Gabriele Kroboth
Harninkontinenz - ein TabuMöglichkeiten eines offenen Umgangs
Harninkontinenz - ein TabuIm Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Umgang von Pflegepersonen mitdem Thema Inkontinenz. Die Formen der Inkontinenz werden kurzdargestellt, ebernso kurz und prägnant die diagnostischen undtherapeutischen Maßnahmen. Die Entwicklung von Guidelines zumThema werden anhand des deutschen Expertenstandards „Förderung derHarnkontinenz“ erläutert. Dem Assessment der Harninkontinenz wirdein großes Kapitel gewidmet da dies ein wesentlicher Aspekt derprofessionellen pflegerischen Arbeit ist. Danach werden jenepflegerischen Phänomene beleuchtet, die sowohl den Betroffenen, alsauch den zu Pflegenden das größte Unbehagen verursachen, wenn esum Inkontinenz geht. Die Auswirkungen der Harninkontinenz auf dasLeben der Betroffenen und ihrer Angehörigen werden besprochen, dieHerausforderungen in der täglichen Lebensbewältigung finden ebensoErwähnung wie Emotionen, Scham und Ekel. Die Kommunikationzwischen Pflegepersonen und Betroffenen wird aufgezeigt, untersuchtwird die Ausbildung von Diplomierten Gesundheits- undKrankenpflegepersonen und mögliche Zukunftsperspektiven zurSpezialisierung werden vorgestellt.
Gabriele KrobothGabriele Kroboth MSc, DGKS, ET, Präsidentin desECET, österr. Delegierte zum WCET, Umsetzung vonProjekten wie der Einführung des Expertenstandards"Kontinenzförderung in der Pflege",ReferentInnationaler und internationaler Kongresse.
978-3-639-49604-8
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1
Tabuthema Harninkontinenz
Masterthesis
Erstellt im Rahmen des Universitätslehrgangs für das
gehobene Pflegemanagement
zur Erlangung des akademischen Grades
Master of Science (Pflegemanagement)
vorgelegt von
Gabriele Kroboth
an der Karl-Franzens-Universität Graz
Begutachterin: Ass.-Prof.in Mag.
a Dr.
in Helga Kittl-Satran
Graz 2011
2
Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................................... 5
2 Vorgehensweise ........................................................................................................ 7
2.1 Ziele / Frage ....................................................................................................... 7
2.2 Methodik der Arbeit ............................................................................................. 7
2.3 Begriffsdefinition ................................................................................................. 7
2.4 Aktuelle Forschungslage..................................................................................... 8
3 Formen der Harninkontinenz...................................................................................... 9
3.1 Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz) ........................................................10
3.2 Dranginkontinenz ...............................................................................................11
3.3 Die Reflexinkontinenz (neurogene Inkontinenz) .................................................12
3.4 Inkontinenz mit chronischer Harnretention (Überlaufinkontinenz) ......................12
3.5 Misch-Harninkontinenz ......................................................................................13
3.6 Extraurethrale Inkontinenz .................................................................................13
3.7 Die Funktionelle Harninkontinenz ......................................................................14
4 Guidelines und Standards zur Inkontinenz ................................................................15
4.1 Nationale Expertenstandards in Deutschland ....................................................15
4.1.1 Die Entwicklungsschritte der Expertenstandards ........................................16
4.1.2 Aufbau der Expertenstandards ...................................................................18
4.1.3 Expertenstandards sind vorweggenommene ExpertInnenngutachten .........18
4.1.4 Wer ist für die Umsetzung der Standards verantwortlich? ...........................19
4.2 Der Expertenstandard „Förderung der Harnkontinenz“ ......................................19
5 Assessment der Harninkontinenz .............................................................................19
5.1 Assessment .......................................................................................................20
5.1.1 Nicht standardisierte Assessment ...............................................................20
5.1.2 Standardisierte Assessment .......................................................................20
5.1.3 Fremd- und Selbsteinschätzung .................................................................21
5.1.4 Einzel-Item-Messung, Skalen Testbatterien ................................................22
5.1.5 Screening und Diagnoseverfahren ..............................................................22
5.2 Einschätzung einer Inkontinenz .........................................................................23
5.2.1 Identifizierung von Inkontinenz ...................................................................24
5.2.2 Die vertiefende Einschätzung .....................................................................24
5.2.3 Das Miktionsprotokoll ..................................................................................25
5.2.4 24 Stunden Vorlagentest (Pad Test) ...........................................................28
3
5.2.5 Die Restharnmessung ................................................................................29
5.2.6 Kontinenzprofile ..........................................................................................29
6 Auswirkungen der Harninkontinenz ...........................................................................32
6.1 Auswirkung auf die Lebensqualität der Betroffenen ...........................................32
6.1.1 Akzeptanz der Inkontinenz..........................................................................34
6.1.2 Soziale Auswirkungen ................................................................................35
6.1.3 Einschränkung der sozialen Kontakte und Aktivitäten .................................35
6.1.4 Partnerschaft und Sexualität .......................................................................36
6.1.5 Inkontinenz im beruflichen Alltag ................................................................37
6.1.6 Umgang mit Inkontinenzhilfsmittel ..............................................................37
6.1.7 Informationsbedarf ......................................................................................38
6.2 Pflegende Angehörige und Inkontinenz .............................................................41
6.2.1 Belastungen für Pflegende Angehörige.......................................................42
6.2.2 Akzeptanz der Inkontinenz..........................................................................42
6.3 Ökonomische Auswirkungen der Inkontinenz ....................................................43
6.3.1 Direkte Kosten ............................................................................................43
6.3.2 Indirekte Kosten ..........................................................................................45
6.3.3 Intragible Kosten .........................................................................................45
6.4 Scham und Ekel ................................................................................................46
6.4.1 Definition von Scham und Ekel ...................................................................46
6.4.2 Ekel in der Pflege .......................................................................................47
6.4.3 Umgang mit Ekel erregenden Situationen ...................................................49
6.5 Kommunikation ..................................................................................................54
6.5.1 Tabu und Kommunikation ...........................................................................54
6.5.2 Kommunikation in der Pflege ......................................................................55
7 Aufgaben von Pflegepersonen im Bereich Inkontinenz .............................................58
7.1 Ausbildung zur Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegepersonen (DGKP)58
7.1.1 Historischer Rückblick ................................................................................58
7.1.2 Theoretische Ausbildung der Gesundheits- und Krankenpflege ..................59
7.1.3 Theoretische Grundlagen und Auswirkungen auf die Praxis .......................60
7.2 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz ............................................................61
7.2.1 Eigenverantwortlicher Tätigkeitsbereich gemäß § 14 GuKG .......................62
7.2.2 Mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich gemäß § 15 GuKG ...........................62
7.2.3 Interdisziplinärer Tätigkeitsbereich gemäß § 16 GuKG ...............................62
7.3 Pflegefachliches Vorgehen ................................................................................63
7.3.1 Empirisches Wissen ...................................................................................63
4
7.3.2 Ethisches Wissen .......................................................................................63
7.3.3 Persönliches Wissen ..................................................................................64
7.3.4 Intuitives Wissen .........................................................................................64
7.4 Aufgaben von Pflegenden im Zusammenhang mit Inkontinenz ..........................65
7.5 Kontinenz- und Stomaberatung .........................................................................66
7.5.1 Die Entwicklung der Kontinenz- und Stomaberatung in Österreich .............66
7.5.2 Die Kontinenz- und StomaberaterIn als PflegeexpertIn ...............................67
7.6 Advanced Nursing Practice - ANP .....................................................................71
8 Zusammenfassung ...................................................................................................75
9 Quellenlage ..............................................................................................................77
10 Abkürzungsverzeichnis .........................................................................................86
11 Abbildungsverzeichnis ...........................................................................................87
12 Erklärung ...............................................................................................................88
13 Anhang..................................................................................................................89
5
1 Einleitung
Inkontinenz ist für Menschen, insbesondere in Industriestaaten weit häufiger ein
Problem, als allgemein angenommen wird (Doughty/Chrestodina 2006, S.1). Viele
Betroffene verschweigen die Inkontinenz oder versuchen, damit alleine umzugehen.
Nicht nur die Betroffenen oder deren Familien, sondern auch Angehörige der
Gesundheitsberufe (ÄrztInnen, PhysiotherpeutInnen, Gesundheits- und
Krankenpflegepersonen, etc.) vertreten oft die Ansicht, Inkontinenz gehört zum
natürlichen Alterungsprozess und sei einfach hinzunehmen.
Ältere Menschen sind die größte Bevölkerungsgruppe, die Hilfe medizinischer
Institutionen in Anspruch nimmt. Ihre Zahl wird in den nächsten Jahren noch zunehmen.
Die Lebenserwartung hat sich in Mitteleuropa in den letzten hundert Jahren verdoppelt,
die durchschnittliche Lebenserwartung der Frauen beträgt heute 78, die der Männer 72
Jahre. Jede fünfte EinwohnerIn ist älter als 60 Jahre und der Anteil der Hochbetagten
(über 75 Jahre) ist weiter im Steigen begriffen und damit ist auch ein Anstieg an
chronischen Erkrankungen zu erwarten, wie auch eine vermehrte Pflegebedürftigkeit
(vgl. von Rentelen-Kruse 2001 in: Braumann 2010, S.13).
Die zu erwartende Überalterung der Bevölkerung stellt uns zunehmend vor die Frage,
wie in Zukunft eine Versorgung der alten Menschen ihren Bedürfnissen und
Anforderungen entsprechend erfolgen kann. Die Ressourcen im Bereich des
Gesundheits- und Sozialbereiches werden beschränkter. Damit sind nicht nur die
PolitikerInnen, sondern alle Berufe im Gesundheitswesen vor neue Herausforderungen
gestellt.
In Zukunft wird stärker der Ruf nach Wirtschaftlichkeit und entsprechender
professioneller Versorgung laut werden.
Madersbacher untersuchte 2003 die Häufigkeit von Inkontinenz bei Frauen. Die
Ergebnisse dieser Studie sind eindrucksvoll. Jede dritte Frau über 50 Jahren leidet an
Harninkontinenz. Mit zunehmendem Lebensalter steigt auch die Häufigkeit einer
Inkontinenz:
50 - 60 Jahre: 34,9 %
60 – 70 Jahre: 36,9 %
über 70 Jahre: 36,9 %
(vgl. Madersbacher 2003, S.26 ff)
6
Die oben angeführten Zahlen stimmen mit jenen internationaler Studien überein. In einer
amerikanischen Langzeitstudie wurde erhoben, dass 20,4 % der Frauen mit 65 Jahren
eine Belastungsinkontinenz und 24% eine Dranginkontinenz entwickelten (vgl.
Doughty/Crestodina 2006, S.1). In England leiden etwa 17% der Bevölkerung über 65
Jahren und 30% der Bevölkerung über 80 Jahren an Inkontinenz (vgl. Norton 1999, S.5).
Die Prävalenzzahlen die in Pflegeheimen erhoben wurden, sind mit 72% höher als bei
Personen, die weiter in ihrer gewohnten Umgebung verbringen (vgl. Ahnis 2009, S.22).
Nach wie vor ist Inkontinenz eine der häufigsten Ursachen für den Umzug in ein
Pflegeheim, wobei es dafür keine exakten Daten gibt. Die Annahmen liegen aber bei
80%. Pflegende Angehörige sind mit der Situation zu Hause überfordert und die
Betroffenen selbst wollen nicht zur Last fallen (vgl. Braumann 2010, S.18, Thompson
2006 in: Doughty 2006, S. 172f). Inkontinenz kann aber durch gezielte Diagnostik in
vielen Fällen geheilt, in jedem Fall kann immer eine Verbesserung der vorherrschenden
Situation erreicht werden.
Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht der Umgang von Pflegepersonen mit dem Thema
Inkontinenz. Anhand einer Literaturarbeit werden die folgenden Kapitel dargestellt. Im
ersten Kapitel wird die Vorgehensweise beschrieben. Die Formen der Inkontinenz
werden in Kapitel drei kurz beschrieben. Hier sind auch kurz und prägnant die
diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen aufzählt. Das Kapitel vier widmet sich
der Entwicklung von Guidelines zum Thema und stellt dies anhand des deutschen
Expertenstandards „Förderung der Harnkontinenz“ (Deutsches Netzwerk für
Qualitätsentwicklung in der Pflege - DNQP 2007) dar. Dem Assessment der
Harninkontinenz wird in Kapitel fünf ein großer Bereich gewidmet da dies ein
wesentlicher Aspekt der professionellen pflegerischen Arbeit darstellt. Das Kapitel sechs
beleuchtet nun jene pflegerischen Phänomene, die sowohl den Betroffenen, als auch
den zu Pflegenden das größte Unbehagen verursachen, wenn es um das Thema
Inkontinenz geht. Die Auswirkungen der Harninkontinenz auf das Leben der Betroffenen
und ihrer Angehörigen werden besprochen, die Herausforderungen in der täglichen
Lebensbewältigung finden ebenso Erwähnung wie Emotionen wie Scham und Ekel. Den
Abschluss dieses Kapitels bildet die Kommunikation zwischen Pflegepersonen und
Menschen, die von Inkontinenz betroffen sind. Kapitel sieben untersucht die Ausbildung
von Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen und stellt mögliche
Zukunftsperspektiven zur Spezialisierung vor. In Kapitel acht wird versucht, die
gestellten Fragen zu beantworten.
7
2 Vorgehensweise
In diesem Kapitel wird die Fragestellung der Arbeit erörtert, die Methodik beschrieben,
die Begriffe definiert, sowie eine Übersicht über die aktuelle Forschungslage zum Thema
„Harninkontinenz“ gegeben.
2.1 Ziele / Frage
Der Fokus dieser Arbeit ist auf den Umgang von Pflegepersonen mit dem Thema
Inkontinenz gerichtet und soll anhand folgender Fragen bearbeitet werden:
Warum ignorieren Pflegefachkräfte das Thema Inkontinenz in der Praxis und
tabuisieren es dadurch für Betroffene?
Welche Wertigkeit nimmt Inkontinenz im Pflegealltag ein?
Welche Rolle und Verantwortungen haben Pflegefachkräfte bei Inkontinenz zu
übernehmen?
2.2 Methodik der Arbeit
Die Fragestellung wird im Rahmen einer Literaturarbeit zu beantworteten versucht. Dazu
wird der aktuelle wissenschaftliche Stand zum Thema Inkontinenz gefiltert. Es werden
die vorliegenden pflegewissenschaftlichen Bücher zum Thema Inkontinenz
herangezogen. Weiters wird in englischer und deutscher Sprache in verschiedenen
Datenbanken – z.B. Wise, Carelit, PubMed, etc. - nach folgenden Schlagworten Tabu,
Inkontinenz, Peinlichkeit, Lebensqualität, Grundlagenwissen Pflegefachkraft, continence
advice, Kontinenz, Kontinenzberatung, allein und in Kombination recherchiert. Das
Heranziehen von Journalen der Pflegewissenschaften (WOCN – Wound Ostomie
Continence Nursing, Pflege, etc.) soll die vorhandene Literatur ergänzen.
2.3 Begriffsdefinition
Kontinenz ist die Fähigkeit, willkürlich entscheiden und beeinflussen zu können, wann
und wo die Blase entleert werden soll. Die Wahl der geeigneten Örtlichkeit hängt dabei
8
mitunter von der jeweiligen Kultur ab. „Kontinenz beinhaltet weiterhin die Fähigkeit,
Bedürfnisse zu kommunizieren, um Hilfestelllung zu erhalten, wenn Einschränkungen
beim selbständigen Toilettengang bestehen“ (DNQP 2007, S.25).
Menschen lernen ab dem 2. Lebensjahr das Zusammenspiel von Nervenleitungen,
Muskeln, Gehirn und Blase, die zu diesem Akt erforderlich sind, zu beherrschen. Nach
einer Lernphase, die bei manchen Kindern bis zum Schulbeginn dauern kann, wird die
Ausscheidung zu einem selbstverständlichen Teil des Lebens, an den keine weiteren
Gedanken verschwenden werden müssen.
Inkontinenz bedeutet, die Entleerung der Blase nicht mehr oder nicht mehr ganz
willentlich beeinflussen zu können.
Als Harninkontinenz wird nach der Definition der „International Continence Society (ICS)
jeder unwillkürlicher Harnverlust verstanden“ (Abrams/Cardozo/Fall/Griffiths/Rosier/
Ulmsten/VanKerrenbroeck/Victor/Wein 2002, S.167).
2.4 Aktuelle Forschungslage
Inkontinenz ist eine der häufigsten Alterserkrankungen (vgl.
Hayder/Clintron/Schnell/Schnepp 2009, S.351). Nicht nur im deutschen Sprachraum,
sondern weltweit gibt es dazu aber sehr wenige Untersuchungen. Die meisten Studien
zur Inkontinenz setzen sich mit der Pathophysiologie und medizinischen
Therapiemöglichkeiten auseinander (vgl. Braumann 2010, S.13). Nur eine geringe
Anzahl von Studien beschäftigen sich mit den Auswirkungen der Inkontinenz auf
Betroffene oder untersuchen die Auswirkungen auf pflegende Angehörige. Erst seit der
Entwicklung des Expertenstandards „Kontinenzförderung in der Pflege“ (DNQP 2007)
finden sich im deutschsprachigen vermehrt Studien zum Thema Inkontinenz.
Hayder et al. (2009) greifen die Frage auf, wie ForscherInnen den ethischen Umgang
mit sensiblen, tabuisierten, (für Betroffene) peinlichen Thema bearbeiten könnten.
Sie weißen unter anderem darauf hin, dass in Studien zwar beschrieben wird, dass
Inkontinenz von Betroffenen als peinlich und tabuisiert empfunden wurde (vgl.
Thomas/More 1991; Skoner/Haylor 1993; Mittness/Barker 1995; Patterson-Robinson
2000; Shapiro/Setterlund/Cragg 2003; Wilde 2003; Komorowski/Chen 2006; Ahnis/Knoll
2008; McAlpine/Bliss/Hill 2008 in: Hayder et al. 2009, S.351), doch nur in wenigen
Studien greifen die ForscherInnen die Situation und den Umgang mit der
Schamproblematik in den Interviews selbst auf (vgl. Dowd 1991; Ashworth/Hagan, 1993;
Forbat 2004 in: ebd., S.352).
9
Forschungen, die sich explizit mit der männlichen Seite der Inkontinenzproblematik
auseinandersetzen gibt es zurzeit nur sehr wenige. Gray untersuchte 2000 gemeinsam
mit KollegInnen das Erleben von Männern und deren PartnerInnen nach einer
Prostatakrebserkrankung. Darin stellen sie fest, dass sich Männer dem Thema
Inkontinenz sehr sachlich zu nähern versuchen und sehr um Kontrolle bemüht sind
(Gray/Fitch/Philips/Labrecque/Fergus 2000 in: Hayder et al. 2009, S.357). Männer
würden in Untersuchungen zur Inkontinenz schlicht übersehen (vgl. Hayder et al. (2009)
S.357).
Der Bereich, wie professionelle Pflege mit dem Thema Inkontinenz umgeht ist ebenfalls
nur sehr schwach untersucht.
3 Formen der Harninkontinenz
Damit Inkontinenz korrekt erhoben und eingeschätzt werden kann, ist es auch für
Pflegepersonen sehr wichtig, die einzelnen Formen der Inkontinenz und deren
spezifische Symptome zu kennen (vgl. Doughty 2006, S.ix).
Die Internationale Continence Society (ICS) hat folgende Formen der Harninkontinenz
festgelegt:
Belastungsinkontinenz (engl. Stressinkontinenz)
Dranginkontinenz (eng. Urgeinkontinenz)
Reflexinkontinenz
Inkontinenz mit chronischer Harnretention
Misch-Harninkontinenz
Extraurethrale Inkontinenz
Funktionelle Inkontinenz
(Abrams et al. 2002, S.167ff; Abrams/Cardozo/Khoury/Wein 2009, S.1769)
10
3.1 Belastungsinkontinenz (Stressinkontinenz)
Inkontinenz ist ein häufiges Gesundheitsproblem und betrifft sehr oft Frauen. Studien
belegen, dass Stressinkontinenz die häufigste Form der Inkontinenz ist (vgl.
Doughty/Burns in: Doughty 2006, S. 77).
Der unfreiwillige Harnabgang bei körperlicher Betätigung wie z.B. Stiegen steigen,
Lachen, Husten, etc. wird als Stressinkontinenz bezeichnet. Durch körperliche
Anstrengung steigt der Druck im Bauchraum. Das wäre soweit kein Problem, wenn nicht
gleichzeitig eine Schwäche des Beckenbodens vorliegen würde. Ist der
Beckenbodenmuskel geschwächt, ist seine Funktion, den Spinkter beim Verschließen
der Harnröhre zu unterstützen, eingeschränkt oder ganz verloren gegangen. Man spricht
hierbei auch von Sphinkter - Insuffizienz. Diese Form der Blasenschwäche tritt bei
Frauen häufiger auf als bei Männern. Bei Männern unterstützt normalerweise die
Prostata den Verschluss der Blase. Im Rahmen eines operativen Eingriffs kann es
jedoch (zum Teil nur vorübergehend) zu einer Belastungsinkontinenz kommen. Die
Symptome der Belastungsinkontinenz sind tröpfchenweiser bis starker, unwillkürlicher
Harnverlust bei körperlicher Anstrengung ohne das Auftreten eines Harndrangs. Sie wird
in drei Schweregrade eingeteilt:
I. Grad: Harnverlust z.B. beim Husten, Niesen, Lachen
II. Grad: Harnverlust z.B. beim Heben, Treppensteigen, Aufstehen
III. Grad: Harnverlust bei Bewegung im Bett
(Abrams et al. 2009, S.1770)
Die Therapie der bereits vorhandenen Belastungsinkontinenz reicht von konservativer
Therapie wie Beckenbodentraining, Pessartherapie, Biofeedbacktraining bis zum
operativen Eingriff.
Konservative Maßnahmen wie das Beckenbodentraining sind von einer längeren Phase
der Übung begleitet, bevor sich für die Betroffenen erkennbare Verbesserungen
bemerkbar machen. Gerade das Beckenbodentraining muss mitunter bis zu 3 Monaten
unter fachlicher Anleitung erfolgen (vgl. Hay-Smith et al. 2007 in: Braumann 2010, S.20).
Präventives Training der Beckendbodenmuskulatur würde in vielen Fällen eine
Belastungsinkontinenz verhindern. Idealerweise sollte mit dem Beckenbodentraining
bereits im Schulalter begonnen werden. Es würde sich hervorragend in den
Turnunterricht in Schulen einfügen lassen. In jedem Fall sollten aber junge Frauen,
möglichst vor der ersten Schwangerschaft gezielt lernen, den Beckenboden zu
trainieren, damit sie unmittelbar nach der Geburt den sehr mitgenommen Beckenboden
rasch wieder trainieren können. Diese gezielte Prävention würde dem
11
Gesundheitswesen viel Geld und den betroffene Frauen Leid ersparen. Die gezielte
Anleitung zum Beckenbodentraining sollte zu Beginn von einer PhysiotherapeutIn,
Heberamme oder einer KontinenzberaterIn erfolgen (vgl. Abrams et al. 2009, S.1810).
3.2 Dranginkontinenz
Bei der Dranginkontinenz liegt eine sogenannte „Überaktivität der Blasenmuskulatur“
vor, wodurch die Blase nicht mehr in der Lage ist, größere Mengen von Urin zu sammeln
und über einen längeren Zeitraum zu speichern, obwohl der Verschlussmechanismus
der Harnröhre intakt ist. Der Auslöser für eine überaktive Blasenmuskulatur kann eine
neurologische Erkrankungen, z.B. Insult, Morbus Alzheimer, Morbus Parkinson oder
Multipler Sklerose sein. Umgekehrt weist eine überaktive Blase nicht zwangsläufig auf
das Vorliegen einer neurologischen Erkrankung hin, z.B. kann auch der natürliche
Alterungsprozess eine Rolle spielen. Die überaktive Blasenmuskulatur reagiert
typischerweise in unpassenden Momenten, manchmal aufgrund geringer Reize. Die
Rezeptoren, die den Füllungsgrad der Blase an das Gehirn melden, sind
überempfindlich. Bereits bei geringer Füllungsmenge kommt es zum Harndrang. Das
Gehirn veranlasst dann über willentlich nicht zu beeinflussende Signale die
Blasenentleerung und diese kann von den Betroffenen willentlich nicht mehr beeinflusst
werden. Das hervorstechendste Merkmal ist das häufige Aufsuchen der Toilette. Den
Betroffenen gelingt es anfänglich noch, den Harndrang zu unterdrücken. In ausgeprägter
Form verspüren Betroffene einen starken, nicht unterdrückbaren Harndrang der mehr
oder weniger mittelbar von einer unwillkürlichen Entleerung der Blase begleitet wird.
