Laschets Lockdown Das Tönnies-Debakel zwingt zu drastischen
Schritten. S. 6, 14
G 02531 NR. 119 PREIS 3,30 €
Dax 12 517,16 +2,07 %
S&P 500 3 144,96 +0,87 %
Gold 1 767,74 $ +0,76 %
· Boris Johnson lockert Coro-
na-Regeln: Auf den 4. Juli wer- den sich viele Briten freuen – dann
nämlich enden zahlreiche Einschränkungen, die Großbri- tanniens
Premierminister Boris Johnson im Zuge der Corona- Pandemie verhängt
hatte. Die Lockerungen gelten aber vor- erst nur im englischen
Landes- teil. Schottland sowie Wales entscheiden erst noch selbst-
ständig. Seite 7
· Die Erholung in der deut-
schen Wirtschaft hat begon-
nen: Zwar bleibt die Unsicher- heit über die weitere Pandemie-
Entwicklung hoch. Doch den schlimmsten Teil der Corona- Rezession
hat Deutschland überwunden, meinen zumindest die Wirtschaftsweisen
in ihrer neuen Konjunkturprognose. Seite 8
· Rätselraten um Thieles Pläne
bei der Lufthansa: Die Unruhe vor der alles entscheidenden
Hauptversammlung von Luft- hansa am morgigen Donnerstag wächst.
Auch ein Gespräch mit dem Finanz- und dem Wirt- schaftsminister in
Berlin brachte am Montag offenbar keine Klar- heit, welche Ziele
der Münche- ner Unternehmer und Lufthan- sa-Großaktionär Heinz
Hermann Thiele verfolgt. Seite 16
· Apple trennt sich von Intel:
Der amerikanische Konzern wird künftig bei seinen Mac- Computern
auf Prozessoren des
amerikanischen Chipher- stellers Intel verzich-
ten. Der iPhone-Pro- duzent will sich da- mit vom Rest der
PC-Branche abset-
zen. Für Intel ist die Apple-Entscheidung
ein herber Verlust. Seite 20
· Furcht vor Chinas Technolo-
giemacht: Die prominente In- vestorin Nicole Junkermann sorgt sich
wegen der wachsen- den technologischen Macht der Volksrepublik und
der verpass- ten Chancen in Europa. Die Angst vor einer
Corona-Pleite- welle von Start-ups hält sie aber für unbegründet.
Seite 28
Der Leverkusener Konzern einigt sich in den USA außergerichtlich
mit Tausenden von Glyphosat-Klägern. Nicht nur die Börse reagiert
euphorisch.
Bayer vor Milliardenvergleich
Bayer-Chef Werner Baumann: Acht bis zehn Milliarden Euro für
juristischen Frieden.
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S eit fast zwei Jahren belasten Tausende von Klagen wegen des
Unkrautvernichters Gly- phosat Stimmung und Bilanzen der Bayer AG.
Nun will der Leverkusener Konzern sich endlich von dem schweren
Erbe durch den
Zukauf des Glyphosat-Produzenten Monsanto freikau- fen. So etwas
kostet bisweilen viel Geld. Noch in dieser Woche soll eine Einigung
über einen milliardenschwe- ren Vergleich mit den Glyphosat-Klägern
verkündet werden, erfuhr das Handelsblatt aus Kreisen der Ver-
handlungspartner sowie des Unternehmens.
Demnach liegt eine unterschriftsreife Einigung vor, über die noch
der Bayer-Aufsichtsrat beraten und ab- stimmen muss. Das soll in
den kommenden Tagen erfolgen, wie es in den Kreisen weiter heißt.
Bayer wollte sich auf Anfrage nicht äußern. Die Höhe des Vergleichs
soll zwischen acht und zehn Milliarden Dollar betragen. Zwei
Milliarden Dollar davon gelten als „Rücklage“, mit der Bayer die
Ansprüche künfti- ger Kläger begleichen kann. Mit dem Rest sollen
die gesamten in den USA anhängigen Klagen von Nut- zern des
umstrittenen Unkrautvernichters beigelegt werden. Über 50.000
Menschen hatten das glypho- sathaltige Mittel Roundup zuletzt für
ihre Krebser- krankung verantwortlich gemacht.
Die Vergleichssumme liegt im Rahmen der Erwar- tungen der meisten
Analysten und deutlich unter der zunächst befürchteten Summe von 15
bis 20 Mil- liarden Euro. Am Dienstag reagierte der Aktienkurs mit
einem deutlichen Sprung nach oben: Bayer-Titel stiegen um sechs
Prozent auf 72,50 Euro. Mit der Ei- nigung könnte Bayer endlich ein
leidiges und teures Kapitel abschließen, das mit der Übernahme von
Monsanto vor zwei Jahren begonnen hatte. Mit dem 63 Milliarden
Dollar schweren Kauf halsten sich die Deutschen auch die kompletten
Rechtsrisiken des umstrittenen Saatgutkonzerns auf.
Anders als mit einem Vergleich hätte der Konzern nach drei
Niederlagen vor US-Gerichten die Klagewel- le kaum noch beenden
können. Der Vorstand um CEO Werner Baumann bleibt aber unter Druck:
Er muss das Geschäft auf Hochtouren halten, damit Bay- er die
Milliarden für die Kläger und deren Anwälte schnell vergessen kann.
Bert Fröndhoff, Katharina Kort
Erste Verhaftung bei Wirecard Ex-Chef Braun stellte sich den
Ermittlern – und darf auf Kaution wieder raus.
Der langjährige Wirecard-Chef Markus Braun ist im Zuge des
Bilanzskandals bei dem Zahlungsdienstleister vorübergehend
festgenommen worden. Wie die Staatsan- waltschaft München erklärte,
hat Braun sich selbst gestellt. Er habe „in einem ers- ten Gespräch
seine Mitarbeit zugesagt“, er- klärte Oberstaatsanwältin Anne
Leiding.
Am Dienstag wurde der Haftbefehl gegen Auflagen außer Vollzug
setzt. Konkret wirft die Staatsanwaltschaft Braun vor, die
Bi-
lanzsumme und das Umsatzvolumen „durch vorgetäuschte Einnahmen aus
Ge- schäften“ aufgebläht zu haben, um das Un- ternehmen als
„finanzkräftiger und für In- vestoren und Kunden attraktiver
darzustel- len“. Braun war am Freitag von seinem Chefposten
zurückgetreten. Am Montag hatte Wirecard erklärt, man gehe davon
aus, dass eine zunächst als vermisst gemel- dete Summe von 1,9
Milliarden Euro – ein Viertel der Bilanzsumme –
wahrscheinlich
nie existiert hat. Teile des Asiengeschäfts könnten Luftbuchungen
gewesen sein.
Im Zuge des Skandals steigt der Druck auf die Finanzaufsicht.
Bundesfinanzminis- ter Olaf Scholz (SPD) sagte, es stellten sich
„kritische Fragen“ im Fall Wirecard, „insbe- sondere mit Blick auf
die Rechnungslegung und die Bilanzkontrolle. Hier scheinen
Wirtschaftsprüfer wie Aufsichtsbehörden nicht effektiv gewesen zu
sein.“ feho, scc
MITTWOCH, 24. JUNI 2020
DEUTSCHLANDS WIRTSCHAFTS- UND FINANZZEITUNG
Spione im Homeoffice Wie Unternehmen ihre Mitarbeiter mit
Schnüffel-Software ausspähen. S. 18
Zug um Zug Grafik des Tages: Europas
beste Bahnhöfe. S. 24
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23 31
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t.me/whatsnws
Meinung & Debatte Wirtschaft & Politik / S. 12 Leitartikel
Fake in Germany: Erst VW, jetzt Wirecard: Die Betrugsskandale im
Dax schaden der deutschen Wirtschaft. Kommentar Vorbild Gütersloh:
Der loka- le Lockdown markiert den Weg in unse- re neue
Normalität.
Unternehmen & Märkte / S. 22 Leitartikel Corona verändert die
Ener- giewelt: Die Chance zur Rettung des Weltklimas muss jetzt
genutzt werden.
Unternehmen & Märkte
Finanzen & Börsen
Namen & Nachrichten
Wirtschaft & Politik
Kiran Mazumdar-
Klartext in Corona-
Zeiten / Seite 44 Die mehrfache Milliardärin wettert gegen das
Versagen des Gesundheitssystems in In- dien.
S. 45/ Robert Buchbauer Die Geschäfte beim öster- reichischen
Kristallkonzern Swarovski laufen schlecht. Der CEO will nun noch
600 Arbeitsplätze beim Traditi- onskonzern streichen und die
Kurzarbeit verlängern. S. 46/ Ulrich Spiesshofer
Beim Schweizer Technolo- giekonzern ABB musste der damalige Chef im
vergange- nen Jahr nach einem Macht- kampf gehen. Nun heuert er bei
der Investmentgesell- schaft Black stone an. S. 47/
Frank Kracht Der Bürger- meister von Sassnitz ist Ge-
sellschafter des Hafens von Mukran und damit in die geopolitische
Konfrontation um die Pipeline Nord Stream 2 geraten. Er be-
fürchtet Sanktionen der Vereinigten Staaten.
+ BusinessLounge / S. 47
gegebenen Versprechen, für
und führen zu stetig
Analyst
Aktienwert
Empfehlung
50,24 €
60,00 €
Kaufen
Aktien von Heidelberg Cement profitieren von einer Kaufempfehlung
der französi- schen Großbank Société Générale. Zuvor hatte sie
Papiere des Dax-30-Konzerns nur mit „halten“ bewertet. Das Kursziel
wurde indes von 68 auf 60 Euro gesenkt. Die Ergebnisse des
Zementher- stellers zeigten sich in Krisen- zeiten als
widerstandsfähig, zudem seien die Aktien attraktiv bewertet, hieß
es zur Begründung. Die Papiere leg- ten um etwa vier Prozent
zu.
Analystencheck
tionaler Währungsfonds
legen Konjunkturdaten
vor: Nachdem am Dienstag der Sachverständigenrat in Deutschland Mut
gemacht hat für eine schnelle Erholung der Wirtschaft, legen nun
zwei weitere Stellen ihre Ein- schätzung zur konjunkturel- len Lage
vor: Das Ifo-Institut veröffentlicht seinen Ge- schäftsklimaindex,
für den das Institut Unternehmen nach ihren Erwartungen be- fragt.
Der Index soll möglichst früh Änderungen bei der Konjunktur
anzeigen. Derzeit ist jeder Hinweis auf den Ver- lauf der
Konjunktur in den nächsten Monaten willkom- men, denn die Prognosen
lie- gen weit auseinander. Mög- lich scheint eine längere
Schwächephase der Wirt- schaft, aber auch ein schnel- les Erholen
und Wettmachen der Verluste aus den ersten beiden Quartalen. Der
Inter- nationale Währungsfonds IWF wiederum veröffentlicht seinen
Weltwirtschaftsaus- blick. Dieser soll Auskunft da- rüber geben, ob
die Konjunk- turprogramme weltweit dazu geeignet sind, die
Wirtschaft wieder anzuschieben. Das hat für die exportorientierten
deutschen Unternehmen di- rekte Auswirkungen.
2 In München lädt die
Sixt SE zu ihrer ersten
virtuellen Hauptver-
sammlung: Die Coronakrise hat Deutschlands größten Autovermieter
schwer getrof- fen. Sixt braucht Hilfe vom Staat. Das Unternehmen
hat sich deshalb im Mai eine bis zu 1,5 Milliarden Euro schwere
Kreditlinie von der staatlichen Förderbank KfW und vier Ge-
schäftsbanken besorgt. 70 Prozent – also 1,04 Milliarden Euro –
davon kommen von der KfW. Heute will Mehr- heitsaktionär Erich Sixt
erklä- ren, wie es beim Autovermie- ter weitergeht.
3 Standortkonferenz des
Wirtschaftsministeri-
ums: Wo steht Deutschland in Bezug auf sei- ne industrierelevanten
wirt- schaftlichen Rahmenbedin- gungen im internationalen
Vergleich? Das ist die Leitfra- ge einer Analyse, die im Rah- men
der Standortkonferenz 2020 des Bundeswirtschafts- ministeriums
(BMWi) vorge- stellt wird. Auch wird das BMWi erste Maßnahmen aus
der Industriestrategie 2030 vorstellen, die sich in der Um- setzung
befinden oder be- reits umgesetzt wurden. Wirtschaftsminister Peter
Alt- maier diskutiert dazu mit Ver- tretern von Wirtschaftsver-
bänden, Gewerkschaften und Politik.
