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GOLD, WHISKY UND FRAUEN IN NORDLAND

Date post: 04-Jan-2017
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Page 1: GOLD, WHISKY UND FRAUEN IN NORDLAND
Page 2: GOLD, WHISKY UND FRAUEN IN NORDLAND

ex libris KAPTAIN STELZBEIN 2010

E R N S T F . L Ö H N D O R F F

G O L D ,

W H I S K Y U N D F R A U E N

I N N O R D L A N D

R O M A N

CARL S C H Ü N E M A N N / V E R L A G / BREMEN

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EINER FREUNDIN

GEWIDMET

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SECHZEHNTES BIS ZWANZIGSTES TAUSEND

BUCHAUSSTATTUNG VON EDM. SCHAEFER, CHARLOTTENBURG

ALLE RECHTE, AUCH DAS DER ÜBERSETZUNG,VORBEHALTEN/COPY­

R I G H T 1935 BY CARL SCHÜNEMANN, BREMEN / PRINTED IN GER­

MANY / GEDRUCKT BEI OSWALD SCHMIDT GMBH. IN LFIPZIG

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E R S T E R T E I L

N A R R E N G O L D

So fing es an / Eine von gestern / Heiah! Heiah! Musch! /

Wie sie lachen und weinen / So fahren sie dahin /

Aschenbrödel / Die Meinung teilt sich / Goldene Körner

— goldener Sand / Richter Lynch / So kehren sie wieder

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So f ing es an

„Drei Whiskys pur, einer mit 'nem Schuß Prickelwasser! Vier Highballs und zwei Korn! — Greift zu, Gentlemen, es steht vor euch und wohlbekomm's!" Der Barmann schiebt die Getränke herüber und betrachtet uns auffordernd aus seinen wässrigblauen Augen.

Hinter ihm, in den großen Spiegel eingelassen und an beiden Seiten von Likörflaschen umrahmt, glänzt ein Druck der tizianischen Venus. Ihr halbes Gesicht wurde von einer großkalibrigen Revolverkugel weggerissen, dadurch bekam es ein groteskes Aussehen. Aber der Barbesitzer läßt das Bild hängen. Es hat hohen Wert, denn dieses lädierte Antlitz der rosigen Venus ist das Resultat einer Schießwette. Da­kota-Charley prahlte gestern vor einem kürzlich ins Nord­land gekommenen Excowboy, daß er besser schießen könne. Unter dem Freudengeheul der anwesenden, sich seit Wo­chen langweilenden Goldsucher und Fallensteller und dem Angstgekreisch der herumsitzenden Tanzmädchen wurde die Sache gleich ausgemacht. Dakota-Charley mußte aber wohl durch den genossenen Alkohol ziemlich verrückt geworden sein. Denn er geriet in schäumende Wut, als der Cowboy das Gesicht der Venus wirklich traf, indem er, mit dem Rücken dem Bilde zugewandt, gebückt durch seine ge­grätschten O-Beine zielte. Anstatt nun auch sein Glück zu versuchen, knallte Charley den andern blitzschnell über den Haufen und war, ehe ihn jemand halten konnte, in die ark­tische Nacht hinausgerannt.

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Drüben vor „Antlers Saloon" hatte ein Prospektor sei­nen hoch mit Proviant beladenen Schlitten nebst einem gu­ten, aus sieben Hunden bestehenden Team angebunden, um noch einen Abschiedsschnaps in der Bude zu nehmen. Da­kota-Charley ergriff die herrliche Gelegenheit, band das Gefährt los, und als die keuchenden Verfolger nahten, war er bereits samt Schlitten und Hunden in der von flammenden Nordlichtern durchzuckten Nacht verschwun­den. Die Spur aber wies schnurgerade nach Norden, wo in etwa tausend Kilometer Entfernung die Grenze Alaskas winkt.

Korporal Paines von der Nordwestpolizei nahm die Ver­folgung noch in derselben Nacht auf. Wir andern begaben uns zurück in die Bar, trösteten den um Schlitten und Hunde Bestohlenen und füllten ihn voll Schnaps, so daß sich seine Trauer rasch in alkoholbeschwingte Fröhlichkeit verwan­delte. Nachher wurde gewettet, wie lange Dakota-Charley noch die Freiheit genießen würde, ehe sie ihm in Dawson City nach dem Spruch des Richters: „Wer da tötet, der soll am Halse aufgehangen werden, bis daß er tot, tot, tot!" die Hanfschlinge um den Hals legen würden. Die Meinungen darüber waren insofern verschieden, als der eine beschwor, Charley würde noch etliche Wochen aushalten, und andere meinten, der Korporal käme binnen acht Tagen mit seinem Gefangenen zurück. Einig waren wir uns aber darüber, daß Dakota-Charley nie die Grenze lebendig erreichen würde. Dafür ist die Polizei zu tüchtig.

Ja, es sind auf ihre Art prächtige Kerle, diese Männer, deren Truppe früher den Namen „The Royal Mounted Northwest Police" führte und jetzt einfach Nordwestpolizei heißt. Ihre Mitglieder bestehen aus ausgesuchtem Menschen­material. Jeder einzelne ist gewohnt und auch imstande, das

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Gesetz, das er in Nordland allein auf vielleicht tausend Kilo­meter repräsentiert, mit aller Gerechtigkeit, aber auch mit Schärfe durchzuführen. Die Tradition und der Stolz dieses Elitekorps, dessen Angehörige bis weit hinauf ans Eismeer und den nordwärts gelegenen Inseln auf einsamen Posten das Gesetz hüten, ist die Tatsache, daß es noch nie einem Verbrecher gelang, der Nordwestpolizei zu entkommen. Es gibt Fälle, wo der Betreffende jahrelang kreuz und quer durch die ganze Welt verfolgt wurde, um schließlich, als er sich längst in Sicherheit wähnte, zu seinem Erstaunen zu erfahren, daß der Arm der Nordwestpolizei wirklich unendlich lang ist. — Das wissen wir alle, die wir hier in Moosetown die Langeweile der sechsmonatelangen Winter­nacht mit Tanzgirls zu vertrinken und zu verjubeln ge­denken, während draußen der Frost knistert, die Nordlich­ter torkeln und die Hunde ergreifend heulen. Auch ist uns bekannt, daß des englischen Dichters Kipling Aussage: „There is no law North of 65o — Es gibt kein Gesetz nord­wärts von 65 Grad", längst überholt ist. Deshalb wettete nie­mand auf Dakota-Charley.

Einige Goldgräber aber boten in naiver Bewunderung des Meisterschusses bis zu dreihundert Dollars für die Venus mit dem zerstörten Gesicht. Der Wirt gab sie aber wohl­weislich nicht her, weil das Bild und die damit verbundene grausige Geschichte ihm viele Gäste ins Haus lockten, die sonst in den „Antlers Saloon" gegangen wären.

Eine Stimme hinter der Bar stört mich in meinen Ge­dankengängen, während mich gleichzeitig die blonde Daisy am Ohr zupft. „Einen Schuner voll Bier, dazu 'n Highball mit Pfefferminz und 'ne Tafel Schokolade zu fünf Dollars!" sagt der Barmann eintönig durch das Klappern der Wür­fel, das Redegewirr und das dröhnende Knallen des rot­

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glühenden, bauchigen Alaskaofens. Gläser und Päckchen werden mir gleichzeitig hingeschoben.

„Was, Teufel, schon wieder Schokolade, und noch dazu zu fünf Dollars?" brause ich auf. Daisy streichelt mir die Wange. „Die zu drei Dollars ist so schlecht, Darling. Und du willst doch ein Gentleman sein!"

„Der verdammte süße Schund kostet in Seattle oder Frisco genau fünfzig Cents die Tafel. Und was das Gentle­manspielen anbetrifft, so ist das eine teure Geschichte. Du beutelst mich aus wie eine Siwashsquaw, die Flöhe aus ihrer bunten Decke schüttelt. Ihr Amerikanerinnen seid doch ein kaltschnäuziges, aufs Geld versessenes Pack!"

Die Blonde zieht mich von der Bar und aus der unan­genehmen Nähe des Barmannes weg in eine Ecke, wo ein riesiges Elchgeweih, das nur mit dünnem Bindfaden be­festigt ist, herabzufallen und uns die Köpfe zu zertrümmern droht.

„Darling, ich kann doch nichts dafür, daß ich hier bin. Und die andern armen Girls, die dort mit den schrecklichen Goldgräbern tanzen müssen, sicher auch nicht!" sagt sie scheinheilig und fängt zum hundertsten Male davon an, wie ihr der glattzüngige Agent in San Franzisko eine so schöne Sekretärinnenstelle im Norden versprach, und von der herr­lichen Fahrt mit dem weißen Touristendampfer nach Sitka und Juneau und der weiteren beschwerlichen Reise bis Moosetown. Und wie dann ein zweiter, noch größerer Gau­ner sie in Empfang nahm und ihr erzählte, leider sei die Stelle inzwischen besetzt. Da aber die junge Miß ihm und seinem Kompagnon schrecklich viel Geld gekostet habe, so müsse sie dies erst abarbeiten. Nachher stünde es ihr frei, woanders hinzugehen.

Was denn das für Arbeit sei, wollte die Blonde wissen.

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Der Agent steckte die Daumen in die Achsellöcher der Weste — es war Sommer, und selbst im Nordland kann man im Sommer ohne Rock in der Weste gehen — und ant­wortete: „Als Hosteß!"

Die blonde Daisy weinte und jammerte, aber der Mann mit dem Bleistift hinterm Ohr und den Daumen in den Är­mellöchern blieb hart; auch die Nordwestpolizei konnte nicht helfen, da Daisy einen dehnbaren Kontrakt unachtsam unter­schrieben hatte. So wurde sie denn eine Hosteß oder „Gastgeberin". Mit diesem seltsamen Namen werden die Damen bezeichnet, die hier in der „Renntierstallbar" mit den Goldsuchern, Fallenstellern und Abenteurern tanzen — für fünf Dollars den Tanz nach Nordlandpreisen. Und ihnen trinken helfen, wobei sie selber hübsch nüchtern bleiben, weil sie meist durch die Gewohnheit viel mehr vertragen können als unsereiner, und, was die Hauptsache ist, um nach außen hin höchst anständig zu bleiben.

Wer da glaubt, mit den geschminkten und recht hübsch angezogenen „Gastgeberinnen" gleich lostoben zu können wie in den bewußten Häusern der Hafenstädte mit den ro­ten Laternen, der ist gewaltig im Irrtum und kommt in Un­annehmlichkeiten. Diese Bar hier, wie fast alle andern im Nordland — das heißt von Sitka bis ans nördliche Eismeer und von der Beringsee bis an den herrlichen grausamen Mackenziestrom — ist eine respektable Kneipe, in die man geht, um sein Geld oder sein Gold auf richtige Gentlemans­art zu versaufen, zu verspielen oder auch, wenn man Lust hat, mit den „Gastgeberinnen" zu vertanzen. Da jeder Tanz nur drei Minuten dauert und fünf Dollars kostet, so kann das rasch gehen, wenn man nicht gerade ein Bonanza­könig ist.

Man braucht sich hier nicht extra fein zu machen, sondern

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trägt, was man gerade hat: ein buntes Wollhemd, dazu in die Stiefel gesteckte Hosen und eine karierte Wolljacke. Aber die Hostesses sind sehr elegant und auch — was man­cher Goldsucher, den in seiner Einsamkeit die wütende Sehnsucht nach Frauen verzehrte, verflucht — meist an­ständig. Alaskas und Kanadas wilde Tage, wo jedes lan­dende Schiff ein fix und fertiges Bordell mitbrachte, das man nur zusammenzunageln brauchte, um es vom Erdge­schoß bis zum Dach aufzustellen, samt Weibern sozusagen, waren zwar erst gestern; aber sie sind endgültig vorbei, denn heute ist heute! Heute haßt man diese neue Schwestern­schaft, die sich da aus den bevölkerten Gegenden der Ver­einigten Staaten aufmachte und ins Nordland kam, einzig und allein mit dem Bestreben, unter Wahrung des äußeren Scheins auf die rascheste Art reich zu werden.

Weibliche Goldgräber nennen wir Kenner, die wir trotz­dem genau so wie die Greenhorns auf diese kaltblütigen Si­renen hereinfallen, solche Geschöpfe. Wunderschön ver­stehen sie es, harmlosen Männern, die aus der Wildnis kom­men, ihre Goldkörner oder Onkel Sams gelbe Zwanzig­dollarstücke aus den Taschen zu locken. Die Einsamkeit in der unfaßbaren Natur da draußen macht nun einmal die Männer leichtgläubig und zu kleinen Kindern, brennt ihnen Vernunft und Erinnerung aus, läßt nur die lodernde Flamme triebhafter Sehnsucht übrig. Und Sehnsucht ist nie mit Klug­heit gepaart.

Darum habe ich der blonden Daisy fast alles geschenkt, was ich in der Tasche trug, als ich vor wenigen Tagen mit meinem Partner Jack nach Moosetown kam. Alles bis auf den letzten Knopf beinahe, damit sie heim kann zur „kran­ken, auf sie wartenden Mutter ins spalierumrankte Häuschen in San-Franzico-Bai". Diesen Schwindel hat sie mir nämlich

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aufgetischt. Ich bin überzeugt, daß es Schwindel ist, aber der blonde unnahbare Racker sah mich dabei so an, daß es mir den Rücken hinabkribbelte. Und es ist, selbst wenn man nichts anderes für sein Geld bekommt, auch ganz schön, von einer hübschen Frau vertröstet und beschwindelt zu werden.

Jack hat mich gleich am ersten Tag schallend ausge­lacht. Aber ich weiß, daß er drüben im „Antlers Saloon" verkehrt und sein bißchen gelben Staub auch nicht in die Tresors der „Miners Trust and Savingsbank" legte. Im „Antlers" gibt's genau solche Gastgeberinnen wie hier, und darunter befindet sich eine Brünette, die den Beinamen „Star of Poland" hat. Und ich bin überzeugt, daß dieser dunkle Stern von Polen eifrig beschäftigt ist, Partner Jacks Gold an sich zu funkeln.

Hart gewonnen — leicht zerronnen, schließlich geht's mit vielen Dingen so. Jack und ich lassen auch keineswegs die Köpfe hängen, denn unser schönes Hundeteam ist uns ja verblieben, ebenso der hochbepackte Schlitten. Der Besitzer von „Sailors Store", ein alter Bekannter Jacks, rüstete uns mit einem tüchtigen „Grubstake" aus, wie man in Nord­land gepumpten Proviant nennt. Denn wir wollen wieder fort, obwohl der Winter gerade angefangen ist und die Kälte von Tag zu Tag schlimmer werden muß.

Das Farewell mag kurz und süß sein. In Nordland küm­mert man sich um Abgebrannte noch weniger als anderswo.

„Hallo, Daisy, ich schätze, daß du nun bald genug Geld zusammengeheult hast, um heim zur kranken Mutter zu fahren. Werde dich mal dort besuchen, nächstes Frühjahr, wenn der Chinookwind das Eis zerschmilzt und die Blüme­lein Vergißmeinnicht das Moos der Tundra blau färben. Na, good-bye denn, mein blondes Tierchen und vergeblich ge­liebtes Schatzgräberlein!" So werde ich wahrscheinlich sagen.

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Und sie antwortet etwa: „Farewell, langer Junge, und komm nicht unter die Bären!"

Vielleicht gibt sie mir in aller Öffentlichkeit, reklame­halber, einen züchtigen, nicht zu langen Kuß. Teufel! werde ich nachher denken, wenn Jack und ich erst wie­der durch den Schnee stapfen. Teufel, was für ein teurer Kuß, was hätte ich für mein Geld alles kaufen können! Und Jack wird dasselbe über seinen Stern von Polen denken.

Vorläufig sitze ich aber noch in der Ecke neben Daisy, und das Elchgeweih da über uns macht mir Kopfzerbrechen, weil ich wirklich befürchte, es wird mir den Kopf entzwei­schlagen. In der langgestreckten, einem Schuppen ähneln­den Bar, herrscht der übliche lärmende Betrieb. Das Gram­mophon kratzt einen Schieber nach dem anderen herunter, und bärtige Männer, die in Pelze gekleidet sind und hohe, mit Gummi geschützte Schnürstiefel, sogenannte Mukluks, an den Füßen haben, tanzen gleich ungeschlachten Bären mit eleganten, dekolletierten „Gastgeberinnen". Manche leh­nen an der Bar und trinken. Wieder andere sitzen an Ti­schen und erzählen sich Abenteuer von Gold und Gefahren da draußen in der weißen Einsamkeit. Manchmal fliegen die Doppeltüren auf, sausende Windstöße bringen unangenehme Kälte herein, und der Neuankömmling legt stampfend seine Pelzparkah ab und eilt, Wimpern und Bart mit schmelzen­den Flocken bedeckt, nach der Bar, um einen wärmenden Drink zu genehmigen.

Ganz für sich sitzt Sergeant Hopkins von der Nordwest­polizei. Er ist ein glattrasierter Mann mit breiten Schultern und schmalen Hüften, dem die farbenprächtige Uniform seiner Truppe: grellblaue Hose mit gelben Streifen und scharlachrote Litewka mit gelben Ärmelwinkeln, wie an­

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gegossen sitzt. Seine klaren blauen Augen wandern unab­lässig in die Runde und nehmen jede Kleinigkeit auf.

Die Blonde beginnt mich wieder zu quälen, und trotz aller Vorsätze werde ich weich wie an die Sonne gelegtes Wachs. Einen Highball möchte sie schon wieder trinken! Das wird mir doch zu bunt; wenn es so weitergeht, bin ich heute schon pleite.

„Sag, mein Engel, möchtest du nicht mal etwas anderes schlucken?" frage ich vorsichtig und denke dabei an Bier, das ohnehin noch verflucht teuer ist. Sie ist entrüstet und macht eine Miene wie eine Königin, der ein Sklave auf die Schleppe trat. Schon bereue ich meine Worte, als sie naiv anfängt: „Aber Liebling, wenn ich Highballs trinke, erhalte ich doch nachher an der Bar die höchsten Prozente. — Willst du Veuve Cliquot?"

„Um Gottes willen, nur nicht das verdammte Gesöff, wo­nach man so elend rülpsen muß!" entfährt es mir.

„Siehst du, wie ich um deinen Geldbeutel besorgt bin? Denn die Flasche Sekt kostet fünfunddreißig Dollars. — Aber du mußt dir eine feinere Ausdrucksweise angewöhnen. Was du da eben gesagt hast, war shocking!" murmelt sie geziert und tut, als ob sie sich erheben will, krabbelt mir aber dabei mit den Fingerspitzen im Genick. Ich blutiger, trottelhafter Idiot rufe, um sie bei mir zu halten, mit Sten­torstimme: „Barkeeper, eine Flasche französischen Sekt, if you please!"

„Darling, wie süß von dir!" flüstert sie mir ins Ohr, und meine letzten Gedanken, daß ich wirklich ein Rindvieh bin, mein Geld so zu verschleudern, fliehen und entweichen. Denn ich weilte lange Zeit in einem öden Flachtale des Yukon, wo ich niemanden hörte, niemanden sah als nur Jack, unsere sieben Hunde und viele Vögel.

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Der Barkeeper bringt die Flasche und nimmt meinen Beu­tel Goldstaub mit sich. Als er seinen Teil abgewogen hat und das Säckchen mit ausdrucksvollem Gesicht wieder­bringt, enthält es nur noch sehr wenig. Vielleicht drei oder vier Prisen, etwa so viel, wie man zwischen Daumen und Zeigefinger bringen kann. Sergeant Hopkins sieht mich war­nend an, dann schüttelt er leise wie in väterlicher Mißbilli­gung seinen schönen Charakterkopf. Ich verstehe gut, was er meint, und rufe, während Daisy gerade am Glase nippt, zu ihm hinüber: „Das letzte Mal, Oldtimer, bald ist das Geld alle!"

Er lächelt und prostet mir zu. Daisy hat meine Worte gehört und will sofort eifrig wissen, ob es ein Scherz war, was ich eben zu Hopkins sagte. Ich ahne, daß ich nun ihre Gesellschaft verlieren werde, denn diese blonde Kalifor­nierin ist einer der kaltblütigsten „Goldgräber" des Lokals. Etwas zieht sich in mir krampfhaft zusammen, und mein geistiges Auge sieht durch das Gewühl der Tanzenden und die Wand hindurch auf eine schneebedeckte Ebene, über die der Schein der Nordlichter bunten Aufruhr schleudert, und über die mit qualvoller Langsamkeit schwarze Figürchen kriechen. Voran eine aufrechte Gestalt, dann Hunde, die einen Schlitten ziehen, dahinter eine zweite Gestalt. So be­wegen sie sich langsam vorwärts, und ringsum ist Kälte und Einsamkeit. Das Bild verwischt sich, ich bin wieder in der tabakqualmerfüllten Bar, die von burschikoser Fröhlich­keit hallt. Neben mir sitzt eine Frau, die schön und kalt ist. Ein Seufzer entringt sich mir wider Willen, und schon lacht mein Mund: „Selbstverständlich ist's wahr. Ich habe doch keinen Millionär zum Vater. Morgen geht's vielleicht schon los, denn Jack wird wohl nun auch soweit sein, schätze ich. Sein Stern von Polen versteht die Sache!"

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Die roten Lippen wölben sich geringschätzig: „Ich be­greife ihn nicht, wie kann er einer Fremden, einer Auslän­derin, nachlaufen!"

„Ho!" rufe ich, denn mein Blut geriet in Wallung. „Tust du etwa etwas anderes? Ich bin auch ein Ausländer, ein Deutscher!"

Unsäglich verachtend betrachten mich ihre dunkelblauen Augen. „Dir nachlaufen? Du bist wohl verrückt! Hast ja nicht einmal Geld, Mister. — Ihren Sekt können Sie jetzt allein weitertrinken, die Prozente sind mir ja sicher!"

„Daisy!" rufe ich bittend. „Daisy, sei doch nicht so!" Ich will ihren Arm ergreifen, denn dieser kalte, brutale Ab­schluß wirkt wie Keulenschläge auf mich, ich bin wie be­täubt, während Scham und Zorn sich langsam in mir regen. Sie schüttelt meine Finger ab, blitzt mich kalt an und eilt an die Bar, wo sie ihre Hand in den Arm eines riesigen Fallenstellers schiebt. Er kam gestern allein an, und man erzählt sich, daß er unerhört kostbare Pelzbeute mitge­bracht hat. Jedenfalls spendiert er, und Daisy hat ihn sich schon gestern aufs Korn genommen. Jetzt tanzt er mit ihr!

Eben will ich wütend aufspringen, da drückt mich eine kräftige Hand nieder. „Ruhig, nur ruhig Blut, mein Junge, es hat keinen Wert!" Sergeant Hopkins setzt sich neben mich. Und der Wunsch, dem langen Fallensteller, der eben grinsend mit Daisy am Tisch vorbeihüpft, mein Glas ins Ge­sicht zu werfen, ist zwar noch stark, aber ich dränge ihn zurück und muß lachen, dröhnend mich selbst auslachen.

„So ist's recht," schmunzelt der Polizist. „Gott!" sage ich, wieder zu Atem kommend. „Gott, Ser­

geant, gibt's denn hier in Nordland keine anständigen un­anständigen Mädchen, sondern nur diese unanständig an­ständigen Ladies?"

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Er schaut mich verdutzt an, bis ihm der Sinn des Wort­spieles aufgeht. „Bei Gott, mein Junge, die ersteren gibt's hier kaum mehr, da mußt du schon in die großen Städte gehen. Hier oben bei uns in Gottes freier Natur, da findest du nur den letzteren Artikel. Es ist verdammt komisch, aber wahr. Wenn du jedoch erst so alt bist wie ich, dann wunderst du dich über nichts mehr. — Aber du scheinst dich nun beruhigt zu haben und wirst heute keine Dumm­heiten mehr anfangen. Ich will dir jetzt mal 'ne vernünf­tige Frau herschicken, die wird mit dir reden wie mit einem kranken Kinde, wenn's nötig sein sollte!" Er steht auf.

„Wer — wen?" ist meine Frage, und der Mann in der bun­ten Uniform, dessen Augen so verstehend blicken, lächelt: „Ich werde ,Nordland-Annie' an deinen Tisch schicken."

Er geht, während ich voll Erstaunen flüstere: „Nordland-Annie? Teufel, die?"

E i n e von g e s t e r n

Sie ist, was man mit dem Ausdruck „ein bestandenes Frauenzimmer" bezeichnet. Eine aus der alten Zeit, dem „Gestern" des Nordlands. Fast jeder kennt ihre Geschichte, doch ist das, was man weiß, eigentlich sehr wenig, und ich glaube, Annie könnte noch mehr erzählen, wenn sie nur wollte. In ihrer Jugend soll sie auf der Bühne gewesen sein, und zwar, wie Slim Beetle wissen will, unten im Mittel­westen der Vereinigten Staaten.

Eine Zeitlang war sie Kunstschützin in einem Wander­zirkus. Plötzlich wurde sie fromm und gründete eine neue Religion. Sie sprach in großen Massenmeetings unter freiem Himmel, und die Gläubigen strömten ihr in Mengen zu,

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bis die in derartigen Fragen sonst so tolerante Polizei der Vereinigten Staaten sich einmischte, Annie kurzerhand ihr Aposteltum untersagte und ihren Sekretär einsperrte, weil er mit den Bitt- und Bußpfennigen der gläubigen Schäflein ein höchst extravagantes Leben führte.

Annie machte dann einen Krankenpflegerinnenkursus durch und erhielt auch Anstellung als Pflegerin in einem Hospital zu Denver-City. Ein Jahr hielt sie aus, ging dann wieder zur Bühne und reiste mit einer eigenen Truppe von Tänzerinnen. In Arizona und Texas hatte sie großen Erfolg, und es sollen verschiedene Cowboyduells ihretwegen statt­gefunden haben. — Nirgends hielt sie es lange aus. Irgendein Dämon schien sie anzutreiben, dabei konnte sie sich je nach Bedarf bald als Dame benehmen, bald als fluchendes, ta­bakkauendes, revolverschießendes Hosenweib.

Meist kurz angebunden und oft mürrisch, bewahrte sie sich unter der rauhen Außenseite ein gutes Herz, und wo es Not zu lindern gab, da half sie, soweit es in ihren Kräften stand. Sie verdiente Vermögen und verschleuderte oder ver­schenkte sie wieder.

Als dann die Nachrichten von den zweiten großen Gold­funden im Klondike kamen und Tausende ins Nordland eilten, um dort zu Tausenden in Schnee und Eis zu krepie­ren, da machte sich auch Annie auf.

Sie ging nicht zugrunde, weder in der fürchterlichen weißen Einsamkeit noch im Fuselgeruch und Tabakqualm der Kneipen. Und was das heißt, das wissen nur diejeni­gen, die Alaska und Nordkanada aus eigener Anschauung kennen!

Annie spekulierte. Man schickte damals Pferde ins Nord­land; ganze Schiffsladungen. Diese Geschöpfe wurden als Packtiere benutzt beim Überschreiten der hohen, verschnei­

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ten Gebirgspässe, wo der Schnee sie tötete, der Hunger sie niederwarf, die unbarmherzige Peitsche ihr Fell zu Strei­fen zerschnitt, die unter Eiskrusten verborgenen Sümpfe sie verschluckten oder im Sommer die Moskitos sie zum hellen Wahnsinn peinigten.

„Weg der toten Pferde" und andere derartige Bezeich­nungen sind heute die letzte Erinnerung an jene Zeiten, als Tausende heroischer Pferde von viehischen Menschen in den Tod getrieben wurden. Damals war Nordland jung, und Annie war auch jung.

Einmal spekulierte sie in Hufnägeln und kaufte alle auf, die es gab. Schließlich wurden diese so rar, daß Annie sie das Stück zu einem Dollar absetzte. Diese Frau rief einen richtigen „Hufnagelcorner" ins Leben! Aber sie übertrieb das Einsammeln nicht, sondern verkaufte ihre Ware noch, ehe die nächsten Schiffe Hufnägel zu Millionen brachten. Oft schon hätte sie mit ihrem Gelde nach Hause fahren und herrlich leben können; aber Nordland hatte seinen geheim­nisvollen, lockenden Zauber über sie geworfen, jenen Zau­ber, welcher den nie wieder losläßt, der im Nordland weilte, hinter dem Schlitten herstapfte, die zottigen Hunde heulen hörte und den trunkenen Farbentanz der seltsamen Him­melslichter in der langen Nacht erblickte. Er mag sich in den sonnigen, lachenden Süden flüchten — der Zauber, den das schreckliche, finstere und doch so herrlich süße Nord­land einst über ihn breitete, läßt ihn nicht los und läßt ihn nicht vergessen, sondern lockt und ruft!

Annie blieb. Nach der Hufnagelgeschichte spekulierte sie in Goldminen. Dabei war sie bald reich, bald arm. Dann finanzierte und leitete sie Tanzhallen, wohin die rauhen Goldgräber kamen, um ihren gelben Staub in tollen Orgien zu verprassen. Annie hielt ihre Mädchen gut, und selbst

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die gröbsten Taugenichtse unter den oft brutalen Männern unterlagen ihr und wurden zahm.

Die Zeit brachte Annie auf eine ganz neue Idee. Sie über­legte, daß mit den nun überall an den Flußmündungen Nord­lands aufschießenden „Salmoncanneries", wo die Lachse ge­fangen und konserviert werden, auch etwas zu machen sei. Deshalb erstand sie ein großes Motorboot, trommelte ein halbes Dutzend hübscher Mädels zusammen und gondelte mit diesen längs der Küste von Cannery zu Cannery. Überall führten sie Pantomimen, Tänze und gesangliche Darbie­tungen auf, und das Publikum, das aus Indianern, Chi­nesen und Japanern, Italienern, Finländern, Deutschen und Amerikanern bestand, tobte vor Begeisterung und warf den Mädels förmliche Goldregen aus Zwanzigdollarstücken vor die Füße. Unterwegs, während der kurzen Fahrten, wurde an Bord geprobt, oder in stillen Buchten wurden auf dem weißen Sande neue Tänze eingeübt. Während des ganzen traumkur­zen Sommers brachte Annies schwimmende Truppe Freude und Abwechslung unter die Mannschaften der Lachskon­servenfabriken und Geld in ihre eigene Kasse. Als die Schiffe abfuhren, ehe das Eis kam und die Faktoreien geschlossen wurden, fuhren auch Annies Mädels hochzufrieden heim.

Annie aber blieb im Nordland. Wo Geld zu verdienen war, da tauchte sie auf, und wo es zu helfen und Not zu lindern gab, erschien sie. Sie verteilte Tausende von Dollars an die Schwestern vom Sacre Coeur in den einsamen Yukon­missionen, damit Medizin und warme Decken für die von Seuchen heimgesuchten Indianerstämme gekauft werden konnten. Ein paarmal ging sie selbst mit als Pflegerin zu den Indianern. — Manchem armen Teufel, der mit großen Hoffnungen ins Nordland kam und nachher als Krüppel mit erfrorenen Zehen oder Füßen als Aufwäscher in den Bars

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sein Leben fristete, verhalf sie zu einem Dampferticket nach Hause und gab ihm auch sonst noch einen Zehrpfennig mit, der ausreichte, um diesem Verzweifelten zu einer bescheide­nen Existenz zu verhelfen.

Verschiedene Male brachte Annie eine Truppe von Tanz­mädchen quer durch Nordland an die Felsenküste des Eis­meeres hinauf, um den Walfischfängerstationen eine, wie sie sagte, „saubere und anständige Freude" zu bringen. Unver­zagt, mit Hilfe tüchtiger Führer, legte sie diesen fürchter­lichen, männertötenden Höllenweg per Kanu und Hunde­schlitten zurück und brachte nicht nur jedesmal die Mädels unversehrt nach Whitehorse zurück, sondern auch die ehr­lich verdienten Schiffskassen der Walfischfänger. Annie er­hielt für diese Taten den Ehrennamen „Nordland-Annie".

Wehe aber dem, der ihr gegenüber zu frech wurde! Sie ruhte dann nicht eher, als bis ihm etwas zustieß. Ging er zum Beispiel mit indianischen Führern in die Wildnis, so konnte er darauf wetten, daß sie ihm unterwegs desertier­ten. Kaufte er Hunde, so stellten sich nachher bei diesen allerlei Gebrechen heraus. Oder sein Schlitten ging entzwei, wenn gerade kein Ersatz da war, oder es passierte sonst etwas.

Großes Aufsehen erregte Nordland-Annie mit der Grün­dung eines Hundehospitals in Dawson. Es wurde aber nichts daraus, denn die Schlittenhunde, die wirklich hospitalreif sind und Pflege verdienen, gehen gewöhnlich bei ihrer Ar­beit ein, wenn sie mit ihren Herren gegen die Natur kämp­fen. Sie sterben im wahrsten Sinne des Wortes in den Sie­len. Und keiner der Millionäre, die ihren Reichtum dem Golde Nordlands und nicht zumindest der treuen, aufopfern­den Kameradschaft ihrer Hunde verdanken, hat je daran gedacht, den Schlittenhunden ein Denkmal zu errichten.

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Annie beging einen unklugen Streich in ihrem Leben — sie vertraute einem Manne zu sehr. Das nahm ihr nicht nur endgültig ihren Glauben an die Menschheit, sondern auch ihr ganzes Geld mit einem Schlag. Durch ihr altbewährtes Glück kam sie aber bald zu neuen Mitteln.

Seither haßt sie Männer wie Gift, und wenn sie hier in der Bar, wo sie Mitbesitzerin ist und als eine Art Anstands­dame fungiert, an uns vorübergeht, so blickt sie verächtlich drein. Muß sie aber ein Wort zu einem Mann reden, so bellt sie es förmlich heraus. Und sie tut ihr Bestes, die Hostesses darin zu bekräftigen, daß wir eigentlich lauter Schweine­hunde und Barbaren sind, höchstens dazu tauglich, unser sauerverdientes Geld auf gute Manier auszugeben. Ich selbst habe Angst vor Annie, und dabei hat sie mich bisher über­haupt nicht beachtet.

Sergeant Hopkins will mir sicher einen Streich spielen, wenn er meint, Nordland-Annie wird mit mir reden wie zu einem kranken Kinde.

Da kommt sie wahrhaftigen Gottes auf mich zugesteuert! „Hallo, Boy!" „Hallo, Miß Annie!" Ohne weiteres läßt sich die schlanke, vielleicht fünfund­

vierzigjährige Frau mit dem klugen Gesicht, in dem ein paar graue Augen sitzen, neben mir nieder. „Quatsch, ich heiße Annie und sonst nichts!" fährt sie fort, und die Augen, in deren Außenwinkel bereits Krähenfüße sitzen, blicken auf einmal freundlich. Ihre Worte aber klingen, obwohl ge­dämpft, so scharf wie Explosionen. Es ist ein Verhör, und ich bin wie ein kleiner Junge, der wegen Apfeldiebstahls vor dem Richter steht.

„Schon lange in Nordland?" „Sechs Monate jetzt und früher einmal ein Jahr!"

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„Hm, das ist lange. Allein gewesen, Boy?" „No, Annie, bin mit Jack Fadden zusammen, der mich zum

Prospektieren mitnahm. Wir müssen bald fort, in den Win­ter hinein, denn unser . . . "

Brüsk fährt sie dazwischen, aber ihre Augen lachen: „Weiß schon, Geld ist alle. Ihr Männer seid doch ein ewig leichtsinniges Pack. — Wer hat den Mammon? Daisy, wie ich vermute!"

„Yes, Annie, das blonde Biest hat me in . . . " Ihre Augen blitzen, und stotternd wiederhole ich: Miß

Daisy . . . hat den Kies!" Sie lacht trocken: „Na, Boy, zerbrich dir nicht die Zunge

über Worte, die nicht recht drüber wollen! Sag doch ein­fach Daisy!"

„Yes, Annie, sie hat mein Geld!" Ich gerate in Zorn und fahre fort: „Sogar die Uhr hat sie mir abgeschnackt. Sie­ben Dollars hab' ich dem Juden Samuel Guggenheimer in Fort Cudahy dafür bezahlt! Daisy sagte mir, sie braucht Geld für ihre kranke Mutter!"

Diesmal ist das Lachen ein herzliches. „Sieben Dollars für 'ne Uhr? Na, die hat wohl auch dicht neben Silber ge­legen. Aber ich will sie dir wieder besorgen, Boy!"

„No, Daisy, das blonde B . . . wollte sagen: der blonde Dar­ling . . . soll sie behalten. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die Geschenke zurücknehmen."

Annie schlürfte das Glas leer und winkt dem Barkeeper. „Zwei Tassen Kaffee, Jim!" befiehlt sie, und der Mann nickt, während er einem andern sicher einen Fluch an den Kopf geworfen hätte; denn es ist eine starke Zumutung, in der „Renntierstallbar" Kaffee zu bestellen. Aber Annie ist ja Mitbesitzerin.

Sie beugt sich näher: „Sie können mich als Ihre Mutter

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ansehen, Junge. Für die nächsten Minuten nur, denn auf die Dauer würde ich mich für solch schlacksigen Bengel bedanken. Brauchen Sie Geld?"

„No, Annie, Jack und ich haben unser feines Team, und Sailor half uns mit einem mächtigen Grubstake aus."

„Gut, bravo, das freut mich, Boy, daß du kein Geld ver­langst, denn ich hätte dir welches gegeben. Aber vielleicht willst du lieber heim im Frühjahr, wenn das Eis bricht. Soll ich dir zu einem Dampferticket verhelfen? Sag's nur, brauchst dich nicht zu schämen."

„No, danke, Annie. Es ist, bei Gott, verdammt nett von Ihnen, aber ich gehe mit Jack in die Wildnis," bringe ich mit heißem Kopf heraus.

„Mußt nicht fluchen vor Damen, Boy. Hat dir das deine Mutter nicht beigebracht? Wo ist sie?"

„Well, die ist im alten Lande Germany drüben, und sicher macht sie sich gerade Sorgen über mich."

„Na, nur nicht sentimental werden, Junge, dazu paßt die Umgebung nicht recht."

Wie weich doch die Stimme dieser Frau jetzt klingt! Und wie gut sie mich anschaut...

