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Hochleistungsspofi mit Bleistift und Papier · Ob er als Stenograf ins Parlament wechselt, hält...

Date post: 12-Aug-2019
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Page 1: Hochleistungsspofi mit Bleistift und Papier · Ob er als Stenograf ins Parlament wechselt, hält sich Aaron Willems offen. Ab l=lerbst studiert er Mathe und Chemie auf Lehramt. Der-zeit

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Ihre Kunst ist es, die Kurzschrift wieder zu entschlüsseln.

Hochleistungsspofi mit Bleistift und PapierBayreuth ist der einzige Ort in Deutschland, an dem man Stenografie als Lehrberuf lernen kann

BAYREUTHVon Christ ina Knorz

Matthias Kuhn ist das menschlicheAquivalent zu einem Computerpro-gramm, das ZlP-Dateien herstellt.Der 41-Jährige gehört zu den Top-leuten in seinem Bereich. Er machteinen Job, der ihn in Vorstandssit-zungen bringt, in brisante Gerichts-verhandlungen und in Beratungenunter Politikern. Dieser Beruf heißtStenograf.

,,Das ist ein lloc:hleistungssport", sagtMat th ias Kuhn t4 l ) . Dami t me in t e r ' ,das gesprochenr. Wort in Kurzschriftaufzunehmen r-r ncl später in Langschrift- das herkömmlicht' Scl-rriftdeutsch - zuübertragen. Bayreut h ist der einzige Ortin Deutschland, arr r lem man lernenkann, Stenografic zr.r lehren. Nur l.rier'kann rnan die Bcrcchtigung zum Un,terrichten erwerben. Kuhn unterrichtetderzeit im ehentir l isen Leers'schenWaisenhaus in St. (ic.orgen zwölf an-gehende Stenografic- l ,r 'hrer und sol-che, die es ganz genau wisserr wollenmit der Kurzschrift.

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Matthias Kuhn,Stenografie-Lehrer

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reißt der Chef den Charakter desSchreibens mit eigenen Worten und sieformuliert ihn selbst. Lorange hälttrotzdem an der Kurzschrift fest. Ohnetechnische Unterstützung das gespro-chene Wort aufnehmen zu können,empfindet sie nach wie vor als Vogeilin ihrem Beruf. ,,Und als Gedächtnis-training."

Stenografen sind heute gefragt,wenn es darum geht, Gesprochenesschnell zu verstehen, in komprimiertgrForm niederzuschreiben und Ton- oderVideoaufnahmen verboten sind. In Ge-richtsverhandlungen zum Beispiel, inParlamentsdebatten und Vorstandssit-zungen. ,,Vier bis fänf Stenografen" sei-en bei wichtigen Aktionärsversamm-Iungen dabei, erzählt Kuhn, Sie hörendie Fragen der Aktionäre, stellen sie inden gesprochenen Kontext und schi-cken das ins Backoffice der Versamm-lung. ,,Dort sitzen Juristen, beantwor-ten die Fragen und schicken es via Com-puter an die Vorstände", sagt Kuhn. DerVorstand müsse dann nur noch Frageund Antwort zusammen vorlesen.,,Vorstände antworten ungern spontan,wegen möglicher Ungenauigkeiten undfolgender Relchtsstreitigkeiten." DieSpitzenleute der Branche, ungefähr 1 00

Stenografen in Deutschland, arbeitenfür Parlamente und Gerichte. ,,Da ist derTacho die ganze Zeit im roten Bereich",sagt Kuhn. Zu Gerichtsverhandlungengehe man,,immer zu zweit", damit dieChance höher sei, dass man es hinter-her richtig entziffert. Die Kunst der Ste-nografie besteht darin, nicht nurschnell, sondern richtig zu sein. Daszeigt sich erst in dem Moment, in demdie Kurzschrift in die Langform über-tragen wird. ,,Alles muss in Sekunden-bruchteilen passieren", sagt Kuhn.,,Wenn man für ,fahren' nur noch ,fa'schreibt und fiir,fach' ebenfalls, dannhat man ein Problem bei ,Fahr- oderFachschule'." Am schlimmsten seien Ei-gennamen: ,,Die dauern." Blöd für dieMitschrift von Debatten, in denen es umdie drei größten russischen Pharmafir-men geht: ,,Extrem hässlich."

