

atin

gs +

- 2 S

E

7

6

5

4

3

2

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Arousal-Ratings für den neutralen Film, die zwei positiven Filme und die sechs negativen Filme, jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Skala reicht von 0 „geringe Intensität“ bis 9 „heftige Intensität des Gefühls“. N = 61

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Valenz-Ratings für den neutralen Film, die zwei positiven Filme und die sechs negativen Filme, jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Skala reicht von 0 „unangenehm“ bis 9 „angenehmes Gefühl“. N = 61

Abbildung 3: Valenzspezifische Mittelwerte der Arousal- und Valenz-Ratings

Page 39: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 39

Messgelegenheit

4321

Mitt

elw

ert A

rous

al-R

atin

g +-

2 S

E

5,8

5,6

5,4

5,2

5,0

4,8

4,6

4,4

Messgelegenheit

4321

Mitt

elw

ert V

alen

z-R

atin

gs +

- 2 S

E

4,4

4,2

4,0

3,8

3,6

3,4

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Arousal-Ratings für die vier Messgelegenheiten, jeweils aggregiert über alle neun Filme. N = 61

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der Valenz-Ratings für die vier Messgelegenheiten, jeweils aggregiert über alle neun Filme. N = 61

Abbildung 4: Messgelegenheitsspezifische Mittelwerte der Arousal- und Valenz-Ratings

Die Wechselwirkung Messgelegenheit X Filmart wurde für die Variable

Arousal nicht signifikant (F(6,360) = 0.36, p = .902, ω2= .00). Im Falle der Valenz gab es

eine signifikante Wechselwirkung (F(6,360) = 3.03, p = 0.007, ω2 = .02). Es handelte

sich jedoch um einen kleinen Effekt, der im wesentlichen auf den konstanten Verlauf

der Mittelwerte der negativen Filme zurückzuführen war, während der erwähnte

Haupteffekt Messgelegenheit in erster Linie durch die nachlassende Valenz der

neutralen und positiven Filme verursacht wurde (siehe Abbildung 5).

Page 40: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

40 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

WW Filmart X MZP

Messgelegenheit

43 2 1 Mitt

elw

ert A

rous

al-R

atin

g 6,0

5,5

5,0

4,5

4,0

3,5

3,0

Filmart

Neutral

Positiv

Negativ

Anmerkung: Mittelwerte der Arousal-Ratings für die vier Messgelegenheiten jeweils für den neutralen Film, für das Aggregat der 2 positiven und das Aggregat der 6 negativen Filme.

Anmerkung: Mittelwerte der Valenz-Ratings für die vier Messgelegenheiten, jeweils für den neutralen Film für das Aggregat der 2 positiven und das Aggregat der 6 negativen Filme.

Abbildung 5: WW Filmart X MZP für Valenz- und Arousal-Ratings

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die subjektiven Auswirkungen der

Filme den Erwartungen entsprochen haben. Es zeigten sich große und über die

Messgelegenheiten replizierbare Effekte der emotionalen Induktion. Die Habituation

(Arousal) bzw. Sensitivierung (Valenz) beeinträchtigten kaum die Effektgröße im

zeitlichen Verlauf.

3.2 Veränderungen der Herzperiode

Die Auswirkungen der Filme auf die durchschnittliche Herzperiode zeigten

sich nicht in der erwarteten Weise (siehe Abbildung 6). Der signifikante Haupteffekt

Film (F(8,424) = 6.33, p = .000, ω2 = .08) scheint ausschließlich auf den Film „The

Killing Fields“ zu beruhen (Filmbeschreibung im Anhang). Wenn die Varianzanalyse

ohne diesen Film gerechnet wurde, gab es auch keinen signifikanten Haupteffekt

Film mehr (F(7,371) = 1.162, p = .324, ω2= .00). Im Vergleich zum neutralen Film

zeigten die anderen emotionalen Filme jedoch keine signifikante Abnahme der

WW Filmart X MZP

Messgelegenheit

4 3 21

Mitt

elw

ert V

alen

z-R

atin

g

7

6

5

4

3

2

Filmart

Neutral

Positiv

Negativ

Page 41: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 41

Herzperiode, was den Hypothesen widerspricht. Als ein spezifischerer Test wurde

ein Helmert-Kontrast (neutraler Film vs. 8 emotionale Filme) für MIBI gerechnet.

Auch dieser Kontrast verfehlte jedoch das Signifikanzniveau (F(1,53) = 0.886, p = .351,

ω2= .00).

Filme

NS2S1H2H1D2D1A2A1

Mitt

elw

ert M

IBI +

- 2 S

E

870

860

850

840

830

820

810

800

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler MIBI für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train), jeweils aggregiert über vier Messgelegenheiten. Filmbeschreibungen im Anhang.

Abbildung 6: Filmspezifische Mittelwerte MIBI

Im zeitlichen Verlauf zeigte MIBI eine abnehmende Tendenz, was einem

Anstieg der Herzrate bei wiederholter Präsentation der Filme entspricht. Der

Haupteffekt Messgelegenheit war jedoch nicht signifikant (F(3,159) = 1.625, p = .186,

ω2= .01). Ebenso zeigte sich keine signifikante Wechselwirkung Messgelegenheit X

Film (F(24,1272) = 1.237, p = .198, ω2= .00).

Die Hypothese, dass Emotionen mit einem Anstieg der Herzrate einhergehen,

muss somit verworfen werden (Hypothese Ia).

Page 42: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

42 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

3.3 Veränderungen der vagalen Aktivität

Um zu klären, ob die Filme unterschiedliche Effekte auf die vagale Aktivität

ausüben, wurde eine 9 (Film) X 4 (Messgelegenheit) Varianzanalyse mit

Messwiederholung auf beiden Faktoren gerechnet. Der Haupteffekt Film wurde

jedoch unerwarteterweise nicht signifikant (F(8,424) = 0.972; p = .458; ω2= .00). Für

einen angenommenen mittleren Populationseffekt (Φ2 = .15) und einem α–Fehler-

Niveau von .05 hat dieser Test eine Teststärke von .99 (berechnet mit Hilfe von

GPOWER, Erdfelder, Faul, & Buchner, 1996), d. h. man kann davon ausgehen, dass

es mit 99%iger Wahrscheinlichkeit in der Population keinen Effekt größer als Φ2 = .15

gibt. Der geringere Unterschied der Mittelwerte bei gleichzeitig großen

Standardfehlern (siehe Abbildung 7) legt nahe, dass hier auch keine

valenzspezifischen Effekte zu erwarten sind. So zeigte sich in einer 3 (Valenz) X 4

(Messgelegenheit) Varianzanalyse mit Messwiederholung auf beiden Faktoren kein

signifikanter Haupteffekt Valenz (F(2,114) = 1.685, p = .19, ω2= .01). Neben diesen

Omnibus-Tests wurde zusätzlich noch ein Helmert-Kontrast des neutralen Films

gegen alle emotionalen Filme gerechnet, um zu klären, ob sich in diesem spezifischen

Vergleich ein Einfluss der emotionalen Induktion auf die vagale Aktivität zeigt.

Auch dieser Kontrast verfehlte das Signifikanzniveau (F(1,53) = 2.287, p = .136). Die

emotionale Induktion führte also nicht zu einer Veränderung der vagalen Aktivität.

Page 43: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 43

Film

NS2S1H2H1D2D1A2A1

Mitt

elw

ert l

-MS

SD

+- 2

SE

7,8

7,6

7,4

7,2

7,0

6,8

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler l-MSSD für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train), jeweils aggregiert über 4 Messgelegenheiten. Filmbeschreibungen im Anhang.

Abbildung 7: Filmspezifische Mittelwerte l-MSSD

In der Tendenz ließ sich eine Abnahme der vagalen Aktivität über die

Messgelegenheiten beobachten, der entsprechende Haupteffekt wurde jedoch nicht

signifikant (F(3,159) = .713, p = .546, ω2= .00). Auch hier kann man aufgrund der

hohen Teststärke (1.00) davon ausgehen, dass es mit fast 100%iger

Wahrscheinlichkeit keinen Effekt größer als Φ2 = .15 in der Population gibt. Die

Wechselwirkung Messgelegenheit X Film hingegen wurde signifikant (F(24,1272) =

1.721, p = .017, ω2= 0,01), es handelte sich jedoch um einen recht kleinen Effekt, der

inhaltlich schwer zu fassen ist (siehe Abbildung 8). Auffallend ist, dass die Tendenz

zur Abnahme für den neutralen Film am ausgeprägtesten ist. Dies wird auch

deutlich, wenn man die einfachen Haupteffekte Messgelegenheit für jeden Film

betrachtet. Die Abnahme der vagalen Aktivität über die Messgelegenheiten ist noch

am ausgeprägtesten für den neutralen Film, ohne dass man jedoch von bedeutsamen

Page 44: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

44 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Effekten sprechen könnte. Die Gleichheit der Mittelwerte der vagalen Aktivität

wurde über die Messgelegenheiten repliziert.

