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Halten_durch_Lueften

Date post: 11-Mar-2016
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Halten durch Lüften 1/11 «Halten durch Lüften» Ein spannender Bericht über den Brand bei der Frigo St. Johann AG. Mit freundlicher Genehmigung des Schweizerischen Feuerwehrverbandes. Dichter Rauch ist weithin sichtbar und sorgt teilweise für starke Geruchsbelästigung. Ende März 2010 bricht in einem Kühlhaus in Basel ein Brand aus. Der Einsatz entwickelt sich zum längsten in der Geschichte der Basler Feuerwehr. 17 Tage dauert es, bis das Ereignis bewältigt ist. Die zur Bell-Gruppe gehörende Frigo St. Johann AG (Frigo) hat ihr Domizil an der Neudorfstrasse nahe der Grenze zu Frankreich. Es umfasst mehrere Kühlhäuser, LKW-Laderampen, Verwaltungs- und Bürogebäude und weitere Energiebauten, welche auf einer Gesamtfläche von über 10'000 m2 angesiedelt sind. Zahlreiche unterirdische Verbindungen (Energieleitkanäle, Durchgänge etc.) machen das ganze Areal zu einem äusserst schwer durchschaubaren Labyrinth. Beim Brandobjekt handelt es sich um zwei ca. 30 Meter hohe Kühlhäuser mit Baujahr 1968 und 1972, aus welchen einerseits ein Ausgang ins Freie führt (Kühlhaus 4) und man andererseits durch Gänge in den Bürotrakt gelangen kann (Kühlhaus 3). The never ending story begins Samstag, 27. März 2010: Um 10:37 Uhr wird der Alarmzentrale der Berufsfeuerwehr Basel ein Brand in der Frigo an der Neudorfstrasse gemeldet. Sofort rückt ein Löschzug (Hilfe-Leistungs- Fahrzeug, Auto-Drehleiter, Tanklöschfahrzeug) an den Ereignisort aus. Nur vier Minuten später kommen die Einsatzkräfte vor Ort an und treffen folgende Lage an: Brand der Isolation im Erdgeschoss des Kühlhauses 3 mit starker Rauchentwicklung. Dichter Rauch ist bereits in den Durchgang zum Bürotrakt bis vor das Maschinenhaus vorgedrungen. Unverzüglich werden zur Unterstützung der Grosslüfter der Berufsfeuerwehr Basel und ebenfalls der bei der Stützpunktfeuerwehr Liestal stationierte Grosslüfter des Kantons Basel-Landschaft sowie der B- Dienst der Berufsfeuerwehr aufgeboten.
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«Halten durch Lüften» Ein spannender Bericht über den Brand bei der Frigo St. Johann AG. Mit freundlicher Genehmigung des Schweizerischen Feuerwehrverbandes.

Dichter Rauch ist weithin sichtbar und sorgt teilweise für starke Geruchsbelästigung. Ende März 2010 bricht in einem Kühlhaus in Basel ein Brand aus. Der Einsatz entwickelt sich zum längsten in der Geschichte der Basler Feuerwehr. 17 Tage dauert es, bis das Ereignis bewältigt ist. Die zur Bell-Gruppe gehörende Frigo St. Johann AG (Frigo) hat ihr Domizil an der Neudorfstrasse nahe der Grenze zu Frankreich. Es umfasst mehrere Kühlhäuser, LKW-Laderampen, Verwaltungs- und Bürogebäude und weitere Energiebauten, welche auf einer Gesamtfläche von über 10'000 m2 angesiedelt sind. Zahlreiche unterirdische Verbindungen (Energieleitkanäle, Durchgänge etc.) machen das ganze Areal zu einem äusserst schwer durchschaubaren Labyrinth. Beim Brandobjekt handelt es sich um zwei ca. 30 Meter hohe Kühlhäuser mit Baujahr 1968 und 1972, aus welchen einerseits ein Ausgang ins Freie führt (Kühlhaus 4) und man andererseits durch Gänge in den Bürotrakt gelangen kann (Kühlhaus 3). The never ending story begins Samstag, 27. März 2010: Um 10:37 Uhr wird der Alarmzentrale der Berufsfeuerwehr Basel ein Brand in der Frigo an der Neudorfstrasse gemeldet. Sofort rückt ein Löschzug (Hilfe-Leistungs-Fahrzeug, Auto-Drehleiter, Tanklöschfahrzeug) an den Ereignisort aus. Nur vier Minuten später kommen die Einsatzkräfte vor Ort an und treffen folgende Lage an: Brand der Isolation im Erdgeschoss des Kühlhauses 3 mit starker Rauchentwicklung. Dichter Rauch ist bereits in den Durchgang zum Bürotrakt bis vor das Maschinenhaus vorgedrungen. Unverzüglich werden zur Unterstützung der Grosslüfter der Berufsfeuerwehr Basel und ebenfalls der bei der Stützpunktfeuerwehr Liestal stationierte Grosslüfter des Kantons Basel-Landschaft sowie der B-Dienst der Berufsfeuerwehr aufgeboten.

