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Grüen 6 - Bildung

Date post: 20-Mar-2016
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Das Themenmagazin der bayerischen Grünen
25
6 Das Magazin der bayerischen Grünen BILDUNG Wie wir auf den Trichter kommen.
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Page 1: Grüen 6 - Bildung

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6Das Magazin der bayerischen Grünen

BILDUNGWie wir auf den Trichter kommen.

Page 2: Grüen 6 - Bildung

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bildung in zahlen und mehr 4

anders lernen 6Die Bildungspolitik heute entscheidet wie wir morgen leben

bock auf schule 12Eine Schule am Rande unseres Bildungssystems

lehren braucht charisma 16Interview mit Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth

grosser sprung? 20Welche Strategie ist besser?

inhalt

länger gemeinsam lernen ... 22Interview mit Christa Goetsch

was hast du heute gelernt? 23

auf wiedersehen? 24

auf den deckel 26

impressum 27

EDITORIAL

An dieser Stelle breit auszuführen, wie wichtig Bildung für ein-

zelne, aber auch für die gesamte Gesellschaft ist, wäre fast schon

überflüssig. Die Stichworte Mündigkeit, Fachkräftemangel, Wis-

sensgesellschaft und Teilhabe reichen eigentlich aus, um die gro-

ße Bedeutung des Themas zu unterstreichen. Wenn dagegen die

Frage gestellt wird, wie wir Bildung organisieren, wie die Vermitt-

lung von Wissen und die Entwicklung von Fähigkeiten am besten

gefördert wird, bleibt der Konsens ganz schnell auf der Strecke.

Nimmt man die internationalen PISA-Vergleichstests als Maß-

stab, schneiden sowohl das für gnadenlose Paukerei bekannte Südkorea als auch das

kuschelpädogikverdächtige Finnland sehr gut ab. Allerdings stellt sich schon die Frage,

wieso man Kinder und Jugendliche erst einmal an den Rand des Zusammenbruchs brin-

gen soll, wenn es anders genauso gut klappt.

Wer seine Erfolge durch Fleiß und Disziplin erzielt hat, verfügt über ein anderes Weltbild

als derjenige, der durch Motivation und Eigenantrieb zum Ziel kommt. Letzterer wird im

späteren Leben aber auch mal kritisch nachfragen, weil das eben dazugehört. Aber das ist

eine Fähigkeit, die nicht von allen gerne gesehen wird.

Die Bayerische Staatsregierung zum Beispiel hält sich ja zugute, dass der Erfolg der baye-

rischen Schülerinnen und Schüler vor allem ihrer weitsichtigen Bildungspolitik geschul-

det ist. Das Ranking wird gerne als schlagendes Argument gegen jeden Wunsch nach

Reform ins Feld geführt. Auch wir freuen uns, wenn die Kinder in Bayern gut abschnei-

den. Aber erstens dürfen wir nicht vergessen, dass zu viele durch das Raster fallen; beson-

ders diejenigen, die von zuhause eben wenig oder keine Unterstützung bekommen. Und

zweitens lässt sich dasselbe Ergebnis auch auf einem anderen Weg erzielen: kind gerecht,

ohne den Druck der Auslese schon nach der vierten Klasse. Auch uns steht es offen, den

finnischen Weg zu gehen. Nur die Staatsregierung will davon nichts wissen. Einbildung

wird dort anscheinend auch für eine Form der Bildung gehalten.

Theresa Schopper, Landesvorsitzende

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GRUEN 6 I BILDUNG

bildung in zahlen und mehr

Bildung rechnet sich

Jeder Akademiker bringt der öffentlichen Hand im Schnitt

120.000 Euro Gewinn, verrechnet man die Bildungsausgaben

mit den Steuern und Abgaben, die die Absolventen zahlen.

Lebenslanges Lernen ...

Volkshochschulen in Bayern: 217

In Bayern veranstalten die Volkshochschulen ihr Programm

in etwa 1.000 Betriebsstätten (einschließlich 800 Außenstellen).

2004 waren dies über 171.000 Volkshochschulangebote mit

einem Umfang von 1.445.000 Doppelstunden (= 90 Minuten)

für 2.860.000 Menschen.

Ausgaben für Bildung (öffentlich und privat) in Prozent des BIP (2012)

Island: 8,1

Chile: 6,8

OECD: 6,2

Polen: 5,8

Deutschland: 5,3

Italien: 4,9

Wenn Bildung schwer wiegt

Der durchschnittliche Schulranzen

hat ein Gewicht von 17,2%

des Körpergewichts des Kindes.

Gemessen am Normalgewicht

des Kindes sollte der gefüllte

Schulranzen ca. 12% - 13% des

Körpergewichtes betragen.

Übertrittsquoten Gymnasium („Wo die klugen Kinder wohnen“)

Landkreis München: 61%

Landkreis Starnberg: 58%

Stadt Erlangen: 54%

Landkreis Cham: 27%

Landkreis Rottal-Inn: 27%

Landkreis Donau-Ries: 25%

Bayern: 39%

Page 4: Grüen 6 - Bildung

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Wenn Lehrer ausbrennen ...

35 Prozent der Pädagogen sind ausgebrannt,

20 Prozent sind sogar behandlungsbedürftig.

(Prof. Joachim Bauer, Klinik für Psychosomatische

Medizin Freiburg)

Hirndoping im Trend

Knapp 50.000 bayerische Kinder nehmen regelmäßig

Methylphenidat (z.B. Ritalin) ein.

Immerhin 21% der Erwachsenen in Deutschland wären

bereit , die eigene Leistungsfähigkeit auch medikamentös

zu erhöhen.

Wenn Schule Angst macht ...

Als Didaskaleinophobie oder Scolionophobie wird

die Angst vor dem in die Schule gehen bezeichnet.

... oder zumindest keinen Spaß.

Die Polizei registrierte 2 251 Fälle in Bayern,

in denen Schüler unerlaubt vom Unterricht fernblieben.

Wenn mit (Zukunfts-) Angst Geld gemacht wird

Laut Studien geben Eltern in Deutschland zusammen bis zu 1,5 Milliarden Euro

für die Nachhilfe ihrer Sprösslinge aus.

Bis zu 1,1 Millionen Schülerinnen und Schüler nehmen mittlerweile regelmäßig

bezahlten Nachhilfeunterricht in Anspruch.

Bereits in der Grundschule bekommen im Schnitt aller Bundesländer 14,8 Prozent

der Viertklässler Nachhilfe im Fach Deutsch.

Mal ganz allgemein

17 Millionen Menschen, etwa ein Fünftel der Bevölkerung Deutschlands, nutzen Bildungsangebote: Sie gehen in Kinder-

tageseinrichtungen, absolvieren allgemeinbildende und berufliche Bildungsgänge oder besuchen Hochschulen.

Auch als Arbeitgeber ist das Bildungssystem in Deutschland wichtig: 1,5 Millionen Menschen sind in diesen Institutionen

mit pädagogischen oder wissenschaftlichen Aufgaben beschäftigt.

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GRUEN 6 I BILDUNG

anders lernenDie Bildungspolitik heute entscheidet wie wir morgen leben Von Thomas Gehring

Page 6: Grüen 6 - Bildung

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dividuelle Unterstützung. Für Grüne Bil-

dungspolitik ist die Vielfalt der Kinder

nicht nur eine Herausforderung, sondern

auch ein Gewinn und eine Chance.

die blockierte staatsregierung Hingegen scheitert der Versuch der Staats-

regierung, ein Jahr vor der Landtagswahl

alle bildungspolitischen Baustellen „abzu-

räumen“ und Zufriedenheit über das „Bil-

dungsland Bayern“ zu verbreiten, gran-

dios. Die Unzufriedenheit bei Eltern,

SchülerInnen, Lehrkräften, Schulverwal-

tung und Kommunen über die Bildungs-

politik der Staatsregierung und die Lage

an Bayerns Schulen ist riesig. Die CSU ist

aufgrund ideologischer Blockaden zu ei-

nem Aufbruch in der bayerischen Bil-

dungspolitik nicht in der Lage. Die FDP ist

einfluss- und konzeptionslos und hat die

Erwartungen vieler in eine andere Bil-

dungspolitik in Bayern enttäuscht.