Anmerkung: Mittelwerte l-MSSD für die Filme zur Induktion von Ärger (A1=Witness, A2=Gandhi), Ekel (D1=Godfather, D2=Maria), Freude (H1=Officer, H2=Pond) und Trauer (S1=Officer, S2=Field) und den neutralen Film (Train) pro Messgelegenheit. Filmbeschreibungen im Anhang.

Abbildung 8: WW Film X Messgelegenheit für l-MSSD

Die Hypothese, dass emotionale Filme zu einem Abnahme der

Herzperiodenvariabilität führen, muss somit verworfen werden (Hypothese Ib).

Wenn die emotionalen Filme sich also hinsichtlich der vagalen Aktivität nicht von

den neutralen Filmen unterscheiden, ist die Frage nach der Höhe des

Zusammenhangs interessant. Eine Antwort kann hier eine Faktorenanalyse der

Daten liefern.

Zunächst wurde je eine Hauptkomponentenanalyse für jede Messgelegenheit

durchgeführt, wobei jeweils die neun filmspezifischen l-MSSD-Maße als Variablen

dienten. Die extrahierten Faktoren wurden einer VariMax-Rotation unterzogen, um

WW Film x MZP

Messgelegenheit

4321 Mitt

elw

ert l

-MS

SD

7,5 7,4 7,3 7,2 7,1 7,0 6,9

FILM

a1

a2

d1

d2

h1

h2

s1

s2

n

Page 45: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 45

die Interpretation der gefundenen Lösungen zu erleichtern. Berücksichtigt wurden

Faktoren mit einem Eigenwert > 1.

Für jede Messgelegenheit fand sich so eine 1-Faktor-Lösung. Der Scree-Plot

zeigte in allen Fällen einen varianzstarken ersten Faktor an, für alle weiteren

Faktoren fiel der Eigenwert auf unter 1 (siehe Tabelle 11 im Anhang B:

Faktorenanalyse l-MSSD). Cronbachs α als Indikator der Reliabilität lag dabei für

jede Messgelegenheit > .97. Innerhalb einer Messgelegenheit war die Interkorrelation

also derart hoch, das eine Aggregation über alle Filme – z. B. zur Berechnung von

Retest-Korrelationen – gerechtfertigt schien.

Anschließend wurde über alle Filme einer Messgelegenheit aggregiert. Diese

Aggregate wiesen Retest-Korrelationen von r = .63 bis r = .73 auf (vgl. Tabelle 2).

Tabelle 2: Retest-Korrelationen der l-MSSD-Aggregate

MZP1 MZP2 MZP3 MZP4 MZP1 MZP2 .643** MZP#3 .728** .655** MZP#4 .712** .646** .721**

Anmerkung: Innerhalb jeder Messgelegenheit wurde über 9 Filme aggregiert: *=p<.05,**=p<.01. N = 61 / 62

Das Maß für vagale Aktivität differenziert also nicht zwischen den

emotionalen Filmen und dem neutralen Film und alle neun Filme sind für jede

Messgelegenheit sehr hoch miteinander korreliert. Angesichts dieser Datenlage

scheint es daher fraglich, ob es noch sinnvoll ist, in diesem Falle ein Differenzmaß

zur Abbildung der vagalen Komponente der emotionalen Reaktion zu bilden.

Wenn zwei Maße in Höhe ihrer Reliabilität miteinander korrelieren, ist es

nach der klassischen Testtheorie wahrscheinlich, dass sie den gleichen wahren Wert

(englisch: True-Score) abbilden. Nach der Subtraktion des neutralen Films von einem

emotionalen Film besteht somit die Möglichkeit, dass das so gebildete Reaktionsmaß

Page 46: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

46 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

in erster Linie Fehlervarianz bindet. Es lassen sich jedoch auch hypothetische

Szenarien konstruieren (z. B. unterschiedliche Skalierung von Minuend und

Subtrahend), die trotz hoher Interkorrelation ein sinnvolles Differenzmaß

ermöglichen. Aus diesem Grund wurde wie beabsichtigt ein vagales Reaktionsmaß

errechnet und seine zeitliche Stabilität analysiert.

3.4 Die vagale Komponente der emotionalen Reaktion

Für die Differenzmaße zeigte sich in einer 4 (Messgelegenheit) X 8

(filmspezifische Reaktion) Varianzanalyse mit Messwiederholung auf beiden

Faktoren kein signifikanter Haupteffekt Film (F(7,371) = 0.637, p = .458, ω2= .00). Auch

für diesen Test war die Teststärke so hoch (.99), dass ein Effekt mittlerer Größe (Φ2 ≥

.15) mit 99%iger Wahrscheinlichkeit für die Population ausgeschlossen werden kann.

Es zeigte sich jedoch ein signifikanter Haupteffekt der Messgelegenheit

(F(3,159) = 3.302, p = .022, ω2= .03), wobei die Mittelwerte einem umgekehrten U-

Verlauf folgten, dessen Maximum bei Messgelegenheit drei lag (siehe Abbildung 9).

Die emotionale Reaktion bestand also zunächst in einer Abnahme der vagalen

Aktivität. Diese Abnahme reduzierte sich über die Messgelegenheiten1.

1 Der Nullpunkt ist in diesem Fall nicht als Scheidepunkt von „Abnahme vs. Zunahme der

vagalen Aktivität“ zu sehen, da die Variablen vor der Subtraktion logarithmiert wurden.

Page 47: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 47

Messgelegenheit

4321

Mitt

elw

ert R

eakt

ions

maß

l-M

SS

D +

- 2 S

E

,5

,4

,3

,2

,1

-,0

-,1

-,2

-,3

Anmerkung: Mittelwerte +- 2 Standardfehler der l-MSSD Reaktionsmaße für jede Messgelegenheit, jeweils aggregiert über 8 filmspezifische Reaktionen. N = 58

Abbildung 9: Messgelegenheitsspezifische Mittelwerte der l-MSSD Reaktionsmaße

Es findet sich keine signifikante Wechselwirkung Film X Messgelegenheit

(F(21,1113) = 1.472, p = .078, ω2= .01).

Die 8 filmspezifischen Reaktionsmaße wurden für jede Messgelegenheit einer

Hauptkomponentenanalyse unterzogen. Für die ersten beiden Messgelegenheiten

ergaben sich dabei 2-Faktorenlösungen, die 73% bzw. 67% der Varianz aufklärten

(vgl. Tabelle 12 im Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße l-MSSD). Auch

nach einer VariMax-Rotation ließen sich diese Faktoren jedoch nicht inhaltlich

interpretieren. Für die letzten beiden Messgelegenheiten hingegen resultierten 1-

Faktorlösungen, was für eine hohe Interkorrelation der Reaktionsmaße spricht. Nach

der klassischen Testtheorie sind die Fehler zweier Tests unkorreliert, womit die oben

formulierte Hypothese, die Reaktionsmaße würden in erste Linie Fehlervarianz

abbilden, widerlegt ist.

Page 48: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

48 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Für die vier Messgelegenheiten lag Cronbachs α zwischen .87 und .94. In

Verbindung mit den faktorenanalytischen Befunden legt dies nahe, dass die

filmspezifischen Reaktionsmaße innerhalb einer Messgelegenheit recht hoch

interkorreliert sind, am ausgeprägtesten für Messgelegenheit drei und vier. Für eine

erste Abschätzung der zeitlichen Stabilität der vagalen Reaktion schien eine

Korrelationsanalyse der über die Filme aggregierten Reaktionsmaße gerechtfertigt zu

sein. Für diese Aggregate ergaben sich Retest-Korrelationen im Bereich von r = - .1

bis r = .31 (vgl. Tabelle 3).

Tabelle 3: Retest-Korrelationen der vagalen Reaktion

MZP1 MZP2 MZP3 MZP4 MZP1 MZP2 -.107 MZP3 .161 .303* MZP4 .156 .014 .167

Anmerkung: Pro Messgelegenheit wurde über 8 filmspezifische Reaktionen aggregiert. *=p < .05

Diese niedrigen Retest-Korrelationen könnten in Bezug auf den

interessierenden Trait Vagale Reaktivität folgendes bedeuten:

1. Es gibt keinen bedeutsamen Trait-Anteil in der Varianz der

Reaktionsmaße, sondern größtenteils Fehlervarianz.