4 Die zweite Berliner
und Sicherheit:
Deutschlands Außenminister Heiko Maas, die stellvertre- tende
Generalsekretärin der Vereinten Nationen, Amina J. Mohammed, und
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian eröffnen die virtuelle
Konferenz zu Klima und Si- cherheit. Deutschland über- nimmt im
Juli dieses Jahres erneut den Vorsitz im Sicher- heitsrat der
Vereinten Natio- nen. Neben den Auswirkun- gen von Pandemien auf
die internationale Sicherheit wird es auch um die Sicherheitsri-
siken infolge des Klimawan- dels gehen.
Roche
................................................................................34
SAP
....................................................................................34
Swarovski
.........................................................................45
Tönnies
..........................................................................6,
15
Volkswagen
.......................................................................21
Wirecard
...........................................................................23
Handelsblatt-Debatte
Kreuzfahrtindustrie vor langem Weg aus der Krise
Das Kreuzfahrtgeschäft ist unter dem Eindruck der Pandemie nahezu
vollständig zum Erliegen gekommen. Die Unternehmen versuchen jetzt,
die Gäste wieder an Bord zu locken. Dies dürfte meiner Ansicht nach
schwierig werden. Corona-Infektionen scheinen gerade in beliebten
Kreuzfahrtregionen wie der Karibik und Mittelamerika noch nicht
unter Kontrolle zu sein. Ferner macht sich die Angst vor einer
zweiten Anste- ckungswelle breit. Im Zuge der allgemeinen
Markterholung haben auch die Aktien der Kreuzfahrer wieder
zugelegt. Deutsche-Bank-Analys- ten meinen allerdings, dass
Investoren zu viele Vorschusslorbeeren ver- teilt haben. Nach
Berechnungen der Experten werden die Firmen selbst im Jahr 2023 die
Umsatz- und Gewinnniveaus von 2019 noch nicht wieder erreicht
haben. Für ein Investment scheint es mir noch zu früh zu
sein.
Inhalt 1
Anzeige
Anzeige
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t.me/whatsnws
Meinung & Debatte Wirtschaft & Politik / S. 12 Leitartikel
Fake in Germany: Erst VW, jetzt Wirecard: Die Betrugsskandale im
Dax schaden der deutschen Wirtschaft. Kommentar Vorbild Gütersloh:
Der loka- le Lockdown markiert den Weg in unse- re neue
Normalität.
Unternehmen & Märkte / S. 22 Leitartikel Corona verändert die
Ener- giewelt: Die Chance zur Rettung des Weltklimas muss jetzt
genutzt werden.
Unternehmen & Märkte
Finanzen & Börsen
Namen & Nachrichten
Wirtschaft & Politik
Kiran Mazumdar-
Klartext in Corona-
Zeiten / Seite 44 Die mehrfache Milliardärin wettert gegen das
Versagen des Gesundheitssystems in In- dien.
S. 45/ Robert Buchbauer Die Geschäfte beim öster- reichischen
Kristallkonzern Swarovski laufen schlecht. Der CEO will nun noch
600 Arbeitsplätze beim Traditi- onskonzern streichen und die
Kurzarbeit verlängern. S. 46/ Ulrich Spiesshofer
Beim Schweizer Technolo- giekonzern ABB musste der damalige Chef im
vergange- nen Jahr nach einem Macht- kampf gehen. Nun heuert er bei
der Investmentgesell- schaft Black stone an. S. 47/
Frank Kracht Der Bürger- meister von Sassnitz ist Ge-
sellschafter des Hafens von Mukran und damit in die geopolitische
Konfrontation um die Pipeline Nord Stream 2 geraten. Er be-
fürchtet Sanktionen der Vereinigten Staaten.
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und führen zu stetig
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Aktienwert
Empfehlung
50,24 €
60,00 €
Kaufen
Aktien von Heidelberg Cement profitieren von einer Kaufempfehlung
der französi- schen Großbank Société Générale. Zuvor hatte sie
Papiere des Dax-30-Konzerns nur mit „halten“ bewertet. Das Kursziel
wurde indes von 68 auf 60 Euro gesenkt. Die Ergebnisse des
Zementher- stellers zeigten sich in Krisen- zeiten als
widerstandsfähig, zudem seien die Aktien attraktiv bewertet, hieß
es zur Begründung. Die Papiere leg- ten um etwa vier Prozent
zu.
Analystencheck
tionaler Währungsfonds
legen Konjunkturdaten
vor: Nachdem am Dienstag der Sachverständigenrat in Deutschland Mut
gemacht hat für eine schnelle Erholung der Wirtschaft, legen nun
zwei weitere Stellen ihre Ein- schätzung zur konjunkturel- len Lage
vor: Das Ifo-Institut veröffentlicht seinen Ge- schäftsklimaindex,
für den das Institut Unternehmen nach ihren Erwartungen be- fragt.
Der Index soll möglichst früh Änderungen bei der Konjunktur
anzeigen. Derzeit ist jeder Hinweis auf den Ver- lauf der
Konjunktur in den nächsten Monaten willkom- men, denn die Prognosen
lie- gen weit auseinander. Mög- lich scheint eine längere
Schwächephase der Wirt- schaft, aber auch ein schnel- les Erholen
und Wettmachen der Verluste aus den ersten beiden Quartalen. Der
Inter- nationale Währungsfonds IWF wiederum veröffentlicht seinen
Weltwirtschaftsaus- blick. Dieser soll Auskunft da- rüber geben, ob
die Konjunk- turprogramme weltweit dazu geeignet sind, die
Wirtschaft wieder anzuschieben. Das hat für die exportorientierten
deutschen Unternehmen di- rekte Auswirkungen.
2 In München lädt die
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virtuellen Hauptver-
sammlung: Die Coronakrise hat Deutschlands größten Autovermieter
schwer getrof- fen. Sixt braucht Hilfe vom Staat. Das Unternehmen
hat sich deshalb im Mai eine bis zu 1,5 Milliarden Euro schwere
Kreditlinie von der staatlichen Förderbank KfW und vier Ge-
schäftsbanken besorgt. 70 Prozent – also 1,04 Milliarden Euro –
davon kommen von der KfW. Heute will Mehr- heitsaktionär Erich Sixt
erklä- ren, wie es beim Autovermie- ter weitergeht.
3 Standortkonferenz des
Wirtschaftsministeri-
ums: Wo steht Deutschland in Bezug auf sei- ne industrierelevanten
wirt- schaftlichen Rahmenbedin- gungen im internationalen
Vergleich? Das ist die Leitfra- ge einer Analyse, die im Rah- men
der Standortkonferenz 2020 des Bundeswirtschafts- ministeriums
(BMWi) vorge- stellt wird. Auch wird das BMWi erste Maßnahmen aus
der Industriestrategie 2030 vorstellen, die sich in der Um- setzung
befinden oder be- reits umgesetzt wurden. Wirtschaftsminister Peter
Alt- maier diskutiert dazu mit Ver- tretern von Wirtschaftsver-
bänden, Gewerkschaften und Politik.
4 Die zweite Berliner
und Sicherheit:
Deutschlands Außenminister Heiko Maas, die stellvertre- tende
Generalsekretärin der Vereinten Nationen, Amina J. Mohammed, und
Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian eröffnen die virtuelle
Konferenz zu Klima und Si- cherheit. Deutschland über- nimmt im
Juli dieses Jahres erneut den Vorsitz im Sicher- heitsrat der
Vereinten Natio- nen. Neben den Auswirkun- gen von Pandemien auf
die internationale Sicherheit wird es auch um die Sicherheitsri-
siken infolge des Klimawan- dels gehen.
Roche
................................................................................34
SAP
....................................................................................34
Swarovski
.........................................................................45
Tönnies
..........................................................................6,
15
Volkswagen
.......................................................................21
Wirecard
...........................................................................23
Handelsblatt-Debatte
Kreuzfahrtindustrie vor langem Weg aus der Krise
Das Kreuzfahrtgeschäft ist unter dem Eindruck der Pandemie nahezu
vollständig zum Erliegen gekommen. Die Unternehmen versuchen jetzt,
die Gäste wieder an Bord zu locken. Dies dürfte meiner Ansicht nach
schwierig werden. Corona-Infektionen scheinen gerade in beliebten
Kreuzfahrtregionen wie der Karibik und Mittelamerika noch nicht
unter Kontrolle zu sein. Ferner macht sich die Angst vor einer
zweiten Anste- ckungswelle breit. Im Zuge der allgemeinen
Markterholung haben auch die Aktien der Kreuzfahrer wieder
zugelegt. Deutsche-Bank-Analys- ten meinen allerdings, dass
Investoren zu viele Vorschusslorbeeren ver- teilt haben. Nach
Berechnungen der Experten werden die Firmen selbst im Jahr 2023 die
Umsatz- und Gewinnniveaus von 2019 noch nicht wieder erreicht
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Bert Fröndhoff, Katharina Kort Düsseldorf, New York
A uf den ersten Blick ist die Reaktion merkwürdig: Voraussichtlich
acht bis zehn Milliarden Dollar muss Bayer bezahlen, damit der
Konzern die Gly- phosat-Klagewelle in den USA per au-
ßergerichtlichem Vergleich beilegen kann – und die Aktionäre als
Eigentümer feiern diesen Geldabfluss mit Kurssprüngen bei der
Aktie.
Doch den Konzern und seine Aktionäre verbin- det in diesem Fall
eines: Sie wollen nach vorn schauen und die Last des Rechtsrisikos
Glyphosat loswerden. Nachdem Bayer im August 2018 in ei- nem
wegweisenden Urteil von einer kalifornischen Jury zu einer Zahlung
von 289 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt wurde, hat der
Konzern mehr als 30 Prozent an Wert verloren. Die Rechts- risiken
durch die Übernahme von Monsanto lagen wie Blei auf dem Aktienkurs.
Nun rechnen die Ak- tionäre kühl: Acht bis zehn Milliarden Dollar
sind viel Geld, aber verkraftbar für die substanzstarke Bayer AG –
und weit weniger als anfangs befürchtet.
Nach Verhandlungen über ein Dreivierteljahr mit den Klägeranwälten
soll es nun so weit sein. Ein unterschriftsreifer Vertrag über eine
außergericht- liche Einigung liegt vor. Sie soll noch in dieser Wo-
che festgezurrt werden, wie das Handelsblatt aus Kreisen der
Verhandlungspartner und des Unter- nehmens erfuhr. Der Aufsichtsrat
soll in den nächs- ten Tagen über den Vergleich abstimmen.
Mit der Einigung könnte Bayer vorerst ein leidi- ges und teures
Kapitel abschließen, das mit der Übernahme von Monsanto vor zwei
Jahren begon- nen hat. Die Leverkusener hatten den umstrittenen
Saatgutkonzern für 63 Milliarden Dollar gekauft und sich damit auch
die kompletten Rechtsrisiken eingefangen. Vor allem der
Unkrautvernichter Roundup hat Tausende Kläger auf den Plan geru-
fen, die ihre Lymphom-Erkrankungen auf den Ge- brauch des beliebten
Mittels zurückführen.
Mehr als 50.000 Klagen lagen zuletzt vor. Um sie beizulegen, will
Bayer bis zu acht Milliarden Dollar bereitstellen. Weitere zwei
Milliarden Dollar gelten als „Rücklage“, mit der Bayer die
Ansprüche künf- tiger Kläger begleichen kann. Schließlich können
Kunden auch in der Zukunft Krebs entwickeln und gegen Bayer klagen.
Die Ansprüche dieser Men- schen würden dann aus der Rücklage
bedient.
Mit der bevorstehenden außergerichtlichen Eini- gung kommen die
seit Spätsommer 2019 laufenden Gespräche zu einem Ende. Sie hatten
sich zuletzt wegen der Corona-Pandemie hingezogen. Hinzu kam, dass
zunächst nicht alle großen Klägerkanz- leien in den USA der
Einigung zustimmten. Das ist nun aber offenbar der Fall, denn es
handelt sich den Kreisen zufolge um eine landesweite
Einigung.