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Gleichzeitig rückt ein erster Atemschutztrupp mit einer Druckleitung und Wärmebildkamera ins Kühlhaus 3 vor. Dabei stossen die Angehörigen der Berufsfeuerwehr auf ein nicht vorhersehbares Hindernis. Die tiefen Temperaturen von -30 °C machen der Wärmebildkamera derart zu schaffen, dass diese nicht mehr richtig funktioniert. Ein zweiter Atemschutztrupp, ausgerüstet mit einer Rettungssäge, macht sich daran, die Hohlwand zu öffnen, um an die Isolation heranzukommen und den Brand zu bekämpfen. Rumpelkammer Um 11:11 Uhr nimmt der Einsatz eine Wende. «Es rumpelte, klopfte, und dicker schwarzer Rauch drang aus dem Hohlraum im Innern des Kühlhauses, wenig später kommt es zur Rauchdurchzündung», so der Kommandant der Berufsfeuerwehr Basel und Gesamteinsatzleiter Roland Bopp. Die Einsatztrupps ziehen sich unverzüglich zurück und tasten sich im dichten Rauch der Druckleitung entlang aus dem Gebäude. Dank dem hohen Raum mit ca. 4,5 Metern Höhe fegt die Feuerwalze über ihre Köpfe hinweg, und sie spüren den Flashover «wie einen Heissluftföhn im Rücken». An diesem Tag hat somit nicht nur Roland Bopp tatsächlich Geburtstag, sondern fünf weitere Kameraden, die den Flashover unbeschadet, jedoch mit einem gehörigen Schrecken überstanden haben. Unverzüglich danach wird eine Vollständigkeitskontrolle bei den Einsatzkräften durchgeführt, die glücklicherweise positiv ausfällt. Kurz vor dem ersten Lagerapport um 12:30 Uhr beginnt es erneut zu klopfen und zu schlagen. Aus Sicherheitsgründen lässt der Einsatzleiter sämtliche Massnahmen innerhalb des Gebäudes stoppen und einen Statiker aufbieten, welcher das Gebäude prüfen soll. Gemäss Erkenntnissen aus dem ersten Lagerapport ergeben sich zwei Hauptprobleme: die massive Rauchentwicklung und eine unbekannte Menge Ammoniak im Gebäude und im Leitungssystem. Aus dieser Problemerfassung heraus resultieren folgende Entschlüsse: Halten (Rauch) Maschinenhaus, Betriebsgebäude, Kühlhaus Seafood und Sicherstellung Restbetrieb sowie Sicherung des Ammoniaktanks. Lüften, Lüften, Lüften … Ebenfalls aufgrund der Problemerfassung bildet die Einsatzleitung diverse Verantwortungsbereiche mit der Priorität «Lüften». Denn der Rauch ist bereits bis zum Maschinenraum vorgedrungen. Nach einer umfangreichen und aufgrund der Gebäudestrukturen sehr schwierigen Erkundung, welche aus Zeitgründen von verschiedenen Chargierten durchgeführt wird, entschliesst die Einsatzleitung folgenden Massnahmen: › Halten Technikräume/Kälteanlage › Halten ELT (Energieleitkanäle) respektive angrenzende Kühlhäuser Durch diese Massnahmen soll ebenfalls sichergestellt werden, dass Bell resp. Frigo einen Teilbetrieb in den nicht unmittelbar vom Brand betroffenen Gebäuden aufrecht erhalten kann. Zudem sollen in einer späteren Phase die Räumungsarbeiten durch die Lüfter unterstützt werden. Damit sämtliche Nebengebäude, Kühlhäuser und insbesondere das Maschinenhaus gehalten werden können, muss eine grosse Anzahl Lüfter bereitgestellt werden. Unterstützung erhält die Berufsfeuerwehr Basel von den benachbarten Feuerwehren. Insgesamt stehen schlussendlich 15 Lüfter, darunter zwei Grosslüfter, aus Basel-Stadt und der Landschaft im Einsatz. Keine einfache Aufgabe, eine so grosse Zahl Lüfter 24 Stunden lang über mehrere Tage koordiniert einzusetzen. Die Lage muss ständig überprüft und die Lüfterstellungen müssen gegebenenfalls angepasst werden. Ebenfalls ist die gute Kommunikation entscheidend für den Erfolg oder Misserfolg des Einsatzes. Zudem muss jeder Angehörige der Feuerwehr über die Position und die Art der Lüfter (Elektrisch oder Benziner) und dessen Einsatzzweck informiert sein. Dies, um zu verhindern, dass die teilweise «experimentellen» – aber gute Erfolge bringenden – Lüfterstellungen nicht in bester Absicht umgestellt werden.