„Drei Whiskys waren's und nicht fünf, du betrügerischer Schuft. Und wenn du noch einen Seufzer von dir gibst, haue ich dir die Pulle an deinen Schädel!" tönt es laut von der Bar herüber. Annie erhebt sich, ganz leise dringen die Worte an mein Ohr: „Boy, ich gehe jetzt nach oben, und du kommst in einer Viertelstunde nach, von außen durch die Hintertür."

Sie verschwindet und läßt mich verblüfft zurück. Kaum ist die Zeit verstrichen, da begebe ich mich ins

Freie. Hui, welche Kälte herrscht doch bereits jetzt im Ok­tober! Kein Windhauch, alles ruhig. Hinter den eisblumen­

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bedeckten Fenstern der Holzhäuser glühen Lampen und wer­fen matten Schein auf den Schnee. Nordlichter flattern über den Himmel gleich ungeheuren bunten Straußenfederfächern. Am Ende der Gasse bewegen sich dunkle Gestalten, nähern sich. Knirschend gleitet ein von fünf Hunden gezogener Schlitten vorbei. Der Lenker stapft, in Pelze gehüllt, hinter­drein. Gegen den großflockigen, noch klebrigen Schnee hat er eine Maske vor dem Gesicht und gleicht so der Aus­geburt eines tollen phantastischen Märchens. Am andern Ende des Ortes heulen plötzlich Hunde. Immer mehr fal­len ein, und es klingt so markerschütternd und doch so schwermütig, daß mir die hellen Tränen in die Augen schießen.

Die Tür öffnet sich unter dem Druck meiner Hand. Ein kurzer, zugiger Gang, dann noch eine Tür und eine Treppe nach oben. Hier ist's gemütlich, weiche Felle des grauen Bären dämpfen den Schall meiner Mukluks. Rechts und links sind hölzerne Türen. Hinter welcher befindet sich Annie? Ich klopfe an die nächste und trete ein. Aber der kleine, nach Frauen duftende Raum ist leer. Schon will ich zurück, da fällt mein Auge auf eine Halskette aus imitierten Türkisen und eine silberne Uhr, eine soge­nannte Rübe, die auf einem Tischchen liegen. Beides kenne ich, sie gehören Daisy. Die Uhr war gestern noch mein Eigentum.

„Verdammt, du hast etwas in mir zerbrochen, jetzt zer­breche ich etwas, das dir gehört!" fluche ich in plötzlicher Wut und schlage die Uhr mit dem Glas gegen die Tisch­kante, daß es zerplittert. Leise schleiche ich hinaus, klopfe an die nächste Tür und stehe dann vor Annie. Sie kommt gleich auf mich zu, hängt mir ein Wildledersäckchen mittels eines Riemens um den Hals, stopft es ins Hemd. Und

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auf einmal küßt sie mich auf den Mund. Instinktiv will ich die Arme um sie schlingen, da stößt sie mich zurück, hart glüht es mir aus ihren Augen entgegen, und die Worte klingen kalt: „Keine Dummheiten, Boy, du hältst mich altes Weib wohl für irgendeine, was?" Und dann wird ihre Stimme wieder weich: „Das Säckchen — hebe es auf, und wenn's dir mal ganz dreckig geht und dir niemand hilft, dann öffne es. Aber nur dann. Geh jetzt, Boy!"

Früher, als ich noch ein kleiner schuleschwänzender Junge war, gab meine Mutter manchmal Gesellschaften. Steife Her­ren in schwarzen Schwalbenschwänzen und steifen Hemd­brüsten kamen und küßten ihr die Hand . . .

Schon habe ich tollpatschig Annies schmale Finger ge­packt und führe sie an meine Lippen. Und nun renne ich hin­aus, stolpere die dunkle Treppe hinab, höre hinter mir drein: „Du guter Boy!" und bin draußen unter den zuckenden Nordlichtern. Hundegeheul und Kälte stürmen auf mich ein. Über den Schnee hüpfen Schlaglichter vom Widerschein des Himmels. Ganz langsam schreite ich der Tür zu, und wäh­rend ich sie öffne und Grammophongekreisch und tiefe Männerstimmen mich ohrfeigen, denke ich, daß es doch ein schönes Gefühl ist, dieses Empfinden, das wir sonderbarer­weise fast immer mit zynischer Unwahrheit Sentimentalität nennen.

Still hocke ich mich an meinen Platz unter dem Elchge­weih. Ein Fallensteller stellte in Geberlaune ein großes Glas Punsch vor mich hin. Nach einer Weile bemerke ich wieder Annie unter den Anwesenden. Mein Blick folgt ihr, und als sie mich einmal anschaut, lächle ich. Eisige Gleichgültigkeit starrt mich aus ihren Augen an, dann wendet sie sich ab und spricht mit einer Hosteß. Ich taste an meine Brust, fühle

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dort das kleine Päckchen und weiß wieder, daß ich nicht geträumt habe.

Sergeant Hopkins hält auf dem Wege zur Bar bei mir an. „Na, ein vernünftiges Frauenzimmer, was?" raunt er und geht ohne Antwort weiter. Plötzlich fliegt die Eingangstür mit einem Knall auf, das Grammophon bricht schrillend ab, weil jemand mit dem Ellbogen an den Tonbügel stieß. Der Lärm der Tanzenden verstummt jäh. Von draußen aus der Dunkelheit dringt der krächzende Ruf eines Schlit­tenlenkers: „Heiah, heiah, musch, musch!" gleichzeitig mit einem Strom dampfender Luft herein, und ein zottiger, mit roter Zunge pendelnder Hund torkelt über die Schwelle. Ihm folgt ein zweiter, ein dritter, vierter und noch einer. Der Schlitten, den sie ziehen, rumpelt nach, und nun kommt der in Pelze und Schnee gehüllte Eigentümer jener heiseren Stimme. Die Tür fliegt wieder zu, das Team poltert bis an die Bar, mitten durch die sich zur Gasse öffnende Menge.

Die hellen Azetylenlampen von der Decke baumelnd, rauhgekleidete Männer mit gespannten Gesichtern, dazwi­schen überelegant angezogene Frauen, in der Mitte dieser menschlichen Gasse ein Schlitten, fünf Hunde und eine ver­mummte Gestalt. Alles in Dampfwolken schmelzenden Schnees gehüllt.

Der Vermummte stampft auf, beginnt einen langsamen, erschöpft wirkenden Tanz, wobei er Mütze und Maske her­unterreißt. Die schwere Pelzparkah fliegt ab. Immer noch hüpft der Mann herum, und jetzt kommt ein heiserer Ge­sang über die aufgesprungenen Lippen:

„Ich bin wild und wollig, juhu juhe! Hab' keinen Schnaps und bin voller Flöh!"

Der Leithund knurrt tief. Einer der auf den Zehenspitzen

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stehenden Menschen ruft: „Billy! Das ist ja Billy vom Sweet­watercreek!"

Alles schreit nun: „Billy! Wo kommst du her, Donner­wetter!"

Billy aber dreht sich noch ein paarmal um seine Achse, stürzt dann schwer zu Boden, und in die eingetretene Stille flüstert er „Ich bin so müde, will schlafen, verdammt viel schlafen; aber ich habe keine Zeit. Morgen früh erfahrt ihr's ja doch. — Gebt mir Zu trinken. Wichtige Nachricht!" Er stützt sich' empor, brüllt mit einer Stimme, die nichts Mensch­liches mehr an sich hat: „Gold! Gold! Gold! Ich weiß, wo Gold ist!"

Einen Atemzug lang ist es ruhig, dann tobt ein wahrer Sturm los. Jeder schreit aus Leibeskräften, will wissen wo, und ob es weit ist, und stellt tausend andere Fragen. Billy trinkt Whisky, wird auf einen Stuhl gesetzt und fuchtelt mit den Händen herum. Ununterbrochen öffnet und schließt sich die Tür, und in wenigen Minuten scheint sich die ganze Bevölkerung von Moosetown in die Tanzhalle zu drängen. Die Atmosphäre ist mit einer fieberischen Spannung ge­laden. Mein Skalp prickelt, und meine Augen glühen sicher ebenso gierig wie die der anderen. Von Zeit zu Zeit bran­det gleich einer rauhen Woge das Wort „Gold" durch das dumpfe, unartikulierte Stimmenbrausen.

„Gold!" schreit mir einer ins Ohr, und eine Hand trifft meine Schulter, daß ich zusammenknicke. Ein gerötetes, ver­zerrtes Gesicht mit dichten Bartstoppeln grinst mich an und macht einem andern Platz, das sich dazwischendrängt. „Gold! Denkt nur, Gold! Eimerweise, sackweise!" flüstert eine Frauenstimme, und ich erkenne, daß es Daisy ist. Aber sie ist nicht mehr schön, denn der Goldteufel bleckt aus ihren Zügen!

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Billy ist indessen wieder völlig zu sich gekommen; er brüllt, jemand solle für sein Hundegespann sorgen, eher würde er keinen Ton reden. Der Wirt läßt die Tiere hinaus­schaffen, Billy wird auf die Bar gehoben und steht vor der zerschossenen Venus, um die sich niemand mehr kümmert und für die kein Mensch mehr fünf Cents geben würde. Die Menge schweigt, ich höre nur stoßweises, krampfhaftes Atmen.

„Männer!" brüllt Billy nun und schwenkt eine Ginpulle. „Männer, es ist Gold. Dick und dicht wie Flußkiesel sah ich's unter dem Eise blinken. Und nicht nur an einer Stelle, sondern überall, wo ich's aufschlug. Gold zum Einschau­feln! Da, schaut her!" Seine Stimme überschlägt sich, und aus einem Säckchen läßt er glitzernde Körnchen in seine Hand fließen, hin und her. Und obwohl fast alle Anwesen­den derartige mehr oder weniger gefüllte Säckchen haben, weil der Goldgräber viel lieber mit seinem Staub und Kör­nern bezahlt, als daß er sie in kurante Münze einwechselt, macht uns der Anblick dieses Säckchens in Billys Hand wie verrückt. Da und dort liegen Beutel auf den Tischen, der Barkeeper wog eben einen ab, und das eine Fach des offenen Geldschrankes ist voll solcher Beutel. Aber es ist, als ob nur der eine in der Hand des wie tobsüchtig mit den Augen funkelnden Mannes dort auf dem Schanktisch richtiges Gold enthielte, dessen matter Glanz wie mit tau­send Zangen mein Herz preßt, meine Einbildung mit tau­send lockenden Bildern erfüllt und meinen Atem heiß und röchelnd macht. Allen andern geht's ebenso.

Und die Menschen — wir alle — brüllen vor Begeiste­rung wie Tobsüchtige. „Bill soll leben! Drei Cheers für Sweetwaterbill! Hipp hipp hurra!"

Der jongliert mit den Goldsäckchen, sein von der Erre­

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gung zu einer Maske verwandeltes Gesicht verzerrt sich noch mehr. Wie ein seelenverführender Zauberer tanzt er da oben auf der Bar herum.

„Wo? Wo?" schreien hundert gellende Stimmen. „Hunderte Meilen von hier. Bittercreek! Am Bittercreek,

juppih, juhii!" kreischt der Besessene. „Bittercreek!" tönt es vielfältig, und fast schlagartig leert

sich der Saal, füllt sich aber rasch wieder, als Sergeant Hopkins und seine zwei Korporale die Menschen wie eine Herde zurücktreiben. „Oho, was will die blutige Polizei? Wir haben doch nichts ausgefressen!" wird es an verschie­denen Stellen laut. Eine Handbewegung fegt Bill von der Bar, und der breitschultrige Polizeisergeant steht jetzt oben.

„Männer! Hört gut zu, Männer! Gold ist gefunden wor­den, aber der Ort liegt weit. Viele von euch werden wissen, was es heißt, im Winter Hunderte von Meilen hinter dem Schlitten über Eis und Schnee zu stapfen. Ich kenne das. Und ich weiß auch, daß ihr Dummköpfe alle, vom ersten bis zum letzten, euch morgen auf die Socken machen wollt. Moosetown wird vielleicht morgen nicht mehr existieren außer den leeren Blockhütten. Aber — im Namen der Ge­setze der Dominion, das sage ich euch, ich lasse keinen diese teuflische Reise antreten, der nicht genügend mit Pro­viant, Kleidung, Schlitten und Hunden ausgerüstet ist! Wenn ihr dann zu Dutzenden längs des weißen Pfades liegen bleibt und krepiert, so ist das nachher eure Sache, denn ich habe das meinige getan. Und wenn sich einer untersteht, noch heute nacht loszugehen — es weht ein höllischer Schnee­sturm draußen — den hole ich zurück und sperre ihn drei Monate ein!" Hopkins wischt sich den Schweiß von der Stirn und springt zu Boden.

„Hurra, die Nordwestpolizei soll leben. Die sorgt ja für

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uns wie der Weihnachtsmann! — Recht hat er aber, bei Gott! Er weiß, was er redet!" tönt es im Durcheinander. Die Männer nicken zustimmend. Einige verschwinden, um ihre Sachen zu packen.

Der Zurückbleibenden bemächtigt sich eine wilde Lustig­keit, deren Brennpunkt Billy ist. Ich setze mich wieder an meinen Platz. Jack gesellt sich zu mir, und wir gratulieren uns gegenseitig, daß wir Hunde und Proviant haben, denn morgen früh wird das Gespann sicher fünfhundert Dol­lars kosten, am Mittag das Doppelte und am Abend zwei­tausend. Man wird Hunde fast mit Gold aufwiegen! Und für eine Seite Speck oder ein Säckchen Weizenmehl werden Unsummen verlangt und ohne Murren bezahlt werden!

„Es gibt zwei Arten von Menschen!" beginnt Jack nach einer Weile. „Der eine schließt, wenn er Gold gefunden hat, fein das Maul und behält die Geschichte für sich. Der andere aber ruht nicht eher, bis er Menschen erreicht, möglichst viele, wo er dann seine Neuigkeit als Knalleffekt zum besten gibt und dadurch Hunderte anderer, die bisher ganz zufrie­den waren, plötzlich verrückt macht und sie dem Teufel in die Zähne jagt. — So einer ist der, der da drüben Whisky in seinen Magen schüttet, als hinge die Seligkeit davon ab.

Und dann gibt's noch 'ne dritte Sorte. Sie ist nicht häu­fig, aber ich habe sie schon erlebt hier oben im Nordland. Weißt du, da haust so ein Fallensteller oder Digger in irgendeiner einsamen Gegend jahrelang, ja, jahrelang. Nur seinen Proviant holt er von Zeit zu Zeit, hält sich aber nir­gends in den Ansiedlungen auf, sondern verschwindet miß­trauisch so unauffällig wie möglich. Und dann hockt er wieder monatelang den Winter über eingeschneit in seiner Hütte und denkt und grübelt über Gold, nichts als Gold. Schließlich schnappt er eines Tages über, ohne daß er's

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selber weiß und bildet sich ein, er hätte einen mächtigen Schatz gefunden. Sein Mißtrauen und seine Menschenscheu schlagen auf einmal um. Menschen muß er sehen, ihnen von seinem nur in seiner verrückten Einbildung existierenden Schatz erzählen, Mittelpunkt sich um ihn drängender und ihn bewundernder Menschen will er sein. Gott weiß, was sonst noch alles im Hirnkasten eines solchen Kerls vorgeht! Na, da schirrt er dann seine Hunde an und rennt, was er ver­mag, bis zur nächsten Ansiedlung und bringt die Menschen mit seiner Goldbotschaft aus dem Häuschen. Es ist doch schon dagewesen, daß 'ne ganze Siedlung daraufhin auf­brach, mitten im Winter, um das verfluchte, hoho! — Gold zu finden, das nur im Kopfe eines Narren herumspukte. Und bei Gott, der Billy hat einen Glanz in den Augen, der mir nicht gefällt. Anschauen kann er einen auch nicht lange. Hast du das bemerkt?" Er seufzt. „Na, meinetwegen kann's losgehen, ich mache mit. Bin schon mancher Narretei auf­gesessen und mache mir nichts draus, wenn's nochmal ge­schieht. Die paar hundert Meilen sind in einigen Wochen zu machen. Die große Kälte läßt ja sicher noch auf sich warten, obwohl's jetzt auch nicht gerade warm ist. Aber, was meinst du, wieviel werden unterwegs liegen bleiben von all den Weibern und Mädels?"

„Du denkst doch nicht, daß die Frauen mitgehen?" Er nickt bedächtig. „Na und ob! Betrachte nur mal ihre

Gesichter! Da, schau die Blonde an, sieht sie nicht aus wie eine Furie? Und doch schätze ich, daß sie vor ein paar Stunden noch ein hübsches Ding war!"

Gezwungen nicke ich, denn er meint Daisy. Mein Herz wird auf einmal schwer, als ich mir diese zarten Geschöpfe auf dem grausamen Schlittenpfad unter den kalten Flam­men der Nordlichter vorstelle.

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„Verfluchtes Gold!" Befremdet betrachtet er mich und meint dann: „Na, schön

ist's doch, wenn man welches hat!" Annies klare Stimme dringt durch den Tumult: „Jim,

daß Sie mir ja nicht etwa meine Hunde verkaufen. Ich brauche sie, denn ich will selbst mit!"

„Hurra! Hipp hipp hurra! Nordland-Annie kommt mit nach der Bonanza am Bittercreek!" jauchzt der große Fal­lensteller, der mir Daisy weggefischt hat.

„Na, wie steht's? Sollen wir oder sollen wir nicht? Billy, du Hundesohn, ist's auch wahrhaftig wahr oder schwindelst du?" meint jemand.

Billy wurde von den ihm von allen Seiten aufgenötigten Getränken benebelt. Blöde lallend sitzt er zusammengesun­ken in einem Stuhl und wackelt mit dem Kopf. Bei der an ihn gerichteten Frage schnellt er empor. „Gold, Gold am Bitter­creek! Ich sage euch, es ist da eine Bonanza, wie sie seit den neunundvierziger Jahren nicht mehr entdeckt wurde! — Gebt mir 'nen Drink, mich friert!" Er schüttet den Inhalt des Glases hinab, sackt in seine alte Lage zurück und hebt nur noch einmal den Kopf, als Nordland-Annie ihn fragt, ob er führen könne.

„Jawohl, ich will euch hinführen, alle miteinander, Män­ner und Weiber, und ihr könnt eure Schlitten mit Gold be­laden, und man wird gar keine Abnahme merken!" schreit er, dann sinkt er stöhnend zurück.

„Der hat genug, laßt ihn schlafen!" ruft der Sergeant. „Ich werde einen Korporal mitschicken, der für Ordnung

sorgt und bei dem jeder seinen Platz zum Graben registrie­ren kann. Ordnung muß sein! Aber — es ist mir eigentlich unlieb, daß Annie mitgeht. Wer soll hier die Mädels bemut­tern?"

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Schrill lacht Daisy: „Hat sich was! Wer sagt Ihnen, Sergeant, daß wir hierbleiben wollen? Selbstverständlich gehen wir Mädels alle mit, um unser Teil gleich an Ort und Stelle einzuheimsen. Vor dem bißchen Winter habe ich keine Angst, der wird nicht so schlimm sein!"

„Bravo!" kreischen die andern Hostesses eifrig. Einige Männer grinsen, andere schütteln die Köpfe.

„Girl, wissen Sie überhaupt, was ein Nordlandwinter ist? Ich schätze nicht, Sie sind erst im Sommer gekommen. Ha­ben Sie eine regelrechte Ausrüstung? Und können Sie, falls Ihnen ein Idiot, dem Sie schöne Augen machen, eine geben sollte, eine solche auch gebrauchen? Wissen Sie, daß es viele Wochen dauert, bis ein Anfänger es lernt, richtig mit den geflochtenen Schneeschuhen zu laufen, und daß er am ersten Tag keine hundert Yards zurücklegt, bis er die Sache als aussichtslos aufgibt? — Nee, Girl, lassen Sie die Pfoten — wollte sagen, Ihre niedlichen Füße davon. Wenn Sie Gold haben wollen, so schätze ich, daß bald genug Männer da sein werden, die Ihnen welches schenken!" Grunzend vor An­strengung leerte der Sprecher sein Glas.

Daisy und die meisten ihrer Freundinnen hören kaum hin. Schnippisch lachend drängt sich die Blonde an einen gro­ßen Fallensteller: „Nicht wahr, du nimmst mich mit?"

„Wenn ich Selbstmord begehen will, so werd' ich dich rufen. Aber ich möchte noch leben, mein Täubchen, und deshalb bleibst du hier!" brummt dieser ziemlich un­wirsch.

Nun schreien die Weiber durcheinander, bis der Sergeant dazwischen fährt: „Ruhe jetzt, Ladies. Ich sage euch, daß keiner mitgeht, der nicht ausgerüstet ist und der keine Er­fahrung hat. Schon im Sommer, mit dem Kanu und zu Fuß, ist solche Reise eine harte Strapaze. Jetzt im Winter, der

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täglich kälter und grimmiger wird, wär's ein Verbrechen, Greenhörner auf den Schlittenpfad zu schicken."

„Hopkins hat recht. Und ich bin überhaupt nicht dafür, daß wir Langhaarige mitnehmen!" brummt ein Oldtimer bedächtig.

Eine Anzahl der Mädchen zog sich in die Barecke zurück, wo sie tuschelnd beisammensitzen und uns mit bösen Blik­ken bedenken. Während die Männer teils hitzig und laut, teils langsam und brummend, jeder nach seiner Art, die Maßnahmen für die Expedition besprechen, fange ich ver­schiedene Worte Daisys und einer andern Blonden auf: „Quatsch — hierbleiben. Die tun gerade, als ob sie Götter wären und als ob der Winter hier so furchtbar gefährlich ist. Angst haben sie, die Herren, das ist alles! — Mädels, wir gehen doch alle mit. Wenn ich Sam schön bitte, schlägt er's nicht ab — den wickle ich um den kleinen Finger. Herrlich, da machen wir einen Spielklub auf, und die Dummköpfe werden abends ihr Gold verlieren, das sie tagsüber finden. — Annie geht auch, warum sollen wir nicht? — Ge­meinheit — wo sie ihre Busenfreundinnen auch mitnehmen will . . . "

Jack, der ebenfalls lauschte, stößt mich an. „Siehst du, da hast du's. Na, das wird ein schönes Theater geben, wenn's zum Aufbruch kommt. Horch nur den Radau draußen!"

Auf der Straße rennen Menschen hin und her, rufen sich gegenseitig Scherzworte zu. Peitschen knallen gedämpft. Schlitten poltern, Hunde heulen.

Sergeant Hopkins steht nach einer Weile auf. „Also da­bei bleibt's. Wenn ihr bald aufbrecht, so kommt ihr noch vor der größten Kälte ins Lager. Und falls" — hier wirft der Sprecher einen vielsagenden Blick auf den schnar­chenden Billy und fährt fort: „Na, wenn die Funde nicht so

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groß sind, dann wird es nicht allzu schwer sein, wieder zurückzukehren. Na, und da Annie und ihre vier Freun­dinnen durchaus mit wollen — es sind ja die Mädels, die schon auf dem Schlittenpfad waren und den blutigen Rum­mel verstehen — na, so laßt sie gewähren, es bleibt ja doch nichts andres übrig. Kann's ihnen auch nicht verden­ken, ich würde selber mitmachen, wenn ich könnte. Das Wort Gold hat verlockenden Klang! Alles andere könnt ihr ja noch bereden. Ich muß sehen, was die tolle Bande da draußen treibt. Das hört sich ja an wie ein Schlitten­rennen. Und was ich sagen wollte: von den andern Mädels darf also keine Seele mit!"

„Das wollen wir sehen!" trumpft Daisy drüben auf, und die Männer lachen. Hopkins geht.

Jack und ich bleiben noch eine Weile und beteiligen uns am Gespräch. Nordland-Annie wird von allen Oldtimern als ebenbürtig betrachtet, und der Jubel ist groß, als sie in einer jener ihr so eigenen sprunghaften Launen Sekt bestellt. Auch Daisy und ihr flittergeschmückter Anhang dürfen mit­machen. Sowie diese aber anfangen zu bitten, man möge sie mitnehmen, stoßen sie auf steinerne Mienen und gut­mütige, aber bestimmte Ablehnung. „Und doch gehen wir mit, ihr werdet's schon erleben!" kreischen sie wieder und wieder.

Ich unterhalte mich mit Peggy, einer Freundin Annies, mit der diese schon am nördlichen Eismeer war und den Yukon aufwärts gepaddelt ist. Peggy hat schönes braunes Haar und große dunkle Augen in einem hübschen Gesicht. Ihr Wesen hat etwas Offenes, Ungekünsteltes, und ich fühle mich so zu ihr hingezogen, daß ich böse auf Jack bin, der plötzlich seine breite Schulter zwischen uns schiebt und sagt: „Zeit zum Schlafen!" Langsam gehen wir der Tür zu. Hinter uns

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lallt Sweetwaterbilly: „Ich bin wild und wollig . . . " Peggys Augen verfolgen mich.

Wirbelnde Flocken, pfeifender Wind und Hundegeheul empfangen uns draußen, branden über und um uns zusam­men und begleiten uns bis an die Hütte, wo wir Quartier haben. Das Thermometer fällt stetig, und die Eisblumen am Fenster werden dicker.

H e i a h ! Musch! Musch !

Es sind doch noch vier Tage wildesten Durcheinanders vergangen. Einige Dutzend bepackter Schlitten, jeder mit fünf bis sieben ungeduldig jaulenden Hunden bespannt, stehen jetzt auf der verschneiten kurzen Straße, deren Ende ein offenes Tor in die weiße Einsamkeit bildet. Über hundert Menschen, die in Pelze und Wolle gehüllt sind, große Fäust­linge an den Händen und geflochtene kanadische Schnee­schuhe an den Füßen tragen, hüpfen und stampfen aufgeregt durcheinander. Von Zeit zu Zeit geht ein fieberndes Summen durch das Gedränge, ein paarmal peitscht der wilde Schrei „Gold" die frostklirrende Luft.

Noch herrscht eiliges Hin und Her, ein Kommen und Laufen von und nach den Kneipen oder dem „Sailors Store", der längst ausverkauft ist. Einige versuchen aber trotz­dem noch Proviant zu erstehen, und es muß dem guten Sailor, der nur das Nötigste für sich behielt, äußerst schwer­fallen, bei den gebotenen, sich übersteigernden Phantasie­preisen kaltes Blut zu bewahren. Sämtliche Bewohner von Moosetown sind auf den Beinen und erwarten das Signal zur Auswanderung ihrer Freunde. Wäre es möglich, so würden alle einfach ihre Häuser und Kneipen auf Schlitten packen

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und mitziehen. So haben es einst ihre Väter im Westen der Vereinigten Staaten getan, wenn es galt, eine Goldgräberstadt auszuräumen und hundert Meilen davon entfernt an einer günstigen Stelle neu aufzuschlagen. Moosetown gleicht einem aufgeregten, zum Schwärmen bereiten Bienenvolk. Die Bie­nen sind plumpe, bis zur Unkenntlichkeit in warme Kleider vermummte Menschen, und der Honig, den sie suchen, heißt Gold!

Jacks Prophezeiung von neulich ist eingetroffen. Schon am ersten Tag der Vorbereitungen, in aller Frühe, als die Nordlichter noch dem Himmel buntblutende Wunden schlu­gen, wurden zweitausend Dollars für ein Gespann Hunde geboten. Nun stehen sie endlich angeschirrt da, ein Schlit­tengespann nach dem andern; die stärksten mit den er­fahrensten Besitzern voran, weil sie den Pfad bahnen müs­sen. Sergeant Hopkins und seine beiden Untergebenen sind heiser vor Ärger und vom vielen Schreien. Denn der Gold­teufel hat die Menschen in den Krallen, und Greenhörner, die nichts besitzen als das, was sie am Leibe tragen — alte Greise, die als Bäcker, Wäscher und Holzspalter in den Kneipen arbeiteten — Tanzmädchen, deren Gepäck aus einem Lacklederkoffer voller Seidenkleider, Spitzenwäsche und Stöckelschuhen besteht — ein Mann mit einem Holzbein, der bei Sailor Handlanger ist — sie alle wollen nach Norden, wollen Hunderte von Meilen durch Nacht und Eis, Kälte, Hunger und Grauen marschieren. Sie wollen es, obwohl sie in ihrem Innern genau wissen, daß sie schon nach den ersten paar Tagen mit erforenen Gliedmaßen links und rechts von der schmalen, endlosen Schlittenspur, die die Stär­keren hinterlassen haben, sterbend im Schnee liegen werden. Doch dieser Gedanke kümmert sie jetzt nicht. Dämon Gold, der mit Sweetwatercreek-Billy vor vier Nächten in Moose­

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town einzog, ist gewaltiger als alle Vernunftgründe. Ich habe es nie für möglich gehalten, daß Menschen so sein können. Der kleine Ort scheint plötzlich von einer Horde Verrückter bewohnt zu sein. Mord und Totschlag wären wohl schon längst in ihrer ganzen Schrecklichkeit ausge­brochen; der Stärkere würde den Schwächeren, weil er viel­leicht mehr Proviant und bessere Hunde besitzt, über den Haufen geknallt haben; der Feigling möchte dem Guten, Ehrlichen aus ähnlichen Gründen das Messer in den Rük­ken stoßen; anstatt die Ausrüstungsgegenstände zu kaufen, würde man sie einfach mit Gewalt nehmen — all diese An­archie aber, deren Funken in den goldtollen Menschen zu hellen Flammen entfacht sind, wird gebändigt und einge­dämmt. Drei Mann sind es, die diese Arbeit fertigbringen: Sergeant Hopkins und seine beiden Korporale von der Nord­westpolizei.

„For law and order! Für Gesetz und Ordnung!" ist ihr Leitfaden und daran halten sie fest. Sie verstehen die Sache. Wo Brutalität oder burschikose Grobheit angebracht sind, wo gutmütiger Rat, liebenswürdiges Zureden eher zum Ziel kommen — überall finden sie den rechten Ton. Und sie setz­ten es durch, daß alle diejenigen, die zu alt, zu jung oder zu krank sind, oder solche, die nicht die nötige Ausrüstung be­sitzen, wütend kreischend, giftig brummend oder voll Gal­genhumor lachend sich längst dareingeschickt haben, hierzu­bleiben. Moosetown wird also nicht ganz aussterben, und Sergeant Hopkins wird mit Korporal Hammond darüber wachen, daß sich auch wirklich keiner uns nachschleicht. Korporal Dickens aber geht mit uns, nicht um Gold zu fin­den, sondern um des Gesetzes Majestät zu wahren. For law and order!

Nordland-Annie hat zwei prächtige Teams. Sie nimmt vier

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ihrer Mädchen mit, und zwar sind es alle solche, die schon mehrmals auf dem Schlittenpfad mit den ungelenken Schnee­schuhen an den Füßen unter flammenden Nordlichtern durch Nacht und Sturm die weiße Einsamkeit bezwungen haben. Ich freue mich, daß Peggy dabei ist. Alle andern „Hostesses" müssen trotz schriller Proteste und tränenreicher Bitten in Moosetown bleiben. — Seht, da rennen und glitschen sie in modernen und für den Norden ganz unbrauchbaren Pelz­mänteln von Gespann zu Gespann! Wie sie betteln, diese gestern noch so unnahbaren, nur auf unser Geld erpich­ten Geschöpfe!

„Oh, Sam, Sammy, Liebling, nimm mich doch mit!" fleht da eine einen vierschrötigen, bärtigen, in Leder und Wolfs­pelze gekleideten Fallensteller an. Der schüttelt den Kopf. „Geht nicht, Kleine, der Sergeant hat's verboten. Du würdest ja schon vor dem ersten Lager tot sein. Deine Kleider tau­gen nichts für solch höllischen Marsch!" brummt er, und mit dem Fuße stampfend entfernt sie sich, um ihr Glück bei einem andern zu versuchen. Vergeblich. Unerbittlich stehen die Männer, wehren die Flehenden wie lästige Insekten ab und lauern nur auf Hopkins' Signal zum Aufbruch.

Eine üppige Brünette in einem Fohlenmantel hängt gleich einer reifen Traube um Partner Jacks Hals. „Jack, Jack, wolltest du nicht die Nordlichter vom Himmel für mich fangen? Jetzt sträubst du dich, mir einen kleinen Gefallen Zu tun? Nimm mich mit, Mann!"

Langsam löst er ihre Arme von seinem Hals. „Unmöglich, Kind! Ich schätze, daß es leichter sein wird, Nordlichter mit einem Schmetterlingsnetz zu fangen, als dir eine Aus­rüstung zu besorgen. Mit den Überschühchen, die du anhast, könntest du ebensogut barfuß laufen, und dein sogenann­ter Pelz! Hm, ich schätze, daß er ebenso warm ist, als

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wenn du ein Ballkleid anziehst. No, Kind, damit kämst du nicht weit. Und warme Unterkleider aus dicker Wolle hast du wahrscheinlich auch nicht. Du trägst sicher 'n paar Un­aussprechliche aus Spitzen, oder wie ihr das nennt!"

„Grobian!" faucht sie und läuft vor Kälte zitternd weiter. Auch ich bleibe nicht verschont, plötzlich steht Daisy vor mir. „Boy, Darling, kannst du mich nicht auf euren Schlit­ten laden und mich mit einem Stück Segeltuch zudecken? Ich will auch ganz brav sein und unterwegs für euch kochen!" schluchzt sie herzzerbrechend.

„Ich bin kein Boy, sondern ein Mister!" Sie schaut mich an, liest in meinen Augen, was ich denke,

und wendet sich wortlos ab. „Yuppiih, geht's nicht bald los ?" schreit der Anstifter die­

ses Aufruhrs, der hinter seinem Gespann hält und stier um sich schaut. Und nun legt Annie los. Welche Überraschungen birgt doch die Seele dieser Frau! Gestern erst unnahbar, dann weich und gütig und nun! Sie hat, scheint's, eine kleine Abschiedsfeier hinter sich, denn ihre Augen glänzen und ihre Stimme klingt wie eine Trompete: „Seid ihr alle da, Mädels? — Bessy! May, Cinderella! Peggy!"

Jedesmal antwortet eine pelzbekleidete Gestalt fröhlich: „Ja!"

Männer lachen, und Witze werden gerissen. Doch hütet sich jeder, Annie zu beleidigen. „Na, macht denn niemand etwas? Wird kein Abschiedsspeech gehalten oder Sekt ge­trunken?" schrillt sie weiter.

Plötzlich schweigt das Stimmenbabel. Sergeant Hopkins stieg eben auf eine Kiste, die jemand aus „Sailors Store" holte. „Ladies und Gents!" beginnt er und winkt mit dem Fäustling. „Ich wünsche euch allen Glück und Gesundheit. Mögt ihr ganz dicke Klumpen finden! Wenn ich nun meinen

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Revolver abdrücke, dann zieht ihr los!" Er nimmt den Colt und unvermutet knallt der Schuß.

Der Treiber des vordersten Gespanns schreit gellend: „Heiah! Heiah! Musch! Musch!" Die Hunde rucken an, der Schlitten gleitet vorwärts; und einer nach dem andern, in langer Linie, folgen wir. Grau lastet der Himmel über uns, die wir in die Wildnis ziehen, um das gelbe Gold seinem kalten Versteck zu entreißen; und sachte, dann immer stär­ker schüttelt der graue Himmel weiße, wirbelnde Flocken herab.

Wie s ie l a c h e n und w e i n e n

Viele Tage sind seit unserem Aufbruch von Moosetown vergangen, und ich weiß nicht, ob mir diese Zeit wie Jahre oder gar Jahrzehnte vorkommt. Jedenfalls war der Marsch die Hölle, ist es und wird es gewiß bleiben.

Welchen Jammer habe ich seither erlebt! Jimmy Saun­ders brach sich aus Unvorsichtigkeit das Bein, und als er sah, daß er seinen Partner hinderte, zerblies er sich den Hin­terkopf in Atome, indem er den Revolverlauf in den Mund nahm und abdrückte. Einige Greenhorns, Tenderfeet und Chechaquas, wie Neulinge in Nordland zusammenfassend ge­nannt werden, blieben schon nach den ersten hundert Kilo­metern zurück. Kein Mensch dieser goldgierigen Horde küm­merte sich um sie. Mögen sie krepieren, was, zum Teufel, schiert's uns! Warum sind sie denn mitgegangen? Vor­wärts ist die Losung, und was hinter uns geschieht, geht uns nichts an. Vielleicht finden jene auch zurück, denn es ist nicht übermäßig kalt, höchstens zehn Grad unter Null.

Korporal Dickens versuchte sein Bestes, aber er konnte

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nichts machen, denn als er daran ging, den ganzen Zug zu stoppen, um Ordnung zu schaffen, lachten ihn die Männer aus. Mit Gewalt läßt sich da nichts ausrichten, und da seine Orders lauten, den Zug zu begleiten, so kann er nicht zurück, um nachzusehen, ob die maroden Chechaquas Moosetown wieder erreichen oder nicht. Die Oldtimers, die die Kara­wane führen, schlugen vom ersten Tag ein mörderisches Tempo an, und sie halten es auch durch. Und trotzdem die Nachfolgenden den gebahnten Weg haben, so ging es doch bei etlichen über ihre Kräfte. Sie schieden aus, kehrten ent­weder um oder versuchten unserer Spur zu folgen, solange heftige Schneefälle diese nicht verwischten.

Die ersten paar Tage tat Dickens alles, die lange Linie, die sich immer mehr auseinanderzog und immer größere Ab­stände zwischen den einzelnen Gruppen bekam, im Auge zu behalten. Er lief hin und her, war bald an der Spitze, bald am weit zurückliegenden Ende; er versuchte mit zu­sammengebissenen Zähnen des Abends die Karawane voll-Zählig im Lager zusammenzubringen. Schließlich überstieg es auch seine Kräfte, und er konnte nicht mehr. Ich habe die­sen starken Mann vor Verzweiflung helle Tränen weinen sehen. Er bat, fluchte und drohte. Es half nichts, die rauhen Männer, die das Tempo angeben, weil der Goldteufel auf ihren Schlitten hockt und sie anfeuert, lachten ihn aus. Und da Dickens jung ist, betörten sie ihn väterlich mit ihrer primitiven, gefährlichen Logik. „Falls wir immer halten wollen, wenn ein Tenderfoot schlapp macht oder die dum­men Weiber nicht mehr können, und wenn wir jedem Zurückbleibenden die Milchflasche wärmen und ihn fra­gen wollen, ob er einen Schnuller und ein Bilderbuch braucht — ja, dann, Korporal? — Sehen Sie, beim Teufel, nicht ein, daß letzten Endes die ganze Karawane in die Hölle

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fährt, weil wir alle krank werden und der Proviant nicht ausreicht, wenn wir zu lange Zeit brauchen?"