2. Es gibt keinen bedeutsamen Trait-Anteil, sondern größtenteils

messgelegenheitsspezifische Varianz.

Ad) 1: Für dieses Szenario sprechen die nicht signifikanten Unterschiede

zwischen den emotionalen Filmen und dem neutralen Film (vgl. Abbildung 7), also

den Minuenden und dem Subtrahend. Gleichzeitig sind die Minuenden und der

Subtrahend innerhalb jeder Messgelegenheit hoch interkorreliert (Anhang B:

Faktorenanalyse l-MSSD). Nach der bereits beschriebenen Logik könnte es sein, dass

den emotionalen Filmen und dem neutralen Film derselbe True-Score zugrunde

Page 49: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 49

liegt, so dass ein Differenzmaß zwischen beiden hauptsächlich Fehlervarianz

abbildet.

Cohen & Cohen (1983) haben diese Reliabilitätsproblematik von

Differenzmaßen in folgender Formel ausgedrückt:

Gleichung 1: Reliabilität von Differenzmaßen nach Cohen (1983)

Je mehr sich die Korrelation (zwischen emotionalem Film und neutralem Film)

der Reliabilität der Einzelmaße annähert, desto stärker nähert sich die Reliabilität der

Differenzvariable 0 an. Wie in der Faktorenanalyse der Ausgangsmaße deutlich

wurde, sind l-MSSD der emotionalen Filme und des neutralen Filmes hoch

interkorreliert, so dass diese Konstellation eine mögliche Erklärung für die niedrigen

Retest-Korrelationen sein könnte.

Ad) 2: Die Lösungen der Faktorenanalyse der Reaktionsmaße lieferten zwei

(Messgelegenheit 1 + 2) bzw. einen Faktor (Messgelegenheit 3 + 4) als Lösung (vgl.

Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße l-MSSD), was auf einen

beträchtlichen Anteil systematischer Varianz hindeutet. Bei einem hauptsächlich aus

Messfehler bestehendem Maß wären Lösungen mit vielen Faktoren zu erwarten, die

jeweils recht wenig Varianz aufklären. In Verbindung mit den niedrigen Retest-

Korrelationen (vgl. Tabelle 3) liegt der Schluss nahe, dass die Reaktionsmaße

hauptsächlich messgelegenheitsspezifische Varianz abbilden.

Mit den bisher verwendeten Methoden kann nicht entschieden werden,

welches dieser beiden Szenarien auf die Daten zutrifft. Erst die Latent-State-Trait

AAr Reliabilität Maß A

BBr Reliabilität Maß B

ABr Korrelation AB

( )[ ]AB

ABBBAABABA r

rrrr−

−+=−− 12/

))((

Page 50: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

50 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Theorie (Steyer et al., 1999) ermöglicht es, Fehler - , messgelegenheitsspezifische und

Trait-Varianz zu quantifizieren.

3.5 Latent-State-Trait-Analyse der Reaktionsmaße.

Die Latent-State-Trait Theorie stellt eine Weiterentwicklung der klassischen

Testtheorie dar (Steyer et al., 1999). Wenn eine Variable an mindestens zwei

Messgelegenheiten mit mindestens zwei Indikatoren erfasst wurde, kann die Varianz

dieser manifesten (beobachteten) Variable zunächst in einen Messfehler und eine

latente Variable zerlegt werden, die man gemäß der klassischen Testtheorie als

wahren Wert der Person bezeichnet. Dieser wahre Wert kann weiter zerlegt werden

in eine über alle Messgelegenheiten stabile latente Einflussvariable (den Trait) und

messgelegenheitsspezifische latente Einflussvariablen (die State-Residuen), welche

situative Einflüsse und Wechselwirkungen zwischen Person und Situation

beinhalten. Darüber hinaus kann eine latente Variable errechnet werden, welche auf

der Verschiedenheit der zwei oder mehr Indikatoren für die zu messende Variable

beruht. Diese Variable wird als Methodenfaktor bezeichnet. Jedem der genannten

Einflüsse wird zusätzlich noch ein Pfadkoeffizient zugewiesen, welcher die Stärke

des Einflusses beschreibt.

Für die Anwendung muss zunächst eine Kovarianzmatrix der als Indikatoren

verwendeten manifesten Variablen erstellt werden. Nun wird aus theoretischen

Überlegungen ein möglichst sparsames Modell spezifiziert, dass die Varianz der

manifesten Variablen in ihre latenten Einflussvariablen zerlegt. Die latenten

Variablen werden dabei mit iterativen Schätzalgorithmen bestimmt, z. B. mit der

Methode der generalisierten kleinsten Quadrate (englisch: Generalized Least Squares

GLS). Aus den geschätzten Parametern wird eine Kovarianzmatrix reproduziert, die

der Ausgangsmatrix mehr oder weniger ähnelt. Der Algorithmus verändert die

Parameter dabei solange, bis eine minimale Diskrepanz zwischen empirischer und

geschätzter Kovarianzmatrix erreicht ist. Der GLS-Algorithmus macht dabei zwar

Page 51: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 51

eine Reihe von Annahmen (multivariate Normalverteiltheit der manifesten

Variablen, keine fehlenden Werte), hat aber den Vorteil, geringere Anforderungen an

die Stichprobengröße zu stellen.

3.5.1 Beschreibung der Modelle

Als Indikatoren wurden in allen gerechneten Modellen die beiden

filmspezifischen Reaktionsmaße (r-MSSDEmotionaler Film – rMSSDNeutraler Film) jeder

Zielemotion verwendet, die zu jeder Messgelegenheit erhoben wurden. So ergaben

sich für jede Emotion lineare Strukturgleichungsmodelle mit 8 manifesten Variablen.

Es wurden insgesamt drei Klassen von Modellen auf die Daten angewandt: Latent-

State-Trait Modelle mit Methodenfaktor, Modelle mit unkorrelierten States mit

Methodenfaktor und Modelle mit unkorrelierten States ohne Methodenfaktor. Alle

Modelle gehen im Sinne der klassischen Testtheorie davon aus, dass sich eine

manifeste Variable additiv aus einem wahren Wert (latente Variable) und einem

Messfehler zusammensetzt. Sie unterscheiden sich darin, wie dieser wahre Wert

weiter zerlegt wird.

Nachdem der Schätzalgorithmus eine Lösung produziert hat, muss die Güte

des Modells beurteilt werden. Ein verbreitetes Verfahren hierfür ist ein χ2-Test der

Diskrepanz zwischen empirischer und geschätzter Kovarianzmatrix. Eine

signifikante Diskrepanz führt zu einer Ablehnung des Modells. Problematisch ist

jedoch die Stichprobenabhängigkeit und die Bevorzugung komplexer Modelle,

weshalb zusätzlich Indikatoren zur Beurteilung der Passungsgüte (englisch:

Goodness-of-Fit-Indices) herangezogen wurden.

Aus dem Nonzentralitätsparameter der χ2-Verteilung kann der Comparative-

Fit-Index (CFI) abgeleitet werden. Er kann Werte zwischen 0 und 1 annehmen und

hat den Vorteil einer geringen Stichprobenabhängigkeit, eines relativ kleinen

Standardfehlers und einer präzisen Abbildung von Modellfehlspezifikationen. Eine

CFI > .90 gilt dabei als gute Modellpassung, bei einem Wert > .80 spricht man von

Page 52: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

52 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

akzeptabler Modellpassung. Ein Nachteil des CFI ist die Bevorzugung von

komplexen Modellen, weshalb zusätzlich der Root-Mean-Square-Error-Of-

Approximation (RMSEA) zur Beurteilung herangezogen wurde. Durch eine

Relativierung an den Freiheitsgraden berücksichtigt dieses Maß die Komplexität des

Modells (RMSEA < .05: gute Modellpassung; RMSEA < .08: akzeptable

Modellpassung, RMSEA > .10: keine Modellpassung ).

Für die geschätzten Varianzen wird deren Critical Ratio betrachtet. Werte

größer 1.96 indizieren hierbei, dass die geschätzte Varianz signifikant von 0

abweicht. Modelle, bei denen eine oder mehrere Varianzen C.R. < 1.96 aufweisen,

sind überfaktorisiert und sollten durch sparsamere Modelle ersetzt werden.