Kultusminister Spaenle hat die bayerische

Bildungslandschaft lediglich um zahlrei-

che neue Begriffe bereichert, von der Ge-

lenkklasse bis zum Intensivierungsjahr.

Diese inhaltlosen Wortschöpfungen ste-

hen aber nicht für eine neue Politik, son-

dern sollen die alten Probleme nur ka-

schieren. Der durch die bildungspolitischen

Fehler der Vergangenheit (Ära Stoiber)

entstandene Schaden an der Qualität des

bayerischen Bildungswesens, wie etwa die

übereilte, dilettantische und schlechte Ein-

Wir bilden heute Bayerns Zukunft. Des-

halb entscheidet aktuelle Bildungspolitik

darüber, wie wir und unsere Kinder in

Bayern leben werden. Ob Bayern ein ge-

rechtes, weltoffenes, lebenswertes Land

sein wird mit einer prosperierenden und

nachhaltigen Wirtschaft, das von mündi-

gen Bürgerinnen und Bürgern gestaltet

wird. Wenn wir an die Anforderungen der

Welt von morgen denken, wird uns be-

wusst, dass die Schule von heute, die nach

bildungspolitischen Vorstellungen von

gestern und vorgestern gestaltet wird, die-

ser Zukunft nicht gerecht werden kann.

kinder und jugendliche in den mittelpunkt Grüne Bildungspolitik stellt Kinder und

Jugendliche in den Mittelpunkt. Die erste

Frage ist für uns: was brauchen sie zum

Lernen und um glücklich in der Schule zu

sein? Kinder und Jugendliche sind neugie-

rig, voller Wissensdurst und Experimen-

tierfreude. Sie haben viele Fragen nach

dem Wie und Warum in dieser Welt. Wir

wissen, Kinder und Jugendliche sind von

Anfang an individuelle Persönlichkeiten,

sie haben unterschiedliche Ausgangslagen,

Anlagen, Fähigkeiten und Vorlieben und

entwickeln sich unterschiedlich. Ein ge-

rechtes Bildungswesen nimmt die Unter-

schiede ernst und lässt kein Kind zurück.

Soziale Herkunft darf den Bildungserfolg

nicht bestimmen, jedes Kind hat die opti-

male Förderung verdient und braucht in-

führung des G 8, die Versäumnisse beim

Ausbau der Ganztagsschule, oder die

Spar politik zu Lasten der SchülerInnen

(Klassengrößen) und der Lehrkräfte (Ar-

beitszeiterhöhung), wurde nicht oder nur

unzureichend korrigiert. Notwendige

Reformen (Schulstruktur, Lehrerbildung,

Schulverwaltung) wurden bisher nicht an-

gegangen und werden aus ideologischen

Gründen versäumt.

Entgegen aller Ankündigungen werden

die Rahmenbedingungen (z. B. Lehrerver-

sorgung, Mittel für Ganztagschulen) nicht

besser und stehen dazu von Schuljahr zu

Schuljahr immer wieder zur Disposition,

so dass die Schulen keine Planungssicher-

heit haben.

Die Bildungspolitik der Staatsregierung

ist nicht zukunftsorientiert, sie ist in ih-

rer Selbstbeweihräucherung rückwärtsge-

wand. Sie nimmt als „Politik von oben“

die Gestaltungsmöglichkeiten der Akteure

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GRUEN 6 I BILDUNG

„Immer noch bestimmt der soziale Hintergrund den Bildungserfolg“

Page 8: Grüen 6 - Bildung

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vor Ort nicht ernst und ist so auf Struktur-

und Statusfragen fixiert, dass sie die Schü-

lerinnen und Schüler eben nicht in den

Mittelpunkt ihrer Bildungspolitik stellt. So

steht für Kultusminister Spaenle als Ideo-

loge des dreigliedrigen Bildungssystems

die Aufteilung der Kinder auf verschiede-

ne Schularten im Vordergrund. Er bringt

keine Bildungspolitik auf den Weg, die es

Schulen ermöglicht, Kinder wirklich indi-

viduell zu fördern und ihnen individuelle

Leistungs anreize anzubieten, Neigungen

zu ver tiefen und Schwächen mit spezifi-

schen Unterstützungsübungen auszuglei-

chen.

Da durch vergibt die Staatsregierung Zu-

kunftschancen der Kinder und Jugend-

lichen, noch bevor diese die Zeit hatten,

ihre Potentiale auszubauen. Zu viele

Talente bleiben dadurch unent wickelt.

Die Unzufriedenheit vieler Eltern ist groß,

weil sie feststellen, dass die bayerische

Schule ihren Kindern und deren individu-

ellen Lernbedürnissen nicht gerecht wird

– unabhängig wie erfolgreich der Weg ih-

res Kindes durch das bayerische Bildungs-

system ist.

wenig abiturientenNach wie vor bestimmt in Bayern so sehr

wie in keinem anderen Bundesland der so-

ziale Hintergrund den Bildungserfolg.

Was das derzeitige Bildungssystem nicht

leisten kann, wird von Eltern für ihre Kin-

der außerhalb der Schule eingekauft, was

die Schieflage im Bildungserfolg und die

soziale Benachteiligung noch deutlich ver-

schärft. Aber auch in der Spitze ist Bayern

nicht erfolgreich, das belegt etwa die nied-

rige Abiturientenquote, obwohl laut PISA-

Test mehr SchülerInnen das „Zeug dazu

hätten“, das Abitur zu schaffen. Die Zahl

der Schüler ohne Abschluss ist viel zu

hoch und insbesondere die Bildungschan-

cen von Kindern mit Migrationshinter-

grund werden nicht genutzt.

Wir wollen die Bildungspolitik vom Kopf

auf die Füße stellen. Nicht die Frage, wel-

ches Kind „passt am besten in welche

Schulart“ ist für uns der Ausgangspunkt,

sondern die Frage, wie kann Schule so

gestaltet werden, dass auf die Lernbedürf-

nisse und Potentiale jedes Kindes einge-

gangen werden kann, so dass „individuelle

Förderung“ kein Schlagwort bleibt, son-

dern tatsächlich stattfindet.

Lernen verstehen wir als einen aktiven,

selbstgesteuerten und sozialen Prozess, der

auch nach der Schule nicht endet. Was

man sich selbst angeeignet hat, was man

selbst – durchaus auch im wörtlichen Sin-

ne – begriffen hat, weiß man auch nach-

haltig. Und Neurobiologen und Lernfor-

scher bekräftigen: Positive Motivation,

Zutrauen in die eigenen Leistungen und

Lernfreude sichern den Lernerfolg. Wer

ein positives Selbstlernkonzept hat („ich

weiß, wie ich etwas lerne“), kann sich an-

strengen und etwas leisten - auch im Sinne

lebenslangen Lernens.

lebensraum schuleDabei ist Lernen ein sozialer Prozess. Des-

halb ist für uns Schule keine Anstalt, in der

man Wissen „tankt“, sondern ein Lebens-

raum. Bildung entsteht in Beziehungen,

sie beruht auf Vorbildern, auf Austausch,

auf Kommunikation, auf Dialog, wie auch

auf der Konfrontation mit unterschiedli-

chen Lebensentwürfen. Ein positives und

sicheres Sozialklima in der Lernumgebung

ist eine wichtige Voraussetzung für einen

nachhaltigen Lernerfolg.

An schulischen wie außerschulischen

Lernorten lernen junge Menschen die na-

türliche und die sozialen Umwelt kennen

und den achtsamen Umgang. Schule soll

zu verantwortlichem Handeln befähigen.

Bildung ist für uns immer Persönlichkeits-

bildung. Wir Grünen stehen für eine neue

Bildungspolitik in Bayern – neu im Stil

und in den Inhalten.