Vergleich statt Endlosprozesse Zum Zeitpunkt der Übernahme im Juni
2018 lagen erst vergleichsweise wenige Klagen von krebskran- ken
Amerikanerinnen und Amerikanern gegen Monsanto vor. Bayer setzte in
der dann beginnen- den Auseinandersetzung mit den Klägeranwälten
zunächst auf eine harte Verteidigungsstrategie vor Gericht. Sie
fußte darauf, dass Zulassungsbehörden in den USA, Europa und Asien
Glyphosat als sicher eingestuft haben und keinen Beleg für eine
Krebs- gefahr durch den Unkrautvernichter sehen.
Doch damit kam Bayer zur eigenen Überra- schung vor den Jurys in
drei Prozessen zwischen August 2018 und Mai 2019 nicht durch. Dort
wur- den Studien vorgelegt, die bei Jury und Richtern Zweifel an
der Sicherheit des Produkts nährten.
Auch die Überprüfung der Geschworenenurteile durch die Gerichte in
erster Instanz fiel nicht nach der Vorstellung von Bayer aus. Die
Richter senkten zwar die horrend hohen Schadensersatzsummen – im
dritten Prozess sollte Bayer nach dem Willen der Jury zwei
Milliarden Dollar an die beiden Klä- ger zahlen. An dem
grundsätzlichen Urteil, nach dem Glyphosat eine signifikante
Ursache für die Krebserkrankungen trage, rüttelten sie aber nicht.
Nach drei klar verlorenen Prozessen zeichnete sich
ab, dass Bayer mit seiner Argumentation in erster Instanz vor
Gericht nicht erfolgreich ist.
Im Frühsommer 2019 wechselte Bayer die Strate- gie und ließ sich
auf Gespräche mit den Klägeran- wälten über eine außergerichtliche
Beilegung ein. Angelockt von den hohen Schadensersatzurteilen war
die Zahl der Klagen zu dem Zeitpunkt bereits auf mehr als 18.000
gestiegen.
Der Schwenk von Bayer kam allerdings nicht frei- willig. Zum einen
machten Investoren wie der US- Hedgefonds Elliott Druck. Zum
anderen hatte ein Richter aus San Francisco im Mai 2019 den
erfahre- nen Mediator Kenneth Feinberg eingesetzt, um zwischen den
Zigtausenden Klägern und dem Mon- santo-Käufer Bayer zu
vermitteln.
Feinberg hatte unter anderem schon die Vermitt- lungen für die
Entschädigung der 9/11-Opfer gelei- tet und auch beim
VW-Abgasskandal vermittelt. An einer Einigung war prinzipiell allen
Seiten gelegen: Bayer wollte aus den Negativschlagzeilen kommen.
Die Klägeranwälte wiederum waren nicht an einer
endlosen Prozessführung interessiert, weil die teu- er und
aufwendig ist. Sie wissen – ebenso wie Bay- er –, dass bei
Produkthaftungsklagen im US-Recht am Ende fast immer ein Vergleich
steht.
Die Roundup-Verhandlungen waren kompliziert und langwierig, auch
weil die beiden Seiten sich auf zahlreiche Kategorien für die
unterschiedlichen Entschädigungen einigen mussten. So hängt die
Höhe der nun gezahlten Entschädigungen von der Schwere der
Krankheit ebenso ab wie davon, ob je- mand Roundup nur in seinem
Vorgarten genutzt hat oder als Landschaftsgärtner eines städtischen
Parks. Die Summe, die den verschiedenen Klägern zugesprochen wird,
kann von einigen Tausend Dol- lar bis zu mehreren Millionen
reichen.
Parallel zu den Vergleichsverhandlungen hat Bayer die bereits
laufenden Klagen in die nächste Instanz weitergeführt. Erst Anfang
Juni hatte der Berufungsprozess für den ersten Roundup-Prozess
begonnen, in dem der schwer an Krebs erkrankte Platzwart Dewayne
Johnson geklagt hatte.
Monsantos Erbe wird teuer
Die Investoren von Bayer feiern den bevorstehenden Vergleich im
Glyphosat-Streit. Der deutsche Konzern will mit etlichen Milliarden
ein eh schon teures Kapitel endlich abschließen.
Die Aufsichts - behörden
Richter im Berufungsprozess
Titelthema Bayers Milliardeneinigung
MITTWOCH, 24. JUNI 2020, NR. 119 4
In der ersten Instanz hatte eine Jury im August 2018 Bayer zu einem
Schadensersatz plus Zusatz- strafen in Höhe von 289 Millionen
Dollar verurteilt, was das Gericht später auf 79 Millionen Dollar
re- duzierte. In dem Berufungsprozess geht es in ers- ter Linie um
die Höhe des Schadensersatzes und nicht um die Schuldfrage an sich.
Das liegt auch da- ran, dass Juryurteile zur Schuld im
amerikanischen Justizsystem einen hohen Stellenwert haben. Bayer
erhofft sich von den Berufungsrichtern hingegen ein Urteil im Sinne
des Konzerns.
Doch die erste Anhörung in der Berufung An- fang Juni war kein
Erfolg für die Leverkusener. Ihr Anwalt David Axelrad hatte
argumentiert, dass Monsanto nicht vor Krebsfolgen hatte warnen müs-
sen, weil die amerikanische Umweltbehörde EPA und andere
Regulierungsbehörden weltweit Round up als sicher eingestuft
hatten.
Einer der Richter hingegen verwies auf die von den Klägern
vorgelegten Studien, die einen statis- tisch relevanten
Zusammenhang zwischen Lymph- drüsenkrebs und Glyphosat nahelegten.
„Die Auf- sichtsbehörden scheinen klar auf einer Seite zu ste- hen.
Aber es gibt viele Belege für die andere“, sagte der Richter bei
der Anhörung.
Ob die ersten Signale aus dem Berufungsprozess die parallelen
Vergleichsgespräche beeinflussten, ist unklar. Schon zuvor hatte
sich abgezeichnet, dass Bayer noch vor dem Sommer eine Lösung in
der Causa Glyphosat sucht. Vorstandschef Werner Baumann hatte
mehrfach betont, dass Bayer nur eine Einigung annimmt, die für den
Konzern wirt- schaftlich vertretbar und hinreichend abschlie- ßend
ist – die also eine neue Klagewelle verhindern kann. Auch wenn erst
vergangene Woche verschie- dene Kanzleien insgesamt 13 neue Klagen
im Na- men von kranken Kindern eingereicht haben, scheint eine
solche Lösung nun gefunden.
Vor allem Privatnutzer klagen
Für Bayer ist das glyphosathaltige Pflanzenschutz- mittel Roundup
ein wichtiger Umsatzbringer. Es wird zum überwiegenden Teil an
Farmer verkauft, die es in Verbindung mit gentechnisch veränder-
tem Saatgut einsetzen. Der kleinere Teil des Ge- schäfts entfällt
auf die Unkrautbeseitigung in Gär- ten von Privatanwendern. Sie
stellen aber den Großteil der Kläger. Monsanto hatte diese privaten
Nutzer lange mit Spots umworben, in denen Hobbygärtner in Shorts
und T-Shirt Roundup ohne jede Schutzmaske versprühten.
Für die weitere Vermarktung von Roundup ist es für Bayer wichtig,
das das Produktlabel nicht mit einem Warnhinweis wegen möglicher
Krebsgefahr versehen werden muss. Denn diese Krebsgefahr bestreitet
Bayer weiterhin. Auch der außergericht- liche Vergleich ist nicht
als ein Schuldeingeständnis in dieser Frage zu werten, denn jedes
Eingeständ- nis wird darin explizit ausgeschlossen.
Beim Produktlabel von Glyphosat bekommt Bay- er in den USA
Unterstützung vonseiten der Justiz. Am Montag urteilte ein
Bundesgericht im kaliforni- schen Sacramento, dass der Konzern auf
dem „Bei- packzettel“ des Unkrautvernichters nicht vor
Krebsgefahren warnen muss. Der Bundesstaat Ka- lifornien hatte dies
zuvor angeordnet. Dazu hatte die kalifornische Regierung aber
offensichtlich kein Recht. Denn die Formulierung des Roundup-Pro-
duktlabels ist in den USA eine Bundesangelegen- heit, die von der
Umweltbehörde EPA wahrgenom- men wird. Die EPA aber sieht keine
Anhaltspunkte für eine Krebsgefahr von Roundup.
Ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht, ist nicht abschließend
geklärt. Die Krebsforschungs- agentur der
Weltgesundheitsorganisation, IARC, hatte 2015 den Wirkstoff als
„wahrscheinlich krebs- erregend“ eingestuft, also in der gleichen
Kategorie wie rotes Fleisch und Mate-Tee. Hingegen sehen al- le
großen Zulassungsbehörden kein Risiko.
Chempark Leverkusen: Die Klage- welle belastete Bayer schwer.
B ay
D er milliardenschwere außergerichtliche Vergleich in Sachen
Glyphosat wird die Anwälte der Kläger reich machen. Erfah-
rungsgemäß streichen sie um die 30 Prozent der ausgehandelten Summe
als Honorar ein. Bei ei- ner Vergleichssumme von zehn Milliarden
Dollar hieße das: Drei Milliarden gehen allein an die be- teiligten
Kläger-Kanzleien. Dazu gehören die gro- ßen Namen der Branche wie
die Miller Law Firm oder Baum Hedlund Aristei & Goldman, aber
auch kleinere, junge Kanzleien wie Andrus Wag - staff. Insgesamt
waren mehr als 20 Kanzleien an den Verfahren gegen Bayer
beteiligt.
Die großen Kanzleien arbeiten in dem Glypho- sat-Fall zusammen und
sind eine Art Sammelstel- le: Kleinere Kanzleien werben vor Ort in
den USA neuer Kläger ein, die dann an die größeren wei- tergegeben
und dort zu Tausenden Fällen gebün- delt werden. Das Einwerben
erfolgt über TV- Spots und Werbetafeln, für die die Anwälte Mil-
lionen ausgeben. Die Prozesskosten strecken sie vor, für den Kläger
ist das Risiko gleich null.
Das alles läuft im rechtlichen Rahmen des US- Justizsystems. Doch
manchmal übertreten An- wälte die Schwelle zum gesetzwidrigen
Handeln, wenn sie das große Geschäft bei Produkthaf- tungsklagen
wittern. In der Rechtssache Glypho- sat gab es einen der krassesten
Fälle dieser Art.
Die Protagonisten dabei sind die Anwälte Ti- mothy Litzenburg, 38,
und Daniel Kincheloe, 41. Sie wurden Ende voriger Woche von einem
Ge- richt im US-Bundesstaat Virginia für schuldig er- klärt. Sie
hätten eine rote Linie zwischen übli- chem aggressivem Auftreten
als Anwalt und ille- galem Handeln überschritten, warf einer der
Staatsanwälte ihnen vor.
Litzenburg war einer der Anwälte, die dem Kläger im ersten
aufsehenerregenden Glyphosat- Prozess gegen Monsanto/Bayer 2018 zu
hohem Schadensersatz verholfen hatte. Er feierte dies als großen
Sieg. Später kam heraus, dass er ver- sucht hat, 200 Millionen
Dollar von einem Che- miekonzern zu erpressen. Dabei handelt es
sich nicht um Bayer/Monsanto, sondern um einen Zu- lieferer für
Pflanzenschutzmittel. Litzenburg ha- be dem Unternehmen damit
gedroht, es tief in die Welle der Glyphosat-Verfahren zu
ziehen.
Litzenburg soll gesagt haben, er könne mit öf- fentlichen
Statements gegen die Firma für ein „PR-Desaster“ und einen
„Kurssturz von 40 Pro- zent“ sorgen. Der Anwalt bot dem
Chemieunter- nehmen an, gegen eine Zahlung von 200 Millio- nen
Dollar von all dem abzusehen und schlug ei- nen Beratervertrag vor.
Das Chemieunter- nehmen hatte die Gespräche mit ihm aufgezeich- net
und die Staatsanwaltschaft informiert. An dem Erpressungsversuch
war Partner Kincheloe offenbar wissentlich beteiligt. Bert
Fröndhoff
Anwalt Timothy Litzenburg: Verurteilt wegen versuchter
Erpressung.