Der Korporal sah es ein oder tut wenigstens so. Und weil er nicht selbst aus Überanstrengung neben dem Schlitten­pfad liegen bleiben mag, so fährt er jetzt mehr an der Spitze und schaut nicht mehr nach rückwärts. Aber sein Gesicht sieht verhärmt und eingefallen aus. Er macht sich Gedanken. Pflichtbewußtsein und Selbsterhaltungstrieb kämpfen in ihm. Ich glaube, wir werden noch etwas er­leben !

Abends, wenn die Hunde gefüttert sind, hocken wir in den Zelten und essen Speck und Mehlpfannkuchen. Die Tem­peratur wird immer niedriger, und die Nordlichter werden von Tag zu Tag herrlicher. Ich bin nicht müde, sie zu bewundern, und könnte stundenlang draußen auf dem hart­gefrorenen Schnee sitzen und das Farbenspiel über mir an­starren. Aber die Kälte zwingt mich bald dazu, das Zelt und den wärmenden Schlafsack aufzusuchen, den ich mit Jack, meinem wortkargen, gutmütigen Partner, teile.

Wenn ich so draußen sitze, dann gesellen sich die Hunde zu mir, hocken sich neben mich hin, recken die frost­rauchenden Schnauzen in die Höhe und heulen wie hung­rige Wölfe oder wie Seelen, die zu ewiger Melancholie ver­dammt sind. Hoch hinauf schwingen sich die Töne, die in den breiten Brustkästen der Tiere geboren wurden und dampfend ihren Weg in die kalte Luft finden. Dann sinken sie tief und tiefer, daß es an fernes Grollen nahender Erdbeben gemahnt, und schnappen endlich seufzend ab, beginnen wieder; und droben hüpfen unterdessen bunte Sonnen, stehen breite schillernde Bänder, flattern hauchdünne grüne und gelbe Tücher, zucken Pfeilbündel und wandern farbige Wellen­linien. Über den Schnee huscht der Widerschein, beleuch­

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tet blitzartig die Zelte und Schlitten, bringt Hundeaugen zu glühender Phosphoreszenz, und plötzlich mit einem Schlage ist es stockdunkel. Bis dem geblendeten Auge langsam der helle Schimmer der weißen Landschaft entgegenwächst. Meist ist es ganz windstill. Aus einem Zelt dröhnen die Bässe und quirlen quiekende Kadenzen einer Ziehharmonika. Aus dem andern, wo Nordland-Annie und ihre vier Mädel eng wie Sardinen in der Büchse hausen, dringt Kichern und vereinzeltes helles Gelächter. Manchmal schleicht eine dunkle Gestalt an dieses Zelt, Lichtschein zuckt aus der zurückgeschlagenen Klappe, und Annies scharfe Stimme fragt jedesmal: „Nun, können Sie uns nicht in Ruhe lassen? Gehen Sie lieber schlafen, Oldtimer, dies ist kein Tanzpalast!"

Beschämt drückt sich jener. Auch mich hat Annie auf diese Weise fortgejagt, als ob sie mir nie einen Kuß gegeben und nie ein Wildledersäckchen um den Hals gehängt hätte. Die Neugier plagte mich wiederholt, den Inhalt zu untersuchen, aber ich tu's nicht.

Zelt an Zelt, Schlitten neben Schlitten, Schnarchen und Fluchen, Stöhnen und Lachen, dunkle zu Klumpen geballte Hundekörper, kleine Gruppen weißüberzuckerter Nadel­bäume und krumme, kaum fußhoch ragende Weiden mit Stämmen wie verrenkte Gnomen, die im Nordlichtschein zu hüpfen scheinen — so sind die Nächte.

Oft entsteht, wenn alles im süßesten Schlummer ruht, plötzlicher Höllenlärm, und wütend kriechen wir ins Freie, um die sich beißenden Hunde, die eine einzige haarige, fau­chende und heulende Masse bilden, auseinanderzuprügeln. Güte hilft da nicht, ebensowenig wie es je gelingt, zwei ver­schiedene Gespanne zu gegenseitiger Freundschaft zu er­ziehen. Brutale Kraft, Fußtritte und Knüppelschläge sind das einzige Mittel, um Ordnung zu schaffen.

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Wenn die Nordlichter langsam erblassen und der Tag als graues, schattenloses Dämmern antritt, werden die Sachen zusammengepackt, die Tiere angeschirrt und „Heiah!Musch! Heiah, na, so lauft doch, ihr armen prächtigen Biester!" so geht es nordwärts. Sweetwatercreek-Billy führt. Ihm folgen die andern, die oft Bill ablösen, denn das erste Ge­fährt hat die härteste Arbeit. Hinter uns zieht sich die glatte schmale Schlittenspur nach, verliert sich in wellenförmigen Erhöhungen oder in der grauen Dämmerung des matten Lichtes. Schweigend geht es tiefgebückt weiter. Manchmal zittert ein Fluch durch das gleitende Geräusch der Kufen und das Trappeln der Hundepfoten, oder ein Gespann schwenkt aus der Linie, hält an, und ein Mann setzt sich erschöpft auf seinen Schlitten. Einer nach dem andern ziehen wir an ihm vorbei. Seine Hunde winseln und tapfer stöhnt er: „Ich kann nicht mehr, Boys, muß erst ausruhen. Wir sehen uns am Lagerplatz wieder!"

Jeder, der an ihm vorbeistapft, grunzt ihm ein paar rauhe unartikulierte Laute zu, und ich frage mich, ob ich der ein­zige unter diesen Menschen bin, dem dabei die Schamröte in die Wangen steigt.

Manchmal flackert die Energie in Korporal Dickens jäh auf. „Halt, alles hiergeblieben, bis sich der Mann erholt hat!" brüllt er laut. Aber die andern lachen ihn aus, unbekümmert treiben sie ihre Tiere an, und wenn Dickens nicht über­fahren werden will, so muß er mit. Den Mann aber, der da zurückbleibt, um seine Erschöpfung zu bekämpfen, sehen wir nur in den seltensten Fällen am Abend das Lager erreichen.

So werden wir immer weniger. Gestern sagte sich eine geschlossene Gesellschaft von etlichen Mann von uns los. „Wir pfeifen auf den blutigen Goldschwindel und kehren um nach Moosetown!" schrien sie und ließen den Wor­

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ten die Tat folgen. Ich hoffe, daß sie einige von den allein Zurückgebliebenen finden.

Als ich Jack fragte, wie es möglich wäre, daß in Nord­land, wo gute Kameradschaft bis zum Äußersten doch Tra­dition ist, Menschen kaltblütig andere Menschen sozusagen verrecken lassen? Da entgegnete dieser weise Wanderer: „Boy, weißt du, es gibt zweierlei Kameradschaften. Die eine, wenn Männer aufs Geratewohl losziehen und Glück und Un­glück bis zum letzten Atemzug teilen, die ist nicht mit Gold aufzuwiegen. Die andere, wenn Männer einem gesteckten Ziel zueilen, wo Reichtümer winken, die ist keinen Schuß Pulver wert. Das siehst du ja hier. Reitet dich etwa nicht der gelbe Goldteufel, dessen Phantasien dich voll und ganz er­füllen?"

„Du, sag mir, wenn ich jetzt schlapp machte, würdest du mich da neben der Schlittenspur liegen lassen und dem gelben Teufel und seinen verdammten Gaukeleien folgen, ohne dich um mich zu kümmern?"

Er holte tief Atem, ehe er antwortet: „Ich glaube nicht. Müßte zuviel an deine Mutter denken, bei Gott. Wir sind auch schon länger beieinander als dieses zusammengewür­felte Volk hier!"

„Und der Polizist, Jack?" „Der arme Teufel geht zugrunde. Es ist 'ne schwere Sache,

bei der Nordwestpolizei zu dienen, und nicht jeder hält es aus. Die aber übrigbleiben, das sind Kerle!. . ."

Sweetwatercreek-Billy führt bei den Rasten meist das große Wort, und die andern drängen sich um ihn, hängen mit den Augen an seinen Lippen, als wollten sie ihm die schätzeschwangeren Versprechungen förmlich entreißen. Manchmal ist er aber auch verflucht still, und seine Augen sind dann wie abwesend. Man muß ihm auf die Schulter

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schlagen, um ihn in die Gegenwart zurückzubringen. Als Jack dies einmal tat und ihn fragte, wo er denn sei, daß er so träume, stotterte er: „Gold! Hoffentlich ist es noch da, und niemand hat's gestohlen!"

„Mensch!" lachte sein Freund, der riesige Fallensteller. „Du hast doch gesagt, es wäre so viel dort, daß man gar keine Abnahme merkt?"

Billy zuckte zusammen und fuhr sich mit der Hand über die Stirne, dann erwiderte er mit gezwungener Fröhlichkeit: „Ha, ja natürlich, es ist genug da. Hurra für Bittercreek, Boys!"

Die andern brüllten Beifall. Jack aber schüttelte den Kopf und ging nachher zu Annie, mit der ihn eine zwanglose burschikose Freundschaft verbindet, die von seiner Seite jetzt mit offenem Respekt gepaart ist, seit er Tag für Tag sieht, wie die Frauen, ohne zu murren, alle Strapazen ertragen. Ich sah sie miteinander flüstern und sorgenvolle Mienen ziehen. Als ich nähertrat, fingen sie eine gleichgültige Unterhaltung an.

Jack denkt, daß Süßwasserbach-Billy zu jener „dritten Sorte" gehört, von der er mir in Moosetown erzählt hat. Beim letzten Abkochen fragte ich ihn, und er brummte orakelhaft: „Wollen's nicht hoffen, nicht hoffen. Aber wol­len erst sehen!..."

Die Kufen gleiten, Hundepfoten trappeln. Ich renne nach vorne, wo Annie ihr Gespann lenkt.

„Hallo, Miß Annie!" „Gehen Sie zum Teufel, Mann. Was wollen Sie von einer

Lady?" wirft sie über die Schulter. Die neben ihr laufende Gestalt sagt darauf etwas, und Annie wird freundlicher. „Ach, du bist's, Sunnyboy? Ich dachte, es wäre einer von den andern Kerlen, der 'ne Schäferstunde während der Fahrt haben will."

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Neben ihr in Schritt fallend, da die Hunde gerade eine Bodenfalte erklimmen, sage ich: „Annie, mir ist bange, was noch alles werden soll!"

Die andere, die ich erst jetzt erkenne, und die den wun­derlichen Namen Cinderella, also Aschenbrödel, führt, hörte meine Worte und lacht zwischen schnaufenden Atemzügen. Annie schaut mich wieder an. „Geh nur wieder zurück zu deinem Partner. Er ist ein tüchtiger Mann. Hab keine Bange, es wird schon alles gut werden!"

Schlittenkufen gleiten, Hundepfoten trappeln. Es beginnt schwach Zu schneien.

„Na, was macht das alte Mädchen?" empfängt mich Jack und erhält keine Antwort. Der Schnee sinkt dichter, ich kann die Spitze des Zuges schon nicht mehr erkennen. „Zu­sammenbleiben, eng zusammenbleiben!" wird es nach rück­wärts gegeben. „Stapf! Stapf!" sagt der Schnee unter mir. Blindlings taste ich weiter. Jetzt um Gottes willen nicht den Rücken des Vordermannes außer Sicht verlieren. „Musch! Musch, ihr Hunde! Paßt gut auf!"

Sie winseln. Einmal ist es mir, als ob ich rechts von mir im Schneetreiben etwas Dunkles sehe und einen schwachen Ruf vernehme. Nach Stunden schlagen wir Lager auf. Es fehlt ein Mann, der Partner eines Engländers namens Pe­ters. Wahrscheinlich ließ er die Lenkstange los und verlor den Pfad. Gott sei ihm gnädig, denn er irrt nun verzwei­felt dort weit hinten im dichten Flockentreiben umher. Den sehen wir nicht wieder!

Die Zelte stehen, längst liegen die meisten in den Schlaf­säcken oder kauern über den Spiritusöfen. Abgerissenes Ge­lächter, die Töne der Ziehharmonika, Flüche und leises Hundegewinsel dringen an meine Ohren. Immer dichter fällt der Schnee.

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Nachher höre ich Lärm und sehe dunkle Figuren sich bewegen. Es ist Peters, der sich ausgeruht hat und wie durch ein Wunder auf das Lager gestoßen ist.

So f a h r e n s ie d a h i n

Oft ist Nordland eine einzige, ungeheure glatte, von kei­ner noch so geringen Erhebung unterbrochene Fläche. Dar­über dehnt sich der Himmel als graue Glocke aus, und der Schnee wirkt auch grau, und das Licht ist grau. Wir wer­fen keinen Schatten, und da ein dünnes, weiches Polster über der gefrorenen Kruste liegt, schleicht unsere Karawane lautlos wie ein Gespensterzug dahin. Sweetwatercreek-Billy, der wieder die Führung hat, äugt schon lange nach vorne, und als sich dort immer wieder die gleiche eintönige Ebene zeigt, bringt er durch einen Jubelschrei, der echolos und seltsam matt nach hinten weht, die Reihe der Schlitten zum Halten.

„Tritte runter!" heißt es, und steife Finger schlüpfen aus den Fäustlingen, um die Riemen der tennisschläger­ähnlichen kanadischen Schneeschuhe zu lösen. Bald ist alles fertig. Die Hunde wissen, was kommt und geben ihrer Ungeduld durch sanftes schluchzendes Winseln Aus­druck.

„Heiah, oh Musch! Musch!" schreit der vorne wieder, und sofort schlagen sämtliche Hunde einen schwingenden Trab an. Die Schlitten gleiten wie Schiffe durch den schau­migen Schnee, und hinterher, sich an den Lenkstangen hal­tend, rennen die Menschen. Luft pfeift uns um die Wangen, bringt die Augen zum Tränen und dringt wie berau­schendes Elixier in die Lungen. Ununterbrochen geht es so

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dahin. Menschen und Hunde freuen sich, denn es ist herrlich, derart über den Schnee Nordlands zu brausen!

Krächzend fliegen ein paar Raben mit. Ein dunkler Punkt nähert sich rasch, wird zur Form, die ein gewaltiges Ge­weih trägt, und die düstere, aber doch reine Luft läßt einen einsamen Elch erkennen, der dort vorne mit den Hufen nach gefrorenem Moos scharrt. Er ist noch so weit weg, daß er klein wie ein Schoßhund wirkt; aber jede Einzelheit seines scheinbar plumpen und dennoch wohlproportionierten Kör­pers ist erkennbar. Welch ein Braten! — Da bemerkt er uns und geht im schwankenden, aber raschen Galopp ab. Hätten wir tiefen, weichen Schnee, so gäbe es heute abend frisches Fleisch für alle, aber der Elch kommt dreimal so schnell vorwärts als wir. Bald ist er hinter dem grauen Horizont verschwunden.

„Weiter! Heiah musch, ihr prächtigen Huskies!" — Wie sie sich ins Geschirr legen! Unser Schlitten ist der letzte heute, und so genieße ich das ganze schöne Bild der eilenden Hunde, gleitenden Schlitten, schwerfällig laufenden Menschen und flatternden Raben. Man wird warm dabei, und das regt die Lebensgeister an; es ist, als ob man blumigen Wein getrun­ken hätte. Friedliche und schöne Gedanken befallen mich. Ich bilde mir ein, daß, wenn wir so weiterlaufen, plötzlich da vorne die Sonne aufgehen muß.

Da verlangsamen die Tiere ihre gleichmäßige Eile, der Schnee wird tief, und jeder Frieden in mir und den andern verschwindet. Wir halten und binden unter grausigen Flü­chen wieder die plumpen Schneeschuhe an die Füße. Ganz langsam geht es nun weiter. Man braucht wirklich lange Übung, bis man soweit ist, jeden Tag acht Stunden mit ka­nadischen Schneeschuhen laufen zu können.

Täler und Hügelketten umgeben uns. Schmal werden die

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Täler, während ihre Hänge fast senkrecht ragen. Einzelne Schneelasten kommen unverhofft von oben, begraben Schlit­ten, Hunde und Menschen, die dann mit fürchterlicher An­strengung freigemacht werden oder sich aus eigenen Kräf­ten herausrappeln. Viele Weidenbüsche, dick und ineinander­verschlungen, hemmen den Pfad, und manchmal müssen wir abwechselnd nach vorne, um mit scharfen, langstieligen Äx­ten die Bahn durch diese starre Dschungel auszuhauen.

Wind kommt auf, wird zum peitschenden, heulenden Nordoster, der den Neuschnee hochhebt, ihn in stiebenden Wolken und kompakten Massen gegen uns schleudert oder ihn gleich hohen Trichtern um uns herum tanzen läßt. Mit Stöcken fegen wir während des Marschierens von Zeit zu Zeit die weißen Lasten vom Riemengeflecht der Schnee­schuhe. Auf einmal verschwinden die Umrisse der Schluch­ten, sind weggewischt, auch der Himmel ist nicht mehr da. Es herrscht nächtliches Zwielicht, das vom dichten Flocken­gewirbel erfüllt ist. „Beisammenbleiben!" dringen Stimmen dünn und kläglich durch die peitschende Hölle.

Wir sind wieder auf einer Ebene, die Macht des Stur­mes verdoppelt sich, daß ich mich schräg nach vorne legen muß, um überhaupt weiter zu kommen. Vor mir taucht etwas Dunkles, Verwischtes aus dem Schneetreiben auf, unsere Hunde halten aus eigenem Antrieb. Jack und ich kämpfen uns mühsam nach dem Hindernis hin. Es ist ein Schlitten, und Nordland-Annie knüpft davor gerade einen gerissenen Riemen zusammen. Ihr Gesicht, das aus der verschneiten Pelzkapuze herausragt, ist verzerrt, und wilde Flüche drängen sich in ununterbrochenem Schwall über ihre Lippen. Der Sturm reißt die Wörter entzwei, schleudert sie davon, nur ab und zu dringt ein knirschendes „Goddam!" an mein Ohr. Sie winkt uns weiterzufahren,

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aber Jack schüttelt den Kopf, bückt sich und hilft ihr die kleine Arbeit, die aber unter diesen Umständen für sie eine gigantische sein mag, zu verrichten. Ich streichle die Köpfe der Huskies und klopfe beruhigend ihre Flanken.

Wo nur die andern sind? Ob sie halten? Oder irren sie dort vorne im Schneesturm herum, blind, gleich Schiffen im Nebel auf hoher See? Plötzlich läßt der Wind nach, gleichmäßig sinken die Flocken. „Vorwärts. Er macht nur eine Pause. Nachher kommt's um so toller. Warum nur diese Idioten nicht lagern! — Dort sind sie, seht!" brüllt Jack, und in der Richtung seiner deutenden Hand entdecke ich ganz weit vorne dunkle, sich bewegende Massen.

„Musch!" Annies Schlitten setzt sich in Bewegung, der unsere folgt. Nun fallen nur noch vereinzelte Flocken, und die Karawane vorne ist wieder in voller Sicht. Sie hat sich in der alten Formation zusammengefunden: einer hinter dem andern. Da, ein Schlitten schwenkte eben ruckweise aus der Linie, der Treiber macht sich an seinem Packen zu schaffen, und jetzt hat er ein Gewehr in der Hand. Ein heiserer Laut ertönt neben mir. „Er wird doch nicht!" schreit Jack. „Ah, das blutige Schwein! Dieser verfluchte Tierschinder!" klagt er und hastet nach vorne.

Zu spät! Der Mann senkte die Waffe, und ein Schuß knallt matt. Dann sind wir dort, unsere Hunde halten, und Annies Team kommt neben uns zum Stehen. Der Mann, der geschossen hat, ist eben dabei, einen toten Hund aus dem Riemengeschirr zu schneiden. „Die Bestie machte schlapp!" wirft er über die Schulter.

„Warum haben Sie ihn nicht solange auf den Schlitten gelegt damit er sich am nächsten Lagerplatz erholen kann ?" ist Jacks drohende Frage.

Verbissen schaut ihn der andere an. „Damit der Schlitten

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noch schwerer wird und die übrigen Biester schwächt? Was, zur Hölle, geht mich der eine Hund an! Ich will Zum Bitter­creek!" knurrt er gereizt. Jacks mit dem Pelzfäustling beklei­dete Rechte trifft das Kinn des Kerls, er fällt hintenüber und strampelt mit den Beinen, ehe er wieder auf die Füße kommt. Er greift nach dem ihm entfallenen Gewehr, aber Jack gibt ihm einen zweiten mächtigen Hieb gegen die Magengrube. Er kippt wieder um, pfeifend entfährt die Luft seinem Munde.

„Bravo!" ruft Nordland-Annie und lacht hellauf. Der Niedergeschlagene richtet sich langsam empor, sieht

verdutzt zu, wie Jack sein Gewehr auf unserem Schlitten befestigt. „So, im Lager können Sie den Schießprügel wie­derkriegen. Und wenn ich Sie noch mal dabei erwische, daß Sie Ihre Tiere mißhandeln, dann, mein Junge, werden Sie Bittercreek niemals sehen!" Er murmelt etwas, schaut uns aus tückischen Augen an. Panik packt ihn da auf einmal. „Wann, in Teufels Namen, erreichen wir Bittercreek?" kreischt er, und ohne Antwort zu erwarten, wendet er sich ab und bringt seinen Tobogan in Bewegung, den andern nach, die dort als schwarze Figuren durch graues Dämmern ziehen. Es beginnt wieder sachte zu schneien. Gütig und weich fallen reine Flocken auf das tote Tier, und als wir uns nach einer Weile umdrehen, kann man kaum noch den kleinen Hügel erkennen. Nachher treffen wir auf die andern, als sie in einer Kuhle Lager machen.

Kaum ist alles in Ordnung und Mensch wie Tier halb gesättigt — richtig sattessen kann man sich nicht, wenn man Nordlands weißes Schweigen durchzieht — da kommt der Sturm. Vorhin hat er uns nur warnen wollen. Wer jetzt in dieser brausenden schneidenden Hölle dort draußen sein muß, der hat ein ganzer Mann zu sein, weise und erfahren in der Art Nordlands, sonst ist er verloren.

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A s c h e n b r ö d e l

Nun sind wir etliche Wochen unterwegs. Die Zahl der Ge­spanne hat sich beträchtlich vermindert. Die andern? Einige von ihnen mögen Moosetown wieder erreicht haben. Et­liche hatten vielleicht Glück und trafen bei ihrem Umherirren auf ein Nomadenlager oder die Hütte eines Fallenstellers. Nordland liebt plötzliche Überraschungen. Bald droht es mit einsamem Tode, bald rückt es einem gleich einer Wirklich­keit gewordenen Fata Morgana die Rettung dicht vor die Nase, und gerade dann, wenn man sozusagen schon auf Du und Du mit dem Knochenmann steht.

Aber die andern, der große Rest, die da wohlausgerüstet und vom Goldfieber mit Sechsmännerkräften versehen mit uns auf den langen Pfad gingen? Viele schlafen un­term Schnee, und ihre letzten Stunden waren schön und friedlich, von bunten Träumen versüßt. Wenn man in Nord­land vor Erschöpfung stirbt, so schläft man langsam und schmerzlos ein, schläft weiter bis in alle Ewigkeit.

„Was sagst du, Jack? Du meinst, wir sind bald dort?" Er schüttelt den Kopf. „So rasch legt man nicht einige hun­dert Meilen zurück, besonders nicht, wenn man nur zehn Meilen pro Tag schafft, wie es häufig bei uns ist."

„Wo sind wir eigentlich?" „Das weiß der Kerl, den sie Sweetwatercreek-Billy nen­

nen, wohl am besten. Und ich schätze, daß der es noch nicht mal weiß. Mir kommen er und seine Bonanza wie ein großer Bluff vor. Ich kann mir nicht helfen, aber ich hatte von An­fang an das Gefühl. Und nie war's so stark wie jetzt!"

Eine Weile sitzen wir ruhig und ziehen an den Pfeifen. Draußen ist der Sturm, der uns viele Tage an Ort und Stelle bannte, im Abflauen begriffen. Sein schrilles Heulen wurde

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zu schwächerem, aber immer noch anhaltendem Pfeifen. Man könnte aufbrechen, wenn es nicht so grausam kalt wäre, zu kalt, um den Pfad unter die Schneeschuhe zu neh­men. Aber es wird wohl wieder wärmer werden.

Ich war vorhin in Nordland-Annies Zelt. Cinderella liegt dort im Pelzsack und hustet ununterbrochen, als ob sie die Lunge herauswerfen will. Ihre Temperatur schnellte auf zweiundvierzig hinauf, und das schon seit Tagen. Annie schüttelte melancholisch den Kopf, als ich sie fragte, ob Aus­sicht auf Besserung vorhanden sei. „Nicht, wenn das Fieber so bleibt. Und ich fürchte, es wird zu spät sein. Das arme Mädel verbrennt innerlich!"

Fast ohne Unterbrechung durchschnitt das kurze scharfe, abgehackt klingende Husten der Kranken die dumpfe At­mosphäre im Zelt. Bessie, May und Peggy hockten trübselig, eng zusammengedrängt da; und Cinderella lag mit glänzen­zenden Augen und roten Wangen in den Pelzen zwischen ihnen. Wenn der Husten ihr eine Pause gönnte, so phan­tasierte sie von murmelnden Bächen, grünen Wiesen und würzigen Erdbeeren. Manchmal nannte sie einen Namen: „Billy!"

„Sie meint Sweetwatercreek-Billy!" sagte Peggy, die einen dicken Strumpf aus grauer Wolle stopfte. „Sie ist verrückt nach ihm. Letzten Winter fing's an. Und der schmutzige Schuft kümmert sich nicht mehr um sie, seit er sie dann reingelegt hat. Cinderella wollte nach Hause, fünftausend Dollars hatte sie gespart."

„Und die ha t . . . " Bessie nickte mir Zu: „Gewiß, die hat er ihr abgequas­

selt, das Schwein. Wollt ihr's durch 'ne Spekulation ver­doppeln. Natürlich hat er jeden Cent verpokert und ver­soffen. Der Kerl ist verrückt wie nur einer!"

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May setzte das Gespräch fort: „Yes, Boy, ihr Männer seid schon Kerle. Man weiß nie, ob man einen Sauhund oder einen anständigen Menschen vor sich hat. — Na, als der windige Patron neulich mit der Goldnachricht nach Moosetown kam, da packte er Cinderella wieder. Er hat ihr doch versprochen, ihr einen „ganz guten Platz" zu zeigen, wo der gelbe Sand nur so aufgeschaufelt zu werden braucht! Haha. . . "

„Da, Billy, schau die schönen Blumen! Pflück' mir welche. O Billy, du hast mich betrogen um mein Geld!" wimmerte die Kranke und brach in hustendes Schluchzen aus.

„Sei ruhig, Darling!" flüsterte Annie und hielt ihr den Eisbeutel an die Stirne. Dann ging ich, und der teuflische Wind wehte noch so scharf, daß ich die letzte Strecke zu unserm Zelt auf allen Vieren kriechen mußte.

„Ja!" beginnt Jack wieder, während wir die Pfeifen frisch stopfen. „Der Billy vom Süßwasserbach ist sicher ein Bluff, ein verrückter Hund, dem es Spaß machte, eine Goldstam­pede ins Werk zu setzen. Die armen Teufel, die da hinten im Schnee begraben liegen, kümmern ihn nicht. Ich schätze, er zerbricht sich gar nicht den Kopf darüber. Aber an­dere, die jetzt auf seiner Seite sind, werden ihm die Kno­chen im Leibe entzweischlagen, wenn sie merken, daß sie einem Tollhäusler aufgesessen sind!" Seine Augen werden hart, und die Backenknochen treten kantig her­aus. „Was fällt dir denn auf an dieser ganzen Sache, Junge?"

Ich überlege, denn es gibt viele Dinge hier, die mir nicht geheuer scheinen, aber schließlich ist der hervorspringendste Punkt doch dieser: „Alle kommen mir vor wie ein Rudel hungriger Hyänen. Einer gönnt dem andern das Wort nicht, keiner leistet dem andern Hilfe, wenn's nicht notgedrungen

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ist, und die Karawane bleibt doch nur aus dem Grunde zu­sammen, weil die Umstände es bedingen!"

Er schlägt sich gegen den Schenkel. „Richtig, ganz wahr. Wir sprechen nicht miteinander, besuchen einander nicht in den Zelten, gehen um einander herum wie bissige Köter — kurz und gut, die Sache ist faul."

Schweigen sinkt. Der Wind draußen summt nur noch leise. Wir werden sicher bald aufbrechen.

„Cinderella ist sehr krank. Wird wohl bald abschram­men!" sage ich nach einer Weile. Er klopft die Pfeife aus, betrachtet nachdenklich seine knorrigen Finger. „Das arme Aschenputtel!"

Nun erzähle ich ihm, was ich in Annies Zelt über das Mädchen und Billy gehört habe. „Solche Kerle gehören ins Zucht- oder Irrenhaus, aber nicht in unseren sauberen Norden!" brummt er gereizt und ballt die Fäuste. Jetzt ist der Wind nur noch ein leises, sanftes Flüstern. Schwacher Schein wie von grünen und roten Papierlaternen, die drau­ßen geschwenkt werden, schlägt ins Zelt. Ein Hund heult in langgezogener Klage. Andere fallen ein. Ich stecke den Kopf ins Freie. Der Schnee ist in bunte Farben gebadet. Nordlich­ter wandern in rasender Eile über den Himmel und bleiben dann stehen. So müssen Eisblumen an einer riesigen gewölb­ten Glasglocke aussehen, wenn Eisblumen bunt wären!

Aus einem der nächsten Zelte dringen die Töne der Zieh­harmonika. Hula—Hula! Ich muß lachen und neugierig schlage ich die Eingangsklappe zurück. Da sitzt ein bär­tiger Mann mutterseelenallein auf einer kleinen Pro­viantkiste. Neben ihm steht ein gerahmter Farbendruck: Kanakenmädchen mit Blumenketten um den Hals unter Palmen tanzend! — Der Mann stiert vor sich hin, sein Ge­sicht bildet eine schmerzliche Fratze, und aus den Augen

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rinnen Tränen und hüpfen auf den Pelz. Mechanisch drückt er die Tasten und handhabt die Bälge. Plötzlich sieht er mich, seine Züge glätten sich und werden streng abweisend. Die Luft entweicht mit quiekendem Mißton aus dem Instrument. „Was wollen Sie hier, Fremder? Sehen Sie nicht, daß ich allein und ganz woanders bin?"

Der Mann heißt Tom und war ein rauher, aber stets freundlicher Bursche. Jetzt ist er aber genau so eigenbrötle­risch wie die meisten andern. Ein unbedachtes Wort meiner­seits, und er fliegt mir an die Kehle.

„Wollte nur sehen, wie es Ihnen geht, Tom?" Er zeigt die Zähne. „Geh zum Teufel, Rindvieh!" Die Klappe fällt hinter mir zu. Ich stehe unter den Nord­

lichtern, und sofort setzt im Zelt die Tanzmelodie der Süd­seemädchen ein. Nach ein paar Schritten halte ich wieder an. Korporal Dickens macht sich dort im Schnee mit seinen Hunden zu schaffen. „Hallo, Korporal!" rufe ich und lege Fröhlichkeit, die ich gar nicht empfinde, in meine Worte. Er schaut auf, nickt nur und wendet sich wieder ab. Ich bin erschrocken über sein Gesicht, das mich sekundenlang an­starrte. Ein gleiches Antlitz sah ich einmal in einem Gefäng­nis in Kalifornien. Ich war dort wegen einer Prügelei an der Wasserfront eingesperrt. Unter uns befand sich ein Huf­schmied, der aus Eifersucht seiner Frau und zwei Kindern die Hälse abgeschnitten hatte. Er bekam lebenslänglich und wartete auf seinen Abtransport ins Zuchthaus. Dieser Mann — Moody hieß er — hat solch ein Gesicht gehabt: leer, hoffnungslos und grauenhaft von innen heraus verwüstet.

Nordland, o Nordland . . .

Und die Nacht verstrich. Wieder ist es windstill. Jack und ich kriechen aus dem Zelt, um es abzubrechen. Ringsum sind Männer mit der gleichen Arbeit beschäftigt. Nordland-Annies

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Behausung steht noch und sie selbst sehe ich im Gespräch mit Sweetwatercreek-Billy und einigen seiner Busenfreunde, Worte kommen durch die kalte Luft zu uns herüberge­weht, böse, harte Worte.

„Nein und nochmals nein, sage ich! Mag sie krepieren, was geht's mich an? Wir brechen auf, das Gold im Bitter­creek wartet auf uns!" schreit einer, und Billy lacht dazu. Annies Stimme plätschert wie ein müder Bach dagegen an. Wieder tobt der andere los: „Nein und verdammt, beim Teufel! Dreimal nein!"

Langsam gehen wir jetzt dorthin, wo sich die andern Männer um die Streitenden versammelten. Annie wendet sich sofort an uns. „Cinderella ist krank, Gentlemen. Ich fürchte, sie wird heute sterben. Alles, was ich wünsche ist, daß wir heute noch hier lagern, damit wir das arme Ding ehrlich im Schnee begraben können. Das ist nicht viel ver­langt, denn ihr alle habt in Moosetown mit ihr getanzt und euch mit ihr unterhalten." Sie schweigt und schaut uns der Reihe nach an. Gerade will Billy den Mund öffnen, da kommt ihm ein riesiger bärtiger, in seiner Pelzparkah wie ein Nordlandsgott dastehender Kerl zuvor. „Quatsch, von wegen begraben. Wenn das Mädel Fieber hat und am Abschnappen ist, so denke ich, daß wir keine Zeit mit ihr verlieren sollen. Legt sie schön weich in den Schnee, und sie schläft ein, ohne daß sie etwas merkt!" brüllt er.

Manche der Zuhörer schütteln wie im Zweifel mit sich selbst bei diesen brutalen Worten die Köpfe. Andere brum­men beifällig und ein paar, die ich mir ganz genau merke, rufen Bravo. Der Riese wird dadurch ermutigt und fordert: „Los also und aufgebrochen. Das Gold wartet auf uns. Wenn wir hier noch mehr Zeit vertrödeln, als wir durch den ver­

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dammten Sturm schon getan haben, so holen uns indessen andere das Gold weg!"

Er hat die Instinkte der Männer an der richtigen Stelle gepackt. Ihre Augen funkeln in gieriger Angst. „Vieh!" sagt Annie, und der Große lacht sie aus. Dennoch sind die Sym­pathien geteilt, und Annie weiß dies wohl auszunützen, indem sie auf die Männer einredet. Schließlich wird jeder Einspruch überstimmt. Das Lager soll noch vierundzwan­zig Stunden stehenbleiben, damit Aschenbrödel in Ruhe sterben kann.

Lachend oder brummend gehen die Männer daran, ihre Zelte wieder aufzubauen. Annie eilt an mir vorüber und ich höre sie knirschen: „Oh, diese Hunde! Diese Hunde!"

Jack zieht mich fort. Wir hocken im Zelt, rauchen und trinken heißen Tee. Erst nach vielen Stunden wage ich es, in Annies Zelt zu gehen. Jack war schon vor mir dort. Sowie ich die Klappe zurückschlage, tönt mir Husten ent­gegen. Er ist nicht mehr hart und trocken, sondern grauen­haft weich und gurgelnd. Cinderellas Gesichtchen ist ganz klein geworden, ich erkenne es kaum wieder. Nur die Augen sind groß und blank. Sie schauen mich an, sehen mich aber nicht. Peggy stopft Strümpfe, May bereitet Pfannkuchen; und es ist so eng, daß eine der anderen im Wege ist.

„Vierundzwanzig Stunden!" beginnt Annie und schüttelt ihr blondes, stark mit Grau durchsetztes Haar. „Wenn sie aber bis dahin nicht . . . " sie unterbricht sich und endet dann leise: „tot ist?"

„Jack und ich werden dafür sorgen, daß nicht eher auf­gebrochen wird, bis Cinderella eingeschlafen ist. Es gibt sicher noch ein paar andere, die der Goldteufel nicht ganz verrückt gemacht hat und die uns helfen. Zum Beispiel der

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Korporal. Wir haben alle Flinten und nötigenfalls kommt's zum Schießen!" flüstere ich energisch.

Nordland-Annie lächelt, dann meint sie wieder ernst: „Korporal Dickens? Boy, der ist nur noch eine wandelnde Hülse, worin der Wille zum Leben als ganz mattes Flämm­chen brennt. — Und Schießen? No, Boy, das gibt's nicht. Ich habe einmal so etwas erlebt in Alaska drüben, das war fürchterlich."

Peggy wirft ihren Strumpf in die Ecke, springt auf. „Girls, ich weiß etwas. Gott, sind wir dumm, daß wir nicht gleich darauf gekommen sind!" Sie flüstert mit Annie, die erst unwillig den Kopf schüttelt, dann lächelt und mehr und mehr von der Idee eingenommen zu sein scheint. „Gut, so geht's vielleicht. Höre, Boy, du und dein Partner Jack, ihr müßt dazu helfen. Wir brauchen vor allen Dingen Holz, um ein großes Feuer anzuzünden, und soviel wie möglich. Die Schlucht, wo wir die Weiden und Nadelbäume sahen, ist ja nicht allzu weit. Macht euch nachher auf die Beine und ladet euren Schlitten voll. Und wenn wir's aber nicht mehr gebrauchen sollten — Gott gebe, daß dies eintrifft — so dürft ihr uns nicht böse sein. Vorwärts jetzt! Musch!" Schon hat sie mich aus dem Zelte gedrängt, wobei sie mich ins Ohr kneift. Ich eile zu Jack, dem ich das ganze Gespräch berichte.

„Holz? Und womöglich wird's gar nicht gebraucht?" brummt er kopfschüttelnd. „Aber was Annie sagt, pflegt Hand und Fuß zu haben. Wir wollen's also tun!"