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Zehn Tonnen Ammoniak – bloss wo? Da zu Beginn des Einsatzes unklar ist, wie viel Ammoniak sich zur Kühlung der Häuser in sämtlichen Anlagen befindet, wird ein weiterer Verantwortungsbereich gebildet. Wie sich später herausstellt, liefen insgesamt zehn Tonnen Ammoniak durch die Leitungen, um sämtliche Anlagen kühlen zu können, je eine Tonne allein davon befand sich im Expansionsgefäss der Kühlhäuser 3 und 4. An eine Rekognoszierung im Innern des Gebäudes, um allfällige Ammoniakaustritte zu suchen, ist aufgrund der schlechten Sicht und der vorgenommenen Sicherheitsmassnahmen nicht mehr zu denken. Deshalb wird die speziell dafür ausgebildete Messgruppe aufgeboten, die die nötigen Messungen vornimmt. In der Luft wird glücklicherweise kein Ammoniak festgestellt. Der Einsatzleitung ist klar, dass wegen der Kälteanlage unbedingt ein Sachverständiger, der die Gegebenheiten vor Ort kennt, auf Platz muss. In der Nacht auf Sonntag wird im bernischen Kirchberg der bereits pensionierte Konstrukteur ausfindig gemacht, der von der Polizei dann an den Einsatzort transportiert wird. Dank seiner Beratung und der weiterer Kälteanlagenspezialisten gelingt es am Sonntag, den Einsatztrupps unter Atemschutz, die Kühlhäuser 3 und 4 abzuschiebern. Trümmerwurf Die Statiker bestätigten unterdessen, dass das Gebäude einsturzgefährdet ist. Es stellt sich nämlich ebenfalls heraus, dass die Betonplatten der Fassade praktisch nur auf¬gehängt sind und so keine Tragefunktion haben. Eines der wichtigsten Ziele am Sonntag ist, Teile der Fahrzeugladerampe und Büros für die Weiterarbeit wieder freigeben zu können. Deshalb wird wegen allenfalls herabfallender Trümmer und Betonabplatzungen ein Abstand von 15 Metern ums Gebäude als Gefahrenzone definiert. Die Neudorfstrasse ist weiterhin unpassierbar, und die Ein-/Ausfahrt der Autobahn Basel–Mulhouse muss gesperrt werden. In den benachbarten Anbauten werden erfolgreich die umfangreichen Druckbelüftungsmassnahmen weitergeführt. Florian Hamburg – bitte kommen! Wie weiter? Das weitere Vorgehen stellt die Einsatzleitung vor eine weitere Herausforderung. So wird ein Offizier damit beauftragt, im Internet nach einem Referenzbrand zu suchen. Es soll damit Klarheit geschaffen werden, ob zum Löschen der Isolationsmaterialien Wasser oder Schaum besser und effizienter ist. Bei den Recherchen stösst der Offizier auf einen Kühlhausbrand in Hamburg. Sofort wird telefonisch Kontakt mit dem damaligen Einsatzleiter aufgenommen, der den Basler Kräften ein Löschen der Isolation primär mit Wasser vorschlägt. Ernüchternd bei diesem Gespräch ist die Nachricht der Hamburger Kollegen, dass sie das Kühlhaus damals ausbrennen lassen mussten, und dies dauerte über zwei Wochen. 29. März 2010, Tag 3 beginnt Das ausgeklügelte Über- und Unterdruckbelüftungskonzept bewährt sich weiterhin. Jedoch müssen sämtliche 15 Hochleistungslüfter in Betrieb gehalten werden, um die Druckverhältnisse nicht wieder aus dem Gleichgewicht zu bringen. Dieser pausenlose Einsatz führt beim Grosslüfter aus Basel jedoch zu Problemen, und er beginnt immer stärker zu stocken. Die Einsatzleitung beschliesst deshalb, vorsorglich den Grosslüfter von Schutz & Rettung Zürich aufzubieten, falls der andere definitiv aussteigen sollte.