Bei der Überprüfung wurde jeweils mit einem maximal restriktiven Modell

angefangen. Konnte das Modell in seiner restriktiven Form angenommen werden,

war die Überprüfung abgeschlossen. Konnte hingegen keine Passung erzielt werden,

wurden die Restriktionen systematisch aufgegeben. Für die Analysen wurde dabei

das Programm AMOS 4.01 der Firma SmallWater Corp. verwendet.

Im folgenden werden die drei gerechneten Modellklassen kurz beschrieben.

3.5.2 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor.

In einem Latent-State-Trait Modell wird davon ausgegangen, dass sich die

manifeste Variable additiv aus einem wahren Wert und einem Messfehler

zusammensetzt. Dabei wird die Varianz des wahren Wertes zerlegt in einen

messgelegenheitsspezifischen Anteil (State-Residuum), einen Trait-Anteil und einen

methodenspezifischen Anteil (siehe Abbildung 10). Dabei genügt es, wenn die

Anzahl der Methodenfaktoren der Anzahl der Indikatoren – 1 entspricht (Eid, 2000).

Da in diesem Fall die jeweilige Zielemotion durch zwei filmspezifische

Reaktionsmaße indiziert wurde, genügte also ein Methodenfaktor. Die jeweilige

Stärke des Einflusses eines Konstrukts auf seine Indikatorvariablen wird dabei über

Pfadkoeffizienten spezifiziert, die in liberalen Modellen auch errechnet werden

Page 53: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 53

können. Man spricht in dem Fall von einem Modell τ-kongenerischer Variablen

(Jöreskog & Soerbom, 1979), die aber inhaltlich schwer zu interpretieren sind.

Deshalb wurden im Rahmen dieser Auswertung nur Modelle essentiell τ-

äquivalenter Variablen berücksichtigt und alle Pfadkoeffizienten auf 1 fixiert.

Die Varianzerlegung erlaubt die Berechnung verschiedener Parameter. Die

Reliabilität gibt hierbei den Anteil an der Varianz der manifesten Variable an, der auf

die Varianz des wahren Wertes zurückzuführen ist. Die State-Spezifität spiegelt den

Anteil an der Varianz der manifesten Variable wider, der auf die Varianz des

jeweiligen State-Residuums zurückgeht. Die Methodenspezifität gibt den Anteil an

der Varianz des wahren Wertes an, der auf die Varianz des Methodenfaktors

zurückgeht und die Traitspezifität spiegelt den Anteil an der Varianz des wahren

Wertes wider, der durch den Methodenfaktor aufgeklärt wird.

Zu Beginn der Überprüfung werden folgende Restriktionen gesetzt:

1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg

2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit

3. Gleiche Varianzen der State-Residuen

4. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1

Wenn eine Passung in der restriktiven Form nicht gelingt, werden sukzessive

die Restriktionen gelöst, beginnend bei Punkt 1. Wenn auch nach Freigabe der

Varianzen der State-Residuen (Punkt 3) keine Passung erreicht werden kann, ist die

Überprüfung beendet.

Page 54: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

54 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

State 1

Y12e12

Y11e11

State 2

Y22e22

Y21e21

State 3

Y32e32

Y31e31

State 4

Y42e42

Y41e41

Methode Trait

Residuum 1

Residuum 3

Residuum 4

Residuum 2

Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State), der wiederum weiter zerlegt werden kann in einen messgelegenheitsspezifischen Einfluss (Residuum) und einen latenten Trait. Darüber hinaus kann der Methodeneinfluss bestimmt werden. Methoden- und Traitfaktor sind unkorreliert.

Abbildung 10: Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor.

3.5.3 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor

Auch bei diesem Modell wird die manifeste Variable in einen wahren Wert

und einen Messfehler zerlegt. Der wahre Wert wird danach jedoch nicht weiter

zerlegt, sondern es wird von unkorrelierten messgelegenheitsspezifischen wahren

Werten ausgegangen (unkorrelierte States). Darüber hinaus beeinflusst ein

Methodenfaktor den varianzstärkeren Indikator, wobei der Methodenfaktor nicht

Page 55: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 55

mit den States korreliert. Nach der Varianzzerlegung lassen sich die Reliabilitäten

der manifesten Variablen und die Methodenspezifität errechnen.

Zu Beginn der Überprüfung werden folgende Restriktionen gesetzt:

1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg

2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit

3. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1

Gelingt mit diesem maximal restriktivem Modell keine Passung, werden

sukzessive die Restriktionen gelöst, beginnend bei Punkt 1. Gelingt auch nach der

Freigabe der Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit keine Passung (Punkt

2), ist die Überprüfung beendet.

Page 56: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

56 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

State 1

Y12e12

Y11e11

State 2

Y22e22

Y21e21

State 3

Y32e32

Y31e31

State 4

Y42e42

Y41e41

Methode

Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State). Darüber hinaus kann der Methodeneinfluss bestimmt werden. Methodenfaktor und States sind unkorreliert, ebenso die States untereinander.

Abbildung 11: Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor.

2.5.4 Modell mit unkorrelierten States

Bei diesem einfachen Modell wird die Varianz der manifesten Variable in

einen Messfehler und einen wahren Wert (State) zerlegt. Die States sind dabei

untereinander nicht korreliert. Anschließend kann die Reliabilität der manifesten

Variablen geschätzt werden.

Page 57: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 57

Bei diesem Modell werden zu Beginn der Überprüfung folgende Restriktionen

gesetzt:

1. Gleiche Fehlervarianzen über die Messgelegenheiten hinweg

2. Gleiche Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit

3. Alle Pfadkoeffizienten fixiert auf 1

Kann dieses maximal restriktive Modell nicht angenommen werden, werden

sukzessive die Restriktionen gelöst. Kann das Modell nicht angenommen werden,

nachdem die Fehlervarianzen innerhalb jeder Messgelegenheit freigegeben sind

(Punkt 2), ist die Überprüfung beendet.

Page 58: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

58 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

State 1

Y12e12

Y11e11

State 2

Y22e22

Y21e21

State 3

Y32e32

Y31e31

State 4

Y42e42

Y41e41

Anmerkung: Die manifesten Variablen sind mit Y bezeichnet, wobei die erste Zahl für die Messgelegenheit und die zweite Zahl für den Indikator steht. Die manifesten Variablen können zerlegt werden in einen Messfehler e und einen wahren Wert (State). Die States korrelieren nicht untereinander.

Abbildung 12: Modell mit unkorrelierten States.

3.5.5 Ergebnisse der LST-Analyse

Für jede emotionsspezifische vagale Reaktion wurden die beschriebenen drei

Modelle überprüft. Zunächst sollen hier die Ergebnisse der Latent-State-Trait

Modelle mit Methodenfaktor berichtet werden.

Page 59: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 59

3.5.5.1 Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor

Für alle vier Emotionen konnte das maximal restriktive Latent-State-Trait

Modell mit Methodenfaktor nicht akzeptiert werden (Ärger: χ2(df = 32) = 55.55, p =

.006; Ekel: χ2(df = 32) = 74.32 p = .000; Freude χ2(df = 32) = 73.04, p = .000; Trauer χ2(df

= 32) = 52.69, p = .012). Für Ekel und Freude ergaben sich ungültige Lösungen mit

negativen Varianzschätzungen. Für diese beiden Emotionen konnten auch bei

maximaler Liberalisierung keine akzeptablen Lösungen gefunden werden.

Für Ärger fand sich nach Freigabe der Fehlervarianzen und der Varianzen der

State-Residuen eine akzeptable Lösung (χ2(df = 22) = 33.00, p = .063), wobei das

Modell allerdings nur eine marginal akzeptable Passung aufwies (CFI = .81, RMSEA

= .097). Für die vagale Komponente der Trauerreaktion fand sich nach Freigabe der

Messfehler zwischen den Messgelegenheiten eine akzeptable Lösung (χ2(df = 29) =

28.21, p = .51) mit einer guten Passungsgüte (CFI = 1.0, RMSEA = .00).

Tabelle 4: Akzeptable liberale Latent-State-Trait Modell mit Methodenfaktor

Emotion χ2-Statistik goodness-of-fit χ2 Df P CFI RMSEA Ärger 33.00 22 .063 .81 .097 Trauer 28.21 29 .51 1.0 .000

Anmerkung: Für Ärger wurden folgende Restriktionen aufgehoben: Gleichheit der Fehlervarianzen innerhalb und zwischen den Messgelegenheiten, Gleichheit der Varianzen der State-Residuen. Für Trauer wurde die Gleichheit der Fehlervarianzen zwischen den Messgelegenheiten aufgehoben.