Auch hier spielt die konservative Therapie eine große Rolle. Zur Anwendung kommt
Verhaltenstraining welches als Toilettentraining besser bekannt ist. Die Blase wird
gezielt trainiert und zu festgelegten Zeiten entleert. Der Focus des Trainings ist, den
richtigen Zeitpunkt der Blasenentleerung zu finden – lange genug, damit der/die
Betroffene auch außer Haus gehen kann, jedoch kurz vor dem Auftreten des nicht
unterdrückbaren Harndrangs. Unterstützend wirkt eine gezielte Medikamententherapie
und in manchen Fällen ist auch eine Elektrostimulation erfolgreich.
Dranginkontinenz als Symptom einer Harnwegsinfektion
Beim Verdacht der Dranginkontinenz ist in jedem Fall auch an die Möglichkeit einer
Harnwegsinfektion, eines Blasensteins oder eines Blasentumors zu denken, da diese
12
ähnliche Symptome verursacht, wie eine Dranginkontinenz. Die Häufigkeit einer
Harnwegsinfektion steigt mit zunehmendem Alter und betrifft besonders häufig Frauen.
Die Ursache der Infektion ist oft unklar. Erklärbar könnte sie durch Restharnmengen in
der Blase sein oder durch herabgesetzte Abwehr gegenüber Infektionen. Oft ist eine
lokale Abflussbehinderung (Prostatahyperplasie, Blasenstein, -tumor) Ursache des
Harnrückstaus. Zu geringe Flüssigkeitszufuhr kann die Entstehung einer
Harnwegsinfektion begünstigen. Ein konzentrierter Urin bewirkt aber auch einen
erhöhten Harndrang. Das unbedachte Setzen eines Dauerkatheters kann ebenso eine
Infektion verursachen.
3.3 Die Reflexinkontinenz (neurogene Inkontinenz)
Liegt eine Störung der für die Blasenentleerung verantwortlich Nervenbahnen vor z.B.
Querschnittlähmung, Tumore, Multible Sklerose, Morbus Parkinson, spricht man von
einer Reflexinkontinenz. Aufgrund dieser Nervenbahnschädigung nehmen Betroffene die
volle Blase nicht wahr. Die Entleerung der Harnblase erfolgt daher nicht willentlich,
sondern als unwillkürlicher Reflex (über die Nervenbahnen von bzw. zur Harnblase). Ein
zufälliger Reiz - wie Husten oder eine Lageänderung - kann zur Blasenentleerung
führen. Oft geht die Reflexinkontinenz mit einem hohen Blasendruck einher. Ist der
Druck in der Blase über einen längeren Zeitraum sehr hoch, kann es zur Schädigung
einer oder sogar beider Nieren kommen. Durch die teilweise oder komplette
Fehlsteuerung von Harnblase und Schließmuskel kommt es zu einem Harnverlust, den
die betroffene Person nicht mehr kontrollieren kann. Die Blase entleert sich nicht
vollständig, es bleibt Restharn in der Blase zurück. Die Therapie wird konservativ mit
einem intermittierenden (Selbst-) Katheterismus eingeleitet werden. In manchen Fällen
sind Medikamente ergänzend notwendig oder/und eine Elektrostimulation.
3.4 Inkontinenz mit chronischer Harnretention (Überlaufinkontinenz)
Der häufigste Grund für das Vorliegen einer chronischen Harnretention ist eine
vergrößerte Prostata, welche die Harnröhre am Blasenausgang einengt und die
Entleerungsstörung hervorruft. Da die Prostata langsam wächst, merken die Betroffenen
kaum, dass sich ihr Ausscheidungsverhalten verändert. Sie benötigen wesentlich mehr
Zeit für die Entleerung der Blase, haben oft Startschwierigkeiten bei der Entleerung und
der Harnstrahl wird schwächer. Später müssen alle zwei bis drei Stunden kleinere
13
Harnmengen entleert werden. Manche verspüren laufend das Gefühl, die Blase sei voll,
was in vielen Fällen auch zutrifft. Wird aber auch dieses Zeichen übergangen, wird der
Blasenmuskel durch den steigenden Restharn überdehnt. Es kommt zum "Überlaufen"
der Harnblase und zum unwillkürlichen Verlust kleiner Harnmengen. Betroffene meinen
oft, sie leiden an einer „Tröpfcheninkontinenz“ besorgen sich auch entsprechende
Hilfsmittel anstatt umgehend einen Facharzt aufzusuchen, der die Prostata untersucht.
Diese Form der Harninkontinenz betrifft meist männliche Personen. In seltenen Fällen
kann die Ursache einer Abflussstörung ein Blasentumor, ein Blasenstein ein Striktur der
Harnröhre sein. Die operative Entfernung des Abflusshindernisses ist hier die Therapie
der Wahl. Nur in Fällen, wo Betroffene nicht operiert werden können, wird
vorübergehend ein Blasenverweilkatheter zur Anwendung kommen. Ein wichtiger
Aspekt der Vorbeugung ist bei Männern ab dem 50. Lebensjahr die regelmäßige
Untersuchung der Prostata durch einen Facharztes.
3.5 Misch-Harninkontinenz
Bei der Misch- Harninkontinenz liegt eine Mischform von Belastungs- und
Dranginkontinenz vor. Die exakte Differenzierung und damit die abgestimmte Therapie
kann erst durch eine gezielte Urodynamische Untersuchung festgelegt werden.
3.6 Extraurethrale Inkontinenz
Bei Vorliegen einer extraurethralen Inkontinenz verlieren Betroffene im
Erwachsenenalter Harn über Darm und/oder Vagina. Die Ursache ist in der Regel eine
Fistelbildung in Folge einer Tumorerkrankung im kleinen Becken. Bei Neugeborenen
liegt eine angeborene Fehlbildung (Blasenexstrophie) vor. „Die klassische
Blasenexstrophie beinhaltet eine komplette Fehlbildung der Harnröhre mit dorsaler
Spaltbildung mit Spaltbecken und einer offene Bauchdecke mit hervortretender, nicht
verschlossener Blase“ (Selinger/Gobet/Spirig 2010, S.163).
14
3.7 Die Funktionelle Harninkontinenz
Die funktionelle Harninkontinenz kann definiert werden als Verlust von Harn bedingt
durch Ursachen, die nicht mittelbar mit dem Urogenitaltrakt zusammen hängen. Die
Fähigkeit, den Harndrang zu beherrschen ist bei den Betroffenen intakt. Andere
Faktoren verhindern oder erschweren den Gang zur Toilette. Die Ursachen einer
Funktionellen Harninkontinenz sind:
Kognitive Einschränkungen (z.B. dementielle Erkrankungen
Eingeschränkte Mobilität
Psychogene Faktoren (z.B. Depression)
Thompson (2006) führt an, dass diese möglichen Faktoren bei der Erhebung einer
Anamnese in jedem Fall mit bedacht werden müssen. Vor allem der Bereich der
kognitiven Einschränkungen wird beleuchtet. Bei Hinweisen auf eine mögliche
demenzielle Erkrankung sollte in jedem Fall ein weiter führendes Assessment erfolgen.
Auch die Möglichkeit einer Depression sollte nicht ausgeschlossen werden. Gerade bei
älteren oder hochbetagten Menschen wird eine vorhandene Altersdepression oft gar
nicht bemerkt. Die Autorin weist aber darauf hin, dass bei Menschen mit einer
Depression eine auftretende Inkontinenz zu einer Verschlechterung der Depression
führen kann (vgl. Thompson 2006 in: Doughty 2006, S.170ff).
Umgebungsfaktoren können bei älteren Menschen ebenfalls eine funktionelle
Inkontinenz begünstigen. In stationären Einrichtungen sind die Räumlichkeiten nicht
immer den Bedürfnissen älterer Menschen angepasst. So sind nicht selten die Gänge
mit Möbel oder Pflegebehelfen angeräumt, die Beleuchtung ist oft schlecht und es sind
kaum Orientierungshilfen angebracht. Besonders in der Nacht ist in diesen Fällen das
Erreichen der Toilette schwierig. Auch der Zustand der Toiletten ist nicht immer
einladend. Sie sind oft eng und zugig, nicht selten mit Utensilien angeräumt oder es
benutzen viele Personen eine Toilette (vgl. Thompson 2006 in: Doughty 2006, S.170ff).
Auch Maßnahmen zur Vermeidung von Stürzen kann eine funktionelle Inkontinenz
begünstigen. Manche KlientInnen, die ein Sturzrisiko aufwiesen, erhielten z.B. eine
Sicherung beim Sitzen im Sessel, diese verhinderte aber, rechtzeitig die Toilette zu
erreichen. In anderen Fällen wurde eine Matratze auf den Boden gelegt um einen
möglichen Sturz abzumildern. Das verhinderte auch einen gezielten Gang zur Toilette
(vgl. ebd., S.170ff). Menschen die Hüftprotektoren tragen, leiden meist an einer
Mobilitätseinschränkung. Kommt nun noch eine Harndrangproblematik hinzu, kann dies
zu einer funktionellen Inkontinenz führen, da sich die Hüftprotektoren nicht schnell
15
genug lösen lassen (vgl. Pils/Neumann/Meisner/Schano/Vavrosky/Van der Gammen in:
Hayder/Kuno/Müller 2008, S.51).
4 Guidelines und Standards zur Inkontinenz
Dieses Kapitel wird sich mit vorhandenen Guidelines und Standards zum Thema
Harninkontinenz im Allgemeinen und im speziellen mit dem Experpertenstandard
„Förderung der Harnkontinenz in der Pflege“ (DNQP 2007) beschäftigen.
Braumann (2010) führt an, dass Leitlinien und Standards in verschiedenen
Fachbereichen und für verschiedene Berufsgruppen erstellt wurden. Verschiedene
Fachgesellschaften wie Urologen, Gynäkologen oder Geriater stellen dabei das
professionelle Handeln bei Diagnostik und Therapie der Harninkontinenz in den
Mittelpunkt. Im internationalen Vergleich existieren ebenfalls verschiedene Leitlinien
sowohl für die ärztliche als auch für die pflegerische Praxis. Im deutschen Sprachraum
wurde 2007 der Expertenstandard „Kontinenzförderung in der Pflege“ veröffentlicht (vgl.
Braumann 2010, S.21). „Insofern ist es für einen betroffenen Menschen mit
Harninkontinenz ebenfalls von Relevanz, geeignete und erfolgreich
Therapieempfehlungen zu erhalten“ (ebd., S.21).
4.1 Nationale Expertenstandards in Deutschland
Das „Deutsche Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege“ (DNQP) erarbeitet seit
1999 Expertenstandards, deren Entwicklung vom deutschen Bundesministerium für
Gesundheit finanziert werden.
Die Entwicklung von Expertenstandards erfolgt nach streng wissenschaftlichen Kriterien.
Zunächst wird eine 15 bis 20 köpfige ExpertInnengruppe eingeladen an der Entwicklung
mitzuarbeiten. Eine renommierte PflegewissenschaftlerIn die/der zum jeweiligen Thema
wissenschaftliche FachexpertIn ist, leitet die ExpertInnengruppe. Diese wird mit
Pflegepersonen aus den verschiedensten Einsatzbereichen besetzt.
PflegewissenschaftlerInnen sind neben ExpertInnen aus der Praxis ebenso wichtig wie
PflegemanagerInnen. Da die fertigen Expertenstandards im gesamten
deutschsprachigen Bereich zur Anwendung kommen sollen, ist es auch wichtig,
FachexpertInnen aus den unterschiedlichen Regionen einzuladen.
16
Wurden bei den ersten Expertenstandards die ExpertInnen noch durch die Leiterin des
DNQP eingeladen, gibt es in der Zwischenzeit offizielle Ausschreibungen zur Mitarbeit
an dem jeweils geplanten Expertenstandard, zu welchem sich FachexpertInnen
bewerben können.
Seit der Gründung des DNQP wurden folgende Expertenstandards entwickelt:
„Dekubitusprophylaxe in der Pflege“, 1999, 2005, 2011
„Entlassungsmanagement in der Pflege“, 2004
„Schmerzmanagement in der Pflege“, 2005
„Sturzprophylaxe in der Pflege“, 2006
„Kontinenzförderung in der Pflege“, 2007
„Pflege von Menschen mit chronischen Wunden“, 2009
„Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen
Ernährung in der Pflege“, 2010
4.1.1 Die Entwicklungsschritte der Expertenstandards
Schritt 1
Sämtliche wissenschaftliche Veröffentlichungen zum Thema werden recherchiert. Dazu
werden nur Datenbanken genutzt, die strengsten wissenschaftlichen Kriterien folgen
(Cinhal®, Medline®, Gerolit® und The Cochrane Library). Die Auswahl der verwendeten,
bzw. anerkannten Studien unterliegt nochmals einer sehr strengen Vorgabe. So werden
Ein- und Ausschlussfaktoren für Studien festgelegt. Entscheidend ist dabei unter
anderem, wie nachvollziehbar ist das Studiendesign, kann die gestellte
wissenschaftliche Frage auch mit der gewählten Methode beantwortet werden, versteckt
sich hinter der Studie eine Marketingstrategie einer Firma, und vieles mehr.
Somit entspricht die Auswahl der in den Expertenstandard einfließenden Studien einer
Metaanalyse und die PraktikerInnen, die später den Expertenstandard anwenden,
können sich verlassen, dass die angegebenen Aussagen evidenzbasiert sind.
Schritt 2:
Die ExpertInnengruppe entwickelt die einzelnen Standardaussagen, stimmt diese
untereinander ab, prüft Theorie und Praxis und legt sie schließlich fest.
17
Abb. 1: Expertenstandard „Kontinenzförderung in der Pflege (DNQP 2007)
18
4.1.2 Aufbau der Expertenstandards
Alle Expertenstandards sind einheitlich aufgebaut. Jeder Expertenstandard besteht aus
Struktur-, Prozess- und Ergebniseben, mit jeweils einzelnen überprüf- und messbaren
Kriterien.
Gleich ist allen Standards, dass die festgelegten Aussagen auf Struktur- und
Prozessebene eins eine fachliche Abklärung im Rahmen des pflegerischen
Assessments zum jeweiligen Thema verlangen. Dazu wird auf Ebene zwei eine
vertiefende Abklärung verlangt. Die Voraussetzung für die Identifizierung des
Pflegeproblems ist in allen Fällen deutlich formuliert: Dabei ist nicht nur, das in der
Praxis erworbene Wissen zum jeweiligen Thema gefordert, sondern Wissen und
Handlungsabläufe nach aktuellem pflegewissenschaftlichen Stand. Dies wird auch auf
Ebene drei zur Maßnahmenplanung gefordert
In allen Standards findet sich auch die Forderung (Standardebene vier oder fünf) nach
Aufklärung, Einschulung und Unterweisung der betroffenen Personen auf ihr jeweiliges
Pflegeproblem sowie die Anleitung zur Selbstpflege welcher als integraler Bestandteil
der PatientInnenschulung gesehen wird. Auf Ebene sechs oder sieben aller Standards
ist klar die Notwendigkeit der Evaluierung festgehalten.
4.1.3 Expertenstandards sind vorweggenommene ExpertInnenngutachten
Expertenstandards gelten seit ihrem Entstehen als vorweggenommenes
ExpertInnengutachten und werden bei Gerichtsverfahren als Grundlage der
Begutachtung genutzt.
Das österreichische Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) legt unter anderem
im § 4 fest, dass jede/r diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester/-pfleger
(DGKS/P) verpflichtet ist, neueste pflegewissenschaftliche Erkenntnisse (noch dazu,
wenn sie in deutscher Sprache verfügbar sind), in die Pflegearbeit mit einfließen zu
lassen (vgl. Weiss-Faßbinder, Lust 2009, S.62).
19
4.1.4 Wer ist für die Umsetzung der Standards verantwortlich?
Die Einführung eines Expertenstandards kann nur durch das Pflegemanagement
erfolgen. Somit ist das Pflegemanagement gefordert, den Bereich der Strukturebene zu
verantworten. Expertenstandards sind Teil des Qualitätsmanagements und
Qualitätsmanagement ist Führungsaufgabe.
Grundsätzlich ist lt. oben angeführten § 4 GuKG jede/r DGKS/P für die korrekte
Umsetzung eines Expertenstandards im Bereich der Prozess- und Ergebniseben, sofern
letztere nicht auch von der Strukturebene abhängig ist, verantwortlich.
4.2 Der Expertenstandard „Förderung der Harnkontinenz“
Der Expertenstandard ist eine evidenzbasierte Standardaussagen zur Identifizierung von
Inkontinenz und zur gezielten Beratung von Betroffenen: „Bei jedem
Patienten/Bewohner wird die Harnkontinenz erhalten oder gefördert. Identifizierte
Harninkontinenz wird beseitigt, weitgehend reduziert bzw. kompensiert“ (DNQP 2007,
S.27).
Hayder et al. (2008) meinen, dass die Ziele des Expertenstandards „Kontinenzförderung
in der Pflege“ (DNQP 2007) vor allem darin liegen, „ … das Verständnis und die
Perspektiven der Betroffenen zu schärfen, die Auseinandersetzung mit der Thematik zu
unterstützen und die Entwicklung sinnvoller Beratungs- und Unterstützungsangebote zu
fördern“ (ebd., S.21). Entscheidungsgrundlagen innerhalb der Kontinenzförderung
könnten in der Folge vereinheitlicht werden (vgl. ebd., S.21).
5 Assessment der Harninkontinenz
Die Identifizierung und Analyse des Problems Harninkontinenz ist ein zentrales Kriterium
und wird daher im folgenden Kapitel sehr ausführlich bearbeitet. In der Literatur wird
immer wieder darauf hingewiesen, wie schwierig es für Pflegepersonen ist, Inkontinenz
zu erkennen und darauf entsprechend zu reagieren (vgl. Schmidt 2010, S.80; Kummer
2008 in: Ahnis et.al 2008 S. 69).
Bevor auf die Erhebung einer Kontinenzanamnese näher eingegangen wird, ist es
notwendig, sich der allgemeinen Erhebung einer pflegerischen Anamnese zuzuwenden.
20
Kontinenz oder Inkontinenz können nicht oder nur ganz eingeschränkt isoliert betrachtet
werden.
5.1 Assessment
Nach Panfil (2010, S.69) können prinzipiell verschiedene Formen von
Assessmentverfahren unterschieden werden.
„Nichtstandardisierte und standardisierte Assessment
Selbst- und Fremdeinschätzung
Einzel-Item-Messung, Skalen und Testbatterien
Screening- und Diagnoseverfahren“
(Panfil 2010, S.69)
Die Wahl des jeweiligen Instruments spiegelt auch das jeweilige Ergebnis wieder.
5.1.1 Nicht standardisierte Assessment
Die allgemeine Pflegeanamnese, welche meist aus einem zugrundeliegenden
Pflegemodell abgeleitet wird, wäre ein Beispiel eines nicht standardisierten
Assessments. Die Erhebung der Pflegebedürftigkeit einer/s Betroffenen wird dabei von
jeder Pflegefachkraft anders eingeschätzt, da nicht standardisierte Assessments
inhaltlich offen sind (vgl. Panfil 2010, S.69).
5.1.2 Standardisierte Assessment
In einem standardisierten Assessment sind die Einschätzungskriterien vorgegeben.
Meist bestehen sie aus mehreren Skalen, die zueinander in Beziehung stehen und nach
der Erhebung durch ein kompliziertes Berechnungssystem ausgewertet werden.
„Standardiserte Verfahren unterscheiden sich von nichtstandardisierten Verfahren durch
eine an Regeln gebundene Zuweisung von Zahlen zu Objekten. Die Antwort
„unzureichende Nahrungszufuhr“ in einer Dekubitusrisikoskala wird beispielsweise ein
anderer Zahlenwert zugeordnet als der Antwort „ausreichende Ernährung“. Zur
Auswertung wird dann ein Gesamtwert berechnet. Mit diesen Skalen kann man über die
21
im Laufe der Versorgung erreichten Punktewerte gut den Verlauf eines Zustandes
beschreiben“ (Panfil 2010, S.71).
In Österreich ist zurzeit ein einziges standardisiertes Assessmentverfahren als
Pflegeanamnese in Anwendung, das Resident Assessment Instrument Home Care 2.0
(RAI HC 2.0), das flächendecken von den Hauskrankenpflegeorganisationen in der
Steiermark verwendet wird. Dabei werden in einem ersten Schritt 250 Items erhoben
und in einem zweiten Schritt automatisationsgestützt berechnet. Die Ergebnisse
spiegeln potentielle Risikobereiche, Gesundheitsprobleme, körperliche
Einschränkungen, etc. wieder. Diese werden nach entsprechender Analyse durch die
Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson in die Pflegeplanung übernommen
(vgl. Garms-Homolová 2002).
Panfil bezeichnet auch Skalen zur Einschätzung einzelner Pflegeprobleme z.B.
Dekubitusskalen, Schmerzskalen, etc. als standardisierte Assessmentverfahren (vgl.
Panfil 2010, S.69).
Im englischen Sprachraum finden sich einige standardisierte Einschätzungsinstrumente
zur Erhebung einer möglichen Inkontinenz (vgl. Gray/Moore in: Doughty, 2006, S.359ff):
International Prostate Symptom Score (I-PSS)
Incontinence Impact Questionnaier (IIQ)
Urogential Distress Inventory (UDI)
Es wäre wichtig, diese Instrumente nach wissenschaftlichen Verfahren in die deutsche
Sprache zu übersetzten um sie der Praxis zur Verfügung zu stellen.
5.1.3 Fremd- und Selbsteinschätzung
Bei den meisten Assessmentinstrumenten erfolgt eine Fremdeinschätzung der
betroffenen Personen durch die Pflegefachkraft. Es gibt einige Assessmentinstrumente,
die Betroffene anwenden, um ihren Zustand selbst einzuschätzen, z.B. Schmerzskalen
(vgl. Panfil 2010, S.70).
22
5.1.4 Einzel-Item-Messung, Skalen Testbatterien
Ein Beispiel für eine Einzel-Item-Messung wäre eine Schmerzskala, bei der anhand
einer Frage die Stärke des Schmerzes erfasst wird. Zur Einschätzung des
Dekubitusrisikos reicht eine Frage nicht aus, das Instrument umfasst mehrere Fragen –
diese Instrumente werden als Skalen bezeichnet. „Skalen erfassen einen bestimmten
Aspekt über verschiedene Items.
Eine Testbatterie ist das geriatrische Basisassessment. Hier werden beispielsweise u.a.
ein Test zur Einschätzung der Mobilität (Timed-Up and Go-Test), des Geisteszustandes
(Mini-Mental-Status-Test MMST und der Alltagsaktivitäten (Barthel-Index) eingesetzt“
(Panfil 2010, S.70).
5.1.5 Screening und Diagnoseverfahren
„Der Begriff Screening steht für Einschätzungsverfahren, bei denen schnell und in
großem Maßstab ein möglicher Zustand erkannt werden kann“
(Beaglehole/Bonita/Kjellström 1997 zit.n. Panfil 2010, S.70).
Zurzeit steht das Miktionsprotokoll für die Einschätzung einer Inkontinenz zur Verfügung
und es kann als ein Screeninginstrument angesehen werden. Im Rahmen der Erhebung
werden Daten erfasst und ein Verlauf dargestellt. Ob nun tatsächliche eine Inkontinenz
vorliegt, wird durch die fachlichen Kenntnisse einer Pflegefachkraft auf Grundlage der
Aufzeichnungen festgestellt. (vgl. Panfil 2010, S.70).