Eine Viertelstunde später ziehen unsere Hunde den leeren Schlitten gen Süden. Kein Mensch sah uns fortfahren, sie sind alle in den Zelten, und um den Aufruhr ihrer Hunde küm­merten sie sich nicht. Als wir nach Stunden mit einer schwe­ren Last Tannenstämme, denen wir die Zweige abhieben,

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zurückkehren, steht Billy vor seinem Zelt. „Haha, welch ein Spaß. Annies Kavaliere haben das Holz für den Sarg geholt. Gott verdamm mich, ich platze vor Lachen!" brüllt er, und ein paar bärtige, von Pelzkappen umrahmte Gesich­ter fahren aus den Nachbarzelten. Ruhig geht Jack auf Billy zu. Als er nahe genug ist, bringt ihn ein plötzlicher Sprung auf den überraschten Führer. Beide schlagen in den Schnee, Jack ist oben und als er nach einer Minute aufsteht, zeigt sich das Gesicht des Lästerers ziemlich verschwollen. Ein Fußtritt befördert ihn in sein Zelt, und wir warten darauf, daß er mit einer Waffe wieder herausstürzt. Aber er kommt nicht. „Ein feiner Führer!" lacht jemand im Hintergrund.

Jack ruft im Vorbeigehen in Annies Zelt: „Das Holz haben wir geholt!"

Nachher füttern wir unsere Tiere, stärken uns selbst und kriechen in die Schlafsäcke.

Langsam lief die Vierundzwanzigstundenfrist ab. Nord­lichter eilen jetzt über den Himmel oder stehen sprungweise still. Auf Annies Geheiß haben wir das Holz in armlange Stücke gehauen und kleine Scheiterhaufen gebaut, die in der Mitte einen Raum von etwa zwanzig Quadratmetern frei­geben. Jetzt rufen wir die anderen zusammen und wissen selbst nicht warum. Annie kommt und beginnt ohne weite­res: „Männer, das Mädel liegt im Sterben und in fünf bis sechs Stunden wird sie hinüber sein. Ihr bleibt doch noch solange?"

Billy tritt, von seinen Anhängern geschoben, vor. Ich muß auf den Korporal schauen, der teilnahmslos im Schnee hockt, von seinen Hunden umschmeichelt.

„Verdammt wollen wir sein und uns hier hinhalten las­sen. In einer halben Stunde wird gepackt und aufgebrochen. Wer dann nicht mitkommt, bleibt hier und hat selbst Schuld,

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wenn nachher ein Schneefall unsere Spur verlöschen sollte!' Billy fuchtelt mit den Händen umher. — Wenn seine Augen nicht die eines Irren sind, dann bin ich selbst verrückt!

„Wer ist dagegen?" kommt es über Annies Lippen und alles brüllt: „Keiner! Was Billy sagt, ist vernünftig!"

Leidenschaftslos ruft Jack: „Ich bin dagegen!" Sofort stimme ich bei: „Und ich!" Billy zuckt die Achseln. „Pah!" grinst er.

„Und ich bin dagegen!" Korporal Dickens hat es gesagt. Schwankend steht er auf den Füßen und blickt irrend von einem zum andern.

„Pah, was hat die Polizei hier zu sagen? Wir sind freie Männer und kümmern uns nicht um die blutige Regierung!" lacht jemand. Annie hebt die Hand. „Also ihr wollt nicht warten?"

„Verdammt, nein!" platzt Billy heraus. Da lächelt Annie: „Und doch werdet ihr warten, bis die arme Cinderella ge­storben ist. Ihr werdet freiwillig warten!" In das rauhe Ge­lächter hinein spricht sie beschwörend: „Denn ihr werdet etwas sehen, was man noch nie in Nordland, überhaupt in der ganzen Welt noch nicht erblickt hat. In einer hal­ben Stunde von jetzt ab!" Sie dreht sich um und eilt ihrem Zelt zu.

Einer der Männer, der in seiner Jugend auch nicht ge­träumt hat, daß er einst hinter dem Hundeschlitten durch die arktische Nacht laufen würde, ruft ihr halb lachend nach: „Oho, und Ben Akiba?"

Jack und ich sind beschäftigt, die Tannenstämme in Brand zu setzen. Erst machen wir ein großes Feuer und zün­den dann mit dessen Hilfe die andern Scheiterhaufen an. Wozu? Wir haben keine Ahnung. Neugierig sehen uns die anderen zu und machen ihre Glossen. Endlich brennt der

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feurige Ring, in dessen Mitte wir den Schnee glatt stampfen. „Beim Donner, ich glaube, Annie will wie ein Siwashhäupt­ling ein Potlatsch geben!" kichert einer. Und dann helfen uns verschiedene der älteren Männer bei der Arbeit, wäh­rend die andern pfeiferauchend in der Nähe der warmen Flammen herumlungern. Auch die Hunde kommen herbei, hocken eng nebeneinander, Körper gegen Körper, die spit­zen Schnauzen hochgereckt, um den flammenden Kreis. Kein Windhauch weht, das Tannenholz prasselt und gibt süße harzreiche Düfte von sich. Im Hintergrunde stehen die dunk­len Zelte und Schlitten auf dem Schnee. In der Runde ist Schnee, funkelnd, glitzernd und leuchtend wie Millionen Diamanten, zwischen die wahllos Saphire, Rubine und Sma­ragde gestreut wurden. Am Himmel halten oder wandern bunte Nordlichter in mannigfacher Form. Murmelnd stehen die Männer beisammen.

Plötzlich schlägt die Klappe von Annies Zelt zurück. Ein „Ah!" bricht über viele Lippen und nun weiß ich, daß Annie recht hatte. Wir sehen etwas, das noch nie dagewesen ist, und diese goldhungrigen, an Leib und Seele verwilderten Männer werden sich nicht mehr weigern, im Lager zu blei­ben, solange die Frauen es wollen.

Dort kommen sie! Voran Annie in ihren Pelzhosen und der Parkah. Und hinter ihr die drei Mädchen, wie Squaws von Kopf bis Füßen in Decken gewickelt und so schnell sie können in den Feuerkreis laufend, in dessen Mitte sie stehen bleiben. Sie werfen die Hüllen ab und wieder ertönt ein „Ah!"

Ich reibe mir die Augen, damit ich wirklich glauben kann, was sie sehen. Donnerwetter, das sind ja die Hostesses aus Moosetown in schmiegsamen Seidenroben, Seidenstrümpfen und Tanzschuhen mit Wolkenkratzerabsätzen, die nackten

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Schultern und Arme mit allerlei glitzerndem Schmuck be­hangen; und trotz der fauchenden Flammen, die im Ring züngeln, klappern die Mädchen vor Kälte. Aber bei nähe­rem Zusehen ist das seltsame Bild, das diese drei Mädchen bieten, nur wie ein grimmiges höhnisches Zerrbild jener Erinnerung aus der lichterfüllten, warmen, von Musikklän­gen wogenden Bar zu Moosetown.

Im engen Zelt, wo sie sich nicht rühren konnten, ohne gegeneinander oder an die Sterbende zu stoßen, haben sie sich geschmückt, um goldhungrigen Männern für eben diese Ster­bende eine letzte Stunde und ein Nordlandsbegräbnis abzu­trotzen. Bei armseligem Kerzenschimmer, mit winzigen Taschenspiegeln werden sie sich geschminkt und gepudert haben. So kommt es, daß ihre Gesichter, in denen die Schminke durcheinander läuft und teilweise unter dem Pu­der die gelbgraue ungewaschene Haut und die von Strapazen eckig gewordenen Backenknochen hervorragen — daß diese Gesichter, an deren Weichheit zu Moosetown ich gerne denke, nun zu grotesken Masken geworden sind. Ihre Lip­pen sind zusammengekniffen, fürchterlicher Hohn lacht aus den Augen der einen, während der andern Tränen, die sie rauh wegwischt, über die Wangen kollern.

Und nun lächeln die drei, lächeln wie die Yoshiwara­girls im Lande Nippon, wenn sie in ihren Bambusgitter­käfigen sitzen und weiße Matrosen anlocken. — Die Männer stehen atemlos da. Endlich patschen sich einige auf die Pelz­hosen, während ein paar Ältere kopfschüttelnd murmeln und ratlose Gesichter machen. Lächelnd stehen die drei im Feuer­kreis. Um diesen drängt sich der Ring bärtiger Männer und die Meute der zottigen Hunde. Riesige Nordlichtglorio­len strahlen über unsern Häuptern. Die drei lächeln und warten.

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Nordland-Annie ruft: „So, ich gehe jetzt, das arme Kind pflegen und ihr in ihren letzten Stunden beizustehen. Ihr aber, ihr verfluchte Höllenbrut, die ihr Männer sein wollt — ihr könnt so lange tanzen!"

Ein Orkan von rauhen Beifall brüllenden Stimmen be­gleitet die Frau, die aufrecht, ohne sich umzusehen, in ihrem Zelt verschwindet.

Der Kerl, der die Ziehharmonika besitzt, rennt wie ein Wilder, um sie zu holen. „Come with me home, my darling!" schmettern dann die schrillen Töne, und schon hat jedes der drei Mädchen ihren Partner, der sie im plumpstampfenden Tanze jubelnd dreht. Andere Männer fassen sich paarweise an und stampfen mit. Nur wenige der Älteren bleiben stehen und schauen betreten zu. Auch Jack und der Polizist stehen außerhalb des Feuerkreises, dazu Dutzende schnaufende, mit den roten Zungen pendelnde Hunde, die sich so dicht als möglich der wunderbaren Wärme nähern. Wir stehen eine Weile starr und betrachten staunend das Bild, wobei ich nicht weiß, ob ich's für schön oder unsagbar häßlich neh­men soll. Ich beginne auf Jacks Weisung die Feuer zu schü­ren und zu füttern. Keiner von den andern kümmert sich darum. So wie sie sonst vom Goldteufel besessen waren, hat sie nun der Tanzdämon und der Hunger nach Frauen, deren nackten Schultern und duftender Seide in den Krallen. Ununterbrochen quiekt, schrillt und brummt die Ziehhar­monika, deren Eigentümer in der Mitte des Gewoges hin-und herhüpft und die Bälge zieht.

Rauch mischt sich mit Flammen; ganz feine vom Himmel sinkende Schneesterne breiten einen durchsichtigen wogen­den Schleier vor die Tanzenden, und das Bild ist plötz­lich wunderschön, da die grellen Kontraste nun in eine ruhige Farbensymphonie verschmolzen sind. Es ist wie ein

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Märchen! Ein Märchen von bärtigen Männern, zottigen Hun­den und Feen, die unter den bunten Fächern und Schärpen der großen Nordlichter tanzen. — Und dann wieder, wenn der Rauch sekundenlang fortwirbelt, die Flammen klarer brennen und die Schneesternchen nachlassen, ist's brutale unwirkliche Wirklichkeit.

Die Männer denken nicht an Rast, sie müssen tanzen. Manchmal brechen sie in gellende Jubelschreie aus, und das Stampfen ihrer schweren Mukluks auf dem harten Schnee klingt wie das Händeklatschen barbarischer Bacchanten. Immer wieder betrachte ich die Gesichter der drei von Arm zu Arm fliegenden Mädchen. Ihre Lippen lächeln immer noch, sie sind zu einer Art krampfhaftem Lächeln verzerrt; aber in den Augen glitzert kalte Wut und tiefste Verachtung. Wenn ich mit einer solchen Frau tanzen müßte, würde ich jeden Augenblick einen Dolchstoß in den Rücken erwarten — ungefähr so ist mir zumute; und doch packt auch mich bereits der wilde Rhythmus, peitscht mein Blut auf, in mei­nen Ohren ist ein betäubendes Dröhnen. Da, eben schwingt sich der Korporal in den Kreis! Einige der Oldtimers treten auch schon unruhig von einem Fuß auf den andern.

Jack ist wie aus Eisen, ruhig steht er da, pafft an seiner Pfeife, und ein weltentrückter Ausdruck breitet sich über sein Gesicht aus. Hunde heulen, Dutzende von ihnen. Mit im spitzen Winkel erhobenen Schnauzen sitzen sie da und heulen zum Steinerweichen; andere balgen sich um die wärmsten Stellen, daß die Haare aus ihren Pelzen stieben. Nordlichter flammen rot, grün, blau und gelb. Fichtenscheite brennen mit hellen Zungen. Die Ziehharmonika dudelt. Durch das Schweigen Nordlands braust, wogt und huscht eine tolle, unwirkliche Orgie von Tönen und Farben, wie sie keine noch so krankhafte Phantasie zu erfinden vermag.

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Ich eile nach Annies Zelt, denn sonst verschlingt mich der Teufelstanz da im Feuerkreis. Cinderellas Kopf liegt in Annies Schoß. Die Kranke atmet schwer und stoßweise, doch über dem merkwürdig klein gewordenen Gesicht liegt bereits der heitere Frieden des Todes. Annie ruft — denn man muß rufen bei dem Getöse der Männer, das draußen die bunte Nacht der Nordlichter in Aufruhr versetzt: „Oh, Boy, das arme Wesen schläft ein. Und statt daß ihre Freun­dinnen bei ihr sitzen können, müssen sie draußen mit diesem menschlichen Viehzeug tanzen, damit Cinderella in Ruhe begraben wird und wir nicht von den goldhungrigen Bestien zurückgelassen werden!"

„Es ist ein anderer Hunger, den die jetzt in sich haben, Annie!" schreie ich zurück und sie nickt. „Ich weiß wohl Bescheid, Boy, aber warum gehst du nicht wieder hinaus? Hier bist du mir altem Weibe nur im Wege. Und das, was du draußen siehst, erblickst du nur einmal im Leben. Geh nur, schau dir die Farben an und die Gesichter. Vergiß nicht die Gesichter, davon wirst du viel lernen können."

Ich setze noch den Topf mit Schnee auf den Hartspiritus­kocher, stelle Whisky, Zucker und Gewürz bereit, denn nachher müssen die Mädels einen steifen Grog trinken und gleich, ohne sich erst umzuziehen, in die Schlafsäcke krie­chen; sonst haben sie alle drei morgen dieselbe Krankheit, an der heute Cinderella stirbt. Nun gehe ich, die Feuer zu schüren, sehe Jack und die Alten außerhalb derselben gleich Bildsäulen stehen und innerhalb des Ringes erschöpfte, dabei wie verrückt lachende Männer liegen. Die andern tanzen weiter. Der Musikant spielt Märsche, Steps, Foxtrotts und Tangos, Walzer, Galoppaden und altmodische Mazurkas. Ein Stück geht ohne Pause in das andere über, und wenn sein Repertoire erschöpft ist, so fängt er wieder von vorne

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an. Und die Tanzenden hüpfen weiter, kümmern sich nicht im mindesten um den Rhythmus, sondern stampfen ein­fach von einem Bein aufs andere. Viele haben die Parkahs abgeworfen. Es muß warm sein in dem Kreise, obwohl die Feuer schon niedriger brennen und kein neues Holz mehr da ist . . .

Sind es Stunden, die vergehen, während ich neben Jack stehe und mein Blick wie hypnotisiert den lächelnden Mäd­chen mit den drohenden Augen folgen muß? Ich weiß es nicht. Aber auf einmal sind die Feuer nur noch kleine, dunkelglimmende Haufen auf zischendem Schnee. Und dann, ohne daß ich sie kommen sah, steht Annie im Kreise. „Auf­hören, Cinderella ist tot. Alles aufhören!" tönen hell und klar ihre Worte.

Die Tanzenden halten keuchend inne und wischen sich den Schweiß von den Gesichtern. Bessy, May und Peggy entwinden sich ihren Tänzern, wickeln sich erschöpft und erhitzt rasch in ihre Decken. Nur der Mann mit dem Ma­trosenklavier spielt gleich einem Besessenen weiter und lacht dazu: „Ich will aber noch meinen Spaß haben! Verdammt derjenige, der mir das nicht gönnt!"

Annies Hand fährt in den Pelz, zuckt mit dem Revol­ver heraus, der Schuß knallt kaum hörbar durch das Hunde­geheul. Zischend entweicht die Luft aus den zerschossenen Bälgen und die Ziehharmonika ist entzwei, wird nie wie­der ertönen. — Schade! Ihr Besitzer läßt sie fallen, er ist ernüchtert. Die andern starren sich verdutzt an.

„Kommt, Girls!" Annie wendet sich ab, und die Frauen eilen ihrem Zelt zu. Peggy bleibt noch. Während alles be­treten schweigt, schluchzt sie: „Diesen Tanz will ich euch gedenken, falls wir alle am Leben bleiben! Oh, statt bei mei­ner Freundin sitzen zu können, mußten wir uns hier von

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euren schmutzigen Händen und schmutzigen Gedanken be­tasten lassen. Oh!" Mit lautem Schluchzen läuft sie ins Zelt. Dumpfes Schweigen herrscht, dann geht einer nach dem anderen, ohne ein Wort zu sagen. Kleine Häufchen ster­bender Funken zischen. Haarige Hunde balgen sich und Nordlichter eilen unermüdlich über den Himmel.

Stumm kriechen Jack und ich in unsern Schlafsack.

Die M e i n u n g t e i l t s i ch

Wir haben sie weich und tief gebettet. Erst wurde der Schnee entfernt bis graues gefrorenes Moos zutage trat, Spitzhacken vollendeten das Grab, und da hinein legten wir, in ihre Pelze gehüllt, die arme kleine Cinderella. Aschen­puttel!

Korporal Dickens sprach ein Gebet, und nachher wurde sie zugedeckt. Wir errichteten ein rohes Kreuz zu Häupten die­ser letzten Ruhestätte in Nordlands weißer Einsamkeit. Schlagartig werden das Frühjahr und darauf der kurze Sommer kommen und bunte Blumen aus dem Moose locken, während fröhliche Bäche und Quellen murmelnd gen Süden hasten. Hoch oben am blauen Himmel fliegen mit tönendem Ruf und schwirrendem Gefieder die Dreieckformationen tau­sender Wildgänse und Zehntausender anderer Vögel nach Norden, um sich dort, ungestört von Menschen, dem Brut­geschäft und der Aufzucht ihrer Jungen hinzugeben. Fluß­auf wälzt sich der herrliche Wanderzug der springenden Lachse. Rücken an Rücken, Flosse gegen Flosse, prächtige, pralle, schuppenglitzernde Körper, gleich schimmernden Ka­tapultgeschossen die Fälle und Schnellen überwindend. Und die Mitternachtssonne strahlt Tag und Nacht, das Rotkehl­

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chen singt vierundzwanzig Stunden lang, ehe es eine kleine Pause macht, um von neuem loszuschmettern. Aschenputtel aber schläft.

Dann nahen die ersten Herbststürme, die Lachse kom­men matt und entfärbt langsam dort hinabgetrieben, wo sie vor Wochen in wildem, fröhlichem Übermut aufwärtsschnell­ten. Trompetend ziehen Wildgänse und die ganze befiederte Schar dem warmen Süden zu. Die Sonne hat zwei Neben­sonnen, die man in Nordland Sonnenhunde nennt. Alle drei verstrahlen sie seltsam rotglühende Dämmerung, und eines Tages ist es wieder grau und eintönig; schemenhafte Lichter flüchten manchmal von Süd nach Nord, und eine weiße Decke legt sich über alles. Die lange Nacht ist gekommen.

Cinderella aber schläft und niemand weiß mehr, wo sie ruht, denn jenes einfache Kreuz aus Tannenästen hat längst der eisige Wind gestürzt und voneinander gerissen . . .

„Musch, musch! Heiah, so lauft doch, ihr verfluchten sü­ßen Köter! Lauft und bleibt stark, denn ohne euch sind wir nichts. Heiah, oh, heiah!" Mit diesem Singsang treibt Jack unser Gespann an und wir eilen hinter den anderen her. Als ich mich nach einer Weile umdrehe, hat das graue Däm­mern schon den schwarzen Strich des einsamen Kreuzes verschluckt. Nordland-Annie und ihre drei Girls bewegen sich einige Schlitten vor uns. Ich möchte mich gerne mit Jack unterhalten, aber es ist so anstrengend, die schweren Schneeschuhe ohne Rast zu heben, niederzustampfen, wieder zu heben und so fort, bis man selbst nicht mehr richtig den­ken kann. Meine Gedanken rasen mir gleich Windmühlen im Kopf herum. An alles Mögliche versuche ich mich zu er­innern, aber immer wieder sehe ich das klein gewordene stille Gesicht Cinderellas vor mir, wie es in Annies Schoß liegt, während draußen unter Nordlichtern die Männer mit

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geschminkten Puppen tanzen. Ich sehe die Augen dieser menschlichen Puppen, und ein Schauer läuft mir den Rücken hinab. Wehe den Männern, die an jenem Tanze teilnahmen! Wehe ihnen, wenn sie Gold finden, eine Siedlung gebaut wird, und wenn geschminkte Frauen wieder in ihre Rechte und Herrschaft treten, jene Herrschaft, die im Nordland noch viel größer ist als anderswo!

Raben fliegen kleine Strecken vor uns her. Ein Fuchs schleicht, den Leib eng an den Schnee gepreßt, seitwärts hinter die weißen Hügel. Eine Gruppe tiefgebückter Weiden schwimmt uns über die sonst eintönige Fläche gleich einer Insel entgegen und versinkt hinter uns, wo Grau und Weiß zusammenfließen. Weißbeschneite Felsformationen, nur dort schwarz, wo messerscharfe und steile Grate den Flocken keinen Halt boten, tauchen auf und unter. Hügelketten, wie ungeheure gigantische Saurier mit weißen Pelzen, dräuen aus der Ebene. Ein Windstoß stellt einen hohen Trichter aus wirbelndem Schnee dicht vor uns hin, und dieser sinkt, als der erste Schlitten ausbiegt und die Karawane wie ein Rin­gelwurm nachschlängelt, plötzlich zusammen. Eine zweite Bö, die etwas länger anhält, hüllt uns in stiebende Eis­nadeln, die gleich dem prickelnden Pfeilregen einer arkti­schen Pygmäenarmee gegen uns klirren. Und wieder ist's ruhig. Nordland holte nur sacht Atem, um uns armseligen Menschlein eine Probe seiner Macht zu geben. Als ob wir diese nicht kennen, haha! Dennoch sagt mir ein Instinkt, daß wir Nordlands richtige Kraft noch nicht erfahren ha­ben, sonst würden wir, wie so viele andere, jetzt irgendwo vergessen und unbekannt unter der weißen Decke schlafen.

Auf was für Ideen ich doch komme, während ich so qual­voll Fuß nach Fuß lüpfe, während Schlittenkufen schlei­fen und Hundepfoten trappeln!

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„Heiah, musch!" klingt es dünn, beinahe klagend zu mir zurück. Und ich sehe, daß die vorn Gehenden gerade in einem Gewirr weißer Hügelchen, die teils rund und teils eckig sind, verschwinden: Felsblöcke, denen der Winter Schneemäntel und Mützen überstülpte. Manche liegen der­art übereinander und so zusammengewürfelt, daß es sehr schwer wird, hindurchzukommen; dabei sind es so viele, daß das Auge sie nicht übersehen kann. Auf weite Strek­ken hinaus sind ihre Zwischenräume mit Weiden ausge­füllt, armdicken Bäumchen, gekrümmt und knorrig, dabei Stamm um Stamm geschlungen, als wollte einer den andern gegen die wilden fegenden Stürme stützen. So bilden sie eine Art Ganzes, beinahe wie Lianen in den Tropen. Und wie dort, so muß man sich hier auch hindurchhauen. Das Holz bricht und splittert wie Glas. Manchmal heult ein em­pörter Hund, den solch sausendes Stückchen traf, oder ein Mann, dem die Wange blutig geritzt wurde, lästert ent­setzlich. An diesen Stellen lassen wir unsere Tobogans stehen, ergreifen die Äxte und eilen nach vorne. Man löst einander ab, damit die schwere Arbeit nicht immer von denselben Männern geleistet wird. Nur Nordland-Annie und ihre „weibliche Besatzung", wie wir sagen, bleiben ver­schont. Sie hocken sich möglichst dicht bei den Schaffen­den auf den ersten besten Schlitten und paffen Zigaretten. Blauer Qualm oder Worte beißenden Hohns fließen über ihre Lippen. Das ist der Beginn ihrer Rache für den Tanz unter den Nordlichtern!

Dem Weidengewirr folgt dichter niederer Nadelwald. Je­der Baum ist von oben bis unten mit weißem Guß überzogen. Viele Raben steigen empor, krächzen und sinken wieder aus dem Gesichtskreis. Sie sind ungelenk von der Kälte, des­halb folgen uns diese schwarzen Vögel immer nur auf kurze

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Entfernungen. Schluchten und Engtäler, in denen wir uns auf gefrorenen Bächen den Weg suchen, lösen den Nadel­wald ab. Miniaturlawinen, vom Klange unserer Stimmen ge­löst, bedecken uns mit ihren plötzlich herabsausenden Mas­sen. Jemand fängt vor Verzweiflung an zu singen, aber er gibt es bald wieder auf. Die Steilwände schleudern mat­tes müdes Echo zurück. Dann breitet sich wieder die Ebene wellenförmig aus, und die Hunde brummeln vergnügt. Ich muß sehr viel an Billy denken, Billy, der uns zum Gold führt. Billy, der so schweigsam wurde.

Endlich hält der führende Schlitten, und sämtliche Tiere setzen sich sofort in den Schnee, damit sie abgeschirrt wer­den. Das übliche Geheul folgt und das zänkische Knurren der feindlichen, übereinander herfallenden Gespanne. Män­ner mit Knüppeln stehen in einer wogenden Brandung haari­ger Hundekörper, schlagen zu, rechts und links. Dann herrscht Ruhe und kinnbackenknackende Abfütterung. Die Tiere rollen sich behaglich in tiefe Schneekuhlen, um zu schlafen.

Männer gehen von Zelt zu Zelt. Der mit der Ziehhar­monika sitzt auf seiner Kiste vor dem Bilde tanzender Hulamädchen und versucht mit finsterer Miene das In­strument zu flicken. Vergeblich! Wütend schleudert er es ins Feuer, das er aus Weidenstämmen vor seinem Zelt ent­fachte.

Jack war mit der Flinte hinter den Hügeln, um frisches Fleisch zu erjagen, aber er ist mit leeren Händen zurück­gekehrt. Ich muß ihm nochmals heißen Tee kochen. Seine Hände sind steif und blau, weil er die Fäustlinge ausgezogen hat, um schußfertig zu sein, als er glaubte, ein Tier gesehen zu haben.

Im Triumph brachte eben jemand eine arg verrostete zu­

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geschnappte Falle herbeigeschleppt. Dort hinter dem ersten Hügel hat er sie gefunden. „Sicher sind Pelzjäger in der Nachbarschaft!" jubelt er. Doch es gibt unter uns mehrere, die diesen Beruf ausübten, ehe Sweetwatercreek-Billys Nachricht sie dem Dämon Gold verschrieb. Sie sagen, die Falle wäre schon mehrere Jahre alt und seither nicht ge­braucht worden. Derjenige, der sie hinterließ, weilt also längst nicht mehr hier in der Nähe.

Manchmal erzählt Billy prahlerisch eine Geschichte, bricht plötzlich ab, und wenn sie ihn weiterfragen, so schreit er: „Gold! Gold!"

Dünn und schaurig dringt der Jagdruf umherstreifender Wölfe aus weiter Ferne ins Lager. Alle Hunde sind im Nu auf den Beinen und kauern sich mit gesträubten Haaren in dichter Nähe von Zelten und Menschen nieder. Sie fürch­ten und hassen Wölfe.

Das Gaukeln und Hüpfen sattleuchtender Nordlichter be­ginnt wieder. Jack ist inzwischen warm geworden, und die Hunde beruhigten sich, denn der Meutenruf der freien Tiere der Wildnis ist längst verstummt. „Schau mal nach, was die Mädels machen. Du bist doch jung, und Peggy scheint mir recht hübsch zu sein!" fordert er mich auf. Ich wollte schon längst Annies Zelt aufsuchen, dachte aber, er würde es mir übelnehmen. Er liebt es nämlich manchmal, pfeiferauchend im Schlafsack zu liegen und mir Geschichten von Nordland zu erzählen, das er über ein Jahrzehnt durchstreift hat. „Zwölf Jahre, mein Junge, auf der Jagd nach Gold! Habe manchmal genug gehabt, es aber wieder verloren. Bleib ja nicht hier, Junge, sonst geht's dir auch so! Bist guter Leute Kind, und es wäre schade um dich! — Und Billy ist ver­rückt!" pflegt er seine Erzählungen jedesmal zu beenden, erreicht aber damit gerade das Gegenteil von dem, was

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er bezwecken will. Der Zauberkreis, den Nordland über mich warf, wird nur immer größer und dichter.

Draußen, um ein Feuer, das sie aus mitgebrachten Wei­denknüppeln entfachten, stehen dunkle Gestalten. Erregte Stimmen ertönen, doch ich kümmere mich nicht darum. Mich zieht's in Nordland-Annies Zelt, denn Peggy ist wirklich hübsch, und ich ertappe mich oft in Gedanken an sie. Kaum habe ich mich in die steifgefrorene Segeltuchbehausung ge­zwängt, wo die Wärme von vier Personen und einem Koch­ofen die Temperatur auf beinahe Null Grad hob, ruft eine Stimme: „Raus hier, aber schnell, sonst kriegen Sie einen Kochtopf an den Hirnkasten!"

„Aber Peggy, es ist doch der junge Kerl, mit dem du zu­letzt in Moosetown so dick warst. Er hat nicht mitgetanzt!" beschwichtigte Annie und fordert mich auf: „Nur näher, mein Junge. Peggy ist immer noch erregt, und das kann man ihr nicht verdenken!"

Ich lasse mich nieder, komme eng neben Peggy zu sitzen, denn das Zelt ist sehr klein. „Sei nicht böse!" fängt sie an.

„Bin ich nicht, Peggy!" „Sag, warum bist du eigentlich in dieses verfluchte Land

gekommen, wo die Menschen werden, wie sie vor zehntau­send Jahren waren?" fragt sie, indes Annie mir eine Blech­tasse mit heißem Kaffee reicht.

„Ich weiß es eigentlich nicht!" Sie schüttelt den Lockenkopf. „Na, ich meine es gut mit

dir. Mach, daß du bei der ersten Gelegenheit nach Süden kommst, nach Kalifornien oder sonst wohin, wo es nette Mädel gibt. Ich will dir das Geld für den Steamer geben, falls wir alle diesen Ausflug überleben."

Warme Dankbarkeit wallt in mir auf. „Das ist wirklich lieb von Ihnen, Peggy. Aber hier gibt's auch hübsche Mä­

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dels. Zum Beispiel Sie! Und wenn Sie mitkommen würden nach Kalifornien, so würde ich . . . " ich fange an zu stottern und schweige. Sie blickt mich mit einem neuen Ausdruck an. „So würdest du für mich arbeiten! wolltest du sagen?"

Auf mein Nicken lacht May: „Greif zu, Peggy, der meint's ehrlich, Goddamn!"

Nordland-Annie schaut mich freundlich an, und Peggys Hand liegt plötzlich auf der meinen. Die ihre ist kleiner und schlanker, aber sonst genau so mit Fett beschmutzt wie meine. Sich waschen in Nordland auf dem Tausendmeilen­pfad durch Kälte und Finsternis? Das gibt es nicht oder doch nur selten. Es ist zu kalt, und der Brennstoff zu rar.

„Darling, schlag dir das aus dem Kopf, ich muß hier­bleiben. Du bist auch zu jung für mich. Und könntest du mich in Kalifornien mit der Arbeit deiner Hände durch­bringen? Weißt du, ich brauche viele teure Kleider, Schmuck, Kaviar und Sekt. Ich bin's nun mal so gewöhnt, wenn ich auch jetzt wie eine Vogelscheuche aussehe. — Aber lieb war's von dir, was du gesagt hast." Sie beugt sich zu mir, und plötzlich fühle ich einen warmen Kuß.

„Sie sind aber keine Vogelscheuche, sondern das schönste Mädel, das ich kenne!" sprudele ich lebhaft. Alle vier Frauen lachen herzlich, und Annie schenkt meine Tasse abermals voll. „Wie alt bist du denn, Ernest?"

„Nu, so fünfundzwanzig. Und ihr nennt mich immer Boy!" brumme ich. Wieder lachen sie, und Bessie meint dann, daß man mit Fünfundzwanzig immer noch ein Boy sei, besonders in Nordland. „Du mußt dir's schon gefallen lassen, daß wir dich bemuttern. Und wenn wir alle lebend zurückkommen in die Siedlungen, dann sollst du's gut haben. Wir werden dich auf die Füße stellen, verlaß dich drauf!"

„Hm, vier Mütter! Und eine immer hübscher als die

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andere!" Der Kaffee hat mir Mut gemacht, und ich ende mit den Worten: „Drei will ich mir gefallen lassen. Aber viere? Und der Kuß, den Peggy mir gab, war durchaus nicht mütterlich!"

„Schwerenöter!" kichert sie, und Annie lacht Tränen. „Paß jetzt einmal auf. Vorläufig sind wir alle in der

Patsche, denn ob wir Bittercreek finden und dort wirklich Gold antreffen, das weiß nur Billy, und der gefällt mir jeden Tag weniger," sagt sie.

„Jack meint, er ist wahnsinnig und sieht Geister!" ent­gegne ich, und Annie nickt eifrig: „Das ist's! — Also es kann noch böse Dinge setzen, und ich glaube nicht, daß allzuviel anständige Kerle unter der ganzen Bande sind. Wir können nicht jedesmal einen Ball auf dem Schnee arrangieren, um ihre Launen umzustimmen. Ihr beide, Jack und du, müßt immer in unserer Nähe bleiben. Verstehst du? Und dich ernennen wir speziell zu unserm Kavalier! Ist's nicht so, Girls?"

„Ja, ja!" stimmen die andern eifrig bei. „Na, dann möchte ich wenigstens noch einen Kuß!" rufe

ich, und wieder lachen sie wie toll. „Kommt, er soll seinen Kuß kriegen. Von jeder einen!"

fordert May auf. Und so geschieht's. Den ersten erhalte ich von Peggy unter Lachen und Kichern. Dann folgen Bessie und May, und schließlich besiegelt Annie den Bund mit ihren welken Lippen, wobei sie mich an beiden Ohren reißt. Und draußen schwellen in der Zeit die Stimmen der Männer an, und Hunde heulen dazwischen.

„Wir wollen doch mal nachsehen, was schon wieder los ist!" meint Annie aufhorchend und stülpt die Kapuze der Parkah über. Alle treten wir ins Freie.

Am fast niedergebrannten Feuer gestikulieren sämtliche

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Männer des Lagers um den in ihrer Mitte stehenden Sweet­watercreek-Billy. Dieser sieht uns kommen und ruft: „Seht den langbeinigen German. Was hat der naseweise Kerl immer im Zelt der Ladies zu suchen?"

„Nu, er ist doch Holzhacker und Feueranbeter bei ihnen!" lacht einer. Ein paar andere wenden sich uns zu, doch der riesige Fallensteller, der noch vor kurzem Billys engster Kumpan war, brüllt: „Maul gehalten und bei der Sache geblieben. Willst wohl der Geschichte eine andere Wendung geben, he? Das glückt dir nicht, mein Herzchen, eher fresse ich einen Schlitten samt Hunden!"

„Gut, daß wir alle beisammen sind. Die Ladies auch. Fehlt keiner?" knurrt ein anderer.

Es sind alle da, selbst Jack kroch aus seinem Pelzsack. „So, nun erzähle nochmals, was du vorhin gesagt hast!"

wird Billy aufgefordert, und als er sich achselzuckend wei­gert, recken sich ein Dutzend pelzverhüllte Fäuste unter seine Nase. „Na, also sperrt eure Dreckohren auf!" zischt er da und fährt fort: „Ich habe erklärt und halte noch fest daran, daß ich an Landzeichen merke, wie wir uns dem Bittercreek nähern. Aber trotzdem bin ich im unklaren und muß erst überlegen, welche Richtung wir morgen einschlagen müssen!"

Plötzlich lacht er hellauf: „Und wie wär's, wenn ich euch das Gold gar nicht zeige? Es ist schönes Gold, alles gelbes, glänzendes Gold. Und alles ist mein. Mein! hört ihr? — Haha, ich zeig's euch nicht!"

„Wenn ihr jetzt nicht einseht, daß der Kerl total verrückt ist, dann seid ihr die dümmsten Menschen, die je auf der alten Erde herumliefen!" sagt Jacks trockene Stimme, und May, deren Nerven in der letzten Zeit ein bißchen zu viel gelitten haben mögen, kreischt laut: „Kein Gold? Alles nur

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Lüge? Aaaah!" Schluchzend läßt sie es geschehen, daß Annie mütterlich den Arm um sie legt.

Jetzt geht's los! denke ich und dränge mich zu Jack hin. Aber niemand beachtete seine Worte und Mays hysterische Angst. Stimmenaufruhr erhob sich bei Billys irren Worten. Einzelne Rufe heben sich davon ab: „Schwindler! Lyncht ihn! Schlagt ihm den Schädel ein!"

Ganz vernünftig lacht er zurück: „Nu, ihr werdet wohl Spaß verstehen. Ich wollte nur mal sehen, was für Gesich­ter ihr macht. Morgen werde ich euch hinführen. Ich sage euch, da ist Gold! Gold!"

„Gnade dir Gott, wenn's nicht wahr ist!" Einige wollen ihm zu Leibe, einer legt den Karabiner auf

ihn an, andere drängen sich aber dazwischen, und Korporal Dickens, dessen Lethargie seit einigen Tagen einer düsteren, doch wachsamen Schwermut Platz gemacht hat, schlägt den Lauf nieder. Harmlos pufft der Schuß in den Schnee.

„Herhören, alles herhören! Aufpassen!" beschwört Jacks Stentorstimme. Wir bilden einen Ring um ihn und den blöde lächelnden Billy. „Ladies und Gentlemen!" beginnt mein Partner, und der Schein eines großen Nordlichtes ruht voll auf seinem Gesicht. „Zwölf Jahre laufe ich in diesem ver­fluchten, hübschen Lande hin und her. Ich habe allerhand erlebt und muß euch sagen, daß es gut möglich ist, daß man sich manchmal um einige Meilen irren kann. Zugegeben, daß Billy sich mit der Entfernung täuschte, so ist es aber unmöglich, daß er sich in der Beschaffenheit des Platzes versah. Wenn er sagte, daß viel Gold da ist, so muß es auch vorhanden sein. Andernfalls ist er ein . . . "

,,'n blutiger Schwindler!" brüllt jemand dazwischen, und Jack winkt ab. „Keine solchen Ausdrücke, Gents. Wir wol­len erst abwarten, bis wir am Bittercreek anlangen. Es tren­

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nen uns ja scheinbar nur noch einige Stunden davon. Fin­den wir dann kein Gold, so können wir uns ja immer noch mit Mister Sweetwatercreek darüber unterhalten. Jetzt aber schätze ich, daß wir schlafen gehen. Und was mich anbe­trifft, so glaube ich, daß Billy kein Schwindler ist, aber ver­rückt, ganz übergeschnappt ist er!"

