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Goldener Käfig Saturn

Date post: 04-Jan-2017
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Page 1: Goldener Käfig Saturn
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Expose-Redaktion: H.G.Ewers Band 53 der Fernseh-Serie Raumpatrouille HANS KNEIFEL

Goldener Käfig Saturn Während Atan Shubashi mit einigen Begleitern, darunter der Vorthanierin Assim-ladja, zum 13. Jupitermond flog, um die Transmitterstation zu untersuchen, aus der die sieben vorthanischen Invasoren gekommen waren, empfängt das Funkge-rät plötzlich unverständliche Signale. Gemeinsam mit seinen Begleitern stellte Shubashi fest, daß die Radiosignale aus dem Zentrum des Großen Roten Flecks Jupiters kamen. Als er seinerseits be-stimmte Kodegruppen in den GRF abstrahlte, wurden die Signale wiederholt. Damit stand fest, daß der GRF lebte und daß er intelligent sein mußte. Dennoch gelang es nicht, zu einer Kommunikation im Sinne eines Informationsaustausches zu kommen. Zwischen den Menschen und „Wendy" konnte es anscheinend keine Verständigung geben. Die Invasion Unandats machte allen Spekulationen über den GRF ein jähes Ende. Unandat schickte zuerst ein kleines Raumschiff ins Sonnensystem — und dessen parapsychisch begabte Besatzung legte die gesamte terrestrische Raumabwehr lahm. Danach jedoch verlor sie die Kontrolle über ihr Schiff. Eine psionische Strahlenflut vom Jupiter lähmte die Gehirne der parapsychisch begabten Vorthanier. „Wendy" hatte die Gefahr erkannt, die der Menschheit von den Invasoren drohte und zugunsten der Menschen eingegriffen. Doch dann tauchte die Raumstation Vortha selbst auf — und Unandat, der sie be-herrschte, war mit psionischen Mitteln nicht zu besiegen. Das riesige Elektronen-gehirn aus der Zeit des Kosmischen Infernos hatte sich entschlossen, sich das Terrestrische Computerzentrum TECOM zu unterwerfen. Doch TECOM erwies sich in dem über Funk ausgetragenen Duell der Computer als stärker und zwang Unandat dazu, sich fortan als eine untergeordnete Nebenstelle von ihm zu betrachten. Die in Vortha gefangenen Mitglieder der ORION-Crew sind wieder frei. Es kommt zur Verständigung zwischen Menschen und Vorthaniern. Doch im Sonnensystem schlummern weiterhin die Hinterlassenschaften der beiden verfeindeten Urmächte - und eine davon ist der GOLDENE KÄFIG SATURN ...

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1. Das Geschrei dröhnte bis hinauf in den

Steuerstand. Gore Duff-Hart schüttelte unwillig den Kopf; es schien wohl nicht möglich zu sein, gekonnt zu trinken und dennoch die Form zu wahren. Jedenfalls bot die ANGEL OF DEATH, dreihundert Meilen südlich der Bermudas auf Kurs fünfundvierzig Grad, den Anblick des heiteren Chaos.

Am Himmel zeigte sich nicht die kleinste Wolke. Es war später Vormittag, und die Hitze hatte die zehn Personen bewogen, möglichst leichtbe-kleidet herum-zulaufen. Sie schwitzten erheblich, und dagegen half nur Trinken - scheinbar. Schon während des langen Frühstücks hatten sie angefan-gen, sehr kalten und ebenso teuren Sekt zu trinken; Champagner, um genau zu sein. Nur Gore Duff-Hart war, als bester Seemann der ANGEL, bei kühlem, schäumendem Dosenbier geblieben.

Seine Laune war keineswegs schlecht, aber das Geschrei und besonders das schrille Gelächter der Mädchen störten ihn. Warum hatte Scollan nicht Damen eingeladen, die tief und kehlig lachten? Immer mußte er nehmen, was sich ihm anbot.

Dazu hatten sie alle Grund zum Feiern! Sechs reiche Söhne reicher Eltern, die

sich vor zwei Jahren zusammen-geschlossen und eine Firma gegründet hatten. Jeder von ihnen arbeitete auf einem anderen Gebiet des Unternehmens, und alle arbeiteten Hand in Hand zusammen. Sie hatten fast zu schnell Erfolg. Sie kämpften mit sämtlichen legalen Mitteln

und scheuten vor keiner Anstrengung zurück, und sie hatten mehr Erfolg. Keiner der sechs war auf die Leistung des anderen neidig, denn jeder war auf die Leistung seiner Partner angewiesen. Und irgend-wann in der Mitte des ersten, harten Jahres hatten sie beschlossen, sich eine Jacht zu kaufen, nach persönlichem Geschmack auszustatten und damit als Erholung eine Seereise zu veranstalten, an die sich jeder Teilnehmer sein Leben lang erinnern

würde. Sie waren auf dem

besten Weg zu einer solchen un-vergeßlichen Aktion, aber noch wußten sie es nicht. Ihr Verstand war derzeit vom Alkohol benebelt, und selbst Gore würde die Maschinen abgestellt haben, falls sie sich in schwierigem Fahrwasser befän-

den. Dies war nicht der Fall - die Bermu-das waren noch weit genug entfernt. Nur, laut elektronischer Seekarte, verlief hier irgendwo eine Seestraße, die von halbau-tomatischen Frachtern befahren sein sollte.

Die Hauptpersonen des Romans:

Cliff McLane — Der ORION-Kommandant leistet sich eine neue Extratour.

Mario, Arlene, Hasso, Atan und Helga —Cliffs verschworene Crew.

Gore Duff-Hart — Ein Urlauber im be-rüchtigten Bermuda-Dreieck.

Leandra de Ruyter — Admiralin der T.R.A.V.

Gwendolyn — Die seltsame Jupiter-In-telligenz ruft nach ihrem „Baby".

Han Tsu-Gol — Der Regierungschef der Erde ist empört.

„Hab' noch keinen davon gesehen!" brummte er und ließ seine Augen über die vielen Instrumente wandern. Hier oben war er allein, der Fahrtwind kühlte seinen Körper und sogar die beschlagenen Bierdosen.

Das Meer war ebenso ruhig wie der Himmel. Lange Wellen hoben und senkten sich. Es gab fast keine Schaumkämme, und wenn Gore sie sah, dann befanden sie sich in großer Entfernung voneinander. Gore trank einen Schluck, drückte das dünne Blech der leeren Dose mit der Hand zusammen und ließ sie in den Recycling-schacht fallen. Dann erhöhte er die Umdrehungsrate der drei Schrauben und

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fühlte tief unter sich das zuverlässige Brummen der schweren Maschinen. Die Jacht hob ihren Bug noch etwas weiter aus dem Wasser. Der Gischt überschüttete die Feiernden auf dem Vorschiff mit winzi-gen, salzigen Tropfen. Überall dort, wo sie in die Gläser fielen, perlte der Champag-ner etwas stärker.

Abermals drückte Gore einen Schalter und transformierte sämtliche Steuerpro-bleme in den kleinen Kursrechner. Der Autopilot blinkte Gore mit einem großen roten Betriebslicht an, wie das Auge eines Fisches aus der Tiefsee.

„Warum sitzt du hier so allein?" hörte Gore eine Stimme hinter sich, als er gerade die nächste Viertelliterdose aufriß. Schneeweißer Schaum quoll über seine Finger. Langsam drehte er sich herum, während er trank.

Moorna stand auf dem Niedergang, eine volle Champagnerflasche in der Hand. Der Korken schaukelte irgendwo auf den Wellen im breiten, brodelnden Kielwasser der ANGEL.

„Weil es mich freut", brummte er. Er merkte, daß er immer betrunkener wurde. Aber noch hatte er den „Punkt ohne Rückkehr" nicht erreicht. Moorna kletterte zu ihm auf die breite Steuerbank, nahm ihm die Bierdose aus der Hand und versuchte, trotz der schwingenden Bewe-gungen der Jacht, Sekt in die Dose zu schütten. Es gelang nur teilweise, aber innerhalb des zylindrischen Blechs entstand eine interessante Getränkemi-schung.

„Was freut dich, Schätzchen?" kicherte Moorna. Sie war eine schwarzhaarige Schönheit mit langen Beinen. Ihre. Haut glänzte dank der Sonne und teuerster Öle samtbraun, nur auf den entzückenden Schultern und der Nase fanden sich ein paar rote Stellen.

„Daß ich allein hier sitze und alles sehen kann!'" erwiderte er und leerte die Dose. Moorna ließ aus der Flasche Champagner

in ihren schönen Mund hineinrinnen. Er sah fasziniert zu, wie die Flüssigkeit auf ihren winzigen Bikini tropfte.

„Was siehst du?" „Sonne, Himmel, Meer und Wellen.

Und dich, natürlich!" sagte er grinsend. Sie setzte die Flasche ab, rülpste diskret und kicherte. Dann sah sie an seiner Schulter vorbei und deutete mit der Flasche nach Steuerbord voraus.

„Siehst du das dort auch?" Er blinzelte in die angedeutete Richtung.

Tatsächlich zeichnete sich dort ein langer, silbergrauer Schatten ab. Etwa zweiund-zwanzig Seemeilen betrug die Entfernung.

„Ich sehe es. Ein Frachter oder so et-was."

Gores Augen schmerzten. Dies kam von der Helligkeit und vermutlich auch von der nicht geringen Dosis Chanth, die er gestern nacht zur Steigerung seiner Empfindungsfähigkeit eingenommen hatte.

„Betrunkene sind weitsichtig", kicherte Moorna wieder und zupfte spielerisch an seinem Schnurrbart. Seit drei Nächten war sie seine Gefährtin, aber jetzt störte sie trotz allem seine Ruhe.

„Möglicherweise hellsichtig", versuchte er zu korrigieren. „Aber selten einsichtig."

Wenn man genau hinhörte, war das Gelächter Moornas tatsächlich eine ganze Menge weniger schrill als das der anderen Mädchen. Gore Duff-Hart beugte sich vor, legte seinen Arm um ihre Schultern und küßte sie. Der Kurs der ANGEL wurde dadurch nicht um einen Millimeter beeinflußt, denn der Autopilot zog diesen Gefühlsausbruch nicht in seine Berech-nungen mit ein. Aber das Radar fing die Metallmasse des Frachters ein und gab diese Information an den Kursrechner weiter. Dieser entschied, daß die Entfer-nung für ein Warnsignal zu groß und für eine Kursänderung nicht relevant war, und gab kein Warnsignal.

„Werden wir ihn rammen?" fragte

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Moorna und biß Gore zärtlich ins Ohr-läppchen. Dabei schüttete sie etwas eiskalten Champagner auf seinen linken Oberschenkel.

„Wer wen?" brummte er und tastete auf dem Instrumentenpult nach der Bierdose.

„Wir ihn!" kicherte sie. Er zuckte zu-rück; in seinem Zustand waren Töne hoher Frequenz in unmittelbarer Nähe des Trommelfells so lästig wie Detonationen. Wieder knallte auf dem Vordeck, ein Sektkorken, aus unerfindlichen Gründen von einem Gelächterorkan begleitet. Oder vielleicht erzählte Scollan wieder einen seiner berüchtigten Witze?

„Wen?" fragte Gore zurück. Dieser sinnlose Dialog war sogar ihm etwas lästig. Er hob den Kopf und deutete auf den Frachter, der inzwischen größer geworden war. Die ANGEL fuhr einen Kurs, der sie in ungefährliche Nähe des riesigen Schiffes bringen würde.

„Den Frachter. Sieh mal, wie lang er ist."

„Kein Wunder", konterte er. „Schließ-lich hat er auch eine Menge Ladung zu transportieren."

Er senkte die Hand mit der leeren Bier-dose und blinzelte. Vor seinen Augen tanzte ein Schwärm gleißend heller Punkte in der Luft. Sie funkelten wie Sterne in der Nacht, aber viel heller als die Sonne. Gore schloß die Augen und schüttelte den Kopf. „Ich muß unbedingt aufhören, schon vor dem Mittagessen zu trinken", sagte er leise und warf die Dose in den Schacht. „Kann ich dir auch raten. Hast du die Lichtpunkte gesehen?"

„Nein. Ich habe gerade dein Profil bewundert", erklärte Moorna ernsthaft. Auf dem Vordeck war es ruhig geworden. Nur die Fragen des Stewards waren auf einmal zu hören; ein Geräusch, das Gore abermals störte. Dann gab die Anlage vor ihm einen kurzen Warnton ab. Beide Schiffe befanden sich seit Anfang auf einem Kurs, dessen Endpunkte sich

schneiden würden. Inzwischen lagen nur noch drei oder vier Seemeilen zwischen den Bordwänden. Der Frachter näherte sich von Steuerbord, und deutlich waren die Nietenreihen und die Antennen zu sehen, als Gore durch den schweren Feldstecher blickte. Er griff nach vorn und schaltete den Autopiloten aus. Wieder schwirrten diese verdammten Punkte durch die Luft und tanzten zwischen ihm und der Schiffswand über den Wellen.

„Schluß jetzt", sagte er entschlossen. Moorna blickte ihn verzweifelt an. Sie wußte nicht, wen oder was Gore meinte. Dann irrten ihre Augen ab, denn die Backbordwand der riesigen schwimmen-den Transportmaschine schob sich wie drohend zwischen den Horizont und die ANGEL. Es gab nur wenige Bullaugen. Das Schiff war unter und über der Was-serlinie nach modernsten strömungs-technischen Erkenntnissen gebaut. Das Kielwasser und der Gischt am Bug schienen meilenweit entfernt zu sein. In Wirklichkeit befanden sich nur zweihun-dertdreißig Meter zwischen Bug und Heck. Wie eine aufgeklebte Glaskugel, wie ein seltsames Auge hing die Backbordbrücke an der Flanke der TRADE MARK VI -die gelben Buchstaben schoben sich langsam an den Augen Moornas und Gores vorbei. Ein solches Schiff konnte mit nur vier Männern gefahren werden, denn sämtliche Aggregate arbeiteten ferngesteuert und mit der Unterstützung eines mittleren Prozeß-rechners. Die Firma, die Gore mitgegrün-det hatte, verschiffte einen Teil ihrer Erzeugnisse mit Seeschiffen wie diesem.

„Fast so beeindruckend wie dein Profil, Görlein!" witzelte Moorna und warf ihr langes Haar in den Nacken.

Als Gore zum zweitenmal in die Steue-rung griff, dadurch die Geschwindigkeit der Jacht erhöhte und mit einem winzigen Ruderausschlag auf Parallelkurs ging, sah er hinter und vor sich an Steuerbord die gesamte Besatzung der ANGEL. Sie

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standen nebeneinander an der Reling, hielten ausnahmslos Gläser und Flaschen in den Händen und deuteten hinüber.

Das Rauschen der Bugwelle und das lufterschütternde Dröhnen der Turbinen und Schrauben übertönte jedes Gespräch. Die Jacht schüttelte sich leicht, als sie mit dem Bug durch die Backbordwelle der Bugsee des Frachters schnitt. Jetzt hörte Gore das Kreischen der Mädchen, die wild schwankten und sich dort festzuhalten versuchten, wo es gerade ging. Es gab ein heilloses Durcheinander.

Dann, ganz plötzlich, passierten zwei Dinge, die Gore verblüfften. Zunächst warf Cryena eine fast volle Sektflasche nach dem Frachter. Sie überschlug sich, verspritzte den teuren Inhalt und schlug nach zehn Metern Flug in die See. Gore ärgerte sich über diese sinnlose Ver-schwendung des guten Stoffes. Und als er den Flug der torkelnden Flasche verfolgte, sah er auf der Bordwand des Frachters die unscharfe Projektion einer Landmasse, die einer felsigen Inselküste glich.

„Ich muß tatsächlich aufhören zu trin-ken!" flüsterte er. Eine Art undeutliche Angst packte ihn. Dann, als er genauer hinblickte, muße er erkennen, daß sich der Eindruck nicht verflüchtigte. Im Gegen-teil: das Schiff schien sich aufzulösen und transparent zu werden. Die Konturen der Landmasse wurden schärfer, Gore glaubte sogar, Brandungswellen zu erkennen.

Neben ihm wimmerte Moorna in heillo-sem Schrecken auf.

„Gore! Hilf mir! Mir wird schlecht... das Schiff, dort, die Insel ... und überall die Sternchen!"

„Ruhe. Schließ die Augen!" brüllte er, hob wieder das Glas hoch und starrte durch die Linsen. Alle Eindrücke, die er bisher seiner Trunkenheit und dem Schlafmangel zugeschrieben hatte, blieben bestehen. Sie schienen ein beharrlicher Teil der Wirklichkeit zu sein, nicht mehr länger Ausdruck der Trunkenheit. Mit

einem kurzen Blick vergewisserte sich Duff-Hart, daß es allen anderen Besat-zungsmitgliedern nicht anders ging.

Sie standen schweigend da, wirkten wie gelähmt, und alle blickten angestrengt auf den Frachter - oder durch ihn hindurch. Noch während Gore darüber nachdachte, erschienen rund um die ANGEL, über dem Meer zwischen den Schiffen, überall um die TRADE MARK und selbst innerhalb des scheinbar gläsernen Schiffes jene Lichtpunkte. Es waren Millionen, die einen wilden Tanz vollführten wie vom Sturm gepeitschte Eisnadeln. Das Land, das jenseits der TRADE MARK immer schärfer konturiert auftauchte, blieb düster und fremdartig, trotz der winzigen hellen Punkte.

Das verfluchte Grab von Schiffen und Flugzeugen, das Bermuda-Dreieck! fuhr es Duff-Hart durch den Kopf.

Die Kulissen der Wirklichkeit wurden verschoben: das schwarze Land, das aus einer Phantasiewelt stammen mochte, näherte sich dem Bug des Frachters. Die TRADE MARK änderte ihren Kurs nach Steuerbord und schob sich auf die geheim-nisvolle Insel zu. Das Gestöber der Lichtfunken verwandelte sich in die deutlich erkennbaren Strukturen eines Wirbelsturms, der ziemlich genau einem Teil des Van-Allen-Gürtels glich und irgendwelchen Kraftlinien gehorchte. Nahezu alle Instrumente außer dem Öltemperatur-Anzeiger fingen an, gerade-zu sagenhafte Werte zu zeigen, aber die Jachtmaschinen liefen ruhig weiter wie die Quarzuhren.

„Das sind keine Halluzinationen! Oder doch!" schrie Gore auf. Aber nicht einmal Moorna hörte und verstand ihn. Alle waren wie hypnotisiert. Jede weitere Sekunde änderte sich das Aussehen dieser seltsamen und rätselvollen Bilder. Das Land mit den dunklen Felsen wirkte wie eine Laserlichtprojektion, die immer dichter wurde. Vom Frachter waren nur

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noch die Fugen und Ecken zu erkennen; überall dort, wo zwei Metallmassen im Winkel aufeinandertrafen, entstanden solarisiert schimmernde Linien und Ecken. Das Wirbeln der sonnenhellen Lichtpunkte verwischte die Konturen und ließ sämtli-che Eindrücke verschwimmen; es war eine Steigerung des Gefühls der Betrunkenheit.

Und dann hatte sich der schemenhafte Frachter der Küste bis auf gefährliche Distanz genähert. Der geschwungene Bug schien mit den Felsen zu verschmelzen. In Gore spannten sich die Muskeln. Er hörte nicht, wie Moorna neben ihm fassungslos schluchzte und wimmerte. Er wartete auf den Zusammenprall der beiden riesigen Massen und - drei oder fünf Sekunden später - auf den schmetternden Krach, zusammengesetzt aus berstendem, sich verformendem Metall und zerbröckelnden Felsen.

Nichts geschah. Noch nie in seinem siebenunddrei-

ßigjährigen Leben hatte sich Gore Duff-Hart so wehrlos, erschreckt und desorgani-siert gefühlt wie jetzt. Im Moment des wildesten und regellosesten Umherschwir-rens dieser Millionen oder Milliarden gleißender Lichterscheinungen bohrte sich der Frachter in die nunmehr deutlich ge-wordene Insel, löste sich mehr und mehr auf, und schließlich schien er im wirren Lichterspiel der Funken völlig in die Felsen einzusickern. Auf ebensolche Weise verdünnte sich der rasende Strom der umhergewirbelten Mikrosonnen. Er tobte lautlos noch einmal um die schroffen und schrundigen Felsen der fernen Klip-pen, ließ den Schaum der Bran-dungswellen aufleuchten wie Schnee und verging. Und von einem zum anderen Moment verschwand die Landmasse, als ob die Projektion abgeschaltet worden wäre.

„Wahnsinn!" ächzte Gore. Er drehte sich um und blickte Moorna an. Sie saß zusammengekrümmt neben ihm und

schien in sich hineinzuhorchen. Sie hielt die Flasche so schräg, daß der Inhalt je nach Bewegung der Jacht in dünnerem oder dickerem Strahl aus dem Hals floß. Von dem Augenblick, als die ersten Lichtfunken aufgetaucht waren, bis zu der atemlosen Stille, die sich selbst der See mitzuteilen schien, waren keine fünfhun-dert Sekunden vergangen.

Mit einem letzten Rest Beherrschung drückte Gore wieder den Ein-Schalter des Autopiloten und stand auf. Ohne das Mädchen zu beachten, ging er hinunter in die Kombüse und trank einen halben Liter heißen Kaffees. Dann erst kam, was er erwartet hatte, der Ansturm der Aufre-gung, der Selbstbezichtigungen, der falschen Versprechen, des Staunens und der ungezählten Vermutungen.

Jeder versuchte, den anderen zu übertö-nen und sich durchzusetzen.

Meinungen und Ansichten schwirrten umher wie Bienen eines Schwarms.

Neue Flaschen wurden entkorkt, obwohl alle eben laut geschrien hatten, sich vom Alkohol bis zum Lebensende fernzuhalten.

Massenhypnose, Multipsychose, Simul-tan-Ausflippen ... das waren die gängigen Schlagworte der folgenden Stunden. Der eine war sicher, die Wirklichkeit gesehen zu haben, der andere bewies ihm mit wackliger Argumentation das Gegenteil, der dritte versuchte eine Synthese aus beidem - kurzum: es herrschte eine Verwirrung, die im täglichen Ge-schäftsleben der gemeinsamen Firma binnen eines Tages zum betrügerischen Konkurs geführt hätte.

Halbwegs nüchtern, aber alles andere als konzentriert oder gar besonders aufmerk-sam, hörten und sahen sie die Mitter-nachtsnachrichten von Florida News. FN wurde via Satellit abgestrahlt und berichte-te, daß zur fraglichen Zeit der Großraum-frachter TRADE MARK VI ungefähr zweihundertsechszig Seemeilen südlich der Inselgruppe der Bermudas spurlos

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verschwunden war. Der Sprecher brachte diesen Totalverlust

(noch immer war die Rede von dem „vermißten Großraumfrachter" und seiner fünfköpfigen Besatzung) mit der langen Kette der Geschehnisse in diesem dreiek-kigen Seegebiet in Verbindung und erin-nerte an die letzten Vorkommnisse und das Eingreifen der ORION-Mannschaft. Jedenfalls war jedem Besatzungsmitglied der ANGEL OF DEATH klar, daß sie alle Zeugen eines verwirrenden, vermutlich so-gar realen Vorganges gewesen waren.

Darauf mußte unbedingt ein kräftiger Schluck genommen werden. Oder mehre-re. Das half den Mädchen, sich wieder auf ihre Freunde, Geliebten, Liebhaber oder die lüsternen Blicke des Stewards, Kochs oder Chefingenieurs zu besinnen. Und das Bewußtsein, noch nicht dem Säuferwahn verfallen zu sein, machte aus den männli-chen Besatzungsmitgliedern wieder einigermaßen normale Männer. Die Erinnerung an die nur kurze Zeit zurück-liegenden dramatischen Ereignisse im Bermuda-Triangel half ihnen dabei. Obwohl seither nichts Unerklärliches mehr passiert war, ging Gore, nachdem Moorna schlief und im Traum undeutliche Dinge vor sich hin murmelte, in den Funkstand und setzte eine Meldung an Port Gesine III ab; den technisch bestausgerüsteten Hafen der Bermuda-Inselgruppe.

Er schilderte so knapp und unthea-tralisch wie nur möglich die Impressionen der Mannschaft, erhielt seine Bestätigung und wankte zurück in die Kabine, nicht ohne vorher gewissenhaft die Ruderwache und sämtliche Instrumente kontrolliert zu haben. Erst dann küßte er Moorna aus dem Schlaf und streichelte, wie jede Nacht, ihren herrlichen Körper.

Als der Lärm ihn weckte, ahnte er, daß er sich im Zentrum des zweiten chaoti-schen Erlebnisses dieser Reise befand. Seine Vermutungen wurden voll bestätigt.

* Ein Luftkissenboot, vierhundert Stun-

denmeilen schnell, war mit Vor- und Achterspring an der ANGEL festgemacht. Fernsehkameras summten. Interviewer fragten laut und aufdringlich. Stimmen ertönten, Flaschen wurden geöffnet, Gläser wurden klirrend zerschmettert. Die Innenräume des Schiffes rochen bald wie eine Bierkneipe um drei Uhr morgens. Überall lagen ausgetretene Zigarettenreste. Das Fach-Interkosmo der Fernsehleute ertönte vom Bugspriet bis zum Hecklicht. Kameraaugen richteten sich lüstern auf die Bikinis der Mädchen. Das Scriptgirl machte dem Steward zweideutige oder besser: sehr eindeutige Angebote. Ein unbrauchbares Tonband aus einer Kassette wurde von einem Maschinenventilator erfaßt, wickelte sich um die Achse und ruinierte fast den Bordelektrik-Erzeuger. Jemand klebte einen benutzten Kaugummi auf den hochsensiblen Fluidkompaß und ließ die Jacht einen Zickzackkurs fahren. Scollans Rücken wurde von einem Becher mit glühendheißem Kaffee - mit Zucker und Milch - verbrüht. Sein Fluchen ließ die fliegenden Fische ihren Kurs ändern. Moorna schüttete eine Flasche Sekt in eine der tragbaren Kameras, was man erst im Studio merkte, weil der Film offensichtli-che Fehlfarben zeigte. Nach drei Stunden wankten die Leute johlend und schwan-kend hinüber zu dem Hyper-Hoverkraft und winkten den Mädchen zu, die ledig-lich schwache Gesten der kalten Verach-tung vollführten.