23
5.2 Einschätzung einer Inkontinenz
Abb. 2: Erhebung der Kontinenzanamnese (eigene Darstellung)
Einschätzen der Gesamtsituation Anamnese (Assessment)
Miktionsprotokoll, Inkontinenzanamnese
Pflegemanagement
Verhaltenstherapie (z.B. Toilettentraining)
Anpassung der korrekten Hilfsmittel
Schulung im Umgang mit Hilfsmittel
Physikalische Therapie
Beckenbodentraining
Biofeedbacktraining Elektrostimulation
Medizinische Therapie
Medikamente
Operative Therapie
Identifizieren der Inkontinenz
Erstellen der Pflegeplanung (Pflegediagnose und -ziel =
Kontinenzprofil)
Dokumentation der Maßnahmen
Evaluierung der Maßnahmen
Keine Besserung erkennbar: Überprüfung der Einhaltung der Maßnahmen Überprüfung des Pflege- und Behandlungsplanes
(Kontinenzprofil)
Besserung erkennbar Fortführung der Maßnahmen (Kontinenzprofil)
24
5.2.1 Identifizierung von Inkontinenz
Damit Inkontinenz als Problem identifiziert werden kann, sollte zunächst das jeweilige
Instrument zur Anamneseerhebung überprüft werden. Jedes Instrument enthält
grundsätzlich einen Punkt zur Ausscheidung. Wesentlich bei der Überprüfung ist aber,
ob Fragen enthalten sind, die eine gezielte Fragestellung in Richtung Inkontinenz
beinhalten.
Gezielt sollen folgende Fragen schon in die Grundanamnese eingebaut werden:
Verlieren Sie ungewollt Harn?
Verlieren Sie Harn, wenn Sie husten, lachen oder etwas Schweres heben?
Verlieren Sie Harn auf dem Weg zur Toilette?
Tragen Sie Einlagen/Vorlagen, um Harn aufzufangen?
Verspüren Sie häufig starken, nicht unterdrückbaren Harndrang?
Müssen Sie pressen, um die Blase zu entleeren?
(vgl. DNQP 2007, S.30)
Nicht standardisierte Assessmentinstrumente werden diese Fragen kaum beinhalten.
Hier kann ein zusätzliches Formular mit Fragestellungen zur Inkontinenz eingeführt
werden (siehe Beispiel im Anhang).
Standardisierte Assessmentinstrumente enthalten gezielte Fragestellungen zur
Inkontinenz. Bei der Auswertung der erhobenen Daten wird durch das Zusammenspiel
der direkten Fragen zum Ausscheidungsverhalten und Ergebnissen anderer erhobener
Punkte – z.B. Mobilität, etc. das Vorliegen einer möglichen Inkontinenz angezeigt. In
diesen Fällen wird durch die zuständige Pflegefachkraft ein weiterführendes Assessment
zur Inkontinenz durchgeführt. Das weiterführende Assessment umfasst eine
Fragenkatalog mit vertiefenden Fragen zur Inkontinenz, das Miktionsprotokoll und ggf.
den sogenannten Vorlagentest.
5.2.2 Die vertiefende Einschätzung
Wird im Rahmen der Ersteinschätzung eine Inkontinenz identifiziert, ist eine
differenzierte Einschätzung durchzuführen.
25
Die wichtigste Informationsquelle für die differenzierte Einschätzung einer Inkontinenz ist
der/die Betroffene selbst. Einerseits werden vertiefende Fragen gestellt und andererseits
ist die exakte Beobachtung der/des Betroffenen von Bedeutung.
Die vertiefende Anamnese sollte folgende Punkte beinhalten:
Dauer des Problems und mögliche Ursachen
Erscheinungsbild der Harninkontinenz
Relevante erfolgte Therapie
Aktuelle Medikation
Trinkverhalten/-gewohnheiten
Stuhlgewohnheiten
Art und Anzahl der eingesetzten Hilfsmittel
Erwartungen des/der Betroffenen an die Therapie
Kognitive Einflussfaktoren auf die Kontinenzsituation
Einflussfaktoren durch veränderte Mobilität auf die Kontinenzsituation
Einflussfaktoren der Umgebung auf die Kontinenzsituation
Psychosoziale Auswirkungen und Leidensdruck
(vgl. Norton 1996, S. 33 ff; Gray/Moore in: Doughty 2006 S.341 ff)
5.2.3 Das Miktionsprotokoll
Das Miktionsprotokoll (Blasenentleerungsprotokoll) ist ein wichtiges und verlässliches
Instrument zur Objektivierung der Harninkontinenz, zur Auswahl der kontinenzfördernden
Maßnahmen sowie zur Evaluation (vgl. DNQP 2007, S.60). Durch dessen Einsatz ist es
möglich, das individuelle Ausscheidungsverhalten der/des Betroffenen aufzuzeichnen. Je
nach Problemstellung sollen die im Folgenden dargestellten Informationen ermittelt
werden (Larsen/Victor 1992 in: ebd., S.60).
Das Miktionsprotokoll ist eines der hilfsreichsten Instrumente des pflegerischen
Assessment zur Erhebung einer Inkontinenz. Es dient der Erfassung der
Ausscheidungsgewohnheiten von Betroffenen, die ggf. an Inkontinenz leiden. Damit eine
objektive Interpretation des Ausscheidungsverhaltens erfolgen kann, ist es unerlässlich,
auch die Flüssigkeitszufuhr exakt aufzuschreiben. Zur Erstellung eines individuellen
Entleerungsplanes ist es notwendig, über den Zeitraum von drei bis vier Tagen ein
26
Blasenentleerungsprotokoll zu führen. Dabei werden die üblichen Gewohnheiten der
Blasenentleerung festgehalten. Die Aufzeichnungen werden einerseits benötigt, um die
exakte diagnostische Abklärung zu vervollständigen und sind andererseits Grundlage für
einen Blasenentleerungsplan, falls ein Toilettentraining als therapeutische Maßnahme
notwendig ist.
Damit das Ergebnis des Miktionsprotokolls sinnvoll interpretiert werden kann, ist es
wichtig, die zu erhebenden Daten korrekt aufzuzeichnen. Dazu ist es erforderlich,
Betroffene in den Umgang mit dem jeweiligen Miktionsprotokoll zu unterweisen. Eine
schriftliche Anleitung oder Ausfüllhilfe erweist sich dabei in der Praxis als hilfreich.
Welches Miktionsprotokoll ist geeignet?
Es gibt unterschiedliche Miktionsprotokolle, manche beinhalten sehr einfache
Darstellungen, z.B. nur die Erhebung des Ausscheidungsverhaltens, in anderen werden
viel mehr Informationen erhoben und im Anschluss ausgewertet.
Miktionstabelle: Aufzeichnung v. Miktionszeit
Miktionsprotokoll: Aufzeichnung v. Miktionszeit u. -volumen
Blasentagebuch: Aufzeichnung v. Miktionszeit, -volumen, -drang, Trinkmenge u.
Inkontinenzepisoden
(Abrams et al. 2009, S.1070ff)
Vor der Wahl eines Miktionsprotokolls sollte unbedingt geklärt werden, welche
Informationen benötigt werden. In seiner einfachsten Ausführung sollte ein
Miktionsprotokoll die Blasenentleerungen und die Phasen der Inkontinenz zeigen. Je
weniger Informationen abgefragt werden, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass
es auch genau geführt wird. Mit kräftigen Farben und einfachen Anweisungen kann noch
verdeutlicht werden, welche Informationen benötigt und exakt ausgefüllt werden sollen.
Eine kombinierte Aufzeichnung der Miktionshäufigkeit und der jeweiligen Harnmenge
liefert eine Vorstellung über die funktionelle Blasenkapazität, d.h. über die Menge, die
die Blase für gewöhnlich zu halten in der Lage ist. Sie wird häufig mit der Menge der
Flüssigkeitsaufnahme kombiniert und ist dann ein Einfuhr-Ausfuhr-Protokoll bzw. eine
Flüssigkeitsbilanz. Das Bestimmen der Flüssigkeitsaufnahme lässt sowohl eine
Polydipsie, d.h. übermäßigen Durst und ein mögliches Zeichen von Diabetes mellitus,
als auch eine niedrige Flüssigkeitsaufnahme erkennen, die vielleicht durch die Flucht vor
Inkontinenz bedingt ist und vor allem bei älteren Menschen Dehydratation, Verstopfung,
27
Störungen des Elektrolytgleichgewichts und Verwirrung hervorrufen kann. Bei der
Auswertung der Ergebnisse solle vermerkt werden, ob die Flüssigkeitsaufnahme
gemessen oder nur geschätzt wurde. Damit der Urin bei der Blasenentleerung einfach
gemessen werden kann, sollte ein einfacher Kunststoffbehälter mit Gradeinteilung und
einem Fassungsvermögen von mindestens einem ½ Liter verwendet werden. Wichtig ist
die Aufzeichnung jeder Blasenentleerung, zu notieren ist auch, wenn eine
Blasenentleerung einmal nicht gemessen werden konnte, weil der/die Betroffene
auswärts unterwegs war.
In manchen Miktionsprotokollen werden die Zeitangaben exakt zur jeweiligen
Ausscheidung eingetragen, in anderen sind die Zeitangaben fix in Halb- oder
Stundenangaben vorgegeben.
Die Aufzeichnungen im Miktionsprotokoll sollten sofort nach der Blasenentleerung oder
nach der Flüssigkeitszufuhr erfolgen. Werden Aufzeichnungen erst am Ende des Tages
aus dem Gedächtnis durchgeführt, ergeben sich Ungenauigkeiten. Damit die
Aufzeichnungen unmittelbar erfolgen können, sollte das Miktionsprotokoll nach
Möglichkeit direkt vor Ort auf der Toilette aufliegen. In stationären Einrichtungen kann
mit den Betroffene vereinbart werden, dass sie das Protokoll samt Schreibutensil in
einer Tasche (Handtasche bei Frauen, oder Tasche des Morgenmantels, …) bei sich
führen (vgl. Hayder et al. 2008, S.65ff).
Führen eines Miktionsprotokolls durch eine Betreuungsperson
Für Fälle, wo die Aufzeichnungen durch eine betreuende Person erfolgen, gibt es
spezielle Miktionsprotokolle. Hierbei geht eindeutig hervor, wer die Aufzeichnungen für
den/die KlientIn vorgenommen hat. Die dargestellten Erhebungen zeigen die Kontinenz-
und Inkontinenzmuster der Betroffenen. Es können darüber hinaus auch Formulare
verwendet werden, in welchen aufgezeichnet werden kann, ob die Betroffenen in der
Lage sind, ihre Bedürfnisse aufzuzeigen, den Gang zur Toilette aktiv erbitten können
oder ob dieser durch die Betreuungsperson angeleitet wird. Erfolgt die Betreuung von
KlientInnen in Pflegeeinrichtungen, sollte jedoch genau geprüft werden, ob die
erforderlichen Informationen nicht schon anderswo in der Pflegedokumentation erfasst
wurden und daher ein einfaches Miktionsprotokoll ausreichend ist.
Wird die/der KlientIn zur Toilette begleitet, entleert dort aber nicht die Blase, so kann es
sein, dass der Zeitpunkt des Toilettengangs falsch eingeschätzt wurde oder der/die
Wahrnehmung der/ des Betroffene nicht korrekt war. Bei Betreuung einer/s dementen
KlientIn ist auch zu bedenken, dass diese unter Umständen die Funktion einer Toilette
28
nicht mehr erkennen können. Ein Hinweis auf Demenz könnte es sein, wenn der/die
Betroffene kurz nach dem ergebnislosen Toilettengang einnässt. Gibt es keine Hinweise
auf eine Demenz und der/die Betroffene nässen dennoch kurz nach dem Toilettengang
ein, sollte darauf geachtet werden, ob er/sie sich unter Druck fühlten, zu wenig
Privatsphäre vorherrschte oder durch andere Ereignisse daran gehindert war, die Blase
zu entleeren (vgl. Gray/Moore in: Dougthy 2006; S. 363ff; Hayder et al. 2008, S.65ff).
Abb. 3: Miktionsprotokoll (eigene Darstellung)
Der aufwendige Einsatz eines Miktionsprotokolls sollte von der Pflegefachkraft gut
überlegt eingesetzt werden. Es stellt sich die Frage, ob der Aufwand eines
Miktionsprotokolls z. B. bei einer/m bettlägerige PatientIn Sinn macht und aus den
Ergebnissen Konsequenzen in Form von situationsverbessernden Maßnahmen
abgeleitet werden können (vgl. DNQP 2007, S.34).
5.2.4 24 Stunden Vorlagentest (Pad Test)
In manchen Fällen werden Betroffene zum Zeitpunkt der Erhebung einer Inkontinenz
bereits Inkontinenzhilfsmittel verwenden. Im Fall der Verwendung eines saugenden
29
Hilfsmittels kann der Harnverlust durch den Vorlagengewichtstest ermittelt werden. Dazu
wird eine noch nicht verwendete Einlage im trockenen Zustand gewogen. Die Einlagen
werden im Verlauf des Tages in einem Plastiksack gesammelt. Der Harnverlust ergibt
sich aus der Differenz der gebrauchten Einlagen und der ungebrauchten.
(Hellström/Zubotikin/Ekelund/Larsson/Milsom 1994 in: DNQP 2007, S.62ff).
Der 24 – Stunden Vorlagentest ist ein Parameter für den Schweregrad des ungewollten
Harnverlusts.
5.2.5 Die Restharnmessung
Die Restharnmessung ist notwendig, wenn der/die Betroffen die Blase nicht vollständig
entleeren kann. Durch den verbleibenden Restharn in der Blase kann es zu einer
aufsteigenden Infektion der Harnleiter und des Nierenbeckens bis zur gesamten Niere
kommen.
Die Messung des Restharns wird mit einer Ultraschalluntersuchung nach der
Blasenentleerung durchgeführt. Dazu stehen in einzelnen Einrichtungen bereits tragbare
Geräte zur Verfügung, die auch von einer/m DGKS/P nach ärztlicher Anordnung bedient
werden können.
In Ausnahmefälle und zwar dort, wo kein Ultraschallgerät zur Verfügung steht, kann die
Restharnkontrolle auch mittels Einmalkatheterismus festgestellt werden (vgl. DNQP
2007, S.63).
5.2.6 Kontinenzprofile
Im Rahmen der Entwicklung des Expertenstandards „Förderung der Harnkontinenz in
der Pflege“ hat die ExpertInnengruppe in Anlehnung an Fonda (1990) und
Palmer/Czarapata/Wells/Newman (1997) Kontinenzprofile entwickelt (vgl. DNQP 2007,
S.34).
Nachdem die Inkontinenzanamnese und ggf. das Miktionsprotokoll abgeschlossen
wurden, fasst die Pflegefachkraft die erhobenen Informationen im Kontinenzprofil
zusammen. Der eigenständige Umgang mit der vorliegenden Inkontinenz wird ebenso
festgehalten wie der Grad der Abhängigkeiten von personeller und/oder materieller
Unterstützung. Die Festlegung des jeweiligen Kontinenzprofils ist das Ergebnis dieses
Prozesses (vgl. ebd., S.34, 54).
30
Profil Merkmal Beispiel
Kontinenz Kein unfreiwilliger Harnverlust Keine personelle Hilfe notwendig Keine Hilfsmittel
Unabhängig erreichte Kontinenz
Kein unwillkürlicher Harnverlust Keine personelle Unterstützung notwendig Selbständige Durchführung von Maßnahmen
PatientInnen und BewohnerInnen, die durch eigenständigen Gebrauch von mobilen Toilettenhilfen, intermittierenden Selbst-Katheterismus oder Durchführung von Trainingsmaßnahmen (z.B. Blasentraining) keinen unwillkürlichen Urinverlust haben.
Abhängig erreichte Kontinenz
Kein unwillkürlicher Harnverlust Personelle Unterstützung bei der Durchführung von Maßnahmen notwendig
PatientInnen und BewohnerInnen mit begleitenden Toilettengängen zu individuellen/festgelegten Zeiten oder bei denen ein Fremd-Katheterismus durchgeführt wird
Unabhängig kompensierte Inkontinenz
Unwillkürlicher Harnverlust Keine personelle Unterstützung bei der Versorgung mit Hilfsmitteln
Es kommt zu einem unwillkürlichen Harnverlust, aber der Umgang mit Inkontinenzhilfsmitteln (aufsaugende Hilfsmittel, Kondomurinal, Blasenverweilkatheter), erfolgt selbständig.
Abhängig kompensierte Inkontinenz
Unwillkürlicher Harnverlust Personelle Unterstützung bei der Inkontinenzversorgung ist notwendig
Kompensierte Maßnahmen werden von einer anderen Person übernommen
Nicht kompensierte Inkontinenz
Unwillkürlicher Harnverlust Personelle Unterstützung und therapeutische bzw. Versorgungsmaßnahmen werden nicht in Anspruch genommen.
Dieses Profil trifft beispielsweise auf Betroffene zu, die nicht über ihr Inkontinenz sprechen wollen und deshalb keine personelle Hilfe oder Hilfsmittel in Anspruch nehmen bzw. aufgrund kognitiver Erkrankungen nicht akzeptieren
Abb. 4: Kontinenzprofile (DNQP 2007, S.35)
31
Die folgende Grafik unterstützt die Pflegefachkraft, das jeweilige Kontinenzprofil
festzulegen.
Abb. 5: Einschätzen des Kontinenzprofils (nach Boguth 2010)
Das Kontinenzprofil wird gemeinsam mit dem/der Betroffenen besprochen. Unter
Einbeziehung der/des Betroffen wird eine Zielformulierung erarbeitet, die sich unbedingt
an den Wünschen und Möglichkeiten der Betroffenen orientieren muss. Die Erreichung
des nächst höheren Kontinenzprofils wird in jedem Fall das Ziel der Pflegefachkraft sein.
Ob dies nun auch den Vorstellungen der/des Betroffenen entspricht,, muss sorgsam
hinterfragt werden. In manchen Fällen ist das nächst höhere Kontinenzprofil nicht
erreichbar, aber es kann ein Ziel innerhalb des festgelegten Kontinenzprofils angestrebt
werden.
Die Formulierung der Ziele sollte realistisch und nachvollziehbar nicht nur für
Pflegefachkräfte, sonder auch für die Betroffenen sein. Zur Erreichung des Ziels sollten
zunächst Kurzziele, die angepasst an die Bedürfnisse der/des Betroffenen sind,
formuliert werden.
Beispiel:
KlientIn akzeptiert die Inkontinenz
KlientIn akzeptiert die Inkontinenzhilfsmittel und legt diese selbständig an
unwillkürlicher Harnverlust
Hilfmittel
personelle Unterstützung Kontinenz
personelle Untertützung
unabhänig erreichte Kontinenz
abhängig erreichte Kontinenz
Hilfsmittel
personelle Unterstützung
unabhängig kompensiete Inkontinenz
abhängig kompensierte Inkontinenz
personelle Unterstützung
nein nicht kompensierte Inkontinenz
32
Die Pflegemaßnahmen werden dem jeweiligen Kontinenzprofil und den persönlichen
Erfordernissen der/des Betroffenen entsprechend, festgehalten. Um einen objektiven
Verlauf der Beratung (Betroffene führen Maßnahmen selbstständig durch) oder der
Pflege (in Langzeiteinrichtungen) verfolgen zu können, ist es notwendig, den Verlauf zu
dokumentieren.
Kann eine festgelegte Maßnahme nicht durchgeführt werden, wird dies innerhalb einer
Einrichtung entsprechend begründet. Laufende Beobachtungen zum Thema, die
laufende Beratung, Aufklärung und Anleitung der Betroffene sind schriftlich festzuhalten.
Weiters erfolgt die fortlaufende Dokumentation, welche Hilfsmittel verwendet wurden
und die Reaktion der Betroffenen darauf.
Werden die Betroffenen ambulant beraten, sollte zu Beginn der Beratung und Anleitung
engmaschigere Kontrolltermine vereinbart werden. Damit kann entweder eine Änderung
der Maßnahmen erfolgen oder motivierende Gespräche zur Unterstützung der
Zielerreichung stattfinden, da sich manchmal die erwarteten Erfolge erst nach längerer
Zeit einstellen.
6 Auswirkungen der Harninkontinenz
In diesem Kapitel sollen die Auswirkungen von Inkontinenz auf Betroffene, deren
Angehörige, auf Pflegende und schlussendlich die ökonomischen Aspekte der
Gesellschaft dargestellt werden.
6.1 Auswirkung auf die Lebensqualität der Betroffenen
Harninkontinenz, insbesondere wenn sie im Alter auftritt, ist für die Betroffenen ein
gewaltiges Problem, welches neben primären Krankheitssymptomen auch mit einer
Beeinträchtigung der Lebensqualität einhergeht (vgl.
Andersson/Rashidkhani/Karlberg/Wolk/Johansson 2004; Hunskaar/Lose/Sykes/Voss
2004 in: Braumann 2010, S.14). Die Auswirkungen der Inkontinenz auf das Leben der
Betroffenen sind vielfältig und werden von den einzelnen Personen auch unterschiedlich
erlebt (vgl. Roe 2000; O´Donnell 2005 in: Braumann 2010, S.23). In den folgenden
Darstellungen sollen einige wesentliche Bereiche näher betrachtet werden.
33
Untersuchungen zu den Auswirkungen der Harninkontinenz auf die Lebensqualität von
Betroffenen und ihren Angehörigen sind rar. Dies wurde auch von den
Pflegefachkräften, die am Expertenstandard „Kontinenzförderung in der Pflege“ (2007)
mitarbeiteten, festgestellt. Aus diesem Grund initiierten sie selbst Studien zu diesem
Thema.
So stellte Hayder (2010a) in einer zweieinhalb Jahre dauernden Studie fest, dass
Menschen mit Harninkontinenz aus unterschiedlichen Gründen Harn verlieren. Der
plötzliche Beginn einer Harninkontinenz geht meist mit einem akuten Geschehen wie
einem Unfall oder lebensbedrohlichen Erkrankungen einher. Bei den Betroffenen steht
zunächst die Bearbeitung/Bewältigung des akuten Ereignisses im Vordergrund. Erst
danach wird ihnen bewusst, dass sie die Harnausscheidung nicht mehr willentlich
beherrschen können. Sie versuchen mit aller Macht die Kontinenz wiederzuerlangen.
Dieser Kampf gegen die Belastungen der Harninkontinenz dauert oft sehr lange an. Erst
wenn das Belastungserleben sinkt, können die Betroffenen die Inkontinenz annehmen,
sie gänzlich zu akzeptieren, gelingt jedoch schwer (vgl. ebd., S.29).
Anders stellt sich die Situation bei Betroffen dar, die einen schleichenden Beginn der
Inkontinenz verzeichneten. Viele der Betroffenen sind Frauen und sie berichten von
Problemen nach der Entbindung und/oder über Bindegewebsschwäche, die familiär
gehäuft vorkam. Ältere Frauen sehen Inkontinenz als natürliches Phänomen des
Alterungsprozesses an. Eine Annahme, bei der sie oft durch niedergelassene ÄrztInnen
bestärkt werden. Viele Betroffene erinnern sich nicht mehr an das erste auslösende
Ereignis der Harninkontinenz. Sie leiden oft Jahre daran. Die Autorin stellt fest, dass sich
die meisten an Einzelsituationen erinnern, die für sie besonders peinlich waren und bei
welchen ihnen bewusst wurde, dass sie tatsächlich inkontinent waren (vgl. ebd.,S.29).
Die Belastungen von Betroffenen durch Inkontinenz wurden von Ahnis (2008)
untersucht. Die von den Interviewten genannten Belastungen wurden in 15 Kategorien
zusammengefasst und fünf Ebenen zugeordnet:
1. Körperliche Ebene (3 Kategorien: „Unwohlsein/Erschöpfung“,
„Entzündungen/Schmerzen“, „Geruch“)
2. Verhaltensebene (4 Kategorien: „Verstärkte Hygiene“, „Veränderte Kleidung“,
„Aufbewahrungs- und Transportprobleme“, „Toilettensuche“)
3. Psychische Ebene (4 Kategorien: „Angst/Unsicherheit“, „Kontrollverlust/Wut“,
„Scham“, „Ekel“
4. Soziale Ebene (3 Kategorien: „Eingeschränkte soziale Aktivität“, „Eingeschränkte
soziale Beziehungen“, „Problem in Partnerschaft und Sexualität“)
34
5. Ökonomische Faktoren (1 Kategorie: „Finanzielle Belastung“)
(Ahnis 2008 in: Ahnis/Boguth/Braumann/Kummer/Siezmair/Seither 2008, S.67)
Bei der Darstellung der Ergebnisse wurde deutlich, dass für die Betroffenen die
Belastungsfaktoren der psychischen Ebene deutlich überwogen. Danach folgten die
Belastungen der Sozialen und der Verhaltensebene (vgl. Ahnis 2008 in: Ahnis et al.
2008, S.67; Braumann 2010 S.42).