„Drei Cheers für Jack! Hipp hipp hurra! 'rah 'rah!" braust es zum Himmel, und die aufgeregte Versammlung trennt sich langsam. Murmelnd strebt jeder seinem Quar­tier zu. „Und ich werde Billy bewachen, damit ihm kein Leid geschieht. Denn es sind hitzige Burschen unter euch!" beschließt die tiefe Stimme des Korporals. „Geht zur Hölle!" verwahrt sich der wieder frech gewordene Billy, doch die andern jubeln dem Polizisten zu.

Als ich nachher neben Jack im Schlafsack liege, brummt dieser: „Na, der Bittercreek wird noch sehr bitter für uns werden."

Ich erzähle ihm von der Unterhaltung in Annies Zelt, und er lacht herzlich. Aber ich bin müde und schlafe bald ein, höre ihn halb im Traum immer wieder lachen.

G o l d e n e K ö r n e r — g o l d e n e r S a n d

So schnell wurde noch kein Frühstück verschlungen! Der­art rasch noch kein Zelt zusammengeklappt und kein To­bogan beladen! Fieberhafter noch nie aufgebrochen!

Selbst die Hunde scheinen zu merken, daß sie heute am Ziel des langen Pfades ankommen und dann ausruhen dür­fen. „Musch, musch! Hurra für goldene Körner, goldenen Sand!" brüllte vorne jemand mit überschnappender Stimme, und die Karawane glitt davon. Kufen schleifen, Hundepfoten

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trappeln. Lederriemen knarren, gefrorener Schnee kracht unter stampfenden Schritten. Alle paar Kilometer brüllt der vorne wieder: „Goldene Körner, goldener Sand!" Und nach einer Weile warten wir alle auf diesen Vorsänger und fallen tobend in seine Worte ein. Es ist ein Lied, ist Refrain, Anfang und Ende eines solchen. Eine Melodie, die unsere Augen glitzern und unser Blut heiß macht und unsere Kräfte ver­doppelt. Sie hilft uns, spielend den tiefen Schnee zu überwin­den, wo wir manchmal, einen nach dem andern, die Hunde tragen und die Schlitten schieben müssen. Die Frauen fin­den heute wunderbarerweise auch hilfsbereite Hände außer meinen und Jacks. Lachend drängen wir durch dichte Wei­den, streifen an Tannen, die Eislasten über uns fallen lassen. Ohne Rast kämpfen wir uns durch Engtäler und hügelauf, hügelab. Wenn wir ein paarmal doch der Erschöpfung nahe sind, so gießt der Ruf da vorne neue Kraft in unser Mark, neue Luft in unsere ausgepumpten Lungen. Jubelnd toben wir, vom Aufjaulen der Hunde begleitet: „Goldene Körner, goldener Sand!" Die Frauen sind aber schon am Ende des Zuges.

Es geht weiter, immer weiter. Wieder liegt ein Tal hinter uns, nun öffnen sich da vorn drei neue, deren Hänge dicht mit niederem Nadelgehölz bestanden sind. Überall sehen wir Spuren von Vierfüßlern. Die Zahl der Raben wurde Legion, und ihr heiseres Krächzen übertönt zeitweilig unser teuf­lisches Geschrei. Billy lenkt straks in das mittlere Tal ein. Es verbreitert sich, und ich hege den Gedanken, daß es hier im Sommer sehr hübsch sein muß. Wenn die Blumen blühen, die Tannen duften, die jungen Hasen über das grüne Moos hüpfen! Wenn der Elch die Gräser abweidet, der Fuchs zwischen den Stämmen jagt, die Vögel zwitschern und der Lachs sich funkelnden Wellen entgegenstemmt.

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Jetzt liegt alles unter der weißen Decke in grauer, spär­lich von schwachen Nordlichtern bestrahlter Dämmerung. Die Tannen sind starre, glasartige Gebilde. Das Wasser bildet eine feste, holperige Straße, über die wir eilen. Plötz­lich hält Billy sein Gespann an, ein Schlitten nach dem an­dern kommt zum Stehen. Hunde setzen sich auf ihre Hinter­keulen, lallen mit pendelnden Zungen. Männer äugen miß­trauisch nach allen Seiten, und auf den Gesichtern liegt un­geheure ungläubige Spannung.

„Bittercreek! Wir sind da!" ertönt Billys Stimme seltsam freudig. Aber es ist nicht mehr der wilde, tolle Jubel, der einst aus seinen Worten schlug und flammte, dort weit hin­ten im Tanzsaal zu Moosetown! Das ist — ich weiß selbst nicht, was es ist! — Ob es die andern auch merken? Aber die schreien und lachen durcheinander, etliche kratzen im Schnee herum, als dächten sie, gleich Goldklumpen zu fin­den. Andere fassen sich an den Händen und führen eine Art Eiszeitmenschenreigen auf, wobei sie unentwegt brüllen: „Goldene Körner, goldener Sand!" Dann sind ein paar da, die frohlocken: „Gott sei Dank, jetzt brauchen wir wenig­stens den blöden, alle Tage schlappmachenden Weibern nicht mehr zu helfen!" Billy läuft mit glitzernden Augen hin und her. Manchmal macht er Sprünge und stößt gellende Jauchzer aus. „Grabt, grabt! Gold, Gold, ich sehe es blin­ken! Da, dort!"

Der Korporal schaut den Verrenkungen des Führers mit merkwürdigem Lächeln zu. Jack schneidet Grimassen, und die erschöpften Frauen lenken ihre Schlitten nach einer Tannengruppe. Zögernd, oft miteinander flüsternd, und mit Händen, die heute ungeschickt sind, bauen sie langsam ihr Zelt auf.

Annie wirft mir manchmal einen triumphierenden Blick

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zu, der so deutlich wie Worte verkündet: „Nie mehr ar­beiten, außer uns schön machen! Wenn ihr Trottel wirklich Gold findet, so werdet ihr's in unsern Schoß werfen!"

Erschöpft und ausgepumpt wie die Männer sind, zu deren körperlichem und seelischem Zustand jetzt noch die Re­aktion der wochenlangen Strapazen kommt, verfallen sie dem Gold, von dem Billy da wieder schreit. Und auch ich spüre, wie stark dieser unbegreifliche Zauber des gelben Metalls ist, das da unter dem Eise liegen soll.

„Ich sehe, wie's blinkt!" heult Billy wieder und deutet auf das undurchsichtige Eis des Baches. Ein paar Männer rennen herbei und starren zu Boden, dann lachen sie: „Na, Billy, bist 'n verdammt feiner Kerl, wenn du dich an die Plätze so gut erinnerst!" Einer sagt: „Aber blinken sehe ich nichts. Was er wohl meint?"

Sein Kumpan brummt beschwichtigend: „Ach was, er meint halt so, weil er sich freut. Und da er genau die Stel­len weiß, so kann's ihm wohl niemand verdenken, wenn er den Blink zu sehen glaubt. Ich täte es auch. Mann, bedenk' nur, so viel Gold! Kann man da nicht ein bißchen über­schnappen?"

Einige Männer sitzen müde mit hängenden Köpfen auf den Schlitten. Andere, die der herumhüpfende, immer noch schreiende Billy zu einem Paroxismus aufstachelt, werfen in fieberhafter Eile die Packen von den Schlitten, schnüren Riemen auf und ergreifen mit zitternden Händen ihre Schau­feln und Hacken. Dann beginnen sie wahllos mit wütenden Schlägen Eis und gefrorenen Schnee zu zertrümmern.

„Hoffentlich ist dieser sogenannte Bittercreek noch nicht bis auf den Grund zugefroren. Komm jetzt! Unsere Hunde haben uns hierher gebracht, und deshalb wollen wir mal zu­nächst für sie sorgen und sie abschirren. Erst das Tier, dann

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der Mensch, das ist Nordlandspflicht!" Mit diesen Worten reißt mich Jack aus meinen Gedanken, als ich gerade über­lege, an welcher Stelle ich die Hacke einschlagen soll. „Und schau dir den Kerl dort an, den Billy!" fährt er fort. „Macht er nicht ein Gesicht wie sieben Narren, die gehenkt werden sollen und nicht wissen warum? — Boy, dieser Billy ist ver­rückt. Mich soll's nicht wundern, wenn das ganze Gold nur in seiner Einbildung existiert. Ich sprach öfters mit An­nie darüber, und sie ist ganz meiner Meinung. Wenigstens am letzten Rastplatz war sie's noch. Jetzt scheint sie aller­dings nicht genau zu wissen, woran sie ist! Da schau!" Achselzuckend weist er nach dem Zelt, aus dessen Klappe gerade Annie den Kopf steckt. Sie sieht uns gar nicht, denn ihre funkelnden Augen betrachten jene Männer, die das Eis zerschlagen. Peggys Gesicht schiebt sich jetzt über die Schul­ter der Freundin, sie nickt mir kurz zu, dann schaut sie auch unverwandt nach den Arbeitenden hin.

Billy sitzt ausruhend neben dem Korporal. Ab und zu klatscht er in die Hände und feuert die Männer an: „Grabt nur, Boys! Blankes Gold! Und wenn ihr an falschen Stellen grabt, so will ich euch morgen schon die richtigen zeigen. Jetzt bin ich müde. Gold, es liegt ja fast überall!"

Mein Herz hämmert, und ich blicke oft nach denen da drüben, während wir unsere Behausung errichten. Überall stehen noch Schlitten mit angeschirrten, entrüstet winseln­den Hunden. Aller Augen ruhen auf der kleinen Gruppe der wie Berserker ihre Hacken schwingenden Goldsucher. Selbst die Alten, die nun am Ende der Reise plötzlich so müde sind, daß sie wie Bündel dahocken oder lehnen, he­ben die Köpfe und warten begierig auf das einzige Resultat, das in ihrem Hirn wie mit feuriger Schrift eingebrannt ist, auf Gold!

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Alle vier Frauen stehen jetzt trotz ihrer Müdigkeit vor dem Zelt, und ihre geduckte Gruppe mit den schmutzigen Gesichtern, den fettigen Locken, die sich unter Pelzkapuzen hervorstehlen, den zuckenden Händen — das erinnert mich in irgendeiner Art an die Megären von Whitechapel, wie sie vor den Gin- und Rumläden lauern. Und daß Peggy dabei ist, tut mir in der Seele weh.

Ein Ruck geht plötzlich durch die Frauengruppe, und die gesenkten Köpfe der erschöpften Männer, die ihren arbei­tenden Kameraden zusehen, fliegen in den Nacken. „Durch!" brüllt einer, als sein Werkzeug einbricht und Wasser und Eissplitter spritzen. Rasch wird das Loch erweitert, und wir alle, selbst der skeptische, phlegmatische Jack, rennen hin und bilden einen Ring um die Öffnung.

„Hoiho! Hoiho!" krächzen heisere Männer, während an­dere scharf Atem holen und sich mit den Fingern in den Schultern der vorne Stehenden verkrallen. Bessie beginnt hysterisch zu lachen, bis sie ein grobes, tiefes „Halt die Klappe, Frauenzimmer, dämliches!" zum Schweigen bringt. Billy keucht: „Grabt, es glitzert ja überall. Und wenn ihr's nicht seht, so will ich's euch morgen zeigen. Morgen, hoho!"

Jack gibt mir einen Rippenstoß, und ich weiß, was er damit ausdrücken will. Eine ungeheure Angst, die mir die Kehle abschnürt, packt mich. Angst, daß er Recht behalten und kein Gold gefunden werden wird.

„Bei Gott, ich sehe Grund. Sand! — Wo, wo? Hier auch! — Sand, hurra!" klingt es durcheinander, und breite Schau­feln fördern zuerst nasse, dann sofort erstarrende Massen Sandes zutage. Gierige Gesichter beugen sich darüber, ent­täuschte Lippen fluchen: „Nur Sand, kein einziges Gold­körnchen drin, Goddamn!" Neuer Sand wird herausgeschau­felt, und immer wieder ertönt der rasende Schrei: „Nichts!"

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Auf einmal werfen alle ihre Werkzeuge hin und rennen nach dem Schlitten, wo Billy sitzt. „Du Lump hast uns be­trogen! — Laßt mich ran an ihn, Gentlemen, damit ich ihm seine Gurgel rausgravieren kann!" heult und tobt der große Fallensteller. Schützend stellt sich der Polizist vor den fröh­lich lachenden Führer. Jack ist es, der den Aufruhr stillt. „Gentlemen, so geht das nicht. Wir wollen morgen Feuer machen und den Sand hübsch, wie es sich gehört, in Pfannen schaukeln. Erst dann können wir sehen, ob Gold da ist oder nicht. Und wir müssen das ganze Tal, das heißt überall den Bach aufhacken!"

„Recht hat er. Aber verdammt harte Arbeit wird's sein. O Bittercreek, wie bist du bitter!" lacht es schallend aus dem Haufen. Die verzerrten Mienen der Männer glätten sich, abermals ruft derselbe: „O Bittercreek, wie bist du bitter!" Es wird ein Singsang daraus, der nun die Gemüter beruhigt und ihnen die Vernunft wiedergibt, wie vorher der Schrei „Goldene Körner, goldener Sand" sie aufpeitschte. Billy aber gießt noch mehr Öl auf die erregten Wogen. „Morgen zeig' ich euch die Plätze. Es glitzert ja überall!"

Langsam, dabei abgerissen plaudernd und einander zu­rufend, schirren die Männer endlich ihre Hunde los und schlagen Lager auf. Einige aber rennen immer wieder nach den Eislöchern, holen Schaufel auf Schaufel Sand heraus und schütteln die Köpfe, wenn ihre Untersuchung ver­geblich ist. Etliche Oldtimers hocken beisammen und flüstern.

Jack ist sehr ernst und hat eine tiefe Falte zwischen den Brauen. „Ich wollte, der arme, wahnsinnige Trottel würde sich davonmachen, sonst geht er einem Lynchgericht ent­gegen, so wahr ich Jack heiße. Ich habe sein Gesicht beob­achtet, und das genügt. Wenn in diesem Bache dennoch Gold

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gefunden wird, dann wird es nicht seine Schuld sein, ihm aber den Hals retten!" brummt er und läßt sich auf keine weitere Erörterung mehr ein. Er begibt sich nachher zu Billys Zelt, tritt aber nicht ein, denn es gehen schon zwei Goldsucher gleich Posten davor auf und ab. Die Männer sind bereits mißtrauisch geworden! Während der Nacht muß ich einmal das Zelt verlassen. Kalter Wind saust me­lancholisch durch das Tal und bricht klappernde Eislasten von den starren Tannen. Ein mächtiges Feuer lodert vor des wahnsinnigen Führers Zelt. Denn wahnsinnig ist er, da­von bin ich jetzt überzeugt. — Funken sprühen und Flam­menzungen lecken nach den Pelzen der Hunde, deren ge­samte Meute sich im Halbkreis um die für sie so seltene köstliche Wärme gelagert hat. Zwei Männer sitzen dicht über die Glut geneigt. Sie heben die Köpfe, als sie mich sehen, und sinken dann wieder in ihre vorige bequeme Lage zurück. Das dumpfe Gemurmel ihrer Unterhaltung dringt an mein Ohr. Als ich später im Schlafsack liege, muß ich oft an Billy denken und an das, was morgen mit ihm ge­schehen wird. Hundegeheul und Windsbrausen lullen mich in Schlummer.

R i c h t e r Lynch

Über das ganze Tal, soweit Sweetwatercreek-Billy lachend uns die Stellen angab, verteilten wir uns in Gruppen zu je vier Mann. Jeder ist mit seiner Spitzhacke bewaffnet und alle hacken mit pfeifenden Atemzügen drauf los. Eissplitter und gefrorener Schnee fliegen nach allen Seiten. Vor den Zelten, wo die Hunde herumschnüffeln, steigt grau und ker­zengerade der Rauch vieler niedergebrannter Feuer in die graue Luft. Annie und ihre drei Freundinnen rennen von

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Gruppe zu Gruppe, paffen Zigaretten und betrachten uns mit hungrigen Augen.

„Sie müssen nicht so toll draufloshauen, sonst verlieren Sie zu früh die Puste, Mr. Kent!" kichert Bessie, einen Augenblick die Segeltuchmaske lüpfend, mit der sie ihr Ge­sicht gegen den beißenden Frost schützt. Der Angeredete brummt etwas, das sich wie „Damn! Damn!" anhört und ar­beitet mit erneuter Wut weiter. Neben der Stelle, wo ich mit Jack das Eis zerschmettere, schuften drei pelzverhüllte bä­renähnliche Gestalten in rasender Eile. Annie bleibt dort stehen. „James!" keucht sie. „Seht Ihr schon etwas blin­ken? Gelbe Körner und gelben Sand?"

Schnaufend, mit hämmernden Pulsen und einem Gefühl, das zu gleichen Teilen aus Begierde, reiner Freude und hün­discher Angst besteht, sehe ich unsere Werkzeuge plötzlich durch die letzte Eisschicht ins Wasser plantschen. „Hipp hipp!" brülle ich unwillkürlich, während Wasserspritzer mein Gesicht benetzen. Auch an anderen Orten wird Ge­schrei laut. Jack fährt ein paarmal tief mit der Schaufel in das Loch und jedesmal, wenn er sie herauszieht, klatscht eine nasse Sandlast in die große Blechpfanne, die neben uns steht. Rasch noch Wasser darauf, das gleich wieder hart wird, und dann rennen wir wie kleine Jungen jubelnd mit der Last nach unserm Feuer. Überall spielt sich das gleiche ab. Die Pfanne wird auf die Glut gesetzt, das Eis zischt und dampft, schmilzt, wird zu Wasser, und dann packt Jack das Gefäß mit seinem zweiten Paar Fäustlinge, setzt sich nieder und beginnt es hin und her zu schaukeln. Mit Sand ver­mengtes Wasser klatscht bei diesem Verfahren über die Rän­der. Nach einiger Zeit wird durch die Kälte der Inhalt der Pfanne ein zäher, rasch härter werdender Brei und muß von neuem auf's Feuer gesetzt und geschmolzen werden.

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Noch ein paarmal wiederholt sich diese Prozedur, bis in der Pfanne nur eine Handvoll Sand zurückbleibt. Sand! Nirgends ein gelbes Glitzern goldener Körnchen oder golde­nen Sandes darin.

Jack macht eine böse Miene, sagt aber nichts und zündet sich die Pfeife an. Eine grenzenlose, fast verzweifelte Ent­täuschung befiel mich. Überall ertönen Schreie wilder Wut. „Nichts! Nur Schlick und Sand!"

Ich beginne rot zu sehen, meine Fingerspitzen jucken, krampfhaft öffne und schließe ich die Hände. Diese Hände, mit denen ich den armen Narren Billy, der uns durch Kälte und Einsamkeit, durch Sturm und die bunte Nacht der Nord­lichter hierher führte, erwürgen möchte!

„Laßt den Mut nicht sinken, wir müssen noch mehr suchen!" brummt Jack. Ein paar umdrängen Billy. Immer mehr finden sich dazu, bis er in der Mitte sämtlicher Männer steht. Korporal Dickens hockt an seinem Feuer und schaut manchmal scheinbar uninteressiert zu uns herüber. Es fehlt nicht viel, und die Wütenden werden Billy zu Boden schlagen. Doch es sind Goldsucher unter den übrigen, die genau wis­sen, daß man nicht gleich bei der ersten geschaukelten Probe auf das gelbe Metall treffen kann. Sie beruhigen die andern, obwohl sie wahrscheinlich selbst nicht mehr recht an Reich­tümer glauben. Aber Billy ruft: „Grabt doch, es glitzert ja überall. Da, da!"

Wieder begeben wir uns an die Arbeit, schon viel lang­samer und weniger enthusiastisch. Es ist eine höllische, aber auch plumpe unzulängliche Arbeit bei der strengen Kälte. Aber geht es anders ? Gibt es eine bequemere Art als diese, jetzt im Winter Gold zu waschen ? Ich weiß keine.

Nach Stunden, während wir immer wieder neue Löcher schlagen und Sandproben auswaschen, sehen wir aus wie

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die Gestalten irgendeines phantastischen Wintermärchens. In Pelze gehüllt und überall mit Eiskrusten und Eiszapfen bedeckt, die von dem auf uns spritzenden Wasser herrüh­ren. Die kleinen Hügelchen gefrorenen Sandes neben den Feuern vergrößern sich und nehmen die Form von Termi­tenbauten an. Die Gesichter der Männer werden immer fin­sterer, unheilverkündender. Billy singt manchmal unzusam­menhängendes Zeug. Immer häufiger klingt der Ruf: „Der Kerl ist übergeschnappt!"

Aber es wird immer besessener geschuftet. „Klicketiklack!" Klicketiklack!" machen die niederfahrenden Hacken und „Schwappalwapp" schießt Sand mit Wasser über den Rand geschaukelter Pfannen. „Nichts!" heulen Dutzende Stimmen. „Nichts!" kreischen, brummen oder flüstern sie heiser, wenn kein gelbes Korn in der Pfanne zurückbleibt.

Einige zwingen Billy zu arbeiten. Keine Minute ausruhen darf er! „Vorwärts, Mann, grabe und schaufle! Hast du nicht gesagt, hier läge das Gold zutage, fertig zum In-die­Säcke-schaufeln ? Na, dann schaufle doch, du Hunde­sohn, du Schweinsbacke, du hundertmal verdammte!" rufen sie ihm zu. Und er hackt und schaufelt, daß er trotz der Kälte schwitzt. Ein paarmal kommt Korporal Dickens schweigend und rätselhaft wie eine Sphinx daher, schaut uns zu, schreitet von einem zum andern und verläßt uns wieder.

„Da! Ist das am Ende Dreck? Das ist Gold, pures präch­tiges Gold, und ihr braucht's nur einzuschaufeln! Worauf wartet ihr noch? Auf die Knie mit euch und dankt mir!" heult Billy auf und hält den Nächststehenden eine Schaufel nassen Sand unter die Nase. Wie die Geier beugen sich diese darüber.

„Mensch, bin ich blind oder verrückt? Das ist doch Sand,

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nichts als verfluchter Sand!" brüllt einer wie ein wütender Ochse auf.

„Gold! Gold! Und wenn ihr's nicht seht, so verdient ihr's nicht. Die weißen Männer, die mich nachts immer besuchen, sagen auch, daß es Gold ist!"

„Weiße Männer? Kerl, was für einen Bockmist faselst du da zusammen? Willst dich wohl verrückt stellen!" droht jemand, und Billy lacht hell: „Es glitzert doch überall! Gold!"

„Männer, der Kerl ist ja ganz und gar übergeschnappt," wirft einer ein, und Jack sagt überzeugt: „Das hat lange gedauert, bis ihr drauf gekommen seid. Schädel habt ihr wie verbiesterte Hornochsen. — Habt ihr noch nie ge­merkt, daß es mit ihm nicht richtig im Oberstübchen ist? Bei Gott, ich wollte, daß auch mir diese Erkenntnis früher aufgegangen wäre, dann hätte ich Schafskopf nicht den Blöd­sinn gemacht, so weit mitzukommen!"

„Es glitzert doch überall!" kreischt Billy. „Bei dir glitzert's auch. Warte nur, Bursche, du wirst noch

verdammt hübscher glitzern — wie ein Weihnachtsbaum­engel in Old Germany! — wenn du still und steif von einer Tanne baumelst!" murrt ein alter Graubart.

„Wir können doch keinen Verrückten aufhängen! Verrückt ist er nämlich, das sehe ich jetzt ein!"

„Quatsch, der Halunke hält uns nur zum Narren! Drum muß er hängen, das steht fest!" fährt ein andrer dazwischen.

„Schuft! Schurke!" wimmert die vor Enttäuschung gänz­lich zusammengebrochene May. Peggy flüstert ihr etwas ins Ohr und führt die Widerstrebende nach dem Zelt.

„Morgen!" brüllt Billy wieder. Wir schauen uns an. Flüche, hartes Lachen und dumpfes Brummen mischen sich . . .

Annie und die Mädel hockten sich vor ihr Zelt, und die

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Bratpfanne und liebliche Speckdüfte peinigen bald nicht nur meine Nase, sondern auch sämtliche Hunde, die eng um die Frauen herumsitzen.

Das Abendessen wird von allen schweigend eingenommen. Die Männer sind zu müde, um ihrer Enttäuschung weiter in Flüchen Luft zu machen. Meiner hat sich ein stiller, gleich­gültiger Galgenhumor bemächtigt. Ich glaube nicht mehr, daß wir noch Gold finden, aber ich bin jetzt in einer Stim­mung, in der ich auf alles pfeife, selbst Klumpen Goldes würden mich kalt lassen. Blitzartig zuckt manchmal die Neu­gierde darüber auf, was die andern wohl mit Billy, diesem unglückseligen Scharlatan anfangen werden. Morgen arbei­ten sie vielleicht noch einige Stunden, aber wenn sie dann nichts finden, ist der Teufel los. Ein einziges Körnchen Gold, das zutage gebracht wird, könnte Billy retten!

Wie wär's, wenn ich eine Handvoll in das erste beste Loch würfe? Haha, Handvoll ist gut gesagt! Das wenige Gold, das ich besaß, hat Daisy in Moosetown. Und Jack gab das seine dem „Stern von Polen".

Ob Dickens noch welches besitzt ? Auf meine Frage schüt­telt er den Kopf.

Bleibt nur Annie. „Höre, was hast du vor?" erkundigt sich Jack, der mich die ganze Zeit beobachtete. Ich erkläre ihm meine Absicht und er nickt. „Na ja!" brummt er dann nach einer Weile. „Mir ist jetzt die Geschichte hier verflucht schnuppe. Ich habe schon oft viel gehabt und es wieder ver­loren. Narrengold, das nicht existiert, rennt man hierzulande sozusagen immer nach. Daß sich die andern so aufregen, ist Unsinn. Mir tun nur die armen Kerle leid, die womöglich unterwegs krepiert sind. Andernteils möchte ich aber nicht zusehen, wie Billy gelyncht wird. Korporal Dickens scheint zwar wieder normal zu sein, aber ich weiß nicht, ob er seine

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Autorität durchsetzen wird, 's wird also, wie ich schätze, all­right sein, wenn du Annie ein paar gelbe Körner abschwatzt und ein Eisloch damit ,salzt'. Hoho, ich freue mich schon auf die Gesichter der Kerle, wenn das Gold gefunden wird!" Nach dieser für ihn sehr langen Rede zündet sich Jack eine neue Pfeife an und beugt sich möglichst dicht über die kni­sternden, wärmespendenden Tannenstämme.

Ich aber gehe zum Nachbarzelt, wo die Frauen wohnen. „Na, Boy, wieviel Säcke hast du heute vollgeschaufelt ?" wird mir bitterböse entgegengelacht. Mein Golddurst ist weg und ich fühle mich wohl in der Gesellschaft dieser Frauen, die wie plumpe pelzbehoste, fettbeschmierte Eskimoweiber im Zelt sitzen, von denen ich aber weiß, daß sie ganz anders aussehen dahinten in den Blockhäusern, die die Fühler der Zivilisation in Nordlands Wildnis strecken. Behaglich schlürfe ich den mir gereichten Kaffee und sehe zu, wie Peggy einem schönen weißen Schlittenhund die Wunde von der letzten Beißerei säubert. „Höre, Annie! Hast du — habt ihr nicht Gold bei euch ? Ich meine Gold und nicht Geld!"

Ihre klugen Augen betrachten mich, während die andern mißtrauisch aufschauen. „Boy, ich lese in dir wie in einem Buche! Dich schickt dein Partner, den wir den schweigsamen Jack nennen, weil er wenig redet, aber viel denkt. Ihr braucht Gold, um eines der aufgehackten, aber noch nicht untersuchten Eislöcher zu salzen, wie der Ausdruck lautet; Gold hinein streuen, damit es morgen gefunden wird und der verrückte Trottel Billy eine Chance hat, nicht gelyncht zu werden!"

„Hört, hört! Nein, das gibt's nicht!" rufen die drei andern. Annies Miene wird hart und drohend. „Nein!" sagt sie.

„Ich besitze Gold, aber nicht für solche Zwecke. Denk an den Weg hierher, denke an die armen Teufel, die umkehrten

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und die vielleicht mit erfrorenen Gliedern oder überhaupt nicht mehr Moosetown erreicht haben!"

„Oh, und Cinderella!" ruft Peggy mit bösem Gesicht da­zwischen.

„Ja," nickt Annie. „Wenn all das nicht wäre, könnte der übergeschnappte Halunke meinetwegen die Flucht ergreifen. Aber so geht's nicht. Er soll seine Suppe nur auslöffeln!" . . .

„Gib mir noch 'ne Tasse Kaffee, Annie!" bitte ich leise, weil ich genau weiß, daß jedes weitere Wort vergeblich sein wird. Ihre Augen blicken wieder freundlich, während sie meinen Wunsch erfüllt. Doch ihre Worte sind noch voll tra­gischer Drohung. „Richter Lynch ist eine gute Einrichtung."

„Wir sind aber noch, wie ich schätze, auf kanadischem Boden. Denk an die Nordwestpolizei, Annie!"

Ein verächtlicher Zug legt sich um ihren schmalen Mund, und sie schimpft wie ein Goldgräber: „Die ,Mounties' von der Polizei sollen zu Grase gehen und verdammt sein!" Ruhiger meint sie dann: „Law and order, Gesetz und Ord­nung, ist ganz gut. Auch die Mounties sind allright, obwohl zum Beispiel Korporal Dickens nicht gerade als Muster gel­ten kann. Er ist zu schlapp, gehört deshalb nicht in den Norden. Und was Richter Lynch anbetrifft, so ist das manch­mal eine gute und weise Einrichtung, mein Junge!"

„Auch wenn ein Nigger mit Petroleum übergossen und als lebende Fackel durch die Straßen gehetzt wird, wie ich es im Süden der USA mehrmals sah?"

Sie nickt: „Gewiß hatte er sich an einer Frau vergangen. Darum geschah ihm recht."

„So, also weil er sich an einer weißen Frau vergriff, drum mußte er brennen. Und wenn er sich nun an 'nem weißen Manne vergangen hätte, so würde man ihm das Lebendig­verbrennen erspart und ihn gütig an dem nächsten Baum mit

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einem hübschen Strick aufgehängt haben?" frage ich ziemlich erbost. Annie blickt mich erstaunt an. „Du redest wie ein Lawyer, wie ein gerissener Advokat, mein Junge. Selbst­verständlich ist ein Unterschied, ob ein Nigger eine weiße Amerikanerin oder einen Amerikaner beleidigt!"

„Ja, gewiß!" platze ich los. „Denn ich sah noch nie in der ganzen Welt solche Trottel, die derart idiotisch ihren Frauen hörig sind wie die Amerikaner. — Also willst du nicht, Annie ?"

Sie schüttelt den Kopf: „Wenn es sich um eine Handvoll Gold handelt, die Billy vor 'ner Tracht Prügel retten soll, dann — nein!"

„Und ihr ? Und du, Peggy ?" wende ich mich an die andern, stoße aber nur auf Kopfschütteln. Bessie sagt noch dazu: „Schade, daß du ein German bist, denn sonst würdest du die Sache mit ganz andern Augen ansehen. Wir wollen das aber in Betracht ziehen und sind dir nicht böse über die uns zu­gefügte Beleidigung. Du bist halt noch wild und wollig!" Sie lachen alle, und Annie füllt meine Blechtasse von neuem mit starkem Kaffee.

Das würzige Getränk schmeckt so gut, und die Mädels plaudern so nett und ihre Gesichter ragen trotz des Schmutzes so hübsch aus der Umrahmung der Pelzkapuzen, daß ich alles andere vergesse.

So ist der Mensch. „Schau mal, Darling, was wir noch da haben!" schmei­

chelt Peggy und holt eine Büchse kalifornischer Makrelen in Tomatentunke aus der Kiste. Eine Delikatesse, für die man hier unter Umständen beinahe einen Mord begehen könnte. Ich weiß einen Mann in Nordland, der einen andern um eine halbe Dose Sirup totschlug. Allerdings wurde er dann am Halse aufgehängt, bis er selber tot, tot, tot war.

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Makrelen auf Hartbrot gelegt und heißen Kaffee dazu! Ein Götterfraß! Was, zum Teufel, geht mich jetzt noch Billy an? Warum hat er sich denn diesen blutigen Spaß erlaubt? Soll er ihn jetzt auch ausbaden!

„Oh, May, gib doch einmal die Büchse rüber. Und ein Stück Hartbrot könnte ich auch noch gebrauchen. — Annie, bitte nicht so viel Zucker in den Kaffee!"

Pause. „Ah, Teufel, das schmeckt. Annie, wozu bin ich eigentlich

hergekommen ? Ich wollte doch . . . " „Gold wolltest du haben. Nicht für dich, denn für dich ist

die Hälfte von dem, was wir besitzen, immer bereit, du dum­mer wilder Junge. Dem Billy wolltest du aber seinen Ab­gang vorbereiten, damit er nicht bestraft wird. Und uns hast du beleidigt!"

„Ach, Annie, Peggy, May und Bessie, ich wollte euch nicht erzürnen! Billy, den alten Narren soll der Teufel oder Rich­ter Lynch holen, mir ist's egal, ganz egal. — Sagt, habt ihr nicht einen Schluck von etwas Besonderem aufgehoben, um unsere Goldfunde, haha! zu feiern?"

Sie schauen sich gegenseitig an und lachen. Annie holt eine Flasche aus der Kiste, öffnet sie und gießt einen sehr leutseligen Schubs in den auf dem Ofen brodelnden Kaffee­topf. Ein voller Becher wird mir gereicht. „Ho!" juble ich. „Ho!" Denn ich bin schon, ohne den Alkohol noch gekostet zu haben, wie betrunken von einer wilden lustigen Gleich­gültigkeit, gepaart mit nagender, furchtbarer Neugierde. „Teufel, er soll hängen. Hängen soll er!" schrei ich.

„Wer?" „Na, Billy. Soll hängen am Halse und in der Luft tanzen,

bis er tot, tot, tot ist!" lache ich aus voller Kehle und trinke. Seltsam schauen sie mich an.

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Draußen wird jetzt alles ruhig. Das Schmettern der Hacken, das Platschen des nassen Sandes, das Spritzen des Wassers und das keuchende Atmen der Goldsucher ist ver­stummt. Das Heulen und Knurren eifersüchtiger Hunde schweigt. Widerschein lodernder Flammen schlägt ins Zelt. Plötzlich hören wir von draußen ein dumpfes drohendes Murmeln. Es reißt uns auf die Füße, läßt uns ins Freie drängen und dann sekundenlang auf den unerwarteten An­blick hinstarren.

Nordlichter am Himmel! Silbern funkelnde und hüpfende Sterne hinter bunten durchsichtigen Schleiern! Schräge Hänge, bedeckt mit Tannen, die gläsern und eisumhüllt reg­los dastehen und das Tal umsäumen; dunkle Zelte auf wei­ßem, manchmal farbig aufglühendem Grunde; hier und dort, in Gruppen von fünf bis zehn beisammenhockend, die Hunde, die leise und klagend zum Himmel empor winseln. Um eine große Lohe, in der ganze, zehn Meter lange Tannenstämme prasseln, bewegen sich die Männer, in deren Mitte ich Billy entdecke.

„Hoiho! Macht zu und kommt her, Annie, und ihr da!" tönt's uns entgegen, und die tiefe ruhige Altstimme der Frau erkundigt sich darauf, was es denn gäbe.

„Gericht!" plärrt und brummt es antwortend. „Gericht über einen blutigen Schwindler!"

Wir treten näher und kommen dabei an Korporal Dickens vorbei, der stumm und reglos vor einem kleinen Feuer hockt.

„Gentlemen, ich denke, daß wir eine Jury bilden, damit alles mit rechten Dingen zugeht!" ruft der lange Fallenstel­ler unter einem Beifallssturm. Jack schreit verzweifelt dem Korporal zu, ob er diese rechtswidrige Farce, bei der es sich um das Leben eines Wahnsinnigen handle, dulden wolle ? Schweigsam raucht der Polizist weiter und schaut kaum

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empor. Ich höre Peggys weiche Stimme neben meinem Ohr: „Ach, wie schön muß es jetzt in Kalifornien sein. Meine El­tern haben da eine Ranch im Lost Valley bei Napa in der Frisco Bay!"

Jack kann schauen und schauen; die Worte, die da an mein Ohr klingen, sind stärker als sein Blick. Wütend wendet er sich ab. Die Goldgräber waren indessen geschäftig und wähl­ten die Jury. Annie, ihre Mädel und acht bärtige finstere Männer werden zu Geschworenen ernannt. Jack ist der vom „Staate gestellte Verteidiger" und der riesige Fallensteller fungiert als öffentlicher Ankläger und Richter.

Lachend, manchmal laut singend, taumelt Sweetwater-creek-Billy im Kreise herum.

„Ladies und Gentlemen of the Jury! Verehrte Zuhörer­genossen!" beginnt der „Ankläger" seine Rede. „Hier in un­serer Mitte sehen wir diesen verdammten, schwindelhaften und aussätzigen Schweinehund Sweetwatercreek-Billy. Heute vor — weiß der Böse, wann es war — Na, sagen wir, vor Monaten kam dieser Halunke nach Moosetown und störte eine ehrbare und friedliche Bevölkerung, welche dort den langen Winter abwarten wollte, aus ihren unschuldigen Ver­gnügungen mit einer Nachricht jäh empor. Ja, Ladies und Gentlemen, dieser Schuft hat uns alle verrückt gemacht mit seiner erstunkenen, gottverdammten Goldbotschaft vom Bittercreek. — Und wir ehrbaren Männer und lieblichen Da­men — ich wollte sagen: wir lieblichen Damen und ehrbaren Männer ließen uns von ihm betrügen und haben nun diese säuische Schlittenfahrt hinter uns, bei der viele ehrbare Männer und arme Teufel sich die Glieder erfroren oder an­derweitig zum Teufel gingen. Und als wir ehrbaren Männer . . . ich meine: ehrbaren Ladies und Gentlemen diese blutige Schlucht erreichten, da sagte dieser blutige Schuft: nun sind

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wir da! Das ist der Bittercreek! Wir haben dann den ver­dammten Schnee weggekratzt und das verfluchte Eis kaputt­gehauen und haben einen grindigen Dreck und sonst nichts gefunden. Das ist eine Tatsache! Ladies und Gentlemen of the Jury, ich frage euch mit gutem Gewissen auf euer eben­so gutes Gewissen hin: Ist dieser Schuft, der sich Sweet­watercreek-Billy nennt, dieser dreifach gekreuzte Hunde­sohn — ist er schuldig oder unschuldig?"