Ihr Können testet die Branche beideutschen Meisterschaften. Dort wirdzehn Minuten lang ein Text vorgelesen,wobei die Sprechgeschwindigkeit vonMinute zu Minute zunimmt. Am An-fang sind es 250 Silben pro Minute, am

Ende 475 Silben. Das entspreche derachtfachen Normalschreibgeschwin-digkeit, erklärt Kuhn. ,,Jeder schreibtauf, so weit er kommt, unddann brütenwir vier Stunden lang, was wir da ge-schrieben haben." Die Jurybewertet amSchluss dieTranskrip.tion,also die Ubertra-gung in dieLangform. DiePrüfer sindstreng. Sie er-lauben auf 100Silben nur einenFehler. Kuhn ge-hört auch in die-söm Bereich zuden Topleutender Branche.Zwei Jahre in Folge holte er sich denMeistertitel. 2016 und dieses Jahrmusste er sich mit dem Vizemeister zu-friedengeben.

Boris Neubauer (53) betreibt die Ste-nografie als zeitaufwendiges Hobby.Der Physikprofessor der Uni Bayreuth

ist Vorsitzender der Forschuhgs- undAusbildungsstätte für Kurzschrift undTextverarbeitung ih Bayreuth. Er istDozent, Bibliothekar und hat Mitte der80er Jahre dort selbst den Abschlussgemacht. Vor 15 Jahren war Bayreuthschon die letzte Möglichkeit inDeutschland, die Ausbildung zum Leh-rer der Stenografib zu absolvieren. ,,Dashat uns damais schon nicht beein-druckt", sagt Neribauer. ,,Wir macheneinfach weiter und wir haben heute so-gar doppelt so viele Leute in der Steno-grafie-Ausbildung wie in der Texwer-arbeitung." In Deutschland sei die Ste-nografie mit 10 000 Mitgliedern in ört-lichen Vereinen noch vergleichsweiselebendig. ,,In Dänemark gab es Mitteder 60er Jahre die letzten ausgebilde-ten Stenografen." Bayern habe Steno-grafie sogar noch im Lehrplan, ,,aller-dings nur als Wahlfach".

Die'Lehrerausbildung fiir Stenogra-fie wurde 1934 in Kulmbach gegrün-det, erzählt Neubauer. 1936 kam dasInstitut nach Bayreuth. Damals. wurdedas Haus der Deutschen Kurzschrift am

Luitpoldplatz eingeweiht. Das Geld da-für sei damals von den Stenografiever-einen gekommen. Das Haus wurde imIkieg beschädigt, mit allem Inventarvon den Alliierten beschlagnahmt undnach dem Krieg an den Freistaat ge-schenkt. ,,Wir mussten das zurückkau-fen", sagt Neübauer. ,,Die Schreibma-schinentische, die Bibliothek, das hatsich der Freistaat bezahlen lassen." DasHaus am Luitpoldplatz sei nicht mehrzu bekommen gewesen, also war dieAusbildungsstätte an der Regelschuleuntergebracht. In den 80er Jahren zogman schließlich ins ehemalige Waisen-haus neben das Gefängnis in St. Geor-8en.

Alle vier Jahre bilden Neubauer undKollegen einen neuen Jahrgang Steno-grafie-Lehrer aus. Ein Jahr lang Fern-unterricht mit drei Präsenzseminaren,gefolgt von einer Woche zur Prüfungs-vorbereitung in Bayreuth mit anschlie-ßenden Prüfungstagen mit mündlichenund schriftlichen Tests sowie Lehrpro-ben. ,,lm ldealfall gibt es nächste Wo-che zwölf neue Stenografielehrer."

Der amtierende deutsche Vizemeister in Kurzschrift, Matthlas Kuhn (41), unterrichtet dezelt In Bayreuth angehende Stenografielehrer. Fotos: Andreas Harbach

Boris Neubauer

WAS ANGEHENDEN STENOGRAFIELEHRERN AN DER KURZSCHRIFT GEFALLTDer angehendeStenografielehrerAaron Willems(20) aus Mül-heim-Kärlich beiKoblenz hat sichdie Kurzschriftselbst beige-bracht. Vor zweiJahren in denSommerferien,als ihm langweilig war. Das Ausseheneines Stenogramms gefiel ihrn. ,, lchwar positiv geschockt", sagt der 20-Jährige. ,Das sieht einfach eigensinnigaus." In sechs Wochen brachtö er sichdie Kurzschrift bei, indem er sie inSchönschiift übertrug. Dass es beimStenografieren um Schnel I igkeit gehtund es sogar als Sport betrieben wird,wusste er damals noch nicht - es kamihm widersinnig vor bei der Schönheitder Zeichen. Mitt lennteile hat ihn derWettbewerbsgedanke gepackt, und ertritt mit seinem Verein bei den deut-schen Meisterschaften an. In der Ju-gendabteilung erreichte er bereits ei-