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Ebenfalls muss das weitere Vorgehen besprochen werden. So beschliesst die Einsatzleitung zusammen mit den Statikern und der Versicherung, in die Fassade des betroffenen Kühlhauses 3 eine Öffnung zu schlagen. Hierfür wird das Sicherheitsdispositiv nochmals erhöht und die Sanität vor Ort beordert. Um 14:00 Uhr beginnen Baumaschinen ein erstes Loch von ca. zwei Metern Durchmesser in die Aussenhaut zu schlagen. Weitere Öffnungen sollen im Verlaufe der nächsten Tage folgen. Kühlhaus 3 steht weiterhin in Brand. Mit der Wärmebildkamera werden an der Aussenwand teilweise sogar Temperaturen von 150 °C gemessen. Aber nicht nur mit der Kamera lässt sich von aussen her das Feuer ungefähr lokalisieren. Die Fassade wird nass gespritzt, und dort, wo das Wasser schneller verdampft, wird das Feuer ungefähr ermittelt. Man bringe uns Wasser Dienstag, 30. März 2010, Tag 4: Noch immer stehen die Einsatzkräfte pausenlos im Einsatz. Primär muss unter allen Umständen der Betrieb der Lüfter aufrecht erhalten werden. «Würde auch nur ein Lüfter abgestellt, würde dies das Belüftungskonzept aus dem Gleichgewicht bringen», so Daniel Goepfert, Leiter Verantwortungsbereich Lüften. Um allfälligen Problemen vorzubeugen, werden Schlüsselpositionen doppelt besetzt, sodass ein Lüfter zum Betanken oder bei Problemen jeweils abgestellt werden kann. Im Kühlhaus 3 brennt es noch immer. Von aussen zu hören sind umstürzende Paletten, da die auf eine Höhe von ca. 3,5 Metern gelagerten tiefgekühlten Produkte in ihren Kartonschachteln tauen, instabil werden und so keine Tragfähigkeit mehr besitzen. Noch immer muss davon ausgegangen werden, dass das Kühlhaus oder Teile davon einstürzen und dabei spontan Ammoniak freigesetzt werden könnte. Um bei einem solchen Fall genügend Wasser vor Ort zu haben, wird die Stützpunktfeuerwehr Muttenz mit dem Wassertransport beauftragt. Über eine längere Strecke werden Hydranten von einem anderen Wassernetz angezapft und so Wasser zum Einsatzort geleitet. In der Nacht facht starker Wind das Feuer nochmals an und produziert einen immensen Rauchaustritt aus der Öffnung. Erstmals treffen auch Meldungen über Geruchsbelästigungen aus St. Louis (F) ein. Die Schadstoffmessungen verlaufen jedoch negativ. Raus damit Am fünften Tag des Einsatzes machen die Messtrupps positive Ammoniakmessungen im Treppenhaus. Verantwortlich dafür sind wohl Reste des Kühlmittels aus den Zuleitungen. Diesem Problem kann jedoch mit Belüften entgegengewirkt werden. Via die geschaffenen Öffnungen in der Fassade beginnen Mitarbeiter der damit beauftragten Baufirma mit dem Ausräumen der auftauenden Kühlware aus Kühlhaus 4. Wegen der zunehmenden Instabilität der durchnässten Kühlware muss äusserst sorgfältig vorgegangen werden. Um die starken Rauchemissionen zu reduzieren, wird im Kühlhaus 3 von aussen her Schaum eingebracht. Die erwünschte Wirkung kann jedoch wegen der darunterliegenden Trümmerlage nicht zur vollsten Zufriedenheit erzielt werden. Kein Aprilscherz 6. Tag, 1. April 2010: Die Aussenöffnungen sind zu klein, um effektive Interventionen starten zu können. Die Einsatzleitung zieht deshalb in Erwägung, das Dach einzureissen, um so das Feuer letztendlich löschen zu können. Doch dieses Vorhaben muss aufgrund der Prognose abgebrochen werden, bevor es noch richtig begonnen hat. Experten rechnen damit, dass dieses Unterfangen bis zu drei Wochen dauern könnte. Was wie ein Aprilscherz tönt, aber keiner ist. Ausserdem würde die Statik unnötig geschwächt.