Ja m
ie B
et ts
Aktienkurs in Euro
HANDELSBLATT Quelle: Bloomberg
13. Mai 2019 Kalifornische Jury verurteilt Bayer/Monsanto zu 2 Mrd.
US$ Schadenersatz für Ehepaar; Gericht senkt Summe auf 87 Mio.
US$
23. Oktober 2018 Gericht bestätigt Urteil, senkt Strafe aber auf 78
Mio. US$
10. Aug. 2018 Jury in Kalifornien ver- urteilt Bayer/Monsanto zur
Zahlung von 289 Mio. US$ Schadensersatz an krebskranken Mann
7. Juni 2018 Bayer schließt 63 Mrd. US$ teure Übernahme von
Monsanto ab
73,22 €
100
90
80
70
60
50
40
28. März 2019 2. Glyphosat-Prozess: Bayer soll 80 Mio. US$ an den
krebskranken Kläger zahlen; Summe wird später auf 25 Mio. US$
gesenkt
26. Juni 2019 Bayer-Aufsichtsrat be- schließt eigenen Ausschuss für
Rechtssache Glyphosat und begrüßt Ernennung von Kenneth Feinberg
zum Mediator für Verhandlungen mit Klägeranwälten
52.000 KLAGEN
Roundup an.
Quelle: Bayer
A FP
Bayers Milliardeneinigung
MITTWOCH, 24. JUNI 2020, NR. 119 5
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Bert Fröndhoff, Katharina Kort Düsseldorf, New York
A uf den ersten Blick ist die Reaktion merkwürdig: Voraussichtlich
acht bis zehn Milliarden Dollar muss Bayer bezahlen, damit der
Konzern die Gly- phosat-Klagewelle in den USA per au-
ßergerichtlichem Vergleich beilegen kann – und die Aktionäre als
Eigentümer feiern diesen Geldabfluss mit Kurssprüngen bei der
Aktie.
Doch den Konzern und seine Aktionäre verbin- det in diesem Fall
eines: Sie wollen nach vorn schauen und die Last des Rechtsrisikos
Glyphosat loswerden. Nachdem Bayer im August 2018 in ei- nem
wegweisenden Urteil von einer kalifornischen Jury zu einer Zahlung
von 289 Millionen Dollar Schadensersatz verurteilt wurde, hat der
Konzern mehr als 30 Prozent an Wert verloren. Die Rechts- risiken
durch die Übernahme von Monsanto lagen wie Blei auf dem Aktienkurs.
Nun rechnen die Ak- tionäre kühl: Acht bis zehn Milliarden Dollar
sind viel Geld, aber verkraftbar für die substanzstarke Bayer AG –
und weit weniger als anfangs befürchtet.
Nach Verhandlungen über ein Dreivierteljahr mit den Klägeranwälten
soll es nun so weit sein. Ein unterschriftsreifer Vertrag über eine
außergericht- liche Einigung liegt vor. Sie soll noch in dieser Wo-
che festgezurrt werden, wie das Handelsblatt aus Kreisen der
Verhandlungspartner und des Unter- nehmens erfuhr. Der Aufsichtsrat
soll in den nächs- ten Tagen über den Vergleich abstimmen.
Mit der Einigung könnte Bayer vorerst ein leidi- ges und teures
Kapitel abschließen, das mit der Übernahme von Monsanto vor zwei
Jahren begon- nen hat. Die Leverkusener hatten den umstrittenen
Saatgutkonzern für 63 Milliarden Dollar gekauft und sich damit auch
die kompletten Rechtsrisiken eingefangen. Vor allem der
Unkrautvernichter Roundup hat Tausende Kläger auf den Plan geru-
fen, die ihre Lymphom-Erkrankungen auf den Ge- brauch des beliebten
Mittels zurückführen.
Mehr als 50.000 Klagen lagen zuletzt vor. Um sie beizulegen, will
Bayer bis zu acht Milliarden Dollar bereitstellen. Weitere zwei
Milliarden Dollar gelten als „Rücklage“, mit der Bayer die
Ansprüche künf- tiger Kläger begleichen kann. Schließlich können
Kunden auch in der Zukunft Krebs entwickeln und gegen Bayer klagen.
Die Ansprüche dieser Men- schen würden dann aus der Rücklage
bedient.
Mit der bevorstehenden außergerichtlichen Eini- gung kommen die
seit Spätsommer 2019 laufenden Gespräche zu einem Ende. Sie hatten
sich zuletzt wegen der Corona-Pandemie hingezogen. Hinzu kam, dass
zunächst nicht alle großen Klägerkanz- leien in den USA der
Einigung zustimmten. Das ist nun aber offenbar der Fall, denn es
handelt sich den Kreisen zufolge um eine landesweite
Einigung.
Vergleich statt Endlosprozesse Zum Zeitpunkt der Übernahme im Juni
2018 lagen erst vergleichsweise wenige Klagen von krebskran- ken
Amerikanerinnen und Amerikanern gegen Monsanto vor. Bayer setzte in
der dann beginnen- den Auseinandersetzung mit den Klägeranwälten
zunächst auf eine harte Verteidigungsstrategie vor Gericht. Sie
fußte darauf, dass Zulassungsbehörden in den USA, Europa und Asien
Glyphosat als sicher eingestuft haben und keinen Beleg für eine
Krebs- gefahr durch den Unkrautvernichter sehen.
Doch damit kam Bayer zur eigenen Überra- schung vor den Jurys in
drei Prozessen zwischen August 2018 und Mai 2019 nicht durch. Dort
wur- den Studien vorgelegt, die bei Jury und Richtern Zweifel an
der Sicherheit des Produkts nährten.
Auch die Überprüfung der Geschworenenurteile durch die Gerichte in
erster Instanz fiel nicht nach der Vorstellung von Bayer aus. Die
Richter senkten zwar die horrend hohen Schadensersatzsummen – im
dritten Prozess sollte Bayer nach dem Willen der Jury zwei
Milliarden Dollar an die beiden Klä- ger zahlen. An dem
grundsätzlichen Urteil, nach dem Glyphosat eine signifikante
Ursache für die Krebserkrankungen trage, rüttelten sie aber nicht.
Nach drei klar verlorenen Prozessen zeichnete sich
ab, dass Bayer mit seiner Argumentation in erster Instanz vor
Gericht nicht erfolgreich ist.
Im Frühsommer 2019 wechselte Bayer die Strate- gie und ließ sich
auf Gespräche mit den Klägeran- wälten über eine außergerichtliche
Beilegung ein. Angelockt von den hohen Schadensersatzurteilen war
die Zahl der Klagen zu dem Zeitpunkt bereits auf mehr als 18.000
gestiegen.
Der Schwenk von Bayer kam allerdings nicht frei- willig. Zum einen
machten Investoren wie der US- Hedgefonds Elliott Druck. Zum
anderen hatte ein Richter aus San Francisco im Mai 2019 den
erfahre- nen Mediator Kenneth Feinberg eingesetzt, um zwischen den
Zigtausenden Klägern und dem Mon- santo-Käufer Bayer zu
vermitteln.
Feinberg hatte unter anderem schon die Vermitt- lungen für die
Entschädigung der 9/11-Opfer gelei- tet und auch beim
VW-Abgasskandal vermittelt. An einer Einigung war prinzipiell allen
Seiten gelegen: Bayer wollte aus den Negativschlagzeilen kommen.
Die Klägeranwälte wiederum waren nicht an einer
endlosen Prozessführung interessiert, weil die teu- er und
aufwendig ist. Sie wissen – ebenso wie Bay- er –, dass bei
Produkthaftungsklagen im US-Recht am Ende fast immer ein Vergleich
steht.
Die Roundup-Verhandlungen waren kompliziert und langwierig, auch
weil die beiden Seiten sich auf zahlreiche Kategorien für die
unterschiedlichen Entschädigungen einigen mussten. So hängt die
Höhe der nun gezahlten Entschädigungen von der Schwere der
Krankheit ebenso ab wie davon, ob je- mand Roundup nur in seinem
Vorgarten genutzt hat oder als Landschaftsgärtner eines städtischen
Parks. Die Summe, die den verschiedenen Klägern zugesprochen wird,
kann von einigen Tausend Dol- lar bis zu mehreren Millionen
reichen.
Parallel zu den Vergleichsverhandlungen hat Bayer die bereits
laufenden Klagen in die nächste Instanz weitergeführt. Erst Anfang
Juni hatte der Berufungsprozess für den ersten Roundup-Prozess
begonnen, in dem der schwer an Krebs erkrankte Platzwart Dewayne
Johnson geklagt hatte.
Monsantos Erbe wird teuer
Die Investoren von Bayer feiern den bevorstehenden Vergleich im
Glyphosat-Streit. Der deutsche Konzern will mit etlichen Milliarden
ein eh schon teures Kapitel endlich abschließen.
Die Aufsichts - behörden
Richter im Berufungsprozess
Titelthema Bayers Milliardeneinigung
MITTWOCH, 24. JUNI 2020, NR. 119 4
In der ersten Instanz hatte eine Jury im August 2018 Bayer zu einem
Schadensersatz plus Zusatz- strafen in Höhe von 289 Millionen
Dollar verurteilt, was das Gericht später auf 79 Millionen Dollar
re- duzierte. In dem Berufungsprozess geht es in ers- ter Linie um
die Höhe des Schadensersatzes und nicht um die Schuldfrage an sich.
Das liegt auch da- ran, dass Juryurteile zur Schuld im
amerikanischen Justizsystem einen hohen Stellenwert haben. Bayer
erhofft sich von den Berufungsrichtern hingegen ein Urteil im Sinne
des Konzerns.
Doch die erste Anhörung in der Berufung An- fang Juni war kein
Erfolg für die Leverkusener. Ihr Anwalt David Axelrad hatte
argumentiert, dass Monsanto nicht vor Krebsfolgen hatte warnen müs-
sen, weil die amerikanische Umweltbehörde EPA und andere
Regulierungsbehörden weltweit Round up als sicher eingestuft
hatten.
Einer der Richter hingegen verwies auf die von den Klägern
vorgelegten Studien, die einen statis- tisch relevanten
Zusammenhang zwischen Lymph- drüsenkrebs und Glyphosat nahelegten.
„Die Auf- sichtsbehörden scheinen klar auf einer Seite zu ste- hen.
Aber es gibt viele Belege für die andere“, sagte der Richter bei
der Anhörung.
Ob die ersten Signale aus dem Berufungsprozess die parallelen
Vergleichsgespräche beeinflussten, ist unklar. Schon zuvor hatte
sich abgezeichnet, dass Bayer noch vor dem Sommer eine Lösung in
der Causa Glyphosat sucht. Vorstandschef Werner Baumann hatte
mehrfach betont, dass Bayer nur eine Einigung annimmt, die für den
Konzern wirt- schaftlich vertretbar und hinreichend abschlie- ßend
ist – die also eine neue Klagewelle verhindern kann. Auch wenn erst
vergangene Woche verschie- dene Kanzleien insgesamt 13 neue Klagen
im Na- men von kranken Kindern eingereicht haben, scheint eine
solche Lösung nun gefunden.
Vor allem Privatnutzer klagen
Für Bayer ist das glyphosathaltige Pflanzenschutz- mittel Roundup
ein wichtiger Umsatzbringer. Es wird zum überwiegenden Teil an
Farmer verkauft, die es in Verbindung mit gentechnisch veränder-
tem Saatgut einsetzen. Der kleinere Teil des Ge- schäfts entfällt
auf die Unkrautbeseitigung in Gär- ten von Privatanwendern. Sie
stellen aber den Großteil der Kläger. Monsanto hatte diese privaten
Nutzer lange mit Spots umworben, in denen Hobbygärtner in Shorts
und T-Shirt Roundup ohne jede Schutzmaske versprühten.
Für die weitere Vermarktung von Roundup ist es für Bayer wichtig,
das das Produktlabel nicht mit einem Warnhinweis wegen möglicher
Krebsgefahr versehen werden muss. Denn diese Krebsgefahr bestreitet
Bayer weiterhin. Auch der außergericht- liche Vergleich ist nicht
als ein Schuldeingeständnis in dieser Frage zu werten, denn jedes
Eingeständ- nis wird darin explizit ausgeschlossen.