Mit anderen Worten: Ein Team von Florida News hatte die einzigen Au-genzeugen in der „Story vom ver-schwundenen Frachter" heimgesucht. Die ANGEL sah aus, als hätten die Leutnants von Attila, der hunnischen „Geißel Gottes" ein intimes Beisammensein nach einem gewonnenen Scharmützel gefeiert.

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* Dreißig Minuten später wurde es ernst.

Ein Tragflügel-Düsenhelikopter raste heran, schaltete auf Schubumkehr und auf Antigrav-Minimalabstand und schwebte regungslos, wie eine silberfunkelnde Libelle, vor der ANGEL über dem Wasser. Die Ladeluke klappte auf, ein kleinerer Hoverkraftflitzer sackte schwer ins Wasser und nahm nach einer Reihe sehr eindeuti-ger Signale Kurs auf die Jacht.

Fünf Personen saßen in dem Gerät, das auf dem Vorschiff landete. Eine junge Frau mit dem Gesicht einer ägyptischen Sphinx, die nach Bill Damans erstem eindeutigem Antrag ihn mit einem Kung-Fu-Hieb auf die Planken schickte, ferner drei junge Männer, die jenen gefürchteten Gesichtsausdruck trugen, eine Mischung zwischen gesunder Skepsis, eiskalter Verachtung jedem anderen gegenüber, der mehr verdiente als sie, und einem gesun-den, niemals einschlafenden Mißtrauen.

Der fünfte Mann, ein gemütlich wirken-der Fünfziger, steuerte das Preßluft-Dinghi zurück zum Helikopter, wurde mit dem Gerät hochgezogen und flog mit dem Helikopter zurück nach Gesine III.

Sie alle gehörten zum GSD, zum Galak-tischen Sicherheits-Dienst. Bis zum Moment des Einlaufens in Port Gesine wurden die Besatzungsmitglieder verhört und pausenlos befragt. Als der Chefinge-nieur die ANGEL OF DEATH mit einem zittrigen Roringstek am Poller belegte, war allen Beteiligten folgendes völlig klar:

Obwohl der Alkohol in Strömen floß, obwohl die Männer nett und feurig waren, obwohl die Mädchen sich von ihren besten Seiten gezeigt hatten, war dies die mieseste und blödeste Seefahrt ihres Lebens gewesen.

Und: ihr Abscheu gegen Fernsehteams und GSD-Beamte war nur noch mit größten Schwierigkeiten zu übertreffen.

Als Gore Duff-Hart von Bord ging, faßte

er sämtliche Eindrücke in einem Aus-spruch zusammen.

„Navigare necesse est - daß ich nicht lache! Seefahrt tut not - aber niemals mehr für mich! Der Teufel hole alles. Ich bleibe an Land und nähre mich redlich."

Indessen war seine Meinung nur ein Aspekt in einem viel dichteren, tödlichen Gewebe. Sie erlebten nur das Vorspiel. Andere, nicht weniger nette Menschen der Erde, waren gestorben. Und wieder andere brachten sich in tödliche Gefahren. Aber das wußten weder Gore noch Moorna, und sie konnten es auch nicht ahnen.

2. Eine andere Zeit, ein anderer Brei-

tengrad, ein anderer Strand. Der Lärm klang eindeutig so, als würde

man zwischen den ausgewaschenen Steinen und der Brandung kleine Hunde schlachten. Cliff warf einen besorgten Blick zu Arlene, die mit selbstvergesse-nem Lächeln schweigend eisblaue Lilien in einer roten Vase ordnete. Diese un-nachahmlichen Blüten stammten aus der Raumstation Vortha, und Mario de Monti hatte sie als Geschenk von Erethreja und anderer Vorthanier vorausgeschickt als si-cheres Zeichen, daß Cliff Alistair McLa-nes Freundin einen höllisch starken Kaffee kochen und Cliff seinerseits die einschlä-gig bekannten Getränke temperieren sollte.

„Was tun die Leute am Strand?" fragte der Commander irritiert. Genau vier Tage Ruhe nach dem Abenteuer mit der blumen- und pflanzendurchwachsenen Raumstation hatte das Schicksal ihnen gegönnt. Für Cliff war der Radau unter-halb seines Wohnturms ein untrügliches Zeichen dafür, daß, wie er sich in seinen seltenen lyrischen Momenten ausdrückte, die Zeit der Laute vorbei war und die Zeit des Schwertes begann. Er hütete sich, diese Bemerkung laut auszusprechen, denn

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nichts mochte er so wenig, wie sich lächerlich zu machen. Er schätzte es, den Zeitpunkt selbst zu bestimmen, an dem über ihn gelacht wurde. Dann allerdings lachte er am lautesten.

„Welche Leute?" fragte Arlene ruhig zurück und ging auf eines der riesigen Fenster zu. „Da ist niemand am Strand."

„Und woher kommen diese gräßlichen Geräusche? Sind es möglicherweise Vorthanier, die um den Verlust der Sklaverei schreien?" erkundigte sich der Commander sarkastisch.

„Keineswegs", antwortete Arlene la-chend und strich zwei Strähnen ihres schwarzen Haares aus dem Gesicht. „Es sind erstklassige australische Möwen."

„Das erklärt vieles", murmelte Cliff. Sie befanden sich erst seit knapp vier Tagen in ihrem Wohnturm. Während ihrer Abwe-senheit war der Innenarchitekt mit seinem Team pünktlich und fleißig gewesen; ein ungewöhnlicher Umstand dieses Berufs-zweiges. Aus der Raumstation Vortha stammten nicht nur die eisblauen Lilien, sondern auch einige andere, auffallendere Einrichtungsgegenstände. Arlene und Cliff hatten versucht, die Erlebnisse der letzten Wochen zu verarbeiten, hatten mit geradezu kindlicher Freude ihre ausgefal-lene, aber aparte Wohnung wieder betreten, waren im Center gewesen und hatten eingekauft -kurz, sie hatten ver-sucht, sich wie normale Erdenbürger zu fühlen und nicht wie die Angehörigen einer Crew, die ununterbrochen im schwierigen Einsatz war. Natürlich gelang dieses schlagartige Wechseln der Bewußt-seinsebenen nur unvollkommen. Aber dennoch fühlten sie sich hervorragend gut. Die Erschöpfung, das Nachlassen der ungeheuren Anspannung von Intellekt und Nerven war vorüber.

„Wann will Mario kommen?" fragte Cliff. Er saß in einem riesigen weißen Ledersessel vor seinem Schreibtisch und sortierte die eingegangenen Informationen.

„Unbestimmt. Er sagte: .später!', und er meint vermutlich sehr spät!" entgegnete Arlene.

Sie hatten in den vergangenen Tagen sich viel zu wenig um die Vorgänge auf dem Planeten gekümmert. Ihre Gedanken und Überlegungen kreisten noch immer um TECOM und dessen gelungenen Angriff auf Unandat, mit dem er das Kollektivgewissen der Vorthanier zur Nebenstelle eines elektronischen Rechen-centers degradiert und den Insassen der Raumstation die absolute Freiheit ge-schenkt hatte. Die Gedanken beschäftigten sich ferner mit Gwendolyn oder Wendy, dem Großen Roten Fleck des Planetenrie-sen Jupiter und den emittierten parapsychi-schen Impulsen dieses Rätselwesens. Irgendwie hatte Cliff McLane das deutli-che Gefühl, daß noch eine Menge Fragen einer Antwort harrten. Und zwar Fragen, die ebenso laut und drängend waren wie die Impulse des GRF, des Großen Roten Flecks.

„Mario de Monti ist immer für eine Überraschung gut", bemerkte Cliff. „Und vermutlich wird er seine Freundin aus Vortha mitbringen, um unsere Meinung über seine interkosmische Liaison zu hören." Ruhig erklärte Arlene: „Es wird bei einer Mesalliance bleiben, bei einer Verbindung, die zumindest wohlwollende Kritik herausfordert."

„Wo die Liebe hinfällt, und das sei ohne Ironie gesagt, gedeiht sie auch. Nur gibt es kurzlebige Pflanzen und solche, die Generationen überdauern", schloß der Commander mit scheinbarer Weisheit.

Drei Stunden später heulte auf der Zufahrt zum Turm über den Klippen die Turbine von Marios Taxi auf. De Monti rannte herein, küßte Arlene und umarmte Cliff und stieß aufgeregt hervor:

„In Vortha herrscht ein mittleres Chaos, das aber bereits die starken Impulse der keimenden Selbständigkeit besitzt. Wo ist der Kaffee?"

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Arlene deutete zur Sitzgruppe. „Dort. Kaffee, Calvados, Whisky .. . und

einiges mehr." „Wie verhält sich Unandat?" wollte Cliff

wissen. Mario machte es sich bequem und antwortete nachdenklich:

„Ich blieb bis heute früh auf Vortha. Ich blieb wegen Erethreja dort und versuchte, sie zu überreden, mit mir zur Erde zu kommen. Sie wird dort bleiben, um ihren Leuten zu helfen. Ich tat, was ich konnte, und schließlich mußte ich einsehen, daß TECOM viel bessere pädagogische Arbeit leisten kann als ich. Jede Frage, die an TECOM gerichtet ist und die neue Entwicklung betrifft, wird über das Kommunikationssystem Unandats beantwortet. Jedenfalls kommt das Mädchen nicht hierher, und so wird es auch bleiben, denke ich."

Er machte eine Pause, bewegte das Glas und roch am Calvados. Dann fragte er:

„Und wie steht die Entwicklung des ,Jupiter-Phänomens'?"

„Nichts Neues", erklärte Cliff. „Wir sollten uns in der nächsten Zeit einige ernsthafte Gedanken über eine Kommuni-kationsbasis mit Wendy machen. Ein Austausch echter Informationen wäre ein großer Gewinn für beide Teile."

„Meinst du, daß die Wissenschaftler eine Basis finden?'" schaltete sich Arlene ein und goß Marios Glas wieder voll.

„Wissenschaftler?" erkundigte sich Mario verständnislos.

Cliff sah auf die Uhr. Es war noch genügend Zeit bis zu den Nachrichten. Er erläuterte:

„Seit einiger Zeit befindet sich ein Forschungsschiff in Jupiternähe. Man hat sämtliche Wissenschaftler der einschlägi-gen Disziplinen befragt und die besten zum Großen Roten Fleck geschickt. Sie haben angeblich Kontakt mit Wendy, und in den Nachrichten sollte eine erste Zusammenfassung gesendet werden. War-ten wir's ab, vielleicht haben sie den

Erfolg, den wir uns wünschen." „Wie sind die Chancen?" Mit breitem Grinsen gab der Com-

mander zurück: „Gering. Schließlich hat Wendy so-

zusagen in unserer Notlage eingegriffen und die Blumenkinder ausgeschaltet. Wir sind die ältesten Freunde Wendys."

Die verbleibende Zeit nutzten sie, um den hinreißenden Ausblick von der obersten Turmplattform zu genießen, sie sahen sich die neuen Teile der Innenein-richtung an, sprachen über naheliegende oder spekulative Dinge und aktivierten dann, wenige Minuten vor der vollen Stunde, den Videophonschirm.

„Ich bin sicher, daß unsere klugen Spezialisten zwar den GRF fasziniert beobachten können, aber keinen neuen Aspekt bringen werden. Was wetten wir?" murmelte McLane und beugte sich vor, um sein Glas zu füllen.

„Der kühne Flug der einsamen, aber blitzschnellen Gedanken, wie er die Mitglieder der ORION-Crew auszeichnet, wird durch die letzten Spuren Pax fluidum im Planetenkreislauf nachhaltig verhin-dert", sagte Mario ironisch, aber an seinem Einwand war viel Wahrheit.

„. .. stellen wir die für diese Nach-richtensendung bestimmte Stellungnahme des Kommunikationsteams über Jupiter zurück. Wie vor einigen Stunden offiziell bekannt wurde, ist der GSD über das Wiederauftauchen rätselhafter und vermutlich bedrohlicher Kräfte und Vorkommnisse im Bermuda-Dreieck stark beunruhigt."

Die Sprecherin vermittelte tatsächlich selbst den Eindruck, als wäre sie sehr erschrocken und beunruhigt. Schlagartig hörten Arlene, Mario und Cliff auf, sich zu unterhalten. Etwas wie ein elektrisierendes Gefühl erfaßte sie. Jedes Wort würde jetzt von Wichtigkeit sein.

„Wir senden jetzt die wichtigsten Aus-schnitte eines Interviews, das wir von

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Florida News übernommen haben. Die Besatzung einer Jacht war Zeuge von merkwürdigen Geschehnissen in dem fraglichen Gebiet."

Mario und Cliff starrten sich an. Was jetzt gesendet wurde, war wichtiger als Liebeskummer oder Innendekoration.

Eine dreiviertel Stunde lang kamen Interviews und Kommentare, kurze Rückblenden und vorsichtige Erklärungs-versuche. Ununterbrochen wechselten die Bilder. Die Mannschaft der ANGEL OF DEATH in mindestens einem Dutzend verschiedener Versionen, was sie zu sehen geglaubt hatten. Aber trotz aller Verschie-denheit blieben drei Faktoren bestehen: Der Transporter, die grellen und zahlrei-chen Lichtpunkte und die Landmasse. Mit einer mageren Stellungnahme eines Mannes vom Galaktischen Sicherheits-dienst - er sagte, man wisse nichts, und alles sei noch im Stadium der Auswertung begriffen - endete der Bericht. Cliff wartete noch einige Minuten und schaltete das Gerät aus.

„Mir ist klar, daß die Tage der Ruhe vorbei sind", sagte Arlene. Es war ihr nicht anzumerken, ob sie froh oder traurig darüber war.

„Es bedeutet neue Arbeit, neue Aben-teuer und neue Erfolge", erklärte Mario und hob sein Glas.

„Es bedeutet zuerst einmal, daß ich Helga und Hasso und Atan anrufe. Sie sollen hierher kommen, denn in ganz kurzer Zeit wird uns Han Tsu-Gol verstän-digen. Ich bin hundertprozentig sicher."

„Etwas Ähnliches hätte ich dir jetzt vorgeschlagen", ermunterte ihn der Erste Offizier.

Sie kamen nicht zur Ruhe. Der Schluß eines Abenteuers enthielt für die Crew bereits den hoffnungsfroh sprossenden Samen für den nächsten Anfang. Anderer-seits war für Cliff, Arlene, Mario, Helga, Atan und Hasso ein Leben in stiller Beschaulichkeit ein Unding. Sie lebten für

die Aktion und aus ihr heraus. Tatsächlich kam der Anruf von T.R.A.V. kurz vor Mitternacht, einige Minuten, nachdem Helga Legrelle als letztes Teammitglied eingetroffen war.

3. Während der kleine, lautlose Ro-

botwagen durch die Korridore und unterirdischen Straßen der Basis rollte, diskutierte die Crew noch immer die Ereignisse und die Folgen für sich selbst.

„Ich habe inzwischen alles mögliche über das Bermuda-Dreieck nachgelesen", erklärte Helga, als sie einen der belebten Plätze passierten. Hier herrschte dank der vielen Besatzungen und der technischen Abteilungen selbst jetzt lebhaftes Trei-ben.“

„Mit welchem Ergebnis?" „TECOM hat, ohne daß ich es wußte,

eine literaturhistorische Abteilung aufgebaut. Die Schwierigkeit ist nur, der Maschine klarzumachen, was man lesen will. Jedenfalls ist das Thema Dreieck noch lange nicht erschöpft. Es kursieren natürlich die wildesten Vermutungen in den alten Texten, aber mir scheint, daß es auch viele Tatsachen gibt, die bisher nicht berücksichtigt worden sind."

„Das werden Han und de Ruyter gern hören!" versicherte der Commander grimmig. Das Fahrzeug bog in die vertrauten Stollensysteme ein, die zum Hauptquartier der Terranischen Raumauf-klärungsverbände führten.

Niemand hatte sich auch nur eine Se-kunde lang über den Umstand gewundert, daß T.R.A.V. sie erstens sofort und zweitens zu solch ungewöhnlich später Stunde zu sprechen wünschte. Das waren sie gewohnt; sie wären ausgesprochen verblüfft gewesen, wenn Admiralin de Ruyter nicht so schnell reagiert hätte. Nur Hasso hatte die betreffende Nach-

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richtensendung nicht gehört. „Sind es Tatsachen", fragte er, zu Helga

gewandt, „die mit den geschilderten Vorkommnissen in direkte Verbindung gebracht werden können?"

Der Wagen hielt fauchend vor dem Eingang, die breiten Türen glitten sum-mend zurück. Langsam stieg die ORION-Crew aus.

„Wohin genau?" fragte Arlene. „Büro de Ruyter", sagte Cliff. Helga

hängte sich beim Bordingenieur ein und beantwortete dessen Frage.

„Mit dem seltenen Geschick, das wir haben, wenn es sich um erstklassige Gefahren handelt, läßt sich fast alles mit allem in Verbindung bringen, Hasso. Jedenfalls könnten die von mir festgestell-ten Tatsachen wirklich etwas mit Rudraja und Varunja zu tun haben."

„Dann werde ich mich zu gegebenem Zeitpunkt an dich um Auskünfte wenden'', sagte Cliff. Die Posten und Sekretärinnen waren verständigt, die Crew passierte ungehindert sämtliche Lichtflutbarrieren und befand sich schließlich im geräumigen Büro der Admiralin. Leandra begrüßte Cliff, dann die anderen, wies dann auf die Sessel. Tunaka Katsuro brachte eine Art lärmendes Willkommen zustande, und Han Tsu-Gol bedauerte sichtlich den An-laß und die Stunde.

„Aber der Schritt des Tigers naht stets, wenn die Jäger schlafen", entschuldigte er sich.

„Schlafende Jäger können wir uns nicht leisten", fuhr Katsuro fort und setzte sich hinter seinen Schreibtisch, der mit Papieren und Nachrichtengeräten übersät war. „Ich darf den hoffentlich hellwachen Jägern einen kurzen Lagebericht abgeben."

„Kosmische Jäger wie die ORION-Leute schlafen höchstens in Abwesenheit ihrer Vorgesetzten", meinte Atan und gähnte demonstrativ, was ein mildes Lächeln der Admiralin hervorrief. Zwischen der Crew und der Admiralin herrschte ein unaus-

gesprochenes gegenseitiges Respekt-verhältnis, das klare Fronten schaffte.

„Wie sehr unterscheidet sich das Wissen des GSD von dem Text der offiziellen Nachrichtensendung?" fragte Cliff aus der Tiefe seines Sessels heraus.

„Nicht sehr. Hören Sie gut zu", begann Katsuro.

Bis zum Eintreffen gegenteiliger Infor-mationen wurde der Frachter TRADE MARK als verschollen und unter geheim-nisvollen Umständen verschwunden betrachtet. Elf Untersee-Meßschiffe hatten bereits jetzt Stellung an der „Unfallstelle" bezogen; ihre Positionen, die auf einem Bildschirm gezeigt wurden, markierten einen Kreis um das betreffende Gebiet.

Ein Beobachtungssatellit, der nach Beginn der ersten Zwischenfalle ausgerü-stet wurde, war vor sieben Stunden in seine stationäre Umlaufbahn gebracht worden und hatte keinen anderen Zweck, als nur dieses geheimnisvolle Seegebiet zu beobachten. Er diente mit mehreren stän-dig betriebsbereiten Kommunika-tionskanälen als eine Art Kreuzungspunkt für T.R.A.V., TECOM und andere Einsatzgruppen.

„Außerdem", schloß Tunaka Katsuro seine Ausführungen, „haben wir für eine Anzahl Raumschiffe, Hovercrafts und die Boote der Küstenwache bedingte Alarm-bereitschaft angeordnet. Damit sind unsere Möglichkeiten erschöpft."

Atan fragte sofort: „Halten Sie die Beobachtungen der

betrunkenen ANGEL-Besatzung für Illusionen oder Halluzinationen, Katsuro?"

Die Admiralin war der Unterhaltung schweigend gefolgt. Nur ihre hellblauen Augen glitten aufmerksam umher. Nichts entging ihnen.

„Ich halte Lichtfunken, Frachter-verschwinden und Landauftauchen für keine Halluzinationen", sagte Katsuro. Es schien, als ob Han Tsu-Gol sich abermals entschuldigen wollte, daß die Sekretärin

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vor fünfundvierzig Minuten in Cliffs Wohnturm angerufen hatte. Er verbeugte sich und sagte:

„Ich wollte Ihnen allen die mehr als wohlverdiente Ruhe und Entspannung gönnen", er breitete die Arme aus und glich für einen Augenblick einem Buddha, „aber die Umstände und Admiralin de Ruyter wollten es anders. Ich bedaure es zutiefst. Man soll dem Schuftenden die Ruhe gönnen, zumal seine Leistungsfähig-keit drastisch absinkt."

„Gilt nicht für uns", knurrte Mario de Monti provozierend. „Wir sind selbst im Zustand tiefster Erschöpfung noch besser als andere."

„Geschenkt, Mario", sagte die Admiralin und grinste ebenso mokant wie der Erste. „Ich verspreche mir sehr viel, wenn Sie und Ihre vorwitzigen Freunde sich um die Sache kümmern. Sie sind nüchtern und se-hen Gefahren klar und deutlich. Um allerdings Ihren Übereifer zu dämpfen, werde ich mir gestatten, Ihnen auf die Finger zu sehen."

„Muß das sein?" brummte Hasso Sigb-jörnson verdrossen.

„Ich fürchte, es muß sein. Ich werde Sie begleiten, und dies aus zwei Gründen. Erstens möchte ich eine legendäre Mannschaft bei der projektbezogenen Arbeit beobachten; vermutlich kann ich nur lernen. Zweitens werde ich dann, wenn Sie versuchen, übers Ziel hinauszustarten, beschwichtigend eingreifen nach dem Motto: Eine ORION-Crew über Terra ist besser als ein Schiff voller verschollener oder toter Helden im All. Einverstanden?"

Sie funkelte McLane an. Sie war ebenso groß wie er, und in der Bewegung, mit der Leandra ihr hellblondes Haar in den Nacken warf, erkannte der Commander, daß sie es sehr ernst meinte. Es gab keine Diskussion mehr. Aber er kapitulierte nicht und lächelte hintergründig-dienstbeflissen. Jeder, der ihn kannte, deutete dieses Lächeln richtig.

„Einverstanden. Indes gibt es Wege und Mittel... lassen wir das. Wir reservieren Ihnen den besten Gastsessel. Wann ist der Start?"

Han Tsu-Gol hob eine Folie hoch und las ab.

„Die ORION wird gerade startfertig gemacht. Geht es nach technischen Notwendigkeiten, könnten Sie in einer Stunde starten. Allerdings schlage ich vor, den Start für sechs Uhr morgens anzuset-zen. Diesmal frage ich die Crew: einver-standen?"

Sechsmal kam das „In Ordnung' oder „Einverstanden".

Han strich über seinen kahlen Schädel, zwinkerte und ließ das Blatt sinken. Er schaffte es allein durch seine beharrliche und beruhigende Persönlichkeit, die entstehenden Spannungen abzubauen. Schon immer hatten Cliff und die Seinen etwas gegen Aufpasser oder Kontroll-personen an Bord gehabt, da sie sich zu Recht sagten, daß sie ihre Loyalität gegenüber Gesetzen und dem Wohl der Erde und der Raumkugel mehr als zur Genüge bewiesen hätten. Mit einer schnellen, geschmeidigen Bewegung stand Admiralin Leandra de Ruyter auf.

„Wie lautet die Definition des Auftrags für die ORION-Crew?" fragte Cliff laut und richtete die Frage an alle und an niemanden direkt.

„Beobachtungen und nötigenfalls Ein-greifen angesichts drohender Gefahren im, über oder unter oder durch das Bermuda-Dreieck!" sagte Katsuro entschlossen. „Klar?"

„Klar wie selten. Ich begreife gar nichts", erwiderte Cliff, grüßte kurz und verließ das Büro. Mario nahm die Mappe mit den Startpapieren an sich, und sie fuhren mit dem wartenden Wagen zum nächsten Oberflächenlift.

Die verbleibenden Stunden würden sie damit verbringen, sich auf den Einsatz vorzubereiten. Jeder von ihnen rechnete

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fest damit, daß die Vorgänge im Zusam-menhang mit der ANGEL und der TRADE MARK nur ein Startzeichen für eine Reihe von anderen, größeren, auf anderer Ebene stattfindenden Gefahren sein würde. Jedes Mitglied der Crew hatte im Lauf der langen, erlebnisreichen Jahre ein untrügli-ches Gespür für derlei Aktivitäten entwik-kelt. Es würde sie auch jetzt nicht im Stich lassen.

*

Cliff und Mario waren die ersten, die

sich in der Personenschleuse der Basis 104 fanden.