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Nach einer erneuten Beurteilung der Lage wird entschieden, in den nächsten Tagen die an der Fassade angebrachten Öffnungen zu erweitern, um mit Kleinbaggern das Ausräumen speditiv voranzutreiben. Durch diese Öffnungen soll dann das Lagergut (Fleisch, Fertigmahlzeiten etc.) quasi von aussen ausgelöffelt und so entsorgt werden. Gesucht: KVA Ein grosses Problem beschäftigt die Einsatzleitung spätestens am Karfreitag, 2. April 2010. Wohin mit den 4'300 Tonnen aufgetautem und verbranntem Fleisch, Geflügel und Tiefkühlkost? Erste Anfragen bei der Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) in Basel fallen ernüchternd aus. Über nur gerade rund 20 Tonnen Kapazität verfügt eine KVA pro Tag für solches Gut. Somit wäre eine KVA alleine über 215 Tage mit der Entsorgung beschäftigt. Wegen der immer höher werdenden Geruchsemission durch verwesendes Fleisch muss die Entsorgung jedoch einiges schneller vonstatten gehen. Rund ein halbes Dutzend KVA bis weit ins Bündnerland werden angefragt und können für das Vorhaben gewonnen werden. So muss noch das Problem mit dem Transport gelöst werden. Bei der Polizei wird eine Bewilligung für Sonntagstransporte eingeholt, damit die pausenlose Entsorgung über die nächsten Tage sichergestellt werden kann. Ebenfalls an diesem Freitag werden grosse Fassadenöffnungen im Kühlhaus 4 angebracht. Was die Kräfte durch diese Öffnung sehen können, verblüfft. Im Kühlhaus brennt nach wie vor das Licht. Reinigungskräfte eingeflogen Ein weiteres Problem besteht in der Reinigung der verschmutzten Einsatzausrüstung und der Gerätschafen. Durch das immer noch abbrennende Bitumen in der Isolationsverkleidung werden Geräte wie Hochleistungslüfter, Wärmebildkameras und Brandschutzausrüstungen stark verschmutzt. Sie sind mit herkömmlichen Reinigungsmitteln nicht innert nützlicher Frist wieder einsatzbereit zu machen. Eine auf die Schadensanierung spezialisierte Firma lässt zusätzliches Reinigungspersonal und -material aus Portugal einfliegen, welches primär zur Reinigung der Räumlichkeiten eingesetzt werden soll. Mit grossem Erfolg kann diese jedoch auch die Gerätschaften wieder instand stellen. Ziel verfehlt Samstag vor Ostern, 8. Tag in Folge. Das Teilablöschen des Erdgeschosses im Kühlhaus 3 via Kühlhaus 4 schreitet zügig voran. Ebenfalls wird die Räumung von Kühlhaus 4 weiter vorangetrieben. Hierfür schiebt ein Bobcat das zu entfernende Material via Fassadenöffnungen ins Freie auf die Strasse. Die umfassenden Räumungsmassnahmen ziehen sich dann auch über Ostern hin. Das ursprüngliche Ziel, den Einsatz bis zu den Feiertagen abschliessen zu können, kann somit nicht umgesetzt werden. Erst ab Montag kann jeweils in der Nacht der Personalbestand auf rund die Hälfte, sprich ca. zehn Personen, heruntergefahren werden. Wegen des Schmelz- und Löschwassers muss im Kühlhaus 4 eine Kernbohrung zur Entlastung des 1. OG vorgenommen werden. Mittlerweile stösst auch die Kapazität bei der Brandschutzausrüstung an ihre Grenzen. Vom Einsatz zurückgekehrte Ausrüstung ist dermassen verschmutzt und stinkt, dass sie nicht erneut getragen werden kann. Die Wäscherei im Zeughaus Basel schafft Abhilfe. Jeweils am Morgen wird die verschmutzte Kleidung abgeholt, während des Tages gewaschen und am anderen Morgen wieder angeliefert. Da der Verwesungsgeruch ab diesem Tag merklich zunimmt, entschliesst die Einsatzleitung, die Ausrüstung jeweils vorgängig noch zu dekontaminieren. Noch immer sind die mit einer Staubmaske ausgerüsteten Bauarbeiter damit beschäftigt, das Kühlhaus auszuräumen. Infolge einer Kohlenmonoxid-Überschreitung müssen die Arbeiter im Verlaufe des Tages jedoch im Spital kontrolliert werden.