6.1.1 Akzeptanz der Inkontinenz
Menschen, die an Harninkontinenz leiden, erleben den eigenen Körper als
unberechenbar. Die betroffenen Menschen können die Blasenentleerung nicht mehr
willentlich steuern. Viele Betroffene spüren entweder die volle Blase oder den Harndrang
nicht mehr. Sie verlieren Harn sowohl in ruhender Position als auch in Bewegung (vgl.
Hayder 2010a, S.30). Wie eine TeilnehmerIn berichtet: „Ich kann nicht gehen, nicht auf
hartem Boden auftreten, schnell gehen, weil die Erschütterung schon reicht, ich kann
mich nicht bücken, ich kann nicht heben und nicht tragen, niesen, husten, ist das
Übliche.“ (Hayder 2010a, S.28).
Andere Betroffene verspüren zwar den Harndrang, sehen darin auch die Möglichkeit, die
Blase noch rechtzeitig zu entleeren. Doch geht das Dranggefühl oft mit der Panik einher,
die Toilette nicht rechtzeitig zu erreichen und den Harn plötzlich zu verlieren. Der
Harndrang lässt bei Menschen, die ihn spüren zwar mehr Kontrolle zu, als bei
Menschen, die ihn nicht verspüren. In beiden Fällen ist aber der Harnverlust
unvermeidlich.
Diesen Moment erleben die Betroffenen als schutzlos ausgeliefert. Besonders in der
Öffentlichkeit wird dieses Gefühl besonders schlimm, da es darum geht, möglichst nicht
aufzufallen. Viele Betroffene fühlen sich hilflos, sie sind verzweifelt und beschämt und
reagieren wütend auf ihren Körper. Bei manchen leidet das Selbstwertgefühl, sie
schildern, dass sie sich wie ein „halber Mensch“ oder ein „Kleinkind“ fühlen. Besonders
schlimm erleben manche Betroffene die dauerhafte Einschränkung ihres Lebens, welche
durch die Inkontinenz unfrei und unflexibel wird (vgl. Hayder 2010a, S.28).
35
6.1.2 Soziale Auswirkungen
Menschen mit Inkontinenz fühlen sich in ihren eigenen Wohnräumen sicherer. Sie haben
dort die Toilette, können den Gang dorthin einschätzen und diese rechtzeitig aufsuchen,
wenn sie den Harndrang verspüren. Im sicheren Bereich des eigenen Wohnumfeldes
stehen alle erforderlichen Pflegeutensilien zur Verfügung oder Kleidung kann
gewechselt und gereinigt werden, wenn dies erforderlich sein sollte.
Der öffentliche Raum stellt für viele Menschen mit Inkontinenz einen unsicheren Bereich
dar, ist für manche sogar eine Bedrohung. Menschen lernen von Kindesbeinen an, sich
im öffentlichen Bereich sozial angepasst zu verhalten. Das Entleeren der Blase findet
sozial angepasst unauffällig in einer Toilette statt. Öffentliche Toiletten sind oft nicht
einfach zu finden, wirken unhygienisch und wenig einladend, sind nicht selten sehr eng
und mitunter auch verschmutzt (vgl. Hayder 2010a, S.30; Braumann 2010, S.139).
Es ist daher wenig verwunderlich, dass manche Menschen, die an Inkontinenz leiden,
ihre Wohnung nur für jene Wege verlassen, die sie genau kennen, wo sie wissen, an
welcher Stelle eine Toilette ist, die sie aufsuchen können. Andere Betroffene haben
laufend ihren Blick auf eine Uhr gerichtet. Je nach Ausprägung der Inkontinenz kann das
Zeitfenster zwischen den Blasenentleerungen sehr gering sein. Hayder (2010a) stellte in
ihrer Untersuchung fest, dass Betroffene über eine Einschränkung an Spontanität
klagen, da sich alle Aktivitäten an der Blasenentleerung orientieren müssen. So schildert
eine Betroffene:
„Das ist immer präsent, das man so nach unten horcht“ (Hayder 2010a, S.30).
6.1.3 Einschränkung der sozialen Kontakte und Aktivitäten
Die Auswirkungen der Harninkontinenz schränken die Betroffenen stark in ihren
Aktivitäten ein. Besonders sportliche Aktivitäten werden mit dem Erkennen, inkontinent
zu sein, eingestellt. Sportarten wie Joggen, Rad fahren, Ballsportarten, werden oft
gänzlich eingestellt. Theater-, Konzert- oder Kinobesuche werden ebenso
eingeschränkt, denn für all diese Aktivitäten sind umfassende Planungen erforderlich.
Der ständige Begleiter bleibt die Angst, dass in der Öffentlichkeit ein Missgeschick
passiert.
So stellen Betroffene häufig ihre Aktivitäten ein, treffen sich auch nicht mehr mit
KollegInnen aus Sport- oder Theaterrunden. Lehnen selbst Einladungen des engeren
Freundeskreises ab und isolieren sich zunehmen (vgl. Hayder 2010a S.30; Braumann
2010, S.139).
36
Die Einschränkungen betreffen auch die Kleidung. So soll Kleidung in jedem Fall
mögliche Inkontinenzepisoden verdecken – Stoffe sind meist dunkel und dicker, die
Oberbekleidung wird in vielen Fällen das Gesäß bedecken. Bei Ausgängen jeglicher Art
ziehen Betroffene häufig frische Unterwäsche an.
Genussmittel wie Kaffee oder Alkohol führen bei manchen Menschen verstärkt zur
Harnproduktion. Sie werden daher von manchen Betroffenen besonders vor oder
während öffentlichen Kontakten gemieden (vgl. Hayder 2010b, S.135).
Viele Betroffene verfolgen oft gleichzeitig die Strategie, vor Ausgängen die Zufuhr von
Flüssigkeit einzuschränken. Manche verspüren zwar ein Durstgefühl, doch überwiegt die
Angst, in der Öffentlichkeit einen Harndrang zu verspüren und nicht rechtzeitig eine
Toilette zu finden.
6.1.4 Partnerschaft und Sexualität
„Die Inkontinenz zeigt sich in dem Körperbereich, der eng mit Sexualität verbunden ist“
(Hayder 2010a, S.30).
Somit hat die Inkontinenz in jedem Fall Auswirkungen auf die Partnerschaft. Bei
bestehenden Partnerschaften stellt sich die Frage, wie gehen die beiden betroffenen
Menschen damit um. Hayder (2010a) stellte in ihrer Untersuchung fest, dass sich
Betroffene in einer bestehenden Partnerschaft vor allem wünschen, vom/von der
PartnerIn akzeptiert zu werden, Verständnis für das Problem Inkontinenz zu finden,
Unterstützung bei der Bewältigung des Problems zu erhalten. Diese
Erwartungen/Hoffnungen werden nicht immer erfüllt, manche, auch langjährige
Beziehungen zerbrechen an der Problematik.
Allein stehende Personen fühlen sich bei der Suche nach einem/r PartnerIn durch die
Inkontinenz gehandikapt. Sie konfrontieren sich laufend mit der Frage, wann ist der
richtige Zeitpunkt darüber zu sprechen und wie wird er/sie reagieren? Betroffene mit
einer leichten Inkontinenz können dies verschweigen, nicht so jene, die an einer
schweren Harninkontinenz leiden. Spätestens zum Zeitpunkt der ersten Intimitäten
werden Hilfsmittel sicht-, bzw. fühlbar. Eine neue Partnerschaft einzugehen ist für die
Betroffenen mit einem großen Wagnis verbunden. Sie müssen mit der Reaktion der
Person leben, wenn sie ihre Inkontinenz offenbart haben (vgl. ebd., S.30).
37
6.1.5 Inkontinenz im beruflichen Alltag
Für berufstätige Menschen ist die Inkontinenz im beruflichen Umfeld eine
Herausforderung für sich. Zumeist sind die ArbeitskollegInnen nicht in die Problematik
eingeweiht. Je nach Art der Tätigkeit, der Betroffene nachgehen, werden sich die
Hürden im Alltag herausstellen. Bei beruflichen Tätigkeiten in einem Gebäude werden
sich die Probleme mitunter leichter bewältigen lassen, da die Toilette jederzeit
aufgesucht werden kann. Frauen wiederum werden weniger Problem vorfinden, eine
Inkontinenz diskret zu verstecken, sind doch alle Damentoiletten auf die Monatshygiene
der Frauen ausgerichtet. Herrentoiletten hingegen verfügen selten über geeignete
Entsorgungsmöglichkeiten für saugende Inkontinenzhilfsmittel, stehen doch kaum
entsprechende Abfalleimer in den Toiletten zur Verfügung. Große Herausforderungen
kommen auf Betroffene zu, die die Blase mittels intermittierenden Katheterismus
entleeren müssen. Auch Personen, die einer beruflichen Tätigkeit außerhalb eines
Gebäudes nachgehen oder als Handlungsreisende unterwegs sind, stehen oft
schwierigen Situationen gegenüber.
Eine Inkontinenzepisode im Rahmen der beruflichen Tätigkeit ist für Betroffene eine
besonders peinliche und angstbesetzte Vorstellung (vgl. Hayder 2010a, S.31).
6.1.6 Umgang mit Inkontinenzhilfsmittel
Hayder (2010b) stellte fest, dass Betroffene Inkontinenz als räumliche und zeitliche
Einschränkung erleben. Manche von ihnen überwinden diese Einschränkung durch die
Verwendung von Inkontinenzhilfsmittel, jedoch nicht allen ist diese Möglichkeit bekannt
oder erwünscht.
Jenen, die sie verwenden, erlaubt erst diese Anwendung eine Teilnahme am
öffentlichen Leben. „… Wenn Sie ne schlechte Versorgung haben, sind Sie
eingeschränkt. Sie könne nicht in die Stadt gehen. Sie können nicht ins Kino gehen oder
mal spazieren gehen; das geht einfach dann nicht“ (Hayder 2010b, S.135).
Je ausgeprägter die Inkontinenz ist, desto höher ist die Notwendigkeit, Hilfsmittel zu
nutzen. Für viele Betroffene ist die Suche nach dem geeigneten Hilfsmittel mit viel Zeit
verbunden. Sie probieren mit unter viele verschiedene Produkte aus, bis sie das für sie
geeignete gefunden haben. Getestet werden unterschiedliche Produkte – ableitende
oder aufsaugenden – in verschiedenen Ausfertigungen, Größen, und zu
unterschiedlichen Preisen. Gesucht wird jenes Produkt, das die größtmögliche
Sicherheit mit dem größten Tragekomfort verbindet und zu einem moderaten Preis zu
erhalten ist. Dabei werden Betroffene selten einschlägig beraten, sondern sie suchen
38
mittels Praxistest das für sie geeignete Produkt zu finden. Folgende Qualitätsmerkmale
spielen dabei eine Rolle:
Aufnahmekapazität
Aufsauggeschwindigkeit des Harns
Tragekomfort (die Haut fühlt sich trocken an)
Keine Geruchsentwicklung
Hautverträglichkeit
Betroffene, die eine leichte Inkontinenz haben, nutzen nicht immer die Möglichkeit von
Hilfsmitteln. Andere greifen auf diese Möglichkeit nicht zurück, da sie meinen, es gibt
keine geeigneten Hilfsmittel für sie, oder sie leiden an einer hohen Hautempfindlichkeit
oder sorgen sich wegen Infektionen. Sie nutzen als Alternative Handtücher,
Toilettenpapier oder Taschentücher. Andere modifizieren ihr Verhalten, indem sie vor
einem Gang in die Öffentlichkeit wenig bis gar nichts an Flüssigkeit zu sich nehmen (vgl.
Hayder 2010b, S.236).
6.1.7 Informationsbedarf
Information als Begriff kann verschiedene Bedeutungen haben. Einerseits kann eine
Information eine selbständige Nachricht aber auch Bedeutungsinhalt und Wirkung einer
Nachricht sein. Anderseits „… ist Information ein Prozess“ (Rauterberg 1989 in:
Braumann 2010, S. 28). So beschreiben Menschen die Situation vor dem Empfang der
Information als Ungewissheit, diese verändert sich in einen Zustand der Informiertheit
und der Gewissheit, wen die Information übermittelt wurde. Durch die Information zur
chronischen Erkrankung werden die Betroffenen mit einbezogen, sie erlangen damit
Kontrolle über weitere Entscheidungen, können diese gestalten und Angst kann
reduziert werden. Den Pflegenden gelingt dadurch eine Verbesserung der Compliance,
da die Betroffenen an einer Verbesserung interessiert sind und aktiv ihre Ressourcen
zur Selbstpflege einbringen. Weiters kann durch gezielte Information eine effiziente
Nutzung der Ressourcen im Gesundheitssystem erreicht werden. Sind Betroffene
Menschen nicht oder nur mangelhaft informiert, können sie die zur Verfügung stehende
Angebote zur Versorgung oder/und Pflege kaum nutzen (vgl. Braumann 2010, S. 31).
In einigen Studien wurden Untersuchungen zum Informationsbedarf von Ärzten/Innen
und anderen Berufsgruppen des Gesundheitswesens durchgeführt. Hierbei konnte zwar
kein direkter Einfluss der Informationsnutzung der Gesundheitsberufe auf die Pflege-
39
und Versorgungsqualität nachgewiesen werden, doch konnte ein indirekter Nutzen für
die Betroffenen durch professionelle Berufsgruppen beschrieben werden (vgl. Braumann
2010, S. 31).
Jeder Mensch hat seine eigene, individuelle Art, mit einer Erkrankung umzugehen und
es ist wichtig, die Informationen an die jeweiligen Bewältigungsstrategien der
Betroffenen anzupassen. „In der Literatur werden zwei Grundtypen beschrieben: die
Informationssuchenden (Monitors) und die Informationsvermeidenden (Blunters)“
(Miller/Brody/Summerton 1988 in: Braumann 2010, S.32). Informationssuchende sind
Personen, die sich eingehend zu ihrer Erkrankung informieren. Sie benötigen zur
Krankheitsbewältigung umfassende Informationen und erwecken häufig den Eindruck,
zu wenig an Informationen erhalten zu haben. Sie sind auch jene Gruppe von
Betroffenen, die aktiv ihren Krankheitsverlauf mitentscheiden. Informationsvermeidende
hingegen geben sich mit wenig Information zufrieden. Im Umgang mit ihnen haben
Pflegende oft den Eindruck, die Betroffenen befinden sich in der Situation, als ob sie
noch nie etwas von ihrer Erkrankung und ihren Auswirkungen gehört hätten (vgl. ebd.,
S.33).
Boguth (2008) stellte in einer Querschnittsstudie, mit 73 Frauen und 50 Männer im Alter
von 60 bis 94 Jahren, die an Stress-, Drang- oder Mischinkontinenz litten, fest, dass die
Befragten den Informationsbedarf zur Inkontinenz sehr hoch einschätzten. Informationen
zur Verringerung des Harnverlustes, zu den Ursachen der Harninkontinenz und zum
Erfolg einer entsprechenden Therapie wurden dabei als sehr hoch bewertet. Sehr oft
wurde auch die Information zum individuellen Umgang mit dem Harnverlust,
Geruchsreduzierung und zu Inkontinenzhilfsmitteln genannt. Der Informationsbedarf von
Frauen und Männern unterscheidet sich kaum. Frauen zeigten einen höheren Bedarf an
Information zu „Harninkontinenz und Alter“, Körperteile und Blasenkontrolle“,
Verstärkung der Harninkontinenz“, „Wirksamkeit der Therapie“, und Prävention von
Blasenentzündungen“ (Boguth 2008 in: Ahnis et al. 2008, S.67), Männer wiederum
wollten mehr über „Harninkontinenz und Sexualleben“ informiert werden.
Informationen zu „Harninkontinenz und Sexualleben“ spielt für Menschen unter 70
Jahren eine wichtigere Rolle, als für Menschen, die das 70ste Lebensjahr überschritten
haben. Diese finden Informationen zur Kompensation des Harnverlustes – Umgang mit
Inkontinenzhilfsmittel und deren Organisation – sowie die Vermeidung von
Harnwegsinfektionen wichtig (vgl. Boguth 2008 in: Ahnis et al. 2008, S.68).
Braumann (2010) untersuchte in einer Querschnittstudie den Zusammenhang von
Information, Zufriedenheit und Lebensqualität in einer Gruppe von Frauen und Männern
40
ab dem 60. Lebensjahr. An der Studie nahmen 58 Männer (44,3%) und 73 Frauen
(55,7%) im Alter zwischen 60 und 94 Jahren, teil.
Im Rahmen einer explorativen Faktorenanalyse wurden 4 Faktoren erhoben. Die Items
des Faktor I „Alltagskenntnisse und –kompetenzen stehen mittelbar mit dem
Management des ungewollten Harnverlustes in Zusammenhang. Die Auswirkungen der
Harninkontinenz und deren Folgen auf die Betroffenen wurden dabei betrachtet. Für die
Betroffenen stand zumeist alltägliche Probleme wie die Organisation von Hilfsmitteln und
deren konkrete Benutzung im Vordergrund. In diesem Zusammenhang dürfen die
finanziellen Belastungen (private Beschaffung von Hilfsmittel, vermehrter
Wäscheverbrauch, hohe Elektrizitätskosten,…) nicht unterschätzt werden.
Die unter diesem Faktor zusammengefassten Informationsbedürfnisse beziehen sich auf
Informationsbedürfnisse zeitnah am Auftreten der Harninkontinenz zur Kompensation
und Bewältigung dieser (vgl. Braumann 2010, S.87).
Im Faktor 2 „Therapie und Nebenwirkungen“ werden die professionellen Therapien und
ihre Nebenwirkungen dargestellt. Für Menschen mit Inkontinenz ist die Information zu
Therapiemöglichkeiten eine sehr wesentliche, da sie ein hohes Interesse an der Heilung
bzw. Besserung der Inkontinenz haben.
Abb. 6: Schematische Zuordnung der Items zu den Faktoren nach Faktorenanalyse (Braumann 2010, S. 88)
41
In Faktor 3 „Allgemeine Wissensbasis“ werden jene Bereiche eingebunden, die
grundlegende Informationen zur Harninkontinenz, Risikofaktoren und
pathophysiologische Aspekte ansprechen.
Im Faktor 4 „Familie und Emotionen“ stehen die familiären und emotionalen
Auswirkungen der Harninkontinenz im Fokus.
In allen Bereichen wurde der Informationsbedarf als sehr hoch eingeschätzt. Im Rahmen
der Studie wurde auch die Zufriedenheit mit der Information durch professionelle
Berufsgruppen erfragt. Diese wurde durchwegs positiv bewertet, im Vordergrund stand
die Information durch ÄrztInnen. Pflegepersonen oder KontinenzberaterInnen wurden
weniger oft um Rat gefragt, doch konnte im Rahmen der Studie ein Trend in diese
Richtung festgestellt werden. Bestätigt wurde die Belastung der Betroffen durch die
Inkontinenz, insbesondere, wenn diese nicht geheilt werden konnte. Aufgezeigt wurde in
diesem Zusammenhang aber, dass die Bewältigungsstrategien zu einer höheren
Zufriedenheit führten, wenn die Betroffenen ausreichend und auf ihre Bedürfnisse hin
mit Informationen versorgt wurden.
In den wenigen Untersuchungen zur Bedeutung der Information für Menschen die von
Inkontinenz betroffen sind, konnte festgestellt werden, dass für diese Betroffenen
einerseits die Information zum Umgang mit Inkontinenz, als auch andererseits die
Kommunikation zur und über Inkontinenz von immanenter Wichtigkeit waren (Boguth
2008 in: Ahnis et al. 2008, S.67; Braumann 2010).
6.2 Pflegende Angehörige und Inkontinenz
In Österreich werden rund 80% der pflegebedürftigen Menschen zu Hause von ihren
Angehörigen gepflegt (vgl.Hörl 2008, S. 363; Riedel/Kraus 2010, S.2). Auch zum
Bereich „Pflegende Angehörige“ gibt es keine nachweislichen Zahlen. Die Angaben
beziehen sich auf Schätzungen, die mit der Anzahl von PflegegeldbezieherInnen
einhergehen. Inkontinenz ist eine der großen Herausforderungen für pflegende
Angehörige. Nicht nur, dass die Betreuung eine sehr schwere Arbeit ist, an Körper aber
auch Psyche zerrt, erschwert sich in den meisten Fällen die Situation durch eine Harn-
und/oder Stuhlinkontinenz der zu Betreuenden. Hayder gibt 2006 an, dass rund 50% der
von pflegenden Angehörigen Betreuten an Inkontinenz leiden und zieht für diese
Aussage die Arbeit von Noelker (1987) heran (vgl. Hayder 2006, S.11). Die Annahme,
dass die Zahl der von Inkontinenz Betroffenen eher bei 70% liegt, ist 2011 durch den
Anstieg der Lebenserwartung berechtigt.
42
6.2.1 Belastungen für Pflegende Angehörige
Entsprechend der wachsenden Lebenserwartung leben ältere bis hochbetagte
Menschen zunehmen länger in ihren Wohnungen und benötigen die Unterstützung oder
Pflege ihrer nächsten Angehörigen.
Die Komplexität der Aufgaben, die auf pflegende Angehörige mit zunehmender
Pflegebedürftigkeit der zu Betreuenden zukommt, ist enorm. Häufig werden sie mit
dieser Situation alleine gelassen. Hilfestellungen durch die öffentliche Hand gibt es,
kann oder wird aber nicht immer wahrgenommen.
Seither (2008) untersuchte die Belastungen von pflegenden Angehörigen durch die
Inkontinenz der Personen, die sie betreuen. Betroffene berichteten über die zeitlichen,
körperlichen, sozialen und emotionalen Veränderungen, die durch die aufgetretene
Inkontinenz bei ihren jeweiligen Angehörigen in ihrem eigenen Leben entstanden. Dazu
zählt unter anderem der sensibilisierte Geruchssinn – Angehörige schilderten, dass sie
glauben, es rieche nach Harn, wo es gar nicht danach riechen kann. Auch von der
Scham vor Menschen aus dem weiteren Bekanntenkreis, wenn die gemeinsame
Wohnung feuchte Flecken von verlorenem Harn aufweist oder nach Harn riecht, wird
berichtet. Angehörige berichteten aber auch über die Probleme in der Betreuung des/r
inkontinenten Betroffenen, da die Information zur Diagnose durch den/die Arzt/Ärztin
fehlte. Die fehlende Beratung zu Hilfsmittel verursachte oft einen finanziellen
Mehraufwand. Einer große Belastung unterliegt auch die Beziehung zwischen
pflegendem Angehörigen und Betoffenem/r. Beschrieben werden unter anderem
Konflikte, die hinsichtlich Inkontinenz auftreten, insbesondere dann, wenn sich der/die
Betroffene weigert, Inkontinenzhilfsmittel zu akzeptieren (vgl. ebd., in: Ahnis et al. 2008,
S.70).
6.2.2 Akzeptanz der Inkontinenz
Für pflegende Angehörige ist es nicht leicht, die Harninkontinenz der/des zu
Betreuenden zu akzeptieren. Sie versuchen sehr lange, die Harninkontinenz der
Betroffenen zu verstecken. Sie versuchen, Strategien zu entwickeln, damit die
Inkontinenz nicht auffällt, dazu geleiten sie z.B. den/die inkontinente Angehörige häufig
zur Toilette und übernehmen sich nicht selten auch körperlich.
Die Unberechenbarkeit der Inkontinenz und die damit verbundenen körperlichen
Anstrengungen sind nicht selten die Ursache für die Einweisung in ein Pflegeheim. Vor
allem, wenn die Betreuungsperson meist im selben Alter wie der/die zu Pflegende ist,
43
sind die Grenzen der Machbarkeit bald erreicht. Pflegende Angehörige haben durch die
starke Inanspruchnahme durch die Betreuung kaum die Möglichkeit, sich zu erholen. Oft
schlafen sie in der Nacht nicht durch, da sie das eingenässte Bett überziehen müssen.
Sie nehmen sich auch kaum Zeit, Selbsthilfegruppen oder einen Stammtisch für
pflegende Angehörige zu besuchen. In den meisten Fällen ist der/die PartnerIn die
einzige Betreuungsperson der/s zu Pflegenden und sie wagen sich daher nur kurz aus
dem Haus (vgl. Volkshilfe Steiermark, 2010).
6.3 Ökonomische Auswirkungen der Inkontinenz
Die ökonomische Dimension der Inkontinenz betrifft sowohl den/die Betroffene selbst,
deren Angehörige sowie die Kostenträger im Gesundheitswesen.