„Schuldig! Schuldig!" — „Verrückt! Verrückte sind nicht zurechnungsfähig!"

Der Riese verbeugt sich linkisch und dankt mit heiserer Stimme. Nun krächzt er weiter, auf Jack deutend: „Ladies und Gentlemen, da dies eine gerechte Jury ist, so haben wir dem Angeklagten und bereits verurteilten Hundesprößling, wie es recht und billig ist, einen Verteidiger von Staates we­gen zugebilligt und sind bereit, die weiteren Argumente des Mister Jack Fadden anzuhören und zu vernehmen, ob der­selbe Erschießen oder Erhängen billigt. Treten Sie vor, Ver­teidiger, und sprechen Sie für diesen Elenden!"

Schon steht Jack auf einem Schlitten. „Ladies und Gentle­men! Vieles, was der ehrbare öffentliche Ankläger und Rich­ter vorbrachte, ist in Ordnung, und ich stimme bei, aber nicht allem! Denn Sweetwatercreek-Billy ist ganz bestimmt wahn­sinnig. Ich gebe zu, man hat schon Männer wegen weniger an einem netten hübschen Strick in der Luft tanzen lassen, bis ihre Gesichter schwarz und ihre Zungen lang wurden. Aber das geht hier nicht an."

„Bravo, hipp, hipp, hurra für den öffentlichen Verteidi­ger!" brüllen einige, und Billy sinkt ganz in sich zusammen. Jack redet weiter: „Ladies und Gentlemen! Ich bedaure, daß der Mann nicht bei voller Vernunft ist. Denn dann würde ich einfach sagen: knüpft ihn gut auf, gut und hoch, mit 'nem

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Eisblock an den Füßen, damit ihm der Hals hübsch lang werde. Bäume sind vorhanden. Ladies und Gentlemen, ich sage, kranke Leute sind nichts für Richter Lynch. Wenn wir den Unsinn machen und diesen traurigen Wicht hängen, so kann uns bei unserer Rückkehr allen das gleiche passieren, oder sie stecken uns zumindest ins Zuchthaus. Kanada ist nicht Amerika, und in Kanada schaut man Richter Lynch mit scheelen Augen an!"

„Bah! Ich kalkuliere, daß die Grenze nicht weit sein kann. Und von wegen verrückt! Der Kerl ist genau so vernünftig wie wir alle, aber ein blutiger Halunke ist er, der uns alle zum Narren gehalten hat. Laßt uns rüberziehen und Mister Bill an einem von Onkel Sams Bäumen aufknüpfen!" fordert jemand und sein Nachbar lacht: „Unsinn, wozu die Mühe? 's kann gerade so gut und mit weniger Umständen hier ge­schehen!"— Jack fährt fort und alle lauschen, denn er hat eine Art, die diese Leute in seinen Bann zwingt. „Ja, Ladies und Gentlemen, der Kerl hat sich zwar einen recht tragischen Witz geleistet, aber es war immerhin ein unfreiwilliger Witz, denn er glaubt selbst ganz bestimmt an das Gold. Mit eige­nen Händen hat er schließlich niemand umgebracht. Und ihr alle wißt, daß bei solchen Goldstampeden schon unzählige Leute starben. Das muß man immer riskieren. Aber wären wir im guten alten Virginia oder Tennessee und wäre er nicht verrückt, so wollte ich sagen, laßt uns den traurigen Kerl teeren und federn. — Jedenfalls, an den Kragen dürfen wir ihm nicht. Gebt ihm 'ne tüchtige Tracht Prügel, wenn's schon sein muß, und laßt ihn laufen. Dann kommt er ins Irrenhaus!" Jack steigt von seiner Kiste herab und der Riese brüllt nun wieder:

„Ladies und Gentlemen! Der Verteidiger hat seine Pflicht getan und wir danken ihm für seine Mühe. Aber nun wollen

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wir in unserm Verfahren, welches sich gegen diesen Sweet­watercreek-Halunken richtet, ehrlich und gerecht weiter­schreiten. Und er soll, wie es üblich ist, so lange am Halse unter einer schönen Tanne, die wir ihm aussuchen werden, aufgehangen werden, bis er tot, tot, tot ist! Denn er ist nicht verrückt!"

Die Jury steckt die Köpfe zusammen, und dann ruft einer nach dem andern: „Ich stimme dem Urteil bei!" May fügt noch hinzu: „Er soll hängen!" Nur wenige sind da­gegen.

„Well, dann ist ja alles in Ordnung!" schreit der Riese. „Sucht einen passenden Baum, ihr Männer von Moosetown. Ein Bäumchen von netter gerader Beschaffenheit!"

„Halt, ich protestiere. Ich rufe das Gesetz an! Dickens, wo sind Sie!" tobt Jack. Seine Gesten treffen auf kalte Ge­sichter, sein Brüllen wird durch ungeduldiges Brummen be­antwortet. Ein paar schicken sich an, Billy zu ergreifen, da erkundigt sich eine leidenschaftliche Stimme: „Und das Ge­setz wollt ihr nicht fragen, Männer ? Und wollt ihr nicht erst den, den ihr angeklagt, auch fragen?" Korporal Dickens steht auf dem Schlitten, den vorhin Jack als Rednertribüne benutzte. Da kreischt Billy: „Gold, überall Gold, seht wie es glitzert! So grabt doch!" Er bricht in lautes, nicht enden wollendes Lachen aus.

„Was Korporal! Was Gesetze! Hängen sollst du, mein Liebling!" sagt ein Irländer und die andern murmeln zum großen Teil Beifall, obwohl das feste Auftreten Dickens', der das gefürchtete Gesetz vertritt, sowie das unheimliche Be­nehmen Billys nicht ohne Wirkung blieb. Der riesige Fallen­steller ist aber erpicht darauf, seinen früheren Freund auf­zuknüpfen. Mit gewaltiger Pranke den quietschenden An­geklagten ergreifend, schubst er ihn vor sich her und lacht:

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„Ach, was geht uns das kleine Korporalchen an! Wir sind hier in der Wildnis. Vorwärts, Gents, sucht einen Baum!"

Während Jack mich nach unserm Zelte zieht und ich dort stumm den Karabiner von ihm in die Hand gedrückt be­komme, höre ich Dickens' kaltblütiges: „Halt! Wer den Mann anrührt und lynchen will, der bekommt eine Kugel. Im Namen der Gesetze des Nordwestens!"

„Pah, Korporal, Sie werden doch nicht! — Stecken Sie das Schießdings ein! — Er hat's verdient!" — „Bei Gott, der meint's ernst und schießt!" tönt es durcheinander und wir eilen mit unsern gespannten Winchestern nach der Ver­sammlung zurück.

„For law and order! Für Gesetz und Ordnung!" sagt eben Dickens, hält die Hand auf der Schulter Billys und richtet mit der andern den blauen Lauf des Dienstrevolvers auf den „Richter und öffentlichen Ankläger". Die andern ziehen sich langsam zurück. Ihnen mag eingefallen sein, daß mit der Nordwestpolizei nicht zu spaßen ist, obwohl sie Dickens eigentlich verachten. Der Große aber bleibt immer noch stehen. „An den Baum mit ihm!" knurrt er und betrachtet den Korporal höhnisch. Jetzt melden sich einige Oldtimers: „Billy ist übergeschnappt und das Gericht taugt nicht dafür!"

Annie und ihre Mädels gehen mit den Worten weg: „Na, da haben wir ja nichts mehr verloren. God save the king!"

„Für Gesetz und Ordnung!" spricht Jack und „Für Ge­setz und Ordnung!" wiederhole ich und lege den Karabiner in den hohlen Arm. Meine fröhliche Alkoholstimmung vorhin in Annies Zelt hat längst wieder der Vernunft Platz gemacht.

Den Fallensteller packt erst die Wut und dann der Humor, als er die unschlüssigen Gesichter der andern sieht. „Gut! Nehmt ihn und schleift ihn zurück nach Moosetown. Aber erst wollen wir den Halunken nach guter alter Art ver­

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prügeln. Ihm das Fell windelweich klopfen. Und. . . seine Worte nehmen drohenden Klang an: „Wenn Sie sich da­zwischen mischen, Korporal, dann raucht's!"

Dickens schüttelt den Kopf: „No, da mische ich mich nicht ein."

Rasch wie bei Kindern, denen man ein Spielzeug nahm und dafür ein anderes hinreichte, ist die Stimmung der enttäusch­ten Goldgräber umgeschwungen. Eben noch voll Blutdurst, sind sie jetzt damit zufrieden, jemanden, der sie zu einer höllischen wochenlangen Plackerei durch Kälte und Finster­nis verführte, mit einer kräftigen Tracht ungebrannter Asche zu belohnen, um dann aufzubrechen und mit knappem Pro­viant denselben höllischen Schlittenpfad zurückzulaufen.

Sweetwatercreek-Billy lacht: „Gold! Gold!" „Schweig schön still, mein Herzchen, sonst rufen wir die

Jury nochmals zusammen, trotz law and order!" rät einer. Jack und ich kriechen ins Zelt und kochen Kaffee. Draußen

erhebt sich rauhes Gelächter, ein dumpfes Klatschen und schrilles Geschrei, bald steigend, bald sinkend. Ein paar­mal hören wir Dickens' Stimme: „Nicht so hart, ihr Männer. — Nicht aufs Rückgrat, sondern mehr aufs Hinterteil!"

Der Kaffee ist vorzüglich und wir kümmern uns jetzt nicht mehr darum, was mit Sweetwatercreek-Billy, dem armen verrückten Entdecker der Bonanza am Bittercreek, ge­schieht. Man wird ihn nicht hängen!

So k e h r t e n s ie w i e d e r

Was soll ich noch erzählen? Daß Sweetwatercreek-Billy schrecklich verprügelt wurde und daß viele von uns vergeb­lich tagelang nach frischem Fleisch auf der Jagd waren?

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Daß eines Tages Billy verschwunden war? Seine Schlitten­spur wies schnurgerade das ostwärts verlaufende Tal hinauf. Wahrscheinlich sah er dort wieder Gold blinken! — Ein paar sprachen davon, ihm nachzueilen und ihn trotz allem an den ersten besten Baum zu hängen. Zu Billys Glück kam ein heu­lender Nordsturm nebst Unmassen Schnee einhergepfiffen, und den grimmigen Menschenjägern verging die Lust zur Verfolgung.

Nachher haben wir gegen unsere Überzeugung das letzte Stück Bach doch noch untersucht und natürlich nichts ge­funden. Die Hunde durften noch einige Tage ausruhen, wo­bei die Menschen ihnen mit gutem Beispiel vorangingen. Dann wurde aufgebrochen nach Moosetown, denn etwas an­deres blieb uns ja nicht übrig. Die Mädels sind so ziemlich fertig, sie reden keinen Ton mit uns.

Lange Wochen sind seither in tödlicher Eintönigkeit ver­strichen. Niemand ist krank, kein Hund machte schlapp und kein Schlitten zerbrach. Der Proviant wurde ziemlich knapp und die Laune der Menschen veränderte sich zu einer bös­artigen, stummen, in sich verbissenen Stimmung. Annie und ihre Freundinnen sind kurz angebunden und eigenbrötlerisch geworden. Das Wetter blieb günstig, das heißt: es ist anhal­tend kalt, aber es bleibt windstill. Wir kommen schnell vorwärts, weil es die ganze Zeit schwach bergab geht. Gestern gelang es Jack, zwei kleine Schneehasen und eine ziemlich große, ebenfalls weiße Eule zu erlegen. Es gab Streit darum im Lager, bis Jack auf den Gedanken kam, diese Beute den Hunden vorzuwerfen. Die machten kurzen Prozeß mit den paar Bissen. Mein Partner aber brummte den erstaunten Zuschauern zu: „Für alle war's zu wenig, und es hat keinen Zweck, wegen einiger Bissen Feindschaft unter uns ins Leben zu rufen. Ich hab's also den Tieren ge­

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geben. Aber wenn einer was dagegen hat, so soll er's sagen, soll's herausspeien, und der Satan soll mich holen, wenn ich ihn nicht lang und hüsch auf den Schnee strecke!"

Es hatte aber kein Mensch etwas dagegen, denn Jack sieht nicht zum Spaßen aus . . .

Unterwegs, unterwegs! Grauer Himmel, schattenloses graues Licht über und um uns. Manchmal funkeln Nord­lichter. Schlitten nach Schlitten gleitet über den Schnee. Die Hunde sind mürrisch, aber sie tun ihre Arbeit.

Elch- oder Renntierfährten kreuzen manchmal unsere Richtung. Es sind sehr viele, jedoch ein Kenner unter uns, der die Spuren untersucht, versichert, daß jene Tiere vor Tagen vorbeigezogen wären. Eine Verfolgung ist deshalb nutzlos.

Seit dem ersten Tage des Aufbruchs ruft bei jeder Rast ein alter bärtiger Goldgräber, dem die Enttäuschung am Bittercreek zu Kopfe gestiegen ist, mit plärrender Stimme: „Sind wir noch nicht da? In Moosetown?"

Zuerst lachten wir ihn aus, dann, als er Tag für Tag die­selbe Frage ableierte und dazu irr um sich blickte, haben wir ihn bemitleidet. Nachher wurde es unseren gereizten Nerven zu bunt, und jetzt fluchen wir oder rufen ihm zu: „Noch nicht, du alter Schafskopf, erst in zwei Jahren!"

Gestern aber antwortete ihm Dickens, dem die Gegend be­kannt wird: „Geduld, bald sind wir da, Oldtimer!" Der Alte fing vor Freude zu weinen an und unsere üble Laune verflog für kurze Zeit. Annie spendierte ihren letzten Kaffee und lud dazu Jack und mich ein. Große Unterhaltung gab es bei diesem Kränzchen nicht, wir sind alle mundfaul ge­worden; stumm hockten wir da und brüteten vor uns hin. Die vier Frauen sehen alt und müde aus. Ihre Gesichter sind mit einer fleckigen Speckschicht bedeckt, und ihre Pelze

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sind gleich denen der Männer steif vom Schmutz und an­gesengt, wo sie dem Feuer zu nahe kamen. Und doch liegen in der gemeinsamen Kiste Seidenkleider und alle die Dinge, mit denen Frauen sich schön machen! Unfaßbar, daß diese kauernden Geschöpfe, die wie Eskimosquaws aussehen, eigentlich schlanke hübsche Amerikanerinnen sind. Ich kann es kaum glauben. Sah ich sie nicht als Hostesses in Moose­town allen Männern die Köpfe verdrehen ? Erlebte ich nicht jenen häßlich schönen Tanz unter den bunten Flammen der Nordlichter dort hinten, wo Cinderella starb ?

Wenn wir wieder in Moosetown sind, werden neue, glän­zende Schmetterlinge aus den alten Pelzkleidern kriechen. Schminke und Puder verdecken die Falten, die der Jammer der verteufelten Reise ihnen um Nase und Mund ritzte.

„Sind wir nicht bald da?" klagt der Alte draußen und niemand antwortet mehr . . .

Eines Morgens fanden wir Korporal Dickens tot in seinem Zelt, er hat sich selbst erschossen! „Zu jung für solch ver­fluchten Posten!" brummte einer. „Nahm sich's zu sehr zu Herzen von wegen Cinderella und so weiter," nickte ein an­derer. — Und das war Dickens' Grabrede.

„Musch, musch! Heiah!" Die Hunde rennen und jaulen dabei wie toll. Knirschend und gleitend sausen die Schlitten über den harten Schnee, nicht mehr einer hinter dem andern, sondern auseinandergebreitet in Fächerform. Ebenso toll wie die Hunde laufen wir Menschen und von Zeit zu Zeit krei­schen wir etwas, das wild wie Geheul unwirklicher Tiere die Luft zerschneidet; denn dort vorne am Waldrand stehen endlich die Hütten von Moosetown!

Schüsse knallen und dunkle Gestalten hüpfen uns über den Schnee entgegen.

„Heiah, musch!" Die ersten Gespanne verschwinden zwi­

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schen den Wohnstätten. Plötzlich halten unsere Hunde an, weil ein Mann sich mit ausgebreiteten Armen vor sie hin­stellte. Aus der Pelzkapuze des Störenfrieds schaut ein glattes, gepflegtes Gesicht, und die Stimme Sergeant Hop­kins' fragt: „Well, und die andern? Sind das alle? — Daß ihr kein Gold gefunden habt, das braucht ihr nicht zu erwähnen. Ist ja klar! Aber ihr zogt aus — an die hundert Personen. Einige sind vor Wochen halberfroren zurückgekehrt. Wie­viele seid ihr noch ?"

Er schüttelt mißbilligend den Kopf, reibt seine Nase, räuspert sich und stampft mit den Füßen. Jack und ich stehen wie angewurzelt, und einem anderen Schlitten hinter uns und seinen Treibern geht's genau so. Wir sind empört über diesen Empfang.

„Mensch, lassen Sie uns doch in Ruhe. Sehen Sie nicht, wie verdammt müde wir sind ? Warum denn immer so ver­dammt offiziell sein, wir sind doch nur Menschen!" murmelt Jack. „Und wieso wollen Sie irgend jemanden verantwort­lich machen für das, was geschehen ist ? Es war doch keiner gezwungen mitzugehen, und jeder hat gewußt, was er dabei riskiert!"

Der Sergeant neigt den Kopf, tritt aus der Schlittenspur, und stumm fahren wir weiter.

Und jetzt beginnt Aurora-Borealis, das bunte Himmels­licht des Nordens, über uns seinen seltsamen, ruckweisen Tanz.

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Z W E I T E R T E I L

J A C K

Der stumme Ruf / Wann i komm, wann i wieder komm / Schnee /

Schweinsfüße, Kuchen und Nordlichter / Wolfszauber / Gold / Sturm

am Yukon / Schüsse am Yukon / Die Sonne / Bullers Fort / Potlatsch /

Louis Quebec und Jack Fadden / Abschied von Bullers / Und die

Tanne fiel / Die Falle / Gesang im Walde / Sie aber konnten sich nicht

trennen / Blei, Baumwolle und Watte / D e r Chinook / Der donnernde

Yukon / Allein bin ich in dieser Welt / Naturstudie / D e r sanfte Yukon

L., Gold

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De r s t u m m e Ruf

Klicklick! schnurrt das Roulette in der „Renntierstallbar". Gläser klirren, Flaschen werden polternd hingestellt und Menschen sprechen durcheinander. Das Grammophon krächzt, Kleider rauschen und Mukluks stampfen im Tanz. Blaue und graue Tabakrauchschwaden wallen um die Lampen, die wie Monde daraus hervorblinken. Wenn die Doppeltüren auf­fliegen, um vermummte Gestalten, deren Eiskruste in dem heißen Raum sofort zu schmelzen beginnt, hereinzulassen, so fegen kalte Luftwellen durch die ganze Länge des Raumes und machen Brauen aufkreischen und Männer fluchen. Genau so wie damals ehe wir auszogen, um das Narrengold zu finden! Nur ist, wie ich erfuhr, inzwischen das Elchgeweih wirklich von der Wand gefallen und hat einem nichtsahnen­den halbindianischen Treiber von der Schlittenpost die Schul­ter entzweigeschlagen. Auch die Venus mit dem zerschos­senen Gesicht befindet sich nicht mehr an ihrem Platz zwi­schen der Spiegeltäfelung. Dort hängt jetzt ein Farbendruck der „Susanna im Bade". Daisy ist zwar noch hier, aber sie würdigt mich keines Blickes, was mir gänzlich gleichgültig ist, zumal Nordland-Annie und Peggy, Bessie und auch May sich reichlich um mich kümmern, um uns kümmern — denn Jack sitzt an meiner Seite, weil das Frauenzimmer im „Ant­lers Saloon", jener Stern von Polen, ihm die Augen auszu­kratzen versuchte. Überhaupt sind sämtliche Teilnehmer der unglücklichen Expedition von den Zurückgebliebenen, die sich jetzt alle als die Vernünftigen aufspielen, derart geneckt

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worden, daß es jetzt gefährlich ist, noch von dem Zug zu reden. Diese Jagd nach dem Narrengold am Bittercreek wird aber trotzdem die Runde in Nordland machen und viele Menschen mit Gesprächsstoff versorgen. Was aus Sweet­watercreek-Billy geworden ist, ob er unterwegs zugrunde ging oder irgendeine Pelzjägerstation erreichte, wissen wir nicht. Eigentlich ist es uns egal und wir reden nicht mehr gern über ihn. Über Korporal Paines und Dakota-Charley pflegt man sich manchmal noch den Kopf zu zerbrechen und kleine Wetten einzugehen. Von beiden hat man nichts mehr vernommen.

„Wahrscheinlich schlägt Dakota-Charley Haken wie ein Hase und hofft dies so lange tun zu können, bis das Eis auftaut und er einen Dampfer kriegen kann. Nach Alaska hinüber kann er sicher nicht, Paines ist ein gescheiter Men­schenjäger und wird dies jedesmal vereitelt haben!" sagt Sergeant Hopkins, dessen Gesicht seit unserer Rückkehr düsterer geworden ist. Er trinkt auch mehr als früher, ob­wohl er nie sein Quantum überschreitet. Selbst sein ärgster Feind könnte nicht behaupten, diesen stillen Mann, dem die bunte Uniform so gut steht, jemals berauscht gesehen zu haben.

Es ist langweilig und auch beschämend, hier wochenlang zu sitzen und auf fremde Kosten zu leben — etwas anderes tun Jack und ich nicht. Geld haben wir keines; das, was wir brauchen, leiht uns Annie. Von den andern Männern, die mit uns am Bittercreek waren, läßt sich keiner mehr in der Bar sehen. Die vier Frauen haben ihnen nämlich den Tanz auf dem Eise in Cinderellas Sterbestunde nicht ver­gessen. Die Männer haben sich Peggys damalige War­nung nicht sehr zu Herzen genommen. Denn sie überfüllten anfangs die Bar, bis die Mädel einen nach dem andern bis

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auf den letzten Cent ausbeuteten und ihnen nachher hohn­lachend erklärten, sie möchten sich gefälligst zum Teufel scheren. Dann sorgten sie dafür, daß jenen in der Bar keiner­lei Kredit gewährt wurde, was in derartigen Fällen sonst üblich ist. Zwischen einigen Männern entstand Streit, sie richteten sich mit Messern wüst zu; zwei andere gerieten in eine Schießerei. Zu seinem Glück starb der schwerver­letzte Sieger auch und ersparte dadurch der Regierung eine Verhandlung nebst Strick. Ich habe den Verdacht, daß Peggy der eigentliche Grund dieser Streitigkeiten war. Doch hüte ich mich, dies laut zu äußern, denn auch ich war bei jenem Teufelstanz unter den Nordlichtern zugegen und kann zu­mindest nachfühlen, was die Mädel damals innerlich er­duldeten.

Jetzt sind die meisten dieser Männer damit beschäftigt, fluchend und zähneknirschend draußen in grimmer Kälte täglich sechs Stunden lang Holz zu spalten. Dafür erhalten sie zu essen. Ein paar rochen rechtzeitig den Braten und gingen sofort in „Antlers Saloon", ohne die „Renntierstall­bar" mit einem Fuß zu betreten. Das half ihnen aber nichts. Wenn auch beide Wirte Konkurrenten sind, die sich ärger als die Pest hassen, so bilden sämtliche Hostesses von Moose­town eine geheime, eng zusammenhaltende Schwesternschaft. Die Männer, die sich noch etwas Gold in den „Antlers Saloon" retteten, erfreuten sich deshalb nicht lange am Be­sitz ihres Mammons, der ihnen sonst einen bequemen Winter verschafft hätte. Schon seit einigen Tagen hacken sie Holz gleich den anderen und putzen die Spucknäpfe des Morgens, ehe der Betrieb in den Lokalen anfängt.

Annie war eben kurz bei uns. Die andern Mädel tanzen gleich bunten Schmetterlingen mit bärtigen verwegenen Kerlen.

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„Scheußlich!" brummt Jack gähnend. „Schauderhaft, so wochenlang, tagaus, tagein, zu sitzen, sich nicht rühren zu können und vom Gelde anderer zu leben. Noch nicht mal 'n kleines Pokerchen oder 'n bißchen Roulette kann man spielen. Annie würde zwar nichts sagen, aber ich schätze, es ist unehrenhaft, ihr Geld zu verjubeln. Ich halt's nicht mehr aus, beim Teufel! Wie lang sind wir jetzt wie­der hier?"

„Vier Wochen." „Was, nicht mehr? Ich dachte vier Jahre. Wahrhaftig,

es ist zum Schädeleinstoßen! Was meinst du, mein Gold­knabe, wollen wir uns von Annie einen Grubstake geben lassen und in die hübsche Wildnis ziehen ?"

„Ja, ich weiß nicht, was ich sagen soll. Gefallen tut's mir hier nicht gerade, und die Aussicht, noch untätig bis zum Frühjahr hier zu hocken, ist keine schöne. Ich kann gar nicht mehr schlafen!"

„So, also hat's dich auch schon, das Fieber. Es ist akkurat wie ein stummer..."

„Ein stummer Ruf!" falle ich ein. „Richtig! Du nimmst mir das Wort vom Munde. Ein

stummer Ruf, bei Gott, das ist's." „Aber wohin wollen wir denn? Wir können doch nicht

aufs Geratewohl in Schnee und Eis hinausziehen!" Während ich dies spreche, überstürzen sich meine Ge­

danken. Stille Wehmut beschleicht mich, weil ich an Peggy denken muß, die dort wenige Tische von mir Roulette spielt. Diese vier Wochen, die waren doch eigentlich recht schön. Schön durch Peggy. —

„Peggylein, ich möchte bei dir bleiben, aber es geht ja nicht. Wenigstens jetzt nicht. Der stumme Ruf, den die Wildnis da draußen zu mir schickt, ist zu stark und zu

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mächtig. Aber gewiß werden wir uns wiedersehen, gelt, Peggylein ?"

„Was brummelst du da?" erkundigt sich Jack. Darauf lacht er behaglich: „Ich weiß einen Platz, wo ich mal ge­graben habe, aber der Winter überraschte mich und ich ging nach Dawson. Nachher traf ich dich und wir hatten andere Eisen im Feuer. Ich schätze, wenn wir dorthin gehen und mit dem Frühjahr zu buddeln anfangen, werden wir was fin­den. Die Proben damals waren vielversprechend. Es liegt droben, wo der Yukon das große Knie macht, im Ameri­kanischen drüben!"

„Hm, das ist eine Reise, die genau so schwierig sein wird wie unser Narrenausflug nach dem Bittercreek. Aber immer­hin mag's besser sein, als hier zu hocken. Ich habe auch keine Ruhe mehr!"

„Der stumme Ruf plagt dich!" nickt er weise. „Wollen's Annie sagen!" brummt er dann und winkt ihr, da sie ge­rade vorbeigehen will. Sie läßt sich bei uns nieder und ihre Augen blitzen schalkhaft, als sie schmunzelt: „Nun, ihr Zwei seht ja gerade so aus, als wenn ihr Holz gefressen habt. — Was für eine tolle Idee ist euch jetzt in die Köpfe gesprun­gen, he? Ich seh's euch an, ihr wollt fort!"

„Ja, Annie, Sie Gedankenleserin! Wir wollen fort, nach dem Yukonknie hinauf. Helfen Sie uns mit einem Grubstake aus zu fünfhundert Prozent!" bettelt Jack und rückt ver­legen auf dem Stuhl hin und her. Sie betrachtet mich scharf. „So, also schon kein Sitzfleisch mehr? Wieder auf eine ver­rückte Fahrt aus? Und — bin ich ein Wucherjude, der Geld zu solchen Zinsen ausleiht?"

Ich werde verlegen, denn diese Frau hat etwas an sich, das mich klein und dumm macht. „Annie, es ist nicht schön, untätig hier zu sitzen und kein Geld zu haben!"

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„Wer sagt, daß ihr kein Geld habt ? Ihr könnt doch jeder­zeit von mir bekommen!"

Jack schüttelt den Kopf, während ich entgegne: „Selbst­verdientes Geld, Annie!"

An der Bar entstand plötzlich Lärm. Ein betrunkener Tänzer wurde gegen seine Partnerin handgreiflich und ein blonder Schwede schlug ihn mit der Faust ins Gesicht. Jetzt halten beide in Boxerstellung voreinander, und das Mädel, die Daisy, fängt an zu keifen.

„Ich muß da rasch Ordnung machen!" wirft uns Annie zu. „Ihr könnt ja bei Sailor euren Proviant für die Fahrt holen. Sagt ihm nur, daß es auf meine Kappe geht." Schon ist sie an der Bar und ihr warnender Blick bringt Daisy zum Verstummen. Ein Scherzwort hier und eine leise Drohung aus demselben Munde trennt die beiden Kampf­hähne. Auf einen Wink fängt das Grammophon wieder zu schmettern an. Jack und ich springen empor und eilen strah­lend nach der Tür, nachdem wir die Parkahs angezogen und die Kapuzen übergestülpt haben. Es ist Nacht draußen, bunte, wabernde, arktische Nacht, dazu fürchterlich kalt. Jack fuchtelt mit den Armen und ruft glücklich: „Hurra für den endlosen Pfad! Cheerio! Hurra dem stummen Ruf, der dort aus dem Norden kommt!"

So schnell wir können, rennen wir den schmalen, tief ausgefahrenen Schlittenpfad die Straße entlang nach Sai­lors Store. Der Laden ist natürlich geschlossen, und sein Besitzer schläft sicher schon. Jack donnert mit Fußtritten gegen die Tür, während ich so laut wie möglich schreie. Schließlich wird es hell hinter dem win­zigen Fenster, in dem amerikanischer Speck, Zwiebeln und eine große Flasche Himbeersaft als Attraktion lie­gen. Der Riegel schnappt zurück und mit der Kälte

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dringen wir in den langen, niedrigen, von Waren aller Art fast ausgefüllten Raum.

„Was ist los, etwa eine neue Goldstampede ? Wie heißt der Bach diesmal? Monkeycreek? Hoho!" brummt Sailor, sich dabei die grauen Brauen reibend und laut gähnend.

„Gib uns Speck, gib uns Mehl, Kaffee und Tee. Gib uns Sirup und Büchsenmilch und Futter für die Hunde!" for­dert Jack.

Sailor nickt vor sich hin. „Ich kenne dich gar nicht wieder, Jack. Du warst sonst einer der Überlegendsten. Was ist in dich gefahren? Kommen die anderen auch bald?"

Jack lacht: „Der stumme Ruf, Sailor. Mein Partner und ich nennen's wenigstens so. Aber sag', was meinst du mit den anderen. Warum sollen die kommen, Old­timer ?"

„Straf mich Gott und hol mich dieser oder jener! Der Mann ist verrückt geworden! Stummer Ruf! Wer hat je solches Wischiwaschi gehört? Jack, alter Knabe, wo tut's weh? Hier an der Schläfe? Oder drückt's im Hinterkopf? Und du siehst manchmal 'nen kleinen netten schwarzen Hund, ja? Und einen schwarzen Nigger, der dir nachläuft?" fragte der Alte besorgt.

Jack schlägt mit der Faust auf den Tisch und fängt dann ärgerlich an zu lachen: „Mann, du bist selber übergeschnappt wie eine Hallelujaziege! Schwarzer Hund und schwarzer Nigger, hahaha! Mensch, ein Grubstake wollen wir, Annie ist Bürgin. Und hinauf nach dem Yukonknie ziehen wir, wo ich den alten Claim habe, von dem ich dir schon erzählte. Mach zu und tummle dich, alter Mehlsackkönig und Speck­seitensultan !"

Staunend schaut Sailor von einem zum andern. „Also es kommt niemand hinter euch? Keine Männer, die meinen

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Laden blank und leer kaufen wie damals bei Sweetwaters Stampede ? Also keine neue Goldbotschaft ?"

„Bewahre. Ich habe dir gesagt, daß ich und der andere hier Proviant wollen, und kein Wort darüber. Das von der Stampede hast du geträumt."

Sailor brüllt entrüstet: „Und bloß darum habt ihr mich aus meinem Schlaf gerissen, ihr grobschlächtigen Schlitten­läufer? Ihr verdammten windschnäuzigen, krummbeinigen, triefäugigen, lappenohrigen..."

„Beruhige dich, Alter. Sonst kriegst du noch die Maul­sperre und das wäre schade. Es soll wehtun, hab ich mir sagen lassen. Los jetzt, wieg Mehl, Speck und gefrorene Lachse ab. Kannst auch 'nen Renntierschinken beifügen oder zwei und getrocknete Äpfel. Und eine Pulle von etwas Star­kem für alle Fälle. Und Tabak, viel Tabak, aber nicht das parfümierte Heu von neulich. Ein paar neue Pfeifen können wir auch gebrauchen. Und Streichhölzer in Blech­büchsen. Na, du weißt ja Bescheid, was man sonst noch braucht. Wir wollen's gleich aufladen, den Schlitten holen wir jetzt!"

Sailor brummt noch immer in übler Laune und weigert sich kategorisch, auch nur eine Fingerspitze zu rühren. Wir sollen uns noch sechs Stunden aufs Ohr legen, und wenn wir dann wiederkämen, hätte er alles bereit. Jacks Gegenrede nützt nichts. Mürrisch hockt der alte frierende Mann mit der rotwollenen Nachtmütze auf seinem Ladentisch und schüttelt den Kopf. Endlich gehen wir dem Ausgang zu, da ruft er lebhaft: „Was ist denn das mit dem stummen Ruf, Mann ? Wie kann ein Ruf stumm sein! Wenn man einen Ruf hören kann, dann kann er doch nicht stumm sein. Und wenn ein Ruf stumm ist, so ist's kein Ruf. Und wenn ein Ruf kein Ruf ist, so . . ."

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„So ist s kein Ruf. Verwickle dich nicht, du kommst doch nicht wieder raus. Ich will dir's erklären, Oldtimer!" lacht Jack gutmütig und fährt fort: „Weißt du, mein Partner und ich haben's so getauft. Wir meinen damit das Verlangen und die Wanderlust, die einen plötzlich zwingen, wieder los­zugehen. Das verstehst du doch, nicht?"

Sailor nickt pfiffig. „Klar, ganz klar. Jetzt weiß ich, was du meinst. Es ist so 'ne Art fette — fette — na, verdamm mich Gott, wie heißt's denn, was die Araber in der Wüste haben? Hurrah, ich hab's. Eine fette Morgana meint ihr. Fette Morgana, das ist's!"

„Fata Morgana!" lache ich laut. Er wirft mir einen vor­wurfsvollen Blick zu. „Junger Mann, unterstehen Sie sich ja nicht, mich zu belehren. Sonst holt euren Proviant wo­anders! — So was, den alten Sailor mir nichts dir nichts aus der warmen Schlafkoje zu werfen, nur wegen 'nem luf­tigen Spiegelweibsbild namens fette Morgana!"

Jack zieht mich aus dem Laden und draußen ist es so kalt, daß mir das Lachen rasch vergeht. An der Hinter­pforte der Bar verlasse ich ihn und trete ins Haus, steige Langsam die Treppe nach oben und öffne eine Tür. Es ist warm und behaglich in der kleinen Stube, und nachdem ich die Parkah ausgezogen habe, legen sich Peggys Arme warm und weich um meinen Hals. Dabei schaut sie zu mir empor. Ihre Augen sind zwei braune glänzende Sonnen, in deren Spiegel ich mein Bild erblicke. Ihr Mund ist eine rote auf­gebrochene Blume und aus ihrem Haar steigt ein Duft, der mich an die fernen Inseln der glücklichen Südsee erinnert. Immer enger umschließen mich diese Arme, immer größer werden die braunen Sonnen der Augen, und der Duft macht mich froh.

Heiter lachend läßt sie es geschehen, daß ich sie wie

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ein Kind auf die Arme nehme und ans Fenster trage. Auf der kleinen Scheibe blühen Eisblumen und draußen ist Nacht und Schnee, flammende, bunte arktische Nacht. Lange stehe ich so und Peggys Haar kitzelt meine Stirne, während sein Duft mir wunderliebliche Märchen erzählt.

W a n n i k o m m , w a n n i w i e d e r k o m m

Sailor rüstete uns aus, und Annie gab uns die Adresse eines Agenten in Dawson-City. Dort können wir immer ihren Verbleib erfahren, falls wir nicht nach Moosetown zurück­kehren. Auch über Peggy, May und Bessie könnten wir bei dem Manne Neues erfahren.

Peggy hat mich geküßt, heiß und endlos geküßt, ganz schamlos vor allen Menschen. Aber es sagte niemand etwas, denn Annie stand dabei. Es weiß auch jeder, daß Peggy und ich uns gern haben, wie man einen Mann gern hat, der vielleicht nie wieder aus Nacht und Eis zurückkehrt; wie man eine Frau gern hat, die einem die Erinnerung an Schönheit und Freundschaft auf den langen — end­losen Pfad in Nacht und Eis hinein mitgibt.

Und dann schrie Jack: „Heiah, heiah, musch!" Sergeant Hopkins rief uns noch nach: „Glück! Viel Glück!"

Das Schneetreiben umfaßte und umhüllte uns. Moosetown und die paar Menschen, die sich um uns gekümmert haben, versanken in stiebenden Flocken und kalter weißer Einsam­keit.