Schlüsselbegriffe grüner Bildungspolitik

sind Vertrauen, Verlässlichkeit und Er-

möglichen. Gegen die in der Kultushierar-

chie vorherrschende Misstrauenskultur-

setzen wir eine Kultur des Vertrauens, die

Leistungen der SchülerInnen und guter

Schulen fördert. Gegen eine intransparen-

te und nicht verlässliche Stellenpolitik

setzen wir eine Politik der verlässlichen

Rahmenbedingungen, die den Akteuren

vor Ort die nötigen Handlungsspielräume

gibt. Und gegen eine Politik des Durchre-

gierens setzen wir eine Politik des Ermög-

lichens, die neue Wege und Innovationen,

die von den Beteiligten vor Ort getragen

werden, unterstützt und nicht mehr

behindert.

sechs eckpunkte eines grünen bildungs- aufbruches für besseres lernen in bayern1. Übertrittsdruck beenden

Beim Übertritt nach der vierten Klasse

werden die Probleme des bayerischen ge-

gliederten Schulwesens offensichtlich. Der

große Druck in den Klassen drei und vier

ist belastend für die SchülerInnen, führt

zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen,

fördert Schulangst, demotiviert Schüler-

Innen und beeinträchtigt ihre Leistungsfä-

higkeit. In den Grundschulen ist aufgrund

des Sortierdrucks gute Grundschulpäda-

gogik nicht mehr möglich. Wir wollen den

Übertrittsdruck beenden, indem wir das

derzeitige Übertrittsverfahren abschaffen

und durch eine Freigabe des Elternwillens

beenden. Unser Ziel bleibt dabei, die

Sortiererei nach der vierten Klasse durch

Modelle längeres gemeinsames Lernen

überflüssig zu machen

2. Längeres gemeinsames Lernen

Wir wollen gemeinsames Lernen in der

Sekundarstufe ermöglichen, weil so der

Sortierdruck nach der Grundschule been-

det wird und die SchülerInnen in ihrer

Unterschiedlichkeit wahrgenommen und

individuell gefördert werden. Diese Ge-

meinschaftsschule wird zu einer guten

Schule, wenn sie von Lehrkräften, Eltern

„Immer noch bestimmt der soziale Hintergrund den Bildungserfolg“

Page 9: Grüen 6 - Bildung

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GRUEN 6 I BILDUNG

seits als Unterrichtende, aber auch als

Lerncoaches, die das aktive Lernen der

SchülerInnen begleiten.

Wir wollen eine Leistungskultur entwi-

ckeln, die hohe Leistungsanforderungen

verbindet mit einer lernfreundlichen

Praxis der Leistungsrückmeldung, die Zu-

trauen in die eigenen Leistungen fördert,

realistische Selbstbewertung ermöglicht

und die Potentiale der Einzelnen deutlich

macht. Schulnoten können diese umfang-

reiche Analyse nicht leisten: Sie geben

häufig lediglich an, ob Lerninhalte, die

kurzfristig für eine Prüfung angeeignet

wurden, zu einem bestimmten Zeitpunkt

abrufbar sind.

4. Mehr Selbständigkeit für Schulen

Wir wollen den Weg für besseres Lernen

öffnen. Ob Grund-, Real-, und (Haupt-)

Mittelschulen oder Gymnasien – alle

Schulen sollen sich weiterentwickeln kön-

nen. Wir wollen, dass die Lehrkräfte – sie

sind die Profis für Lernen und Unterricht

– über die Schul- und Unterrichtsorga-

nisation eigenverantwortlich entscheiden

können.

Wir wollen den Schulleitungen mehr Zeit

für ihre Leitungsaufgaben geben, damit sie

– mit entsprechender demokratischer Be-

teiligung von Lehrkräften, Eltern und

SchülerInnen – die Schulentwicklung vor-

anbringen. Dazu brauchen sie auch besser

ausgestattete Schulsekretariate an ihrer

Seite. Damit neue Freiräume und Chan-

cen für die Schulen genützt werden kön-

nen, werden die Aufgaben innerhalb der

Ebenen der staatlichen Schulverwaltung

neu ausgerichtet. Das spart auch Ressour-

cen ein, die dann direkt zur Qualitätsver-

besserung eingesetzt werden können.

5. Auf die Lehrkräfte kommt es an

Wir wollen die Rahmenbedingungen so

gestalten, dass es Lehrerinnen und Lehrer

mehr als bisher möglich wird, Lernbedürf-

nisse zu erkennen, die Stärken der Schüler-

Innen intensiv zu fördern und mit den

SchülerInnen an ihren Schwächen zu ar-

beiten. Statt den Lehrplan starr durchpeit-

schen zu müssen, bekommen die Lehr-

kräfte Freiraum für ihr pädagogisches

Handeln, bessere Arbeitsbedingungen und

eine verbesserte Schul- und Unterrichts-

organisation. Schulleitung wie Lehrkräfte

brauchen regelmäßige und gute Fortbil-

dungen, um fit zu werden für das neue

Lernen, für pädagogische Innovation, Re-

flexion, Teamarbeit. Deshalb wollen wir

auch mehr Geld für eine „Offensive Lehr-

erfortbildung“ in die Hand nehmen. Mit

eigenen Budgets können Schulen dann

die jeweilige vor Ort notwendige Lehrer-

fortbildung finanzieren.

6. Verlässliche Lehrerver sorgung statt

Lotteriespiel vor Schuljahresbeginn

Schulen brauchen Planungssicherheit,

deswegen stehen wir für eine solide Per-

sonalpolitik im Schulbereich. Wir werden

an der Bildung nicht sparen, sondern in

die Köpfe investieren:

• für kleinere Klassen

• für zweite Lehrkräfte in den Klassen

(teamteaching)

• für den Ausbau von Ganztagsschulen

• gegen Unterrichtsausfall

• für gemeinsamen Unterricht von Schüler-

Innen mit und ohne Behinde rungen.

Dazu gehören auch ausreichend Mittel

für SchulsozialarbeiterInnen, Schulpsy-

chologInnen, Sonderpädagoginnen und

Fachkräfte von außerhalb, damit an Schu-

len multiprofessionelle Teams arbeiten

können. Freie Schulen wollen wir entspre-

chend finanziell besser stellen.

und Kommunen vor Ort getragen wird,

deswegen setzen wir auf die Dy namik ei-

ner Veränderung „von unten“. Mit Ge-

meinschaftsschulen können zudem Schul-

standorte im ländlichen Raum, die auf-

grund der demographischen Entwicklung

gefährdet sind, erhalten bleiben. Mit einer

„Öffnungsklausel“ im Bayerischen Erzie-

hungs- und Unterrichtsgesetz wollen wir

neue Modelle im Sinne unserer „Politik

des Ermöglichens“ auf den Weg bringen.

3. Entwicklung einer neuen

Lern- und Leistungskultur

Der Schulalltag ist noch häufig von 45-Mi-

nuten-Takt und Frontalunterricht geprägt.

Schulen brauchen aber Lernarrangements,

mit deren Hilfe die Einzelnen individuell

gefördert werden, selbstständig mit- und

voneinander lernen können. Lehrkräfte

müssen flexibler agieren können, einer-

Page 10: Grüen 6 - Bildung

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GRUEN 6 I BILDUNG

Einmalig ist sie in ganz Bayern, die Städti-

sche Berufsschule zur Berufsvorbereitung

in München Bogenhausen am Kirchplatz,

kurz BOKI. Hier „landen“ jährlich 1.800

Jugendliche, junge Erwachsene, die es

nicht geschafft haben, die es einmal mehr

nicht geschafft haben. Die Logik unseres

selektierenden Bildungssystems spuckt sie

hier aus. Nach der Hauptschule, mit Ende

der allgemeinen Schulpflicht, konnten sie

keinen Ausbildungsplatz ergattern.

4000 im übergangIn ganz München sind es jährlich rund

4.000 SchülerInnen, die den Übergang in

die Arbeitswelt nicht direkt schaffen. Sie

müssen oftmals erst mühsam wieder er-

mutigt werden, doch noch daran zu glau-

ben, ihren Platz in dieser Gesellschaft zu

finden. Knapp die Hälfte von ihnen be-

kommt eine echte Chance am BOKI.

pflicht wird zur chanceDie SchülerInnen kommen hierhin, weil

sie berufsschulpflichtig sind. Diese Pflicht

wird am BOKI zur echten Chance, die

Weichen neu zu stellen, herauszukommen

aus alten Verhaltensmustern. Hier finden

die Jugendlichen individuelle Unterstüt-

zung in einem breiten Angebot zum Auf-

bau beruflicher aber auch sozialer und

ganz lebenspraktischer Kompetenzen.