Betrachtete man die kritischen Quotienten (CR, englisch Critical Ratios) der

geschätzten Parameter (siehe auch Tabelle 5), so lagen die meisten Critical Ratios des

Trauer-Modells > 3.47, im Falle der Methoden- und der Traitvarianz erreichten sie

jedoch nicht das Signifikanzniveau. Die geschätzten Varianzen waren so klein, dass

sie nicht bedeutsam von 0 abwichen, was einen beträchtlichen Makel des Modells

darstellte. Beim akzeptierten Ärger-Modell waren noch mehr Parameter trotz des

liberaleren Modells nicht signifikant. Neben der geschätzten Trait- und

Page 60: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

60 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Methodenvarianz wichen zusätzlich einige Fehler- und State-Residuen-Varianzen

nicht bedeutsam von 0 ab.

Tabelle 5: Parameterschätzungen der akzeptierten liberalen Latent-State-Trait-Modelle für Ärger und Trauer

Parameter Parameter Ärger Trauer Ärger Trauer Manifeste Varianz Var (Y11) 0.319 0.327 Fehlervarianz Var (E11) 0.064 0.088 CR 1.885 3.47 Var (Y12) 0.326 0.349 Var (E12) 0.028 0.088 CR 0.883 3.47 Var (Y21) 0.428 0.644 Var (E21) 0.288 0.405 CR 3.451 5.204 Var (Y22) 0.309 0.666 Var (E22) 0.126 0.288 CR 1.957 5.204 Var (Y31) 0.363 0.503 Var (E31) 0.044 0.264 CR 0.87 4.779 Var (Y32) 0.531 0.525 Var (E32) 0.169 0.264 CR 2.559 4.779 Var (Y41) 0.577 0.455 Var (E41) 0.154 0.216 CR 2.217 4.309 Var (Y42) 0.595 0.477 Var (E42) 0.128 0.216 CR 1.821 4.309 State-Residuen-Varianz Var (SR1) 0.196 0.182 CR 3.18 4.486 Var (SR2) 0.081 0.182 CR 1.369 4.486 Var (SR3) 0.26 0.182 CR 3.237 4.486 Var (SR4) 0.365 0.182 CR 3.67 4.486 Methodenvarianz Var (M) 0.043 0.022 Traitvarianz Var (T) 0.059 0.057 CR 1.919 0.852 CR 1.8 1.723

Anmerkung: Die hier aufgeführten Parameter beziehen auf die akzeptierten liberalen Modelle für Ärger und Trauer (vgl. Tabelle 5). Aufgeführt sind die aus den latenten Variablen geschätzte manifeste Varianz (Var (Yik)) der i-ten Messgelegenheit und des k-ten Indikators; Varianz der Messfehler (Var (Eik)) der i-ten Messgelegenheit und k-ten Indikators; Varianz der State-Residuen (Var (SRi)) der i-ten Messgelegenheit; Varianz des Methodenfaktors (Var (M)); Varianz des Traits (Var (T)) und deren Critical Ratio (CR, kritischer Quotient).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ein Latent-State-Trait-Modell mit

Methodenfaktor nur für die vagalen Komponenten von Ärger und Trauer eine

Passung erbrachte. Dabei war das Ärger-Modell nur marginal akzeptabel, während

man für Trauer von einer guten Passung sprechen konnte.

Page 61: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 61

3.5.5.2 Modell mit unkorrelierten States und Methodenfaktor

Das Modell mit unkorrelierten States und einem Methodenfaktor konnte in

seiner restriktiven Form für keine der vier emotionalen Reaktionen angenommen

werden (Ärger: χ2(df = 30) = 54.10, p = .004; Ekel: χ2(df = 30) = 49.85 p = .013; Freude

χ2(df = 30) = 59.055, p = .001; Trauer χ2(df = 30) = 50.580, p = .011). Bei der Bestimmung

der Modelle für Ekel und Freude wurden für einige latente Variablen negative

Varianzen geschätzt, so dass eine Lösung in jedem Fall nicht anwendbar gewesen

wäre.

Selbst bei maximaler Liberalisierung (d. h. Freigabe der Fehlervarianzen)

konnte für Ärger, Ekel und Freude keine Passung erreicht werden. Wurde beim

Trauer-Modell die erste Restriktion (Gleichheit der Fehlervarianzen für alle

Messgelegenheiten) aufgegeben, konnte das Modell mit einer akzeptablen Güte

angenommen werden (χ2(df = 27) = 30.939, p = .274, CFI = .86, RMSEA = .05). Obwohl

das Modell liberaler ist als das Latent-State-Modell mit Methodenfaktor (was sich in

der geringeren Anzahl Freiheitsgrade ausdrückt), wich die geschätzte

Kovarianzmatrix stärker von der empirischen Kovarianzmatrix ab (der χ2-Wert ist

größer). Deshalb wurde auf einen inferenzstatistischen Vergleich der beiden Modelle

verzichtet und für Trauer das bereits berichtete Latent-State-Trait-Modell mit

Methodenfaktor angenommen.

Insgesamt konnte mit dem Modell der unkorrelierten States mit

Methodenfaktor keine Passung (für Ärger, Ekel und Freude) erreicht werden, bzw.

die Passung gelang weniger gut als mit konkurrierenden Modellen (Trauer).

3.5.5.3 Modell mit unkorrelierten States

In diesem sparsamen Modell wurden zur Reproduktion der

Kovarianzstruktur lediglich vier unkorrelierte States angenommen (vgl. Abbildung

12). In der maximal restriktiven Version konnte es für keine der vier Emotionen

Page 62: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

62 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

angenommen werden (Ärger: χ2(df = 31) = 57.40, p = .003; Ekel: χ2(df = 31) = 54.14 p =

.006; Freude χ2(df = 31) = 59.18, p = .002; Trauer χ2(df = 31) = 51.39, p = .012).

Im Falle des Ärger-Modells konnte auch nach maximaler Liberalisierung keine

Passung erreicht werden. Somit konnte für diese Emotion nur das Latent-State-Trait-

Modell akzeptiert werden.

Für Trauer konnte das Modell nach Freigabe der ersten Restriktion (Gleichheit

der Fehlervarianzen für jede Messgelegenheit) angenommen werden (χ2(df = 28) =

31.585, p = .292), wobei die Modellgüte befriedigend ist (CFI = .876, RMSEA = .05). Im

Vergleich zum bisher besten Modell für diese Emotion – dem Latent-State-Trait-

Modell – zeigte sich eine größere Diskrepanz trotz eines liberaleren Modells. Deshalb

konnte auch hier auf einen inferenzstatistischen Vergleich der Modelle verzichtet

und das Latent-State-Trait-Modell als bestes Modell für Trauer angenommen

werden.

Mit dem Modell der unkorrelierten States gelang nach Freigabe der ersten

Restriktion zum ersten Mal eine Passung für Ekel (χ2(df = 28) = 30.10, p = .358) und

Freude (χ2(df = 28) = 29.25, p = .40) mit einer erfreulichen Modellgüte (Ekel: CFI = .93,

RMSEA = .04; Freude: CFI = .97, RMSEA = .03).

Tabelle 6: Akzeptable liberale Modelle mit unkorrelierten States

Emotion χ2-Statistik goodness-of-fit χ2 Df P CFI RMSEA Ekel 30.10 28 .36 .93 .04 Freude 29.25 28 .40 .97 .03

Für beide Modelle wurde nur die Restriktion der Gleichheit der Fehlervarianzen über alle Messgelegenheiten aufgehoben. Das akzeptable Modell für Trauer ist hier nicht aufgeführt, da es im Vergleich zum LST-Modell mit Methodenfaktor weder sparsamer noch von einer besseren Modellgüte war (siehe Text)

Die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel und Freude wiesen dabei recht

erfreuliche Varianzschätzungen auf. Alle Critical Ratios sind ≥ 2.43, was bedeutet,

Page 63: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 63

dass alle Parameter zuverlässig geschätzt werden konnten. Von einer

Überfaktorisierung der Daten konnte in diesem Fall nicht gesprochen werden.