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Schnee

Flocken fallen. Sie tanzen und gaukeln, wirbeln aber nicht in gespenstischer Freude, sondern gleiten als weiße Striche vom unsichtbaren Himmel herab. Kein Windhauch weht, der Nordlands eisige Stille mit seinem leisen Stöhnen beleben könnte. Wie das schwache Echo im Innern einer vielfach ge­wundenen Meeresmuschel hallt und pocht, so steht das Echo vom Schlage des eigenen Herzens in meinen durch Pelzklap­pen geschützten Ohren. Der ausgestoßene Atem kristalli­siert vor meinem Munde. Jack schnauft manchmal. Uner­müdlich stapft er vor den Hunden her durch tiefen Schnee. Ohne seine bahnbrechende Arbeit würden die herrlichen, tapferen Tiere bis an die Bäuche im Schnee versinken und steckenbleiben.

Das Riemenzeug knarrt mißtönig. Stellenweise, dort wo hartgefrorener Schnee liegt, den der gestrige Sturm bloß­legte, vernehme ich das Schleifen der Schlittenkufen auf der rauhen Oberfläche wie eintönige, unsäglich schwermütige Musik. Darüber schwingt, wie die Möve auf der Brandung, das sanft knallende Geräusch stapfender Hundepfoten. Aurora — welches Schlittengespann in Alaska oder Kanada besitzt nicht ein Tier, das diesen klangvollen Namen führt? — Unsere Aurora läuft vorn an der Spitze des Riemenge­schirrs. Häufig stößt diese schöne schwarzweiße Leithündin ein schwaches ungeduldiges Winseln aus. Und alle Geräusche zusammen bilden eine Symphonie aus zarten Lauten. Für uns, die wir gleich verzauberten Seelen durch Nordland kriechen, wuchsen sie während langer eintöniger, nur durch heulende Stürme unterbrochener Wochen gewaltig an. Unse­rer stark überreizten Einbildung dünkt es der Donner des Niagara zu sein. Es zermürbt, es preßt einem Leib und

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Seele zusammen. Während meine Füße mit den breiten ge­flochtenen Schneeschuhen mechanisch ihren Dienst verrich­ten, überfallen mich allerlei merkwürdige, halbverrückte Ge­danken und Gelüste.

Weit vorne, dort zwischen den vom Winde prächtig ge­formten Schneewehen heult ein Wolf dünn und beinahe klanglos, weil die Flocken wie Isolierschichten wirken. Der da Laut gibt, muß ein Einzelgänger sein, den das Rudel ausgestoßen hat. Von nirgends kommt Antwort auf sein sehn­süchtiges klagendes Heulen. Es ist der Hungerruf, ich unter­scheide das wohl; man erwirbt sich bald derlei Kenntnisse in Nordland. Jagdruf, Meutenruf und der „warme Fährten­ruf" der Wölfe sind ganz verschieden. Dieses Geschöpf, das da vorne durch die Einsamkeit streicht, leidet Not.

Sacht, geisterhaft langsam, in unerschöpflicher Fülle, da­bei leicht schaukelnd, sinken die Flocken; fast so groß wie die Patschhand eines kleinen Kindes ist jede ein­zelne, und es kommt mir vor, als ob jemand fortwäh­rend Schnee auf mich schaufelt. Sehen kann ich nicht all­zuviel. Unter den Füßen liegt Schnee, und von oben fällt noch mehr Schnee. Der dahinter verborgene Himmel läßt langsames, kaltes graues Licht herabrieseln. Grünlich geistert's manchmal hindurch: Nordlichter, im Werden be­griffen.

Auf den haarigen Rücken der Hunde häufen sich weiße Schichten. Jacks Umrisse sind kaum noch zu erkennen. Ver­flucht, wie öde und traurig das alles ist! Die letzte Fahrt nach dem Bittercreek, haha! — und vor allem die Lager­plätze damals glichen Ameisenhaufen im Vergleich zu jetzt. Wie kalt das ist, brr! Meine Hände, mit denen ich die höl­zernen Lenkstangen des Tobogans festhalte, sind trotz der dicken Fäustlinge gänzlich gefühllos. Ich werde sie nachher

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mit Schnee reiben und gegen Brust und Schenkel schlagen, damit das Blut seinen Kreislauf wieder antritt, sonst er­frieren sie mir. Und was ist ein Mann, wenn er seine Hände nicht mehr gebrauchen kann, im fürchterlichen, eisigen Schweigen Nordlands?

Es wird teuflisch lange dauern, bis wir mit diesen ver­klammten Fingern den Ofen angezündet haben. Jacks Hände sind gewiß in keiner besseren Verfassung als meine. Ver­dammt und nochmals verdammt! Sämtliche Kraftworte aller mir bekannten Sprachen könnte ich dem Gehege meiner Zähne entrasseln lassen, wenn's nur nicht so anstrengend wäre und man nicht dabei Gefahr liefe, sich einen Knacks an der Lunge zu holen. Man flucht ohnedies zuviel in die­ser himmeltraurigen, für keinen Menschen geschaffenen Gegend.

Stapf! Stapf! Wie merkwürdig der Schnee knirscht und knallt. „Ahoi, Jack, wollen wir nicht haltmachen ?"

Der hört nichts. Aber ich weiß doch genau, daß es vier Uhr nachmittags ist. Mein Magen sagt mir's nämlich. Eine Uhr habe ich ja nicht mehr.

Horch, wie kläglich der Wolf schreit! Und nun krächzt auch noch ein Rabe, der sich gewiß in dem flockenerfüll­ten Einerlei verirrt hat. Ohne Unterlaß sinkt Schnee von oben. Armer alter Isegrimm, der du so einsam klagst, dich hat das Rudel ausgestoßen und dich plagt der Hunger. Beim Donner, ich könnte es nicht aushalten, so ganz mutterseelen­allein durch dieses eisige Schweigen zu ziehen, Tage und Wochen oder gar monatelang. Da würde ich bald den Win­chesterlauf zwischen die Zähne klemmen und mit der gro­ßen Zehe den Bügel abdrücken. Gott sei Dank habe ich Jack bei mir, der ein guter Kerl ist. Und die Hunde. So läßt es sich ertragen.

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Wir halten immer noch die gleiche Richtung ein und ge­denken es weiter zu tun. Wenn dann der kurze Sommer kommt, wollen wir eine Hütte bauen und Gold finden. Das heißt, erst suchen! Jack weiß einen Platz. Er denkt wenig­stens, daß an der Stelle, die er kennt, noch Gold sein könnte. Auf solche bloßen Vermutungen hin haben Männer im Nord­land schon oft viele Tausende Kilometer unter den größten Strapazen zurückgelegt. Denken wir bloß an unser letztes Abenteuer und die Phantasien von Sweetwatercreek-Billy, an die wir alle glaubten! Warum sollen wir zwei es also nicht nochmals unternehmen, zumal wir Zeit haben? Es kann allerdings geschehen, daß wir gar nicht sehr weit kom­men, weil uns vorher der Teufel holt, der Nordlandsatan. Seine Lieblingsfarbe ist weiß, Tafelmusik liefert der heu­lende Schneesturm und die Lohndiener sind Eishauch nebst Hunger.

„Jack! Jack! Wollen wir denn heute überhaupt nicht an­halten?"

Ich habe meine Lippen unter Schmerzen von der Eiskruste, die mir fast bis ans Kinn ging, befreit und schreie die Worte. Echolos ersticken sie hinter schaukelnden Flocken. Jack scheint taub zu sein. Aber die Hunde hören mich und wissen genau, was ich will; die hinteren kneifen mit den blanken Zähnen in die Keulen der vor ihnen laufenden, und das ganze Team stimmt darauf einen kurzen freudigen Chor an. Jetzt ziehen sie so schnell, daß Jack fast über den Haufen gerannt wird, aber er schlägt selbst einen schwerfäl­ligen stampfenden Trab an. Wie der Tanzbär zum Tam­burin des Zigeuners! Ich tue desgleichen. So traben wir. Durch lange Übung bin ich wie jeder andere „Hundeschlit­tenläufer" in der Lage, dies einen halben Tag, wenn's sein muß, durchzuhalten. Nur jetzt nicht mehr.

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Heiah, der Schnee wird tiefer, wir sind in einer Ge­ländefalte und die Hunde verlangsamen ihren Trab, und nun setzen sie sich winselnd hin. Der fallende Schnee gleicht wieder langen weißen, aus dem Nichts über uns herabflie­ßenden Schlangenlinien. Wir Männer sind ebenso erschöpft wie die Tiere, ziehen die Schultern ein und lehnen vornüber. So stehen wir eine Weile und es ist still wie in einem tief unter der Erde liegenden Gewölbe. Die Schneebänder, die sich ununterbrochen vor unsern Augen abspulen, machen mich schier verrückt. Um etwas zu haben, an dem mein Blick ausruhen kann, hefte ich ihn auf den schwarzen Stru­welkopf Blackies, der mit der roten Zunge pendelt und mich erwartungsvoll anschaut.

S c h w e i n s f ü ß e , K u c h e n und N o r d l i c h t e r

Wir haben die Hunde abgeschirrt und eine Mulde im Schnee gegraben, bis das graugrüne gefrorene Moos zum Vorschein kam. Die Tiere wälzen sich und beißen ein­ander mit vergnügtem Knurren.

Das Zelt steht endlich, nachdem es zweimal, begleitet von unseren Wutausbrüchen, zusammenfiel, weil die steifen Finger es nicht richtig gemacht hatten. Nun hocken wir drin­nen über dem Spiritusofen und lösen vorsichtig die Reste der Eispanzer von den Wimpern und dem Bartgestrüpp. „Schade, daß kein Holz aufzutreiben ist. Hast du auch gut nachgesehen?" fragt Jack und rührt in dem gezuckerten Mehlbrei, den wir als etwas „Warmes" aufsetzten.

Ich möchte ihm am liebsten den Ofen samt Topf ins Ge­sicht werfen. „Gut nachgesehen? Mann, eine halbe Stunde bin ich im Schnee nach allen Richtungen herumgekrebst,

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bis ich meine Hände überhaupt nicht mehr fühlen konnte. Es ist keine einzige Krüppelweide unter der weißen Decke zu finden. Geh und schau selber nach!" kommt es mit dem Knurren eines gereizten Tieres über meine Lippen.

„Da, koste mal!" beschwichtigt er, und ich lecke den mir gereichten Holzlöffel ab. Gierig verschlingen wir dann den heißen Kleister, und obwohl wir ihn seit drei Wochen Tag für Tag essen, schmeckt er uns jedesmal besser, als das herrlichste Mahl in der Zivilisation je mundete. In den Städten würde kein Hund das pappige Zeug anrühren!

Jack kriecht hinaus, um die Tiere mit halbaufgetauten gefrorenen Lachsen zu füttern. Das ist ihre Mahlzeit, und sie erhalten sie nach Nordlandsitte einmal am Tage. Wäh­rend ich darauf warte, daß der Schnee im Teetopf schmilzt und zum Kochen kommt, höre ich draußen Jacks Stimme. „Komm, Aurora, mein guter Hund, da schnapp! He, Blacky, was fällt dir ein, du diebische Kröte! Wirst du wohl?" Dann tönt dumpfes Klatschen und dazwischen ein Knurren, Jau­len und Heulen, als ob eine Menagerie losgebrochen ist. Nach einer Weile wird es ruhig. Jeder der Hunde hat seinen An­teil erhalten und ist jetzt emsig beschäftigt, ihn zu verzehren. Steifgefrorene Lachsstücke knacken und prasseln zwischen mächtigen Kinnbacken.

„He, Ernest, laß den Tee nur kochen, das kann er allein. Komm raus, wir müssen ihre Pfoten nachsehen!" schreit Jack, und ich krieche ins Freie. „Achtunddreißig Grad unter Null oder ich will ein Nigger sein!" entfährt es mir, und wir gehen an die Arbeit. Es ist ein notwendiger Liebes­dienst, den wir den Hunden fast jede Rast erweisen müssen, damit sie nicht fußkrank werden. Durch das Laufen im Schnee bilden sich manchmal zwischen ihren Zehen Eis­klumpen, die die zarte Haut blutig scheuern können. Ein sol­

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Page 128: GOLD, WHISKY UND FRAUEN IN NORDLAND

ches Tier ist unter Umständen einige Wochen nicht zu ge­brauchen, deshalb wird man vorsichtig. Man kann ihnen zwar Schuhe, sogenannte Dogmocassins anlegen, aber sie können darin schlecht laufen und lieben sie nicht.

Die Tiere wissen genau, worum es sich handelt, werfen sich auf den Rücken und es sieht aus, als ob sie lachen, wenn sie so mit blitzenden Augen und bleckenden Zungen ihre Pfo­ten hinhalten. „Natürlich, Blacky! Blacky, du schwarze Seele, kannst du nicht besser aufpassen?" Der prächtige Polarhund springt empor und läuft mit tiefem zufriede­nem Knurren vor mir ins Zelt. Drinnen nehme ich seine Pfote in den Mund und hauche so lange drauf, bis das grausame Eisklümpchen zwischen den Zehen geschmolzen ist.

Einfach wegreißen? — Ja, das ginge wohl, aber man würde einen Teil Haare mit ausreißen, und widerstandsfähiger könnte der Hund, dessen „Achillesferse" an diesen Stellen liegt, dadurch nicht werden. Schon manches Schlittengespann ist durch solche Kleinigkeiten im eisigen Nordland zum Teu­fel gegangen. Die Hunde liefen sich wund, ihre Herren muß­ten notgedrungen zu lange lagern, der Proviant reichte dann nicht mehr und das Ende weiß niemand. Denn die paar Knöchelchen, die die Wölfe übrigließen und die über Kilo­meter verstreut zur Sommerszeit im schwammigen Moose liegen, vermögen zwar eine stumme, eindringliche Sprache zu reden, doch wie es geschah, das kann man nur erraten.

Blacky rennt vergnügt hinaus und Jack kommt zurück. Der Tee ist gut und jeder von uns möchte gerne noch ein Maß davon trinken, aber es muß gespart werden. Weiß der Himmel, wo und wann wir wieder welchen erhalten können!

„Wieviel Meilen sind's noch bis zur großen Stromschleife?" beginne ich das Gespräch, obwohl ich ziemlich genau die Entfernung weiß. Ich will aber eine Unterhaltung anfangen.

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Es ist nämlich sonderbar! Manchmal, wenn wir Lager ma­chen und die Arbeit des Fütterns und Verarztens hinter uns haben, gleichen wir Mineralwasserflaschen, aus denen plötz­lich die Stöpsel entfernt wurden, wahre Wortschwalle spru­deln heraus. Oft ist es aber anders und wir müssen mühsam an jeder Silbe kauen. Und das ist gefährlich, weil es oft mit einer Prügelei aufhört. Die endet zwar wieder mit Shake­hands, aber ich habe auf solche Weise schon zwei Zähne eingebüßt. Man braucht diese aber im Nordland noch mehr als sonst wo, weil es oft monatelang nichts als gewaltig zähes Wild zu kauen gibt. Ja, man prügelt sich mit sei­nem besten Freunde! Ein schiefer Blick oder eine Bewegung genügt — derart gereizt wird man durch die einsame Natur. Ich möchte daher zwei Kumpanen, die einander nicht recht grün sind, zu keiner Schlittenpartie durch das weiße Schwei­gen auf dem Tausendkilometerpfad raten, es wird ihnen sicher so gehen wie den beiden Kilkennykatzen in den ameri­kanischen Kinderbüchern. Die kämpften und bearbeiteten sich derartig, daß zum Schluß fast gar nichts mehr von ihnen übrigblieb.

„Well, an die achthundert englische Meilen werden's, wie ich schätze, noch sein!" meint Jack nach langer Pause. Nun ist das Eis gebrochen und wir unterhalten uns, wäh­rend unser Atem in winzigen Kristallen zu Boden fällt und sich die Innenseite des Zeltstoffes langsam mit einer immer dicker werdenden Eisschicht überzieht. Zuerst waren es hübsche weiße Sterne und Blumen, die dann zusammenrück­ten und zu einer Art Eisplatte wurden. Aber was für eine Unterhaltung!

„Speck und Schinken, Weizenmehlkuchen mit Butter und Sirup, ah, mhm!" fängt Jack an.

„Schweinsfüße in Aspik, gebratene Gans mit Kastanien

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im Bauch und Quetschkartoffeln sind auch was Feines!" schmatze ich.

„Mann, ein Porterhousesteak, so groß wie mein Schnee­schuh hier und dazu französische Bratkartoffeln!" Jacks Augen kullern fast aus den Höhlen.

„Ananas im eigenen Saft hinterher und Krüge voll schäu­mendem Bier!" setze ich mein barbarisches Phantasiemenü fort. Er kann es nicht mehr aushalten und winkt mir flehend, zu schweigen.

Aurora — es ist die mächtige Glockenstimme der Leit­hündin — heult draußen im Schnee. Aus der Tiefe ihrer breiten Brust quillen klagende, die Stille plötzlich erfüllende Töne. Sie steigen langsam, werden zum schrillen, durch Mark und Bein gehenden Heulen, sinken wieder die Skala hinab, dabei mehrmals wieder anschwellend, und versiegen mit fast menschlichem Stöhnen. Jetzt setzen die andern sechs Hunde ein. Es ist ein unbeschreibliches Konzert, das die Lüfte zum Beben bringt und mir, obwohl ich es jeden Tag höre, die Rückenhaut prickeln macht. Wie ein Chor Ver­dammter, der eine unerhörte Klage ins eisige Gesicht Nord­lands schreit!

Darauf machen sie eine Pause, wir hören nur ihre schar­fen Atemzüge.

„Sie singen wieder. Wahrscheinlich hat's aufgehört zu schneien und die Lichter tanzen am Himmel!" sagt Jack leise und beginnt seine Mukluks von den Füßen zu ziehen; dann stellt er diese wasserdichten, gummigeschützten Schnür­schaftstiefel zur Seite, schält auch die Socken ab und hängt sie über den Ofen. Die Hunde draußen grollen dumpf und sehnsüchtig. Es hört sich an wie leises tremulierendes Don­nern hinter fernen Bergen. Ich wälze mich an den Eingang, um die Klappe zurückzuschlagen, und sehe die Hunde im

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Kreis hocken und ihre bereiften Schnauzen spitz zum Him­mel recken. Über ihnen dampft der Atem, um dann als Eisnadeln herabzuknistern. Am Himmel droben funkeln Sterne, Tausende und Zehntausende, die in der klaren Luft hin und her zu hüpfen, zu tanzen und zu wirbeln scheinen. Ein riesiges Nordlicht steht gleich einer bunten Wolke mit zackigen Streifen darin, die blau und rot schimmern, quer über dem ganzen Süden. Im Zenit sind etliche andere, die fortwährend zittern oder zu breiten Bändern auseinander­fließen. Durch diese wundervolle, fast unwirkliche Pracht sehe ich deutlich den Reigen der Silbersterne, die dahinter­stehen. Über dem Schnee aber leuchtet's in mannigfarbenen Schlaglichtern, bald zartrosa wie Morgenröte, dann wieder herrlich blau, grün und violett, manchmal dunkelrot wie verschütteter Burgunder. Leise knistert Frost in der Luft. Die Hunde sitzen und grollen. Was sie wohl denken mögen?

Eisiger Hauch schlägt zur Zeltklappe herein und ich krieche schleunigst Zurück. Der gemeinsame Schlafsack wird ausgebreitet, und wir ziehen frische Strümpfe und weiche Mocassins über die Füße, nachdem wir nachgesehen haben, ob keine Zehe erfroren ist. Man spürt das nämlich zuerst nicht, kann es nur sehen. Die Schmerzen kommen erst, wenn es zu spät ist und einem oft Stück für Stück vom lebendigen Leibe abfault.

Jack leckt den Löffel ab, weil er hofft, noch etwas Mehl­kleister daran zu finden. Er brummt: „Für vierzehn Tage haben wir und die Tiere noch reichlich Proviant. Dann. . ."

„Wir werden sicher inzwischen etwas schießen. Einen Elch!" falle ich ein.

Behaglich rauchen wir dann stumm vor uns hin. Ach, wie doch solch eine Pfeife nach des Tages Mühe schmeckt! Draußen beginnen die Hunde abermals zu heulen, ungefähr

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eine volle Stunde lang. Die Töne haben dieselbe Wirkung auf mich, als ob jemand mit einer rauhen Bürste fortwäh­rend über meinen Rücken streicht. Auch Jack steht unter demselben Einfluß, denn er rührt sich nicht, starrt nur vor sich hin. Kaum merkbar wiegt sein Oberkörper hin und her. Die Pfeife entfällt ihm. Plötzlich schweigt die Klage der Tiere. Da seufzt er, wird vollends wach und schreit: „Jetzt ist's aber genug, ihr tollen Biester. Aurora! Blacky, kommt! Ho, Husky, und ihr andern! Vorwärts, herbei!" Während er ruft, krieche ich schleunigst in den Pelzsack, und Jack folgt mir; denn schon kommen, vor Freude win­selnd, die Hunde einer nach dem andern herbeigedrängt und zerdrücken uns schier mit ihren tolpatschigen Lieb­kosungen. Das Zelt ist winzig, aber zwei Menschen und sieben Hunde haben dennoch Platz. Friedlich liegen die Tiere mehr auf- als nebeneinander, und auch wir dienen als Polster. Macht nichts, es wärmt! Nicht alle Nordland­läufer lassen ihre Tiere ins Zelt. Der Schnee ist weich und wärmt, sagen sie.

„Na ja, und wenn wir nichts erjagen, so müssen wir einen Hund schlachten. Natürlich den Schwächsten," setzt Jack unser Gespräch fort. „Kommt's dir nicht auch vor, als ob Aurora trächtig ist?" brummt er, und ohne eine Antwort zu erwarten, fährt er fort: „Eine verfluchte Geschichte wäre das. Jeder weitere Tag macht sie natürlich zum Ziehen un­tauglicher. Muß sie uns gerade jetzt diesen Streich spielen, Goddamn!"

Eine heiße Zunge fährt mir liebkosend über die Stirn. Ehe ich den Kopf ducke und den Pelzsack über mir zu­knöpfe, höre ich Auroras klangvolles zufriedenes Grollen. Und nun versuche ich, an gar nichts zu denken und nur zu schlafen. Aber es geht nicht. Ich muß an die Nordlichter

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denken und an die Wölfe draußen in der weißen Einsamkeit. Heult nicht eben dort in weiter Ferne das jagende Rudel? Ich richte mich auf die Ellbogen und lausche. Nichts! Alles ist ruhig draußen, und im Zelt schlafen Mensch und Tier.

W o l f s z a u b e r

Jack schnarcht neben mir beinahe wie ein Sägewerk am Columbiariver in den Wäldern von Oregon. Ich schlafe noch nicht, obwohl ich sehr müde bin. Wiederholt fallen mir die Augen zu, doch jedesmal schrecke ich empor und bin dann wieder ganz wach. — Man sagt, der Mensch habe noch einen sechsten Sinn, der besonders bei dem ausgeprägt ist, der einsam in der Wildnis lebt. Auch ich kenne dieses Ge­fühl, das man nicht beschreiben kann, und das sich Stunden, ja oft schon Tage vorher, ehe etwas Unvorhergesehenes geschieht, einstellt. Und jetzt ist es mir, als ob eine Stimme fortwährend riefe: „Sei auf der Hut! Gib acht!"

Verzweifelt wälze ich mich auf die andere Seite. Jack hält sekundenlang mit Schnarchen inne, stöhnt und sägt weiter. Das schwere Gewicht eines Hundes, der außerhalb des Schlafsackes quer über meinen Knien lag, gleitet hinab. Dumpfes Knurren ertönt, und aufs neue schiebt sich eine Last über mich. Ich habe nun seit Wochen alle Hunde ab­wechselnd auf mir liegen gehabt und sie wieder hinabbeför­dert, weshalb ich so ziemlich das Gewicht eines jeden und seine Art, sich's bequem zu machen, kenne. Dieses jetzt ist sicher Blacky, der schwarze Bursche, der sich meine Hüfte als weiches Kissen erkoren hat. „Herunter mit dir!" schimpfe ich leise und gebe ihm einen Schubs, der ihn auf seine schla­fenden Kameraden wirft. Wütendes Kläffen folgt. Jack wird

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dadurch wach, knöpft die Klappe des Schlafsacks auf, steckt den Kopf heraus und beginnt wahllos zu fluchen. Rasch schnellt er aber wieder zurück, als er die grimme Kälte spürt. Seinem Gebrumm entnehme ich voll schmunzelnder Schadenfreude, daß ihm ein Dutzend Hundepfoten im Ge­sicht herumtrampeln.

Endlich haben die Tiere wieder Plätze gefunden und sind still.

„Was ist denn los?" fragt Jack gereizt, da er sich nicht beruhigen kann.

„Ich kann nicht schlafen, irgend etwas geschieht heute noch!"

Er lacht mürrisch: „Hast du Notionen, wie wir Yankees sagen, he? Plagt dich der Alp? Schlaf, Boy, morgen früh heißt's wieder, aufgebrochen. Schlag dir die Notionen aus dem Sinn!" Die letzten Worte werden noch gemurmelt, dann sinkt Jack in Morpheus' Arme zurück. — Gedanken zaubern mir bunte Geschehnisse vor die Augen. Allmählich macht sich aber doch die Müdigkeit bemerkbar, und befriedigt strecke ich mich aus. Aber was ist das nur? Eben heulte jener Wolf wieder, und ich lasse mich doch auf der Stelle totschlagen, wenn da nicht auch in dichter Nähe das Ru­del aus vollen Kehlen Antwort gibt! Blacky rutscht wieder von mir herab, und durch die eingetretene Stille grollt sein dumpfes, gewitterartiges Knurren. Aurora fällt ein. Dann streifen pelzbekleidete Körper an meiner Seite des Schlaf­sackes entlang, und die Zeltklappe raschelt. Die Hunde ver­lassen das Zelt.

„Sie hören Wölfe! Laß sie nur, die Angst wird sie schon dicht beim Zelt halten!" murmelt Jack schlaftrunken. Drau­ßen tobt der Chor der sieben starken Huskies voll dämo­nischer Wucht los, zerbricht die Stille mit lautem Geheul,

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aus dem Furcht, Haß und Angriffslust herauszuhören sind. Die grelle Tonskala steigt und sinkt mehrmals, ehe sie stöh­nend erstirbt. Deutlich höre ich das Wolfsrudel darauf ant­worten. Es ist ein höllisches Jaulen, das sich aber rasch in melancholisches Heulen verändert. Abwechselnd erfüllen darauf Hunde wie Wölfe die hallende, seufzende Natur mit ihrem seltsamen Konzert. Ich bilde mir ein, daß allmählich der Hohnchor der Wölfe, aus dem die Aufforderung heraus­klingt: „Kommt her, wenn ihr Lust habt anzubinden!" in eine weiche Lockung übergeht. Auch die Hunde scheinen es zu spüren, denn sie schweigen jetzt. Nur Aurora gibt manchmal die ihr eigenen Glockentöne von sich. Und was nun folgt, das höre ich und nehme ich wie in einem Trance­zustand wahr, denn eine unbegreifliche Macht ergreift Besitz von meinem Körper und Geist. Dabei bin ich aber wach wie noch nie! Mit abgemessenen, mir sonst fremden Bewe­gungen ziehe ich die Mukluks an die Füße, stülpe meine Mütze auf und krieche in die von flammenden Nordlichtern in Zuckungen versetzte Natur hinaus. Das Gewehr hängt wie sonst an der innern Zeltwand, aber ich werfe keinen Blick darauf. Und auch das ist nicht meine Art, denn da draußen lauern wilde Tiere, Wölfe, in deren Eingeweiden die Kälte und der Hunger wühlen. Grauwölfe!

Grüne, rosa und gelbe Farben huschen über den Schnee, verlaufen zu schillernder, sprühender Tinte. Es hat zu schneien aufgehört. Mich aufrichtend, bleibe ich stehen, denn ich kann mich auf einmal nicht rühren, so stark sind meine Nerven angespannt. Ich vermag nur zu schauen, während der Frost wie mit Messerklingen in meine Ohrläppchen beißt. Was ich da sehe, werde ich wohl nie mehr erblicken, ob­wohl meine Augen schon viel Merkwürdiges in sich auf­nahmen.

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Die sieben Hunde sitzen gekrümmt beisammen und bilden eine haarige Masse, von der sich spitze Schnauzen und grün­funkelnde Lichter abheben. Ihre Flanken zittern; einigen pendelt röchelnd die Zunge aus dem Rachen. Ihr Atem steigt empor, ballt sich zu einer dichten Wolke und hängt wie wei­ßer Rauch über den Tieren. Plötzlich winselt Aurora, und fast gleichzeitig zittert Wolfsgeheul in langer Klage durch die Luft. Einzelne Hunde recken die Köpfe schräg zum Himmel, um kurze Belltöne auszustoßen. Als der Lockruf des wilden Rudels verstummt — es ist ein Lockruf, wie ich ihn noch nie vernahm — springen unsere Hunde empor und traben scheinbar ratlos, dabei gequält knurrend, hin und her. Eisi­ger Hauch trägt mir den Geruch der Wölfe entgegen. Die Hunde gebärden sich wie verrückt, ununterbrochen trap­peln sie umher. Wenn ich jetzt Jack riefe oder das Gewehr holte, so würde ich den ganzen verdammten Spuk, den Nord­land und seine Kreaturen da gegen mich und unsere treuen Zugtiere zusammenbrauten, mit dem Knall eines einzigen Schusses verjagen. Aber ich kann nicht. Die Glieder sind mir wie erstarrt, und meine Zunge ist gleichsam festgeleimt.

Das Drama der Nacht im Polarkreis aber nimmt seinen vorbestimmten Lauf und kümmert sich nicht um mich arm­seliges, behextes Menschlein. Was ich ein paarmal in den Blockhäusern Alaskas am warmen Feuer von Oldtimers ver­nahm und stets bezweifelte, spielt sich nun vor mir ab.

Die Nordlichter taumelten eben noch in wildem farben­leuchtenden Rausch durcheinander. Nun sind sie fort, und aus dem ruhigen Himmel funkelt die kalte, unnahbare Pracht der Gestirne. Draußen über den Schnee bewegen sich ge­duckte magere Körper mit eckigen Schultern. Die Bestien sind so nahe, daß ich ihre ausgezehrten Formen erkennen kann. Unruhig traben etliche auf und ab, andere umzirkeln

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in einer Art Humpelgalopp das Gros ihrer Gefährten, die zu einem dunklen Klumpen zusammengeballt sitzen. Dia­mantsplittern gleich glänzen ihre Lichter. Aurora hat sich erhoben, hinkt nun langsam, dabei häufig über die Schultern nach den Wölfen lugend und winselnd, zu mir. Vor meinen Füßen hockt sie sich keuchend in den Schnee und schaut mich schwanzwedelnd unverwandt an. Die andern Hunde laufen noch aufgeregt durcheinander. Da — jetzt versetzt der grandiose Chor der Wölfe die Natur wieder in tönende Brandung, die nur langsam verrauscht. Kaum verebbt das letzte Stöhnen, als Siwashsquaw, die gelbe Hündin, die wir am großen Sklavensee gekauft haben, zögernd zu den Wöl­fen hinläuft. Ganz langsam trabt das schöne Tier, an dessen geschmeidigen Bewegungen ich mich schon so oft erfreute, mit den steifen, gezwungenen Schritten einer Marionette ein­her. Ja, gezwungen wird der Hund. Aber warum und wovon, das ist Nordlands Geheimnis! Es ist die unbegreifliche Macht einer wilden Natur, die sich in den wilden Seelen der Wölfe dort verkörpert, und die auch mich in ihren Bann schlägt. Siwashsquaw möchte gern im Schutze des Zeltes bleiben, ich merke es ihr an, denn sie schaut so oft zurück. Und jedes­mal, wenn sie den spitzen Kopf wieder vorwirft, ist es, als ob sie einen förmlichen Ruck erhält, der ihre Gangart be­schleunigt. Oh — auch Blacky folgt ihr. Die Tränen steigen mir in die Augen, wie ich untätig den Kampf beobachten muß, den das treue Tier mit sich ausficht. Hinter Blacky trabt Whitenose, ein drolliger, zottiger Hund von echter Eskimozucht. Und Mukluk läuft ihm nach, dann Bob und zuletzt Booze. Alle, alle machen dieselben unbeholfenen klei­nen Sprünge wie Siwashsquaw.

Diese ist jetzt bei den vordersten Wölfen angelangt, die wie auf Verabredung ihre Phalanx öffnen, sie in den Ring

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mit den glitzernden Lichtern und schlagenden Ruten ein­lassen und sich hinter ihr schließen. Ich kann erkennen, daß sich ein großer Wolf aus dem Haufen löst und sie mit freu­digen Sätzen umwirbt, an ihren Flanken entlangstreicht und sie beschnüffelt. Auch vor Blacky und den andern öffnet sich der Zirkel der dunklen Tierkörper. Und plötzlich ist die Hölle los, denn die Wölfe fallen mit markdurchdringendem Knurren, Kläffen und Heulen über ihre zahmen Vettern her. Es dauert nur Minuten, die aber für mich zu furchtbaren Ewigkeiten werden; dann ist alles ruhig, und die schatten­hafte, hin- und herrollende Masse löst sich voneinander. Wieder trabt eine Anzahl der Bestien hin und her, während der Rest mit hochgereckten Schnauzen zu mir herüberwin­det. Siwashsquaw, die Hündin, spielt mit dem großen Wolf. Beide machen übermütige Kapriolen und tollen wie junge Welpen im Schnee herum. Die andern Hunde aber sind ver­schwunden, zerfetzt, aufgefressen!

Mein Blick fällt auf Aurora, die angstvoll winselnd vor mir sitzt und sich oft umschaut. Ich fühle auf einmal, daß ich sie mit meinen Augen festhalten und retten muß, denn bewegen kann ich mich immer noch nicht, und der Schrei, den ich auszustoßen versuche, kommt nur hauchgleich über meine eisbekrusteten Lippen. Verdammt, oh verdammt! Hilf Gott oder Teufel! Wie angeschmiedet stehe ich da.

Aurora will weg, will hinüber zu ihren Brüdern, deren strenger Geruch sie gebieterisch auffordert, mit in die glor­reiche Freiheit zu kommen. Ein einzelner Wolf heult lang­gezogen. Aurora antwortete mit verzweifeltem Kläffen, springt auf, möchte hinüber, aber mein Wille ist plötzlich stark. Meine Augen lassen sie nicht mehr los. Widerwillig streckt sie sich zu meinen Füßen aus. Ihre Flanken beben. Aber nun stößt sie einen tiefen Seufzer aus, wedelt ein

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paarmal mit der buschigen Rute. Der Wolf, der vorhin heulte, kläfft ärgerlich. Ich habe gesiegt über Nordland und seine Kreatur! Plötzlich zuckt ein gewaltiges Licht quer über den Horizont, und der Abglanz seiner Farben fließt über den Schnee. Da formt sich das Rudel zur Phalanx und setzt sich in langsamen, schwingenden Trab, wie ihn nur die Wölfe traben. An der Spitze läuft ein großer, magerer Bursche. Schulter an Schulter mit ihm hält sich die gelbe Hündin vom Sklavensee.

Sie verschwinden lautlos hinter hohen Schneewächten. Ein­mal noch höre ich den Ruf des Rudels, aber schon aus weiter Ferne; dann ist es still. In wildem Farbenbacchanal taumeln Nordlichter den Himmel entlang. Wie ein böser Zauber fällt etwas von mir, und meine Augen reibend, ver­suche ich, einen Schritt zu machen. Jetzt spüre ich wieder die schneidende Kälte. Ich kann gehen! Dicht an mich ge­drängt, folgt Aurora mir dorthin, wo das Rudel vorhin weilte. Der Schnee ist zertrampelt und an einzelnen Stel­len blutgerötet. Sonst nichts. Nichts!

Da mache ich kehrt und wate mühsam und traurig durch den Schnee zum Zelt. Aurora bleibt ganz dicht an meinen Fersen. Sorgfältig binde ich die Klappe hinter uns zu. Ich bin so traurig, daß ich weinen könnte wie ein Kind, dem die Mutter starb. Auch Wut flackert in mir hoch, schreck­licher, ohnmächtiger Zorn gegen dies unbegreifliche Nord­land, dessen Gefangener ich bin. Ich habe gesiegt, aber es war ein Pyrrhussieg.

Soll ich Jack wecken? Wozu, der gute Kerl schläft so fest, und die Hunde sind ohnedies unwiederbringlich ver­loren. Jack wird es noch zeitig genug erfahren.

„Komm, Aurora, mein gutes Tier! leg dich eng an die Seite des Schlafsacks!"

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Die Hündin winselt, und ihre Rute peitscht meine Knie. Nun krieche ich in das warme Pelzgehäuse, um sofort in bleiernen Schlaf zu sinken, den bange Träume mit düsteren Schlaglichtern erhellen. Weit, weit weg, in meine Traum­gesichte hinein, ertönt der Ruf der Wölfe.

G o l d

„Hm, weg sind sie, das steht fest, ohne Haar noch Klaue zu hinterlassen! Und Siwashsquaw wurde nicht gefressen, sondern lief Seite an Seite mit dem Führer des Rudels da­von, sagtest du? Hm."

Jack hockt tiefsinnig über dem Ofen, auf dem die Mehl­suppe langsam brodelt. Er fährt mit dem schmutzigen Zeige­finger in den Kleister, flucht dann kurz auf, weil er sich verbrannt hat, leckt ihn ab und stiert zur Seite. Da liegt die schöne Aurora, die mit der Rute wedelt und uns aufmerk­sam betrachtet. Der Yankee lacht bitter und läßt sich von mir mehrmals das Drama der Nacht erzählen. Nacht? Es ist ja jetzt Tag und Nacht dunkel, wenn nicht gerade Nord­lichter über Himmel und Schnee tanzen.

„Siehst du!" fängt er wieder an und zerrt sich an den Bartzotteln. „Da hast du die Bescherung. Verdammt, ver­dammt und nochmals verdammt! Mensch, glotz mich nicht so an, hilf mir wenigstens fluchen, du deutscher Trot­tel! Glaubst du nun endlich, daß es Wolfszauber gibt, du überkluges Vieh aus dem alten Europa?" Vom Zorn ge­schüttelt, bringt er nur noch lallende Töne hervor. Geifer­strähnen rinnen aus seinen Mundwinkeln. Der Nordlands­koller hat den sonst so sanften phlegmatischen Mann ge­packt und schüttelt ihn förmlich wie das knurrende Raub­

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tier seine Beute. Nicht nur die Tropen haben ihren Koller. Der des Nordens ist zwar seltener aber gefährlicher.