Beim Produktlabel von Glyphosat bekommt Bay- er in den USA
Unterstützung vonseiten der Justiz. Am Montag urteilte ein
Bundesgericht im kaliforni- schen Sacramento, dass der Konzern auf
dem „Bei- packzettel“ des Unkrautvernichters nicht vor
Krebsgefahren warnen muss. Der Bundesstaat Ka- lifornien hatte dies
zuvor angeordnet. Dazu hatte die kalifornische Regierung aber
offensichtlich kein Recht. Denn die Formulierung des Roundup-Pro-
duktlabels ist in den USA eine Bundesangelegen- heit, die von der
Umweltbehörde EPA wahrgenom- men wird. Die EPA aber sieht keine
Anhaltspunkte für eine Krebsgefahr von Roundup.
Ob Glyphosat krebserregend ist oder nicht, ist nicht abschließend
geklärt. Die Krebsforschungs- agentur der
Weltgesundheitsorganisation, IARC, hatte 2015 den Wirkstoff als
„wahrscheinlich krebs- erregend“ eingestuft, also in der gleichen
Kategorie wie rotes Fleisch und Mate-Tee. Hingegen sehen al- le
großen Zulassungsbehörden kein Risiko.
Chempark Leverkusen: Die Klage- welle belastete Bayer schwer.
B ay
D er milliardenschwere außergerichtliche Vergleich in Sachen
Glyphosat wird die Anwälte der Kläger reich machen. Erfah-
rungsgemäß streichen sie um die 30 Prozent der ausgehandelten Summe
als Honorar ein. Bei ei- ner Vergleichssumme von zehn Milliarden
Dollar hieße das: Drei Milliarden gehen allein an die be- teiligten
Kläger-Kanzleien. Dazu gehören die gro- ßen Namen der Branche wie
die Miller Law Firm oder Baum Hedlund Aristei & Goldman, aber
auch kleinere, junge Kanzleien wie Andrus Wag - staff. Insgesamt
waren mehr als 20 Kanzleien an den Verfahren gegen Bayer
beteiligt.
Die großen Kanzleien arbeiten in dem Glypho- sat-Fall zusammen und
sind eine Art Sammelstel- le: Kleinere Kanzleien werben vor Ort in
den USA neuer Kläger ein, die dann an die größeren wei- tergegeben
und dort zu Tausenden Fällen gebün- delt werden. Das Einwerben
erfolgt über TV- Spots und Werbetafeln, für die die Anwälte Mil-
lionen ausgeben. Die Prozesskosten strecken sie vor, für den Kläger
ist das Risiko gleich null.
Das alles läuft im rechtlichen Rahmen des US- Justizsystems. Doch
manchmal übertreten An- wälte die Schwelle zum gesetzwidrigen
Handeln, wenn sie das große Geschäft bei Produkthaf- tungsklagen
wittern. In der Rechtssache Glypho- sat gab es einen der krassesten
Fälle dieser Art.
Die Protagonisten dabei sind die Anwälte Ti- mothy Litzenburg, 38,
und Daniel Kincheloe, 41. Sie wurden Ende voriger Woche von einem
Ge- richt im US-Bundesstaat Virginia für schuldig er- klärt. Sie
hätten eine rote Linie zwischen übli- chem aggressivem Auftreten
als Anwalt und ille- galem Handeln überschritten, warf einer der
Staatsanwälte ihnen vor.
Litzenburg war einer der Anwälte, die dem Kläger im ersten
aufsehenerregenden Glyphosat- Prozess gegen Monsanto/Bayer 2018 zu
hohem Schadensersatz verholfen hatte. Er feierte dies als großen
Sieg. Später kam heraus, dass er ver- sucht hat, 200 Millionen
Dollar von einem Che- miekonzern zu erpressen. Dabei handelt es
sich nicht um Bayer/Monsanto, sondern um einen Zu- lieferer für
Pflanzenschutzmittel. Litzenburg ha- be dem Unternehmen damit
gedroht, es tief in die Welle der Glyphosat-Verfahren zu
ziehen.
Litzenburg soll gesagt haben, er könne mit öf- fentlichen
Statements gegen die Firma für ein „PR-Desaster“ und einen
„Kurssturz von 40 Pro- zent“ sorgen. Der Anwalt bot dem
Chemieunter- nehmen an, gegen eine Zahlung von 200 Millio- nen
Dollar von all dem abzusehen und schlug ei- nen Beratervertrag vor.
Das Chemieunter- nehmen hatte die Gespräche mit ihm aufgezeich- net
und die Staatsanwaltschaft informiert. An dem Erpressungsversuch
war Partner Kincheloe offenbar wissentlich beteiligt. Bert
Fröndhoff
Anwalt Timothy Litzenburg: Verurteilt wegen versuchter
Erpressung.
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Aktienkurs in Euro
HANDELSBLATT Quelle: Bloomberg
13. Mai 2019 Kalifornische Jury verurteilt Bayer/Monsanto zu 2 Mrd.
US$ Schadenersatz für Ehepaar; Gericht senkt Summe auf 87 Mio.
US$
23. Oktober 2018 Gericht bestätigt Urteil, senkt Strafe aber auf 78
Mio. US$
10. Aug. 2018 Jury in Kalifornien ver- urteilt Bayer/Monsanto zur
Zahlung von 289 Mio. US$ Schadensersatz an krebskranken Mann
7. Juni 2018 Bayer schließt 63 Mrd. US$ teure Übernahme von
Monsanto ab
73,22 €
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28. März 2019 2. Glyphosat-Prozess: Bayer soll 80 Mio. US$ an den
krebskranken Kläger zahlen; Summe wird später auf 25 Mio. US$
gesenkt
26. Juni 2019 Bayer-Aufsichtsrat be- schließt eigenen Ausschuss für
Rechtssache Glyphosat und begrüßt Ernennung von Kenneth Feinberg
zum Mediator für Verhandlungen mit Klägeranwälten
52.000 KLAGEN
Roundup an.
Quelle: Bayer
A FP
Bayers Milliardeneinigung
Barbara Gillmann, Gregor Waschinski Berlin
A ls Armin Laschet sich vor zwei Ta- gen in Gütersloh nach dem
Corona- Ausbruch in der Fleischfabrik Tön- nies ein Lagebild
verschaffte, hielt er einen regionalen Lockdown noch
nicht für geboten. Am Dienstag änderte Nordrhein- Westfalens
Ministerpräsident seinen Kurs und kün- digte weitreichende
Alltagsbeschränkungen in dem Landkreis an. Der CDU-Politiker sprach
von einer Vorsichtsmaßnahme. Denn seine Einschätzung zum
Infektionsgeschehen in Gütersloh hat sich nicht grundlegend
verändert: Bislang sei der Aus- bruch klar im Umfeld von Tönnies zu
verorten, das Virus nicht erkennbar auf die breite Bevölkerung in
der Gegend übergesprungen.
Der Druck auf Laschet hatte in den vergangenen Tagen zugenommen,
die Angst vor einer zweiten Welle in ganz Deutschland ist groß. Der
Ministerprä- sident musste sich fragen lassen, warum er nicht
härter durchgreift – obwohl Gütersloh den von Bund und Ländern
vereinbarten Grenzwert für ei- ne Krisenintervention von 50
Corona-Neuinfektio- nen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche ak-
tuell deutlich überschreitet. Nun gelten für die rund 647.000
Menschen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf wieder viele der
strengen Regeln, an die sich vor einigen Wochen noch die Menschen
im ganzen Land halten mussten – zunächst bis zum 30. Juni. Nach
diesem „Ruhezustand“ von sieben Tagen werde die Faktenlage klarer
sein, sagte Laschet. Ob das Virus sich ausgehend vom Hotspot
Tönnies nicht doch schon stärker verbreitet hat, „das kann zur
Minute niemand sagen“. Damit ist auch noch unklar, was Gütersloh
für den weiteren Pandemie- verlauf in der ganzen Bundesrepublik
bedeutet.
Der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sprach den
lokalen Behörden großes Ver- trauen aus. Über Maßnahmen zur
Viruseindäm-
mung müsse vor Ort entschieden werden, sagte er am Morgen bei
seiner ersten Pressekonferenz seit Wochen in Berlin, noch bevor
Laschet den Lock- down verkündet hatte.
Der Corona-Hotspot in Gütersloh hat mit dazu geführt, dass auch die
Ansteckungsrate in Deutsch- land insgesamt stark gestiegen ist. Der
sogenannte R-Wert sei zuletzt auf über zwei gestiegen, sagte
Wieler. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Schnitt mehr als zwei
weitere Menschen ansteckt. Zuvor hatte der R-Faktor wochenlang
unter eins gelegen, die Epidemie ebbte also ab. Da aber insgesamt
die Zahl der Neuinfektionen weiter relativ gering sei, dürfe dies
nicht überbewertet werden. Aus 137 Kreisen sei in den vergangenen
Wochen überhaupt kein neuer Fall gemeldet worden. Deutschlandweit
waren es am Montag 500.
Wieler machte zugleich klar, dass der höhere Wert nicht auf eine
allgemeine Verschlimmerung der Pandemie deute, sondern durch die
lokalen Ausbrüche verursacht sei: Neben Gütersloh gab es zuletzt in
Göttingen, Magdeburg und Berlin-Neu- kölln lokale Ausbrüche.
Dennoch appellierte Wie- ler an die Bevölkerung, weiter enorm
vorsichtig zu sein, denn „wenn wir dem Virus die Chance dazu geben,
sich auszubreiten, wird es diese Chance auch nutzen“. Auch gehe er
davon aus, dass „die Lockerungen nicht ohne Folgen bleiben werden“.
Die Vorsichtsmaßnahmen – also vor allem Abstand, Hygiene und Masken
– müssten daher noch viele Monate der Normalfall bleiben. Im Herbst
werde dann vermutlich auch die Kälte das Virus zusätz- lich
begünstigen.
In den Kreisen Gütersloh und Warendorf werden die
Kontaktbeschränkungen nun verschärft: So dürfen sich in der
Öffentlichkeit maximal zwei Menschen treffen, die nicht einem
gemeinsamen Hausstand angehören. Ab Mittwoch sind Sport in
Laschet verfügt Lockdown light
Gütersloh und Warendorf wieder strenge Pandemie-Regeln. Die
Angst
vor einer zweiten Welle flammt wieder auf, ist aber
unbegründet,
sagt selbst RKI-Chef Lothar Wieler.
Covid-19 in Deutschland Aktuelle Fallzahlen
Zahl der nachgewiesenen Infektionsfälle
190.862
41.418
+502
+200
Differenz zum Vortag
geschlossenen Räumen und auch zahlreiche Kul- turveranstaltungen
verboten. Grillen und Picknicks in Parks sind untersagt. Wieder
geschlossen wer- den zudem Kinos und Kneipen.
Restaurants und Speisegaststätten dürfen dage- gen geöffnet
bleiben, allerdings nur von Mitglie- dern eines Hausstandes
gemeinsam aufgesucht werden. Außerdem bleiben
Einzelhandelsgeschäfte offen – solange dort die Pflicht zum Tragen
eines Mund-Nase-Schutzes eingehalten wird.
Es handelt sich also nicht um eine komplette Rückkehr zu den
Beschränkungen vom März und April, sondern um einen „Lockdown
light“. Erst- mals werden aber zwei ganze Landkreise stark he-
runtergefahren, während für die Umgebung größe- re Normalität gilt.
Laschet versprach, man werde die Beschränkungen des sozialen Lebens
„so schnell wie möglich zurücknehmen, wenn wir Si- cherheit zum
Infektionsgeschehen haben“.
1550 Infizierte – aber nur 24 außer- halb der
Tönnies-Belegschaft
Der Corona-Ausbruch am Stammsitz des Fleisch- konzerns Tönnies in
Rheda-Wiedenbrück war vor knapp einer Woche bekannt geworden.
Bislang ha- ben sich mehr als 1550 Beschäftigte nachweislich mit
dem Virus infiziert. Laschet sprach vom „bis- her größten einzelnen
Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen und Deutschland“. Die
Fälle konzentrieren sich auf einen bestimmten Bereich des
Schlachtbetriebs: „auf die Zerteilung des Flei- sches“, sagte
Laschet.