„Eines sage ich dir, mein Freund", knurrte der Commander verdrießlich, „ich bin noch immer sicher, daß die Macht des Rudraja aktiv ist. Und in diesem Fall wird uns die Admiralin bestenfalls stören. Ich schätze Leandra als Mensch, aber ich kenne ihre Mentalität."

Mario versuchte ihn zu trösten. „Wir haben immer einen Weg gefunden,

Kontrollpersonen zu sabotieren. Auch in diesem Fall wird es uns nicht sonderlich schwerfallen."

„Wie in alten Zeiten, Mario?" Der Erste Offizier und Cliffs Stell-

vertreter grinste mit Verschwörermiene. „Ganz wie in alten Zeiten, Commander." „Ich bin beruhigt." Das Innenschott schwang auf. Vor sich

sahen die beiden Männer den silber-schimmernden Diskus der besten ORION, die es gab. Gelb gekleidete Mannschaften und Robotaggregate, von Tiefstrahlern und Scheinwerfern in ein bühnenhaftes Licht gerissen, beschäftigten sich mit letzten Tests. Die Schleuse, der unterste Teil des Startschachts, roch nach Salzwasser und Tang.

„Dieses Bermuda-Dreieck... es scheint mir der Sammelpunkt einer Menge unseliger Erbstücke zu sein", sagte Cliff halblaut, als er neben Mario, in die frische

Bordkombination gekleidet, auf das Raumschiff zuging.

„Das ist wohl die Meinung aller. Aber wir können auch nichts anderes tun als ein Geheimnis nach dem anderen zu entdek-ken. Der Meeresboden entzieht sich einer systematischen Kontrolle."

„Zumal die Vorgänge augenscheinlich stets von außen ausgelöst werden."

„Richtig. Auch wir können nichts daran ändern. Manuellsteuerung?"

„Ja. Ich muß ein wenig die Reaktionen meiner Fingergelenke üben."

Mario und Cliff lachten laut und herz-haft, ohne jeden Hintergedanken. Manch-mal war es wirklich so wie in alten Zeiten. Aber diese alten Zeiten waren vorbei, endgültig war eine Zäsur erfolgt, als Glanskis und Vlare McCloudeen sich für die Crew und das Schiff opferten. Und, ohne es jemals auszusprechen, war jeder von ihnen überzeugt, daß die beiden Freunde lebten, irgendwo oder irgend-wann, in einer anderen Welt oder einer anderen Zeit.

„Alles klar. Der nächste Start, das näch-ste Abenteuer! Ich bin ausgeschlafen und sehr neugierig", sagte Cliff und winkte den Gruppen der Techniker zu. Sichtlich genoß er es, in einer Art selbstbewußter Zufrie-denheit, daß er und sein Team noch immer zu den bemerkenswertesten Raumfahrern der Erde zählten.

„Wir werden es erleben, Cliff!" Sie stiegen in den rüsselartigen Zentral-

lift, ließen sich ins Schiff hinaufsaugen und begannen mit der Routinearbeit. Zuerst kamen die Admiralin mit Captain Omar Shadem, der Cliff und Mario begrüßte, sich anerkennend umsah und wieder verschwand, dann die restliche Be-satzung. Elf Minuten vor sechs waren sie vollzählig und absolut startbereit.

Die Sirene ertönte. Die Automa-tenstimme zählte rückwärts. Die vertrauten Takte der Startfreigabe ertönten. Der gigantische Wirbel im Zentrum des

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Carpentaria-Golfes begann zu rotieren. Aus seiner Mitte stieg der Diskus auf, im Morgenlicht wie hochpoliertes Chrom aufblitzend. Ein neues Erlebnis bahnte sich an.

*

Halblaut sagte Admiralin de Ruyter: „Man braucht schon eine Menge Phanta-

sie, um sich vorstellen zu können, daß dort alle denkbaren Geheimnisse verborgen sein können."

Sie deutete auf das Bild, das die zentrale Sichtplatte zeigte, der tischgroße, runde Stereobildschirm vor dem Platz des Kommandanten. Unter der ORION IX lag ein Teil der Karibischen See im Sonnen-schein. Es war absolut nichts zu erkennen. Nur die ewigen Strukturen des Wassers, von Wind, Wellen und Licht erzeugt und innerhalb von Sekunden verändert.

„Eine Eigenschaft, die jedes Mitglied dieser Crew auszeichnet", murmelte der Commander sarkastisch, „ist konstruktive Phantasie. Ich sehe dort alles mögliche."

„Auch eine aufgetauchte Insel?" wollte Leandra wissen. Ihre hellen Augen blickten Atan skeptisch an, der die Positionen der Unterwasser-Meßschiffe festgestellt und die einzelnen Rufkodes mit Helga abgesprochen hatte.

„Irgendwo in meinen Vorstellungen gibt es auch eine Insel, in die ein durchsichtig gewordener Frachter hineingefahren ist. Denken Sie an den großartigen Schiffs-friedhof, den wir damals im All fanden!"

Die ORION IX senkte sich langsam auf die Stelle hinunter, an der das denkwürdi-ge Zusammentreffen gemeldet worden war. Natürlich zeigten sämtliche Geräte keinerlei Spuren an. Auch die Meßschiffe hatten zwar ununterbrochen gesucht, abge-tastet und analysiert, aber nicht das geringste gefunden. Der Ozean war leer - und da man dieses Seegebiet abermals für den Verkehr gesperrt hatte, würde das

kleinste Objekt zumindest einen Alarm nach Port Gesine ausgelöst haben.

„In meiner Vorstellung wimmelt es von den verrücktesten Dingen", gab die Admiralin zu, „aber weder eine gläserne TRADE MARK noch eine Insel und schon gar keine Milliarden Lichtpunkte sind darunter."

„Sie halten also den aufgetauchten Inselkontinent für Halluzinationen der mehr oder weniger betrunkenen Leute auf der Jacht?" fragte Helga von ihrem Pult aus. Die Admiralin hielt sich an der Kopfstütze von Cliffs Sessel fest und starrte bewundernd auf einen eiskalten weißen Wolkensturm, an dessen Flanke entlang die ORION schräg abwärts glitt.

„Ich bin fast überzeugt davon, daß es Hirngespinste waren."

„Einen Moment", sagte Cliff und hob kurz die Hand. „Helga! Nacheinander bitte die Meßschiffe in numerischer Folge. Ich möchte mit den Kommandanten sprechen, ja?"

„Verstanden!" Keiner von ihnen glaubte an Mas-

senhalluzinationen. Zweifellos hatte die Besatzung der Jacht gesehen, was sie zu Protokoll gegeben hatte. Die entsprechen-den Tests des GSD hatten keinen Beweis für Lügen, Absprachen oder Ähnliches erbracht. Im Gegenteil: die Jachtbesatzung hätte viel lieber die restlichen fünfzehn Tage ihres Urlaubs in Ruhe und leichtem alkoholischen Dunst verbracht. Aber das Protokoll ließ immerhin eine Menge Deutungen zu. Zwischen Hirngespinst und wissenschaftlich kontrollierbarer Wirk-lichkeit gab es viele Abstufungen. Cliff und wohl auch die Mehrheit der Crew schien mehr an die Wirklichkeit zu glauben, die Leute um die Admiralin bevorzugten die andere Richtung.

„Ich las in den alten Berichten, daß es in ferner Vergangenheit hier eine Landmasse gegeben haben soll. Frühere Forschungs-unternehmungen haben nachprüfbare

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Beweise von Straßen, Hafenanlagen und irgendwelchen terrassenförmigen Flächen erbracht. Ich sah die Photos; es waren noch die alten, zweidimensionalen Farbbilder. Riesige, ausgedehnte Bauwer-ke wurden gefunden, aber schon damals tief unter Wasser. Das ist exakt nachprüf-bar und außerdem in TECOM gespeichert, Admiralin!" betonte die Funkerin.

„Ich glaube Ihnen, Helga", erwiderte Leandra. „Aber ich bleibe skeptisch, bis zum Gegenbeweis."

„Ich hoffe, daß der Gegenbeweis nicht angetreten wird. Es brächte uns in ernste Schwierigkeiten - und noch mehr die anderen dort unten", bemerkte der Commander leise. „Kanal eins frei?"

„Geschaltet, Cliff", sagte Shubashi, und Helga machte von ihrem Pult aus das Fertig- Zeichen.

„Hier ORION Neun", sagte Cliff ins Mikrophon. „Wir rufen Meßschiff Eins. Haben Sie irgendwelche Beobachtungen gemacht?"

Auch Shubashi versuchte un-unterbrochen, mit den höchstemp-findlichen Geräten des Raumschiffs etwas zu finden, das sich zwischen der Flughöhe von viertausend Metern und dem Meeres-boden befand. Aber keines der Geräte hatte bisher einen sinnvollen Impuls aufgefangen. Und diese, von schweren Verstärkern gespeisten Anzeigen würden einen metallenen Aal aufspüren können. Nur die Echos der Suchschiffe standen gestochen scharf auf den Nebenschirmen.

„Hier Schiff Eins. Sämtliche Systeme melden negativ, Kommandant", kam eine ruhige, beherrschte Stimme aus den Lautsprechern. „Bestehen Sie auf Ring-konferenz, oder wollen Sie die einzelnen Schiffe sprechen?"

„Letzteres, Nummer Eins. Auch in der Vergangenheit keinerlei von der Norm abweichende Feststellungen? Nichts, gar nichts? Auch keine psychologisch gearte-ten Verschiedenheiten? Keine sogenannte

unerklärliche Vorfälle an Bord? Halluzina-tionen oder so?"

„Es tut mir leid, Sie zu enttäuschen, McLane, aber bei uns in Schiff Eins fiel nichts vor."

„Danke, Eins. Ende." Ruhig warf Hasso Sigbjörnson ins Gespräch ein:

„Wir selbst haben dort unten eine riesige Kuppel entdeckt, die sich bisher den Nachforschungen wegen unüberwindlicher Schwierigkeiten entzog. Es könnte durchaus sein, daß irgendwelche kosmi-sche Kräfte einen Teil des Bodens heben und senken. Denn wären es tektonische Vorgänge, müßten sie klar angemessen werden können."

„Der Gedanke an ein Stück Land, das wie ein Fahrstuhl gehoben und gesenkt wird, behagt mir noch weniger", schauder-te Admiralin de Ruyter.

„Wir sind erst am Anfang der Aktion!" beschwichtigte Mario.

Die Vorstellung, daß eine Landmasse innerhalb kurzer Zeit auftauchte und spurlos versank - das Meerwasser müßte jetzt noch in weitem Umkreis von feinver-teiltem Schlamm gefärbt sein -, war sicherlich utopisch. Aber im Kampf der Erben von Rudraja und Varunja schienen nur wenige Dinge unmöglich zu sein.

Cliff legte einen Hebel um und rief das zweite Schiff. Gerade, als er sprechen wollte, sagte der schwarzhaarige Astroga-tor scharf:

„Cliff! Ein Bild auf dem Monitor. Ich schalte um."

Klickend baute sich ein Bild in ste-chenden Farben auf dem ganz rechts befindlichen Monitor auf. Es zeigte das Echo des zweiten Meß-Unterwasserschiffs der kreisförmigen Suchanordnung. Ganz klar zu sehen war um das lanzenförmige Objekt ein doppeltes System elektroma-gnetischer Kraftfelder. Sie bildeten, sich peripher berührend, zwei große Kugeln, die das Heck und den Bug des Schiffes als Zentrum hatten.

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„Elektromagnetische Phänomene!" sagte Cliff ohne großes Erstaunen. „Es scheint loszugehen."

„Kaum betritt die ORION den Schau-platz, überschlagen sich die Ereignisse", scherzte Hasso. „Versuche, Schiff Zwei zu erreichen!"

„Schon dabei." Cliff sah, wie Helga die Sendeantenne

präzise einregelte, was unter normalen Umständen völlig überflüssig gewesen wäre. Wie ein gezielter Blitz zuckte der Funkspruch hinunter.

„ORION Neun an Schiff Zwei. Schil-dern Sie die Eindrücke im Innern des Bootes. Wir haben Sie klar auf dem Bildschirm."

Die Antwort kam schlagartig. Leichte Panik schwang in der Stimme des Funkers mit, als er hastig entgegnete:

„Keine Ausfälle unter der Mannschaft. Sämtliche wichtigen Instrumente spielen ver ..."

Die Stimme verlor sich, obwohl Helga sofort den Lautstärkeregler zog, in einem undeutlichen Murmeln.

Es trat derselbe charakteristische Effekt ein, als ob der Sender nicht in viertausend Metern Entfernung, sondern draußen im All, mehrere Lichtminuten entfernt arbeiten würde. Augenblicklich bewegten sich die Finger Helgas über das Pult. Jeder Knopfdruck, jeder flüchtig berührte Sensorschalter hatte seine Bedeutung. Verborgene Maschinen summten, Relais klickten leise, und die Verstärkerleistung kletterte automatisch ins Maximum. Schließlich fing die Suchantenne den Schiffssender wieder ein. Helga sagte deutlich:

„Technisch unmöglich. Aber auch kein Trick. Also ein wichtiges Phänomen, Freunde."

In die letzten Worte mischten sich die von nicht herausgefilterten Störungen unterbrochenen Worte der Meldung von Schiff Zwei.

„. .. zeigen Verzögerung an. Wir haben die Begleitschiffe aus den Instrumenten verloren. Bitte, antworten Sie auf meine Fragen."

„Auf welche Fragen? Wir stellten so-eben starkes Fading fest!" erklärte McLane.

Schweigen. Mario begann, einer flüchti-gen Idee folgend, zu rechnen und benutzte dazu die Eintragungen im elektronischen Bordbuch, das seit zehn Minuten im Dauerbetrieb lief. Noch immer kam aus den Lautsprechern nichts anderes als ein knisterndes Summen, von gelegentlichem Knacken unterbrochen.

„Wieder einmal hatte ich den Gei-stesblitz im richtigen Zielgebiet!" be-merkte der Erste selbstzufrieden. „Woher kamen, angeblich, die Signale von Zwei, Helga?"

„Irgendwo aus der Gegend um Ophiu-chi, grob geschätzt."

„Genau. Für die Instrumente hat sich Schiff Zwei in ein Raumschiff verwandelt, das hundertachtzehn Lichtsekunden weit über der Ekliptik stand. Dasselbe gilt auf Schiff Zwei für die ORION. Noch zehn Sekunden, dann hören wir wieder die Antwort."

„Hier Zwei. Wir haben als letzte Mel-dung den Satz mit dem Fading. Wo sind Sie, ORION?" schrie der Funker in heller Aufregung. Cliff holte tief Luft, warf einen mehrdeutigen Blick auf die Admiralin, die fassungslos neben ihm stand und die immer bizarrer werdenden elektro-magnetischen Linien, Kugeln und Feldef-fekte betrachtete, dann erklärte er dem Funker dieses Schiffes und, per Rund-spruchschaltung, auch allen anderen, was aus der Sicht der ORION Neun vorgefal-len war.

„Eine kühne Frage, Madam", sagte er schließlich, als die Mikrophone abgeschal-tet waren. „Glauben Sie noch immer, daß jeder Vorfall erstens wissenschaftlichen Gesetzmäßigkeiten und zweitens der

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vorgefaßten Meinung von T.R.A.V. gehor-chen muß? Dies scheinen mir die ersten Zeichen des vielzitierten Gegenbeweises gewesen zu sein. Allerdings definieren wir an Bord sie noch nicht als ‚Gefahr', was sich schnell ändern kann."

„Wie Sie alle wissen, respektiere ich Sie", antwortete Leandra mit steinernem Gesicht. „Aber Sie werden mir eine eigene Meinung gestatten, selbst wenn sie falsch sein sollte."

Von seinem Eingabeelement aus sagte der Erste in warmem, herzlichem Ton:

„Dieser Satz, Frau Admiralin, ehrt Sie sehr, verrät er doch Klugheit und die Fähigkeit, Ansichten revidieren zu können, wenn die Not es verlangt. Ich werde zu diesem Anlaß eine Messingplakette irgendwo am Schaltpult anbringen lassen."

Leandra de Ruyter blickte ihn zweifelnd, aber keineswegs grimmig an. Dann lächelte sie überraschend, was einige ihrer Sommersprossen vortrefflich zur Geltung brachte.

„Im Gegensatz zu Ihnen kann ich auch noch Querflöte spielen, de Monti!"

Die Crew schaffte es noch, in der Zeit-spanne, die zwischen Ende des Fragesatzes und Anfang der Antwort verging, herzlich zu lachen. Sämtliche Gespräche gingen via Satellit sowohl zur Auswertung an TE-COM, den stillen Partner, und auch T.R.A.V. hörte und sah, soweit dies möglich war, alles mit.

Noch ehe die Crew es erkannte, rechnete der gigantische Komputer aus, daß diese unerklärlichen Verzögerungen, die scheinbaren Positionswechsel der senden-den und empfangenden Objekte, die Zeiten, die zwischen zwei Sekunden und zwei Minuten lagen, sämtliche Unterwas-serschiffe untereinander und jene wie-derum in bezug zur ORION gleicher-maßen betrafen. Ein zielloses, funk-technisches Chaos herrschte im und über dem Bermuda-Dreieck.

4.

Tunaka Katsuro dehnte seine breiten

Schultern, so daß die breiten Ziernähte der Jacke knirschten und krachten. Dann faltete er die Hände in seinem kurzen, muskelstarrenden Nacken und sagte leise, aber im Tonfall unüberhörbarer Konzen-tration:

„Mir ist es anfangs ein Rätsel gewesen, warum diese legendäre Crew derart selbstsicher ist. Jetzt weiß ich's. Cliff und sein Team reagieren fast immer richtig und stets blitzschnell. Sie besitzen die seltene Eigenschaft, die richtigen Reaktionen scheinbar vorher zu erraten. Sie sind offensichtlich besser als unser schöner, funkelnder Satellit. Oder sind Sie gegenteiliger Meinung, Han?"

„Nur ein eigensinniger Blinder wehrt sich gegen das, was offensichtlich ist", erwiderte Han Tsu-Gol deutlich. „Ihre isometrischen Übungen irritieren mich, Herr Kollege."

„Mich entspannen Sie!" Sie saßen im abgedunkelten Ar-

beitszimmer des ehemaligen Orcasten für Verteidigung und Raumflotte, des grob-knochigen, hochgebildeten Han Tsu-Gol. Informationselektronik schien jeden Winkel des Raumes zu füllen. Bildschirme in allen Größen, Diagrammschreiber, Projektoren, Bandgeräte und umfangreiche Tastaturen, mit deren Hilfe von hier aus praktisch jeder Winkel der Erde und, mit Ausnahmen, der 900-Parsek-Raumkugel erreicht werden konnte. Im Augenblick jedoch konzentrierte sich der Kern dieser Anlage auf die alarmierenden Vorgänge im Bermuda-Dreieck.

„Darf ich Sie bitten, eine der Rät-selhaftigkeit dieser Abläufe angemessene Haltung einzunehmen? Sicherlich wird dies Ihrem herrlichen Körper leichtfallen", schmeichelte Han Tsu-Gol. „Cliff McLane rauft sich inzwischen das Haar, das wir

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beide nicht mehr haben." Katsuro lächelte zuvorkommend, dehnte

sich ein letztes Mal und zeigte auf den größten Bildschirm. Dort vereinigten sich sämtliche Vorgänge zu einem dreidimen-sionalen Schaubild aus Farben, grafischen Symbolen und Lichtzeichen. Es war ein Meisterwerk der Nachrichtentechnik, das einen Zustand einer jeden vorstellbaren Lage jederzeit schnell und exakt schilder-te.

„McLane versucht, den Kontakt mit den Schiffen zu halten und die Besatzungen zu beruhigen", bemerkte Katsuro und drückte den Rufknopf mit der Aufschrift TECOM.

„Seit eineinhalb Stunden verändern die Sender scheinbar ununterbrochen ihre Lage und Entfernung. Oder jemand transportiert elektromagnetische Wellen auf wilden Umwegen durch das All... TECOM! Eine neue Situationsanalyse?"

„Negativ!" kam es mit TECOM-eigener Vocoderstimme aus den Lautsprechern. Die Männer sahen sich an und schwiegen.

Sie erkannten, daß auch „ihr" Satellit nicht so funktionierte, wie es hätte sein sollen.

Er stand 36 Kilometer, scheinbar fest verankert, in einer stationären Bahn über der ORION, dem Seegebiet mit allen Inseln und Kontinentalsockeln und den elf Schiffen. Die Geräte dieser hervorragen-den Anlage hätten jede Ionenkonzentration zwischen sich selbst und dem Mee-resgrund klar erkennen müssen.

Und der schwächste Sendeimpuls eines Batteriesenders würde heulend und krachend aus den Lautsprechern ertönen - wenn dort normale Zustände herrschten. Dies war eindeutig nicht der Fall. Han Tsu-Gol spürte, daß eine neue Art von verhängnisvoller Unruhe auf ihn zukroch.

„Wir haben bis jetzt bestenfalls die Hälfte sämtlichen Funkverkehrs gehört. Der Satellit fängt einfach nicht alles auf. Wir wissen nur, daß sich dort irgendwel-che Dinge anbahnen. Nicht einmal

TECOM kann Schlußfolgerungen aus den Verzögerungen und all dem ziehen."

Sie fühlten sich den Frauen und Män-nern an Bord der ORION und in den unterseeischen Beobachtungsschiffen auf seltsame Art verbunden. In beiden Fällen glich die Ausstattung der Räume einander. Aber hier gab es eindeutig mehr Sicher-heit, hier, unterhalb der Basis 104 auf dem felsigen Boden der Carpentaria-Schlucht.

„Können wir mehr tun?" beantwortete Katsuro die unausgesprochene Frage des anderen.

„Ich weiß nichts. Das Eingeständnis der Schwäche macht den Starken edel, aber nicht leistungsfähiger."

„Fragen wir einmal TECOM, vielleicht ist er weniger edel und dafür leistungsfä-higer!" schlug Tunaka vor, ohne ironisch wirken zu wollen.

„Er hält sich auf merkwürdige und vor allem unerklärliche Art zurück. Wieder einmal bin ich geneigt, ihn als menschli-chen Partner zu definieren. Es ist, als ob er hinterhältige Gedanken hegt, um uns überraschen zu können."

Tunakas Blick umfaßte den Raum voller summender Technik und Han Tsu-Gols Zeigefinger, der die Kanäle zu TECOM blockierte.

„Ausnahmsweise bin ich diesmal voll Ihrer Meinung, Tsu-Gol", bestätigte er kameradschaftlich. „Fragen wir ihn trotzdem. Vielleicht hat ihn die Erweite-rung der Kapazität durch Unandat ver-wirrt."

„Was ebenfalls eine menschliche Eigen-schaft wäre."

„Abermals richtig." Sie sprachen von nichts anderem als einer riesigen Rechen-zentrale mit unzähligen Verbindungen. Aber sie wußten ebenfalls, daß Orcuna sei-nerzeit ein Netz geknüpft hatte, das sehr feinstrukturiert war und der Maschine Eigenschaften programmiert hatte, die sie unter Umständen tatsächlich verblüffend menschlich reagieren ließ. Han Tsu-Gol

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gab die Blockade frei. Wieder hörte der Komputergigant die Gespräche innerhalb dieses Raumes mit. An der Situation im Kontrollgebiet der Bermudas hatte sich nichts geändert.

„Han Tsu-Gol an TECOM. Empfang klar?"

„Keinerlei Probleme. Ihr Wunsch?" „Wir warten auf Untersuchungs-

ergebnisse. Wir befürchten eine Eskalation der Vorgänge. Wir sind sehr besorgt."

„Die Auswertung der Meßergebnisse wird laufend vorgenommen."

„Wir brauchen Hinweise, Erklärungen, Analysen! Was geht dort vor, TECOM!" rief Katsuro mit steigender Erregung.

„Eine klare Definition kann zum gegen-wärtigen Zeitpunkt nicht erfolgen."

„Dann eine vorläufige Definition!" Etwa fünfzehn Sekunden lang schwieg die an sich wohlklingende, jedoch emotionslose Kunststimme der Riesenmaschine. Dann, zur tiefen Verblüffung der beiden Männer, sagte TECOM mit Entschiedenheit:

„Es ist angezeigt, die Untersuchungen im fraglichen Gebiet unverzüglich abzubrechen."

Han Tsu-Gol hob sich halb aus dem Sessel und sank fassungslos wieder zurück.

„Wie? Abbrechen? Wir können die Erde doch nicht völlig blind irgendeinem Angreifer aus der Vergangenheit überant-worten!"

Tunaka Katsuro starrte auf die Bild-schirme, als könne er dort erkennen, was TECOM ihnen verschwieg. Natürlich erfolgte von dort nicht die Spur von Aufklärung.

„Wiederholung: die vorläufige Analyse aller Vorfälle ergibt, daß es sachlich korrekter und mehrversprechend ist, die Untersuchung augenblicklich abzubre-chen. Es droht allen Beteiligten, Gerät und Mannschaften, höchste Gefahr."

„Definiere diese Gefahr!" „Im gegenwärtigen Stadium noch nicht

möglich", erklärte die Maschine kühl. Wieder verständigten sich die zwei

einsamen Männer mit Blicken. Katsuro faßte ihren Entschluß in Worte und sagte laut und fordernd:

„Wir lehnen den Abbruch der Untersu-chungen ab. Wir müssen die Gefahr kennen, um ihr begegnen zu können."

„Abermals erfolgt eine Warnung. Ein neuerlicher Zwischenfall in der Gefahr-Größenordnung muß befürchtet werden. Diese Warnung ergeht auch an die Besatzung der ORION Neun."