Tabelle 7: Parameterschätzungen der akzeptierten liberalen Modelle mit unkorrelierten States für Ekel und Freude

Parameter Parameter Ekel Freude Ekel Freude Manifeste Varianz Var (Y11) 0.162 0.275 Fehlervarianz Var (E11) 0.078 0.153 CR 3.784 4.058 Var (Y12) 0.162 0.275 Var (E12) 0.078 0.153 CR 3.784 4.058 Var (Y21) 0.376 0.498 Var (E21) 0.173 0.374 CR 4.462 4.71 Var (Y22) 0.376 0.498 Var (E22) 0.173 0.374 CR 4.462 4.71 Var (Y31) 0.752 0.479 Var (E31) 0.411 0.06 CR 4.714 3.393 Var (Y32) 0.752 0.479 Var (E32) 0.411 0.06 CR 4.714 3.393 Var (Y41) 0.615 0.926 Var (E41) 0.298 0.387 CR 4.385 4.601 Var (Y42) 0.615 0.926 Var (E42) 0.298 0.387 CR 4.385 4.601 State-Residuen-Varianz Var (S1) 0.084 0.123 CR 2.432 2.616 Var (S2) 0.203 0.124 CR 3.151 1.63 Var (S3) 0.341 0.419 CR 2.434 4.014 Var (S4) 0.317 0.539 CR 3.058 3.302

Bemerkung: Die hier aufgeführten Parameter beziehen sich auf die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel und Freude (vgl. Tabelle 6). Aufgeführt sind die aus den latenten Variablen geschätzte manifeste Varianz (Var (Yik)) der i-ten Messgelegenheit und des k-ten Indikators; Varianz der Messfehler (Var (Eik)) der i-ten Messgelegenheit und k-ten Indikators; Varianz der States (Var (Si)) der i-ten Messgelegenheit und deren Critical Ratio (CR, kritischer Quotient).

3.5.5.4 Zusammenfassung der Ergebnisse der linearen

Strukturgleichungsmodelle

Wenn man die Ergebnisse der gerechneten Modelle im Überblick betrachtet,

lässt sich zunächst einmal das Modell der unkorrelierten States mit Methodenfaktor

ausschließen. Für keine Emotion konnte hiermit die beste Passung erreicht werden.

Page 64: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

64 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Nur mit dem Latent-State-Trait-Modell gelang es, für Ärger eine Passung zu

erzielen. Ein CFI von .81 und ein RMSEA von .097 sprechen jedoch nur für eine

geringe Modellgüte. Gleichzeitig weichen einige der geschätzten Varianzen nicht

signifikant von 0 ab (C.R. < 1.96), was für eine Überfaktorisierung der Daten spricht.

Für Trauer wurde mit diesem Modell die beste Passung erreicht, wobei allerdings

auch hier einige geschätzte Varianzen nicht signifikant von 0 abweichen.

Das Modell der unkorrelierten States ist schließlich das Modell der Wahl für

Ekel und Freude. In diesen Fällen kann man von akzeptabler bis guter Modellgüte

sprechen (vgl. Tabelle 5 und Tabelle 7). Die akzeptierten liberalen Modelle für Ekel

und Freude weisen recht erfreuliche Varianzschätzungen auf. Alle Critical Ratios

sind > 2.43, was bedeutet, dass alle Parameter zuverlässig geschätzt werden konnten.

Von einer Überfaktorisierung der Daten kann in diesem Fall nicht gesprochen

werden.

In der klassischen Testtheorie ist die Reliabilität als der Anteil der Varianz der

wahren Werte an der beobachteten Varianz definiert. Für die besten akzeptierten

Modelle wurden aus den geschätzten Werten die Reliabilitäten der Reaktionsmaße

errechnet. Die akzeptierten Latent-State-Trait-Modelle für Ärger und Trauer

erlauben darüber hinaus noch die Berechnung zusätzlicher Parameter, nämlich der

State-Spezifität, der Trait-Spezifität und der Methoden-Spezifität. Hierzu werden die

entsprechenden Parameter (Var (M), Var (T) und Var (SRi)) an der entsprechenden

geschätzten manifesten Varianz (Var (Yik)) relativiert. Die Reliabilität ergibt sich aus

der Differenz der manifesten Varianz und der Fehlervarianz (Var (Eik)) relativiert an

der manifesten Varianz.

Gemittelt über Messgelegenheiten ergaben sich so Reliabilitäten, die für alle

Emotionen über .50 lagen (Rel (Ärger) = .71, Rel (Trauer) = .53, Rel (Ekel) = .51, Rel

(Freude) = .54; vgl. Tabelle 8 und Tabelle 9). Damit wird klar, dass die Reaktionsmaße

für die vier Emotionen nicht ausschließlich Fehlervarianz, sondern auch mindestens

Page 65: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 65

50% True-Score-Varianz binden. Darüber hinaus zeigte sich im Mittel eine hohe

State-Spezifität (Ärger: .51; Trauer: .39) und eine niedrige Trait – (Ärger: .15; Trauer:

.12) und Methodenspezifität (Ärger: .11; Trauer: .05). Für die anderen beiden

Emotionen Ekel und Freude war die Annahme eines latenten Traits sogar nicht mit

den Daten vereinbar, sondern es kann von unkorrelierten States ausgegangen

werden. Die Varianz der wahren Werte lässt sich in erster Linie auf

messgelegenheitsspezifische Einflüsse zurückführen.

Tabelle 8: Reliabilität, Situationsspezifität, Traitspezifität und Methodenspezifität der akzeptierten liberalen LST-Modelle für Ärger und Trauer

Reliabilität

)()(

ik

ik

YVarEVar

Situations-Spezifität

)()(

ik

k

YVarSRVar

Trait-Spezifiät

)()(

ikYVarTVar

Methoden-Spezifität

)()(

ikYVarMVar

a1#1 .80 .61 .18 .13 a2#1 .91 .60 .18 .13 a1#2 .33 .19 .14 .10 a2#2 .59 .26 .19 .14 a1#3 .88 .72 .16 .12 a2#3 .68 .49 .11 .08 a1#4 .73 .63 .10 .07 a2#4 .78 .61 .10 .07 s1#1 .73 .56 .17 .07 s2#1 .75 .52 .16 .06 s1#2 .37 .28 .09 .03 s2#2 .39 .27 .09 .03 s1#3 .48 .36 .11 .04 s2#3 .50 .35 .11 .04 s1#4 .53 .40 .13 .05 s2#4 .55 .38 .12 .05

Anmerkung: Verwendet wurden die geschätzten Varianzen der in Tabelle 4 beschriebenen Modelle. Die ersten beiden Ziffern stehen für Zielemotion und Indikator, die letzte Zahl bezeichnet die Messgelegenheit.

Tabelle 9: Reliabilität der akzeptierten liberalen Modelle mit unkorrelierten States für Ekel und Freude

Reliabilität

)()(

ik

ik

YVarEVar

d1#1 .52 d2#1 .52 d1#2 .54 d2#2 .54 d1#3 .45 d2#3 .45 d1#4 .52 d2#4 .52 h1#1 .44 h2#1 .44 h1#2 .25 h2#2 .25 h1#3 .87 h2#3 .87 h1#4 .58 h2#4 .58

Anmerkung: Verwendet wurden die geschätzten Varianzen der in Tabelle 6 beschriebenen Modelle. Die ersten beiden Ziffern stehen für Zielemotion und Indikator, die letzte Zahl bezeichnet die Messgelegenheit.

Page 66: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

66 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

4. Diskussion

Die vorgelegte Arbeit verfolgte das Ziel, die zeitliche Stabilität der vagalen

Reaktivität zu analysieren. 62 Probanden wurden acht emotionale Filme und ein

neutraler Film an vier Messgelegenheiten präsentiert. Aus dem während der

Präsentation aufgezeichneten EKG wurden Time-Domain-Maße der

Herzperiodenvariabilität errechnet, die als recht spezifischer Indikator für die vagale

Beeinflussung des Herzens gelten.

In der Varianzanalyse zeigte sich kein Haupteffekt der emotionalen Induktion

auf die vagale Aktivität. Gleichzeitig wiesen die Differenzmaße sehr niedrige Retest-

Korrelationen auf. Bei der gleichzeitigen hohen Interkorrelation der

Herzperiodenvariabilität der emotionalen Filme und des neutralen Films wurde

vermutet, dass ein Differenzmaß zu unreliabel ist, um einen eventuell vorhandenen

Trait der vagalen Reaktivität zu erfassen. Entgegen dieser Annahme lieferten

Faktorenanalysen der Reaktionsmaße ein erstes Indiz dafür, dass sehr wohl ein

beträchtlicher Anteil systematischer Varianz enthalten ist. Die LST-Analysen

bestätigten diese Annahme, da die Reliabilität der akzeptierten Modelle durchgängig

über .50 lag. Dabei ließen sich Modelle mit unkorrelierten States bzw. einer hohen

State-Spezifität mit den Daten vereinbaren.

Die vorliegenden Ergebnisse legen den Schluss nahe, dass die zeitliche

Stabilität der Auswirkung emotionaler Filme auf die Herzperiodenvariabilität gering

ist. Für zwei der vier Emotionen (Ekel, Freude) lässt sich die Annahme eines Traits

der vagalen Reaktivität nicht mit den Daten vereinbaren. Stattdessen gelingt eine

gute Reproduktion der Kovarianzstruktur, wenn von unkorrelierten States

ausgegangen wird.