Dort sind viele Werkvertragsarbeiter aus Mittel- und Osteuropa
tätig, die in rund 1300 Wohnungen in Gütersloh und im umliegenden
Kreis unterge- bracht sind. Bei Mitarbeitern aus anderen Abteilun-
gen sind die Fallzahlen demnach geringer. Außer- halb der
Tönnies-Belegschaft gebe es im Kreis Gü- tersloh „lediglich 24
Infizierte“, so der Ministerpräsident. „Das würde rechtfertigen zu
sa- gen: Das Ereignis ist lokal begrenzt.“
Laschets Entscheidung stieß jedoch auch im eig- nen Land nicht nur
auf Zustimmung: Der Chef der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag,
Thomas Kutschaty, kritisierte den „Schlingerkurs“ des Mi-
nisterpräsidenten. „Armin Laschet vollzieht wieder eine
Kehrtwende“, sagte er der „Rheinischen Post“. Noch am Sonntag habe
er von einem Lock- down nichts wissen wollen. Jetzt müsse er sich
wie- der selbst korrigieren. Der Lockdown sei zwar „die einzig
richtige Entscheidung zum Schutz der Ge- sundheit der Menschen“,
sagte Kutschaty, aber sie komme mal wieder zu spät.
Laschet wies Kritik an seinem Krisenmanage- ment zurück. Nach
Bekanntwerden der Corona- Fälle bei Tönnies hätten die Behörden
umgehend Schulen und Kitas geschlossen. Dies sei gewisser- maßen
schon „die erste Stufe des Lockdown“ ge- wesen und folge dem
Muster, mit dem Bund und Länder im März auf das Infektionsgeschehen
rea- giert hätten.
Nach dem Ausbruch seien die Beschäftigten schneller als
ursprünglich geplant auf das Virus ge- testet worden, sagte
Laschet. Mehr als 7000 Men- schen befänden sich weiterhin in
Quarantäne, die mit Unterstützung der Polizei auch durchgesetzt
werde. Hundert mobile Teams sollen in den nächs- ten Tagen weitere
Corona-Tests vornehmen, um ein klares Lagebild zu bekommen.
Laschet rief die betroffenen Bewohner auf, ihren Landkreis nicht zu
verlassen. Die Einhaltung von Kontaktbeschränkungen „wird auch
kontrolliert werden“. Ein Ausreiseverbot sei aber rechtlich nicht
möglich.
Zugleich warnte der Ministerpräsident vor einem Pauschalverdacht:
Man dürfe die Bewohner des ostwestfälischen Kreises „nicht
stigmatisieren“. Auf der Ostsee-Insel Usedom wurden Urlauber aus
Gü- tersloh bereits zu unerwünschten Personen erklärt und nach
Hause geschickt.
> Kommentar Seite 13, Berichte Seite 14, 15
Großbritannien
Johnson lockert Corona-Regeln
A uf den 4. Juli werden sich nun viele Briten freuen: An diesem Tag
enden zahlreiche Einschränkungen, die Großbritanniens
Premierminister Boris Johnson im Zuge der Coro- na-Pandemie
verhängt hat. Das gilt aber vorerst nur im englischen Landesteil,
Schottland und Wales entscheiden erst noch.
Restaurants, Pubs, Friseure und Hotels dürfen in England ab Ende
kommender Woche wieder öffnen, auch Gottesdienste und Hochzeiten
dür- fen dann stattfinden, wie der Regierungschef am Dienstag im
Londoner Parlament ankündigte. Die Abstandsregeln für den direkten
Kontakt werden gelockert: Statt zwei Meter sollen die Bri- ten
künftig nur noch mindestens einen Meter Ab- stand halten. „Heute
können wir sagen, dass un- ser langer nationaler Winterschlaf
langsam zu Ende geht“, sagte Premier John- son. Man vertraue auf
den gesun- den Menschenverstand, ab so- fort mache man keine Vor-
schriften mehr, sondern spreche Empfehlungen aus. Es ist ein großer
Schritt zu- rück in ein normales Le- ben, selbst wenn einige
Einschränkungen weiter gelten. So bleiben Fitness- studios und
Schwimmbäder noch zu, die Anzahl der Per- sonen, die sich treffen
dürfen, ist begrenzt.
Für Gaststätten und andere Be- triebe werden Sicherheitsvorkehrun-
gen wie Plexiglas-Abtrennungen gefordert. Und nach wie vor dürfen
nicht alle Kinder zur Schule gehen. Kritiker, darunter Ärzte und
Gewerkschaf- ten, halten die Lockerungen trotzdem für ver- früht.
Vor allem die Reduzierung des Mindestab- stands wird skeptisch
gesehen. Es gibt ohnehin kaum Experten, die das Vorgehen
Großbritan- niens in der Coronakrise loben. Offiziellen Zah- len
zufolge sind im Zuge der Pandemie 42.647 Menschen im Vereinigten
Königreich gestorben, mit Blick auf die sogenannte
Übersterblichkeit geht man aber von über 64.500 Todesfällen bis
Anfang Juni aus. Das ist deutlich mehr als in allen anderen
europäischen Ländern.
„Keine andere Regierung in den vergangenen 100 Jahren hat derart
katastrophal auf eine ernst- hafte Herausforderung reagiert“,
kritisierte so der ehemalige Regierungsberater David King im
„Guardian“. Die Gefahr von Covid-19 sei herun- tergespielt worden.
Auch Medizinexperte Ri- chard Horton, Chefredakteur der
renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ führt die unge- wöhnlich
hohe Todeszahl auf das Handeln der britischen Regierung zurück.
Diese habe „lang-
sam, selbstgefällig und unvorbereitet“ reagiert, und der beratende
Ausschuss namens Sage, zu dem zahlreiche Wissenschaftler und
Medizinex- perten gehörten, sei zu einer „PR-Abteilung einer
Regierung geworden, die versagt“ habe.
Im Gegensatz zu anderen Staatschefs hatte sich der britische
Premier lange unbesorgt gezeigt: Noch Anfang März erklärte er
öffentlich, im Krankenhaus die Hände von Corona-Patienten zu
schütteln und gab „gründliches Händewaschen“ als einzige
Handlungsempfehlung.
Erst am 23. März verkündete Johnson: „Ab heute Abend muss ich den
britischen Bürgern ei- ne sehr einfache Vorschrift machen: Sie
müssen zu Hause bleiben“. Schulen wurden geschlossen, Restaurants,
Pubs und fast alle Geschäfte muss-
ten dichtmachen. „Stay at home, protect the NHS, save lives“ war
das Motto,
das die britische Regierung der Bevölkerung einbläute:
„Bleibt
zuhause, schützt (den natio- nalen Gesundheitsdienst) NHS, rettet
Leben.“
Nur wenn es „unbedingt notwendig“ war, durfte man das Haus
verlassen: Für den Arbeitsweg, wenn man partout nicht von zu
Hause aus arbeiten kann, für den Einkauf „notwendi-
ger“ Dinge, um gefährdete Verwandte zu versorgen oder
um einmal am Tag für eine Stunde Sport zu treiben. Mindestens sechs
Fuß
– also fast zwei Meter – sollte dabei der Abstand betragen. Und die
Mehrheit der Bevölkerung be- folgte und befürwortete die
Einschränkungen, auch wenn Warnungen vor schweren Folgen für die
Wirtschaft aufkamen. Die Angst war groß, dass das Gesundheitssystem
nicht mit den Folgen der Pandemie klarkäme. Tatsächlich stieg die
Zahl der Infizierten stark an – und mit ihr die Zahl der
Todesfälle. Die Regierung beging Fehler: In den Krankenhäusern
fehlte Schutzkleidung, und bei der Beschaffung fiel man auf
Betrüger rein.
Auch die Kritik internationaler Institutionen änderte nichts, bei
der Durchführung von Tests fiel Großbritannien zurück – nicht
einmal Kran- kenhauspersonal wurde konsequent getestet. Al- te
Menschen wurden aus dem Hospital ungetes- tet zurück in ihr
Altenheim gebracht. Selbst Pre- mier Johnson erkrankte: Anfang
April lag er in einem Londoner Krankenhaus zeitweise auf der
Intensivstation. Dort vollzog er offenbar einen Sinneswandel.
Sichtlich geschwächt appellierte der Premier nach seiner Rückkehr
an die Briten, das Virus nicht zu unterschätzen.
Boris Johnson: Der britische Premier übt mit Grundschülern die
Abstandsregeln.
ey ev
in e
Wenn wir dem Virus die Chance geben, sich
auszubreiten, wird es diese Chance auch
nutzen.
Todesfälle
Pandemie gestorben.
ac tio
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es s
Wirtschaft & Politik
Barbara Gillmann, Gregor Waschinski Berlin
A ls Armin Laschet sich vor zwei Ta- gen in Gütersloh nach dem
Corona- Ausbruch in der Fleischfabrik Tön- nies ein Lagebild
verschaffte, hielt er einen regionalen Lockdown noch
nicht für geboten. Am Dienstag änderte Nordrhein- Westfalens
Ministerpräsident seinen Kurs und kün- digte weitreichende
Alltagsbeschränkungen in dem Landkreis an. Der CDU-Politiker sprach
von einer Vorsichtsmaßnahme. Denn seine Einschätzung zum
Infektionsgeschehen in Gütersloh hat sich nicht grundlegend
verändert: Bislang sei der Aus- bruch klar im Umfeld von Tönnies zu
verorten, das Virus nicht erkennbar auf die breite Bevölkerung in
der Gegend übergesprungen.
Der Druck auf Laschet hatte in den vergangenen Tagen zugenommen,
die Angst vor einer zweiten Welle in ganz Deutschland ist groß. Der
Ministerprä- sident musste sich fragen lassen, warum er nicht
härter durchgreift – obwohl Gütersloh den von Bund und Ländern
vereinbarten Grenzwert für ei- ne Krisenintervention von 50
Corona-Neuinfektio- nen je 100.000 Einwohner binnen einer Woche ak-
tuell deutlich überschreitet. Nun gelten für die rund 647.000
Menschen in den Kreisen Gütersloh und Warendorf wieder viele der
strengen Regeln, an die sich vor einigen Wochen noch die Menschen
im ganzen Land halten mussten – zunächst bis zum 30. Juni. Nach
diesem „Ruhezustand“ von sieben Tagen werde die Faktenlage klarer
sein, sagte Laschet. Ob das Virus sich ausgehend vom Hotspot
Tönnies nicht doch schon stärker verbreitet hat, „das kann zur
Minute niemand sagen“. Damit ist auch noch unklar, was Gütersloh
für den weiteren Pandemie- verlauf in der ganzen Bundesrepublik
bedeutet.
Der Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Lothar Wieler, sprach den
lokalen Behörden großes Ver- trauen aus. Über Maßnahmen zur
Viruseindäm-
mung müsse vor Ort entschieden werden, sagte er am Morgen bei
seiner ersten Pressekonferenz seit Wochen in Berlin, noch bevor
Laschet den Lock- down verkündet hatte.
Der Corona-Hotspot in Gütersloh hat mit dazu geführt, dass auch die
Ansteckungsrate in Deutsch- land insgesamt stark gestiegen ist. Der
sogenannte R-Wert sei zuletzt auf über zwei gestiegen, sagte
Wieler. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Schnitt mehr als zwei
weitere Menschen ansteckt. Zuvor hatte der R-Faktor wochenlang
unter eins gelegen, die Epidemie ebbte also ab. Da aber insgesamt
die Zahl der Neuinfektionen weiter relativ gering sei, dürfe dies
nicht überbewertet werden. Aus 137 Kreisen sei in den vergangenen
Wochen überhaupt kein neuer Fall gemeldet worden. Deutschlandweit
waren es am Montag 500.
Wieler machte zugleich klar, dass der höhere Wert nicht auf eine
allgemeine Verschlimmerung der Pandemie deute, sondern durch die
lokalen Ausbrüche verursacht sei: Neben Gütersloh gab es zuletzt in
Göttingen, Magdeburg und Berlin-Neu- kölln lokale Ausbrüche.