Zwei Drittel haben einen Migrationshin-

tergrund, zweidrittel sind Jungs. Nicht

selten sind in den Klassen mehr als zehn

verschiedene Nationen vertreten. Das Ziel

ist es, die SchülerInnen so zu begleiten

und aufzubauen, dass sie doch noch den

Übergang in die Arbeitswelt der Erwach-

senen meistern.

Die BOKI will dabei vor allem eines auf-

zeigen: Alternativen. Mit den SchülerIn-

nen gemeinsam ihre Ziele durchsprechen,

ihnen Orientierung geben. Oft mangelt es

den SchülerInnen vor allem an der Moti-

vation und am Durchhaltevermögen.

„Wir haben hier schwerpunktmäßig einen

pädagogischen Ansatz, Lehrpläne stehen

erst mal im Hintergrund“, erläutert der

Schulleiter Herr Seiler die Arbeit am

BOKI. „Wir sind recht frei in der Gestal-

tung von dem was und wie wir was tun,

anders würden wir die Jugendlichen auch

gar nicht erreichen.“

einzigartig Die BOKI hat dank ihrer einzigartigen

Stellung in Bayern ungewöhnlich viel

Freiheit für eine städtische Schule. Und sie

bekommt bemerkenswert viel Unterstüt-

zung von allen Stellen der Stadt, der

Regierung von Oberbayern und dem Kul-

tusministerium.

Deshalb ist es möglich sehr individuell

auf jede und jeden einzelne/n SchülerIn

einzugehen. Auch die sozialpädagogische

Unterstützung ist garantiert. So können

viele Jugendliche wirklich erreicht werden.

Denn jeder hat andere Gründe, warum es

bisher in der Schule oder bei der Lehrstel-

lensuche nicht geklappt hat. Jeder benötigt

andere Hilfestellungen. Jeder ist eine an-

dere Persönlichkeit.

Eine Schule am Rande unseres Bildungssystems Von Daniela Wüst und Birgit Zipfel

bock auf schule

Page 11: Grüen 6 - Bildung

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bock auf schule

Page 12: Grüen 6 - Bildung

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GRUEN 6 I BILDUNG

Dem Mitarbeiter der Schulleitung StD

Eric Fincks ist die bestmögliche Förde-

rung jeder und jedes Einzelnen ein ganz

besonderes Anliegen: „Wir führen mit je-

dem neuen Schüler ein langes Gespräch,

um herauszufinden, welches Angebot,

welches Berufsfeld am besten zu diesem

einzelnen Schüler passt. Dabei möchte ich

ihnen möglichst offen und vorurteilslos

gegenübertreten und lese ganz bewusst die

Schulakten erst mal nicht.“

produktionsschuleGrundprinzip der Schule ist die enge Ver-

zahnung von Theorie und Praxis – sei es

durch Pflicht-Praktika, Projektarbeit oder

als Besonderheit am BOKI, die Arbeit in

der Produktionsschule. Möglich wird dies

durch die enge Vernetzung der Schule mit

Wirtschaft, Industrie und Handwerk so-

wie außerschulischen Maßnahmeträgern,

der Jugendhilfe, mit Migrations- und

Flüchtlingsorganisationen und den Ar-

beitsagenturen. Neben einem einjährigen

Vollzeitunterricht wird auch die Beschu-

lung in Blöcken von dreimal neun Wochen

angeboten. Ein ganz neues Arbeitsfeld der

Schule sind die seit einem Jahr hinzuge-

kommenen Flüchtlingsklassen.

kundenkontaktDie Jugendlichen können am BOKI ihren

Hauptschulabschluss nachholen und so-

gar ihren Quali machen. Sie erhalten akti-

ve Hilfe bei der späteren Berufswahl und

bei ihren Bewerbungen.

Insgesamt 15 Berufsfelder werden am

BOKI angeboten: von Gastronomie, Ser-

vice, Nahrung, über KFZ-Technik, Metall-

und Holzbearbeitung, zu Wirtschaft, Ein-

zelhandel bis hin zum Sozialbereich. In

der Produktionsschule arbeiten die Schü-

lerInnen mit direktem Kundenkontakt. Sie

stellen Waren her, die real verkauft werden

und deren Produktion sich rechnen muss.

Das Konzept ist nur möglich, weil ein

StadtratsBeschluss dahinter steht, der den

vergleichsweise hohen Betreuungsschlüs-

sel der SchülerInnen erst ermöglicht.

Amir, 17, hat heute Dienst an der Kasse

und am Kaffeevollautomaten. Er hat die

Hauptschule nach der 8. Klasse verlassen,

weil er keinen Bock mehr auf Schule hatte.

In die Produktionsschule geht er gerne,

auch wenn die unter seinen Mitschülern

alles andere als einen guten Ruf hat. Er hat

einen Tag in der Woche Unterricht im PI-

Café – eine Kantine mit Catering-Service

im Münchner Pädagogischen Institut, die

allein von den SchülerInnen und ihren

LehrerInnen geführt wird. Hier gibt es Es-

sen zum Selbstkostenpreis und zwar alles

bio. Heute gibt es Curry-Gemüsepfanne

mit Bulgur. Amir prüft nochmal den Cate-

ring-Bestellschein. Ihn zu motivieren, war

besonders am Anfang nicht so leicht. Die

Klasslehrerin und stellvertretende Schul-

leiterin Frau von Reuss, rief Amir auch

schon zu Hause an: “So, jetzt komm!”

Über sich selbst sagt er: „Ich hab´s ver-

bockt, einfach keine Lust gehabt auf Schu-

le und so.“ In der Neunten hat er die Schu-

le geschmissen, ohne Abschluss und hing

zu Hause rum. „Beim Ausgehen gab es

Page 13: Grüen 6 - Bildung

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dann mal Streit, eine Prügelei, Jugendge-

fängnis.“ Jetzt ist er hier im PI und absol-

viert den dritten Neun-Wochen-Block

seiner Berufsschulpflicht. Es gefällt ihm

am BOKI: „Der Unterricht ist ok, und die

Arbeit hier im Café auch.“

50% erfolg In neun Wochenblöcken bleibt wenig Zeit,

um, wie Frau Reuss es formuliert, „die Ju-

gendlichen an die Hand zu nehmen und

sie von der Wichtigkeit einer guten Ausbil-

dung zu überzeugen.“ Doch die Pädago-

gInnen sind vergleichsweise erfolgreich:

50% der BOKI-SchülerInnen finden im

Anschluss eine Ausbildung. Das Catering

und andere Praxisfächer mit Realitätsbe-

zug geben dem Unterricht die Sinnhaftig-

keit zurück, welche die SchülerInnen in

der Hauptschule oft vermisst haben.

Schon seit über 50 Jahren gibt es die BOKI.

Doch in den letzten 10 Jahren stieg der

Schüleranteil rasant – von 1100 auf zu-

nächst sogar über 2000 um sich jetzt bei

rund 1800 einzupendeln.

Woran liegt es, dass so viele SchülerInnen

den Übergang ins Berufsleben nicht pa-

cken? Und das bei einem sich immer deut-

licher abzeichnenden Fachkräftemangel in

Bayern? Ein Grund sind sicher die wach-

senden Ansprüche – die Konkurrenz der

SchülerInnen mit Qualifiziertem Haupt-

schulabschluss und Realschulabschluss

wird stärker, selbst Abiturienten drängen

stärker denn je auf den Ausbildungsmarkt.