„Welche Gefahr-Größenordnung?" schrie jetzt Katsuro.

„Die des letzten Zwischenfalls im Ziel-gebiet."

„Wann? Warum? Welcher Gegner?" erkundigte sich Han Tsu-Gol. „Wir brauchen Informationen! Schnell!"

Sie konnten sicher sein, daß Cliff Mc-Lane recht genau verstand, welches Problem hier und jetzt entstand. Die Rechenmaschine weigerte sich, genau das zu tun, wozu sie erbaut worden war, nämlich Informationen weiterzugeben und Analysen klar auszusprechen. Ganz bestimmt zog Cliff seine Schlüsse; überdies warteten er und seine Crew nur darauf, daß sich „etwas ereignete".

„Keine der gestellten Fragen kann im Augenblick klar oder annähernd informa-tiv beantwortet werden. TECOM ist nicht in der Lage, vage Vermutungen oder bizarre Gebilde überanstrengter Fehlschal-tungen anzustellen oder auszusprechen. Abermals wird die Warnung wiederholt. Es ergeht dringende Aufforderung, sämtliche Untersuchungen so schnell wie möglich abzubrechen."

„Wir ...", begann Han Tsu-Gol und bedauerte, TECOMs elektronische Eingeweide nicht mit einem Kübel Eiswasser ruinieren zu können. Aber eine gleißende Helligkeit, die von einem sich automatisch zuschaltenden Bild-Sprechfunk-Teil ausging, lenkte seine

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Aufmerksamkeit auf das Zeichen Unan-dats, das nach dem Helligkeitsschock auf dem Schirm erschien.

Unandat? Die stilisierte Blütenkugel, das Kommu-

nikationszeichen der Raumstation Vortha, blinkte auf dem Schirm, während eine andere Stimme durch den Raum rief:

„Dies ist ein Notruf Unandats aus Vortha. Die Nebenstelle TECOMs meldet rätselhafte und sehr gefährliche Vorgänge aus dem Innern Vorthas. Fremde versu-chen zu materialisieren! Merkwürdige Fragmente unbekannter Wesen kommen und gehen und richten Schaden an. Sie entziehen sich jedem Zugriff und jeder Art von genauer Beobachtung.

Dies ist ein Notruf! Nach allen lückenhaften Beobachtungen

scheint es, als ob aus größter Entfernung jemand Vortha angepeilt hat und versucht, eine Invasionstruppe einzuschleusen. Die Materialisationen gelingen nicht ein-wandfrei. Mehrere Bewohner Vorthas sind durch Zusammenstöße und die Einwirkun-gen fremder Waffen verwundet worden. Es gab beträchtliche Schäden, besonders in einigen Gärten und Zuchtanlagen entstan-den große Verluste an wertvollem Saatgut und an hoffnungsfrohen Schößlingen. Bitte, tun Sie etwas! Helfen Sie Vortha. Diese dringende Bitte ergeht an die Behörden der Erde und gleichzeitig an die Zentrale Unandats. Also liegt auch TECOM dieser Text mit sämtlichen Protokollen bereits vor."

Jetzt war Han Tsu-Gol in der Ver-fassung, eine Jadeschale der Ming-Dynastie mit einem Gesteinshammer zu zerschlagen.

„Ich bin ratlos!" sagte er laut und vergaß einen Augenblick TECOM und dessen Widerspenstigkeit.

„Ich auch. Wie verhindert man Ma-terialisationen in einer Station wie Vortha?"

„Nicht unbedingt dadurch, daß man die

ORION Neun dorthin beordert." „Immerhin", gab Katsuro zu bedenken,

„waren die meisten der Crewangehörigen lange Zeit an Bord Vorthas."

„Also doch. Der Erste Offizier wird sich freuen."

Seit dem ersten Augenblick, als sich TECOM eingeschaltet hatte, ertönte als Hintergrundgeräusch die halblaute Unterhaltung der ORION-Leute mit den Kommandanten und Funkern der Untersu-chungsschiffe. Katsuro und Han waren geschult, wichtige Passagen sofort zu definieren und die Lautstärke anzuheben. Aber in Wirklichkeit hatte es dort im Dreieck keinerlei auffallende Ver-änderungen gegeben. Die wilden Zeit-sprünge der Nachrichtenübermittlung blieben.

„Erste Maßnahme: einige in der Nähe operierende Raumschiffe sofort nach Vortha. Einverstanden?" fragte Han Tsu-Gol. Katsuro nickte; er hätte nichts anderes unternommen. Er hörte zu, wie sein Nebenmann schnell und präzise einen Befehl durchgab, sich die betreffenden Dispositionen anhörte und bestätigte, dann wieder abschaltete und zum zweitenmal fragte:

„Nächste Maßnahme sollte tatsächlich sein, die ORION nach Vortha zu schicken. Allein Mario de Montis Eintreffen wird, das ist nicht zu unterschätzen, wohltuende Wirkung haben. Die umherfliegenden Küken beruhigen sich, wenn die Henne er-scheint, die sie aus dem Ei erbrütet hat."

„Wohl durchdacht und wohlgesetzt formuliert. Dadurch wird die Diszi-plinlosigkeit unserer Helden zwar geför-dert, aber sinnvoll kanalisiert."

„Sie hören bereits mit!" schränkte Han Tsu-Gol ein.

„Das sehe ich. Wir sprechen nur aus, was die dort denken. Immerhin ist Admiralin de Ruyter an Bord und wird unüberlegtes Handeln wohl verhindern."

Im gleichen Augenblick sagte Leandra

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de Ruyter laut und vernehmlich: „Ich habe selbstverständlich mitgehört.

Anordnung wurde klar verstanden und wird hiermit bestätigt. Was die Nachsätze betrifft, so werde ich, wie immer, tun, was ich kann. Danke und Ende."

„Ende und Aus", sagte Han Tsu-Gol und grinste breit.

Mit einer Reihe zielgerichteter Be-wegungen schaltete er eine Serie von Mikrophonen aus. Sekunden später herrschte wieder der Zustand, der am zweckmäßigsten erschien. Sie sahen und hörten alles, aber wenn sie sprachen, hörte nur TECOM mit. Und bei allen sicherlich gebotenen Einschränkungen war er im Augenblick der wichtigste Gesprächspart-ner. Dies lag daran, daß TECOM von allen Beteiligten am meisten wußte.

Tatsächlich hatte eine weit ausgreifende Erweiterung der rätselhaften Ereignisse stattgefunden. Ausgerechnet ein Angriff auf Vortha! Und, wie meist, war der Gegner unsichtbar und völlig unbekannt.

5.

Nur für einen kurzen Moment unsicher,

aber trotzdem voll Autorität, sah sich die Admiralin in der Steuerkanzel um. Sie alle hatten Han Tsu-Gols Anordnung gehört und verstanden. Cliff gab Helga einen unbemerkten Wink. Sie verstand und schaltete die Funkverbindung zu T.R.A.V. direkt und via Satellit ab.

„Gemischte Gefühle habe ich trotzdem", sagte der Commander unruhig. „Sie haben gesehen, daß sich die elektromagnetischen Phänomene drastisch verstärken, Lean-dra?"

„Natürlich. Ich bin auch dafür, nach Vortha zu fliegen. Was wir hier tun, kann ein anderes Schiff ebenfalls unternehmen", erklärte de Ruyter. Und mit einem Seiten-blick auf Cliff schloß sie: „Natürlich nicht annähernd mit der gleichen Qualität."

„So mögen wir's", bestätigte Hasso

Sigbjörnson. Mario arbeitete bereits an seinem Terminal und programmierte den neuen Kurs. Aber noch schwebte die ORION IX über den elf Schiffen, die ihrerseits im Farbenspiel der Feldlinien zu schweben schienen. Diese Phänomene waren mit dem Auge nicht wahrnehmbar, aber die Spezialinstrumente zeigten sie in aller erschreckenden Deutlichkeit. Die Strahlen, Kugeln und schleierförmigen Felder bewegten sich jetzt stärker. Sie pulsierten schnell und wechselten ununter-brochen die Farben und die Intensität.

„Wir fühlen uns mit Vortha stark ver-bunden", meinte Atan Shubashi. „Beson-ders Mario wird alles daran setzen, ihnen zu helfen."

„Ich habe nicht einmal die Spur einer Ahnung, was die Materialisationen in Vortha bedeuten!" murmelte Mario aufgeregt. „Kurs liegt an, Cliff. Du kannst starten."

„Verstanden!" Cliff und Helga verständigten sich, dann

strahlte die ORION einen Rundspruch des Commanders ab. Die elf Schiffe dort unten würden ihn früher oder später empfangen und wissen, daß sie ihre weitere Kommu-nikation via Satellit mit T.R.A.V. und TECOM zu führen hatten.

„Ich jedenfalls fliege lieber mit Ihnen nach Vortha, als daß ich hier darauf warte, daß sich TECOM zur endlichen Wahr-heitsfindung entschließt. Ziemlich merk-würdige Reaktion eines Komputers, finden Sie nicht auch?" fragte die Admiralin. Cliff bewegte die Fahrthebel, führte seine Schaltungen durch, und die ORION glitt davon, schräg aufwärts durch die letzten Reste der Lufthülle und auf die riesige Raumschiffskugel Vortha zu.

„Wir werden ohne größere Schwie-rigkeiten mithören können, was im Dreieck passiert. Ich hoffe, daß es nichts Ernstes ist. Immerhin: der Frachter TRADE MARK ist noch immer ver-schwunden."

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In einem langgezogenen Bogen raste die ORION auf Vortha zu. Die automatischen Geräte zeigten noch einige Sekunden lang die Wasseroberfläche und die Schiffe an.

Im gleichen Moment brach die Funkver-bindung ab, aber das konnte Helga nicht mehr feststellen.

Die Schiffe, teilweise untergetaucht, teilweise an der Oberfläche, wurden durchscheinend. Dies war der erste, flüchtige Eindruck, der Cliff veranlaßte, eine schnelle Kursänderung durchzufüh-ren. Die ORION kippte und schnitt schräg wieder zurück in die dichteren Schichten der Atmosphäre.

„Jetzt wird es gefährlich!" knirschte Cliff und hob warnend den linken Arm. Wieder wurden auf dem zentralen Bild-schirm die Objekte deutlicher und größer.

„Was ist los?" Die erste alarmierende Meldung kam

von Helga. Sie hantierte wie besessen am Funkpult und rief immer wieder leise in ihr Mikrophon.

„Die Funkverbindung ist abgerissen. Sie können uns nicht hören, und ich bekomme nicht einmal statisches Rauschen herein."

Die ORION heulte durch dichte Luft-schichten auf den Rand des imaginären Kreises zu, der von den Positionen der Meßschiffe gebildet wurde. Während die einzelnen Objekte immer „gläserner" wurden, schien sich die Luft dicht über dem Wasser zu einem grauen Nebel zu verdichten.

„Derselbe Effekt, wie ihn die Jachtbe-satzung geschildert hat! Die Schiffe werden durchsichtig und verschwinden!" rief Leandra de Ruyter in hellem Entsetzen aus. Jetzt erkannte sie, was Spekulation und Wahrheit gewesen war. Summend liefen Atans Filmkameras mit den vielen Speziallinsenvorsätzen an und dokumen-tierten die Szene. Etwa dreißig Sekunden waren seit der Kursänderungen vergangen. Die ORION verzögerte stark und blieb zweitausend Meter über der Wasser-

oberfläche, schräg außerhalb des kreisför-migen Seegebiets, unbeweglich in der Luft stehen.

„Verdammt! Elf Schiffe!"' rief Cliff erschüttert.

Dann geschah etwas anderes, das noch seltsamer war. Dort, wo die Luft bleiern und grau geworden war, erschien und verschwand eine Landmasse. Eine große, unregelmäßig geformte Insel. Es war, als ob eine unglaublich perfekte Projektion mit ständig schwankender Energiemenge versorgt werden würde. Das Bild flackerte sozusagen. Aber immer mehr Einzelheiten waren zu erkennen, nacheinander und stets zwischen unsichtbar und gestochen scharf, aber düster hin und her pendelnd.

Die Insel mit den vielen schroffen Fel-sen und der leichten Brandungswelle rundum war von üppiger Vegetation bedeckt. Dort, wo die Insel erschien und verschwand, wieder kam und ging, dies alles nur für höchstens eine Sekunde, schien es kein Sonnenlicht zu geben.

Daher wirkte auch die Vegetation stumpf, dunkelgrün und wie von einer Ascheschicht überzogen.

Staunend und beklommen schweigend studierte die Crew die schrecklichen Einzelheiten.

Wieder erschien das Bild der Insel - oder die Wirklichkeit. Die Schiffe waren jetzt nur noch undeutliche Silhouetten über dem Wasser.

Etwa in der Mitte der riesigen In-selfläche erhob sich ein Hügel, fast schon ein kleiner Berg. Er war groß, aber ziemlich flach und völlig kahl. So wirkte es wenigstens in den Augen und noch mehr in der Imaginationskraft der Crew-rangehörigen. Auf dem obersten Punkt der Erhebung erschien ein Bauwerk, das auf alle wie eine dunkle Burg wirkte, wie ein Kastell, aus schwarzen Basaltbrocken aufgetürmt.

Etwa fünfundvierzig Sekunden lang zitterte und schwankte das Bild der Insel.

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Die Meßschiffe waren jetzt verschwunden. Nicht einmal ruhigere Zonen im Wasser ließen erkennen, daß es die Einheiten vor mehr als einer Minute noch gegeben hatte. Cliff spürte, wie ihn das kalte Gefühl des Grauens packte.

Jetzt löste sich auch die Insel gänzlich auf.

Im letzten Augenblick, als alles ver-schwand, schien sich die Insel mit der Vegetation, den Felsen und der Burg in heller Glut zu befinden. Sekundenbruch-teile später hatte sich alles in schwarzgraue Asche verwandelt und zerfiel. Ein einziger wilder Sturmstoß aus dem Nichts blies die Asche fort, aber noch ehe sie sich zur Wolke formieren konnte, verschwand auch die Asche.

Eine Wasserfläche, auf der keine Son-nenstrahlen glänzten, auf der es keinerlei Wellenbewegung gab, breitete sich kreisförmig aus. Sie sah aus wie ein blinder Spiegel aus Rauchglas. Das Meer war völlig unbewegt, während sich jenseits der Grenzen dieses Kreises sowohl Wellen als auch Sonnenlicht zeigten.

Die Meßschiffe waren verschwunden. „Jetzt glaube ich alles. Ich glaube dar-

über hinaus, daß alles möglich ist", stöhnte die Admiralin auf.

„Dieses Seegebiet hält noch immer jede Menge Überraschungen für uns bereit'", sagte Cliff. Ihm wurde schlecht, als er an die Mannschaften der Schiffe dachte. Er empfand nur schwachen Trost bei dem Gedanken, daß sie vielleicht wie viele der hier verschwundenen Flugzeuge und Schiffe an einer gänzlich unerwarteten Stelle wieder auftauchen konnten, fernab der Erde, auf einem unerforschten Plane-ten. Dies verdammte Erbe des Rudraja!

„Hier können wir nicht mehr tun, als einen Funkspruch abzusetzen . ..", fing Helga an, aber sie wurde abermals unterbrochen.

Funksprüche, laut und deutlich, von halb hysterischen Funkern abgegeben, dröhnten

und heulten aus den Lautsprechern. Soweit es in dem Durcheinander der Stimmen zu erkennen war, meldeten die Schiffe genau dies, was die Crew eben gesehen hatte.

Eine Landmasse hob sich aus dem Meer, die Menschen in den Schiffen erkannten, daß sich Kunststoff, Stahllegierungen und Glas in durchscheinendes Glas zu verwan-deln begannen, die Angst griff um sich und lähmte den Verstand.

Mario erklärte mit rauher Stimme: „Für die Funksprüche gilt dasselbe wie

vorhin. Sie wurden vor rund eineinhalb Minuten abgegeben und erreichen uns erst jetzt. Sie haben, zeitlich gesehen, einen gewaltigen Umweg gemacht. Wohin? Warum? Ich denke, wir finden die Erklärung, wenn es zu spät ist."

„Können Sie sich denken, Cliff, was es mit dieser Zeitverzögerung auf sich hat?"

„Nein!" antwortete kopfschüttelnd der Commander. „Nicht einmal eine verrückte Theorie. Helga! Einen Direktkanal zu Han Tsu-Gol. Bildfunk, wenn möglich."

„Zwei Sekunden, auf Monitor Vier." „Danke." Während sie den Funksprüchen lausch-

ten und versuchten, ihr Entsetzen zu unterdrücken, steuerte der Kommandant die ORION IX tiefer und verhielt hundert Meter über dem bewegten Wasser.

Vor Cliff baute sich das dreidimen-sionale Abbild von Han Tsu-Gols Ober-körper auf. Schräg hinter ihm, ebenfalls im vielfarbigen Licht verschiedener Geräte-skalen, erschien Katsuro.

„Ich habe die traurige Pflicht, Ihnen folgendes mitzuteilen, Han", sagte der Commander. „Die Meßschiffe haben sich spurlos aufgelöst und sind verschwunden, ganz wie in der Schilderung der ANGEL-Leute. Es tauchte eine Inselmasse auf, schwarz und düster, mit felsigen Klippen, einem hervorstechenden Hügel und einer Art Burg darauf. Alles hielt sich rund eineinhalb Minuten, dann verschwand es. Diesmal keine flirrenden Lichtpünktchen,

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heller als die Sonne. Wir suchen gerade ohne große Hoffnung nach Wracks oder Überlebenden . .."

„Elektromagnetische Aktivitäten sind nach dem Verschwinden der Insel eben-falls auf Null zurückgegangen!" rief der Astrogator von seinem Platz aus, umgeben von leeren Bildschirmen.

„Danke. Fliegen Sie trotzdem nach Vortha."

„Wir befanden uns bereits auf Kurs, haben den Start aber abgebrochen, als wir deutliche Zeichen für das Verschwinden der Meßschiffe sahen", erklärte Cliff. „Gibt es neue Tatsachen? Gleichgültig, aus welchem Winkel unseres Sonnensy-stems?"

„Bis jetzt nicht, Kommandant. Übrigens hat sich Unandat bisher kein zweitesmal gemeldet."

„Eine abermals verblüffende Tatsache. Mir scheint", antwortete Cliff mit der Spur eines traurigen Lächelns, „daß eine an Listen reiche Schlange sich ringelt, um besser zustoßen zu können."

„Nicht nur Ihnen scheint es. Wir stehen, bildlich gesprochen, am Fuß einer gewal-tigen Mauer aus Gefahren. Der giftige Wind fährt durch den Bambushain, Commander."

„Cliff McLane wird, wenn die ORION dazu in der Lage ist“, fügte Admiralin de Ruyter hinzu, „für frischen Wind sorgen. Wir fliegen also abermals Vortha an."

Mit sorgenvollem Gesicht verbeugte sich Han Tsu-Gol. Katsuros Gesicht war eine starre Maske im Beleuchtungseffekt des Kommunikationsraumes. Er hatte nichts mehr von dem heiteren Partygast an sich, als den ihn Cliff und andere kennen-gelernt hatte, sondern glich einem altern-den Samurai. Die scharfen Linien in seinem Gesicht drückten seine tiefe Sorge aus.

„Ja. Versuchen Sie alles, um den Vorthaniern zu helfen. Haben Sie Wracks oder Besatzungsangehörige der Meßschif-

fe auffinden können, Cliff?" Der Tonfall Han Tsu-Gols erinnerte den

Commander an Marschall Wamsler, der immer dann jegliches autoritäre Gehabe ablegte, wenn er in ernster Sorge war oder Hilfe von der ORION erwartete. Cliff hatte das Raumschiff langsam etwa hundertachtzig Grad des gewaltigen Kreises entlang gesteuert. Er, mit Hilfe der zentralen Bildplatte, und der Astrogator mit seinem breitgefächerten Spektrum der verschiedenen Suchgeräte hatten die Wellen und das Wasser bis zu einer Tiefe von siebenhundert Metern abgesucht. Das Ergebnis war deprimierend.

„Nein. Die Meßschiffe sind spurlos verschwunden, wie der Frachter vor einiger Zeit, Han. Wir machen uns abermals auf den Weg nach Vortha."

Hans Augen irrten ab, dann schüttelte er überrascht den Kopf, schließlich hob er die Hand und stieß hervor:

„McLane! Passen Sie auf! Noch nichts unternehmen ... ich erhalte eben einen zweiten Notruf von Vortha! Hören Sie zu. Ich überspiele!"

„Verstanden. Auf Empfang." Die dramatischen Ereignisse schienen

einander abzulösen. Die Ahnung, die jeden der Crew schon vor dem Start erfaßt hatte, bewahrheitete sich. Sie waren keineswegs vergeblich gestartet. Ein Rätsel jagte das andere. Und jedes schien gefährlicher und undurchschaubarer zu sein.

„Hier spricht Vargiu aus dem Unandat-Zentrum auf Vortha. Bei mir sind jene Besatzungsangehörigen, die ,Blumen-kinder' genannt werden. Sie sind Ihnen bekannt; ihre besondere parapsychische Begabung kennen Sie auch. Sie berichten, daß von einem Planeten Ihres Sonnensy-stems eine Flut von stärksten, para-psychischen Impulsen ausgeht. Sie rasen mit Überlichtgeschwindigkeit in alle Richtungen des Kosmos und sind deutlich zu spüren, als wären es Lichtblitze, sagen die Blumenkinder."

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Han Tsu-Gol rief fassungslos: „Haben die Materialisationen in-

zwischen aufgehört? Was ist eigentlich bei Ihnen in Vortha los?"

„Welche Materialisationen?" erkundigte sich verblüfft der Gesprächspartner.

„Fremde, die bei Ihnen erscheinen, wild um sich schießen, die Besatzungsmit-glieder verletzen und Pflanzenkulturen beschädigen."

Der Asiate, ein Musterbeispiel an Gelas-senheit und kühler Distanz, war in heller Aufregung.

„Eine Reihe solcher Zwischenfälle hat niemals stattgefunden, Han. Sie müssen sich irren!"

„Ich irre mich hin und wieder, aber nicht dann, wenn Unandat einen Hilferuf abstrahlt. Das alles ist hier mitgeschnitten, gespeichert und dokumentierbar."

„Sie sind zweifellos einem schlechten Scherz aufgesessen oder einer Reihe technischer Pannen", gab Vargiu zurück. Er war ebenfalls verblüfft, aber seiner Sache völlig sicher.

„Pannen? Zusammen mit Unandat und TECOM? Das ist mehr als nur verdächtig - aber im Augenblick werde ich mich um andere Dinge kümmern. McLane?"

„Wir hören alles." Der Kommandant und sein Vorgesetzter

starrten sich in die Augen. Sie erkannten, daß hier ein raffiniertes Spiel ablief, in dem sie alle nichts anderes als unwichtige Figuren waren.

„Der erste Notruf stammt also von einer unbekannten Instanz, nicht wahr?" fragte Cliff, obwohl er keine Bestätigung brauchte.

„Es erscheint sicher. Aber dieser Ruf ist ernst."

„Mario de Monti und Helga Legrelle werden es nachprüfen, noch ehe wir uns Vortha genähert haben!" versicherte der Commander grimmig.

„Sie werden nicht nach Vortha fliegen!" bestimmte Katsuro.

„Wie?" schnappte die Admiralin. „Wir sind bereits auf dem Weg dorthin, wie ich eben sehen kann."

Tatsächlich hatte die ORION ihre ver-gebliche Suche aufgegeben und befand sich inzwischen wieder im Steigflug.

„Es gibt keine rätselhaften Materi-alisationen kämpfender Fremder in Vortha", erklärte Han Tsu-Gol etwas ruhiger. „Also gibt es für uns keinen dringenden Grund, dorthin zu fliegen. Sie sollten aber zum Jupiter fliegen und Ihren neuen Freund ..."

„Unsere merkwürdige Freundin!" erin-nerte Hasso Sigbjörnson. Er wirkte einigermaßen entspannt.

„Meinetwegen, Freundin. Nehmen Sie Verbindung zum Großen Roten Fleck auf und sagen Sie ihm, er soll gefälligst schweigen, weil er uns die Erben von Rudraja und Varunja auf den Hals hetzt mit seiner überlichtschnellen Plärrerei. Die Impulse werden garantiert eingepeilt, wenn sie tatsächlich so stark sind, wie de Montis Freundinnen sagen."

Der lange Blick, den die Admiralin und der Commander in diesen Sekunden wechselten, stellte eine Mischung dar aus Resignation, Unverständnis und Ergeben-heit in ein ungutes Schicksal.

„Wir fliegen zum Saturn", sagte Leandra halblaut und hob ihre schlanken Schultern. „Und dort bringen wir in fünf Minuten genau das fertig, was das Team bester For-scher und Spezialisten der Erde und einiger Kolonialplaneten in mehreren Tagen nicht geschafft hat. Einverstanden, McLane?"

Cliff bemühte sich, sachlich zu bleiben. Er hatte die Situation überdacht und herausgefunden, daß der größte Gefahren-impuls in diesen Augenblicken tatsächlich der Jupiter und Wendy oder Gwendolyn war. Vermutlich würde man sie genau dann, wenn sie auf dem Weg zum Jupiter waren, nach Vortha oder zum Bermuda-Dreieck zurückbeordern. Oder an einen

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anderen Platz. Was den Versuch anging, sich mit Wendy zu verständigen, so machte er sich nicht die geringsten Illusionen.