Aufgrund der hohen Prävalenz und der Verschiebung der Alterspyramide mit einer
zunehmend höheren Lebenserwartung gewinnt die ökonomische Dimension ebenfalls
zunehmend an Bedeutung. Es wurden bereits verschiedene Studien zu ökonomischen
Aspekten der Inkontinenz durchgeführt, doch sind die Ergebnisse mit Vorbehalt zu
interpretieren. Die Untersuchungen wurden in verschiedenen Teilen der Welt
durchgeführt. Die einzelnen Gesundheitssysteme sind kaum miteinander vergleichbar.
Oder es wurde nur eine bestimmte Gruppe in die Untersuchung einbezogen, nur Männer
oder nur Frauen, oder bestimmte Altersgruppen, in anderen Bereichen wurden nur
bestimmte Formen der Harninkontinenz einbezogen.
Betrachtet man nun die Kosten, die Inkontinenz verursacht, so lassen sich diese in drei
Kategorien einteilen: direkte, indirekte und intragible Kosten (vgl. Wulf 2009, in:
Perabo/Müller 2009, S.25ff).
6.3.1 Direkte Kosten
Direkte Kosten sind Kosten, die durch Behandlung der Erkrankung entstehen. Dazu
zählen z.B. Kosten für
Arztbesuch
Diagnostische Untersuchungen
Medikamente
Operative Therapien
Konservative Therapien (z.B. Beckenbodentraining)
Hilfsmittel
44
Im Rahmen einer europaweiten Arbeitsgruppe - der Prospective Urinary Incontinence
Research-Studie (PURE), wurde eine prospektive, nicht interventionelle
Anwendungsbeobachtung durchgeführt, in der über 6 Monate die direkten Kosten der
Harninkontinenz evaluiert wurden.
Mittels dieser Studie wurde beispielweise die Verteilung der einzelnen Kosten auf die
unterschiedlichen Inkontinenzformen untersucht. So wurde gezeigt, dass die Kosten für
Arztbesuche und diagnostische Untersuchungen bei Belastungs-, Drang- und
Mischinkontinenz ähnlich verteilt sind. Jedoch liegen die durchschnittlichen
Medikamentenkosten bei der Dranginkontinenz mit 107,-- €/Jahr/PatientIn weit über
jenen der Belastungsinkontinenz mit 47,-- €/Jahr/PatientIn, bei der Mischinkontinenz
betragen sie 86,-- €/Jahr/PatientIn.
Betrachtet man hingegen die Kosten der saugenden Inkontinenzhilfsmittel, sind diese
bei der Mischinkontinenz mit durchschnittlich 300,-- €/Jahr/PatientIn höher als bei der
Dranginkontinenz mit 235,-- €/Jahr/PatientIn und der Belastungsinkontinenz mit 224,--
€/Jahr/PatientIn.
Abb. 7: Kosten Harninkontinenz (vgl. Wulf 2009, in: Perabo/Müller 2009 S.27)
Insgesamt hat die Studie gezeigt, dass die gesamten Kosten für Inkontinenzhilfsmittel
cirka die Hälfte der jährlichen Gesamtkosten ausmacht (vgl. Wulf 2009 in: Perabo/Müller
2009, S.27).
Dieser in Deutschland hohe Kostenanteil an saugenden Inkontinenzhilfsmitteln ist im
europäischen Vergleich mit Großbritannien, Irland und Spanien auffallend hoch. Die
europaweite Studie zeigte auch deutlich, dass die Kosten für konservative Therapien in
Großbritannien und Irland am höchsten sind.
Inkontinenzhilfsmittel
Operationen
Medikamente
Arztbesuch
Diagnostische Untersuchungen
Konsevative Therapie
45
Die AutorInnen stellen aber auch fest, dass die Datenerhebung für die Studie schwierig
war. Berücksichtigt werden muss auch der Erfolg oder Misserfolg einer therapeutischen
Anwendung. Dazu gibt es gesonderte Studien, die innerhalb der Medizinischen Bereiche
– z.B. Wirkung von einzelnen medikamentösen Wirkstoffen oder die Erfolgsraten von
Operationstechniken – erstellt werden (vgl. Wulf 2009 in: Perabo/Müller 2009, S.27).
6.3.2 Indirekte Kosten
Die indirekten Kosten berücksichtigen im Gegensatz zu den direkten Kosten die
Aufwendungen, die durch einen Rückgang der Produktivität insbesondere am
Arbeitsplatz verursacht werden. Sie betrachten auch Kosten, die indirekt durch
Inkontinenz verursacht werden z.B. Anstieg des Wasserverbrauchs durch häufigeren
Toilettenbesuch, häufigeres Duschen, sowie vermehrtes Wäsche waschen und ein
größerer Verbrauch an Verwendungsgüter wie Toilettenpapier, Waschpulver, Duschgel.
Darüber hinaus beinhalten indirekte Kosten auch den Zeitaufwand der gegebenenfalls
durch einen höheren Pflegeaufwand hervorgerufen werden kann. Indirekte Kosten sind
wesentlich schwerer zu erheben und damit messbar zu machen als direkte Kosten und
folglich finden sie in publizierten Daten in der Regel keine Berücksichtigung (vgl. Wulf
2009 in: Perabo/Müller 2009, S.28).
6.3.3 Intragible Kosten
Unter intragiblen Kosten versteht man die Belastungen, die psychologische und
physiologische Auswirkungen auf die Betroffenen haben. Sie haben somit Einfluss auf
die Lebensqualität. Diese lässt sich anhand von Fragebögen zur Lebensqualität
erheben. Allerdings sind die erhobenen Daten subjektiv und sie sind nicht in Zahlen oder
in Form von Kosten greifbar.
Darüber hinaus sollten noch Kosten betrachtet werden, die durch Folgeerkrankungen
entstehen können. So wurde unter anderem in Studien belegt, dass die Häufigkeit eines
Sturzes bei Menschen mit Inkontinenz doppelt so hoch ist als bei Gleichaltrigen ohne
Inkontinenz.
In jedem Fall lässt sich sagen, dass die ökonomischen Auswirkungen der Inkontinenz
noch nicht ausreichend untersucht wurde (vgl. Wulf 2009 in: Perabo/Müller 2009, S.29).
46
6.4 Scham und Ekel
Inkontinenz ist eine Erkrankung mit meist chronischem Verlauf und betrifft den
Urogenitaltrakt und damit einen Bereich, der in unserer Gesellschaft grundsätzlich
tabuisiert und schambesetzt ist (vgl. Ahnis 2008 in: Ahnis et al. 2008, S. 62).
6.4.1 Definition von Scham und Ekel
Das Wort Scham entstammt dem Germanischen und bedeutet so viel wie „zudecken,
verbergen“ (Hofgruber 2006, S.10).
Scham- und Ekelgefühle haben für den Menschen wichtige Schutzfunktionen. Durch das
Gefühl des Ekels erkennt der Mensch, welche Substanzen durch Zerfallsprozesse für
ihn gefährlich sind. Das Gefühl der Scham schützt davor, menschliche Intimbereiche zu
entblößen. Scham entsteht vor allem für jene Körperbereiche und deren Funktionen, die
Menschen auch an anderen als ekelig empfinden (z.B. Bereiche der
Ausscheidungsorgane) (vgl. Pernlocher-Kügler 2003, S. 54ff).
Die Definition des Wortes Ekel scheint für den Bereich Pflege nicht eindeutig belegbar
zu sein (Krey 2003, S.27; Fischer 2006, S.8; Albrecht/Keßler 2006, S.5f). Krey (2003)
beschreibt, wie schwierig sich ihr Versuch gestaltete, anhand von einschlägigen Lexika
der Pflege und Medizin eine Begriffsdefinition festzulegen. Sie stellte fest: „Das
Phänomen »Ekel» scheint in der Pflege ein ungeklärter Begriff zu sein“ (ebd., S.31ff).
Pernlocher-Kügler (2003) beschreibt Ekel als primäres Gefühl. Primäre Gefühle sind z.B.
Lust, Freude, Angst, Zorn, Sympathie oder eben Ekel sind schon früh – beim Säugling –
zu beobachten und universell. Universell bedeutet, diese Emotionen kommen in allen
Kulturen auf dieser Erde vor. Der Ekel gilt als Instinktrest der wie Geschmack und
Geruchssinn angeboren ist. Seine Aufgabe ist es, den Menschen vor toxischen und
infektiösen Substanzen zu schützen (vgl. ebd., S.54ff, 157ff).
„Im Zusammenhang mit Ekelreaktionen als Instinktrest sind einige neurologische
Aspekte interessant: Die Riechschleimhaut bindet Duftstoffe an die Riechzellen und
Gerüche werden von dort aus als elektrische Signale über Axone an den Riechkolben im
Gehirn weitergeleitet. Der Riechkolben steht über die Geruchsnerven in direkter
Verbindung mit dem Limbischen System. Das Limbische System ist in sehr alter Teil
unseres Gehirns, und es ist der Sitz der primären Emotionen. Für die typischen
physiologischen Ekelreaktionen (Speichelfluss, Würgereiz, Erbrechen) ist das
Brechzentrum mit dem Sitz im verlängerten Rückenmark zuständig. Als Teil des
47
vegetativen Nervensystems sind die Aktivität des Brechzentrums nur sehr schwer zu
beeinflussen, was die Schwierigkeit erklärt, starken Ekel zu unterdrücken“ (Pernlocher-
Kügler 2004, S.5).
Somit ist dem Menschen der Ekel vor bestimmten Substanzen angeboren und wird vor
allem durch den Geruchs und Geschmacksinn ausgelöst.
6.4.2 Ekel in der Pflege
In der Pflege stehen Ekel und Scham in einem engen Zusammenhang. Overlander hat
die Auseinandersetzung des Phänomens Ekel in der Pflege untersucht. Sie stellte dabei
fest, dass die Lehrbücher zur Pflege noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts Informationen
zum Ekel enthielten. SchülerInnen der Krankenpflege erhielten wenigsten in Ansätzen
Informationen, welche Schwierigkeiten bei der Ausübung des Berufes auf sie zukommen
würden. Ab 1913 setzte sich allerdings die Auffassung durch, dass sich Pflegepersonen
nicht ekeln dürften. Diese „Ekelverbot“ setzte sich rasch durch und wurde für Pflegende
zu einem Berufsethos. In den 70er und 80er Jahren fand sich in der Pflegeliteratur nichts
mehr zum Phänomen Ekel. Noch heute vertreten viele Pflegepersonen die Meinung, sie
dürfen sich vor nichts ekeln und wenn es doch vorkommt, dürfe der/die KlientIn nichts
davon merken.
In den 90er wurde das Thema langsam wieder in der Pflege aufgegriffen und seit
einigen Jahren wird versucht, das Thema Ekel zu enttabuisieren (vgl. Overlander 2003
in: Pernlocher-Kügler 2003, S.147).
Der Mythos lautet: „In der Pflege oder in der Medizin ganz allgemein muss man in einen
Zustand kommen, in dem man sich vor nichts mehr ekelt. Ekel ist erlaubt, wenn es ganz
besonders grausig wird, aber Kotze, Kot, künstliche Ausgänge und Sputum dürfen
einem im Grunde nichts ausmachen, Mit der Zeit härtet man ab und irgendwann sind
auch die ganz argen Sachen nicht mehr schlimm. Intimwäsche, ganz egal bei wem, und
überhaupt die Arbeit mit Körpern sind weder peinlich noch ekelig“ (Pernlocher-Kügler
2004, S.4).
Doch dem steht entgegen, dass Ekel ein Gefühl ist und der Mensch unterschiedlich auf
bestimmte Reize reagiert. Pflegende in der Ausbildung haben besonders in den ersten
Ausbildungsjahren mit dem Ekel zu kämpfen. Die jeweiligen Auslöser für das Ekelgefühl
sind dabei individuell und auch unterschiedlich stark. Fischer (2006) meint,
„Hauptüberträger der Ekelempfindungen sind der „Geruchssinn“, der „Sehsinn“, der
„Tastsinn“ und der „Hörsinn“ (ebd., S.8).
48
Gerüche empfinden Pflegepersonen als sehr nachhaltig, sie beschreiben mitunter, der
Geruch hänge an ihren Kleidern, sie werden ihn nicht mehr los, besonders, wenn mit
sehr extremen Pflegesituationen mit besonders ekelerregenden Gerüchen konfrontiert
waren. Auch der Tastsinn spielt bei der Entwicklung von Ekelgefühlen eine große Rolle,
z.B. bei der Berührung von breiigen, schleimigen Substanzen. Der Seh- und Hörsinn
spielen bei der direkten Entwicklung von Ekelgefühlen eine nachgeordnete Rolle, aber in
Zusammenhang mit Wissen, Assoziation und Erfahrung sind sie durchaus an der
Entstehung von Ekelgefühlen beteiligt (vgl. Fischer 2006; S.8; Pernocher-Kügler 2003,
S.147).
Sowinski (1991) untersuchte als eine der ersten im deutschen Sprachraum bereits 1991
den Umgang von Pflegepersonen mit Ekelgefühlen im Rahmen einer zweijährigen
Studie. Dazu befragte sie 30 Pflegefachkräfte, die zwischen zwei und 15 Jahren in ihrem
Beruf tätig waren. Aus dieser Arbeit leitete Sowinski eine Abstufung von Ekelgefühlen in
drei Stufen ab. Die Pflegepersonen schilderten ihre Emotionen von „unangenehm“ über
„stärker auftretendes“ bis hin zu „grauenhaftem“ Ekelgefühl (vgl. ebd., in: Fischer 2006,
S.9).
Abb. 8: Abstufung von Ekelempfindungen (nach Sowinski 1991 in: Fischer 2006, S.9)
Pflegende entwickeln gegenüber bestimmten Substanzen, und auch das ist wiederum
individuell unterschiedlich, eine gewisse Gewöhnung. Stuhl und Harn gehören zu diesen
Substanzen, jedoch bleibt das Gefühl des Ekels vorhanden, die Pflegenden lernen
lediglich, damit umzugehen. So ist das Ekelgefühl wieder im vollen Ausmaß vorhanden,
Grauenhaft
Kot im Mund
Stärkeres Ekelgefühl
Konfrontation mit absterbendem Gewebe
Große Wunden mit Eiter
Unangenehm
Verletzung kultureller Grenzen,
z.B. Ausscheidungen im Bett
wenn in Vorhänge statt in Taschentücher geschneutzt wird
49
wenn Harn und Stuhl nicht mehr „gesund“ riechen. Das Ekelgefühl wird auch stärker
auftreten, wenn sich Harn oder Stuhl nicht an den erwarteten Stellen – Toilette,
Inkontinenzhilfsmittel, Bettschüssel – vorfinden. Der Geruch von abgestandenem Harn
wird morgens einen größeren Ekelreiz bei Pflegepersonen hervorrufen und er wird sich
um ein vielfaches verstärken, wenn die KlientIn mit eingenässtem Nachthemd und
nassen Bett versorgt werden muss (vgl. Pernlocher-Kügler 2003, S.149; Ringel 2003,
S.25; Krey 2003 S.27; Fischer 2006, S.8).
6.4.3 Umgang mit Ekel erregenden Situationen
Ekel ist ein Gefühl, welches nicht abgewöhnt werden kann. Der Mensch kann lediglich
Strategien entwickeln, mit ekelerregenden Situationen umzugehen. Um aber Strategien
gegen das Ekelgefühl entwickeln zu können, ist es wichtig, das Ekelgefühl als solches
zu akzeptieren.
Ringel (2003) fasst Strategien verschiedener AutorInnen zusammen und unterteilt sie in
„Direkte“ und „Indirekte Reaktionen“. Sie weist aber darauf hin, dass es zu Mischformen
von Reaktionen kommen kann, da die Reaktionen von der Handlungsstrategie der
jeweiligen Pflegeperson abhängig sind. Direkte Reaktionen entstehen unbewusst (vgl.
ebd., S.40).
50
Direkte Reaktionen
Handlungsstrategie Effekt Positive Wirkung auf die Qualität der Pflegebeziehung
Negative Wirkung auf die Qualität der Pflegebeziehung
Kurzeitiges Verlassen des Zimmers, um „vergessene“ Gegenstände zu holen
Räumliche Distanz zum Gegenstand des Ekels
Vermeiden von Affekthandlungen und Beleidigungen, Ordnen der Gedanken
Betroffener Mensch muss länger auf Hilfe warten
Flucht in hauswirtschaftliche Tätigkeiten
Räumliche Distanz zum Gegenstand des Ekels
Herstellen eines positiven Nähe-Distanzverhältnisses
Gefahr von psychischer und physischer Vernachlässigung des Patienten
Übermäßiger Gebrauch von Pflegehilfsmitteln, z.B. Handschuhe, Desinfektionsmittel, Raumsprays, Pflegeschaum
Vermeidung von Hautkontakt, geringer Geruchsbelästigung, Sichtschutz vor Exkrementen
Erhalt der Arbeitsfähigkeit „Psychohygiene“ des Pflegenden
Mit erhöhter Sterilität der Umgebung werden Situationen immer ehr und häufiger als ekelhaft erlebt
Begünstigung allergischer Reaktionen, Hautreizungen
Erhöhte Produktion von Müll und Umweltgiften
Erhöhen des Arbeitstempos, übertriebener Aktionismus
Schnelle Beseitigung der ekelerregenden Situation
Erhalt der Arbeitsfähigkeit
Beziehungspflege sowie Eingehen auf Schmerzen und Schamgefühle kaum möglich
Atmungsänderung wie flach atmen oder „Luft anhalten“
Verschließen des Mundes
Erhalt der Arbeitsfähigkeit
Verursachen von Scham- und Peinlichkeitsgefühlen beim Gepflegten, kaum Kommunikation möglich
Physische Misshandlung und Vernachlässigung des Gepflegten
Abwehr des Ekelhaften mit Ignoranz und Gewalt
Nicht vorhanden Aus juristischer und humaner Sicht unhaltbare Pflegehandlung
Abb. 9: Direkte Reaktionen auf Ekelgefühle (Ringel 2003, S.40)
Zum Unterschied zu den direkten Reaktionen, die unbewusst entstehen und deren
Ablauf eher pragmatisch geschieht, sind indirekte Reaktionen auf das entstandene
Ekelgefühl überwiegend bewusst (vgl. Ringel, 2003, S. 43ff).
51
Indirekte Reaktionen
Handlungsstrategie Effekt Positive Wirkung auf die Qualität der Pflegebeziehung
Negative Wirkung auf die Qualität der Pflegebeziehung
Hoffnung auf Gewöhnung
Ansteigen der Toleranzgrenze
Erhalt der Handlungsfähigkeit
Langfristige Gefahr von Burnout des Pflegenden
Verdrängung des Ekelgefühls und das Bemühen, sich keine Blöße zu geben
Vermeidung der Auseinandersetzung mit dem Thema, Versuch, den Betroffenen zu schützen
Erhalt der Handlungsfähigkeit
Gefahr von Burnout, Entstehung von Schamgefühlen, kein Eingehen auf psychische Bedürfnisse des Gepflegten
Versachlichung der ekelerregenden Situation (Vergegenwärtigung von Entstehungs-, Verlaufs- u. Behandlungsweise der jeweiligen Krankheit)
Abwehr von Todes- und Vernichtungsängsten seitens des Personals (Krankheit als „Ursache“ für Ekelhaftes steht der Gesundheit des Pflegenden gegenüber
Erhalt der Handlungsfähigkeit
Reduktion des Pflegebedürftigen auf seine Erkrankung oder Behinderung, der Patient wird zum „Fall“ erklärt, kein ganzheitliches Pflegeverständnis möglich
Sprachliche Intellektualisierung von pflegerischen Inhalten, z.B. „Kontinenztraining“
Sprachliche Abstraktion transformiert das Triviale zum Therapieinhalt
Abstand von entwürdigenden Verhaltens- und Ausdrucksformen wie „Abtopfen“, Prestigeaufwertung des Pflegeberufes, Sinngebung
Gefahr von Kommunikationsschwierigkeiten zwischen Personal und dem zu Pflegenden (die Fachterminologie ist einem Laien nicht immer verständlich und muss „übersetzt“ werden)
Ideologische Verbrämung der Tätigkeit
Grenzsituationen werden ideologisch verschleiert und ihr Aushalten wird als gesellschaftlich gewinnbringend gesehen.
Sinngebung, Erhalt der Handlungsfähigkeit
Gefahr des Burnout, keine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema
Satirische Überhöhung der Situation und Lauern auf Anekdoten
Entschärfung bedrohlicher Situationen für den Pflegenden
Reflexionsmöglichkeiten des Erlebens, Humorvolle Auseinandersetzung mit Grenzsituationen als therapeutisches Mittel
Gefahr der Entwürdigung
Infantilisierung der Pflegebedürftigen in Form von unpassenden Anredeformen und Kosenamen
Psych. Distanzierung zum Pflegebedürftigen, Verdrängung eigner Todesängste, „Handhabbarkeit“ der Situation
Nicht vorhanden Entwürdigung des Pflegebedürftigen
Verleugnung und Ignorieren der Situation solange es geht
Räumliche und psychische Distanz zu ekelerregenden Situationen
Nicht vorhanden Unterlassene Hilfeleistung, gefährliche Pflege
Abb. 10: Indirekte Reaktionen auf Ekelgefühle (Ringel 2003, S.43ff)
52
Ekel ist sehr stark mit dem Gefühl der Scham verbunden. Wie Pernlocher-Kügler (2003)
darstellt, befinden sich die Ausscheidungsorgane an jenen Körperstellen, die zugleich
die intimsten Zonen des Menschen sind. „Defäkieren und Uninieren, das Wechseln von
Tampons und Binden sind Vorgänge und Tätigkeiten, die an einem geheimen Ort, an
einem „Ab-Ort“ fern von Öffentlichkeit stattfinden, dort, wo man allein ist mit sich selbst“
(ebd., S.24).
Fischer verdeutlicht in ihrer Darstellung des „Teufelskreis von Ekel- und
Schamempfindungen“, wie sowohl KlientIn als auch Pflegeperson durch den Eingriff in
diesen intimsten Bereich mit Schamgefühlen konfrontiert werden (vgl. Fischer, 2006,
S.10).
Abb. 11: Teufelskreis von Ekel- und Schamempfindungen (nach Fischer 2006, S.11)
53
Pernocher-Kügler (2003) meint, wenn Pflegepersonen darauf achten, die Schamgefühle
der betroffenen Menschen zu respektieren, werden auch Situationen reduziert, die Ekel
erregen. Als Beispiel führt sie die Ganzkörperwaschung an: achten die Pflegepersonen
darauf, nur jenen Körperbereich zu entblößen, der gewaschen wird, wird einerseits das
Schamgefühl der betroffenen Person geachtet und anderseits ist es für die
Pflegepersonen angenehmer, nur einen Teilbereich des Körpers nackt zu sehen. Der
bewusste Umgang mit den Auslösern von Ekel kann Pflegepersonen helfen, den
einzelnen Situationen besser zu begegnen (vgl. ebd., S.225).
Weitere Möglichkeiten des Umgangs mit Ekel und Scham in der Pflege liegt in einem
offenen Umgang mit diesen Gefühlen. Wird im Rahmen von Fall-, Dienstbesprechungen
oder Supervisionen eine schwierige Pflegesituation mit ekelerregendem Verlauf offen
angesprochen, so hat die einzelne Pflegende die Möglichkeit zu erkennen, dass die
Pflegesituation an sich schwierig ist und alle bei diesen Tätigkeiten Ekelempfindungen
haben. In diesem Moment wird offen über das Gefühl des Ekels gesprochen.
Gleichzeitig kann nun überprüft werden, welche Handlungen wann und wie erforderlich
sind. Diese können gezielt in die Pflegeplanung übernommen werden. Verfügen die
Pflegenden über ausreichend Sachkenntnis zu Themen wie Harninkontinenz, können
sie z.B. mit einer Änderung der vorhandenen Inkontinenzhilfsmittel eine Verbesserung
der Situation erreichen.
Zum Umgang mit ekelerregenden Situationen ist es auch wichtig, nach diesen
Tätigkeiten kurz Abstand zu gewinnen. Nach Möglichkeit sollte der Sozialraum
aufgesucht werden können, wo es nach Kaffee duftet, um frische Luft zu tanken oder
eventuell eine Zigarette geraucht werden kann – um den unangenehmen Geruch aus
der Nase zu bekommen.