Dennoch appellierte Wie- ler an die Bevölkerung, weiter enorm
vorsichtig zu sein, denn „wenn wir dem Virus die Chance dazu geben,
sich auszubreiten, wird es diese Chance auch nutzen“. Auch gehe er
davon aus, dass „die Lockerungen nicht ohne Folgen bleiben werden“.
Die Vorsichtsmaßnahmen – also vor allem Abstand, Hygiene und Masken
– müssten daher noch viele Monate der Normalfall bleiben. Im Herbst
werde dann vermutlich auch die Kälte das Virus zusätz- lich
begünstigen.
In den Kreisen Gütersloh und Warendorf werden die
Kontaktbeschränkungen nun verschärft: So dürfen sich in der
Öffentlichkeit maximal zwei Menschen treffen, die nicht einem
gemeinsamen Hausstand angehören. Ab Mittwoch sind Sport in
Laschet verfügt Lockdown light
Gütersloh und Warendorf wieder strenge Pandemie-Regeln. Die
Angst
vor einer zweiten Welle flammt wieder auf, ist aber
unbegründet,
sagt selbst RKI-Chef Lothar Wieler.
Covid-19 in Deutschland Aktuelle Fallzahlen
Zahl der nachgewiesenen Infektionsfälle
190.862
41.418
+502
+200
Differenz zum Vortag
geschlossenen Räumen und auch zahlreiche Kul- turveranstaltungen
verboten. Grillen und Picknicks in Parks sind untersagt. Wieder
geschlossen wer- den zudem Kinos und Kneipen.
Restaurants und Speisegaststätten dürfen dage- gen geöffnet
bleiben, allerdings nur von Mitglie- dern eines Hausstandes
gemeinsam aufgesucht werden. Außerdem bleiben
Einzelhandelsgeschäfte offen – solange dort die Pflicht zum Tragen
eines Mund-Nase-Schutzes eingehalten wird.
Es handelt sich also nicht um eine komplette Rückkehr zu den
Beschränkungen vom März und April, sondern um einen „Lockdown
light“. Erst- mals werden aber zwei ganze Landkreise stark he-
runtergefahren, während für die Umgebung größe- re Normalität gilt.
Laschet versprach, man werde die Beschränkungen des sozialen Lebens
„so schnell wie möglich zurücknehmen, wenn wir Si- cherheit zum
Infektionsgeschehen haben“.
1550 Infizierte – aber nur 24 außer- halb der
Tönnies-Belegschaft
Der Corona-Ausbruch am Stammsitz des Fleisch- konzerns Tönnies in
Rheda-Wiedenbrück war vor knapp einer Woche bekannt geworden.
Bislang ha- ben sich mehr als 1550 Beschäftigte nachweislich mit
dem Virus infiziert. Laschet sprach vom „bis- her größten einzelnen
Infektionsgeschehen in Nordrhein-Westfalen und Deutschland“. Die
Fälle konzentrieren sich auf einen bestimmten Bereich des
Schlachtbetriebs: „auf die Zerteilung des Flei- sches“, sagte
Laschet.
Dort sind viele Werkvertragsarbeiter aus Mittel- und Osteuropa
tätig, die in rund 1300 Wohnungen in Gütersloh und im umliegenden
Kreis unterge- bracht sind. Bei Mitarbeitern aus anderen Abteilun-
gen sind die Fallzahlen demnach geringer. Außer- halb der
Tönnies-Belegschaft gebe es im Kreis Gü- tersloh „lediglich 24
Infizierte“, so der Ministerpräsident. „Das würde rechtfertigen zu
sa- gen: Das Ereignis ist lokal begrenzt.“
Laschets Entscheidung stieß jedoch auch im eig- nen Land nicht nur
auf Zustimmung: Der Chef der SPD-Fraktion im Düsseldorfer Landtag,
Thomas Kutschaty, kritisierte den „Schlingerkurs“ des Mi-
nisterpräsidenten. „Armin Laschet vollzieht wieder eine
Kehrtwende“, sagte er der „Rheinischen Post“. Noch am Sonntag habe
er von einem Lock- down nichts wissen wollen. Jetzt müsse er sich
wie- der selbst korrigieren. Der Lockdown sei zwar „die einzig
richtige Entscheidung zum Schutz der Ge- sundheit der Menschen“,
sagte Kutschaty, aber sie komme mal wieder zu spät.
Laschet wies Kritik an seinem Krisenmanage- ment zurück. Nach
Bekanntwerden der Corona- Fälle bei Tönnies hätten die Behörden
umgehend Schulen und Kitas geschlossen. Dies sei gewisser- maßen
schon „die erste Stufe des Lockdown“ ge- wesen und folge dem
Muster, mit dem Bund und Länder im März auf das Infektionsgeschehen
rea- giert hätten.
Nach dem Ausbruch seien die Beschäftigten schneller als
ursprünglich geplant auf das Virus ge- testet worden, sagte
Laschet. Mehr als 7000 Men- schen befänden sich weiterhin in
Quarantäne, die mit Unterstützung der Polizei auch durchgesetzt
werde. Hundert mobile Teams sollen in den nächs- ten Tagen weitere
Corona-Tests vornehmen, um ein klares Lagebild zu bekommen.
Laschet rief die betroffenen Bewohner auf, ihren Landkreis nicht zu
verlassen. Die Einhaltung von Kontaktbeschränkungen „wird auch
kontrolliert werden“. Ein Ausreiseverbot sei aber rechtlich nicht
möglich.
Zugleich warnte der Ministerpräsident vor einem Pauschalverdacht:
Man dürfe die Bewohner des ostwestfälischen Kreises „nicht
stigmatisieren“. Auf der Ostsee-Insel Usedom wurden Urlauber aus
Gü- tersloh bereits zu unerwünschten Personen erklärt und nach
Hause geschickt.
> Kommentar Seite 13, Berichte Seite 14, 15
Großbritannien
Johnson lockert Corona-Regeln
A uf den 4. Juli werden sich nun viele Briten freuen: An diesem Tag
enden zahlreiche Einschränkungen, die Großbritanniens
Premierminister Boris Johnson im Zuge der Coro- na-Pandemie
verhängt hat. Das gilt aber vorerst nur im englischen Landesteil,
Schottland und Wales entscheiden erst noch.
Restaurants, Pubs, Friseure und Hotels dürfen in England ab Ende
kommender Woche wieder öffnen, auch Gottesdienste und Hochzeiten
dür- fen dann stattfinden, wie der Regierungschef am Dienstag im
Londoner Parlament ankündigte. Die Abstandsregeln für den direkten
Kontakt werden gelockert: Statt zwei Meter sollen die Bri- ten
künftig nur noch mindestens einen Meter Ab- stand halten. „Heute
können wir sagen, dass un- ser langer nationaler Winterschlaf
langsam zu Ende geht“, sagte Premier John- son. Man vertraue auf
den gesun- den Menschenverstand, ab so- fort mache man keine Vor-
schriften mehr, sondern spreche Empfehlungen aus. Es ist ein großer
Schritt zu- rück in ein normales Le- ben, selbst wenn einige
Einschränkungen weiter gelten. So bleiben Fitness- studios und
Schwimmbäder noch zu, die Anzahl der Per- sonen, die sich treffen
dürfen, ist begrenzt.
Für Gaststätten und andere Be- triebe werden Sicherheitsvorkehrun-
gen wie Plexiglas-Abtrennungen gefordert. Und nach wie vor dürfen
nicht alle Kinder zur Schule gehen. Kritiker, darunter Ärzte und
Gewerkschaf- ten, halten die Lockerungen trotzdem für ver- früht.
Vor allem die Reduzierung des Mindestab- stands wird skeptisch
gesehen. Es gibt ohnehin kaum Experten, die das Vorgehen
Großbritan- niens in der Coronakrise loben. Offiziellen Zah- len
zufolge sind im Zuge der Pandemie 42.647 Menschen im Vereinigten
Königreich gestorben, mit Blick auf die sogenannte
Übersterblichkeit geht man aber von über 64.500 Todesfällen bis
Anfang Juni aus. Das ist deutlich mehr als in allen anderen
europäischen Ländern.
„Keine andere Regierung in den vergangenen 100 Jahren hat derart
katastrophal auf eine ernst- hafte Herausforderung reagiert“,
kritisierte so der ehemalige Regierungsberater David King im
„Guardian“. Die Gefahr von Covid-19 sei herun- tergespielt worden.
Auch Medizinexperte Ri- chard Horton, Chefredakteur der
renommierten Fachzeitschrift „The Lancet“ führt die unge- wöhnlich
hohe Todeszahl auf das Handeln der britischen Regierung zurück.
Diese habe „lang-
sam, selbstgefällig und unvorbereitet“ reagiert, und der beratende
Ausschuss namens Sage, zu dem zahlreiche Wissenschaftler und
Medizinex- perten gehörten, sei zu einer „PR-Abteilung einer
Regierung geworden, die versagt“ habe.
Im Gegensatz zu anderen Staatschefs hatte sich der britische
Premier lange unbesorgt gezeigt: Noch Anfang März erklärte er
öffentlich, im Krankenhaus die Hände von Corona-Patienten zu
schütteln und gab „gründliches Händewaschen“ als einzige
Handlungsempfehlung.
Erst am 23. März verkündete Johnson: „Ab heute Abend muss ich den
britischen Bürgern ei- ne sehr einfache Vorschrift machen: Sie
müssen zu Hause bleiben“. Schulen wurden geschlossen, Restaurants,
Pubs und fast alle Geschäfte muss-
ten dichtmachen. „Stay at home, protect the NHS, save lives“ war
das Motto,
das die britische Regierung der Bevölkerung einbläute:
„Bleibt
zuhause, schützt (den natio- nalen Gesundheitsdienst) NHS, rettet
Leben.“
Nur wenn es „unbedingt notwendig“ war, durfte man das Haus
verlassen: Für den Arbeitsweg, wenn man partout nicht von zu
Hause aus arbeiten kann, für den Einkauf „notwendi-
ger“ Dinge, um gefährdete Verwandte zu versorgen oder
um einmal am Tag für eine Stunde Sport zu treiben. Mindestens sechs
Fuß
– also fast zwei Meter – sollte dabei der Abstand betragen. Und die
Mehrheit der Bevölkerung be- folgte und befürwortete die
Einschränkungen, auch wenn Warnungen vor schweren Folgen für die
Wirtschaft aufkamen. Die Angst war groß, dass das Gesundheitssystem
nicht mit den Folgen der Pandemie klarkäme. Tatsächlich stieg die
Zahl der Infizierten stark an – und mit ihr die Zahl der
Todesfälle. Die Regierung beging Fehler: In den Krankenhäusern
fehlte Schutzkleidung, und bei der Beschaffung fiel man auf
Betrüger rein.
Auch die Kritik internationaler Institutionen änderte nichts, bei
der Durchführung von Tests fiel Großbritannien zurück – nicht
einmal Kran- kenhauspersonal wurde konsequent getestet. Al- te
Menschen wurden aus dem Hospital ungetes- tet zurück in ihr
Altenheim gebracht. Selbst Pre- mier Johnson erkrankte: Anfang
April lag er in einem Londoner Krankenhaus zeitweise auf der
Intensivstation. Dort vollzog er offenbar einen Sinneswandel.
Sichtlich geschwächt appellierte der Premier nach seiner Rückkehr
an die Briten, das Virus nicht zu unterschätzen.
Boris Johnson: Der britische Premier übt mit Grundschülern die
Abstandsregeln.
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Wenn wir dem Virus die Chance geben, sich
auszubreiten, wird es diese Chance auch
nutzen.
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Wirtschaft & Politik
MITTWOCH, 24. JUNI 2020, NR. 119 7
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t.me/whatsnws
Das weltgrößte Container- schiff „HMM Algeciras“ in Hamburg: Der
schlimmste Teil der Corona-Rezession ist hierzulande wohl
vorbei.
dp a
Donata Riedel Berlin
A uch wenn die Unsicher- heit über die weitere
Wirtschaftsentwicklung hoch bleibt: Der schlimmste Teil der
Co-
rona-Rezession liegt hierzulande hin- ter uns. Das stellen an
diesem Diens- tag auch die Wirtschaftsweisen in ih- rer neuen
Konjunkturprognose fest.