„Selbstverständlich bin ich mit jeder Anordnung meiner gesammelten Vorge-setzten kommentarlos einverstanden. Wenn ich die klappernden Geräusche in meinem breiten Rücken richtig interpretie-re - und daran bestehen nur wenige Zweifel unter Eingeweihten! -, dann setzt mein Erster Offizier und Stellvertreter be-reits einen Kurs nach Saturn ab. Richtig?"

„Positiv und zutreffend!" sagte Mario de Monti.

Han Tsu-Gol schüttelte mißbilligend seinen Schädel. Lichtreflexe huschten über seine spiegelnde Kopfhaut.

„Ich bewundere Ihre Kaltschnäuzigkeit ebenso wie die Kunst des Satzbaus. Versuchen Sie Ihr Bestes, ja?"

„Ich helfe ihm dabei!" sagte die Admira-lin. Die Verbindung wurde getrennt. Aber Helga Legrelle nickte de Monti zu und sagte in die augenblickliche Ruhe hinein:

„Eine Exklusivverbindung zwischen Vortha und ORION steht, Mario. Ich glaube, Erethreja ist bereits auf dem Weg zur nächsten Kommunikationsstelle."

„Du hast dir ein scharfgewürztes A-bendessen verdient, Helgamädchen!" jubelte der Erste.

„Ich will nicht so jung sterben. Atan, schalte das Bild bitte auf Marios Platz, ja?"

Wie immer handelte der Astrogator schnell und sicher. Eine Sekunde später erkannte Mario auf dem kleinen, nur zweidimensionalen Kommunikations-monitor seine Freundin.

„Heute keinen Wortwechsel zwischen Liebenden", sagte er mit einem mißglück-ten Versuch, ironisch zu bleiben. „Mich interessiert vordringlich die Wahrheit. Was ist in Vortha los, Errie?"

Ihr exotisches Gesicht strahlte einerseits Verwirrung aus, andererseits bewies ihre

Antwort, daß sie zu Mario und zu seinen Freunden ein geradezu verantwortungslos hohes Maß an Vertrauen besaß.

„Es gab niemals fremde Gestalten, die hier auftauchten. Alles ist ruhig wie immer. Mario!" sagte sie halblaut.

Der feine Pelz flimmerte und zitterte in ihrem Nacken.

„Und was sagen Assimladja, Omdhurid und die anderen?"

Die ORION war jetzt auf exaktem Kurs und beschleunigte ununterbrochen mit beachtlichen Werten. Der Widerschein, der von der zentralen Bildplatte ausging, wurde geringer. Jetzt gab es nicht mehr die Sonnenstrahlung der irdischen Lufthülle, sondern die Schwärze des Weltraums mit seinen Sternen. Direkt voraus glühte der riesige Planet Saturn mit seinen Monden und den Ringen.

„Sie bestätigen die Tatsache, die zu unserem ersten und einzigen Notruf an Han Tsu-Gol geführt hat. Vom Jupiter strahlt ein schmetternder Hagel von überlichtschnellen Impulsen in alle Richtungen. Es ist fast schmerzhaft, jene unsichtbare Strahlung."

„Was bedeuten die Impulse?" „Es scheinen Rufe zu sein. Assimladja

und die anderen Blumenkinder definieren sie so. Sehnsucht, Verzweiflung, dringen-der Wunsch, fast ein Flehen nach Antwort soll darin enthalten sein. Aber dies sind Eindrücke, die Vorthanier aufzunehmen glauben. Sie unterscheiden sich in der Bedeutung wohl von denen der Menschen und ganz sicher von einem Ding, das so ist wie der Große Rote Fleck. Du hast mir davon erzählt, Mario."

„Es wird immer verworrener", sagte de Monti unglücklich. „Hör zu! Zuerst bekamen wir den Befehl, zu euch zu fliegen. Aber da es dort augenblicklich keine großen Probleme gibt, müssen wir zum Jupiter. Ich komme so bald wie möglich zurück. Und Unandat kennt jetzt die interne Frequenz der ORION.

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Ruft uns an, wenn es dringend ist, Er-rie!"

„Ich würde dich auch anrufen, wenn es nicht dringend ist", sagte sie in rührender Schlichtheit.

„Im Moment kollidieren deine Wünsche mit den Vorschriften des Galaktischen Sicherheitsdiensts. Zügle deine Sehn-sucht!"

„Bleibt mir etwas anderes übrig?" „Kaum. Ich schalte jetzt ab!" „Auf Wiedersehen." Der Bildschirm wurde dunkel. Die

Besatzung schwieg einige Sekunden. Inzwischen jagte der silberschimmernde Diskus mit Lichtgeschwindigkeit auf den Jupiter zu und beschrieb eine langgestreckte, ganz leicht gekrümmte Flugbahn auf der Ebene der Ekliptik. Sie raste auf die Quelle der unsichtbaren und unhörbaren Impulse zu, die Wendy von sich gab. Und abermals war alles völlig ungewiß und unerklärlich. Warum schrie der Große Rote Fleck plötzlich wild ins All hinaus?

Waren es die Forscher, die ihm un-erträgliche Schmerzen zugefügt hatten mit der Suche nach Erkenntnis?

6. „Normalerweise ist das All voller un-

hörbarer Schreie", dozierte Cliff und sah mit Vergnügen zu, wie Helga mit einem Tablett voller Fertig-Frühstücke und einer riesigen Kanne Kaffee aus dem Lift kam. Der Kaffee allerdings stammte nicht aus der normalen Bordverpflegung. Sein Geruch zog in die hintersten Winkel des Schiffes und weckte die Lebensgeister. Um die Pause auszudehnen, hatte der Commander die Geschwindigkeit des Schiffes etwas reduziert.

„Im Zusammenhang mit uns scheint das Wort ,normal' nicht zu existieren", erinnerte Hasso seine Freunde.

„Augenscheinlich. Und wenn jetzt auf einmal ein Signal mit solcher Macht zu hören oder besser zu spüren ist, dann signalisiert es tatsächlich Gefahr. Denn wenn es irgendwo im Weltraum weitere Erben des Krieges zwischen R und V gibt, dann könnten sie Wendys Impulse falsch deuten."

Auch Admiralin de Ruyter roch begei-stert an Helgas Superkaffee und nickte bedächtig.

„Auf alle Fälle würde die Auf-merksamkeit der Nachfolger, technischer oder quasi menschlicher Art, auf das Sonnensystem und somit die Menschheit gerichtet werden", sagte sie.

„Schon allein reine Neugierde würde sie hierher treiben", pflichtete ihr Hasso bei.

„Mich überläuft es noch heute kalt bei der Vorstellung, unsere letzten Erlebnisse wären mehr gewesen als lediglich letzte, sozusagen geschaltete Zuckungen der Hinterlassenschaften."

Cliff stimmte dem Astrogator bei. „Es wäre furchtbar, wenn beide Erben

der kosmischen Großmächte sich auf die Erde, das Sonnensystem und das Imperium der Kolonien einpeilen würden. Die Menschheit hat heute noch genug zu tun, um die Schäden der zufälligen Pannen zu beseitigen; ein teurer und langwieriger Prozeß."

Helga hatte recht. Cliff aß eine Kleinig-keit und trank einen riesigen Becher voll Kaffee aus. Dann sagte er:

„Eine Massierung solcher und ähnlicher Kräfte würde vermutlich das Ende der Menschheit bedeuten. Die Gefahr im Bermuda-Dreieck scheint dagegen harmlos zu sein, vergleichsweise. Aber ich bin fast sicher, daß das eine mit dem anderen zusammenhängt."

McLane befand sich in einer Lage, die ihm keineswegs behagte. Nicht, daß sie sonderlich neu gewesen wäre: im Gegen-teil. Er befand sich, hilflos rudernd, im Zentrum des Chaos. Er erkannte keinerlei

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System in diesen scheinbar ungezielten Angriffen. Er sah nur viele Teile eines Puzzlespieles, die er nicht zusam-mensetzen konnte. Mehr als eine vage Ahnung hatte er nicht. Seit ein Teil der bewußten Erinnerungen verschwunden war, schien die Fähigkeit des Teams und der einzelnen Mitglieder eingeschränkt zu sein. Sie waren offensichtlich nicht mehr in der Lage, die Puzzlesteine schneller und sinnvoller zusammenzusetzen als andere. Oder war es nur ein Gefühl? Konnten sie es vielleicht doch noch? Der Augenblick, an dem sie das Tor des Vergessens durchflogen hatten, schien nicht sieben-undsechzig Jahre, sondern eine andere Ebene weit zurückzuliegen. Für Cliff, der schweigend den zweiten Becher Kaffee trank, war es so gut wie sicher, daß die beobachteten Ereignisse Teile eines Systems waren. Nur - er hatte weder starke Anhaltspunkte noch Beweise für seine Gedanken. Er kontrollierte, noch immer schweigend und nachdenklich, seine Instrumente, sah Jupiter größer werden, sah, wie sich Saturn mit seinem Ring langsam aus dem Bild schob und setzte den Becher ab.

„Doch", wiederholte er in Gedanken. „Der ganze Kram, der uns stört und andere ängstigt, hängt irgendwie zusammen. Liebe Helga, wenn du gelegentlich den letzten Rest Lachsschinken hinunterge-würgt hast, könntest du versuchen, das Schiff mit den klugen Wissenschaftlern anzufunken und ihnen zu sagen, daß wir sie gern gesprochen hätten, und dies nicht, um mit ihnen zu scherzen."

Jedenfalls herrschte an Bord unverändert der alte, lässige Ton zwischen Freunden, die ihre Aufgaben genau kannten.

„Sofern mir der Astrogator dort die Koordinaten liefert, bin ich in wenigen Sekunden dazu in der Lage."

„Wie schön!" Mit einigem Befremden verfolgte die

Admiralin den Dialog. Sie war zu klug,

um sich darüber ernsthaft aufzuhalten. Sie erkannte, daß hier andere, länger erprobte Gesetzmäßigkeiten herrschten.

Keine dreißig Sekunden später hatte Helga den Kontakt hergestellt. Cliff steuerte das Schiff ohne die geringsten Schwierigkeiten sehr viel langsamer auf die Position des Experimentalkreuzers zu. Der Typ war äußerlich gleich der ORION IX, aber innen bestand er aus einem Laboratorium mit auswechselbaren Instru-menten. Die SIR ISAAK NEWTON befand sich ebenfalls in einer Umlaufbahn, deren Komponenten genau auf die äquatoriale Eigenbewegung des Großen Roten Flecks, Wendy genannt, abgestimmt waren. Auf mehreren Monitoren erschie-nen die Bilder aus dem Innern der NEW-TON. Der Commander begrüßte knapp seinen Kollegen, den Schiffsführer, dann sagte er:

„Ein kluges Gespräch nach dem Genuß starken Kaffees ist stets ein Vergnügen. Wir würden uns brennend gern mit dem Vorsteher der wissenschaftlichen Abtei-lung Ihres schönen Schiffes unterhalten, Kommandant Farnesi."

„Meinen Sie, daß diese Legastheniker sich Ihnen gegenüber deutlich ausdrücken können?" fragte Farnesi arrogant, aber treffend zurück. Legasthenie bedeutete, wie Cliff nicht aus eigener Erfahrung wußte, Schreib- und Leseschwäche; eine Disqualifikation für jeden Sprachforscher. Er lachte trocken und entgegnete:

„Selbst mit diesem Risiko. Bitte, tun Sie einem alten Mann diese letzte Freude an, Kollege."

„Nichts leichter als das. He, Stammler! Hierher!" rief Farnesi. Die Crew schüttelte innerlich fast synchron ihre Köpfe. Offensichtlich mochten sich die Raumfah-rer und die Wissenschaftler nicht.

„Was gibt's, Sternensucher?" schrie jemand außerhalb des Bildes.

„Strengen Sie sich an. Ein kluger Mann will Sie sprechen. Versprechen Sie sich

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nicht zu häufig, sonst denkt er, alle wären so."

Die Wissenschaftler schienen keine brauchbare Kommunikationsbasis mit Wendy gefunden zu haben. Das war allen Insassen der ORION schlagartig klar, als sie das von den Spuren des Mißerfolgs deutlich gekennzeichnete Gesicht des Chefwissenschaftlers auf den Monitoren erkannten.

„Mein Name", sagte Cliff mit trü-gerischer Sanftheit, „ist Cliff Alistair McLane, Commander der ORION Neun. Wir sind hier, weil offensichtlich der Große Rote Fleck überlichtschnelle Rufe ins All abstrahlt. Uns wurde in Basis Einhundertundvier gesagt. Sie würden sich angelegentlich mit Wendy unterhalten. Was ist richtig?"

Ein Blick, der starke Affinität zu wu-chernden Magengeschwüren und blühen-den Neurosen verriet, traf Cliff und seine Freunde.

„Wir haben, wenn ich ehrlich sein soll..."

„Bitte! Überwinden Sie sich. Seien Sie ehrlich - es baut auf, glauben Sie mir", unterbrach Admiral Leandra heftig. Mario de Monti musterte sie von der Seite mit geradezu brennendem Interesse. Ihr Profil war bemerkenswert gut.

„Ich bin stets ehrlich. Wir hatten keiner-lei Erfolg. Wir bemühen uns ununterbro-chen. Zuerst haben wir es mit dem Dualsystem versucht. Nichts. Keinerlei Reaktion. Dann verwendeten wir dieses System und sendeten Umrisse von Dingen, Personen und Gegenständen. Derselbe Mißerfolg. Wieder nichts.

Wendy bequemte sich, auf dieselbe Art nichts anderes als ununterbrochene Wiederholungen zurückzusenden. Wir versuchten es endlos mit einfachsten mathematischen Aufgaben. Nichts. Wir sind außerordentlichfrustriert."

„Wir auch", entgegnete Helga Legrelle, „allerdings aus anderen Gründen. Haben

Sie feststellen können, daß Gwendolyn seit geraumer Zeit überlichtschnelle parapsy-chische Sehnsuchtsrufe in alle Richtungen abstrahlt?"

„Moment", fragte der Sprachwis-senschaftler aufgeregt. „Ist das einer der rauhen Scherze, für die Sie und Ihre Besatzung berüchtigt sind? Oder handelt es sich um Fakten?"

„Letzteres", meinte Cliff. „Und zwar um unumstößliche Fakten. Ihr Mißerfolg ist für uns nicht verwunderlich, obwohl wir ebenso hilflos sind wie Sie."

„Wendy hatte niemals die Chance, eine technisch orientierte Zivilisation zu entwickeln!" war die teils verwunderte, teils empörte Antwort. „So ist es. Sie existiert vermutlich allein und befand sich niemals in einem darwinistischen Konkur-renzstreben", erklärte Hasso verbindlich. „Es ist nicht zu erwarten, daß sie rechnen kann. Sie hat es niemals gebraucht."

„Wir sind der Auffassung, daß sie auch mit Umrissen aller denkbaren Dinge nichts anzufangen weiß, denn ihre Erfahrungs-welt ist nicht unsere und umgekehrt!" rief der Forscher.

„Sie kennt, wenn überhaupt, nur die Umwelt des Jupiters. Vermutlich versagt ein jedes Kommunikationssystem, das von Wesen erdacht wurde, die sich aufrecht und unabhängig fortbewegen können. Also mit Sicherheit von allen raumfahrenden Völkern, die wir kennen, einschließlich des Homo sapiens."

„Diese Auffassung wurde in unserem Kreis ebenfalls bereits diskutiert. Wir sind Wissenschaftler. Wir haben weder Hellseher noch Blumenkinder an Bord!"

Cliff lächelte zurückhaltend und gab zu: „Dies hat auch niemand erwartet, noch

macht Ihnen jemand einen Vorwurf daraus. Aber immerhin haben Sie Wendy beschäftigt. Gefährlich ist nur, daß diese unbemerkten Signale vielleicht die Erben der kosmischen Mächte anlocken können. Aus diesem und keinem anderen Grund

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werden wir versuchen, uns etwas einzumi-schen. Würde es Ihnen und Ihrem frustrierten Team etwas ausmachen, eine Pause einzulegen? Etwa mehrere Stunden lang?"

„Ist dies ein Rat, eine Anordnung, ein Vorwurf ... oder wie soll ich dies verste-hen?" rief der Wissenschaftler in heller Aufregung aus.

„Ganz einfach. Wir werden vielleicht auch keinen Erfolg haben. Aber jetzt versuchen wir es mit den Methoden, die uns einfallen. Bitte, stellen Sie jegliche einschlägigen Bemühungen ein!"

„Das ist", sagte die Admiralin mit leiser, scharfer Stimme, „ein Befehl von T.R.A.V., deren Chef ich seit gewisser Zeit bin. Mein Name ist Leandra de Ruyter."

Sehr indigniert und gekränkt, weil man ihm Überlegungen unterschob, die nicht getroffen worden waren, entgegnete der Teamleiter hastig:

„Ich kenne Sie, Admiralin. Niemand will hier im Alleingang etwas versuchen. Ich muß nur noch bemerken, daß das Vorgehen etwas ungewöhnlich erscheint. Wir werden dumm angeredet, obwohl wir so unschuldig sind wie neugeborene Kin-der."

„Das Leben ist hart", schloß der Com-mander. „Plündern Sie die Schnapsvorräte der ISAAK NEWTON. Farnesi wird Ihnen sagen, wo er sie versteckt hat."

Wie auf Befehl kappte Helga Legrelle sämtliche Verbindungen. Die ORION war wieder allein mit der Mannschaft und der riesenhaften Halbkugel des Planeten, über die jener langgezogene Fleck wanderte. Wendy schrie nach wie vor unhörbar nach . . . wonach eigentlich? Warum rief sie ins All hinaus? Und nach wem?

Rätsel über Rätsel.

* Zweifellos stellte Gwendolyn irgendeine

Form des Lebens dar. Sie bewegte sich, reagierte auf Reize, verhielt sich auf eine undefinierbare Weise intelligent und stellte nicht nur dadurch allein eine Herausfor-derung dar. Die Voraussetzungen für ein Verstehen zwischen Menschen und dem Großen Roten Fleck waren denkbar ungünstig. Beide Kulturen oder Zivilisa-tionen - falls Wendy etwas Entsprechendes entwickelt haben sollte, auf ihre besondere Art natürlich - waren völlig verschieden. Es gab bisher keine Kommunikationsmög-lichkeiten, kein Verstehen, kein Verständ-nis. Zuletzt hatten es die hochtalentierten Wissenschaftler der Erde bewiesen, deren geistige Leistung derjenigen der versam-melten ORION-Crew zweifellos weit überlegen war. Cliff betrachtete den Ausschnitt der gestreiften Jupiteratmo-sphäre auf der Bildplatte, sah den GRF langsam nach links auswandern und seufzte tief. Schließlich ließ er sich zu einer Stellungnahme hinreißen.

„Mario und Erethreja verstehen sich angeblich recht gut, nicht wahr?" fragte er provozierend.

„Mehr als das, Commander. Worauf willst du hinaus?"

Cliff deutete irgendwo zwischen die Sterne hinaus und sprach weiter. Die Admiralin musterte ihn verstohlen und fragte sich, welche Teufelei er jetzt wieder ausheckte.

„Erethreja in der Raumstation Vortha steht sicherlich mit allen Blumenkindern in Verbindung, nehme ich an."

„Ganz sicher. Schließlich haben die Blumenkinder die Rufsignale aufgefangen, dechiffriert und uns daraufhin gewarnt."

„Bisher hast du ununterbrochen allge-mein bekannte Dinge aufgezählt, Cliff. Was wolltest du uns wirklich sagen?" erkundigte sich Helga Legrelle.

Cliffs Kopfschütteln drückte deutlich seinen Trotz aus. Er korrigierte:

„Ich will nicht euch etwas erklären. Ich versuche lediglich, eine Idee empirisch zu

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entwickeln." „Was haben die Vorthanier damit zu-

tun?" „Ziemlich viel", murmelte Cliff verson-

nen. „Die Signale Wendys waren und sind parapsychischer Natur. Nur deswegen, weil sie dazu in der Lage sind, konnten die Blumenkinder diese Rufe empfangen und deuten. Mario! Lasse dir von Helga eine Verbindung zu Vortha geben und frage Erethreja oder Assimladja, welcher Art die Rufe sind."

Der Erste pfiff leise, aber anerkennend durch die Zähne und sagte scharf:

„Ich glaube, deine Idee in den Grundzü-gen erkannt zu haben!"

„Das glaube ich wiederum nicht, aber ich lasse dir deinen kleinen Triumph. Man sprach vorher in Vortha von Rufen, von Schreien der Sehnsucht in Überlichtge-schwindigkeit. Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir wenigstens die Gefühle kennen, die Wendy verströmt. Und wie diese Gefühle auf die Blumenkinder wir-ken."

„Ich bin voll einverstanden. Ein Versuch kann nicht schaden!" stimmte die Admira-lin halbwegs begeistert zu.

„Wenn er auch nichts nützt.. .", meinte Hasso skeptisch.

Kurze Zeit später baute sich wieder das Bild des fremdartig wirkenden Kommuni-kationsraumes von Unandat in der Raumstation Vortha auf. Diesmal zeigte ein großer Bildschirm auf das vorteilhafte-ste Erethrejas exotische Schönheit in Farbe und in drei Dimensionen. Nach dem Anblick von Katsuro und Han Tsu-Gol eine willkommene Abwechslung für die Ästheten der Crew.

„Mario!" sagte sie verblüfft. „Ich freue mich. Dein Gesicht ist sorgenvoll. Auch die Gesichter deiner Freunde. Was gibt es?"

„Aufregungen ohne Zahl", brummte der Chefkybernetiker. „Ist eines der Blumen-kinder in der Nähe? Wir müssen unbedingt

mit Irisandija oder Assimladja oder einem anderen parapsychisch begabten Vortha-nier sprechen. Es ist dringend, äußerst dringend, Errie!"

„Die Rufsignale vom Jupiter ...?" „Jawohl, genau. Hole uns eines der

Blumenkinder vor den Schirm. Wir haben eine Serie wichtiger Fragen."

„Selbstverständlich. Einen Moment." Auf der großen runden Sichtplatte

schwebte riesengroß der Jupiter mit dem Großen Roten Fleck. Das Schiff der Wissenschaftler nahm sich aus wie ein flirrendes Staubteilchen vor der ungeheu-ren Kulisse. Auf dem Konferenzbild-schirm wechselten die Bilder und die Personen. Cliff hob grüßend die Hand, als er Assimladja und Irisandija erkannte, hinter ihnen stand schweigend Marios Freundin.

„Hört zu, Mädchen", sagte der Com-mander eindringlich. „Es wird schwer für euch sein, denn ihr müßt jetzt unbedingt versuchen, uns etwas zu erklären. Drei verschiedene Lebewesen haben über ein und dieselbe Sache sicherlich drei ganz verschiedene Empfindungen. Ihr habt die Rufe dieses wandernden Objekts in das Gashülle dieses Planeten aufgefangen und die Erde alarmiert. Könnt ihr uns erklären, möglichst genau und in der Terminologie der Erdenmenschen, welche Gefühle Gwendolyn ausströmt? Sind sie stark? Worauf zielen die Rufe? Sind sie an jemanden oder an etwas gerichtet?"

Irisandija sagte sofort: „Sie trauert. Es muß eine weibliche

Form sein. Wendy ruft nach ihrem Baby!" „Sie ruft nach ... wem?" flüsterte Cliff

erschrocken. „Irisandija hat recht. Das ,Ding', das ihr

Wendy nennt, denkt an einen Begriff, der mit Nachkommen, mit Entstehung und Aufziehen, mit so etwas wie Mutterliebe identisch ist. Wir haben keinerlei Schwie-rigkeiten, dies zu erkennen."

„Das ist schlechthin unvorstellbar!"

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sagte die Admiralin voller Erschütterung. Sie glaubte den Feststellungen der Blumenkinder.

„Wendy ruft also sehnsüchtig nach einem verlorenen Baby?" wiederholte Cliff seine Frage.

„Genau diese Bedeutung haben wir übereinstimmend festgestellt", bestätigten Irisandija und Assimladja gleichzeitig. Sie schienen ihrerseits die Verblüffung nicht begreifen zu können, die sämtliche Mitglieder der Crew sichtlich befallen hatte.

„Cliff McLane?" unterbrach die Admira-lin das Schweigen in der Steuerkanzel. „Können Sie es vielleicht verschmerzen, wenn jemand anderes als Sie gute Einfälle hat?"

„Ich habe es noch nie erlebt, daher weiß ich nicht, ob es mich schmerzt", antworte-te, der Commander mit kühlem Lächeln. „Was schlagen Sie vor?"

„Die Blumenkinder zu bitten, an Bord zu kommen. Wir könnten dann gemeinsam versuchen, das Geheimnis des verschwun-denen Kleinen Roten Flecks zu lösen." Cliff deutete auf den Bildschirm. „Was hält man in Vortha davon? Würdet ihr hierher, in die ORION kommen?"

„Ich bin einverstanden. Ihr werdet nach Vortha kommen und uns holen?"

„Ja." „Und was soll, genau, unsere Aufgabe

sein?" Cliff zog die Schultern hoch und erklär-

te, reichlich vage: „Sagen wir: wir alle müssen versuchen,

den Großen Roten Fleck, Gwendolyn also, zum Schweigen zu bringen. Dies geht nach allen Erfahrungen nur auf parapsy-chischer Weise. Und ihr wißt besser als wir, daß diese Wirkung mit größerer Nähe zunimmt. Trotzdem einverstanden?"

Offensichtlich waren in der Zwi-schenzeit auch die anderen Blumenkinder herbeigerufen worden. Sie alle wurden auf dem Bildschirm sichtbar und stimmten zu.