Ein Team, das sich mit Ekel offen auseinander setzt, wird gemeinsam Strategien
entwickeln, die Pflegende entlasten und für Betroffene eine angemessene Versorgung
sicher stellen Es werden Fortbildungen zum Thema angedacht werden, denn jede
ekelerregende Situation für die Pflegeperson erzeugt bei den zu Pflegenden eine
Kaskade von Schamgefühlen (vgl. Fischer 2006, S.11).
Yu/Johnson/Kaltreider/Hu/Brannon/Ory (1991) untersuchten die Auswirkungen der
Betreuung von Menschen mit Inkontinenz auf Pflegepersonen in einem Pflegeheim. 156
Pflegepersonen aus allen Berufsgruppen der Pflege (registered Nurse, licensed practical
nurse, nursing assistens) wurden befragt. Yu et al. stellte fest, dass ein Drittel des
Pflegepersonals positive Gefühle für Betroffene mit Inkontinenz entwickelten. 50% der
befragten Pflegepersonen berichteten von Schuldgefühlen, die sie aufgrund ihrer
aufkommenden Gefühle bei der Versorgung von Inkontinenten empfanden. Diese
Gefühle wurden mit Ärger (42%), Ekel und Irritation (55%) sowie Frustration (63%)
54
beschrieben. 39 % der Pflegenden berichtete, dass sie ungern mit inkontinenten
Personen arbeiten (vgl. Yu et al. 1991, S.34ff).
Vinsnens/Harkless/Haltbakk/Bohm/Hunskaar (2001) führten eine Untersuchung mittels
„Inconticence Stress Questionnaire“ in Norwegischer Übersetzung in Pflegeheimen,
Einrichtungen der Hauskrankenpflege und Krankenhäusern durch. In dieser
Untersuchung wurde festgestellt, dass die negative Einstellungen zur Inkontinenz bei
Diplomierten Pflegepersonen in Akutbereichen wesentlich höher ist, als bei
PflegehelferInnen, die in Pflegeheimen mit inkontinenten BewohnerInnen konfrontiert
sind. Die AutorInnen berichten auch, dass Diplomierte Pflegepersonen in Pflegeheimen
negativer gegenüber Inkontinenz eingestellt sind als PflegehelferInnen im Akutbereich
(vgl. Vinsnens et al. 2001, S.464).
Die Auswirkungen von negativen Gefühlen bei der Arbeit mit inkontinenten Menschen
sollen zunächst wahrgenommen werden. Ebenso sollten die Emotionen der betroffenen
Personen Beachtung finden. Garcia/Crocker/Wyman (2005) empfehlen, über
aufkommenden Emotionen offen zu besprechen. Dabei sollte die Kommunikation von
Seiten des Pflegepersonals begonnen werden. Findet ein offenes Ansprechen der
Inkontinenz nicht statt, besteht auch keine Möglichkeit, durch gezielte Strategien damit
umzugehen (vgl. Garcia et al. 2005, S.38ff).
6.5 Kommunikation
Kommunikation begleitet uns von Beginn unseres Lebens bis zu dessen Ende. Sie
betrifft alle Bereiche unseres Umfeldes und umfasst somit nicht nur die direkte
Auseinandersetzung zwischen Menschen sondern alle Formen der Interaktion wie auch
die Auseinandersetzungen des Menschen mit sich selbst. Watzlawick weist darauf hin,
… dass „das »Material« jeglicher Kommunikation keineswegs nur Worte sind, sondern
auch alle paralingualen Phänomene (wie z.B. Tonfall, Schnelligkeit oder Langsamkeit
der Sprache, Lachen und Seufzen), Körperhaltung, Ausdrucksbewegungen
(Körpersprache) etc., innerhalb eines bestimmten Kontextes umfasst – kurz, Verhalten
jeder Art“ (Watzlawick et al. 2000, S.51)
6.5.1 Tabu und Kommunikation
Das Wort tabu bedeutet laut Duden (2004) „unantastbar, unerlaubt, untersagt,
unverletzlich, verboten (geh.): unstatthaft, verpönt“ (Duden 2004, Band 8).
55
James Cook brachte das Wort „Tabu“ etwa 1777, nach seiner dritten polynesischen
Expedition nach Europa (vgl. Zöllner 1997, S.15 in: Pantera 1999, S.4). Cook
beobachtete, dass bestimmte Objekte oder Dinge durch die Polynesier nicht berührt
oder betreten wurden. Sie wurden mit dem Begriff „ta pu“ (tabu) versehen. Es bedeutet
„intensiv gemerkt“ (Duden Bd. 8 2004). Bei den Naturvölkern bezog sich das Tabu auf
religiöse, magische oder rituelle Verbote und hatte dadurch eine Schutzfunktion, es
sollte die Menschen vor „Dämonen“ schützen. Ein Tabubruch – z.B. das Berühren eines
tabuisierten Gegenstandes war bei den Naturvölkern mit Bestrafung verbunden „der
Täter muß(te) also bestraft und die Gesellschaft von der Tat gereinigt werden“ (Balle
1990, in: Pantera 1999, S.4).
Das Wort „Tabu“ verbreitete sich in Europa sehr rasch, insbesondere im viktorianischen
England, welches sich durch strenge Abgrenzung des Privaten und Öffentlichen und mit
engen Ethik- und Moralvorstellungen auszeichnete. In Europa wurde bald das
Verborgene und Verbotene mit „Tabu“ assoziiert. Der Hauptunterschied zum
polynesischen Gebrauch des Wortes lag also in jenen Bereichen, über die man nicht
sprechen sollte oder durfte. Während die Naturmenschen sich davor fürchteten
Dämonen zu erzürnen, bezogen sich die Tabuthemen der Europäer vorwiegend auf die
Erregung von Angst, Aufsehen, Scham und Verletzung.
Der Begriff Tabu wird seit den 60er Jahren umgangssprachlich verwendet und wird für
alle Bereiche, Themen und Dinge benutzt, die verboten sind (vgl. Pantera, 1999, S.5).
Tabus sind in der Gesellschaft kaum explizit markiert. Vielmehr wird von allen Beteiligten
vorausgesetzt, das jeder weiß, was tabu ist. Tabubrüche gehen für die Betroffenen mit
Schuldgefühlen, Scham und Abscheu einher. In der heutigen Gesellschaft sind nach wie
vor Themen wie der Intimbereich des Menschen mit Tabus versehen. Insbesondere die
Generation der Menschen, die nun Pflege und Betreuung benötigt, ist den Tabus ihrer
Generation noch tief verhaftet.
6.5.2 Kommunikation in der Pflege
Pflege ist ein Tätigkeitsbereich, der von und durch Kommunikation geprägt ist. Bereits
bei der Begrüßung beginnt der Prozess des Kommunizierens. Pflegepersonen lernen im
Laufe ihrer Tätigkeit, Menschen umfassend wahr zu nehmen. Sie beobachten während
eines Gesprächs und stellen fest, ob der/die GesprächspartnerIn klar und deutlich, oder
ungenau, verwaschen spricht, sich orientiert oder desorientiert verhält, prüft bereits, ob
56
Mobilitätseinschränkungen zu beobachten sind. Sie sind fähig, mit Betroffenen eine
nonverbale Kommunikation einzugehen und erkennen deren Bedürfnisse.
Doch nicht in allen Pflegesituationen sind Pflegepersonen in der Lage, auf den/die
KlientIn einzugehen. Sympathie und Antipathie spielen bei Pflegepersonen ebenso eine
Rolle wie bei jedem anderen Menschen auch. Zudem kommen Situationen hinzu, die
durch Scham und Ekel geprägt sein können.
In der Kommunikation geht es nicht nur um das, was explizit ausgesprochen und implizit
mitgeteilt wird, sondern auch darum, was nicht gesagt wurde, was verschwiegen wurde.
Was KlientInnen nicht auszusprechen wagen und wonach Pflegende nicht fragen. Eines
dieser Themen ist z. B. die Harninkontinenz. Oft werden die Signale der Betroffenen von
Pflegepersonen nicht wahrgenommen, die Kommunikation zur Harninkontinenz gilt nach
wie vor als Tabu.
„Die Tabuproblematik macht deutlich, wie wichtig die kommunikative Kompetenz des
medizinischen Personals ist. Tabuisierungen in Medizin und Pflege werden … vor allen
in den folgenden Bereichen angenommen:
Der gesamte Bereich Intimität (Insbesondere Inkontinenz)
Sexualität (vor allem Sexualität im Alter und bei Behinderten)
Gewalt und Missbrauch
Bestimmte körperliche und seelische Erkrankungen (allem voran Sucht)
sowie
Tod und Sterben, wobei Suizid und Sterbehilfe wiederum eine besondere
Rolle spielen
Für die Bewältigung dieser Herausforderungen in der Interaktion zwischen
medizinischen Personal und Patient ist nicht zuletzt ein adäquates sprachlich-
kommunikatives Repertoire von großer Bedeutung. Bedeutungsvolles Schweigen des
Patienten will erkannt und verstanden werden, die darauf folgende temporäre
Tabuaufhebung durch ihn will gelernt sein und hängt nicht zuletzt von einer hohen
sprachlich – kommunikativen Kompetenz ab“ (Schröder 2009, S.175-178 zit. in: Panfil
2009, S.99).
Kommunikation gewinnt zunehmen an Bedeutung, insbesondere bei der Betrachtung
der weiteren Entwicklung unseres Gesundheitssystems. Im Mittelpunkt steht immer noch
der/die PatientIn, der/die sich aber schon zunehmend in den letzten Jahren zu einem
aufgeklärten und gut informierten, aktiv an der Gesundheit interessierten Menschen
entwickelt hat. Um auch den Bedarf an Wissen und Information der aufgeklärten und
57
häufig online gut informierten Betroffenen abdecken zu können, benötigen
Pflegepersonen in Zukunft nicht nur vermehrt Wissen zu ihren Handlungsfeldern,
sondern auch die Fähigkeit auf höchstem Niveau kommunizieren zu können.
Kummer (2008) untersuchte in einer geriatrischen Einrichtung das
Kommunikationsverhalten von Pflegenden mit inkontinenten Personen aus der Sicht der
Betroffenen. In der Analyse ihrer Ergebnisse stellte sie zwei Ausprägungen fest, wie
Inkontinenz angesprochen wird: Auf der einen Seite sprachen Betroffene, meist Frauen,
die Inkontinenz selbst an und forderten die notwendigen Hilfsmitteln ein. Auf der
anderen Seite sprachen die Pflegenden im Rahmen der Aufnahme die Kontinenz an.
Dabei erkundigten sich die Pflegenden hauptsächlich, ob Probleme beim Wasserlassen
vorliegen. Teilten die KlientInnen mit, dass eine Inkontinenz vorliegt, erhielten sie
Unterstützung durch das Pflegepersonal bei der Versorgung der Inkontinenz.
Die meisten InterviewpartnerInnen gaben jedoch an, dass Inkontinenz durch die
Pflegepersonen nicht weiter thematisiert wird.
In Bezug auf diese „Sprachlosigkeit“ zeichneten sich bei den Betroffenen folgende
Einstellungen ab:
(1) „selbständige Patienten hatten die konkrete Wunsch-Vorstellung und Hoffnung, dass
Pflegende im Laufe ihrer Aufenthaltes nachfragen. Eine Patientin äußerte „… das ist
schön, wenn sie darauf ein bisschen Rücksicht nehmen, ruhig mal nachfragen, ob
man zurecht kommt oder so was.“; negativ empfand diese Patientin die
selbstverständliche Annahme der Pflegenden, dass sie keiner Hilfe bedarf: „… sie
sind von mir gewöhnt, nicht gebraucht zu werden. … Ich denk´ manchmal kümmern
sie sich gar nicht drum, das ich das gemacht krieg.
(2) Zwei Personen ließen Resignation und Rückzug erkennen, äußerten keine
Erwartungen an die Kommunikation mit der Pflegenden, sondern konstatierten
stattdessen: „Was soll´n wir anders machen?“ – Ein Hinweis dafür, dass Pflegende
sie im Rahmen der aktivierenden Pflege nicht über mögliche Maßnahmen der
Förderung der Kontinenz informierten.
(3) Eine Patientin gab an, dass sie keinerlei Kommunikationsbedarf über die
Inkontinenz hat“ (ebd., in: Ahnis et al. S.69)
Zur Frage, was den KlientInnen im Gespräch über Inkontinenz wichtig ist, wurden am
häufigsten Aspekte der Kategorie „positive Grundhaltung und gegenseitige Achtung“
(z.B. respektvoller Umgang und Wertschätzung der Person, gute Ausdrucksformen)
geäußert. „Ebenso nennen sie Aspekte der Kategorie „professionelles Auftreten“,
darunter subsumieren sich z.B. eine verständliche Kommunikation sowie das Nicht-
58
Anmerken-Lassen von Zeitdruck und Unmut. Wichtig ist es außerdem, den Personen ein
Gefühl des Sich-Aufgehoben-Fühlens zu vermitteln“ (ebd., S.69). Kummer hält
zusammenfassend fest, dass Menschen mit Inkontinenz keine hohen Erwartungen an
eine Kommunikation mit Pflegepersonen haben. Sie stellen sich vor, grundlegende
Informationen zum Umgang mit der Inkontinenz zu erhalten und stellen nicht den
Anspruch, über komplexe Zusammenhänge der Inkontinenz informiert zu werden (vgl.
Kummer 2008 in: Ahnis et at. 2008, S.69).
7 Aufgaben von Pflegepersonen im Bereich Inkontinenz
Pflege muss im Kontext der pflegewissenschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre
insbesondere in Europa betrachtet werden. In diese Betrachtungen muss zunächst die
Ausbildung von Pflegepersonen mit der gesamten historischen Entwicklung fallen um
von dieser Grundlage ausgehend den Blick für die Entwicklungen der Zukunft zu öffnen.
7.1 Ausbildung zu Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen
(DGKP)
Die Ausbildung von Diplomierten Gesundheits- und Krankenpflegepersonen hat in
Österreich eine lange Tradition. Möglicherweise ist diese Tradition auch Ursache dafür,
dass Österreich neben Luxemburg und Deutschland zu den drei letzten Ländern der EU
gehört, die von einer universitären Grundausbildung der Pflege absehen.
7.1.1 Historischer Rückblick
In engem Zusammenhang mit der Entwicklung der professionellen Pflege stehen
Gesetze, welche die Pflegeausbildung und die Professionalisierung der Pflege geregelt
haben. Die erste nachweisliche Gesetzesgrundlage ist die „Verordnung des Ministers für
Innern vom 25.Juni 1914, betreffend der berufsmäßigen Krankenpflege“
(Reichsgesetzblatt für die im Reichsrate vertretenen Königreiche und Länder, Nr.139
(R.G.Bl.Nr.139/1914).
In diesem Gesetz war die Ausbildung mit 2 Jahren geregelt, ein Jahr wurde als Lehrjahr
definiert und die Auszubildenden wurden als SchülerInnen bezeichnet. Das zweite Jahr
59
war als Probejahr definiert und die Auszubildenden durften sich „ProbepflegerInnen“
nennen. Nach absolvierter Ausbildung samt Diplomprüfung wurde ihnen der Titel
„Diplomierte Krankenpflegerin“ verliehen.
Mit der Machtergreifung durch die Nazionalsozialisten 1938 wurde die Ausbildung auf
1,5 Jahre verkürzt, sie wurde vorwiegend in der Praxis absolviert und die
Berufsbezeichnung lautete „Krankenschwester“.
Erst im Jahr 1949 wurde die Ausbildung reformiert und auf 3 Jahre festgelegt. Nach
erfolgreicher Absolvierung samt Diplomprüfung wurde der Titel „Diplomierte
Krankenschwerster“ verliehen.
Im Laufe der Jahre erfolgten zwar verschiedene Reformen der Ausbildung der Pflege,
anders aber als in anderen europäischen Ländern wurde von einer universitären
Ausbildung abgesehen (vgl. Kozon/Walter 2006 in: Wundmanagement -
Pflegephaleristik 2006, S.11).
1997 glückte mit dem Gesundheits- und Krankenpflegegesetz – welches nun ein
eigenständiges Berufsgesetz für die Pflege darstellte, ein großer Wurf, mit welchem
Österreich in Europa bis heute die Vorreiterrolle inne hat. In keinem anderen Land in
Europa sind die eigenverantwortlichen und mitverantwortlichen Tätigkeiten der Pflege so
eindeutig geregelt.
7.1.2 Theoretische Ausbildung der Gesundheits- und Krankenpflege
Im Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG) in der jeweils gültigen Fassung ist
geregelt, dass die Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenschwester/-pfleger 4600
Stunden Theorie und Praxis umfasst und in drei Schuljahren vermittelt wird. Mindestens
die Hälfte der Stunden muss in der Praxis erfolgen, wobei die Aufteilung meist in 2000
Stunden Theorie und 2600 Stunden Praxis üblich ist. Als Ausbildungsstätten fungieren
Gesundheits- und Krankenpflegeschulen.
60
Die Theoretischen Lehrinhalte laut GuKG sind wie folgt festgelegt:
Unterrichtsfach
1. Jahr
2. Jahr
3. Jahr
Berufsethik und Berufskunde der Gesundheits- und Krankenpflege 40 20 20
Grundlagen der Pflegewissenschaft und Pflegeforschung 40 20 20
Gesundheits- und Krankenpflege 240 130 130
Pflege von alten Menschen 30 20
Palliativpflege 20 20 20
Hauskrankenpflege 20 20
Hygiene- und Infektionslehre 60
Ernährung, Kranken- und Diätkost 30
Biologie, Anatomie, Physiologie 100
Allg. und spezielle Pathologie, Diagnose und Therapie einschließlich komplementärmedizinische Methoden
120 130 110
Gerontologie, Geriatrie und Gerontopsychiatrie 30
Pharmakologie 20 20
Erste Hilfe, Katastrophen- und Strahlenschutz 30 10
Gesundheitserziehung und Gesundheitsförderung im Rahmen der Pflege, Arbeitsmedizin
20 20
Berufsspezifische Ergonomie und Körperarbeit 40 30 20
Soziologie, Psychologie, Pädagogik und Sozialhygiene 50 20 20
Kommunikation, Konfliktbewältigung, Supervision und Kreativitätstraining
40 40 40
Strukturen und Einrichtungen des Gesundheitswesens, Organisationslehre
10 20
Elektronische Datenverarbeitung, fachspezifische Informatik, Statistik und Dokumentation
20 20
Berufsspezifische Rechtsgrundlagen 20 20
Fachspezifisches Englisch 40 20 20
Gesamt 970 560 470
Abb. 12: Curriculum Krankenpflegeausbildung (vgl. KAV Wien 2011)
7.1.3 Theoretische Grundlagen und Auswirkungen auf die Praxis
Inkontinenz wird im Rahmen der Grundausbildung der Diplomierten Gesundheits- und
Krankenpflege im ersten Ausbildungsjahr im Gegenstand „Gesundheit- und
Krankenpflege“ abgehandelt. In den meisten Fällen wird kurz über die
Ausscheidungsmöglichkeiten bei bettlägerigen Personen gesprochen. Hier steht nach
wie vor die Unterstützung von Personen unmittelbar nach einer Operation im
61
Vordergrund. Als unterstützende Möglichkeiten werden in erster Linie die Bettschüssel
für die Frau und die Urinflasche für den Mann bearbeitet.
In anderen Gegenständen im zweiten und dritten Ausbildungsjahr wird der
Dauerkatheter besprochen. Der Einmalkatheterismus wird meist nur als diagnostische
Möglichkeit zur Harngewinnung bei Frauen erörtert. Die Katheterisierung eines Mannes
durch eine DGKS/P, ist nach wie vor in vielen Krankenhäusern in Österreich ein Tabu.
Kenntnisse zum Umgang mit Inkontinenz erlernen DGKS/P meist in der Praxis. Dabei
wird in erster Linie der Gebrauch von saugenden Inkontinenzprodukten gelehrt, in der
Praxis als „Windel“ benannt. Ein strukturiertes Vorgehen bei Inkontinenz erfolgt dabei
selten.
Müller (2011) beschreibt, dass Pflegende ältere und hochbetagte Menschen in
stationären Einrichtungen der Langzeitpflege häufig mit saugenden
Inkontinenzhilfsmitteln versorgten, obwohl diese gar nicht inkontinent waren. Sie
beschreibt auch die durchaus gängige Methode, bettlägerige Menschen vorsorglich mit
einer sogenannten „Doppelung“ von Hilfsmitteln (Grundversorgung ein geschlossenes
saugendes Inkontinenzsystem und in dieses wird zusätzlich eine Einlage gelegt) zu
versorgen. Als Motive für diese Art der Versorgung wurden „Personalengpässe,
Entzerrung von Arbeitsgipfeln, Bettlägerigkeit, Demenz, Kommunikationsprobleme der
BewohnerInnen, Ekel behaftete Pflegesituation oder gewaltbereite Verhaltensmuster der
zu Pflegenden beobachtet“ (Müller 2009 zit. in: Müller 2011, S.31). Für den häuslichen
Bereich wird häufig der Versorgungszeitrahmen angegeben. Die Betreuungspersonen
kommen am frühen Nachmittag zum letzen Mal und dann erst wieder am Morgen des
folgenden Tages. Manchmal spielt auch die Überforderung der Angehörigen eine Rolle.
Sie ekeln sich, die Versorgung durchzuführen und wollen, dass dies durch die
Hauskrankenpflege erfolgt.
7.2 Gesundheits- und Krankenpflegegesetz
Das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz hat 1997 nicht nur die Berufsrechte der
DGKS/P geregelt, sondern auch die Tätigkeiten in eigen-, mitverantwortlichen und
interdisziplinären Bereiche aufgeteilt. Durch diese gesetzliche Regelung erhielten
DGKS/P nicht nur mehr Verantwortung, sondern auch Kompetenzen. In der Folge sollen
diese Bereiche in Bezug auf die Inkontinenz genauer dargestellt werden.
62
7.2.1 Eigenverantwortlicher Tätigkeitsbereich gemäß § 14 GuKG
Die diplomierten Gesundheits- und Krankenpflege führt eigenverantwortlich Diagnostik,
Planung, Organisation, Durchführung und Kontrolle aller pflegerischen Maßnahmen
durch. Sie ist für die Durchführung der Beratung zu gesundheitsfördernden Belangen im
Bereich ihrer Tätigkeit zuständig, beteiligt sich an der Pflegeforschung und übernimmt
administrative Aufgaben (vgl. Weiss-Faßbinder/Lust 2010, S.87ff).
7.2.2 Mitverantwortlicher Tätigkeitsbereich gemäß § 15 GuKG
Paragraph 15 GuKG mit der Überschrift „Mitverantwortlichen Tätigkeitsbereich“ regelt
die Durchführung ärztlicher diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen nach
ärztlicher Anordnung (vgl. Weiss-Faßbinder/Lust 2010S.97ff).
Wie komplex diese Regelung ist, wird deutlich, bei genauerem hinsehen. Unter Punkt
fünf sind einige Tätigkeiten dargestellt, die DGKS/P unter ärztlicher Anordnung
durchführen können. Allein das Wort „insbesondere“ beinhaltet aber: diese Beispiele und
viele darüber hinaus gehende. In der Praxis ist damit oft erst eine zeitaufwendige
Abklärung mit pflegerischer und/oder ärztlicher Leitung von Einrichtungen notwendig.
Für den Bereich der Inkontinenz ist eindeutig festgehalten: „Setzen von transurethralen
Blasenkatheter zur Harnableitung“ (ebd., S.97ff).
Die/der DGKS/P übernimmt die Durchführungsverantwortung, die
Anordnungsverantwortung obliegt dem anordnenden Arzt. Die/der DGKS/P kann nur
jene ärztlichen Tätigkeiten übernehmen, die im Rahmen des Berufsbildes ausgeübt
werden dürfen, d.h. für die fachliche Kenntnisse zur Durchführung vorhanden sind.
Die/der DGKS/P muss sich vor Übernahme der Delegation vergewissern, dass sie/er
diese auch entsprechend dem aktuellen Stand des Wissens durchführen kann. Verfügt
sie/er nicht über Wissen und Fertigkeit, diese durchzuführen, hat sie/er die Delegation
abzulehnen und sich umgehend die Kenntnisse zur Durchführung anzueignen.