Sie bestätigen damit die Sommer- prognosen von
Forschungsinstituten. Auch die jüngsten Frühindikatoren weisen auf
den einsetzenden Wieder- aufschwung hin. So zeigt der eben- falls
am Dienstag veröffentlichte Ein- kaufsmanagerindex von IHS-Markit,
dass sich „Deutschland im Juni weiter aus der Talsohle kämpft“ und
sich auch in der Euro-Zone die Talfahrt „spürbar abgeschwächt“ hat.
Der In- dex stieg stark und zeigte nur noch ein leichtes Minus
gegenüber der Vorkrisenzeit im Februar an.
Der Absturz des Bruttoinlandspro- dukts (BIP) im zu Ende gehenden
zweiten Quartal war allerdings heftig, so die Wirtschaftsweisen: Er
dürfte zwölf Prozent betragen, ein in der Bundesrepublik nie da
gewesener Einbruch. Durch den seit Mai einset- zenden Aufschwung
wird demnach bis Ende des Jahres ein Minus von 6,5 Prozent für 2020
bleiben. 2021 werde die Wirtschaft dann um 4,9 Prozent zulegen. Die
Prognose der Weisen liegt damit im Rahmen der Erwartun- gen der
Bundesregierung, großer Forschungsinstitute, der Bundesbank und der
OECD: Sie rechnen 2020 mit einer Rezession zwischen fünf und sieben
Prozent, wobei die jüngsten Prognosen um sechseinhalb Prozent
liegen. Für das nächste Jahr ist die Unsicherheit, abzulesen an der
Streu- breite der Prognosen, noch groß: Die Aufschwungserwartungen
liegen zwi- schen drei und 6,4 Prozent.
Trotz der hoffnungsvollen Aussich- ten erwartet der fünfköpfige Rat
der
Wirtschaftsweisen um seinen Vorsit- zenden Lars Feld, dass das
Bruttoin- landsprodukt frühestens 2022 wieder das Vor-Corona-Niveau
erreichen wird. Am Arbeitsmarkt sei mit einer schnellen Erholung in
diesem Jahr nicht mehr zu rechnen. Dazu dürften Arbeitsvolumen und
Erwerbstätigkeit zu stark zurückgehen. Zwar habe die Kurzarbeit den
Arbeitsmarkt ge- stützt, so die Weisen. Aber angesichts der
Ifo-Schätzung, nach der im Mai jeder fünfte sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitnehmer in Kurzarbeit gewesen sein könnte, werde
die Er- holung Zeit brauchen.
Für dieses und nächstes Jahr er- warten die Wirtschaftsweisen daher
eine Arbeitslosenquote von 6,1 Pro- zent; das sind 1,2
Prozentpunkte mehr als vor Corona. Im Vergleich zur Bundesagentur
für Arbeit sind die Weisen mit der Erwartung, dass eine halbe
Million Arbeitsplätze ver- loren gehen, „noch optimistisch“, sagte
Feld.
Der Konjunktur helfen jedenfalls die Überbrückungshilfen und das
Konjunkturpaket der Bundesregie- rung. Ohne diese Maßnahmen läge
das BIP 2020 und 2021 jeweils um ei- nen Prozentpunkt niedriger, so
die Weisen. Wie stark dabei letztlich die Mehrwertsteuersenkung den
Kon- sum ankurbeln wird, hänge davon ab, wie sehr die Händler die
Preise senkten. Wichtig sei zudem, die Maßnahme zeitlich bis Ende
Dezem- ber zu begrenzen: Nur dann würden Käufe von Autos,
Kühlschränken und anderen langlebigen Gebrauchs- gütern
vorgezogen.
Die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer begründete den vorsichti- gen
Optimismus auch mit dem Digi- talisierungsschub, der in der Krise
in der Breite der Bevölkerung einge- setzt hat. „Es gibt mehr
Akzeptanz, mehr Erfahrung und jetzt auch mehr Investitionen in
diesem Be- reich“, sagte sie. Ihre Kollegin Vero- nika Grimm
erwartet auch durch die
Klimabeschlüsse der Koalition und die Wasserstoffstrategie der
Bundes- regierung weitere Wachstumsimpul- se. Feld wiederum verwies
darauf, dass bereits durch das Ende des Lockdowns ganz automatisch
wieder mehr Wirtschaftstätigkeit eingesetzt hat, etwa durch die
Öffnung von Restaurants und Läden.
Die Weisen loben ausdrücklich die schnelle Reaktion der
Bundesregie- rung und der Europäischen Zentral- bank (EZB): Weil
sie schnell Liquidi- tät bereitgestellt hätten, könnten Un-
ternehmen die Umsatzeinbrüche während der Shutdown-Zeit leichter
überbrücken. „Ein Negativszenario, in dem sich die
Wirtschaftsaktivität im Verlauf des Herbstes nicht erholt,
erscheint daher wenig wahrschein- lich“, heißt es in dem
Gutachten.
Zwar seien die Kosten der Hilfs- maßnahmen hoch, und einschließ-
lich des Rückgangs der Steuerein- nahmen würden die Staatskassen
stark belastet: Das gemeinsame Defi- zit in den Kassen von Bund,
Län- dern, Gemeinden und Sozialkassen beziffern die Weisen in
diesem Jahr auf sechs Prozent des BIP und 2021 auf 3,9
Prozent.
Schuldenstand wächst Die Schuldenstandsquote wird
demnach von 60 Prozent 2019 auf 75,2 Prozent des BIP steigen und
2021 wegen des anziehenden Wachs- tums leicht auf 73,3 Prozent
zurück- gehen. Die Wirtschaftsweisen schät- zen sie damit niedriger
ein als ande- re Ökonomen, die einen Anstieg bis zu 90 Prozent des
BIP erwarten.
Der Sachverständigenrat weist al- lerdings darauf hin, dass ein
Teil des Konjunkturpakets aus nicht verwen- deten Soforthilfen und
der Flücht- lingsrücklage finanziert werden kön- ne. Zudem gebe es
Maßnahmen, die Lasten innerhalb des Staatshaushalts nur anders
verteilten, etwa die Kos- ten der Unterkunft für Hartz-IV-
Empfänger, die nunmehr großenteils der Bund trage anstelle der
Kommu- nen.
Feld warnte einmal mehr davor, zu schnell die Konsolidierung zu be-
ginnen. „Man kann in einer solchen Krise nicht sagen, wir begrenzen
die Schulden auf eine bestimmte Sum- me“, sagte er. Dies würde die
Hand- lungsfähigkeit des Staates nur ein- schränken. Wichtig sei
allerdings, dass die Ausgaben zielgenau erfolg- ten.
Die größte Gefahr für den Wieder- aufschwung allerdings ist nur be-
dingt von der Bundesregierung zu beeinflussen: Sie geht von den
noch tieferen Rezessionen im Euro-Raum aus. Frankreich, Italien und
Spanien müssen jeweils mit einem Einbruch des BIP von mehr als elf
Prozent in diesem Jahr rechnen, die USA mit ei- nem Minus von 6,1
Prozent. „Die Lie- ferketten der deutschen Industrie sind extrem
verflochten, vor allem in Europa“, sagte die Wirtschaftsweise
Veronika Grimm. Deshalb sei ein eu- ropäisch abgestimmtes Vorgehen
ge- gen die Krise enorm wichtig.
Zudem wären alle Zahlen Makula- tur, sollte es zu einer
bundesweiten zweiten Infektionswelle mit einem zweiten Lockdown
kommen. Die Weisen sind aktuell trotz des Aus- bruchs in Gütersloh
optimistisch, dass es gelingt, lokale Ausbrüche je- weils lokal zu
begrenzen.
Wirtschaftsweise
Die Erholung hat begonnen Der Sachverständigenrat erwartet für 2020
einen Wachstumseinbruch um 6,5 Prozent. Eine zweite Coronawelle
könnte den beginnenden Aufschwung gefährden.
Wirtschaftliche Eckdaten für Deutschland Konjunkturprognose des
Sachverständigenrates vom Juni 2020
Bruttoinlandsprodukt (BIP) Wachstum in Prozent
BIP, kalenderbereinigt Wachstum in Prozent
BIP je Einwohner Wachstum in Prozent
Leistungsbilanzsaldo in Prozent
Erwerbstätige in Millionen
HANDELSBLATT Quellen: Sachverständigenrat, Bundesagentur für
Arbeit, Destatis
2018 2019 2020
+1,5 %
+1,5 %
+1,2 %
7,4 %
44,85
32,96
2,34
5,2 %
+1,8 %
1,9 %
+0,6 %
+0,6 %
+0,3 %
7,1 %
45,24
33,52
2,28
5,0 %
+1,4 %
-1,5 %
-6,5 %
-6,9 %
-6,7 %
4,7 %
44,76
33,49
2,72
6,1 %
+0,6 %
-6,0 %
+4,9 %
+4,9 %
+4,7 %
5,2 %
44,59
33,72
2,70
6,1 %
+1,6 %
-3,9 %
Man kann in einer solchen Krise nicht sagen, wir begrenzen die
Schulden auf eine bestimmte Summe. Lars Feld
Vorsitzender der Wirtschaftsweisen
Lehre aus VW-Skandal
Neue EU-Regeln erleichtern Sammelklagen Kunden von Banken oder
Fluggesellschaften können bald leichter Schadensersatz einklagen.
Die Industrie warnt vor Missbrauch.
Heike Anger, Till Hoppe, Dietmar Neuerer Berlin, Brüssel
G eprellte Kunden können in Europa künftig leichter ge- meinsam vor
Gericht ziehen.
Europaparlament und Mitgliedstaa- ten haben sich in der Nacht zu
Diens- tag auf eine neue Richtlinie geeinigt, die die Möglichkeit
von kollektiven Klagen vorsieht. Nach der Umset- zung in nationales
Recht sollen Ver- braucherverbände im Namen der Kunden in allen
EU-Ländern Unter- nehmen auf Unterlassung und Scha- densersatz
verklagen können.
Die EU-Kommission hatte die Ver- bandsklagerichtlinie besonders mit
Blick auf den VW-Dieselskandal vor- geschlagen. Anders als in den
USA mussten die betroffenen Fahrzeug- halter in den meisten
EU-Ländern einzeln vor Gericht ziehen, um Scha- densersatz von dem
Konzern zu er- streiten.
Die neuen Klagerechte sollen aber eine ganze Reihe von Verstößen
um- fassen, etwa gegen die Rechte von Flug- und Bahnreisenden oder
den Datenschutz, und auch für Finanz- dienstleistungen, Energie,
Telekom- munikation, Umwelt und Gesundheit gelten.
Das Bundesjustizministerium (BMJV) begrüßte die politische Eini-
gung in Brüssel grundsätzlich, die nun noch formell von
Europaparla- ment und Rat bestätigt werden muss. „Das BMJV wird den
nun vor- liegenden Kompromiss analysieren und prüfen, wie er am
besten in das deutsche Recht umgesetzt werden kann“, sagte ein
Sprecher auf Anfra- ge.
Der rechtspolitische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag,
Jan-Marco Luczak, sprach sich dage- gen aus, das geltende Recht nun
zu ändern. Die Bundesregierung habe bereits 2018 mit der
Musterfeststel- lungsklage ein Instrument geschaf- fen, das
effektiven Verbraucher- schutz sicherstelle und für Unterneh- men
einen sicheren Rechtsrahmen schaffe, sagte er.
„Starke Leistungsklage war lange überfällig“ In Deutschland können
sich Verbrau- cher Sammelklagen anerkannter Ver- bände wie dem
Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) anschließen. Über die
Musterfeststellungsklage können sie so vom Gericht feststellen
lassen, dass ein Unternehmen seine Kunden geschädigt hat. Auf der
Grundlage eines solchen Urteils müs- sen die Kunden dann aber
einzeln erneut vor Gericht ziehen, um Scha- densersatz zu
erstreiten.
Die EU-Richtlinie geht einen Schritt weiter: Die klageberechtigten
Verbände sollen im Namen der Ver- braucher auch eine Entschädigung
erstreiten können. Jeder Mitglied- staat muss demnach mindestens
ei- ne qualifizierte Einrichtung benen- nen, die Sammelklagen im
Namen von Verbrauchergruppen einreichen kann. VZBV-Chef