Die Admiralin nickte bestätigend und sagte:

„Danke. Wir starten im Moment und fliegen Vortha an. Wir müssen schnell arbeiten, denn die sehnsüchtigen Rufe alarmieren unter Umständen feindselige Mächte, die auch Vortha vernichten könnten. Wir holen Sie alle ab. Cliff - haben Sie den Kurs?"

Cliff bewegte die Hebel der Steuerung, während der Autopilot zu summen begann. Mit steigender Geschwindigkeit entfernte sich die ORION IX vom Jupiter und flog auf Vortha zu. Gleichzeitig rief Leandra eines der Flottenschiffe an und bat, sich für ein Übernahmemanöver bereitzuhalten, das auf dem Flug von Vortha zurück nach dem Planeten stattfinden sollte. Es würde sehr eng in der Kabine werden, und außer-dem hielt die Admiralin eine zusätzliche Absicherung für auf jeden Fall besser. Cliff schwieg und dachte nach; er fand die Auskünfte oder Erklärungsversuche der jungen Vorthanier zwar aufschlußreich, aber die Schlußfolgerung strapazierte selbst seine Phantasie zu sehr:

Wendy-Gwendolyn, der Große Rote Fleck des Planeten Jupiter, rief nach ihrem Baby! Die Pointe dieser Überlegung war schwindelerregend.

7. Der kurze Flug, die Einschleusung und

die Übernahme der sieben jungen Vortha-nier waren für die Crew reine Routine; in ganz kurzer Zeit erledigt, ohne daß es die geringsten Probleme gegeben hätte. Das Raumschiff blieb genau elf Minuten in dem großen Schleusenraum, dann öffneten sich die schweren Tore, die Luft entwich in Form einer Eiskristallwolke in das Vakuum des Alls, und langsam schob sich der große, silberglänzende Diskus wieder aus dem Hangar. Ein Tiefstrahler nach dem anderen erlosch, und als Cliff einen

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Blick auf die Sichtplatte warf, sah er das helle Rechteck noch einige Sekunden lang.

In der Steuerkanzel herrschte im Augen-blick Ruhe.

Schließlich, als Cliff volle Be-schleunigung im unterlichtschnellen Flug einschaltete und auf der alten Kurslinie entlangraste, meinte Erethreja:

„Die Rufe Gwendolyns sind nicht immer gleich stark. Im Moment, sagte eben Yllyrhadja, werden sie schwächer."

„Verstanden", antwortete der Comman-der. „Irgendwann werden sie wieder die alte Stärke erreichen."

„Ein Schiff auf Kollisionskurs", unter-brach Atan. „Ihr Kreuzer, Admiralin."

„Mit einiger Sicherheit. Ich steige um, wenn wir den Treffpunkt erreicht haben. Inzwischen mache ich mich raumfest."

Atan identifizierte das Schiff. Es war die CUNHILL, eines der Schiffe aus der Admiralin, die ihre Bahnen um Vortha gezogen hatten und in der Nähe des Mars eingesetzt waren. Die Admiralin nickte Cliff und Helga zu, warf einen langen, nachdenklichen Blick auf die sieben Blumenkinder und auf Marios Freundin und stellte sich in den kleinen Lift, dessen geschwungene Tür sich vor ihr schloß.

„Was ist eigentlich Gwendolyn?" fragte Otsummid, einer der drei männlichen Blumenkinder.

„Wir wissen es nicht genau", erklärte Hasso. „Ein Lebewesen, das wie eine Art Fisch in der Gashülle des gigantischen Planeten schwimmt. Oder besser: inner-halb der riesigen Gashülle um den Pla-neten driftet. Eine Intelligenzform, zusammengesetzt nach ganz anderen Mustern als Vorthanier oder Menschen."

„Jedenfalls ist der Große Rote Fleck in der Lage, starke Gefühle auszustrahlen, die unseren nicht nur ähnlich sind, sondern als identisch gelten können", fügte Usqueesid hinzu.

„Vielleicht sind wir nach diesem Einsatz klüger", schloß der Kommandant schulter-

zuckend. Auf einem Monitor tauchte das deutliche Echo der CUNHILL auf, und Helga rief den Funker des Schiffes. Die CUNHILL wollte ihre LANCET aus-schleusen, um Admiral de Ruyter an Bord zu holen.

„Manöver in zehn Minuten", sagte Cliff. „Sage ihnen, sie sollen Parallelkurs fliegen."

„Verstanden." Voraus tauchte Jupiter auf; eine winzige

Murmel, quergestreift und das Licht der Sonne reflektierend. Die CUNHILL kam näher, die Schiffe paßten ihre Geschwin-digkeiten und den Kurs mit einigen schnellen, gekonnten Manövern aneinan-der an, dann löste sich die LANCET von dem Diskus und schwebte langsam hin-über zur ORION. Dies alles geschah mit fast halber Lichtgeschwindigkeit. Sum-mend glitt die Lifttür zur Seite. Die Admiralin stand im Raumanzug in der Kanzel, hielt den Helm unter dem linken Arm und sagte leise:

„Commander, ich habe eine große Bitte. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie mir nicht wieder aus Prinzip widersprächen."

„Ich widerspreche niemals aus Prinzip, sondern nur dann, wenn ich bessere Argumente habe", erklärte der Comman-der halblaut. „Sie befürchten, daß die Crew unüberlegte Dinge tut oder wahn-witzige Aktionen unternimmt?"

Leandra senkte den Kopf. „In dieser Richtung bewegten sich

meine Gedanken, McLane." Gespannt hörten die Blumenkinder und

die Crew zu. Wenigstens Cliffs Freunde merkten, daß Leandra de Ruyter unge-wohnt ernst war. Ein Teil ihrer Sorge galt ganz sicher dem Wohl der ORION-Crew, dies war ihnen ebenso deutlich.

„Wir werden uns sicher nicht in die Atmosphäre des Jupiters hineinstürzen, um bessere Verbindung zu Wendy zu bekom-men", versprach Cliff. „Keine Sorge, Admiral. Wir wissen, wo unsere Grenzen

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sind." „Hoffentlich. Hasso, helfen Sie mir beim

Ausschleusen?" „Selbstverständlich, Admiral." Mario half ihr, den Raumhelm auf-

zusetzen, zu schließen und die Versorgung einzuregeln, der Bordingenieur ging mit ihr zu der kleineren Nebenschleuse, sicherte sie mit der Leine, kontrollierte die Manöver des LANCET-Piloten und zog sich dann in die winzige Schaltkammer zurück. Scheinwerfer flammten auf, die Luft entwich, und die LANCET senkte sich der oberen Diskusschale der ORION entgegen. Ein zweites Seil bewegte sich ferngesteuert in den hellen Lichtbereich der Kammer hinein, und Sekunden später stieß sich die Admiralin ab. Mit leisen, präzisen Kommandos verständigten sich die drei Raumfahrer. Als Leandra in der Bodenschleuse des kleinen Raumfahr-zeugs verschwunden war, klinkte Hasso die Verbindung aus, vergewisserte sich vom einwandfreien Ablegemanöver und schloß die äußere Schleusentür. Dann kam er zurück in die Kanzel und erklärte:

„Alles perfekt. Wir können das nächste Problem angehen."

Während Helga leise mit dem Komman-danten des anderen Schiffes sprach und Atan das Einschleusen der LANCET in die CUNHILL auf seinen Schirmen verfolgte, kippte die ORION über die Diskuskante weg, die Triebwerke summten dröhnend auf, dann senkte sich das Geräusch bis in den Infraschall hinein und verging. Die Gläser hörten zu klirren auf. Es war, als ob Jupiter auf der Zentralen Sichtplatte anschwellen würde. Wieder fand Shubashi das Schiff der Wissenschaftler, das zu-gleich mit dem GRF um das Massen-zentrum des Planeten kreiste.

„Und jetzt, meine Freunde", rief der Erste, „kommt eure Aufgabe. Vereinigt eure Geisteskräfte, horcht in Wendy hinein und versucht, mit dem Fleck Verbindung herzustellen. Welche Verbindung, das ist

gleichgültig. Nur eine gemeinsame Kom-munikationsbasis."

Elvedurija verschränkte ihre zierlichen Finger ineinander und sagte:

„Es wird, denken wir, auf den Austausch von Gefühlskomponenten hinauslaufen."

„Von mir aus", knurrte Atan ungeduldig, „könnt ihr Visitenkarten austauschen. Hauptsache, das Verfahren funktioniert."

„Wir tun unser Bestes", bestätigte mit heller Stimme Otsummid.

Dann scharten sie sich um Cliff und starrten schweigend das Bild des Planeten an, das bereits über die Ränder der Platte hinauswuchs und in seinem Zentrum das annähernd ovale Gebilde hatte. Cliff rief Daten aus dem Komputer ab, spielte das Programm in den Autopiloten ein und brachte dann das Schiff in einen stabilen Orbit. Die Funkerin verständigte die Admiralin und den Chefwissenschaftler davon, daß sich jetzt die ORION wieder im Brennpunkt der Kommunikationsversu-che befand.

„Und jetzt. . . absolute Ruhe!" flüsterte Cliff. Erethreja legte ihren Arm um Marios Schulter. Alle Blicke konzentrierten sich auf die Gruppe der sieben jungen Vortha-nier. Schweigen, Ruhe, Stille .. . Die Arbeitsgeräusche waren auffallend laut. Sekunden vergingen, summierten sich zu Minuten, die Crew wagte nicht, laut zu atmen. Falls ein Kontakt auf parapsychi-scher Basis zustande kam, dann so, daß kein menschlicher Sinn in der Lage war, es zu merken.

Die Stille dauerte fast fünfzehn Minuten. Ununterbrochen starrten die Blu-

menkinder mit weit aufgerissenen Augen auf das dreidimensionale Abbild des Großen Roten Flecks.

Gwendolyn veränderte weder ihr Ausse-hen, ihre Ausdehnung noch die Farben.

Was passierte in diesen langen, atemlo-sen Minuten?

Omdhurid zuckte zusammen, als habe ihn ein starker elektrischer Schlag getrof-

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fen. Er löste sich aus der Erstarrung und sagte mit heiserer, schwerer Stimme:

„Wir haben sie gespürt. Sie hat uns gespürt. Wir tauschen Sympathien und gegenseitiges Verständnis aus."

Cliff spürte, wie ein kalter Schauer über seinen Nacken lief. Er flüsterte gebannt:

„Ihr hattet tatsächlich Verbindung?" „Wendy erfaßte mit dem Gefühl", er-

klärte Assimladja, die an allen Gliedern zitterte und sich auf die Lehne von Cliffs Sessel stützte, „was wir wollten. Wir tasteten uns auf derselben Ebene aufeinan-der zu."

„Was war das Ergebnis?" Unhörbar lief das elektronische Bord-

buch und speicherte das Geräusch eines jeden Atemzuges und erst recht jedes einzelne Wort. Aber noch gab es keine stehende Funkverbindung mit den anderen Schiffen oder mit T.R.A.V.

„Vor langer Zeit hat etwas Böses und Fremdes veranlaßt, daß sich von Wendy ein Teil ihres Körpers veränderte und abspaltete."

Mit unbewußten Handbewegungen unterstrich Irisandija ihren Eindruck.

„Dieses Baby, dieser Kleine Rote Fleck, wurde abermals lange Zeit später von demselben Fremden und Bösen geraubt. Ihr müßt wissen, daß wir keine eigentliche Sprache vermitteln und aufnehmen können. Es war schwer, dies alles durch Gefühle zu verdeutlichen."

Hasso versuchte, es sich vorzustellen, wie man Zeitabläufe oder die Tatsache einer Art Zeugung oder auch den Raub eines „Kindes" mit Gefühlssymbolik versinnbildlichte, wenn es keine gemein-same Ebene gab. Er schüttelte langsam den Kopf und gestand sich schweigend seine völlige Ratlosigkeit ein.

„Und jetzt sucht Wendy nach ihrem Baby. Warum sie erst jetzt sucht, konnten wir nicht erfahren", sagte Elvedurija und wischte sich den Schweiß aus ihrem seidigen Fell.

„Es könnte so gewesen sein", hörten sie die ruhige, beschwichtigende Stimme Hasso Sigbjörnsons, „daß ein Helfer oder eine Truppe des Rudraja während des Kosmischen Krieges mit uns unbegreifli-chen Mitteln eine Teilung des damaligen Roten Flecks herbeiführte und die abge-schnürte, neue Zelle raubte. Vielleicht dazu, um irgendwelche makabren Experi-mente damit anzustellen. Vielleicht war die parapsychische Begabung der Zweck dieser Zeugung oder wie immer man es nennen will."

„Das könnte eine plausible Erklärung sein. Aber wie bekommen wir die Bestäti-gung oder das Gegenteil für deine Theo-rie?" schaltete sich Shubashi ein.

„Das wissen wir auch nicht. Wir haben versucht, eurem Roten Freund begreiflich zu machen, daß seine Rufe den bösen Fremden wieder herbeirufen können."

Usqueesid und Otsummid nickten sich zu. Sie wirkten ebenso mitgenommen wie die anderen Blumenkinder.

„Und der Erfolg?" Cliff spürte, wie die Anspannung seiner Nerven ihn fast krank machte. In seinem Magen schien sich ein steinharter Klumpen zusammenzuziehen. Plötzlich fror er. Ihm war, als habe er den Rand einer anderen, unbegreiflichen und von tödlichen Gefahren erfüllten Welt betreten. Arlene erkannte als einzige seinen Zustand, kam von ihrem Sitz quer durch die Kabine und legte ihm schwei-gend die Hände auf die Schultern. Bisher hatte er sich sehr zurückgehalten, um nicht durch eine unvorsichtige Reaktion die Admiralin zu ärgern oder ihr das Gefühl zu geben, weniger als ein geschätzter Gast an Bord dieses Schiffes zu sein.

„Beruhige dich, Cliff. Auch anscheinend übernatürliche Dinge haben ihre Wurzeln in dem Bereich, den wir erfassen können."

„Ich glaube nicht so recht daran." „Jedenfalls begriff Wendy. Wir haben

ihr gegenüber ausgedrückt, daß ihre neuen Freunde in ernste Gefahren geraten, wenn

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sie weiterhin ihre Impulse hinausschleu-dert wie Lichtstrahlen."

„Ja...?" Yllyrhadja und Omdhurid sprachen

gleichzeitig. „Die Rufe haben völlig aufgehört. Es

herrscht parapsychische Stille im Raum zwischen den Planeten."

Schließlich murmelte der Commander erschüttert: „Danke, Freunde von Vortha!"

„Schon gut", meinte Assimladja, dann packte sie Irisandija und Otsummid, die neben ihr standen und rief:

„Jemand antwortet aus den Tiefen des Alls!"

„Auch das noch", stöhnte Atan auf, aber als er zusehen mußte, wie die Blumenkin-der wieder in ihre starre, förmlich nach innen gekehrte Konzentration und Versun-kenheit fielen, schwieg er erschrocken.

„Schwach, sehr schwach ...", sagte Assimladja wie in Trance.

Diesmal dauerte die Starre nicht so lange und schien auch keineswegs so tief und so erschöpfend zu sein. Nach wenigen Minuten wandte sich Irisandija an die Crew und sagte mit einiger Bestimmtheit:

„Wir haben es klar definieren können. Wenn Wendys Rufe Sehnsucht und Einsamkeit bedeutet haben, so war dies eine Antwort darauf. Gefühlsmäßig würde ich sagen müssen, daß das Baby auf den Ruf seiner Mutter antwortete. Irgendwo dort draußen ist es, sehr schwach und un-deutlich, aber doch sinngemäß nichts anderes als ein hilfloser Antwortschrei. Die Intensität liegt etwa um zwei Potenzen niedriger. Also eins zu hundert etwa."

„Dauern die Rufe an?" fragte Atan schnell.

„Ja. Sie kommen in langen Abständen." „Keinerlei Feststellungen im normalen

Bereich?" Cliff wandte sich an Helga und Atan, deren Geräte alle eingeschaltet waren. Auch Wendys Bild hatte sich noch immer nicht verändert.

„Negativ!" war zweimal die Antwort.

„Wir versuchen etwas, das man uns gelehrt hat", erläuterte Usqueesid einen weiteren der unbegreiflichen Vorgänge. „Wir setzen uns mit anderen Blumenkin-dern in Vortha in Verbindung und schaffen es vielleicht, die Quelle anzupeilen."

„Wir können nichts anderes tun als warten und hoffen und uns darauf verlas-sen, daß ihr das Richtige tut", antwortete Cliff darauf. Wieder schwiegen die Blumenkinder, konzentrierten sich, aber diesmal wirkten sie, verglichen mit dem ersten Mal, geradezu entkrampft. Nach dreihundert Sekunden aber mußten sie aufhören und zugeben, daß sie nur sicher sein konnten, die Rufe kämen aus dem Bereich des Sonnensystems.

Cliff stand auf und lehnte sich gegen das Instrumentenpult. Er fühlte die Schwäche in seinen Knien noch immer.

„Helga, bitte eine Verbindung zu Han Tsu-Gol, zur Admiralin und den Wissen-schaftlern. Das ist die Sensation! Mutter sucht Baby, Baby antwortet, und das alles telepathisch oder ähnlich. Das Sonnensy-stem ist noch voller Überraschungen."

„In zehn Sekunden kannst du das alles unseren Vorgesetzten berichten", sagte die Funkerin geschäftsmäßig, lächelte kurz und hantierte an ihrem Pult mit der Übung langer Jahre. Han Tsu-Gols Abbild baute sich auf; er sah keineswegs wie ein ruhender Buddha aus, sondern wirkte müde und ein bißchen ängstlich. Schweiß glänzte auf seinem Schädel.

Cliff begann zu sprechen und schilderte, was geschehen war. In jedem Wort hörte der Asiate, daß auch der Commander von einer dunklen Furcht gepackt worden war.

„Das war's", schloß Cliff und breitete die Hände aus. „Ich weiß auch nicht, was wir tun können. Jedenfalls ist mir noch nichts eingefallen."

Am Rand seines Blickfelds, links, auf dem optischen Anzeigeinstrument des Funkpeilers vor Helga Legrelle, sah er die stechenden Punkte, die sich zu Ringen

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ausweiteten. Etwas oder jemand zielte direkt mit Funkimpulsen auf die ORION. Der Effekt war ihm seit seiner Kadetten-zeit bekannt.

„Was wir erfahren haben, erscheint unglaublich. Sicher haben die Blumenkin-der mit ihren Feststellungen recht", erklärte Katsuro skeptisch. „Ob die Folgerungen auch stimmen?"

Helga meldete sich aufgeregt von ihrem Pult her.

„Cliff! Starke Funkimpulse. Zah-lengruppen oder Buchstaben, aber ich kenne den Kode nicht. Sie zielen aller-dings nicht auf das Schiff."

„Einen Augenblick, Han", sagte Cliff zu dem Bildschirm ihnen gegenüber. „Selbst der Tiger stutzt, wenn er den Schrei des Kranichs hört."

„Peilung?" erkundigte sich Atan und wartete gar nicht erst die Antwort ab. Auch Helga versuchte, die Quelle der Impulse festzustellen. Für kurze Zeit schaltete die Funkerin die empfangenen Signale in die Lautsprecher. Es kamen kurze und lange Töne, seltsam hart und scharf, mit hoher Sendeleistung ausge-strahlt. Es klang, als würde die ORION mit scharfzackigen Metallbrocken direkt beschossen. Dieses Geräusch strahlte deutliches Unheil aus. Zwischen Helgas Antennen, Atans astrogatorischen Geräten und dem Komputer rasten die Informati-onsströme hin und her. Schließlich verkündete der kleine, schwarzhaarige Mann aufgeregt:

„Ziemlich genau von der augen-blicklichen kosmischen Position des Planeten Saturn. Oder von einem Punkt ganz in seiner Nähe. Nähe im Sinn von planetaren Distanzen."

Cliff hob die Hand und machte eine einschlägige Geste.

„Sie haben es gehört, meine Damen und Herren. Unentzifferbare Signale. Ich bin dafür, daß wir sie TECOM zum Dechif-frieren funken. Haben Sie die Signale

ebenfalls empfangen, CUNHILL?" Das Schiff der Admiralin verharrte

zwischen Mars und Jupiter in einer weitaus größeren Distanz von Gwendolyns Heimat.

„Wir haben nichts gehört!" rief der Funker dieses Raumschiffs.

„Unmöglich", sagte Helga nach-drücklich. „Die Signale schlugen förmlich im Bereich des gesamten Frequenzbandes ein. Oder haben Sie das Gerät schlecht gewartet?"

„Kollegin", kam es ärgerlich aus den Lautsprechern, „nicht nur Sie verstehen etwas von der einschlägigen Technik, selbst wir in der CUNHILL kennen unsere Tasten und Schalter. Ich versichere Ihnen, daß es sich so verhält. Moment . . . eben kommen weitere Meldungen ein; unser Dialog wird mitgehört."

Nachdem mehrere Dutzend Funksprüche sortiert und deren Aussage erkannt wurden, stellte sich als weiteres Rätsel heraus, daß wirklich nur die ORION IX die Signale aufgefangen hatte.

„Haben Sie auf der Erde wenigstens die Signale auffangen können?" fragte Cliff, sich weit vorbeugend, seinen Vorgesetz-ten. „Oder hat auch dieser Tiger kranke Ohren?"

Aus dem Hintergrund des Bildes melde-te sich Katsuro, der wohl in der Zwischen-zeit einen Teil des technischen Instrumen-tariums in Bewegung gebracht hatte.

„Uns liegen keinerlei Informationen vor. In den drei Minuten seit Ihrer Feststellung ist kein Signal aufgefangen worden, nicht von dieser Senderquelle jedenfalls."

Arlene bemerkte düster: „Unser erster Besuch scheint der Anfang

einer unseligen Freundschaft mit Gwendo-lyn und ihren Feinden aus der fernen Vergangenheit gewesen zu sein."

„Ich muß deutlich aussprechen, daß wir von der Gefährlichkeit dieser Signale überzeugt sind!"

Han Tsu-Gol blickte mit mürrischem

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Gesicht Cliff McLane beschwörend an. Cliff zuckte die Schultern und fragte lässig zurück:

„Warum sollten diese Signale ge-fährlicher sein als alle anderen rätselhaften Vorfälle der letzten Stunden?"

„Weil sie eindeutig technischer Natur sind. Bisher hatten wir es mit pa-rapsychischen Vorgängen zu tun", antwortete Han Tsu-Gol. „Admiralin de Ruyter wird sich der Sache annehmen. Sie hat eine kleine Flotte in Marsnähe dazu zur Verfügung."

„Ist das ein Auftrag, Han?" fragte Lean-dra sichtlich überrascht. Aber sie schien froh zu sein, daß man mehreren Schiffen diesen Befehl erteilt hatte. Ein einzelner Kreuzer wäre gefährdeter gewesen.

„Jawohl. Nehmen Sie Ihre Schiffe und fliegen Sie zum Saturn, um nachzusehen."

„Und wenn man Sie anfunkt, werden wir es schon hören, Admiralin", erklärte Cliff, dessen Widerspruchsgeist abermals erwachte. Außerdem war die ORION das Schiff, das sich Saturn am nächsten befand.

„Ich warne Sie, McLane!" rief Han Tsu-Gol leise. „Im sumpfigen Uferwald sind schon viele Tiger in kräftigen Fallen gefangen worden."

„Jedoch gewinnt bei subtilen Problemen der einzelne, nicht die Masse. Noch niemals war Quantität Ersatz für Qualität", entgegnete der Commander. Die Männer maßen sich mit stummen, eindringlichen Blicken.

„Unverschämtheit!" rief die Admiralin. „Wir sind auf dem Weg zur Flotte, Han!"

„In Ordnung. Bestätigt." Wieder drangen die hämmernden, metal-

lisch klingenden Funksignale laut aus der Anlage und erfüllten die Zelle der ORION mit den rätselhaften, gefährlichen Klän-gen. Cliff drückte einen Schalter und produzierte dadurch Störungen in einem Hauptstromkreis. Die Stimme des Asiaten wurde leiser, setzte aus und kam wieder

voll. „Was sagten Sie, Chef?" rief Helga, die

Cliffs Manöver durchschaut hatte und bewegte ihrerseits verschiedene Regler.

„Ich sagte ... Flotte besser, weil besser ausgerüstet... Saturn anfliegen ... schließ-lich sind die Meßschiffe ebenfalls verschwun . . . hören Sie mich überhaupt noch, McLane?"

„Die Verständigung", erklärte Cliff mit steinernem Gesicht, innerlich grinsend, „wird immer schlechter. Wir können Sie nicht verstehen, Chef."

Legrelle produzierte auch während dieser Antwort Funkstörungen. Das Bild Han Tsu-Gols inmitten seines Befehls-stands wurde immer wieder zweidimen-sional und flackerte wie ein Blinklicht.

„Ich ... in Richtung Saturn zu fliegen und dort.. . anzustellen. Bitte, bestätigen Sie diese Anordnung .. ."

Cliff zeigte ein erfreutes Gesicht. Tat-sächlich speicherte das elektronische Logbuch nur die tatsächlich gesendeten und empfangenen Satzfetzen. Aus dieser „Störung" ließ sich viel konstruieren.

„Wir danken für diesen Auftrag. Schließlich haben die Funksignale nur die ORION Neun erreicht, kein anderes Schiff", sagte Cliff. Helga sorgte dafür, daß der Funkspruch klar gesendet wurde. „Die ORION bricht also in Richtung Saturn auf, um sich der Sache anzuneh-men."