7.2.3 Interdisziplinärer Tätigkeitsbereich gemäß § 16 GuKG
Der interdisziplinäre Tätigkeitsbereich umfasst jene Bereiche, wo DGKS/P mit anderen
Berufsgruppen des Gesundheitswesens mittelbar zusammenarbeiten oder einzelne
Tätigkeitsbereiche ergänzend ineinander fließen.
Häufig übernimmt die/der DGKS/P dabei die Rolle der Koordination, stellt Kontakte her,
vereinbart Termine oder gemeinsame Besprechungen für Betroffene und/oder deren
Angehörige. Die/der DGKS/P trägt dabei die Durchführungsverantwortung für alle von
63
ihr in diesem Bereich durchgeführten pflegerischen Maßnahmen (vgl. Weiss-Faßbinder,
Lust 2010, S. 112ff).
7.3 Pflegefachliches Vorgehen
Auf der Grundlage verschiedener Pflegetheorien können in der Pflege vier Arten von
Wissen unterschieden werden – das empirische, ethische, persönliche und intuitive
Wissen (vgl. Panfil 2009, 24).
7.3.1 Empirisches Wissen
Empirisches Wissen ist jenes Wissen, das anhand von Studien erhoben und dargestellt
wird. Innerhalb der wissenschaftlichen Disziplinen werden diese losen Fakten logisch
zusammenhängend zu ordnen versucht. Ein Ordnungsmuster stellen Theorien dar.
Nach Meleis (1999) gibt es aber keine einheitliche Definition von Pflegetheorien (ebd.,
1999). Synonym zum Begriff Theorie werden auch Begriffe wie „Modelle“ verwendet.
Nach Meleis ist eine Theorie „der organisierte, in sich stimmige und systematische
Ausdruck einer Gruppe von Feststellungen, die sich auf wesentliche Fragen einer
Disziplin beziehen und als sinnvolles Ganzes mitgeteilt werden“ (ebd., S. 43). So
schaffen Theorien Ordnung, helfen das Denken zu organisieren und unterstützen die
Interpretation. In der Praxis unterstützen sie die systematische Sammlung von
Informationen, die für die pflegerischen Abläufe wichtig sind und unterstützen die
Entscheidungsfindung (vgl. Panfil 2009, S.24).
7.3.2 Ethisches Wissen
Unter Ethik versteht man die wissenschaftliche Betrachtung moralischer Fragen. Als
ethisches Pflegewissen kann jene Betrachtung innerhalb der Pflege bezeichnet werden,
die unabhängig von religiösen oder ideologischen Überzeugungen ist. Es hilft bei
pflegerischen Entscheidungen wie z.B. der Anwendung von dekubitusprophylaktischen
Maßnahmen bei dekubitusgefährdeten sterbenden Menschen oder bei der Versorgung
von Menschen, die an Inkontinenz leiden (vgl. Panfil 2009, S.24).
64
Arndt (1996 in: Panfil 2009) stellt drei spezifische Werte ethischen Pflegewissens vor:
1. Von der Dominanz zur Kooperation
Pflegerisches Handeln sollt aus dem gemeinsamen Denken und Handeln mit dem
Patienten entstehen. Pflegekräfte sollen versuchen, die besondere Bedeutung der
momentanen Krankheitserfahrung für den Patienten und seine Angehörigen zu
erfassen und deren Autonomie zu achten. Gemeinsames Handeln bedeutet von
Patienteninitiative geleitetes Handeln, d.h. gemeinsam Möglichkeiten zu
durchdenken und pflegerische Sachkenntnis und Erfahrung dort einzubringen, wo
sie sinnvoll und hilfreich ist.
2. Vom abstrakten Befund zur Gesamtsituation
Einbeziehen der gesamten Lebenssituation und der persönlichen Werte von
Patienten und deren Angehörigen. Dies bedeutet die „bewusste Abwendung von
abstrakt-objektiv beurteiltem Krankheitsgeschehen hin zu kontextgebundenem
Verstehen.“
3. Von helfender Autorität zum Fördern der Eigenverantwortung
Dies bedeutet, sich von der Überzeugung zu verabschieden, dem Patienten Gutes
tun zu wollen und daher auch zu wissen, was für ihn am beste sei. Arndt stellt
dazu die Frage: „Was wissen wir von den Interessen eines anderen Menschen?“
(Arndt, 1996 in: ebd., S.24).
7.3.3 Persönliches Wissen
Als persönliches Wissen wird jenes bezeichnet, welches sich Pflegefachkräfte im Laufe
ihrer beruflichen Laufbahn als berufliche Erfahrung angeeignet haben, aber es zählt
auch jenes Erfahrungswissen, welches privat erworben wurde. Nicht immer gelingt es,
die persönlichen Erfahrungen reflektiert zu betrachten.
„Das Handeln von Pflegeexperten basiert auf theoretischem und praktischem, d.h.
empirischem oder persönlichem Wissen. Das theoretische Wissen wird als das „Wissen,
das…“ („knowing that“) und das persönliche Wissen als „Wissen wie …“ („knowing how“)
verstanden“ (vgl. Panfil 2009, S.25)
7.3.4 Intuitives Wissen
Von Intuition im Bereich der Pflege kann dann gesprochen werden, wenn eine
Pflegefachkraft in einer bestimmten Situation die korrekte Handlung erkennt und diese
65
durchführt ohne dazu einen bewussten Prozess des Nachdenkens durchführen zu
müssen. Sie handelt auf Grund ihres Erfahrungswissens intuitiv richtig (vgl. Panfil 2009,
S.25).
7.4 Aufgaben von Pflegenden im Zusammenhang mit Inkontinenz
Die Therapieoptionen bei Harninkontinenz umfassen in erster Linie die Beseitigung oder
die Verringerung der Symptome. Personen, die an einer Harninkontinenz leiden, wollen
in erster Linie Informationen, die alltagstauglich sind. Dazu gehört die Information zum
Umgang mit Inkontinenzhilfsmittel, die Anleitung zum korrekten Gebrauch dieser, aber
mehr noch, wo sie zu erhalten sind und was sie kosten. Im weiteren Sinne sind
Informationen zu örtlichen WC-Anlagen wichtig oder Anleitung zur persönlichen Hygiene
(vgl. Braumann 2010, S.34).
Im interdisziplinäre Team – ÄrztInnen, Pflegende, PhysiotherapeutInnen und
PsychologInnen - informieren die jeweiligen Berufsgruppen die Betroffen über die
Harninkontinenz im Rahmen ihrer jeweiligen beruflichen Tätigkeit und Verantwortung
(vgl. Jeter/Wagner 1990; Palmer/Newmann 2006 in: Braumann 2010, S.14).
Im Rahmen der professionellen Betreuung durch Pflegepersonen muss Information,
Beratung und Aufklärung integriert sein (vgl. Weiss-Faßbinder/Lust 2009, S.76). Das Ziel
jeder pflegerischen Interaktion ist die Unterstützung der Selbstpflegefähigkeit von
Menschen mit Erkrankungen. Durch Information, Beratung und Aufklärung sollen
Menschen mit Harninkontinenz die Möglichkeit erhalten, eine selbstbestimmte
Entscheidung für den weiteren Therapieverlauf zu treffen. Somit werden von Pflegeden
neben psychologischem und pädagogischem Wissen auch Kenntnisse und
Kompetenzen in den Bereichen der Kommunikation, der Information, der Beratung und
Anleitung erwartet (vgl. Norwood 2002, S.44ff; van der Weide 2001; London 2003 in:
Braumann 2010, S.14).
„Information ist ein Teilbereich der Beratung (Beier 2002). Beratung ist eine
ergebnisoffener Problemlösungsprozess, der den Betroffenen mit Inkontinenz helfen
kann, Entscheidungen über Interventionen zu treffen, Entwicklung von
Selbstpflegekompetenzen zu fördern, auch Probleme eigenständig zu erkennen und
angemessen darauf zu reagieren“ (Norwood 2002; London 2003 zit. in: Braumann,
2010, S.14).
Braumann (2008) stellt die Forderung, dass die umfassende Information zur
Harninkontinenz ein Bestandteil der Betreuung und Versorgung von Menschen mit
Inkontinenz sein muss (vgl. ebd., in: Ahnis et al. 2008, S.68).
66
Seitzmair (2008) untersuchte die Akzeptanz professioneller Strategien gegen
Inkontinenz. Sie wählte ein qualitatives Design und untersuchte aus Betroffenensicht die
best practice Strategien. Dabei wurde für diese Studie best practice definiert als
Beratungsangebot für Betroffene, welche nach Abklärung des Kontinenzstatus ein
individuelles Therapieangebot annehmen konnten. Als Ergebnis wurde eine Relevanz
des offensiven Umgangs mit Inkontinenz deutlich. Für die Betroffenen wäre es wichtig,
in der pflegerischen Versorgung einen Rahmen zur erhalten, der es ihnen ermöglicht,
offen über ihr Problem Inkontinenz sprechen zu können (vgl. ebd., in: Ahnis et al. 2008,
S.68).
Damit Pflegepersonen der gesetzlichen Aufklärungs- und Informationspflicht zur
Inkontinenz auch nachkommen können, benötigen sie ausreichende Kenntnisse zu den
Ursachen, der Diagnostik und der Therapie der Harninkontinenz. Besonders gefordert
sind Pflegende in jenen Bereichen der psychosozialen Versorgung, die in erster Linie
durch sie abgedeckt werden soll und kann.
7.5 Kontinenz- und Stomaberatung
Kontinenz- und Stomaberatung ist ein spezielles Fachgebiet der Pflege, welches sich in
den 1950er Jahren entwickelt hat. Durch die Entwicklung neuer Operationverfahren in
der Bauchchirurgie wurden vermehrt Stomaanlagen (d.h. die Ausleitung von Darm über
die Bauchdecke) angelegt.
7.5.1 Die Entwicklung der Kontinenz- und Stomaberatung in Österreich
Den Bedarf einer speziellen Ausbildung von Pflegepersonen zur Betreuung von
Betroffenen mit einer Stomaanlage wurde 1957/-58 von Robert B. Turnbull, Chirurg an
der Cleveland Clinic in Ohio als erster erkannt. Er konnte eine seiner
StomapatientInnen, Norma N. Gill gewinnen, andere Betroffene in den Umgang mit dem
künstlichen Darmausgang zu schulen (vgl. Stoll-Salzer/Wiesinger 2005, S.51). Bereits
1961 gründeten die beiden die erste Ausbildungsstätte für „Enterostomatherapie“. Diese
Ausbildung wurde nicht nur von zahlreichen Pflegepersonen aus den USA oder Canada
besucht, bald nahmen auch EuropäerInnen daran teil und starteten ihrerseits mit
Ausbildungen in ihren jeweiligen Ländern. Die Ausbildungskriterien werden vom World
Council of Enterostoma Therapists (WCET) seit deren Gründung im Jahr 1978
empfohlen. Allerdings sollte noch einige Zeit vergehen, bis sich die Ausbildung zur
EnterostomatherapeutIn auch dem Thema Inkontinenz widmete.
67
Katherine Jeter beschäftigte sich als eine der ersten EnterostomatherapeutInnen auch
mit der Thematik Inkontinenz. Sie war tätig an der University Clinic of Spartanburg in
South Carolina. Sie unterrichtete an der University of Spartanburg und nahm
Incontinence als wichtiges Thema in die Ausbildung mit auf. 1990 veröffentlichte sie
gemeinsam mit Kolleginnen eines der ersten Bücher zur Pflege bei Harninkontinenz (vgl.
Jeter/Faller/Norton 1990). Jeter sorgte durch zahlreiche Veröffentlichungen und Vorträge
auf internationalen Kongressen dafür, dass der WCET schließlich die
Curriculumempfehlungen auch auf die Inkontinenz ausweitete.
In Wien wurde 1987 die erste Ausbildung zur Enterostomatherapie im
Fortbildungsinstitut der Gemeinde Wien am AKH Wien veranstaltet. Diese Ausbildung
enthielt als eine der ersten weltweit bereits ein umfassendes Spektrum zur Inkontinenz.
In Österreich wurde 1995 eine Sonderausbildung zur Kontinenz- und Stomaberatung in
Innsbruck ins Leben gerufen. Diese wurde nach Verabschiedung des Gesundheits- und
Krankenpflegegesetzes 1997 in eine Weiterbildung gemäß § 64 GuKG umbenannt.
Derzeit wird diese fachspezifische Ausbildung an drei Instituten in Österreich angeboten:
TILAK/Ausbildungszentrum West für Gesundheitsberufe in Innsbruck,
Akademie für Fortbildungen und Sonderausbildungen in Wien
SALK Salzburger Universitätsklinikum
Die Donau-Universität Krems bietet seit 2009 einen Universitätslehrgang Kontinenz- und
Stomaberatung an. Der erste Abschnitt umfasst das Certified Programm, der zweite
Abschnitt die Akademische ExpertIn. Das Master-Studienprogramm als dritter
Studienabschnitt befindet sich in der Planungsphase und soll als Abschluss die
Advanced Nursing Practice (ANP) bieten.
7.5.2 Die Kontinenz- und StomaberaterIn als PflegeexpertIn
Olbrich (2005) bezeichnet erfahrenes Pflegepersonal, welches in einem Spezialgebiet
der Pflege hohe Fachkompetenz, praktisches Know-how und soziale Kompetenz erlangt
hat, als PflegeexpertInnen (vgl. ebd., S. 11). PflegeexpertInnen verfügen über spezielles
Fachwissen auf einem oder mehreren Spezialgebieten der Pflege. Sie sind dadurch in
der Lage, bei Problemstellungen in der Praxis, die eine bestimmte Pflegeexpertise
erfordern, fachlich zu beraten. Die PflegeexpertIn wird zur Beratung oder Anleitung von
68
KollegInnen, Betroffenen und deren Angehörigen bei speziellen Pflegefragen
hinzugezogen (vgl. Spirig 2010, S.363f).
Die PflegeexpertIn lässt sich anhand folgender Kriterien beschreiben:
Es besteht ein Bedarf an einer PflegeexpertIn in einem bestimmten Spezialgebiet
Das Spezialgebiet ist fachlich der Pflege zuordenbar und entspricht den ethischen
Standards der Pflege
Die speziellen Pflegesituationen reichen über die allgemeine Pflegepraxis hinaus
Die Kenntnisse der PflegeexpertIn richten sich an bestimmte, definierte
Zielgruppen, mit bestimmten wiederkehrenden Problemen, für die die Pflege in
Theorie und Praxis zuständig ist.
Das Spezialgebiet der PflegeexpertIn ist der Bezugspunkt des speziellen
Fachwissens und der speziellen Handlungskompetenz. Das Know-how ist durch
Forschung ständig zu erweitern und zu verfeinern.
Das spezielle Fachwissen sollte auf Basis anerkannter Bildungs- und
Praxisstandards sowie erfahrungsbasiertem fachsystematischem
Vertiefungswissen im jeweiligen Spezialgebiet, im Rahmen einer anerkannten
Weiterbildung erworben werden und mit einer speziellen Berechtigung verbunden
sein.
PflegeexpertInnen sind organisiert bzw. in bestehenden Organisationsstrukturen
der Berufsgruppe verankert, ausgewiesen und werden von diesen repräsentiert
(z.B. Fachgesellschaften).
(vgl. ICN 2009, S.33)
Anhand dieser angeführten Kriterien sind KontinenzberaterInnen eindeutig
PflegeexpertInnenn. Um das noch zu unterstreichen, wurde ein Aufgabenkatalog erstellt.
Dieser Aufgabenkatalog versucht das fachspezifische Feld von KontinenzberaterInnen
darzustellen. Aufgrund ihrer speziellen Kenntnisse und Fertigkeiten sind sie in der Lage,
Betroffene, deren Vertrauenspersonen sowie KollegInnen zur beraten und zu begleiten.
Sie können frühklinische Zustandsveränderungen anhand ihrer speziellen Kenntnisse
erkennen und entsprechende Maßnahmen einleiten (vgl. Ackermann 2004, S. 6). Als
PflegeexpertInnen können sie ihr Wissen situationsgerecht anwenden, Werte
wahrnehmen und adäquat handeln (vgl. Olbrich 2005, S.10).
Der Aufgabenkatalog ist in einen pflegerischen und in einen strukturellen
Tätigkeitsbereich unterteilt; wobei diese beiden Tätigkeitsbereiche entsprechend dem
Gesundheits- und Krankenpflegegesetz in "eigenverantwortlich", "mitverantwortlich" und
"interdisziplinär" untereilt wurden (vgl. Meyer 2009, S.21f)
69
Pflegerischer Tätigkeitsbereich
Eigenverantwortlicher
Tätigkeitsbereich
Mitverantwortlicher
Tätigkeitsbereich
Interdisziplinärer Tätigkeitsbereich
Assessment
Identifiziert Risikofaktoren einer Inkontinenz oder eine Inkontinenz
Identifiziert Fähigkeiten und Ressourcen der Betroffenen im
Umgang mit ihrer Erkrankung
Auf Wunsch der Betroffenen Einbeziehung von Vertrauenspersonen
(schriftl. Vermerk in der Pflegedokumentation)
Informiert die Betroffenen und ggf. deren Vertrauenspersonen über
die Ergebnisse der pflegerischen Einschätzung
Mitwirkung bei diagnostischen Maßnahmen
Teilnahme am ärztlichen Gespräch mit den Betroffenen
und ggf. deren Vertrauensperson
Austausch der anamnestischen Informationen mit den
behandelnden Ärzten, und ggf. anderen
Berufsgruppen
Planung Plant mit den Betroffenen individuelle Ziele und Maßnahmen
anhand des festgelegten Kontinenzprofils
Planung der Schulungsphase, die sich an den Bedürfnissen und
Fähigkeiten der Betroffenen (ggf. der Vertrauenspersonen) orientiert
Fachlich qualifizierte und kontinuierliche Beratung von Betroffenen
und ggf. deren Vertrauenspersonen
Durchführung der medizinisch therapeutischen
Maßnahmen
Koordiniert Termine bei FachärztIn, Physiotherapie,
etc. falls erforderlich oder gewünscht
Koordiniert interdisziplinäre Fallbesprechungen
Durchführung
Anleitung und Beratung aller am Pflegeprozess beteiligten Personen
Stärkung der Selbstpflegekompetenz der Betroffenen und der
Pflegekompetenz von Vertrauenspersonen durch Schulungen,
Informationen, Begleitung und Beratungen
Anleitung und Begleitung der Betroffenen beim selbständigen
Anwenden der erforderlichen Therapie/Versorgung zur
Kontinenzförderung, z. B. Anleitung und Schulung von ISK
Mitwirkung bei ärztlichen Aufklärungs-gesprächen
Mitwirkung bei therapeutischen Maßnahmen
Durchführung von delegierten ärztlichen Maßnahmen,
wie z.B. Überwachung der Medikation, Intermittierender
Einmalkatheterismus, etc.
Fachlicher Austausch mit ÄrztInnen,
SozialarbeiterInnen, Physio-, ErgotherapeutInnen,
DiätologInnen etc.
Beratung Beratung der Betroffenen bei der Auswahl der erforderlichen
Inkontinenzhilfsmittel
Informationstransfer in Form von Pflegebriefen
Organisation der erforderlichen Inkontinenzhilfsmittel Kontakt zu Bandagisten, zur Selbsthilfegruppe, und
ggf. zu extramuralen Einrichtungen etc.
Gesundheits-
beratung
Beratung und Begleitung von Betroffenen und ggf. deren
Vertrauenspersonen zu Lebensqualität, Ernährung, Sexualität,
Beruf, Freizeit, Schwangerschaft, etc.
Austausch mit DiätologInnen, PhysiotherapeutInnen,
etc.
Evaluierung Überprüfung ob die geplanten Maßnahmen zur gewünschten
Pflegewirkung führten
Abb. 13: Pflegerischer Tätigkeitsbereich (Darstellung nach Meyer 2010)
70
Struktureller Tätigkeitsbereich
Eigenverantwortlicher
Tätigkeitsbereich
Mitverantwortlicher
Tätigkeitsbereich
Interdisziplinärer Tätigkeitsbereich
Qualitätsmanagement Implementierung und Evaluierung der Umsetzung von nationalen
und internationalen Guidelines
Mitgestaltung und Umsetzung von neuen Pflegekonzepten und
Pflegetheorien in die Praxis
Mitgestaltung an der Entwicklung interner
Sollprozesse und Umsetzung dieser im eigenen
Arbeitsfeld
PatientInnensicherheit und
Pflegequalität
Identifizierung von Verbesserungspotentialen innerhalb der
pflegerischen Handlungsabläufe
Anleitung, Begleitung und Überwachung bei Abweichungen der
festgelegten Qualitätskriterien
Austausch mit allen Berufsgruppen des
Gesundheitswesens
Berichtswesen Erstellung einer jährlichen Zielplanung welche mit Vorgesetzten
besprochen wird
Erstellung von laufenden Berichten auf Grundlage der Zielplanung
Besprechungskreise mit Vorgesetzten, Stationen,
ärztlichen Teams, etc.
Ökonomie Entwicklung von Instrumenten zur Darstellung der ökonomischen
Leistungen, sowie zur Darstellung der Effizienz (Auslastung,
Kosteneffizienz)
Ökonomischer und ökologischer Umgang mit Versorgungsartikeln
im Sinne der Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit, sowie die
Einbindung dieser Kenntnisse in den Beratungsprozess
Besprechungskreise mit mittelbar Vorgesetzten,
Wirtschaftsabteilung, etc.
Austausch mit Wirtschaftsabteilung, Anbietern,
Krankenkassen, etc.
Mitwirkung an Forschung
und Entwicklung
Mitwirkung an Pflegeforschung, Mitgestaltung von neuen
Hilfsmitteln und Umsetzung von theoretischen Kenntnissen in die
Praxis
Durchführung von Anwendungsbeobachtungen neu entwickelter
Produkte und adäquate Dokumentation dieser
Austausch von Erfahrungen mit Betroffenen, anderen
Berufsgruppen im Gesundheitswesen,
Krankenkassen, Industrie, etc.
Wissensmanagement Konzepte zur Edukation von Personen, die am Pflegeprozess
teilnehmen, entwickeln und Schulungen durchführen
Zusammenarbeit mit Schulen, Fort- und Weiterbildungsinstituten
Austausch mit KollegInnen, Fort- und
Weiterbildungsinstituten, etc.
Öffentlichkeitsarbeit
Präsentation der Institution nach innen und außen in Form von
Vorträgen, Seminaren und Beiträgen in Fachmedien
Mitwirkung an nationalen und internationalen Veranstaltungen zur
Weiterentwicklung der Kontinenz- und Stomaberatung
Einbeziehen der Strukturen zur Öffentlichkeitsarbeit
der Institution in der die Kontinenz- und
StomaberaterIn tätig ist
Abb. 14: Struktureller Tätigkeitsbereich (eigene Darstellung)
71
7.6 Advanced Nursing Practice - ANP
Die Bezeichnung Advanced Nursing Practice (ANP) wurde in den USA bereits im 19.
Jahrhundert für spezielle Pflege verwendet. Ab der Mitte des 20. Jahrhunderts wurde der
Begriff auf immer mehr Spezialbereiche der Pflege ausgedehnt. Gegen Ende des letzten
Jahrhunderts erfolgte die Implementierung in allen Arbeitsfeldern der Pflege (vgl.
Schobesberger 2005, S.58).
Laut International Council of Nurses (ICN) versteht man unter ANP “… eine examinierte
Pflegekraft mit Grundausbildung, die Expertenwissen erworben hat, komplexe
Entscheidungen treffen kann und über klinische Kompetenzen für eine erweiterte
Pflegepraxis verfügt, wobei deren Merkmale vom Kontext und/oder Land bestimmt werden,
in dem die Pflegekraft ihre Arbeitserlaubnis erworben hat. Als Zugang wird ein Mastertitel
empfohlen” (Schober/Affara, 2008, S.51).
“Mit ANP wird die Praxis von universitär ausgebildeten und praxiserfahrenen Pflegenden
umschrieben, die sich in einem bestimmten Fachgebiet spezialisieren. Die Pflege dieser
Spezialistinnen ist auf Einzelpersonen, Familien und Gruppen mit spezifischen
gesundheitlichen Problemen ausgerichtet” (Spirig/De Geest, 2004, S.233).