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Um permanent CO-Messungen durchführen zu können, werden in der Folge fixe Messgeräte installiert, die selbstständig die Werte zur Einsatzleitung übermitteln. Noch immer sind über 80 % der Lüfter im Dauerbetrieb und absolut notwendig. Vom Regen in die Traufe 12. Tag, 7. April: Auf dem Dach des Kühlhauses hat sich so viel Regenwasser angesammelt, dass dieses mittels Tauchpumpen entfernt werden muss, da die Tragfähigkeit der Mauern nicht mehr gegeben ist. Doch nicht nur die Menge des Regenwassers nimmt zu, sondern auch die Ammoniakkonzentration. Via Dach wird das Ammoniak erfolgreich mittels einer Vakuumpumpe abgesaugt. Die Geier kreisen Der heftige Verwesungsgeruch zieht nicht nur Vögel an, sondern kann auch Beschwerden auslösen. Mittels von aussen eingespritzter Bakterien wird versucht, den Verwesungsprozess zu verlangsamen. Dieses Vorgehen hat sich beim Tsunami in Thailand vor vier Jahren bewährt. Die Wirkung hier muss aufgrund der hohen Temperatur im Innern jedoch in Frage gestellt werden und bringt schlussendlich doch nicht den gewünschten Erfolg. Das Ende naht Vier Tage später, also am 11. April, sind die Glutnester im Kühlhaus 3 nahezu komplett gelöscht oder von selbst ausgegangen und die CO- und Ammoniakkonzentrationen stabil, resp. dauerhaft gesenkt. Erfolg auch bei der Räumung selbst. Kühlhaus 4 ist vom Erdgeschoss bis zum 3. Stock nahezu komplett ausgeräumt. Am 12. April geht, nach 17 Tagen, der längste Einsatz in der Geschichte der Basler Feuerwehr zu Ende. Sämtliche Schadstoffwerte liegen weit unterhalb der Limiten. Spezialfirmen errichten die Fassadensicherung. Die Räumung des ausgebrannten Kühlhauses nimmt weitere 2 – 3 Wochen in Anspruch und wird von Reinigungs- und Sanierungsfirmen vorgenommen. Auch fahren Wischmaschinen auf, um die Strasse vor den Kühlhäusern zu reinigen. Durch das «Auslöffeln» der Kühl¬häuser und Auf-die-Strasse-Schieben des Materials wurde diese doch sehr stark verschmutzt, und es bildet sich zusammen mit Wasser ein schmieriger Film. Im Schweisse des Angesichts Die Brandursache dürfte gemäss Angaben der Basler Staatsanwaltschaft auf Schweissarbeiten zurückzuführen sein, welche im Rahmen von Revisionsarbeiten ausgeführt worden sind. Feuer gefangen hat dabei das Isolationsmaterial des Gebäudes, das unter anderem aus Kork und Bitumen besteht. Zahlenspiegel Betroffen waren 8'000 bis 9'000 Palettenplätze mit Tiefkühlkost von Fleisch bis hin zu Pizzas. Insgesamt wurden 4'300 Tonnen Esswaren mit einem Warenwert von gegen 50 Mio. Franken zerstört. Die gesamten Einsatzkosten des 17 Tage dauernden Einsatzes verschlagen eine Summe von rund einer Million Franken. Noch nicht bezifferbar ist der Totalschaden an den beiden Kühlhäusern. Die gesamte Schadensumme dürfte jedoch bei rund 80 Millionen Franken liegen. Gehalten werden konnten drei Lagergebäude sowie der Verwaltungstrakt. Insgesamt wurden gegen 9'000 Mannstunden geleistet. 341 Feuerwehrleute waren abwechselnd im Einsatz. 1'200 Verpflegungen wurden eingenommen. 902 Atemschutzflaschen mussten gefüllt werden, und 5'600 Liter Betriebsstoff wurden verbraucht.