nen dritten Platz. Ob er als Stenografins Parlament wechselt, hält sich AaronWillems offen. Ab l=lerbst studiert erMathe und Chemie auf Lehramt. Der-zeit nutzt er die Kurzschrift als Geheim-schrift fürs Tagebuch.

Luise Lorange(54) aus Winsenan der Luhe hatStenografie da-mals bei ihrerAusbildung zurSekretärin schongelernt. ,,Stenowar Vorausset-zung." Sonst be-kam man damalskeinen Job. Auch für die Assistentin-nen-Schule, die Luise Loränge zusälz-l ich besuchte, war Steno Pflicht. DieZeiten, in denen der Chef ganze Briefediktiert, sind allerdings auch im öffent-l ichen Dienst ,, lange vorbei". ,, lch hutzeSteno als Konzeptschrift, um mitzu-schreiben, was der Chefzu sagen hat."Aus dessen kurzen Sätzen oder Worten

formuliere sie soäter Briefe und Vorla-gen. ,,Da ist es besser, wörtl ich mitzu-schreiben." Die ersten Steno-Zeichensah sie als Schülerin bei ihrer Cousine.,, lch konnte nicht lesen, was sieschrieb, und das fand ich spannend."Sie findet es ,,außerordentlich schade",dass Steno in ihrem Berufsstand ..nichtmehr zum Standard gehört". ,,Wörtl ichmitschreiben"zu können, ist eine Kunstund pflegt das Schrifttum." Auch ausarbeitsökonomischer Sicht versteht sienicht, warum Steno nicht mehr genutztwird. ,,Alles muss immer schneller ge-hen und dabei steigen die Ansprüche."Allein Steno schaffe Genauigkeit undSchnell igkeit in einem und das, ohneabhängig von Technik zu sein' ,,WirStenografen haben immer einen Zettelund einen Bleistiftrest in der Tasche. "

Jascha-Alexander Koch (30) aus Lan-gen (Hessen) fand mit 14 Jahren alteSchulhefte seiner Tante. ..Die Schriftfand ich enorm spannend und nahmdeshalb damals Steno-Unterricht." Dasmöchte er jetzt weitergeben. Koch ist

im Stenografenverein seiner Heimat-stadt aktiv und wil l dort oder in derVolkshochschule Kurse geben.,,lchmöchte dazu beitragen, dass die Kurzschrift erhalten bleibt." Berufl ich machter etwas ,,ganz anderes". Er arbeitet

als wissen-schaftl icher Mit-arbeiter an derUni in Frankfurtam Lehr5tuhl füre-Finance. , , lchbenutze Kurz-schrift, um Vor-lesungen mitzu-schreiben,Ubungen zu ma-chen und Kon-

zeote zu schreiben." Er interessieresich allgemein für Schriftformen, undSteno sei eine ,, interessante Variante,Sorache konzentriert. schnell und nichtfür jedermann lesbar festhalten zu kön-nen " .

Katl-Ernst Giese (53) kommt aus Berlinund arbeitet als Steuerberater. Für ihn

ist Steno ,,ein sehr hilfreiches Mittel zurRationalisierung meiner Berufstätig-keit". Die Kurzschrift hat er sich mit 16Jahren selbst aus Büchern beigebracht.Sie leistete ihm während der Schul- undStudienzeit ,,gute Dienste". Da er aber,,nie sicher war,ob ich das richtigmache", gönnteer s ich nun d ieAusbi ldung amBayreuther Insti-tut. ,,Was michfasziniert hat,war, dass man inkompakter Formin Seminarenund Lehrbriefendas ganze Kurzschriftsystem beige-bracht bekommt. " Mittlerwei le verfügeer über eine ,,exakte und gründlicheSystemkenntnis" samt Geschichte derKurzschrift bis 63 vor Christus. ..MeinWissensdurst wurde gesti l l t", sagt Gie-se und fügt mit einem Lächeln an: ,,Bisweit über das hinaus, was ich mir zulernen vorgestellt hatte." ck


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