Ein anderer ist unser Bildungssystem, das

weiterhin gnadenlos aussiebt.

bildungspolitik selektiert und produziert eliten Bayerns Bildungspolitik war schon immer

darauf ausgelegt, zu selektieren und Eliten

zu produzieren. Doch oft fällt dabei allzu

leicht unter den Tisch, dass so auch Verlie-

rer produziert werden. Was neun Jahre

lang im Bildungssystem schief gegangen

ist, soll die BOKI jetzt in einem Jahr oder

sogar in nur drei mal neun Wochen Blö-

cken ausmerzen. Bleibt die Frage, warum

es für Kinder und Jugendliche erst mal so

lange bergab gehen muss, bis sie erleben,

dass sie als Persönlichkeit angenommen

werden. Bis ihnen ein Umfeld geboten

wird, dass sie ermächtigt, sich und ihre Fä-

higkeiten selbst kennenzulernen und ein-

zusetzen. Bis sie Schlüsselkompetenzen

vermittelt bekommen, die sie zu selbst-

ständigen Mitgliedern in unserer Gesell-

schaft werden lässt. Amir brauchte nur ein

paar Wochen, um den Spaß am Lernen zu-

rückzugewinnen. Sein Engagement und

Fleiß an der Produktionsschule haben sich

ausgezahlt: ihm wurde eine Lehrstelle als

Koch angeboten.

„Ich hab‘s verbockt, einfach keine Lust gehabt auf Schule und so.“

Page 14: Grüen 6 - Bildung

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16

lehren braucht charisma

GRUEN6 I BILDUNG I INTERVIEW

Warum ist die Persönlichkeit des Lehrenden so wichtig? Zu 50 % hängt der Lernerfolg an der Vertrauens-

würdigkeit der Lehrenden, denn über die Per-

sönlichkeit des Lehrers kann die Motivation der

Schüler enorm gesteigert werden.

Leider geht die Lehrerausbildung auf die Persön-

lichkeitsentwicklung kaum oder gar nicht ein.

Das kommt völlig zu kurz. Dabei sollte es einen

großen Teil der Lehrerausbildung – und zwar für

alle Schultypen – ausmachen. Lehrer mit starker

Persönlichkeit können begeistern, selbst wenn sie

aus dem Telefonbuch vorlesen. Dieses Charisma

entwickeln Menschen, die an Ihre Sache glauben,

inhaltlich ebenso wie zwischenmenschlich.

Können sich LehrerInnen dieses Charisma gezielt aneignen? Nur bedingt. Man wirkt nur glaubwürdig, wenn

man auch glaubwürdig ist. Die nichtverbale Kom-

munikation, das heißt Mimik, Gestik und Intona-

tion der Stimme verraten uns.

Ich muss also echte Empathie für meine Schüler

empfinden, ich muss von meinem Fach begeistert

sein und ich muss Spaß daran haben, diese Begeis-

Haben Sie in der Schule gerne gelernt?Mir ist das Lernen leicht gefallen. Jedenfalls was

Sprachen und die anderen „geisteswissenschaftli-

chen“ Fächer betrifft. Ich habe in meiner Schule

fünf Fremdsprachen lernen können: Griechisch,

Latein, Englisch, Französisch und auch Russisch.

Nur in den naturwissenschaftlichen Fächern

Physik und Chemie habe ich die Zeit abgesessen.

Damals hätte ich nie gedacht, dass ich selbst mal

Naturwissenschaftler werde. Das lag aber am Leh-

rer. Denn ob man etwas lernt oder eben nicht, liegt

nicht so sehr am Inhalt der Fächer, sondern vor

allem an der Qualität des Unterrichts. Das ist da-

mals wie heute so.

Was macht eine gute Lehrerin, einen guten Lehrer aus?Natürlich fachliche Kompetenz, aber mindestens

genauso wichtig ist seine Persönlichkeit. Inner-

halb von Sekunden machen sich Kinder und Ju-

gendliche davon ein Bild. Wie ist der Lehrer? Ist er

glaubwürdig, ist er einfühlsam, hat er Empathie?

Kurz: Ist er am Aufbau einer Beziehung zu mir

interessiert?

Interview mitProf. Dr. Dr. Gerhard Roth von Sascha Knöchel und Birgit Zipfel

Page 15: Grüen 6 - Bildung

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17

Was empfehlen Sie? Unterricht sollte völlig anders strukturiert sein.

Wie, das probieren wir gerade ganz praktisch an

einer Schule mit einem hohen Anteil von Schüle-

rInnen mit Migrationshintergrund aus. Dort wird

zunächst ein Thema mit Frontalunterricht kurz

aber didaktisch professionell „eröffnet“. Darauf

folgt Gruppen- und Projektunterricht zur Vertie-

fung und dann kommt Frei- beziehungsweise Ein-

zelarbeit zur Wiederholung oder für einen noch

tieferen Einstieg ins Thema.

Klingt logisch.Ist aber gar nicht so einfach. In unserem Schul-

versuch geht es in der ersten halben Stunde nur

darum, was für aktuelle Probleme anstehen. In

der zweiten halben Stunde wird dann geklärt, was

vom bisherigen Unterricht verstanden wurde. Wo

steht jeder Einzelne? Dann erst ist der Lehrer eine

halbe Stunde dran, mit der Vermittlung von neu-

em Wissen, das didaktisch aufgearbeitet ist. Dar-

auf folgen Gruppen und Einzelarbeit. Nach drei

bis vier Wochen wird das Gelernte wiederholt und

dann nochmal nach drei bis vier Monaten. Ohne

Wiederholung ist Lernen nicht möglich.

terung an die Menschen, die in meinem Unter-

richt sitzen, weiter zu tragen. Deshalb sollte man

manchen Menschen von ihrem Wunsch Lehrer zu

werden einfach dringend abraten – egal, was die

Noten sagen.

Und wie sollte der Unterricht strukturiert sein, um uns und unser Gehirn ideal zu fordern?Wir müssen wegkommen von der Kleintaktigkeit

des Unterrichts. Der 45-Minutentakt ist aus lern-

physiologischer Sicht völliger Unsinn. Erfunden

von einem preußischen Bürokraten im vorletzten

Jahrhundert. Das ist für das Lernen absolut kon-

traproduktiv.

Wenn ich neues Wissen vermitteln möchte, dann

muss ich zu allererst sicherstellen, dass alle Kinder

denselben Kenntnisstand haben, an den ich nun

anknüpfen kann. Das kann ich aber beim heuti-

gen Lehrplan schon aus Zeitdruck gar nicht ma-

chen. Das hat zur Folge, dass mir einige Kinder

gar nicht folgen können und ich über ihre Köpfe

hinweg rede. Die verliere ich. Neues Wissen bleibt

in unseren Köpfen nur dann hängen, wenn es an

etwas anschließen kann.

Page 16: Grüen 6 - Bildung

18

GRUEN6 I BILDUNG I INTERVIEW

18

Können die so genannten bildungsfer-nen Kinder überhaupt schulisch noch entscheidend gefördert werden?Ja, aber der spätere Einfluss ist nicht mehr sehr

groß. Ich selber habe versucht, die Anzahl der

hochbegabten Stipendiaten aus nicht akademi-

schen Familien zu erhöhen. Der Erfolg war be-

grenzt.

Es gab bei Kindern in diesem Bereich einfach De-

fizite, insbesondere in der Kommunikationsfähig-

keit, die später nur schwer zu beheben sind.

Keine Chance für bildungsferne Kinder?Doch natürlich. Wichtig ist nicht, welchen Bil-

dungsgrad die Eltern haben. Wichtig ist, dass sie

ihr Kind immer wieder zum Lernen motivieren.

Motivieren, nicht zwingen. Diese Motivation zum

Lernen muss das Kind im besten Fall durch die

ganze Schulzeit begleiten. Wir müssen die Kinder

immer wieder ermutigen, statt sie zu entmutigen.

Diese positive Einstellung zum Bildungserfolg

habe ich selbstverständlich auch bei bildungsfer-

neren Familien erlebt, ganz oft auch bei türki-

schen Migranten.

Was bringt Fremdsprachen- und Gei-genunterricht bei kleinen Kindern? Nichts. Bis zum dritten Lebensjahr macht das gar

keinen Sinn. Im ersten bis zweiten Lebensjahr ist

Lernen unter Druck sogar schädlich und gefähr-

lich. Das Gehirn ist dafür noch gar nicht ausgereift

und kann mit Stress nicht umgehen.

Ich kann spielerische Angebote machen, aber der

Stress, den manche übereifrigen Eltern auf ihre

Kleinkinder ausüben, kann zu ganz erheblichen

psychischen Schäden führen.