Page 67: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 67

Für die beiden anderen Emotionen (Ärger, Trauer) ist die Annahme eines

Traits notwendig. Aus einer Reihe von Gründen wird dies aber nicht als Indiz für

emotionsspezifische Unterschiede der vagalen Reaktion gesehen. Die geschätzten

Varianzen für den Trait-Faktor weichen weder für Ärger noch für Trauer signifikant

von 0 ab, was für eine Überfaktorisierung spricht. Im Vergleich zur hohen State-

Spezifität bindet der Trait nur sehr wenig Varianz. Schließlich ergab eine post-hoc-

Analyse, dass die Daten zweier Probanden aus der LST-Analyse ausgeschlossen

werden müssten, da sie durch extreme Ausreißerwerte die

Normalverteilungsannahme der manifesten Variablen verletzen (Exzess > 11).

Rechnet man die Modelle ohne diese beiden Probanden, liefern liberale State-

Modelle die beste Passung für Ärger und Trauer.

In erster Linie scheinen also messgelegenheitsspezifische Einflüsse (z. B.

Stimmung, vergangene Zeit seit der letzten Mahlzeit, Müdigkeit) die vagale Reaktion

zu bestimmen. Der Einfluss zeitlich stabiler und transsituativ konsistenter

Dispositionen scheint hingegen gering zu sein. Somit erscheint es fraglich, ob ein

Konstrukt wie „vagale Flexibilität“ die zentrale Rolle spielen kann, die ihm z. B. von

Thayer (2000) zugeschrieben wird.

Davidson hingegen vernachlässigt in seinem theoretischen Ansatz die

autonome und speziell die vagale Komponente nach den vorliegenden Daten zurecht

(Davidson, 1992, 1993). Interindividuelle Unterschiede der vagalen Flexibilität sind

messgelegenheitsspezifisch und spielen im Rahmen einer emotionalen

Verhaltensdisposition sensu Affektiver Stil keine Rolle.

Die geringen Auswirkungen der emotionalen Induktion auf die vagale

Aktivität stellen sicherlich ein Problem dar. Obwohl – wie im Laufe des Ergebnisteils

aufgezeigt – die Differenz kein reines Fehlermaß ist, ist die Operationalisierung der

Emotionen suboptimal. Eine experimentelle Induktion von Emotionen kann im

Labor nicht so intensiv gelingen wie in realen Situationen, da die Versuchspersonen

Page 68: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

68 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

nicht persönlich involviert sind. Mit Ausnahme von Ekel werden alle Emotionen als

„Stellvertreter-Emotionen“ realisiert, dass heißt die Emotion wird erlebt, indem der

Proband mit dem Protagonisten mitfühlt. Einschränkend muss jedoch gesagt

werden, dass die Filme auf subjektiver Ebene sehr wohl zu einem intensiven

emotionalen Erleben führen (siehe auch Hagemann, 1999).

Warum sind die Auswirkungen der emotionalen Filme gerade auf die

autonome Aktivität so gering? Dafür lassen sich zwei mögliche Erklärungen

anführen. Zum einen könnte es an der geringen situativen Handlungsanforderung

liegen. Die Probanden waren fest verkabelt in einem Stuhl platziert und so in ihrer

Bewegungsfreiheit erheblich eingeschränkt. Es bestand also für den Organismus kein

Anlass, mit einer ausgeprägten autonomen Handlungsbereitschaft auf die

Stimulation zu reagieren. Dem widersprechen jedoch die Ergebnisse der

Metaanalyse von Swain & Suls (1996). Die Autoren fanden besonders große und

zeitlich stabile Effekte auf die Herzrate, wenn sprachfreie und psychologische

Stressoren, wie in der vorliegenden Untersuchung, verwendet werden. Eine weitere

mögliche Erklärung – gerade in Verbindung mit den subjektiven Daten – ist die oft

berichtete geringe Kohärenz der Reaktionssysteme (Lang, 1988). Es ist nicht davon

auszugehen, dass das kognitiv-verbale und das körperlich-physiologische System

gleichsinnig auf die emotionale Induktion reagieren, sondern ein intensives

subjektives Erleben kann mit unveränderter autonomer Aktivität einhergehen.

Aufschlüsse können hier nur weitere Untersuchungen geben, in denen es gelingt,

Emotionen intensiv und alltagsnah zu induzieren.

Eine interessante Auffälligkeit ergab sich bei der Analyse der

durchschnittlichen Herzperiode (MIBI). Nur einer der Filme (Killing Fields,

Beschreibung im Anhang) führte zu einer Reduzierung der durchschnittlichen

Herzperiode, d. h. einem Anstieg der Herzrate. Eine Besonderheit dieses Filmes ist,

dass er eine Großaufnahme eines emotionalen Gesichtsausdrucks zeigt und diese

Page 69: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 69

Einstellung lange hält. Eventuell gibt es eine besonders enge Verbindung zwischen

der Dekodierung emotionaler Mimik und autonomer Aktivierung.

Es könnte sein, dass der neutrale Film im Laufe der Messgelegenheiten

emotionale Qualitäten bekommen hat. Dieser Film wurde immer zu Beginn gezeigt,

während die Reihenfolge der anschließenden Filme eingeschränkt randomisiert

wurde. Dies geschah mit der Intention, den Probanden einen neutralen Rating-

Referenzpunkt für die anschließenden emotionalen Filme zu liefern. Ab der zweiten

Messgelegenheit könnte dieser Film jedoch auch als konditionierter Stimulus für die

anschließenden und teilweise sehr unangenehmen Filme dienen. In der

varianzanalytischen Auswertung fand sich kein Haupteffekt Messgelegenheit (vgl.

3.2) für MIBI, jedoch ein Trend zur Sensitivierung. Betrachtet man die einfachen

Haupteffekte Messgelegenheit für MIBI, wird zunächst deutlich, dass sich für alle

neun Filme eine Tendenz zur Verkürzung der durchschnittlichen Herzperiode zeigt.

Die entsprechenden Effektgrößen sind aber sehr klein (ω2 <.01). Lediglich die beiden

Filme zur Induktion von Ekel und der neutrale Film werden von einer stärkeren

Sensitivierung begleitet (ω2 = .03).

Eine potentielle Fehlerquelle stellt die Verwendung von Time-Domain-Maßen

zur Bestimmung der vagalen Aktivität in differentiellen Fragestellungen dar. Der

enge korrelative Zusammenhang zwischen r-MSSD und der HF-Power der

Herzratenvariabilität wurde bisher nur für identische Messstrecken berichtet (Kleiger

et al., 1991). Es könnte sein, dass eine Profilkorrelation über verschiedene

Messstrecken (z. B. r-MSSD der ersten Messgelegenheit mit HF-Power der zweiten

Messgelegenheit) beträchtlich niedrigere Zusammenhänge ergeben würde, so dass r-

MSSD kein zulässiges Substitut darstellt.

Die Verwendung von Differenzen zur Berechnung von Reaktionsmaßen ist

zwar gängiger Standard in der psychophysiologischen Forschung, jedoch nicht

unumstritten. Wilders Gesetz des Ausgangswertes (englisch: Law of Initial Value )

Page 70: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

70 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

besagt: „The higher the initial value, the smaller the response to function raising, the

larger the response to function depressing stimuli“ (Wilder, 1967). Es besteht

mittlerweile eine recht breite Übereinstimmung, dass eine

Ausgangswertabhängigkeit vorliegt, wenn eine signifikante negative Korrelation

zwischen dem Differenzwert und dem Baselinewert vorliegt (Jin, 1992). Im

vorliegenden Datensatz ist dies der Fall (r = -.40), so dass die Verwendung eines um

die Ausgangswertabhängigkeit korrigierten Reaktionsmaßes eventuell geboten

scheint. Als einen möglichen Lösungsversuch bieten Cronbach und Furby (1970) an,

den Wert der Stimulationsbedingung um den Wert der Baseline-Bedingung zu

residualisieren (englisch: residualized change score). Es sei jedoch darauf verwiesen,

dass sowohl die beschriebene korrelative Diagnose über das Vorliegen einer

Ausgangswertabhängigkeit (Jin, 1992) als auch die Verwendung von base free

measures umstritten ist (Myrtek et al., 1977).