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Führungsrhythmus Der Erfolg eines solchen Ereignisses steht und fällt mit der Führung. Schon von Anfang an wurde darauf geachtet, dass eine Struktur ins Geschehen gebracht werden kann. So wurde am Tag 1 alle zwei Stunden ein Lagerapport durchgeführt. Von Tag 2 bis 5 fand zweimal täglich ein Rapport statt und von Tag 6 bis 17 noch einmal täglich. Schwerpunktmässig wurden die nachstehenden Verantwortungsbereiche und deren mögliche Umsetzung besprochen: › Lüften › Statik › Messungen

› Ammoniak › Brandbekämpfung › Entsorgung

Merci! Nach dem über zwei Wochen dauernden Kampf gegen das Feuer im Kühlhaus an der Neudorfstrasse zeigt die Firma Bell ihre Dankbarkeit gegenüber den nimmermüden Feuerwehrleuten für ihren mit viel Engagement und grossem logistischem Aufwand betriebenen Einsatz mit einer ungewöhnlichen Aktion. Auf dem weithin sichtbaren Transparent, mit welchem die nach dem Brand eher trostlos wirkende Fassade kaschiert wurde, erinnert die vom Ereignis ¬betroffene Firma auf 1'300 Quadratmetern noch lange an den längsten und aufwendigsten Einsatz der Basler Feuerwehren, die dabei auch von ihren basellandschaftlichen Kollegen tatkräftig unterstützt worden waren. Niklaus Lerch Lehren und Erkenntnisse Positives › Keine verletzten Einsatzkräfte und

Betriebsmitarbeiter › Halten durch Lüften (Maschinenraum,

übrige Kühlhäuser und Anbauten) › Sicherstellung der Produktion

› Bikantonale Zusammenarbeit der Feuerwehren und in der Gesamteinsatzleitung

› Führungsstruktur hat sich bewährt › Problemabgleich mit Berufsfeuerwehr

Hamburg (Referenzbrand) Erkenntnisse › Fassade früher öffnen › Frühzeitig Chef Logistik-Front einsetzen

(Materialkontrolle) › Volumenzeichnungen/Luftbild erstellen

lassen › Einsatzpläne «Störfallbetriebe» müssen

durch die zuständige Stelle immer wieder

überprüft werden (GAU-Szenarien erarbeiten)

› Koordinierte Lagebulletins für alle Einsatzkräfte und rückwärtige Dienste erstellen

Mittel Feuerwehren › Berufsfeuerwehr Basel › Bezirksfeuerwehr Basel › Feuerwehr Johnson Controls Basel › Werkfeuerwehr Roche Basel

› Stützpunktfeuerwehr Liestal › Stützpunktfeuerwehr Muttenz › Feuerwehr Binningen › Schutz & Rettung Zürich

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Weitere Organisationen › Kantonspolizei Basel-Stadt › Sanität Basel › Amt für Umweltschutz und Energie › Firma Belfor (Spezialreinigung) › Bell/Frigo › Baugeschäft Stamm › Daru-Wache › Einsatzunterstützung der Rettung Basel › Gebäudeversicherung Basel-Stadt › Statiker

› Industrielle Werke Basel › Kältetechnik › Koche an dr Strooss (Verpflegung) › Lufthygieneamt › Mobiliarversicherung › Staatsanwaltschaft/Kripo › Tiefbauamt Basel › Vekehrstechnik Kapo/Nationalstrassen

Nordwestschweiz

Fotos

Die zur Bell-Gruppe gehörende Frigo St. Johann AG hat ihr Domizil an der Neudorfstrasse nahe der Grenze zu Frankreich. Das Areal umfasst mehrere Kühlhäuser, LKW-Laderampen, Verwaltungs- und Bürogebäude und weitere Energiebauten, welche auf einer Gesamtfläche von über 10'000 m2 angesiedelt sind.

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Mit massiven Mitteln wird versucht, das Feuer und die damit verbundenen Rauchemissionen zu bekämpfen.

Trupps unter Atemschutz erkunden das Innere der betroffenen Räumlichkeiten.

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Mit Kleinbaggern wird das verweste, aufgetaute und verbrannte Lagergut aus dem Gebäude geschaufelt.

Dreck dick – Bitumenablagerung auf einem Hochleistungslüfter.

Gesamteinsatzleiter Roland Bopp, Kommandant der Berufsfeuerwehr Basel, führte den 17 Tage dauernden Einsatz.

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Das Merci der Firma Bell an die Einsatzkräfte. Fotos: Niklaus Lerch & Berufsfeuerwehr Basel Dieser Bericht erschien im Januar 2011 in der Schweizerischen Feuerwehr-Zeitung. www.swissfire.ch