Langweilen sich dabei nicht diejenigen, die den Stoff schnell drauf haben?Nur, wenn man ihnen nicht mehr Angebote

macht. In einer solchen Schule braucht man nicht

in normal-, hoch- oder minderbegabt zu selek-

tieren. Auch Inklusion kann so gelingen. Gut

75 Prozent der Schüler sind ja normal begabt. Nur

ein kleiner Teil weicht positiv oder negativ davon

ab, und der muss „mitgenommen“ werden. Man

muss also überhaupt nicht vorsortieren, wie es

heute oft geschieht, sondern innerhalb des Klas-

senverbands unterschiedliche Angebote machen.

Außer bei Schwerstbehinderungen, hier ist Inklu-

sion reine Sozialromantik.

Ist Intelligenz bereits in den frühen Lebensjahren festgelegt? Es stimmt, dass das frühkindliche Lebensumfeld

entscheidend mitwirkt am späteren Lernerfolg

von Kindern. Entscheidend ist nicht die mög-

lichst frühe Vermittlung von Wissen, sondern ob

mich meine Eltern ermutigen und motivieren,

Neues auszuprobieren. Loben die Eltern meine

Fortschritte? Kommunizieren Sie mit mir? Ent-

scheidend ist aber auch, wie kooperativ meine

Geschwister sind. Und natürlich: Wie wichtig ist

Bildung für meine Familie, wie wird meine An-

strengung in diese Richtung wahrgenommen und

wertgeschätzt?

Page 17: Grüen 6 - Bildung

19

19

völlig unzureichend. Es braucht ein differenzier-

tes Feedback: Wo liegen meine Defizite und wo

meine Stärken. Noten wie sie heute vergeben wer-

den, sind sinnlos. „5 – setzen!“, das ist einfach nur

demütigend und demotivierend. Eine Benotung

muss dem oder der Einzelnen einen Anhaltspunkt

geben, wo er oder sie steht, wie er sich entwickelt

und was er verbessern kann.

Dann wird es also weiterhin Sitzen-bleiberInnen geben müssen? Nein, gar nicht. Das Sitzenbleiben erübrigt sich.

Sitzenbleiben geschieht meist nicht aus irgendei-

ner „Faulheit“, sondern entsteht aus mangelnder

Motivation. Wenn ich als Lehrer also ein solches

Kind vor mir habe, dann ist es meine Aufgabe

das Abrutschen zu verhindern, genau hin zu se-

hen, was die Ursache ist. Familiär, oder hat das

Kind den Anschluss an die Inhalte verloren, ist es

eventuell psychisch krank, etc? Das muss ich als

Lehrer herausfinden und rechtzeitig gegensteuern.

Sitzenbleiben ist eine unnütze Beschämung der

Kinder und Jugendlichen, und das ändert auch

nichts an den eigentlichen Ursachen, nämlich der

Lernmotivation.

Was kann ich tun, wenn ich mein Kleinkind früh fördern will? Einfach da sein und Angebote machen. Ein Kind

gehört mindestens im ersten halben, besser noch

im ganzen ersten Jahr zu seiner Mutter oder zu ei-

ner ähnlich gleich bleibenden Betreuungsperson

wie Vater, Oma oder Tante. Neurobiologie und

Psychologie zeigen, dass das Kleinstkind für einen

ständigen Wechsel der Bezugsperson etwa der Er-

zieherin durch Urlaub, Schichtwechsel, etc. noch

gar nicht reif genug ist.

Es braucht eine, maximal aber zwei feste stetige

Bezugspersonen. Alles andere ist für die gesunde

Entwicklung des Kindes nachteilig.

Warum können sich Kinder eigentlich alle Bundesligaspieler wie von selber merken, aber bei zehn Vokabeln wird es schon problematisch?Lernen wird durch drei Punkte bestimmt. Durch

Begabung und natürlich individuelle Präferenzen,

da wären wir z. B. bei den Fußballern. Durch Be-

geisterungsfähigkeit des Lernenden. Durch die

Sinnhaftigkeit des neu zu lernenden Inhalts, also

durch den Bezug zu meiner Lebenswelt.

Als Lehrer stehe ich also vor der Aufgabe, den neu-

en Inhalt möglichst spannend zu machen. Dazu

gehört auch, den Schülern unbedingt zu zeigen,

was der Lernstoff mit ihrer eigenen Lebenswelt

ganz direkt zu tun hat.

Was halten sie von Noten in der Schule? Es braucht unbedingt Bewertungen, die Kinder

und Jugendlichen brauchen eine Messlatte, um

sich selbst realistisch einschätzen zu können. Nur

ist unser heutiges Notensystem von eins bis sechs

Herr Prof. Dr. Dr. Gerhard Roth, Institut für Hirn-forschung, Abteilung Verhaltensphysiologie und Entwicklungsneurologie an der Universität Bremen. Autor des Buches: Bildung braucht Persönlichkeit – Wie Lernen gelingt.

Page 18: Grüen 6 - Bildung

20

GRUEN 6 I BILDUNG

„Hamburg macht Sprung nach vorne“.

Der Aufmacher des Hamburger Abend-

blatts Mitte August galt dem Abschneiden

des Stadtstaats beim Bildungsmonitor der

Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft

(INSM). Die Studie bescheinigt den Schu-

len dort die größten Fortschritte im Ver-

gleich aller Bundesländer. Schönes Loch,

aber wo ist der zugehörige Sommer, könn-

te man jetzt denken. Doch halt! Hamburg,

da war doch was? Richtig. Am 18. Juli 2010

wurde dort mit einem Volksentscheid die

Schulreform des schwarz-grünen Senats

gekippt. Die „Rebellion der Pfeffersäcke“

(Stern) war erfolgreich.

umfassende reformWas war geschehen? Die Wahl 2008 hatte

die erste schwarz-grüne Koalition auf Lan-

desebene hervorgebracht. Eine ambitio-

nierte Schulreform war das Vorzeigepro-

jekt dieses Bündnisses. Sechs statt vier

Jahre gemeinsame Schulzeit, sogenannte

Stadtteilschulen, die auch jenseits des

Gymnasiums einen Weg zur Hochschul-

reife eröffnen und ein weitreichender Aus-

bau gebundener Ganztagsschulen waren

die herausragenden Daten dieser Reform,

ihr Kopf und Gesicht die grüne Schulsena-

torin Christa Goetsch. Bildungspolitiker-

Innen aller Couleur blickten gespannt da-

rauf, was sich an Elbe und Alster abspielte

– die einen in der Hoffnung, dass ein Er-

folg der Hamburger Reformen als Blau-

pause für Veränderungen in anderen Bun-

desländern dienen könnte, die anderen in

der bangen Erwartung, dass frühe Auslese

und Dreigliedrigkeit bald ein Fall für die

Geschichtsbücher werden. Es kam be-

kanntlich anders. Eine Mehrheit stoppte

die sechsjährige gemeinsame Grundschul-

zeit. Das Ergebnis markierte nicht nur den

Anfang vom Ende der schwarz-grünen

Regierung, es verunsicherte gerade grüne

BildungspolitikerInnen nachhaltig: Die

Strategie, weitreichende Reformen poli-

tisch zu beschließen und zügig umzuset-

zen, war vorerst gescheitert. Das Ziel,

durch eine längere gemeinsame Schulzeit

das Bildungssystem gerechter und durch-

lässiger zu machen, schien auf diesem Weg

nicht erreichbar. Sowohl im rot-grünen

NRW wie im grün-roten Baden-Würt-

temberg wurden die Konsequenzen gezo-

gen: Reform von unten statt Reform von

oben lautet nun die Devise. Das Nachbar-

land Baden-Württemberg setzt auf die

Gemeinschaftsschule. Nach der Grund-

schule werden die Kinder bis zur zehnten

Klasse gemeinsam unterrichtet und zwar

in Form einer verpflichtenden Ganztag-

schule mit rhythmisiertem Unterricht.