In den USA wurde die Ausbildung von ANP bereits in den 1960er Jahren auf Masterniveau
durchgeführt. Ihr Einsatz erfolgte in Zusammenhang mit einer zunehmenden Verknappung
von HausärztInnen in den Regionen (vgl. Caprio 2006; Small 1994 in:
Zúniga/Jenni/Wiesli/Schwendimann 2011, S.376). Im Jahr 2003 waren in den USA 100.000
ANPs tätig.
ANP spezialisieren sich auf die Gesundheitsprobleme einer bestimmten KlientInenngruppe
bzw. eines relevanten Fachgebietes. Sie erheben Assessements, führen bestimmte
klinische Untersuchungen durch, und können, je nach Tätigkeitsfeld und gesetzlichen
Bestimmungen, auch Medikamente verordnen. Sie unterstützen Betroffene beim
Selbstmanagement, z.B. bei chronischen Erkrankungen, beraten in komplexen
Pflegesituationen die Pflegeteams. Sie schulen die Pflegeteams in die Umsetzung von
evidenzbasierten Pflegeverfahren und fördern so die Qualitätssicherung des jeweiligen
Bereiches (vgl. Zuniga et al. 2011, S.376).
ANPs verfügen nicht nur über die Kenntnisse und Fertigkeiten einer PflegeexpertIn,
sondern darüber hinaus noch über folgende Kennzeichen:
„Expertise in einem spezifischen Feld der Pflege,
Fachführungsfähigkeiten im Sinne von Clinical Leadership,
Interprofessionelle Zusammenarbeit
72
Wissenschaftliche Methoden und Forschungsumsetzungsfähigkeiten,
Konsultationen in komplexen Pflegesituationen und
Ethische Entscheidungsfindungsfähigkeiten“
(Hamric./Spross/Hanson zit. in: Spirig 2010, S.363)
Das Arbeitsfeld der ANP ist abhängig von der gesellschaftspolitischen Ausrichtung des
jeweiligen Landes. Dies kann im stationären Bereich, im ambulanten Bereich oder in
stationären Einrichtungen der Langzeitpflege stattfinden. Die Praxiskompetenz der ANP
listet sich wie folgt:
verfügt über die Kompetenz, eine umfassendes Assessment durchzuführen, auf
dessen Grundlage eine Diagnose zu stellen und einen Maßnahmenplan zu erstellen,
diesen in die Praxis umzusetzen und zu evaluieren
setzt die erworbenen Kenntnisse und die speziellen Fähigkeiten in komplizierten,
aufwändigen Situationen ein
schätzt Situationen richtig ein und ist in der Lage, Entscheidungen zu treffen
dokumentiert ihre Handlungen, kontrolliert und evaluiert gemeinsam mit den
KlientInnen die Behandlung und deren Auswirkungen
verordnet Behandlungen und geht dabei nach den vorhandenen Richtlinien vor
überweist an andere Gesundheitsfachleute und akzeptiert im Gegenzug deren
Überweisungen, um die Betreuungskontinuität zu gewährleisten
übt die Tätigkeit im Interesse aller unabhängig von anderen praktizierenden
Organisationseinheiten aus
konsultiert und arbeitet mit anderen Gesundheitsfachleuten zusammen
arbeitet nach aktuellen wissenschaftlichen, evidenzbasierten Kriterien und evaluiert
diese
bedient sich der Forschung um ihre Kompetenz, Effektivität zu verbessern
übernimmt die Verantwortung über eigene Entscheidungen und Handlungen
übernimmt Führungs- und Managementaufgaben, um in einem sich verändernden
Gesundheitswesen erweiterte Pflegeleistungen anbieten zu können
tritt für die Rechte und Interessen der KlientInnen im Gesundheitssystem ein
(vgl. Schober/Affara 2008, S.75ff)
Zúniga et al. (2011) beschreiben die positiven Auswirkungen einer ANP in der Praxis.
Dabei sind nicht nur die ökonomischen Aspekte interessant, sondern die
Beratungstätigkeiten der ANP führten zu vergleichsweise besseren Resultaten bei
BewohnerInnen von Pflegeheimen.
73
„In verschiedenen Beobachtungsstudien (Capezuti/Wagner/Brush/Boltz/Renz/Talerico
2007; Rask/Parmelee/Taylor/Green/Brown/Hawley 2007) und einer quasi-experimentellen
Untersuchung (Evans/Strumpf/Allen-Taylor/Capezuti/Maisling/Jacobsen 1997) wurde
aufgezeigt, dass Schulungen in Kombination mit bewohnerzentrierten Beratungen durch
ANPs der Einsatz von Bettgittern und anderen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen
reduzierten, ohne dass dadurch vermehrt Stürzte auftraten oder höhere Kosten entstanden“
(Zúniga et al. 2011, S.376). In diesen Arbeiten konnte auch belegt werden, dass die
Pflegeheime, die eine ANP angestellt hatten, signifikant bessere Ergebnisse im Bereich
Inkontinenz, Dekubitusentstehung oder aggressives Verhalten der BewohnerInnen
aufwiesen. Die AutorInnen führen das auf die gezielte Schulung der Pflegeteams durch die
ANP zurück. Die Verbesserung der klinischen Ergebnisse in den oben genannten
Bereichen wurde durch die Einführung von Pflegestandards erreicht, dessen
Implementierung durch eine ANP begleitet und laufend evaluiert wurde (vgl. ebd., S.377).
Im ICN Rahmenmodell „ICN Nursing Care Continuum Framework and Competencies“
(2008) wurde auf Grundlage einer weltweiten Analyse der in der Pflege tätigen
Berufsgruppen ein Rahmenmodell für die Kompetenzen dieser erstellt. Dabei werden die
Berufsgruppen von der Unterstützungs-/Hilfskraft bis zur ANP betrachtet (vgl. ICN 2008,
S.6).
Im Folgenden wurde versucht, die Kompetenzen der Pflegeberufe für den Bereich
Kontinenzförderung auf Grundlage des ICN Rahmenmodells zu erstellen. Die DGKS/P
entspricht dabei der „registered Nurse“, die KontinenzberaterIn mit einer Weiterbildung
nach GuKG § 64 entspricht in dieser Darstellung der „Specialist Nurse“ und die ANP ist ein
hoffentlich bald realisierbares Modell für Österreich.
74
Kompetenzen im Bereich der Kontinenzförderung
Registered Nurse Kompetenzen
(DGKS/P)
Nurse Specialist Kompetenzen
(Kontinenz- und StomaberaterIn)
Advanced Nurse Practitioner
(ANP)
Erfasst im Rahmen der pflegerischen Anamnese Risikofaktoren und
Anzeichen einer Inkontinenz (wie körperliche und kognitive
Einschränkungen, Alter, Erkrankungen wie MS, Schlaganfall, etc.)
strukturiert und systematisch
Erfasst im Rahmen der pflegerischen Anamnese
Risikofaktoren und Anzeichen einer Inkontinenz (wie
körperliche und kognitive Einschränkungen, Alter,
Erkrankungen wie MS, Schlaganfall, etc.) strukturiert und
systematisch
Prüft ergänzende Erhebungsinstrumente und implementiert
diese, falls sie eine sinnvolle Ergänzung zur verwendeten
Pflegeanamnese /Grundassessment sind. Ist an Forschung und
Entwicklung von Erhebungsinstrumenten beteiligt.
Holt eine medizinische Diagnose ein. Zieht für das vertiefende Inkontinenz-Assessment, insbesondere zur Ersteinschätzung der Inkontinenz, eine pflegerische SpezialistIn hinzu
Führt anhand von evidence based practice (EBN) einen Einschätzung der Inkontinenz durch und holt die medizinische Diagnose ein.
Prüft Klassifikationen für die Einschätzung von Inkontinenz, implementiert diese und stellt der Praxis eine Leitlinien zur Anwendung dieser zur Verfügung.
Ist an Forschung und Entwicklung von Klassifikationen beteiligt.
Plant unter Einbeziehung der Specialist Nurse Maßnahmen zur Kontinenzerhaltung oder –förderung und ggf. zur Kompensation einer Inkontinenz.
Plant Maßnahmen zur Kontinenzerhaltung oder –förderung und ggf. zur Kompensation einer Inkontinenz.
Evaluiert anhand wissenschaftlicher Methoden Systematik und Auswirkungen der angeordneten Maßnahmen, beteiligt sich an deren Entwicklung und Forschung und leitet erforderliche Anpassungen (Struktur, Prozess, Ergebnis) ein.
Koordiniert die inter- und intraprofessionelle Versorgung und gewährleistet eine hygienische und fachgerechte Inkontinenzersorgung sowie die kontinuierliche Umsetzung des Maßnahmenplans
Koordiniert die inter- und intraprofessionelle Versorgung und gewährleistet eine hygienische und fachgerechte Inkontinenzversorgung sowie die kontinuierliche Umsetzung des Maßnahmenplans
Erarbeitet im interprofessionell besetzten Team Sollprozesse zur Versorgung von Menschen mit Inkontinenz und implementiert diese in der Organisationseinheit.
Schult unter Hinzuziehung der SpezialistIn zur Inkontinenz und fördert die Fähigkeiten der Betroffenen und ggf. deren Angehöriger zum Umgang mit geeigneten therapeutischen und/oder prophylaktischen Maßnahmen.
Sie unterstützt bei der Kontaktaufnahme mit anderen Einrichtungen (z.B. Selbsthilfegruppen, Raucherentwöhnung, Bewegungsförderung Gewichtsreduktion,…)
Schult zur Inkontinenz und fördert die Fähigkeiten der Betroffenen und ggf. deren Angehöriger zum Umgang mit geeigneten therapeutischen und/oder prophylaktischen Maßnahmen.
Sie unterstützt bei der Kontaktaufnahme mit anderen Einrichtungen (z.B. Selbsthilfegruppen, Raucherentwöhnung, Bewegungsförderung Gewichtsreduktion,…)
Plant und erstellt Schulungsprogramme für Betroffene und deren Angehörige zur Inkontinenz. Entwickelt geeignete Schulungsunterlagen und stellt Schulungsmaterial (Poster von Organen, Hilfsmittel, etc.) zur Verfügung.
Beforscht den Beitrag der Pflege im Rahmen des gesundheitsbezogenen Selbstmanagements und sorgt dafür, dass die Forschungsergebnisse in der klinischen Praxis Anwendung finden.
Prüft und beurteilt unter Einbeziehung einer SpezialistIn in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit aller Maßnahmen und nimmt in Absprache mit allen an der Versorgung Beteiligten ggf. Änderungen vor.
Prüft und beurteilt in regelmäßigen Abständen die Wirksamkeit aller Maßnahmen und nimmt in Absprache mit allen an der Versorgung Beteiligten ggf. Änderungen vor.
Führt mittels wissenschaftlich fundierter Instrumente zur Evaluierung der Versorgung von Menschen mit chronischen Wunden regelmäßig Überprüfungen durch und passt ggf. die Verfahrensregelung an.
Abb. 15: Kompetenzen im Bereich der Kontinenzförderung entsprechen dem ICN Modell (vgl. ICN Framework of Competencies for the Nurse Specialist 2008)
75
8 Zusammenfassung
Die vorliegende Arbeit versucht aufzuzeigen, wie Pflegepersonen an das Thema
Inkontinenz herangeführt werden. Im Rahmen der dreijährigen Ausbildung zur/m DGKS/P
wird Inkontinenz kaum behandelt. Vielmehr ist es den LehrerInnen der Gesundheits- und
Krankenpflege überlassen, ob und wie viele Unterrichtseinheiten für theoretische
Bearbeitung des Themas Inkontinenz verwendet werden. SchülerInnen/StudentInnen der
Gesundheits- und Krankenpflege werden häufig erst im Rahmen ihrer praktischen
Ausbildung an den Umgang mit Inkontinenz herangeführt. Die praktische
Herangehensweise an das Thema Inkontinenz ist wiederum geprägt von Ritualen und
Erfahrungen. Pflegepersonen werden wenig bis gar nicht an den Umgang mit dem Ekel-
und Schamgefühl geschult. Vielmehr ist Ekel zwar ein zentrales Gefühl, das Pflegende im
Umgang mit Ausscheidungen befällt, doch der offene Umgang damit wird nach wie vor
tabuisiert. Noch immer herrscht in der Praxis der veraltete Standesdünkel vor,
„Pflegepersonen dürfen sich vor nichts ekeln“.
In verschiedenen Forschungsarbeiten wurde aufgezeigt, dass Pflegende, insbesondere in
Einrichtungen der Langzeitpflege, sehr häufig mit Inkontinenz konfrontiert sind. Es wurde
deutlich aufgezeigt, dass sich diplomierte Pflegefachkräfte egal in welchen Settings,
wesentlich mehr vor dem Umgang mit Inkontinenz ekeln, als PflegehelferInnen. Das lässt
vermuten, dass sich PflegehelferInnen im praktischen Umgang mit inkontinenten Personen
Wissen zur Inkontinenz angeeignet haben, das es ihnen ermöglicht, Strategien für den
Umgang damit zu entwickeln. Zu diesen Strategien scheint auch eine Form der
Kommunikation zu gehören, denn die PflegehelferInnen entwickelten in der Studien von
Vinsnens et al. (2001) freundliche und verständnisvolle Gefühle für die Betroffenen (vgl.
ebd., S.464).
Yu et al. (1991) und Vinsnens et al. (2001) stellten in ihren Untersuchungen fest, dass es
besser ausgebildeten Pflegepersonen im Umgang mit Inkontinenz schlechter geht als
weniger gut ausgebildeten Pflegepersonen (vgl. Yu et al. 1991, S.34ff; Vinsnens et al.
2001, S. 464). Sie entwickeln negative Gefühle für Menschen, die inkontinent sind, auch
von aggressiven Gefühlen wird berichtet. Scham und Ekel spielen dafür eine
entscheidende Rolle. Gefühle durch Ekel hervorgerufen, belasten die Beziehung zwischen
Pflegepersonen und Betroffenen. Die Betroffenen werden bemüht sein, sich nichts
anmerken zu lassen, sie fühlen sich peinlich berührt und ziehen sich zurück. Die
Pflegepersonen wären gefordert, die mögliche peinliche Situation nun aktiv anzusprechen.
Meist sind aber Pflegepersonen damit selbst überfordert.
76
Strategien zur Vermeidung von peinlichen Situationen im Umgang mit inkontinenten
Menschen sind gefordert. Pflegepersonen benötigen dazu vermehrt Wissen zur Entstehung
und zum Umgang mit Inkontinenz. Ein gezieltes Vorgehen, z.B. durch ein Assessment, in
dem strukturiert Fragen zum Ausscheidungsverhalten gestellt werden, kann Pflegenden
und Betroffenen helfen, eine peinliche Situation erst gar nicht entstehen zu lassen.
Betroffene können äußern, welche Hilfsmittel sie benötigen, oder es wird gemeinsam nach
einer Strategie zum Umgang mit der Inkontinenz gesucht. Pflegepersonen können in
manchen Einrichtungen auf eine PflegeexpertIn zurückgreifen und diese zur speziellen
Beratung der Betroffen und deren Angehörigen einladen.
Pflegepersonen ignorieren das Thema Inkontinenz, da sie über zu wenig Wissen dazu
verfügen, um damit professionell umzugehen. Sie neigen auch dazu, aufkommende
Ekelgefühle nicht anzusprechen. Damit wird ausgeschlossen, Inkontinenz mit den
Betroffenen offen zu besprechen. Vielmehr verstärkt die unbewusste Abwehrhaltung
gegenüber dem Thema Inkontinenz durch die Pflegepersonen die Sprachlosigkeit der
Betroffenen. Damit Inkontinenz samt Gefühlen wie Ekel und Scham von Pflegepersonen
thematisiert werden kann, benötigen sie bereits in der Grundausbildung, neben einer
theoretischen Grundlange zur Inkontinenz selbst, eine fundierte Basis an
Kommunikationsstrategien. Darüber hinaus sollten diese Strategien in der laufenden
Berufspraxis aufgefrischt und ergänzt werden.
Die Frage „Wie gehen Pflegepersonen mit Inkontinenz um“ kann aufgrund der sehr kargen
Forschungslage zum Thema nicht wirklich beantwortet werden. Vielmehr wurde, auch
untermauert durch die vorliegenden Studien, deutlich, wie wichtig es wäre, fundierte
Forschung zum Umgang von Pflegepersonen mit schwierigen, auch mit Ekel verbundenen
Pflegephänomenen durchzuführen.
Pflegeeinrichtungen sind gefordert, Strategien für Teams zu entwickeln, um einen
gesunden Umgang mit Ekel- und Schamgefühlen an die Tagesordnung zu rücken. Diese
Strategien (vgl. Pernlocher-Kügler, 2003 S.261ff) wären ein wichtiger Ansatz für die
betriebliche Gesundheitsförderung. Die Unterstützung dieser Strategien wie auch die
fachliche Beratung von Teams oder Betroffenen könnte durch eine KontinenzberaterIn
erfolgen. Diese PflegeexpertInnen sind durch ihre spezielle Weiterbildung mit der
Komplexität der Inkontinenz vertraut (siehe Tätigkeitskatalog) und können
lösungsorientierte Strategien anbieten, entwickeln und mögliche Handlungsabläufe
implementieren.
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86
10 Abkürzungsverzeichnis
Abb. Abbildung
AKH Allgemeines Krankenhaus
ANP Advanced Nursing Practice
Aufl. Auflage
DGKS diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester
DGKP diplomierter Gesundheits- und Krankenpfleger
d.h. das heist
ECET European Council of Enterostomal Therapists
ebd. ebenda
ect. ecetera
et al. et alii/aliae/alia (und andere [Autoren])
GuKG Gesundheits- und Krankenpflegegesetz
Hrsg. Herausgeber
ICS International Continence Society
Tab. Tabelle
SALK Salzburger Landeskliniken
TILAK Tiroler Landeskrankenanstalten
vgl. vergleiche
WCET World Council of Enterostomal Therapists
z.B. zum Beispiel
87
11 Abbildungsverzeichnis
Abb. 1: Expertenstandard „Kontinenzförderung in der Pflege (DNQP 2007) .........................17
Abb. 2: Erhebung der Kontinenzanamnese (eigene Darstellung) .........................................23
Abb. 3: Miktionsprotokoll (eigene Darstellung) ......................................................................28
Abb. 4: Kontinenzprofile (DNQP 2007, S.35) ........................................................................30
Abb. 5: Einschätzen des Kontinenzprofils (nach Boguth 2010) .............................................31
Abb. 6: Schematische Zuordnung der Items zu den Faktoren nach Faktorenanalyse
(Braumann 2010, S. 88) .......................................................................................................40
Abb. 7: Kosten Harninkontinenz (vgl. Wulf 2009, in: Perabo/Müller 2009 S.27) ....................44
Abb. 8: Abstufung von Ekelempfindungen (nach Sowinski 1991 in: Fischer 2006, S.9) .......48
Abb. 9: Direkte Reaktionen auf Ekelgefühle (Ringel 2003, S.40) ..........................................50
Abb. 10: Indirekte Reaktionen auf Ekelgefühle (Ringel 2003, S.43ff) ....................................51
Abb. 11: Teufelskreis von Ekel- und Schamempfindungen (nach Fischer 2006, S.11) .........52
Abb. 12: Curriculum Krankenpflegeausbildung (vgl. KAV Wien 2011) ..................................60
Abb. 13: Pflegerischer Tätigkeitsbereich (Darstellung nach Meyer 2010) .............................69
Abb. 14: Struktureller Tätigkeitsbereich (eigene Darstellung) ...............................................70
Abb. 15: Kompetenzen im Bereich der Kontinenzförderung entsprechen dem ICN Modell
(vgl. ICN Framework of Competencies for the Nurse Specialist 2008) ..................................74
Abb. 16: Vertiefende Inkontinenzanamnese (eigene Darstellung) ........................................90
Abb. 17: Einfaches Miktionsprotokoll (eigene Darstellung) ...................................................92
Abb. 18: Blasenentleerungsprotokoll (eigene Darstellung) ...................................................93
88
12 Erklärung
Ich erkläre an Eides statt, dass ich vorliegende Abschussarbeit selbständig und ohne fremde
Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt und die
benutzen Quellen als solche kenntlich gemacht habe.
Juni 2011
89
13 Anhang
Erklärung der Anwendung des Formulars Inkontienezanamnese:
Das Formular Inkontinenzanamnese beinhaltet 20 Fragen zu Risikofaktoren und Anzeichen
für eine Harninkontinenz. Die Fragen 1-15 fragen differenziert und konkret nach Anzeichen
für eine Harninkontinenz, die Fragen 16-20 erfassen die wichtigsten Risikofaktoren für eine
Harninkontinenz. Die Spalte „trifft zu / Anzahl“ dient dazu pro Frage mit ja oder nein zu
antworten oder eine konkrete Zahl einzutragen.
Beispiel:
Wie ist die Häufigkeit der Miktion? => Antwort: 5-6 x täglich
Die Spalte „Bemerkungen“ dient dazu die Antworten zu konkretisieren.
Beispiel:
Wie ist die Häufigkeit der Miktion? => Antwort: 5-6 x täglich => Miktionsfrequenz nimmt zum
Abend hin ab
Die drei folgenden Spalten beinhalten ein Datum und Handzeichen. Hier wird eingetragen,
wer die Erhebung vorgenommen hat und wann.
90
Inkontinenzanamnese
Nr. Fragen Anzahl / Trifft zu Bemerkung
Dat. / Hdz. 1.-7.
Tag
Datum / Hdz. 6
Wo. Anzahl / Trifft zu Bemerkung
Datum / Hdz. 6 Mon.
1 Häufigkeit der Miktion?
2 Welche Harnmengen gehen ab?
3 Besteht nächtliches Einnässen?
4 Zeitpunkt des Beginns der Harninkontinenz bekannt?
5 Häufigkeit der Harninkontinenz?
6 Verwendun g von Vorlagen?
7 Verwendung von Hilfsmitteln, welche?
8 Sind Vorlagen beim Toilettengang nass?
9 Anwendungsprobleme beim Hilfsmittel oder Vorlagen?
10 Probleme beim Gang zur Toilette?
11 Passende Kleidung, saubere Kleidung vorhanden?
12 Fehlverhalten bei der Miktion erkennbar?
13 Probleme mit der persönlichen Hygiene?
14 Persönliche Einstellung zur Harninkontinenz?
15 Werden die sanitären Einrichtungen genutzt?
16 Besteht die Abnahme der geistigen und körperlichen Leistungsfähigkeit?
17 Erkrankungen wie Apoplex, MS, Parkinson, Demenz oder Diabetes?
18 Harnwegsinfektionen in der Vergangenheit?
19 Sind Obstipation oder Adipositas vorhanden?
20 Liegen Veränderungen der Prostata vor?
festgelegtes Kontinenzprofil:
Ziel Kontinenzprofil und abzuleitende Maßnahmen:
Abb. 16: Vertiefende Inkontinenzanamnese (eigene Darstellung)
91
Erklärung zum Führen eines Miktionsprotokolls
Wie ist ein Miktionsprotokoll zu führen?
Der/die Betroffenen sucht die Toilette auf
Der Harn wird in einem Messbecher aufgefangen
Die exakte Ausscheidungsmenge wird in das Miktionsprotokoll eingetragen, jeweils in
die Spalte, in der die Ausscheidungszeit angegeben ist.
Die Flüssigkeitsmenge, die im Verlauf des Tages getrunken wird, wird ebenfalls exakt
aufgezeichnet.
Wann protokollieren?
Um zuverlässig und genau zu sein, sollte das Miktionsprotokoll sofort beim Auftreten eines
Ereignisses und nicht erst am Ende des Tages aus dem Gedächtnis, ausgefüllt werden. Dabei
kann der Ort, an dem das Miktionsprotokoll gelagert wird, einen Einfluss darauf haben, mit
welcher Wahrscheinlichkeit dies geschieht. Obwohl stets daran gedacht werden sollte, dass es
Verlegenheit hervorrufen kann, wenn ein Miktionsprotokoll offen sichtbar herumliegt, ist es
unter manchen Umständen am besten, es im Badezimmer oder direkt bei KlientInnen in einer
Tasche oder Handtasche aufzubewahren. Befindet sich der/die KlientIn im Aufenthaltsraum
und liegt die Toilette ganz in der Nähe, so wird ein Miktionsprotokoll am Bett oder im
Stationszimmer viel leichter vergessen oder zumindest erst nach einer gewissen Zeit
ausgefüllt.
92
Abb. 17: Einfaches Miktionsprotokoll (eigene Darstellung)
93
Abb. 18: Blasenentleerungsprotokoll (eigene Darstellung)
94