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die zeitliche Stabilität der vagalen

Reaktion auf emotionale Filme gering ist. Messgelegenheitsspezifische Einflüsse

stellen hingegen die dominierende Einflussquelle dieser Reaktion dar. Emotionale

Filme haben dabei insgesamt eher geringe Auswirkungen auf die autonome und

speziell die vagale Aktivität.

Zukünftige Forschungsarbeiten sollten diese geringen Effekte berücksichtigen

und versuchen, Emotionen noch intensiver und alltagsnäher zu induzieren. Wenn

Emotionen nicht als „Stellvertreter-Emotionen“ realisiert werden, sondern in einer

glaubwürdigen realen Situation, zeigen sich wahrscheinlich größere Auswirkungen

auf die vagale Aktivität. Solange der Zusammenhang zwischen r-MSSD und der HF-

Power nur für identische Messstrecken bekannt ist (Stein et al., 1994), sollte dabei die

HF-Power zur Quantifizierung der RSA verwendet werden. Wenn die Analyse der

Stabilität im Zentrum des Interesses steht, sollten Längsschnittuntersuchungen mit

mindestens zwei Indikatoren angewendet werden. Nur sie ermöglichen detailliertere

Informationen über die Reliabilität, die Methoden- ,die State- und die Traitspezifität.

Page 71: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

Henning Holle 71

5. Literaturverzeichnis

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74 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Anhang A: Beschreibung der Filme

Tabelle 10: Beschreibung der Filmausschnitte

Kurzbezeichnung

(Ziel Emotion)

Dauer (sec)

Beschreibung (Name des Films, Verleihfirma, Jahr)

Train

(neutral)

30 Eine Zugreise durch einen Wald aus der Perspektive des Lokomotivführers (aus Führerstandsmitfahrten, Frankfurt/M. – Hannover (ICE), Sender Freies Berlin/SFB Werbung, 1995)

Witness

(anger1)

87 Ein jüngerer und ein älterer Mann fahren zusammen in einer Kutsche. Die Passagiere des vorausfahrenden Wagens werden von einer Gruppe ortsansässiger Teenager belästigt. Der jüngere Mann verlässt die Kutsche und tritt den Teenagern gegenüber, worauf diese anfangen ihn zu drangsalieren (aus Witness, Paramount Pictures, 1985)

Gandhi

(anger2)

129 Ein Mann verbrennt einen Pass vor einer Menschenmenge. Die Polizei verhaftet ihn. Ein anderer Mann nimmt eine Schachtel mit Pässen, geht damit zu einem Feuer und beginnt die Pässe zu verbrennen. Ein Polizist schlägt den Mann mit einem Knüppel, ohne ihn jedoch davon abhalten zu können, weitere Pässe zu verbrennen. Schließlich bricht der Mann im Staub zusammen (aus Gandhi, Columbia Pictures, 1982).

Godfather

(disgust1)

59 Ein Mann schläft in einem Bett, wacht auf und schlägt die Decke zurück. Er entdeckt den blutigen Kopf eines Pferdes und fängt an zu schreien (aus The Godfather, Paramount Pictures, 1972).

Maria

(disgust2)

58 Ein Mann schläft in einem Bett. Eine Ratte läuft durch den Raum, klettert hoch auf das Bett und läuft die Laken entlang. Dabei hinterlassen ihre Pfoten eine blutige Spur. Die Ratte krabbelt in den Mund des Mannes, der daraufhin den Rand des Bettes umfasst. Er wirft die Ratte auf den Boden und schlägt nach ihr (aus Maria’s Lovers, MGM, 1984).

Officer 111 Ein Mann in einer weißen Offiziersuniform spaziert durch eine Fabrik, trifft eine Frau und gibt ihr einen Kuss. Sie umarmen sich, er nimmt sie in seine Arme und trägt sie aus der Fabrik hinaus (aus An

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Henning Holle 75

(happiness1) Officer and a Gentleman, Paramount Pictures, 1982).

Pond

(happiness2)

32 Eine ältere Frau läuft singend und tanzend durch den Wald. Eine jüngere Frau schleicht sich heran und beobachtet sie durch das Buschwerk. Schließlich stimmt sie in den Gesang der älteren Frau ein; und beide treffen und umarmen sich (aus On Golden Pond, Universal Pictures, 1981).

Officer

(sadness1)

102 Ein Mann und eine Frau klopfen an die Tür eines Apartments und treten ein. Sie schauen sich im Zimmer um, dann betritt der Mann das Badezimmer. Dort findet er einen toten Mann, der sich in der Dusche erhängt hat. Er nimmt die Leiche herunter, wiegt ihren Kopf in seinem Schoss und weint (aus An Officer and a Gentleman, Paramount Pictures, 1982).

Fields

(sadness2)

81 Ein Mann schüttelt die Hände mit anderen Personen in einem Raum, bevor nach draußen geht. Einer der zurückgelassenen Männer fängt an zu weinen, während er ihn im Regen verschwinden sieht (aus The Killing Fields, Goldcrest, 1984).

Beschreibung nach (Hagemann et al., 1999)

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76 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Anhang B: Faktorenanalyse l-MSSD

Tabelle 11: Scree-Plots der messgelegenheitsspezifischen Lösungen

Scree Plot MZP 1

Component Number

987654321

Eige

nval

ue

10

8

6

4

2

0

Scree Plot MZP 2

Component Number

987654321

Eige

nval

ue

8

6

4

2

0

Scree Plot MZP 3

Component Number

987654321

Eige

nval

ue

8

6

4

2

0

Scree Plot MZP 4

Component Number

987654321

Eige

nval

ue

8

6

4

2

0

Anmerkung: Hauptkomponentenanalyse l-MSSD, Abbruchkriterium Eigenwerte < 1, VariMax-rotierte Lösung, listenweiser Ausschluss fehlender Werte.

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Henning Holle 77

Anhang C: Faktorenanalyse der Reaktionsmaße l-

MSSD

Tabelle 12: Scree-Plots, Ladungsmatrizen, Aufgeklärte Varianz und Plots der messgelegenheitsspezifischen Lösungen

Scree Plot MZP 1

Component Number

87654321

Eige

nval

ue

5

4

3

2

1

0

Rotierte Ladungsmatrix MZP1 Faktor

1 2 A1 ,887 ,155 A2 ,844 ,234 D1 ,415 ,731 D2 ,116 ,822 H1 ,858 ,234 H2 ,146 ,753 S1 ,778 ,423 S2 ,868 ,129

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser Normalisierung. a Rotation konvergiert nach 3 Iterationen.

Aufgeklärte Varianz MZP 1 Summe

der quadrierten

LadungenFaktor Summe % VarianzKummulierte

%1 3,799 47,492 47,4922 2,108 26,351 73,842

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse.

Component Plot in Rotated Space

Component 1

1,0,50,0-,5-1,0

Com

pone

nt 2

1,0

,5

0,0

-,5

-1,0

s2

s1

h2

h1

d2d1

a2a1

Page 78: Holle, H. (2003). Die zeitliche Stabilität der Herzperiodenvariabilität ...

78 Stabilität der Herzperiodenvariabilität

Scree Plot MZP 2

Component Number

87654321

Eige

nval

ue5

4

3

2

1

0

Rotierte Ladungsmatrix MZP2 Faktor

1 2A1 ,225 ,786A2 ,720 ,473D1 ,572 ,431D2 ,693 ,437H1 ,120 ,857H2 ,830 -3,630E-

03S1 ,760 ,262S2 ,370 ,740

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse. Rotationsmethode: Varimax mit Kaiser Normalisierung. a Rotation konvergiert nach 3 Iterationen.

Aufgeklärte Varianz Summe

der quadrierten

LadungenFaktor Summe % VarianzKummulierte

%1 2,796 34,945 34,9452 2,567 32,093 67,038

Extraktionsmethode: Hauptkomponentenanalyse.

Component Plot in Rotated Space

Component 1

1,0,50,0-,5-1,0

Com

pone

nt 2

1,0

,5

0,0

-,5

-1,0

s2

s1

h2

h1

d2d1 a2

a1

Scree Plot MZP 3

Component Number

87654321

Eige

nval

ue

7

6

5

4

3

2

1

0

Scree Plot MZP 4

Component Number

87654321

Eige

nval

ue

6

5

4

3

2

1

0

Anmerkung: Hauptkomponentenanalyse Reaktionsmaße l-MSSD, Abbruchkriterium Eigenwerte < 1, VariMax-rotierte Lösung, listenweiser Ausschluss fehlender Werte.

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Henning Holle 79

Hiermit versichere ich, dass ich diese Arbeit selbständig verfasst und keine

anderen als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel benutzt habe.

Trier, im Juli 2003


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