Anders als viele „Ganztagsschulen“ in

Bayern sind das keine Schulen mit Nach-

mittagsbetreuung, sondern Lernorte, in

denen sich verschiedene Formen von Ler-

nen und Beschäftigung abwechseln. An

die zehnte Klasse kann sich eine Oberstufe

anschließen, die zum Abitur führt.

gemeinden entscheidenOb es vor Ort eine solche Gemeinschafts-

schule gibt, entscheiden die Kommunen

mit einem entsprechenden Antrag. Sie

machen reichlich Gebrauch davon: Im ak-

tuellen Schuljahr starten 42 Gemein-

schaftsschulen, über 100 weitere Anträge

liegen vor. Auch Nordrhein-Westfalen mit

der grünen Bildungsministerin Sylvia

Löhrmann hat einen ähnlichen Weg ge-

wählt. Es scheint, als könne mit diesem

Weg der Schulreform die hochideologi-

sierte Auseinandersetzung um das richtige

Schulsystem umgangen werden. Denn oft

genug sind es konservative Bürgermeister,

die eine Gemeinschaftsschule in ihrem

Ort haben wollen.

auf leisen sohlen? Auf leisen Sohlen zum Erfolg also? Ja. Aber

auch diese Strategie hat natürlich ihren

Preis: Sie braucht wesentlich mehr Zeit.

Das liegt nicht daran, dass grundlegende

Reformen in den Augen der Menschen

pädagogisch keinen Sinn machen, im

Gegenteil, wie entsprechende Umfragen

zeigen. Vielmehr glauben bestimmte Be-

völkerungsgruppen, dass Schulreformen

ihren sozialen Status in Frage stellen. Des-

halb haben sich in Hamburg vor allem die

Privilegierten gegen die Schulreform ge-

stellt. Sie fürchteten um die Existenz des

Gymnasiums, dessen Besuch nach wie vor

als Ausweis der Zugehörigkeit zu einer Art

Elite zählt. Das ist nicht erfreulich, aber

zunächst einmal eine Tatsache, die man

nicht leugnen kann. „Wenn du einen

Feind nicht besiegen kannst, musst du ihn

umarmen“ sagte der chinesisch Stratege

Sun Tzu. Dass eine solche Strategie erfolg-

reich ist, zeigt ausgerechnet das Beispiel

Hamburg. Zwar wurde die sechsjährige

gemeinsame Grundschulzeit gestoppt,

aber die Stadtteilschulen und der Ausbau

der Ganztagsschulen wurden umgesetzt.

Mit Erfolg, wie die eingangs zitierte

Schlagzeile zeigt.

großer sprung oder langer marsch?

Welche Strategie ist besser? von Alex Burger

Page 19: Grüen 6 - Bildung

21

Page 20: Grüen 6 - Bildung

22

GRUEN 6 I BILDUNG

Vor gut zwei Jahren wurde in einem

Volksentscheid in Hamburg die vom

schwarz-grünen Senat geplante sechs-

jährige gemeinsame Schulzeit gekippt.

Was gab rückblickend den Ausschlag für

die Niederlage?

Der wichtigste Grund war wohl, dass im

neuen Schulgesetz kein Elternwahlrecht

vorgesehen war. Die Eltern konnten also

nicht frei entscheiden, ob ihr Kind nach

der 4. Klasse ein Gymnasium oder eine

Stadtteilschule besuchen soll. Dadurch be-

kam die Gegenseite - die Scheuerl-Initia-

tive „Wir wollen lernen“ – die große

Chance, ihre Kampagne sehr emotional zu

fahren.

Wir Grüne waren eigentlich für das El-

ternwahlrecht, haben aber im Koalitions-

vertrag Rücksicht auf die Befürchtungen

in der CDU genommen, dass die Gymna-

sien überlaufen würden. Beispiele aus an-

deren Ländern zeigten jedoch schon da-

mals, dass diese Sorge unbegründet war.

Uns ging es hauptsächlich um eine neue

Lernkultur, eine andere Art des Unter-

richts.

Es sollte mehr Rücksicht auf individuelle

Stärken und Schwächen genommen wer-

den. Wir mussten aber feststellen, dass sich

viele Eltern nicht vorstellen konnten, wie

Unterricht jenseits des klassischen Fron-

talunterrichts abläuft.

Der aktuelle Bildungsmonitor beschei-

nigt Hamburg von allen Bundesländern

den größten Schritt nach vorne. Hängt

das auch mit den anderen Reformen zu-

sammen, die von schwarz-grün umge-

setzt wurden, aber über Hamburg hin-

aus nicht so große Beachtung gefunden

haben wie die längere gemeinsame

Schulzeit?

Ja, das ist richtig! Zwar stand die Primar-

schule im Fokus, aber die anderen qualita-

tiven Reformen, die wir tatsächlich durch-

geführt haben, können jetzt erst Wirkung

zeigen: Der Ausbau der Ganztagsschule,

kleinere Klassen, die Abkehr vom starren

45-Minuten-Takt, die intensivere Fortbil-

dung der Lehrerinnen und Lehrer. Außer-

dem natürlich die Abschaffung der Haupt-

schule zugunsten der Stadtteilschule, die

einen zweiten Weg zu einem gleichwerti-

gen Abitur jenseits des Gymnasiums bie-

tet. Das ist besonders für Schülerinnen

und Schüler wichtig, die sich etwas später

entwickeln.

Ungeachtet aller länderspezifischen

Fragen: Wo steht heute grüne Bildungs-

politik konzeptionell und wohin sollte

sie sich entwickeln?

Ich bin fest davon überzeugt, dass wir wei-

terhin am Ziel des längeren gemeinsamen

Lernens festhalten müssen, und die frühe

Selektion nach der 4. Klasse endlich auch

in Deutschland ein Ende haben muss. Das

ist auch eine Frage des Menschen- und

Gesellschaftsbildes. Da dürfen wir nicht

Ausgrenzung fördern und unterschiedli-

che Startchancen verstärken. Dazu kommt

natürlich die Umsetzung der Inklusion,

ebenfalls eine grundsätzliche Haltungsfra-

ge. Weil unsere Gesellschaft und die Politik

viele Jahre die Lebenslüge aufrecht erhal-

ten haben, wir wären kein Einwande-

rungsland, ist es auch heute leider immer

noch so, dass es für Kinder mit Migrati-

onshintergrund eine strukturelle Benach-

teiligung in der Bildung gibt. Das müssen

wir dringend ändern. Außerdem sollten

wir uns weiterhin für ein ganzheitliches

Lernen einsetzen. Nicht nur Lesen, Schrei-

ben und Rechnen sind wichtig, auch kul-

turelle Bildung ist für die Entwicklung der

Kinder, aber auch für die gesamte Gesell-

schaft dringend nötig. Der Mensch lebt

nicht vom Brot allein.

länger gemeinsam lernen ist der richtige weg

Christa Goetsch (MdHB) war von 2008 bis 2010 Bildungssenatorin in Hamburg

Page 21: Grüen 6 - Bildung

23

WAS HAST DU HEUTE GELERNT?

Gottfried / 63 / Angestellter: Die Mehrwertsteuer inklusiv und exklusiv im Rechnungsprogramm erheben.

Julia S. / 27 / Seekranke Piratin:

Scheiße. Ein Sturm!

Alexander D. / 42 / Generalsekretär:

Ruf doch mal an!

Sebastian / 29 / Student:

Warm anziehen, wenn's draußen kalt ist.

Alex / 47 / Fußballfan :

Die abkippende 6 wird nicht zur falschen 9.

Petra / 54 / Besucht einen Italienisch-Kurs: Tutto fumo e niente arrosto

Christian U. / 65 / Hat noch keine Lust auf die Rente:

Mit 66 Jahren ...

Page 22: Grüen 6 - Bildung

24

GRUEN 6 I BILDUNG

Gestartet sind wir mit einer kleinen Katas-

trophe. Die erste Ausgabe Von Grüen kam

frisch aus der Druckerei und sah fürchter-

lich aus. Der Titel in falschen Farben, das

ganze Druckbild verwaschen und mit

weißen Schlieren durchsetzt.

Unsere Idee, eine hochwertige Anmutung

durch die Verwendung gestrichenen Pa-

piers zu erreichen und trotzdem Umwelt-

papier und ökologische Druckfarben zu

nutzen, hatte nicht geklappt.