Zwei Sekunden später veränderte sich der Gesichtsausdruck des zuckenden, verschwindenden und wieder erscheinen-den Asiaten. Hinter ihm befand sich noch immer Katsuro, der nicht erkennen ließ, ob er die raffinierten Manöver Cliffs und Hel-gas durchschaute. Jedenfalls heuchelten alle Angehörigen der Crew, die im Bereich der optischen Erfassung saßen, Betroffen-heit über diese neuerliche Störung. Außerhalb des Bildes arbeiteten Cliffs Finger bereits an den Startschaltungen. Die Maschinen der ORION summten lauter.

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„Es kostet Sie eine Menge meiner Sym-pathie . .. auf keinen Fall... verstehen Sie meine Lage . . . Beispiel von Insubordina-tion .. ."

Cliff machte ein ratloses Gesicht und erklärte verbindlich:

„Ich höre, daß Sie uns beste Wünsche mit auf den Weg geben. Danke, Han Tsu-Gol. Wir werden wie stets unser Bestes geben. Leider kommen Funksprüche von der Erde und von den anderen Schiffen nur verstümmelt herein. Es muß an den Signalen liegen, die Sie deutlich im Hintergrund hören. Saturn ruft uns! Tritt zur Seite, Planet! Die ORION-Crew kommt zu Besuch. Poliere deine Ringe, Planet des Chronos."

Er schaltete ab. Das Raumschiff be-schleunigte mit höchster Maschi-nenleistung und entfernte sich vom Saturn. Mars und Saturn standen, von der Sonne und zufällig auch der Erde aus gesehen, etwa in einer Linie. Der Saturn befand sich auf seiner riesigen Bahn, auf eine Projek-tion der Ekliptik bezogen, stand er abseits von Mars und Jupiter. Im direkten Anflug würde die ORION den Saturn eher erreichen als die CUNHILL und die kleine Marsflotte der Admiralin.

Fassungslos erkundigte sich As-simladja:

„Ihr seid wirklich und wahrhaftig frei von allem. Ihr gehorcht den Befehlen der Vorgesetzten nicht? Das ist schlimm, als ob wir Unandats Herrschaft bezweifelt hätten - vor einiger Zeit."

„Dies sind Dinge, meine Kinder", erläu-terte Mario mit der Stimme eines Großva-ters, „die ihr alle noch zu lernen habt. Wir haben sie bereits längst begriffen. Außer-dem haben wir gute Gründe für dieses Vorgehen."

„Das will ich meinen!" pflichtete ihm der Commander bei, während die ORION die Lichtgeschwindigkeit erreichte und einen kurzen Sprung durch den Hyper-raum machte.

8. Bei Assurbanipal, dem Zweiströmeland-

Herrscher, hieß der Planet Kaimänu, die Chaldäer nannten ihn Ninib, Stern des Kampfes und der Jagd, der Leuchtende war es bei den klassischen Griechen. Im Sanskrit nannte er sich „sanaistschara". Der Sabbatstern des Talmund, „Suterday" im Englisch der Moderne, tauchte vor dem Schiff auf, zeigte die funkelnde Pracht seiner Ringe und wurde schnell größer, während die ORION abgebremst wurde. Die Crew merkte, daß sie langsam ermü-dete.

„Euch gegenüber brauche ich mich natürlich nicht zu rechtfertigen oder zu entschuldigen, Freunde", erklärte Cliff und umfaßte in einer großartigen Geste die Insassen und die Steuerkanzel. „Aber man hat versucht, uns kaltzustellen, obwohl die Signale tatsächlich nur an uns gerichtet waren, und wir befinden uns schließlich viel näher an Saturn als Leandra mit ihrer unwichtigen Flotte."

„Ich bin ziemlich sicher, und die Blu-menkinder haben es uns ja indirekt bestätigt, daß die technisch erzeugten Funksignale entweder mit Wendy oder ihrem verschwundenen Baby zusammen-hängen", setzte Arlene überzeugt hinzu.

„Schließlich ist Gwendolyn unsere Freundin!" brummte Mario.

Die ORION IX bremste den letzten Rest der Geschwindigkeit ab und schwebte langsam auf den Planeten zu. Sämtliche Geräte und Antennen, die irgendwie Aufschluß über die Funksignale und deren Ursprungsort geben konnten, waren aktiviert, die Verstärker eingeschaltet. Saturn, quergestreift von Gasen verschie-dener Farbe, mit den drei Ringen, hing „unter" dem Raumschiff, das sich langsam dem Nordpol des Planeten näherte. Cliff verwendete die Terminologie seiner

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Ausbildung; die Ekliptikebene, auf der die Bahnen der meisten Planeten des Sonnen-systems lagen, war der Bezugspunkt.

Helga hatte die Signale so weit ab-geschwächt, daß sie nicht mehr die Nerven der Crew durch ihre hämmernde Lautstär-ke folterten.

„Die Quelle der Impulse arbeitet noch immer nach etwa demselben Rhythmus", meinte sie halblaut.

„Aber dort, woher die Impulse angeblich kommen, gibt es nichts", sagte Atan ärgerlich und drehte an seinen Abstimm-knöpfen. Arlene näherte sich dem Funk-pult und fragte leise:

„Wir sind sozusagen allein? Keine Verbindung mit Schiffen oder der Erde?"

„Keine. Wir befinden uns in der glückli-chen, aber gefährlichen Lage eines Schiffes, das völlig von der Kommunikati-on abgeschnitten ist", erklärte Hasso. „Wie weit sind wir entfernt?"

Atan erwiderte kurz: „Neuneinhalb Millionen Kilometer.

Entfernung weiterhin schrumpfend." „Ob dort Wendys Baby schreit?" mut-

maßte Cliff und wurde ungeduldig. Die ORION machte einen kleinen Satz von etwa einer Million Kilometer und wurde wieder langsamer. Sie befand sich jetzt weit oberhalb der drei Ringe. Die Kreis-ausschnitte mit ihren dünnen oder breite-ren Trennungszonen verwandelten sich optisch in weit ausgezogene Ovale. Die größte Dicke der Ringe betrug zwei Kilometer, aber sie wirkten wie messer-scharfe, hauchdünne Scheiben. Zweihun-dertachtundsiebzigtausend Kilometer betrug der größte Durchmesser der Ringe aus Trümmern, Eis und kosmischer Materie. Immer wieder war dieser einzig-artige Planet ein gewaltiges, faszinierendes Schauspiel.

„Kann durchaus sein", sagte Mario. „Was sagen die Blumenkinder?"

Die jungen Vorthanier, die sich an allen möglichen bequemen Plätzen der Kanzel

hingesetzt hatten, schüttelten überein-stimmend die Köpfe oder machten abwehrende Gesten. Assimladja erklärte niedergeschlagen und erschöpft:

„Weder Gwendolyn noch ihr Baby strahlen parapsychische Signale aus."

„Ich habe da einen undeutlichen Impuls .. . irgendwo über dem oberen Pol des Saturn", flüsterte Atan Shubashi. „Helga, du müßtest es besser erkennen. Nichts zu sehen, aber ich messe energetische Emissionen."

„Ich habe schon die ganze Zeit diesen Punkt dort angemessen. Es wird immer verrückter", antwortete Helga ratlos. „Was sagt der Kommandant?"

„Der Kommandant ist ebenso ratlos wie ihr alle", knurrte Cliff wütend. Er hatte mehr als genug von der Kette schwer zu deutender Vorfälle, die sich jeder wissen-schaftlichen oder vernünftigen Klärung entzogen.

Das Raumschiff war von Saturn so weit entfernt, daß die Anziehungskraft des Planeten noch keine deutliche Wirkung zeigte, noch wurde die kinetische Energie, mit der sich die ORION auf einen Punkt hoch über dem Pol des Planeten entgegen-bewegte, zu groß. In der Kanzel gab es eine Unmenge einzelner Geräusche, die zu einem Summen und Surren verschmolzen. Sämtliche Geräte arbeiteten ununterbro-chen und waren mit ihren ausschlagenden Zeigern, flackernden Lampen, Linien, Sinuskurven und anderen Anzeigen nur der Ausdruck der Spannung, die über der Mannschaft lag.

Cliffs Finger lagen auf den Sensor-einheiten der Linsensteuerung seiner Bildplatte. Die Linien verschoben sich, das Bild blieb gestochen scharf. Langsam drehten sich die Linsen hierhin und dorthin, suchten den Raum ab, glitten über den Planeten, erfaßten für eine Weile die Cassini-Breite, jenen Spalt zwischen dem äußersten und dem mittleren der drei Ringe, einen mehr als dreitausend Kilome-

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ter breiten leeren Raum zwischen den leuchtenden Streifen. Dann huschte plötzlich eine goldfarbene Lichterschei-nung über den äußersten Rand des Bildes.

McLane hielt die Bewegung der Such-linsen an, schwenkte sie zurück und justierte neu ein.

Sterne schwammen auf dem Bildschirm vorbei, der obere Pol kam kurz in Sicht, dann erfüllte ein goldfarbenes Leuchten den Schirm. Auf den ersten Blick hatte es die Form eines ovalen Gebildes. Tatsäch-lich!

„Halt! An der Quelle der Signale ist etwas zu sehen!" sagte Cliff hart. „Es hat die undeutlichen Umrisse eines Eies.

Noch immer keine Ortung, Atan?" „Nichts. Warte einen Moment . . . ja.

Nur im normaloptischen Bereich." „Koordinaten, Atan!" rief Helga. Er

sagte schnell einige Zahlenreihen und Buchstabenkombinationen. Sekunden später meldete die Funkerin:

„Exakt. Das goldfarbene Leuchten befindet sich genau dort, woher die Funkimpulse kommen .. . genauer: woher sie kamen. Sie haben aufgehört."

Das diffuse Licht in der ver-schwimmenden Form des Eies, die sich auch nicht veränderte, als Cliff das Bild vergrößerte und verkleinerte, war also der Ursprung der Funkimpulse. Hing diese unerklärliche Erscheinung, durch deren Ränder einige Sterne strahlten, mit dem auftauchenden und verschwindenden Land im Bermuda-Dreieck, mit den verschwun-denen Schiffen und Wendy zusammen? Es ergab keinerlei System.

Cliff empfand plötzlich Furcht. Sie näherten sich offen und ziemlich wehrlos diesem Objekt. Irgendwo weit hinter ihnen raste der kleine Flottenverband heran. Er drehte den Kopf zur Seite und meinte:

„Mario, gehst du bitte in den Overkill-Werferstand? Es könnte notwendig werden, daß wir uns verteidigen müssen."

„Mache ich. Bereit sein ist alles. Aber. ..

hat jemand in den letzten Stunden die Blumenkinder genauer angesehen?"

Die Köpfe der Crewmitglieder fuhren herum. Die Blumenkinder, auf sechs verschiedene Plätze verteilt - Otsummid saß dicht neben Assimladja -, waren wieder in parapsychischer Konzentration erstarrt. Diesmal waren ihre Augen geschlossen, aber die Körper bewegten sich nicht um Millimeter.

Mario schloß hinter sich die Tür des kleinen Lifts und fuhr aufwärts in die Werferkanzel der ORION. Mehrere Monitoren schalteten sich kurze Zeit später an. Auf einem befanden sich die Linien und Maßangaben der Zielerfassung.

„Sie hören vielleicht wieder über-lichtschnelle Schreie und Rufe", flüstere Arlene und berührte vorsichtig Irisandijas Schulter. Das junge Mädchen spürte und fühlte nichts. Es saß einfach da, den schmalen Rücken gegen eine mit Fächern und Instrumenten bestückte Verbindungs-strebe gestützt.

„Vielleicht...", meinte der Commander. Er speicherte den Kurs in den Autopiloten und schaltete die Antriebselemente der ORION dergestalt, daß das Schiff sich automatisch quer über die Verlängerung der planetaren Achse hinweg und nötigen-falls eine Viertelmillion Kilometer von dem eiförmigen Glimmen und Leuchten bewegen würde. Klickend rastete die Automatik der komputergestützten Anlage ein.

„Werferstand hier. Mario spricht. Wir sind schußbereit. Ich habe beide Geschütze klargemacht und auf das Ziel gerichtet. Bestätigung."

„Bestätigt, danke", erwiderte Cliff geschäftsmäßig. Er blinzelte, hörte einen erstickten Aufschrei hinter sich und fühlte mehr, als er sah, daß sich die Steuerkanzel mit einem dichten, goldfarbenen Nebel füllte. Es war wie im Innern einer Leucht-stoffröhre. Hasso Sigbjörnson sagte scharf:

„Wir waren also doch gemeint. .."

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Cliff Alistair McLane fühlte, geblendet von dem irrsinnigen Glanz des goldfarbe-nen Leuchtens, ein Zerren und Ziehen, das jede einzelne Zelle seiner Körpers zu erfassen schien. Er verlor jegliche Orien-tierung. Für eine Zeit unbestimmter Dauer wurde er bewußtlos, ohne echten Schmerz zu empfinden. Er dachte nur noch, daß jemand oder etwas sie aus dem Schiff transportierte und durch die stählernen Wände riß, hinaus in den Raum, ohne sie zu verletzen oder zu ersticken.

Teleportation! dachte er noch, dann verging alles.

*

Wie nur wenige Menschen der Erde und

der Kolonien war Cliff McLane bereit, das Unglaubliche und Unfaßbare zu akzeptie-ren, ohne seinen Verstand zu verlieren. Er „erwachte", er kam zu sich und wußte, daß er woanders war. Seine Logik sagte ihm, daß er sich im Innern des goldleuchtenden Ovals befand, aber diese Logik konnte trügen. Jedenfalls war er nicht mehr in seinem Raumschiff. Er fühlte, daß die Freunde dicht bei ihm waren, aber auch dieses Gefühl konnte eine Illusion sein, denn er sah und hörte nichts.

Er richtete bewußt und scharf gezielt an seine Muskulatur den Befehl, die Augen zu öffnen.

Augenblicklich strömte eine Fülle opti-scher Eindrücke auf ihn ein. Traum oder Wirklichkeit? Er hatte keine Ahnung und zwang einerseits die aufkommende kalte Panik in sich nieder und zwang sich andererseits dazu, die Eindrücke auf sich wirken zu lassen.

Er blickte aus großer Höhe auf ein vielfarbiges Brodeln gigantischer, aufge-wühlter Massen. Es konnten Wolken sein, die ihre Formen ununterbrochen und sehr schnell veränderten, es konnte aber auch Schlamm sein, Lava oder in verschiedenen Färbungen lodernde Gase. War es die

Gashülle des Saturn? Cliff spürte, wie abermals jede Zelle

seines Körpers von einer gewaltigen Welle fremder Kraft erfaßt und durchströmt wurde. Unglaubliche Fähigkeiten und eine Ahnung davon, wie sie anzuwenden waren, ergriffen seinen Verstand. Es waren schwindelerregende Perspektiven, die sich auf taten.

Wo bin ich? Cliffs Sicherheit, in der kugelförmigen

Blase aus Licht gefangen zu sein, zusam-men mit der Crew, nahm zu. Die neuen Kräfte seines Verstandes ließen ihn dies erkennen.

Wo befanden sich die anderen? Cliff glaubte, sie direkt neben sich und

um sich herum zu spüren. Aber er sah und erkannte sie nicht. Stets dann, wenn er versuchte, mit ihnen in Kontakt zu treten, verschwammen die Eindrücke. Sein Körper sagte ihm, daß er sich im schwere-losen Zustand befand. Das Licht umspülte ihn wie ein seltsamer Duftnebel. Es schien auch die Quelle der Kraft zu sein, die in ihn eindrang und ihn ausfüllte und immer stärker, klüger und mächtiger machte.

Es war Potenzierung, nicht einfache Vergrößerung!

Die Umgebung tat seinem Körper wohl. Es gab keine Gefahren. Der Transport aus dem Raumschiff hierher hatte nichts Gefährliches oder Böses an sich. Cliff dachte sich, daß die Ansicht richtig sein müsse, das Varunja habe dieses Gebilde erschaffen. Und woher wußte er plötzlich, daß seine Freunde in denselben Sekunden dieselben Erlebnisse, Gefühle und Gedanken hatten?

Es war unglaublich, was er plötzlich erkannte, was er an Macht in sich spürte. Sie ließ ihn schwindlig werden.

Er konnte alles. ALLES! Nichts war mehr unmöglich, alles konn-

te von ihm, dem Raumschiffs-kommandanten, durch die Kraft des Verstandes getan werden. ALLES! Es gab

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keine Grenzen, keine Einschränkungen ! Cliff lag oder schwebte, innerlich auf-

gewühlt, durch die Energieflut der Kugel, die ihn wie ein Lehrer oder ein Mentor behandelte. Alle seine geistigen Fähigkei-ten waren heraufgesetzt worden.

Die Mentorkugel des Varunja? Vermutlich hatten die lauten Rufe

Gwendolyns diese Mentorkugel aktiviert. Sie schien im energetischen Haushalt des großen Planeten Saturn vom Varunja versteckt worden zu sein - vor unermeß-lich langer Zeit. Es waren nicht die Informationen der Kugel selbst, die Cliff dieses Wissen vermittelten, sondern die Erkenntnisse entstanden sozusagen automatisch in seinem Verstand. Er zweifelte nur kurz daran, ob sie richtig waren oder nicht. Sie paßten in das logische Schema der Entwicklung.

Cliff entspannte sich ein wenig, als er erkannte, daß er sich nicht in den Fängen des Rudraja befand, derjenigen Macht, die gegen das positive Varunja gekämpft hatte, und deren technische Erben dies noch heute taten. Aber eine deutliche Unruhe blieb übrig, als er langsam erkennen mußte, daß die Mentorkugel die präzise erklärbare Aufgabe hatte, die bei jedem Lebewesen innerhalb des Energie-gefüges realisiert wurde.

Die Fremdintelligenzen wurden klüger und mächtiger. Sie übersprangen innerhalb kürzester Zeit die Entwicklung einiger Jahrtausende und dazu einige Barrieren, die sie sonst niemals überwunden hätten. Die Fähigkeiten, die aus den Individuen halbe Götter machten, sollten nach Maßgabe des Varunja dazu beitragen, direkt am Aufbau des Rhitaa teilzunehmen - der harmonischen Ordnung von kosmi-scher Größe. Das Varunja hatte diese Harmonie stets angestrebt und war ebenso andauernd vom Rudraja daran gehindert worden.

Cliff sah wieder hinunter auf die bro-delnde, schäumende, sich ununterbrochen

verändernde Planetenhülle und dachte flüchtig daran, wie interessant es sein müßte, wieder einmal dicht über dem Chaos dahinzufliegen und darin einzutau-chen; ein Kampf zwischen der Kraft der Maschinen, dem Können des Kom-mandanten und den Gewalten der planeta-ren Natur.

Plötzlich schienen sich dort unten For-men und Massen zu kondensieren.

Es war ein Prozeß gegenseitiger Be-einflussung.

Vom Boden des Planeten, aus dem metallenen Kern und lautlos durch die Eisschicht darüber, schoben sich wie rasend wuchernde Kristalle lange, federn-de Schäfte. Sie wuchsen in atemberauben-der Geschwindigkeit und verbreiterten sich oben wie ein Blütenkelch. Cliff dachte während des Entstehens immer wieder an Vorsprünge, die ihm bei diesem Anblick fehlten, an besondere Radien und Durch-messer, an wabenförmige Stützelemente, die den tobenden Stürmen aus NH -Cirruswolken widerstehen konnten. Was er dachte, entstand dort unten. Es korri-gierte sich selbst wie ein wucherndes Lebewesen, wie eine Form aus Laserlicht, die er unter seinen Fingern unaufhörlich neu schuf, teilweise zerstörte, wieder entstehen ließ, veränderte und in eine endgültige Form zu bringen versuchte.

Dann, nach wenigen Minuten seiner vermutlich falschen, subjektiven Zeitvor-stellung, waren drei riesige Plattformen aus dem Saturn hervorgewachsen. Sie standen inmitten der heulenden, tobenden Gashülle und glänzten stumpfsilbern, mit goldenen Kanzeln und Vorsprüngen.

„Mein Gott!" sagte Cliff erschüttert. „Ich habe sie eben erschaffen. Wie ein moderner Prometheus." Ihn schauderte vor den Konsequenzen, die sich ihm boten. Innerhalb kürzester Zeit hatten die unbekannten Kräfte der Mentorkugel aus ihm einen Schöpfer gemacht, ein Wesen, das kraft seiner Begabung Herr über die

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tote Materie sein konnte.

9. Arlene Mayogah, Cliffs samthäutige

Freundin, hatte genau denselben Prozeß durchgemacht. Sie und alle anderen der Crew, die sich in der goldlichtleuchtenden Mentorkugel befanden, erlebten alles parallel. Sie waren nicht sichtbar, sie konnten nicht miteinander kommunizieren, aber sie spürten einander.

Arlene war in Gedanken auf Janus, dem zweitkleinsten der zehn Saturnmonde. Die Erkenntnis, schöpferische Fähigkeiten zu haben, entsetzte und lähmte sie. Sie mußte etwas unternehmen, um sich abzure-agieren. Sie versuchte, von allen Möglich-keiten eine der harmlosesten zu wählen.

Sie konzentrierte sich auf den Mini-Mond Janus, entdeckt 1966 von Dollfus, 5 Zehntausendstel des irdischen Mondes an Masse, 0.7 Gramm Dichte pro Kubikzen-timeter, 160000 Kilometer mitterle Entfernung seiner Bahn um den Saturn, war ein öder, kalter Brocken, der auf die Gashülle des Planeten einen scharfen, schwarzen Schatten warf.

Zuerst rüstete Arlene den Mond mit einer Masse aus Schwerstmetallen und der Materie gestorbener Sterne im Innern aus. Die Oberflächenschwerebeschleunigung stieg auf den Wert, den die Erde hatte. Ein neuer Gedanke: Binnen Sekunden bedeck-te sich der winzige Mond von 350 Kilometer Durchmesser mit Erdreich, Felsen, allen nur denkbaren Pflanzen, die in dieser Entfernung von der Sonne ihre Lebensenergie von dem reflektierenden Planeten und aus dem Kosmos bezogen. Gase, die aus der Tiefe des Mondes aufstiegen und in Felsspalten brannten, lie-ferten Licht und Wärme. Zwei Minuten konzentrierten, aber spielerisch aufgefaß-ten Nachdenkens reichten aus, um Janus zu einem winzigen Paradies zu machen.

Arlenes Gedanken durchstreiften die miniaturisierte Landschaft. Es war, als ob sie selbst in einer gläsernen Kugel über die Oberfläche des Mondes hinwegflöge und die Eindrücke in sich aufnahm. Wind fehlte, die Bäume und Büsche und die pur-purn schimmernden Gräser bewegten sich nicht.

Rasch konstruierte Arlene - einschlägige Vorbildung oder gar wissenschaftliche Ausbildung in derartigen Aufgaben hatte sie niemals besessen - einen Hitzeherd im Zentrum eines kleinen Gebirges. Von hier aus strömte die heiße Luft aufwärts und hangabwärts und kühlte schließlich auf der antipodischen Seite wieder ab.

Einige Zeit lang war Arlene entzückt von ihrem Spielzeug. Dann dämmerte ihr, was sie eigentlich getan hatte.

Ein Prozeß der Schöpfung, der sich auf Janus niemals verwirklicht hätte, weil alle Voraussetzungen dafür nicht gegeben waren, war von ihr allein kraft ihrer konstruierenden Gedanken durchgeführt worden.

Sie vergaß, daß die drastisch veränderte Masse des Mondes zu einer Änderung seiner Bahn führen mußte.

Dies würde schwerste Störungen im gesamten Gefüge aller Bahnen sämtlicher Monde heraufbeschwören. Schließlich würde das kleine Paradies zerfetzt und zerbrochen und in einem Regen von Meteoren durch die Atmosphäre des Planeten hinunterschlagen, weißleuchten-de Bahnen hinter sich herziehend.

Mitten in der betrachtenden Bewegung durch die Wälder, über den Tälern und breiten Bächen, hielt Arlene ein. Sie erstarrte innerlich.

„Ich habe mich von der Kraft der Men-torkugel verführen lassen", meinte sie traurig und enttäuscht über ihre zu geringe Widerstandskraft. „Ich maße mir an, Dinge zu tun, für die die Evolution Jahrmillionen braucht. Und ich kann es nicht mehr rückgängig machen. Warum

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hat mir Cliff nicht helfen können?" Sie erkannte, daß sie viel zu spät ge-

kommen waren. Damals, als die beiden Mächte miteinander rangen und kämpften, mochte diese schöpferische Begabung angebracht und wünschenswert gewesen sein. Heute nicht mehr. Außerdem war sie für Übermenschen gedacht, und für We-sen, die moralisch absolut einwandfrei waren, weise und von ruhiger Vernunft.

„Und wir sind keine Übermenschen." Arlene kehrte zurück in das flüsternde,

golddurchflutete Schweigen der Mentor kugel und wünschte sich, alles wieder rückgängig machen zu können.

Aber sie würde es nicht schaffen. Keiner von ihnen konnte mit den Kräften der Mentorkugel so manipulieren wie mit der Materie. Das System der zehn Monde um Saturn trug jetzt den Keim des Untergangs in sich.

*

Gwendolyn, dachte Hasso Sigbjörnson,

schien es doch irgendwie fertiggebracht zu haben, die ORION-IX-Crew von anderen Schiffsbesatzungen genau unterscheiden zu können. Vermutlich mit Hilfe der parapsychischen Fähigkeiten, die der Große Rote Fleck besaß. Jedenfalls war der vorläufige Endpunkt aller Vorfälle jener teleportationsähnliche Ruck, der auch ihn hierher geschleudert hatte.