Zum Glück hat die Druckerei Ulenspiegel

beim Neudruck gezeigt, dass beides eben

doch zusammengeht. Dieses Heft ist nun-

mehr die sechste Ausgabe von Grüen. Und

leider vorläufig die letzte. Der Wahlkampf-

Marathon, der vor uns liegt, bedeutet eben

auch, dass wir alle Kräfte und finanziellen

Mittel auf unser Kerngeschäft konzentrie-

ren müssen.

Aber vielleicht gibt es 2014 ja ein Wieder-

sehen? Die Rückmeldungen, die wir be-

kommen haben, waren jedenfalls sehr po-

sitiv. Anscheinend gibt es Bedarf für eine

grüne Zeitschrift, die sich jeweils nur auf

ein Thema konzentriert und versucht, es

aus allen möglichen Blickwinkeln auszu-

leuchten; die eher Fragen stellt als festge-

fügte Antworten zu liefern.

Der Redaktion hat die Arbeit auf jeden

Fall viel Spaß gemacht und wir hoffen,

dass man das den Heften auch ansieht.

Wir bedanken uns bei allen AutorInnen,

bei den Anzeigen- und Beilagenkunden,

bei den LeserInnen und beim Landesvor-

stand, der uns weitgehend freie Hand ge-

lassen hat. Das ist nicht selbstverständlich.

Und nicht zuletzt bei Ruth Botzenhardt,

die mit viel Sinn für Gestaltung und Äs-

thetik mitgeholfen hat, den Inhalt so in

Szene zu setzen, dass die Augen auch sehr

viel davon hatten.

Vielen Dank und vielleicht bis bald!

auf wiedersehen?

1

1Das Magazin der bayerischen Grünen

WACHSTUMWachstum war lange der Mythos der modernen Gesellschaft. Doch der Abschied davon hat längst begonnen.

1

3Das Magazin der bayerischen Grünen

3Das Magazin der bayerischen Grünen

SCHÖNE NEUE WELTWie der digitale Wandel unser Leben verändert

SCHÖNE NEUE WELT

1

2Das Magazin der bayerischen Grünen

DEMOGRAFIEBayern wächst und schrumpft zugleich. Eine ehrliche Diskussion über die Folgen fehlt.

1

4Das Magazin der bayerischen Grünen

HEIMATMia warn mia

1

5Das Magazin der bayerischen Grünen

(un)Gerecht?Wieviel Ungleichheit vertragen wir?

1

6Das Magazin der bayerischen Grünen

BILDUNGWie wir auf den Trichter kommen.

Page 23: Grüen 6 - Bildung

26

Mehr Bildung,

bessere Bildung,

gerechtere Bildung

– jajaja, alles schon

dutzendfach gehört und

auf zig Plakaten gelesen.

Gerade im Bereich Bildung

haben die Kollegen Seehofer und

Zeil den Mund ja mehr als voll genom-

men. Und trotzdem fallen in Bayern immer

noch Jahr für Jahr fünf Prozent jedes Jahrgangs

durch, trotzdem wandern mittlerweile im baye-

risch-württembergischem Grenzgebiet bayerische

Schüler zu hunderten nach Baden-Württemberg

ab, trotzdem ist die Zahl der Übertritte von Kin-

dern aus bildungsfernen Familien auf bayerische

Gymnasien lächerlich gering und trotzdem zahlen

bayerische Student*innen immer noch Studien-

gebühren.

Versprochen – gebrochen, besten Dank. Man muss

allerdings eines zugeben. Die schwarz-gelbe Bil-

dungspolitik im Freistaat ist natürlich eine ganz

hervorragende Standortpolitik für den Wirtschafts-

zweig der privaten Bildung. Privatschulen boomen

zwischen Aschaffenburg und Traunstein, mittler-

weile besuchen schon knapp 15 Prozent der bayeri-

schen Schüler*innen nichtstaatliche Schulen – und

damit fast doppelt so viele wie im Rest des Landes.

Kein Wunder also, dass selbst Bildungsexperten wie

die ehemalige bayerische Bildungsministerin Moni-

ka Hohlmeier schon während ihrer Amtszeit die ei-

genen Kinder lieber auf die Privatschule schickte.

Viele Eltern sind mittlerweile geradezu verzweifelt,

ob sie ihre Kinder nun nach Montessori, Waldorf

oder Jenaplan bilden lassen sollen, wie sie die Kos-

ten dafür aufbringen und wie sie die Fahrerei zu den

nicht immer ums Eck gelegenen Bildungsstätten

organisieren können.

Trotzdem beharrt schwarz-gelb auf dem dreiglied-

rigen Schulsystem, auf G8 und auf den bestehenden

Lehrplänen. Und bejubelt natürlich gerne den

kürzlich verkündeten ersten Platz Bayerns beim

wenn privatisierung schule macht... von Sascha Knöchel

deutschlandweiten Grundschultest. Doch ausge-

rechnet der eher nicht zum linken Spektrum zäh-

lende Philologenverband goss postwendend Wasser

in den Feierwein. So wären nach Angaben des Leh-

rerverbandes die bayerischen Jungs den Mädchen

in Sachen Lesen um mindestens ein halbes Jahr hin-

terher. Zudem gäbe es in Ländern wie Sachsen oder

Baden-Württemberg mehr Deutschunterricht als

in Bayern.

Alles trostlos in Bayern? Zum Glück nicht, aber es

kommt eben auf die Eigeninitiative an. So hat bei-

spielsweise die Gemeinde Rimpar im Landkreis

Würzburg einen ganz eigenen Weg eingeschlagen,

um die Schüler der örtlichen Hauptschule (welche

die Regierung jetzt euphemistisch Mittelschule

nennen lässt) zu fördern. Die Gemeinde hat mit in-

teressierten Schülern einen Vertrag. Darin sichert

der Bürgermeister den SchülerInnen eine Lehrstelle

zu. Im Gegenzug müssen die Schüler einen vorge-

schriebenen Notenschnitt erreichen, über ein gutes

Sozialverhalten verfügen und sie müssen neben der

Schulzeit auch noch mindestens 100 Arbeitsstun-

den in das Gemeinwohl investieren.

Denn dem christ-sozialen Bürgermeister ist näm-

lich eines klar: Unternehmen würden heute ver-

stärkt auf soziale Kompetenzen achten. Bis ins

christ-soziale Kultusministerium hat sich das aber

scheinbar noch nicht herumgesprochen. Und Wirt-

schaftsminister Zeil reibt sich derweil weiterhin die

Hände, ob der vielen, vielen Privatschulen. Staat-

liche Aufgaben privatisieren war schließlich schon

immer der Markenkern der FDP.

GRUEN 6 I BILDUNG

Page 24: Grüen 6 - Bildung

27

wenn privatisierung schule macht...

Herausgeber:

Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Bayern,

Theresa Schopper und Dieter Janecek

(Landesvorsitzende), Sendlinger Str.47,

80331 München. Tel: 089/211597-0, Fax:-24,

e-mail: [email protected],

www.gruene-bayern.de

Redaktion:

Alex Burger (verantwortlich), Sascha Knöchel,

Birgit Zipfel, Fabian Hamak, Daniela Wüst

Impressum Grüen – das Magazin von Bündnis 90/Die Grünen in Bayern

Konzept und Gestaltung:

Ruth Botzenhardt Grafikdesign

www.ruth-botzenhardt.de

e-mail: [email protected]

Satz:

Factory Two Desktop Publishing OHG

www.factory2.de

Druck:

ulenspiegel druck gmbh

Birkenstraße 3, 82346 Andechs

Fotonachweis:

photocase: S.1, 6-10, 13, 21

Manuel Schubert S.4, 5, 28

Ruth Botzenhardt: S.23

Anregungen, Kritik und Hinweise

an die Redaktion:

[email protected]

Anzeigen und Förderabos:

Birgit Zipfel, Tel: 089/211597-17,

e-mail: [email protected]

ulenspiegel druck gmbhbirkenstraße 382346 Andechs/Machtlfingtelefon 08157/[email protected]

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Page 25: Grüen 6 - Bildung

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