Hasso hatte begriffen. Er wußte, mit welcher Macht er zu hantieren hatte. Er war in der Lage, den Kosmos zu gestalten.

Er konnte die Erde zerstören, er konnte das Gefüge des Weltalls auseinander-brechen, er konnte Teile des Kosmos verändern. Er war daran nicht interessiert; diese Aufgabe entsprach nicht seinem Selbstwertgefühl und seiner Einstellung sich selbst und seinen Zielen gegenüber.

Sigbjörnson war unsicher. Er wußte, ohne daß es ihm deutlich

gesagt worden wäre, daß seine Freunde

vor denselben Problemen standen. Vielleicht waren sie ein wenig modifiziert, je nach Persönlichkeitsstruktur des einen oder anderen. Er glaubte fest, daß auch Arlene, Cliff, Helga, Atan und Mario der Auffassung waren, das Angebot des Varunja nicht annehmen zu können und nicht zu wollen. Zuviel Verantwortung.

Irgendwie, sagte er sich in Gedanken, werden wir aus dieser Mentorkugel auch wieder herauskommen. Dann wird man uns sicherlich zur Rechenschaft ziehen. Wir können nicht erklären und schon gar nicht beweisen, was mit uns passiert ist. Und es passierte nur mit uns, dank des Großen Roten Flecks.

Er sah, wie Titan, der größte Mond des Saturn, auf seiner Bahn sich dem Planeten näherte. Fast sechzehn Tage brauchte der Mond, dessen Durchmesser 4950 Kilome-ter betrug, für einen Umlauf um den Ringplaneten. Es gab eine irdische Kolonie dort, eine große wissenschaftliche Station mit verschiedenen anderen Aktivitäten. Hasso war entschlossen, seine neugewonnene Gabe anzuwenden, um Beweise zu hinterlassen.

Er war nur ein Katalysator; eine Art Linse, von der die ungeheuerlichen Kräfte gebündelt und gelenkt wurden.

An fünf Stellen der saturnartigen dünnen Atmosphäre des Titan begannen Stürme zu heulen. Wolken bildeten sich, Wirbel aus Kristallen entstanden in der eiskalten Gashülle.

Dann gab es plötzlich an fünf Punkten der reifglitzernden Mondoberfläche Konzentrationen von Metall. Es war eine Mischung verschiedener Metalle, die im Sonnensystem nicht vorkam und eine kolossale Härte und Korrosionsfestigkeit besaß. Türme wuchsen aus dem Boden, siebzehn Meter im Durchmesser. Es waren schlanke Säulen, die im fernen Sonnen-licht und in dem reflektierten Schein der Saturnoberfläche dunkel schimmerten wie Kostbarkeiten. Die dicke Kruste des

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Mondes, der nur noch in seinem innersten Zentrum schwache Hitzekonzentrationen besaß, bebte minutenlang. Wie seltsame Gewächse kletterten die fünf Säulen aus dem Fels, wurden höher und höher, verschwanden in den driftenden Schleiern aus flockendem Ammoniak und hörten auf zu wachsen, als der zentrale Turm eine Höhe von hundertfünfzig Metern erreicht hatte. Die säulenartigen Türme waren völlig rund und hatten oben leicht gerun-dete Kanten.

In sich gekehrt, sich und seine Überle-gungen immer wieder prüfend und analytisch beobachtend, hatte Sigbjörnson sich selbst eine Probe seiner Kräfte gegeben. Jetzt fing er an, zu extrapolieren. Das, was er mit den Säulen getan hatte, würde er auch an anderer Stelle tun kön-nen. War die Masse der „erdachten" Dinge begrenzt?

Einen Moment lang stellte er sich vor, aus Gaswolken Planeten kondensieren zu können und diese zu beleben, aber als er erkannte, daß die Gedanken bereits die Schöpfung sein konnten, hielt er er-schrocken inne und sagte laut und deutlich in den goldenen Nebel hinein:

„Ich will nicht. Alles, was ich will, ist, diese Gabe schnell wieder zu verlieren und, wie gehabt, in der ORION zu fliegen."

Er lehnte hiermit das Angebot der Men-torkugel ab.

Aber... An einer unbekannten Stelle des Alls,

weit außerhalb des Sonnensystems, durchzuckten Entladungen unvorstellbarer Energie eine Dunkelwolke aus kosmischer Materie. Eine gigantische Zündung erfolgte. Aus weißglühendem Plasma bildeten sich Feuerkugeln, die auseinan-derstrebten und Bahnen um die innerste, größte Kugel zu ziehen begannen.

Ein grauer, unscheinbarer Planet im Sektor Sieben/Ost 331 überzog sich plötzlich mit einem Pelz vielfarbiger

Moose und Farne, die betäubende Ausdün-stungen besaßen. Mächtige Pilze begannen zu wuchern und schaukelten in einer leich-ten, warmen Brise, die von Westen kam. Schlangenhaft glitten Tausendfüßler durch die schaukelnden, bunten Zweige und Rispen.

In der Tiefsee eines Kolonialplaneten vollzog sich innerhalb von zehn Sekunden eine Hebung; geräuschlos glitt ein mächtiger Tafelberg aus den Wellen, die an den unbewohnten Ufern große Über-schwemmungen anrichteten. Die Flanken des riesigen Berges hingen voller Tang. Sedimente flossen wie Lava daran herunter und verschwanden im Meer, hochgerissene Fische schnappten nach Luft und sprangen ins Wasser zurück. In der Mulde und auf der abgeschliffenen Oberkante des Tafelbergs sammelte sich Wasser zu einem See, und eine große Kolonie von bizarren Tiefseelebewesen starb qualvoll. Scheren und Tentakel, spinnenartige Beine, Gehäuse von surrealistischen Formen lagen auf der Oberfläche der großen Insel. In weitem Umkreis hatte sich das Meer braun und gelb gefärbt.

Eine Sonne, die rot und trübe glimmte und einen unsichtbaren Begleiter um sich herum wirbelte, loderte plötzlich auf und verwandelte sich in einen G-O-Stern, der den Begleiter absorbierte und eine neue Evolution auf dem alten, sterbenden Planeten einleitete.

Auf dem Mond von Rasmussens Welt in Drei/Nord 089 entstand aus dem Nichts ein Würfel von einhundert Metern Kantenlänge. Er bestand aus einem unbekannten Material, das hellblau leuchtete. Die Unterseite des Würfels war, wie sich viel später herausstellte, mit dem lunaren Felsen submolekular verschweißt. Niemand konnte sagen, woher die Energie kam, die diesen Würfel nach fünf Seiten lodern und leuchten ließ, und es wußte auch keiner der Astronomen, die diese auf-

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fällige Veränderung mitten in der Teepau-se des Observatoriums wahrgenommen hatten, wie lange das stechende Strahlen andauern würde.

An allen möglichen Stellen des er-forschten Weltalls geschahen die seltsam-sten Dinge.

Viele davon verschwanden, andere wieder nicht. Manche wurden bemerkt und registriert, ein Großteil würde niemals gefunden werden.

Eines hatten alle Vorkommnisse ge-meinsam: niemand konnte sie erklären. Viele Menschen sprachen von Wundern.

*

Nein! dachte Cliff grimmig. Ich fühle es.

Nicht nur ich, sondern auch meine Freunde sind derselben Auffassung. Wir wehren uns gegen diese Fähigkeit.

Das ist alles nicht mehr aktuell. Durch das Kosmische Inferno sind sowohl das Rudraja als auch das Varunja gescheitert. Diese Mentorkugel kommt zu spät. Weder die absolute Finsternis noch die kosmische Harmonie sind heute noch zu realisieren. Keiner von uns maßt sich an, nach ei-genem Willen solche Schöpfungen herzustellen.

Wir sind keine Götter! Wir lehnen das Angebot ab, aber es wird

uns nichts nützen. Wir wollen zurück in die ORION IX und normale Raumfahrer bleiben -falls wir noch eine Chance haben. Es gibt auch ohne Mentorkugel genug Spaß und Abenteuer.

*

Die „Mentorkugel", jenes goldfarbene

Gebilde, begann sich plötzlich aufzublä-hen. Der Lichtschein wurde diffus. Ganz langsam schwand der Nebel. Er löste sich auf wie echter Nebel in der Hitze und verging für immer.

10.

Sie brauchten Minuten, um zu erkennen

und zu begreifen, daß sie wieder in der ORION waren, an denselben Plätzen und in derselben Haltung wie vor ... ja, wann? Vor wie langer Zeit?

Die Blumenkinder und Erethreja er-schraken ein zweitesmal, als sie sahen, wie die Menschen aus dem Nichts auftauchten. Eben war jener Sessel noch leer, jetzt saß einer der Crew darinnen, stöhnte und wand sich in einem unbekannten schmerzhaften Krampf. Aus dem Zentrallautsprecher von Helgas Funkgerät dröhnte, ohne daß jemand die Worte und deren Sinn verstand, die Stimme von Admiralin Leandra de Ruyter.

„. . . wiederhole zum letztenmal: Neun Schiffe haben die ORION eingekreist. Die Overkill-Projektoren sind auf Ihr Schiff gerichtet, McLane! Erklären Sie, was vorgefallen ist! Wir warten nicht mehr länger. Wir müssen die Disziplinlosigkeit als ernste Gefahr betrachten. Antworten Sie, McLane .. ."

Auf den Bildschirmen waren deutlich die Schiffe zu sehen, die im Schutz ihrer Schirme die Projektoren auf die ORION richteten. Cliff faßte sich vorübergehend und sagte ins Mikrophon:

„Hören Sie auf, Admiralin. Wir waren ohne Bewußtsein und in einer fremden Welt. Vorübergehend waren wir Götter .. . aber wir erklären es später. Wir sind eben erst zu uns gekommen . . . keine Gefahr."

Aufgeregt schrien und diskutierten die Blumenkinder. Langsam begriff die Crew, daß sie dort über dem Pol des Saturn gewesen war. Wo? Auf dem Bildschirm war keine Mentorkugel mehr zu sehen.

„Wir waren alle in der Mentorkugel", sagte Hasso von seinem Platz aus. Der weißhaarige Ingenieur sah verfallen und auf eine merkwürdige Weise reifer aus.

„Und ich habe ungeheuerliche Dinge

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erlebt. Ich war wie ein .. . Schöpfer. Man versuchte, aus mir einen Halbgott zu machen", flüsterte Cliff. Seine Äußerun-gen wurden, ohne daß er es wollte und wußte, in die anderen Schiffe übertragen. „Ich habe Plattformen über den Wolken des Saturn geschaffen."

„Auch ich habe etwas Ähnliches erlebt. Zuerst fühlte ich, wie mich eine ungeheure Kraft erfüllte. Ich begriff alles. Ich erkannte, wo wir waren", murmelte Arlene. „Ich weigerte mich schließlich, diese Aufgabe zu übernehmen. Und ich habe ..."

Entsetzt schlug sie beide Hände vor ihr Gesicht.

„Wir haben alle dasselbe erlebt. Gleich-zeitig, ohne uns zu sehen. Aber wir spürten, daß wir alle beieinander waren", sagte Helga und legte den Arm um Arlenes Schultern. „Was hast du geschaf-fen?"

„Der Mond! Janus! Ich habe ihn in ein Paradies verwandelt und seine Masse erdschwer werden lassen!"

„Darum kümmern wir uns später", tröstete sie Helga. „Ja, es ist wohl so: Wir alle waren dort, wir alle wurden aufgefor-dert, die Kosmische Harmonie wieder zu erneuern. Wir waren vorübergehend alle mit unfaßbaren Kräften ausgestattet."

„Mir erging es nicht anders!" sagte Mario und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Die Krämpfe hatten nachgelas-sen. Sie alle fühlten sich hohl und leer. Nur Atan schwieg und arbeitete an seiner Tastatur. Er arbeitete, ohne zu denken, aber was er tat, hatte einen Sinn. Auf einem Bildschirm erschien der Felsbrok-ken Janus.

„Hier ist dein . .. Paradies", sagte Shu-bashi matt.

Der Mond, herbeigezaubert durch die Linsen und Vergrößerungen, ließ nicht das geringste Zeichen erkennen, das auf ein Paradies hindeutete. Fassungslos flüsterte Arlene:

„Kannst du messen, ob ... ob die Materie dichter geworden ist?"

Wortlos drückte Atan einen Schalter. Eine Reihe Zahlen erschien quer über dem Bild des driftenden Mondes. Es hatte sich nichts geändert. Sie alle begriffen: Die Verwandlung war rückgängig gemacht worden.

Leandra de Ruyter hörte die Diskussion mit, erkannte die Schwäche in den Stimmen der Mannschaft und fragte deutlich:

„Commander McLane?" „Ja? Entschuldigen Sie ..." „Schon gut. Fühlen Sie sich inzwischen

wieder besser? Was ist eigentlich passiert? Das Schiff trieb steuerlos quer über den Pol des Planeten hinweg. Wir kamen an und versuchten, Sie zu erreichen."

„Eine größere Kraft hat eingewirkt. Wir waren Werkzeuge. Wir haben Dinge erlebt, die uns allen wie ein Alptraum erscheinen. Aber es muß die Wahrheit gewesen sein. Das alles später, Admiralin. Wir müssen erst einmal mit uns selbst fertig werden. Und lassen Sie die ver-dammten Projektoren wieder einfahren."

„Geht in Ordnung. Han Tsu-Gol steht mit mir in Verbindung."

„Bitte!" rief Cliff laut. „Später! Wir geben alles zu Protokoll! Verstehen Sie denn nicht? Wir sind restlos fertig und erledigt. Erschöpft! Kaputt!"

Mit unerwartet sanfter Stimme gab die Admiralin zurück:

„Ich verstehe alles. Klären Sie erst einmal die Lage an Bord."

Mario und Erethreja schafften es, die aufgeregten Blumenkinder aus der Steuerkanzel zu führen und in den leeren Kabinen unterzubringen. Die Vorthanier waren völlig wirr und durchgedreht. Sie waren kurz vor dem plötzlichen Wiederer-scheinen der Crew zu sich gekommen, hatten die ORION leer vorgefunden und waren deswegen in helle Panik gefallen. Was dann folgte, war keineswegs dazu

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angetan, sie zu beruhigen. De Monti kam zurück, lehnte sich gegen

das Eingabeelement und zog eine flache, silberne Flasche aus der Tasche. Er trank einen gewaltigen Schluck, stöhnte wohlig auf und sagte heiser:

„Natürlich erinnere ich mich auch an alles. Wir wurden parallel behandelt, aber das, was wir unternahmen, unterscheidet sich. Außerdem scheint es verschwunden zu sein. Wo sind die Plattformen, Cliff, die du geschaffen hast?"

Er schüttelte sich und versuchte, mit einem zweiten Schluck die unangenehmen Erlebnisse hinunterzuspülen.

„Ich suche sie gerade und kann sie nicht mehr finden", sagte der Commander. Atan nahm das Bild des Mondes wieder vom Monitor.

„Also auch weg und verschwunden. Ich dachte, wir hätten keine Chance zur Rückkehr mehr und auch keine Möglich-keiten, Geschehenes ungeschehen zu machen", erklärte Hasso leise. „Mit dieser Regelung bin ich wirklich zufrieden. Auch die Mentorkugel ist verschwunden."

„Hoffentlich auf Nimmerwiedersehen", warf Atan ein. „Ich war irgendwo dort draußen", er machte eine vage Geste, die einen unendlich weit entfernten Platz im Kosmos bezeichnen sollte, „und habe aus einer Dunkelwolke ein Planetensystem erschaffen. Nun, in fünf Milliarden Jahren werden wir sehen, ob etwas daraus wird oder nicht. Gräßlich. Ich hasse es, auf diese Weise manipuliert zu werden."

„Wir waren alle klug genug, abzulehnen. Hat jeder von euch diesen Wunsch exakt formuliert?" fragte Cliff beklommen. „Ich habe mich gewehrt und ständig ,Nein!' und .Niemals!' gerufen."

„Wir haben alle abgelehnt!" bestimmte Helga und sagte dann:

„Ein Bildfunkspruch. Die Station Titan meldet sich. Ja ... hier Legrelle in ORION Neun. Danke, Bild steht."

Vor Cliff flammte ein Monitor auf. Alle

Crewmitglieder sahen darauf. Hasso begann grimmig zu lachen. Es war ein Bild, aus einer fliegenden Kamera gesendet. Aus dem Boden des Titan wuchsen fünf metallisch schimmernde Türme heraus. An ihrem Fuß erkannten die ORION-Leute mehrere Fahrzeuge und kleine Schwebelinsen. Scheinwerferstrah-len geisterten durch das Bild.

„Der Chef des Einsatzkommandos sagt, daß vier der Türme je neunzig Meter, der größte hundertfünfzig Meter hoch sind. Sie bestehen aus einer bisher unbekannten Legierung. Der Versuch, einzudringen oder das Material aufzubrechen, war bislang ohne jeden Erfolg. Niemand kann sagen, woher diese Türme kommen. Sie sind vor exakt einer Stunde, drei Minuten und einigen Sekunden entstanden. Ihrer Entstehung ging eine Bebenwelle voraus, die aber nichts zerstört hat. Wir melden uns wieder, sobald wir ..."

Helga schaltete den Ton ab. Das Bild blieb und zeigte eine der nicht verschwun-denen Schöpfungen der Crew. Hasso Sigbjörnson stieß ein humorloses Lachen aus und erklärte kurz:

„Meine Türme." „Warum?" „Ich dachte an einen Beweis, den wir

brauchen würden. Ich weiß allerdings selbst nicht, ob sie hohl sind und wenn ja, was sich darin verbirgt. Das wird Han Tsu-Gol und die Admiralin wohl überzeugen, denke ich."

Cliff nahm einige Schaltungen vor, brachte das Schiff mit der manuellen Steuerung zurück in den kleinen Flotten-verband und rief die Admiralin an Bord der CUNHILL.

„Sie haben gesehen, was die Titan-Station gemeldet hat?" war Leandras erste Frage, als ihr Oberkörper auf dem Monitor sichtbar wurde.

„Ja. Diese Türme sind von uns er-schaffen worden. Ein Beweis, daß wir uns in einer außerordentlich schwierigen Lage

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befunden haben. Riskieren Sie einen kurzen Anflug, Admiralin? Wir könnten sie uns aus der Nähe ansehen. Wieder einmal haben wir es mit einer Hinterlas-senschaft der verschwundenen kosmischen Mächte zu tun gehabt. Aber nicht alle Vorkommnisse finden dadurch ihre Erklärung."

„Einverstanden. Und anschließend fliegt die ORION zurück zur Erde. Han Tsu-Gol wird sich freuen, Ihnen die Dienstvor-schriften zitieren zu können, McLane."

Cliff knurrte: „Bis dahin erfordern sicherlich neue und

noch mehr verblüffende Ereignisse unseren nächsten Einsatz, also wird die Zeit wohl recht knapp werden."

Während sich drei Schiffe aus dem Verband lösten und hinter der ORION fliegend Kurs auf den Mond nahmen, sagte die Admiralin mit ehrlicher Verwun-derung:

„Wenn ich richtig mitgehört habe, hatten Sie ein Erlebnis von tiefster Bedeutung. Daß Sie so schnell Ihre gewohnte freche Ironie wiederfinden, läßt mich hoffen."

„Worauf?" „Daß Ihr Verstand nicht ernsthaft gelit-

ten hat, Cliff." Cliff verbiß sich eine Antwort und

registrierte dankend und zustimmend, daß sich die beiden jungen Frauen der Crew bemühten, mit frischen Sandwiches und dem legendären starken ORION-Kaffee wenigstens die körperliche Frische der Mannschaft wiederherzustellen. In wenigen Minuten und nach einigen Manövern schwebten die vier Dis-kusschiffe über den Versuchstrupps der Titan-Station. Vor den Sichtluken und natürlich auf den Bildplatten ragten die riesigen Konstruktionen in den dunklen Himmel und zeichneten sich scharf gegen die Scheibe des Planeten ab.

„Unglaublich und fremdartig, wie unser Erlebnis", sagte Hasso. Er bewunderte seine eigene Schöpfung keineswegs, aber

er war auch nicht negativ beeindruckt. „Sie sehen aus, als würden sie weitere

Geheimnisse beherbergen", meinte der Commander. „Was meinen Sie, Admira-lin?"

„Ich meine, daß wir ein langes und sehr genaues Protokoll aufnehmen werden, wenn Sie wieder zur Ruhe gekommen sind. Dann erst werden wir sehen, was an sinnvollen Möglichkeiten und Perspekti-ven übrigbleibt."

Han Tsu-Gol meldete sich, als nach kurzer Zeit die Schiffe wieder aus dem Bereich des Planeten und seiner Monde hervorstarteten. Gwendolyn schwieg mit einiger Sicherheit, das Baby wohl auch, sonst würden die Blumenkinder wieder in Panik geraten. Cliff ließ beinahe seinen Kaffeebecher fallen, als er das wütende Gesicht Han Tsu-Gols direkt vor sich sah.

„Commander Cliff McLane. Was ich zu Ihnen sage, gilt für die gesamte Mann-schaft. Mein Verständnis Ihrer Eigenmächtigkeit hat vor ungefähr zwei Stunden seine Grenze gefunden. Ich bin sicher, daß Sie noch einen Funken von Ehrgefühl haben und nicht desertieren; es ist sicher, daß Ihnen disziplinarische Strafen drohen. Die ORION Neun hat hiermit den Be-fehl, sofort zur Erde und in die Basis Einsnullvier zurückzufliegen. Sie erhalten achtundvierzig Stunden Freizeit, in der Sie die Wohnungen nicht verlassen dürfen. Admiralin de Ruyters Wohlwollen Ihnen gegenüber wird von mir nicht geteilt. Ha-ben Sie verstanden - diesmal ohne si-mulierte Funkstörungen, Commander?"

Han Tsu-Gol war unfähig, einen Men-schen zu erschlagen, aber er sah aus, als könne er Cliff mit den eigenen Händen erwürgen. Seine Stimme war leise, aber von stählerner Schärfe.

„Wir haben verstanden, Sir", sagte Cliff halblaut und nach Dienstvorschrift. „Aber Sie befinden sich im Irrtum, wenn Sie annehmen, wir hätten simuliert. Wir haben eine der furchtbarsten Wahrheiten ent-

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deckt. Kein anderer, nur wir, war dazu auf-gefordert. Wir haben zwar nicht die Erde gerettet, aber verhindert, daß die schreck-lichste Waffe des Geistes in die Hände oder besser Gehirnzellen von Unberufenen fällt."

„Dies ist ein Befehl, keine Anklage; es besteht keine Notwendigung der Verteidi-gung, Commander", schnitt ihm Han die Rede ab. „Heben Sie sich Ihre Argumente für die nächsten Tage auf. Sie werden sie brauchen Ende."

Er schaltete ab. Cliff pfiff leise durch die Zähne und hob seinen Becher.

„Wir gehen einmal wieder fröhlichen Zeiten entgegen, Freunde", sagte er und lächelte kühl. „Unser Chef ist sauer."

„Wir haben Erfahrung in solchen Klei-nigkeiten", warf Mario trotzig ein. „Programm Erdkurs im Speicher, Cliff."

„Danke. Wir gehen auf Kurs. Und während des Fluges können wir darüber nachdenken, wie das Gewebe unserer Erlebnisse mit den Vorfällen, angefangen im Dreieck und aufgehört bei dem Kleinen Roten Fleck, beschaffen ist. Ich ahne, daß wir damit noch schwere Scherereien haben

werden." „Ebensolche mit Han Tsu-Gol und der

Dienstvorschrift, die er uns nachwirft!" lächelte Helga. Aber ihnen war aus zwei Gründen nicht ganz wohl.

Erstens: Sie wußten nicht, wie sie diese Vorfälle und Merkwürdigkeiten zusam-mensetzen konnten. Zweitens: Der Schock der Alpträume innerhalb der Mentorkugel war noch in ihnen. Sie waren an der Schwelle des Abgrunds gestanden und waren nicht abgestürzt. Aber das Grauen verließ sie nicht. Sie hatten einer Wahrheit ins Gesicht gesehen, die sie nicht vertra-gen hatten. Ein anderer Mensch, ein Fremder, der in diese Mentorkugel geriet, konnte die Erde und die Planeten der Raumkugel zerstören, beherrschen, versklaven und ausplündern. Und das alles so schnell wie ein einziger Gedanke.

Keiner der Crew konnte während des Rückflugs schlafen. Wilde Vorstellungen marterten ihre gereizten Nerven. Und auf der Erde erwartete sie ein vor Wut kochender Han Tsu-Gol, der entschlossen war, sie zu bestrafen. Dies war sicher.

ENDE Die Versuche des Großen Roten Flecks Jupiters, mit Hilfe starker parapsychi-scher Impulse Kontakt mit etwas zu bekommen, das „Wendy" im emotionalen Kontakt mit vorthanischen Blumenkindern als „ihr Baby" bezeichnet, riefen glücklicherweise keine Erben des Rudraja auf den Plan. Dafür weckten sie eine andere Hinterlassenschaft des Kosmischen Infernos. Die Raumfahrer der ORION gerieten in die Mentorkugel und wurden mit einer Versu-chung konfrontiert, der sie jedoch erfolgreich widerstanden. Aber als die Blumenkinder die Antwort von „Wendys Baby" auffingen, war es klar, daß die Überraschungen noch kein Ende hatten. Was die ORION-Crew im Zusammenhang mit dem „Baby" des Großen Roten Flecks erlebt, schildert Hans Kneifel im ORION-Roman der nächsten Woche mit dem Titel

PHANTOM-BABY


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