Es hat keinen Zweck, Jack wegen der Beleidigungen zur Rede zu stellen, nur ruhig muß ich bleiben. Denn wenn wir beide uns jetzt streiten — ohne Zugtiere, Hunderte von Meilen von der nächsten Ansiedlung entfernt, so kann das nur ein Resultat ergeben: den weißen Tod in Schnee, Frost und Eis.

„Komm, Jack, laß uns den Brei essen, das wird uns gut tun. Auch Aurora soll ihre Portion Lachs kriegen, wir ha­ben's ja dazu!" erwidere ich möglichst fröhlich, obwohl es mir wie eine kalte Hand ans Herz faßt.

„Wolfszauber, du Dummkopf, glaubst du nun daran, Dreckskerl?" keucht er weiter, faßt den brodelnden Topf am Stiel, und ehe ich mich zur Seite schnellen kann, schlägt er mir Behälter samt Inhalt ins Gesicht. Er verbrüht mich gehörig, und außerdem ist noch mein linkes Auge ganz verklebt. Eine solche Behandlung würde auch einen Engel zum Teufel machen! Deshalb folgt auf Jacks Tat die Ant­wort im Handumdrehen. Mein schwerbekleideter Fuß trifft ihn gegen den Magen, er fällt hintenüber, ist aber beinahe ebenso rasch wieder auf den Füßen. Dabei vergessen wir, daß das Zelt nicht für aufrechtstehende Männer, die wie wir beide sechs Fuß hoch sind, geschaffen wurde. Es reißt sich daher von seinen Befestigungen los, und als wir in un­sern Pelzkleidern wie zwei wütende Bären übereinander herfallen, verwickeln wir uns in die steifen, krachenden, mit Eisschichten bedeckten Falten des Segeltuchs. Wir sehen zwar gewiß wie Bären aus, haben vielleicht auch den Zorn dieser Tiere in uns, aber wir besitzen nicht deren Geschick­lichkeit. Unser Ringkampf ist daher nur ein ratloses Hin-und Hertappen, weil wir einander nicht sehen können, denn

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das Zelt hängt über uns und scheuert uns Wangen und Nasen blutig. Aurora heult wie besessen, und ich höre sie herumren­nen. Jacks harte Faust kommt trotz der dicken Pelzparkah, die ich anhabe, in derart unsanfte Berührung mit meinen Rippen, daß mir sekundenlang der Atem wegbleibt. Da ge­lingt es mir, nachdem er mich in den linken Zeigefinger ge­bissen hat, daß ich hell aufschreie, seine Kehle mit der Rechten zu packen. Zähneknirschend lasse ich nicht mehr los und höre voll wilder primitiver Freude, wie bald er keucht. So wanken wir, umhüllt von knisternden Zeltfalten, umsprungen von der angstvoll heulenden Hündin, eine Zeit­lang hin und her. Dabei kriege ich Püffe in die Magengrube, die mich vor Schmerz krumm machen. Schließlich erstarren meine Finger, ich muß den Halt lösen und erwarte sofort einen neuen Angriff. Mein linkes Auge ist von dem inzwi­schen halbgefrorenen Mehlkleister wie mit einer Klappe be­deckt. Zu meinem Erstaunen höre ich Jacks Stimme im schleppenden Tonfall: „Na, Ernest, lebst du noch? Weißt du, es sollte mir leid tun, wenn . . . "

Ich muß lachen. „Warum sollte ich nicht mehr leben, Mensch?"

Er fährt im selben Tonfall fort: „Well, recht hast du ja! Aber weißt du, ich muß wohl auch ein wenig verrückt gewesen sein und hätte dich leicht verletzen können. Ich hab ja noch mein Messer in der Faust. Weiß der Satan, wie das dahin kam!"

„Idiot!" entfährt es mir und dabei überläuft's mich kalt, als ich an die Gefahr denke, in der ich schwebte. „Ja, bei Gott, da hast du wirklich recht. — Aber es ist ja nichts passiert. — Komm, wir wollen das Zelt wieder in Ordnung bringen und neues Futter für uns kochen. Das alte wird wohl noch an deiner Visage kleben. Schön warst du nie,

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aber jetzt siehst du wahrhaftig toll aus. He, Aurora, setz dich hin und heule nicht so, die Herrchens haben soeben beschlossen, sich heute noch nicht umzubringen!"

Das Letzte kam so trocken und drollig beschämt heraus, daß ich wieder aus vollem Halse lachen muß.

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, machen wir uns daran, das Zelt wieder aufzubauen und neuen Mehlkleister anzusetzen. Jack befreit mich von meiner sonderbaren Augenklappe, die von Aurora dann genußreich verschlungen wird. Nachdem wir alle gesättigt sind, brummt er, wobei er sich mit seiner Pfeife abquält: „Hab dir's ja gesagt, und alle die andern Oldtimers haben dir's auch erzählt. Glaubst du nun an Wolfszauber?"

Auf mein Nicken fordert er mich auf: „Na, dann los! Wir müssen uns entschließen, was wir jetzt machen wollen. Vor­läufig bleibt nichts übrig, als daß wir drei — Aurora, ich und du — uns einspannen. Schade um die andern Köter. Aber die Bahn ist gut. Und wenn's übel wird — na, kommt Zeit, kommt Rat!"

Das ist die Grabrede für unsere schönen Hunde, äußer­lich nur; denn jeder von uns wird sich noch lange seine eigenen Gedanken darüber machen, die er nicht gerne aus­spricht. In Nordland herrscht zwischen Mensch und Hund eine ganz andere Verbundenheit, als man sich im Süden vorstellen kann, trotz scheinbarer Brutalitäten, wie zum Bei­spiel das nur einmalige tägliche Füttern der Tiere. Der Laie kann sich schwer vorstellen, daß die Hunde dies gewöhnt sind und daß in Nordland weder Mensch noch Hund existie­ren können, sondern elend zugrunde gehen müssen, wenn man den Proviant nicht sorgfältig einteilt. Man muß ihn dort, wo es nichts als Eis und Schnee gibt, für lange Zeit mit sich tragen, und diese Tatsache allein gebietet schon

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jede mögliche Beschränkung. Im Sommer — er ist leider nur kurz wie ein Traum, aber ein herrlicher, märchenhafter Traum! — haben es die Hunde gut, und dann werden sie dick und fett, brauchen auch nicht zu arbeiten. — Ja, es herrscht engste Kameradschaft zwischen Hund und Herr in Nordland; und wer das abstreitet, ist nie auf dem ver­schneiten Tausendmeilenpfad hinter zottigen, winselnden „Huskies" hergelaufen.

Hei, wie kalt! Vierzig Grad unter Null. Wenn das anhält, so müssen wir lagern und ins Zelt kriechen, weil wir uns sonst die Lungen erfrieren und in kurzer Zeit krepieren würden. Krepieren!

Ja, krepieren werden wir, falls diese Kälte anhält und wir uns trotzdem vermessen, weiterzureisen!

„He, Jack, wo soll dieses dreimal verdammte schwere Bündel Lachs hin? Wollen wir's nicht liegen lassen? Außer Aurora haben wir ja keinen Hund mehr. Es wird leichteres Reisen sein, Oldtimer!"

„Du bist übergeschnappt! Aber nein, ich will dir's zu­gute halten, daß du ein verfluchtes Greenhorn bist, ein blu­tiger Chechaqua! Kann es denn nicht passieren, daß wir auf Indianer oder sonstige Menschenkinder treffen, die uns ein Gespann Hunde verkaufen? Darauf müssen wir doch hoffen! Und dann müßten wir teures Geld für Lachs ausgeben, wenn wir das Futter jetzt hier ließen!"

Diesem Einwand kann ich mich natürlich nicht verschlie­ßen. Der Schlitten wird vollgepackt wie immer, als wir noch die Tiere hatten. Wir binden uns die Segeltuch­masken vor das Gesicht, damit uns Nasen und Wangen nicht erfrieren. Dann wird Aurora eingespannt. Vor der Hündin befestige ich mich an dem Leitriemen, und vor mir geht Jack. So ziehen wir langsam, Schritt für Schritt,

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in die knisternde Kälte hinaus. Schnee ringsum, Schnee, Schnee!

Die blaue Nadel des Kompasses zeigt nach Norden. Das ist bis auf weiteres unsere Richtung. Und Gott sei uns gnä­dig! Denn vor uns ist unseres Erachtens noch auf unzäh­lige Kilometer hinaus nur verschneites Land und vereistes Meer ohne Menschen. Vielleicht gibt's in dieser Einsamkeit doch einige Nomaden oder Abenteurer, wie wir es sind, die das gelbe Gold suchen.

Und hinter uns nichts! Hunderte von Meilen auch keine Menschen.

Warum wir nicht umkehren, sondern ohne Hunde in den beinahe sicheren Tod ziehen? Die Antwort lautet: Gold! Gold! Das dreimal verdammte Gold! Aber vielleicht ist auch der Trieb des Abenteurers in uns mächtig, jener Trieb, der auf allen Reichtum pfeift und nur Neues, Unerhörtes erleben und vollbringen will.

Jack möchte Gold, das hat er mir oft gesagt; aber was ich suche, das weiß ich manchmal selber nicht.

„Vorwärts, Jack, zieh! Aurora, glaub nur nicht, du könn­test dich vor der Arbeit drücken, weil du hinter mir her­läufst. Musch, lauf!"

Frost knistert in der Luft. Es ist weder dunkel noch hell, sondern grau, grau wie in einem Keller, der nur eine win­zige vergitterte Luke besitzt. Die Nordlichter ruhen sich augenblicklich aus, nur im Süden zittert ein gelbgrüner, schwacher Strahlenkranz. Schnee überall in der Runde, un­endlich, unübersichtlich breitet er sich aus.

Ist es wirklich Gold, was ich suche?

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S t u r m am Yukon

„Heiah, heiah! Musch! Musch!" feuern wir uns gegen­seitig mit dem Hundetreiberruf an und lehnen dabei weit vornüber, um den schweren Schlitten durch tiefen oder über eisenhart gefrorenen Schnee weiterzubringen. Aurora, die wir bald ausspannen, weil der Schnee, der plötzlich pulverig wurde, ihr bis an die Schultern reicht, hüpft mit lechzender Zunge um uns herum. Wenn ich nicht so furchtbar arbeiten müßte, würde ich aus vollem Halse über die Kapriolen der Hündin lachen. Sie weiß genau, daß nun die Männer Hunde­arbeit verrichten müssen, während sie der „Herrenruhe" pflegt. Schade, daß sie nicht: „Musch, musch, ihr faulen langbeinigen, unbeholfenen Geschöpfe!" rufen und uns mit der Peitsche um die Ohren knallen kann.

„Warte nur, du Biest, wenn der Schnee härter wird, dann wirst du gleich wieder eingespannt!"

Plötzlich bleibt Jack stehen und stößt einen heiseren Ruf aus, indem er mit der behandschuhten Faust nach vorne weist. Während des Ziehens blickten wir nicht in die Ferne, sondern starrten nur verbissen auf den Schnee unter uns. Deshalb entdecken wir jetzt erst die beschneiten Umrisse des Nadelwaldes, der in geringem Abstand wie ein zackiger Streifen unter dem grauen Himmel nach Norden verläuft. Tannen und Kiefern, hinter denen, durch ihren schmalen Gürtel geschützt, ein Wirrwarr beschneiter Felsen und Eis­blöcke aller Formen sich zu einem natürlichen Tor öffnet.

Während Jack den Schlitten abladet und mit der Axt die ersten Schläge gegen den Stamm einer vom Winde gekrümm­ten Kiefer vollführt, klettere ich mühsam über die Barriere bis an jene torartige Öffnung heran. Kaum bin ich wieder zu Atem gekommen, als mir lautes Triumphgeschrei entfährt.

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Vor mir liegt in seiner auch im erstarrten Zustand präch­tigen Breite, jenseits vom schneebesprenkelten Waldgürtel eingesäumt, der majestätische Yukon, jener herrliche Strom, dessen düstere Schönheit nur noch vom Mackenzie über­troffen wird.

Stürme haben in ungestümer Laune ein kilometerlanges Stück stromab blankgefegt und in diesem Zustand gelassen. Das Eis, das nur wenige sanfte wellenförmige Erhöhungen zeigt, ist sonst überall glatt wie ein Tisch: eine Tafel von dunkler, fast schwarzer Beschaffenheit, durch deren Kristall ich in unergründliche Tiefen hinabblicke. Grauen packt mich, während ich auf die spiegelnde Fläche hinausrutsche. Es scheint, als ob das Wasser nur einen Zentimeter unter meinen Schneeschuhen gurgelt.

In Wirklichkeit beträgt die Eisdecke viele Meter, sie reicht vielleicht stellenweise bis auf den Grund. Dennoch geht etwas Bedrohliches und Finsteres von dem Eise unter mei­nen Füßen aus, etwas, das mich zwingt, wieder aufs feste Land zu klettern. Von dort schaue ich stromauf und stromab.

Nach oben bildet der Yukon eine gewundene, immer schmaler werdende Linie, die schließlich mit dem Grau des Himmels verschwimmt. Die ganze Linie besteht aus einem Chaos von weißen Hügelchen und Kuppen, aus denen häufig die scharfen Kanten und sägenartigen Zähne hochgestülp­ter Eisschollen ragen. Stromab jedoch lockt die dunkle Spie­geleisfläche, bis sie auf einmal an der Stelle, wo die Winds­braut andere Laune hatte, wieder mit einer Schneekruste be­deckt ist. Ich habe genug gesehen und weiß nun, daß wir vielleicht eine ziemliche Strecke gut und ohne Beschwer auf dem Strom reisen werden.

„He, was brülltest du vorhin so mörderisch! Hast du die Sonne gesehen, haha ? Die Sonne, die noch zwei Monate weg

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sein wird!" empfängt mich Jack. Ein Nordlicht, dessen Zen­trum intensiv grün ist, während seine Ränder violett und rötlich schimmern, wodurch das Ganze einer Quelle im Tropenmeere gleicht, hüpft im Zickzack quer über den Him­mel. Aurora beschnüffelt mich erfreut.

„Die Sonne soll verdammt sein, wenn wir doch noch auf sie warten müssen, bis wir schwarz im Gesicht sind!" er­widere ich brummig. Meine gute Laune ist dahin. Nur zu sehr weiß ich aus Erfahrung, daß der Yukon, der so ein­ladend dort hinter der Barriere liegt, uns noch viele Schweiß­tropfen und ungezählte Flüche entlocken wird. Und nun merke ich auch, wie hart die Kälte mir zusetzt.

„Jetzt noch einen Sturm — und wir können uns gratu­lieren !" entfährt es mir, und ich stampfe hin und her. Aurora hält dies für Spiel und umtollt mich heulend.

„Ja!" erwidert Jack, indem er die Kiefer in Stücke schlägt. Das Holz klirrt, so hart ist es. „Ja, heute ist's so kalt wie in der untersten Hölle. Ich kann mir nämlich die Hölle nicht heiß vorstellen. Hitze ist doch was Feines. Kalkuliere daher, daß es dort unten kalt sein mag und die Unterteufel den armen Seelen Eisstücke unter die Achseln legen."

Er tut wieder ein paar von keuchenden Atemzügen beglei­tete Axtschläge. „Weißt du, daß unser Weingeistthermometer vorhin zersprungen ist?"

Ich entreiße ihm schweigend die Axt und bearbeite das Holz. Jack zündet nach vielen Fehlschlägen ein Feuerchen an. Daraus wird, von harzreichen Scheiten genährt, eine kräftige, brausende Flamme, um die sich Menschen und Hund drängen, gurgelnde unartikulierte Freudentöne von sich ge­ben und stampfende Tanzschritte dazu machen.

Nun spannen wir eine Wolldecke zwischen zwei Stämmen schräg von oben nach unten, dadurch wird die Hitze des

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Feuers wieder zurückgeschleudert und wir können uns bald — im Freien sitzend! — der Parkahs entledigen, so warm wird es. Das ist herrlich. Damit es der Glut nicht an Nahrung ge­bricht, fällen wir noch zwei Kiefern von Mannesschenkeldicke, die wir kreuzweise ins Feuer legen und von Zeit zu Zeit langsam nachschieben. Die Mahlzeit wird zum schwelgeri­schen Genuß, und da nun unsere Pfeifen qualmen und ihr honigsüßer Duft hin- und herwallt, sind wir innerlich mit den Strapazen des Tages versöhnt.

Hoch über uns hüpfen die Sterne in einzelnen heftigen Rucken. Gen Süden flammt es gelb und rosa über der Wald­linie.

„Ah, wäre das nicht verflucht hübsch, wenn wir jetzt noch alle unsere guten Hunde besäßen?" Jack klopfte die Pfeife aus und lehnt sich behaglich wieder zurück.

„Ja, und noch so viele Becher Grog dazu, als wir Finger an den Pfoten haben. Und auch ein paar hübsche Mädels, obwohl es ihnen hier sicher nicht gefallen würde!" seufze ich. Jack lacht so laut, daß Aurora, die zusammengekrümmt zwischen uns lag, aufspringt und aufmerksam nach seinem Munde sieht.

„Heiho, du denkst wohl an deine Peggy, Kerlchen ?" „War sie vielleicht nicht ein verdammtes Ende hübscher

als dein geschminkter Stern von Polen ?" „Aber gewiß, Kerlchen, sollst recht haben. Und eine arme

Mutter in Kalifornien hat sie auch. Oder war das eine an­dere? Das liebe Ding, hahaha!"

Meine Geduld war von jeher in gewisser Beziehung nicht allzu eisern. Aber Jack weiß dies und nimmt es nicht krumm, wie ich nun wütend rufe: „Wenn du jetzt nicht die Klappe dicht machst, dann schmeiße ich dir einen Feuerbrand an den Kopf!"

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„Hahaha! Hohoho! Ich kalkuliere, daß du mich gut unter­hältst. — Horch, was war das ?" Er richtet sich auf den Ell­bogen empor. Die Sterne hüpfen und torkeln wie verrückt dort oben am Himmel, der dunklere Färbung angenommen hat. Die Nordlichter im Süden gewinnen an Sattheit der Farben. Die glühenden Scheite des Feuers knistern, zischen und flackern.

„Horch doch nur! Mann, bist du denn taub ?" Jack erhebt sich wütend. Aber ich habe nichts vernommen, höre auch jetzt keinen Laut.

„Der Hund ist gescheiter als du!" schreit der Amerikaner empört und deutet auf Aurora, die unruhig hin- und herläuft.

Wölfe! zuckt es mir durch den Sinn. Aber nein, es ist ruhig. Ah, wie behaglich doch solch ein Lager sein kann! Holz zum Verbrennen im Überfluß, heißen Tee und guten honigfer­mentierten Yankeetabak. Herz, was willst du mehr! — Wie bescheiden Nordland die Menschen macht.

Jack steht vornübergebeugt lauschend da. Prachtvoll sieht er aus: vom Feuer beschienen, mit dem verschneiten Hinter­grund, über den bunte Schlaglichter taumeln. Aber jäh zer­reißt die Kette meiner Gedanken, und ich schnelle auf die Füße, denn ich habe es eben auch gehört — ein leises Brau­sen oder Stöhnen in weiter Ferne, dort wo der Wald im schimmernden All für das Auge untergeht.

„Weißt du noch, Jack, damals am Whitehorsepaß, als der warme Chinookwind kam und uns die fünfzig Meter langen Tannen wie Spreu um die Ohren warf ?" brülle ich, und er fährt fort: „Und wir erst im Regen und dann im Schneebrei schier ersoffen. Und ein Gespann Hunde hat's gekostet, Hunde, wie es keine besseren gab. Mit Ausnahme von Si­washsquaw und Blacky, die doch . . . " Er unterbricht sich und flucht dann: „Teufel, sollte es uns diesmal selber an den

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Kragen gehen ? Es ist zwar nicht der Chinook, der Frühlings­sturm, aber ich schätze, 's wird ein Nordoster sein, so bös­artig, wie ihn nur die Arktis je vom Stapel gelassen hat. Los jetzt, an die Arbeit!"

Gleich Berserkern gehen wir daran, das Zelt aufzurichten und fest zwischen vier Kiefern zu verankern. Diese knorri­gen, sturmgewohnten Stämme beugen sich zwar, aber sie brechen nicht, sonst wären sie längst nicht mehr da. Aurora will uns helfen, ihr Instinkt sagt ihr die nahende Naturkata­strophe voraus. In tollen Sätzen umspringt sie uns jaulend, gerät bald dem einen, bald dem andern zwischen die Füße und erhält derbe Tritte für ihren Eifer. Nun schaufeln wir Schnee um das Zelt, so hoch es geht. Schlitten und Pro­viantkisten werden ebenfalls an Bäume gebunden, der Schlaf­sack im Zelt ausgebreitet. Zu guter Letzt löschen wir das Feuer aus.

Wie eisig die Luft mit einem Male wurde! Wie die Nord­lichter da oben hüpfen, sich verzerren, auseinanderfließen oder in großen Rucken über den Himmel hasten! Und wie geisterhaft schön durch diesen Farbentumult die Sterne blinken!

Mit schrillem Sausen kommt der erste Windstoß, dessen Kälte mich bis ins Mark trifft. Er verebbt dumpf, und nun haben auf einmal die Kiefern und Tannen die schweren Schneelasten abgeworfen und stehen mit ihren dunkelgrünen Nadeln und grauen Stämmen nackt da. Aurora kriecht mit eingezogenem Wedel ins Zelt.

Horch! Noch lauter, noch kälter und länger anhaltend naht der zweite pfeifende Atemstoß Nordlands. Kiefern­nadeln und spitze Schneekristalle schlagen mir ins Gesicht. Mit geschlossenen Augen und hastigen Fingern binde ich die Segeltuchmaske vor. Es ist, als ob mir die Luft plötzlich

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wegbleibt, aber schon verhallt der Lärm des Sturmboten in der Ferne.

„Geh ins Zelt! Ich bleibe noch etwas hier!" durchbricht Jacks blechern klingende Stimme die bleiernruhige Kälte.

„Blödsinn, ich habe keine Angst und warte noch!" brülle ich unnötig laut.

Der dritte Windstoß kommt, dann der vierte und nächste; und nun heult und schrillt es so laut wie die tausend Sirenen und Lokomotiven am Waffenstillstandstag im November in San Franzisco. Es streicht mit der Gewalt eines festen Kör­pers einher, der uns niederwirft, sich schmerzend in die Lungen preßt, an unsern Augenlidern und Wimpern wie mit kleinen grausamen Händen reißt und zerrt und die Bäume um uns beugt und krümmt. Mit unsäglicher Mühe auf dem Boden kriechend, erreichen wir halberfroren das Zelt. Wir standen kaum zehn Meter davon; aber dennoch, hätten mir Jacks Absätze, die mir öfters ins Gesicht traten, nicht die Richtung angegeben — ich wäre daran vorbeigekrochen, vorbeigekrochen und hilflos erfroren oder erstickt; denn mit der vollen Gewalt des Sturmes kam auch der Schnee in dich­ten nadelfeinen Flocken, und ich sah nichts. Absolut nichts!

Ein Montanablizzard, von dem sich die Cowboys und Schafhirten in den Flüsterkneipen von Powder-City erzählen — pah, das ist ein Picknick gegen solchen teuflischen Nord­landsturm, der seine Gewalt und Kälte vorher damit an­kündet, das er das Weingeistthermometer zum Platzen bringt. Seltsam, denke ich, während ich aufatmend ins Zelt krieche, dieser fast windstille Raum hier drinnen und das ohrenbe­täubende Heulen dort draußen!

Zähneklappernd schlängeln wir uns in den Schlafsack, und Jack, der sonst etwas eigen ist, hat nichts dagegen, daß sich auch Aurora zwischen uns in den pelzgefütterten Schlauch

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klemmt. Es ist unbeschreiblich kalt, und drei wärmen die Luft im zugeknöpften Schlafsack besser als nur zwei. „Brr! Brr!" stöhnen wir. Aber allmählich wird's doch behaglich. Ich glaube, daß wir die Temperatur im Schlafsack bis zum Gefrierpunkt heraufdrücken, und mehr kann man wirklich nicht verlangen.

So liegen wir denn Leib an Leib. Draußen tobt es wie Weltuntergang; aber es ist nicht schlimm, wenn man das vom sichern Lager aus anhören kann.

Hoffentlich dauert der Sturm nicht zu lange, weil wir während seiner Dauer nicht hinauskriechen können und wol­len. Eine Kette von Flüchen aus Jacks Munde stört meine Gedankenreihe, und gleichzeitig fühle ich, wie die Kälte stärker wird, und wie zerrende Gewalten mich durch den Pelzsack hindurch packen und rütteln. Panik droht mich zu überfallen, aber Jack läßt mir keine Zeit dazu. „Das ver­dammte, räudige, verfluchte, blöde, idiotenhafte, lausige Zelt ist davongeflogen, Gottverdammich nochmalzu!" kreischt er dünn durch die um uns entfesselte Macht des Sturmes. „Liegen bleiben, Rindsvieh!" Ein schmerzhafter Puff trifft mich und gehorsam bleibe ich liegen und rühre mich nicht.

Das ist auch das allerbeste. Drückende Lasten Schnee fal­len auf den Schlafsack und rutschen wieder fort, wenn der Wind sie packt. Manchmal wird das Atmen sehr beschwer­lich, weil der wütende Luftzug durch den Pelzsack hindurch gleich einer brutalen Faust mir in den Rachen fährt. Ich möchte meinen Körper eins machen mit dem Boden, mich seinen Falten anpassen, in sie hinein schmelzen, damit der Wind uns nicht losreißt und davonwirbelt in Schnee und Grauen hinaus. Das wäre der Untergang. Der Sturm pro­biert sein Bestes, drängt sich unter uns, rüttelt uns, und er­füllt den Sack mit seiner zerrenden Macht so prall wie einen

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an seinen Haltetauen ruckenden Luftballon. Manchmal drückt er von oben auf mich nieder und mir ist, als ob eine riesige Hand mich brutal würgt — würgt, bis mir fast der letzte Atemzug röchelnd entfährt. So spielt der Nordlandsturm, der uns in grausamer Freude das Zelt raubte, mit uns halb­erfrorenen, dreiviertelerstickten zwei Menschen und einer Hündin namens Aurora hier im Lager an der Biegung des Yukon, dessen blanke Eisfläche mich vorhin, als es noch still war, mit finsterer stummer Drohung ansprang.

Schüsse am Y u k o n

Gefrorener Schnee klingt unter den Schlittenkufen. Seit­wärts in einiger Entfernung zieht sich der starre niedere Wald hin. Vor uns, schnurgerade nordwärts laufend, liegt der Yukon unter seiner beschneiten Eisdecke. Kleine Hügel­ketten schließen den grauen, von blassen Strahlenbündeln er­leuchteten Himmel ab. Das Lager am schwarzen Eisknie befindet sich weit hinter uns. Den ganzen Tag zwang uns der Sturm dort, im Schlafsack zu bleiben, und dennoch wären wir beinahe erfroren. Das Zelt wurde fortgewirbelt auf Nim­merwiedersehen. Unsere Gewehre mußten wir auftauen, denn sie bildeten solide längliche Eiskörper. Und ehe wir aus dem Schlafsack kriechen konnten, galt es, die zugefrorene, mit einer hohen Eisschicht bedeckte Klappe aufzubrechen. Gut war es, daß wir ein Feuer anzuzünden vermochten, um un­sere erstarrten Glieder und vor Kälte schwarzgewordenen Gesichter zu wärmen. Es dauerte lange, ehe es mir gelang, mit den gefühllosen Fingern eine Flamme ins Leben zu rufen. Ringsum war bald der Schnee mit nutzlos abgebro­chenen Zündhölzchen bedeckt. Jack schalt über die Ver­

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schwendung, aber er konnte es nicht besser machen. Nun sind wir wieder unterwegs.

Ein Rabe flog eben schwerfällig über uns hin, sekunden­lang erfüllte er die Luft mit mattem Krächzen, dann ver­schwand er im Walde. Es ist wieder ruhig. Still und weiß ist alles, und durch dieses weiße Schweigen kriechen wir langsam. Da sehen wir eine Doppelspur von zwei Gespannen, die teils nebeneinander, teils übereinander durch den hier auf dem Eise angewehten Frischschnee läuft. Von rechts her mündet sie aus dem Walde und zeigt nordwärts.

„Jack! Jack!" schreie ich aufgeregt. „Schlitten! Menschen! Sieh doch nur!"

„Der eine hat fünf Hunde, der andere sieben," sagte er ganz ruhig. „Hm, und schau dir die zweite Spur mal an! Die Ränder sind viel frischer als bei der ersten. Und da hat er die Peitsche gebraucht. Siehst du die Linie im Schnee? Vorwärts, musch! Wir wollen sehen, was es gibt. Weit vor­aus können beide nicht sein. Schätze, daß der Zweite den Ersten einholen möchte!" Der durch den kurzen Aufenthalt schon angefrorene Tobogan löste sich mit scharfem Knacks und gleitet dann hinter uns her.

Eine Stunde verging, die zweite ist auch halb vorüber. Zeitweilig hören auch die Spuren auf dem vereisten Schnee vollständig auf. Bald gelangen wir an ein Durcheinander hochgekanteter riesiger Eisschollen, die der Yukon im ersten Zorn gebildet hat, als die starke Decke sich über ihm zu formen begann. Mühsam zerren und schieben wir den Schlit­ten im Zickzack weiter. Manchmal müssen wir ihn mit Auf­bietung aller Kräfte über Hindernisse hinwegheben. Der Schweiß läuft uns über die Gesichter, gefriert dann, und wir müssen Grimassen schneiden, damit die dünne unangenehme Schicht platzt. Oft suchen wir den Weg durch richtige Tun­

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nel, die aus blauschwarzen Eisschollen bestehen. Schließ­lich halten wir erschöpft dem linken Ufer zu, wo ein Zufluß oder eine zum Überschwemmungsgebiet des Yukon ge­hörende Bucht günstigeres Vorwärtskommen verheißt. Sie ist sehr schmal, zu beiden Seiten steht der Nadelwald gleich Zuckerguß, dem grüne Spitzen entragen. Aber schon nach wenigen Minuten öffnet sie sich zu einer runden, glatten Fläche, um die sich der Ring der Tannen zieht. Heiah! Vorne, ungefähr in der Mitte der Sackgasse bewegt sich ein Schlit­tengespann über die weiße Fläche! Der Mann, der stolpernd und mit hängendem Kopf hinterherläuft, peitscht fortwäh­rend auf die Tiere los. „Musch!" klingt sein Ruf matt zu uns herüber.

Plötzlich knallt es scharf und hell. Am Waldrande zer­flattert ein bläuliches Wölkchen, und der Mann da vorne macht noch etliche torkelnde Schritte, ehe er mit dem Ge­sicht auf den Schnee fällt. Reglos bleibt er liegen und seine Hunde halten aus eigenem Antrieb.

„Heda, stop!" schreit Jack, als sich eine pelzbekleidete Gestalt vom Walde löst und mit den Schneeschuhen an den Füßen wie ein langbeiniger Wasserläufer auf den Gefallenen zuhält.

„Halt's Maul!" entfährt es mir wütend und ich ducke mich hinter den Schlitten. Vorsichtig, aber fieberhaft rasch ver­suche ich den festgebundenen Karabiner loszumachen; denn der Fremde hält an und bemerkt uns jetzt, weil Jacks un­zeitiger Ruf ihn aufmerksam machte. Ich sehe, wie er sein Gewehr an die Backe reißt. Jack versucht eine Art Hecht­sprung quer über den Tobogan hinweg und landet auf allen Vieren neben mir. Im selben Augenblick klatschen Kugeln in unsere Proviantkiste. „Die Flinte her!" brüllt Jack und zieht mit den Zähnen den rechten Fäustling ab.

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Jetzt habe ich mein Gewehr frei, doch ist es so höllisch kalt, daß die Haut meiner Innenhand am Lauf zu kleben scheint. Deshalb spritzt meine Kugel auch den Schnee harm­los weit von dem Fremden auf. Er droht uns mit der Faust und lacht höhnisch dazu, dann rennt er gelenkig dem Walde zu, dessen Stämme ihn aufnehmen und verbergen. Dort hält auch ein Gespann. „Musch, ihr Huskies!" dringt es schwach an mein Ohr, Mann und Schlitten setzen sich in Bewegung, immer dichter treten die Bäume dazwischen, und nun sind sie verschwunden. Schweigend, unbeweglich steht der Wald, und auf dem weißen gefrorenen Schnee liegt ein dunkler Klumpen neben dem Tobogan und den ratlos jaulenden Hunden.

Rasch laufen wir über die knisternde Fläche. Aurora ist uns voraus, und der schrille Jammer der fremden Tiere wird zum bösartigen, drohenden Grollen.

„Mensch, der rasiert sich scheinbar alle Tage!" sind Jacks erste Worte. Die Parkah des Mannes, um dessen Kopf der Schnee rot gefärbt ist, steht etwas offen und dort sehe ich ebenfalls etwas Scharlachrotes leuchten. Aber das ist kein Blut. Geschäftig kniete Jack nieder. „Teufel, das ist eine Uniform, die er darunter anhat! Von der Nordwestpolizei!" ruft er erstaunt und schiebt die Kapuze aus dem Gesicht des Stöhnenden. Gleichzeitig brechen wir in die Worte aus: „Das ist ja Korporal Paines!"

„Der den Dakota-Charley fangen wollte. — Na, da war der Kerl, der geschossen hat, sicher der Charley. Donnerwet­ter, die beiden müssen eine schöne Hetzjagd hinter sich haben. All die Monate, denk nur an!" fährt Jack fort und seine Finger untersuchen geschickt die Wunde des Polizisten. Es ist eine langsam blutende zackige Fläche, die sich über den ganzen Kopf zieht. „Nur gestreift; aber tüchtig, wie ich

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schätze!" brummt der Amerikaner und zwängt die Hand unter die Litewka. „Das Herz schlägt ganz vergnüglich. Er wird bald erwachen. He, ihr Huskies, wollt ihr wohl ruhig sein!"

Aurora und die sieben schönen Hunde des Korporals voll­führen ein wahrhaft teuflisches Konzert. Sie beruhigen sich erst, als ich mit dem Peitschenstiel derbe Schläge verteile. Während Aurora noch leise knurrend hin- und herschleicht, sitzen die andern auf ihren Keulen und schauen aufmerksam Jacks Bewegungen zu. Vereint legen wir den schweren Kör­per des Bewußtlosen auf seinen Schlitten, und ich hole unsern Tobogan, den wir an dem andern befestigen.

„Musch! Heiah, musch!" Die Hunde stemmen sich in die Geschirre, ziehen beide Schlitten nach dem Walde, während wir mit entsicherten Gewehren folgen. Unter den Tannen halten sie an, dort, wo der Schnee zerstampft ist und eine Spur weiter in das graue Dämmern des Waldes hineinführt.

„Sieh du nach ihm. Nimm die Peitsche und verdrisch or­dendich seinen Hosenboden, so wirst du ihn wachkriegen!" Mit diesen Worten begibt sich Jack auf die Verfolgung. Die Hunde des Polizisten beobachten mich mit wedelnden Ru­ten, als ich versuche, ihren Herrn ins Leben zurückzurufen. Aurora eilt dem Amerikaner nach. Die Wunde blutet nicht mehr, es ist zu kalt dazu; der austretende Lebenssaft erstarrt und bildet einen purpurnen raupenförmigen Wulst längs des Scheitels.

So rasch wie jetzt, machte ich seit langem kein Feuer an. Glücklicherweise sind die Tannenstämme dünn und daher leicht zu fällen. Sie brennen mit heller, knisternder, duften­der Flamme. Da der Kanadier nicht erwacht, ziehe ich ihn vom Schlitten und lege ihn auf ein Zweiglager. Dann fasse ich die Peitsche kurz und bearbeitete mit dem dünnen Teil

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die Kehrseite des Verletzten. Und das wirkt! Stöhnend wälzt er sich Zurück, und ich schaue in seine blauen erstaunten und plötzlich wütend werdenden Augen. Sein plumper Pelz­fäustling sucht vergebens an die Hüfte zu greifen, wo der große Dienstrevolver hängt. „Was ist los ?" ächzt er.

„Na, Korporal Paines, Sie müssen mich doch gesehen haben! In Moosetown, erinnern Sie sich nicht mehr? Mein Partner ist der Jack, und wir waren damals dabei, als Da­kota-Charley den armen Teufel über den Haufen schoß!"

Mühsam schüttelt er den Kopf, was ihn das Gesicht vor Schmerzen verzerren läßt. „Dakota-Charley! Ich muß nach und ihn kriegen! Es handelt sich um die Tradition der Nord­westpolizei !" stöhnt er. Ich setze den Kessel voll Schnee aufs Feuer, und als ich mich wieder über ihn beuge, murmelt er: „Warum haben Sie mich denn gehauen? Verdammt!" Er öff­net die Augen und Erkennen flackert darin auf: „Ach ja, Sie sind's! Aber es ist komisch, Charley schießt mich an und Sie prügeln meine Schwarte! Und wo ist Ihr Partner Jack, der stille Jack, wie er in Moosetown hieß ?"

„Ruhig, Oldtimer, reden Sie nicht so viel, Sie haben eine böse Skalpwunde. — Jack ist hinter dem andern her. Und jetzt will ich Sie verbinden!"

„Ich muß nach!" flüsterte der Blonde und sinkt in Ohn­macht. Die Hunde heulen kurz auf, und im Kessel zischt der schmelzende Schnee. Auf dem Schlitten finde ich ein Ver­bandspäckchen und wasche die Wunde. Er zuckt und mur­melt unter meinen Händen, schlägt aber die Augen nicht mehr auf. Eben bin ich fertig, da tritt Jack aus dem Walde.

„Den soll der Satan einholen! Er muß gute Hunde haben und tüchtig die Peitsche gebrauchen!" brummt er und wirft einen Blick auf den Polizisten. Dann rumort er ohne weiteres in dessen Gepäck, bringt schmunzelnd eine Feldflasche mit

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Whisky zutage und schleift den Pelzsack des Ohnmächtigen ans Feuer. Mit vieler Mühe ziehen wir Paines die Mukluks ab, hängen seine Strümpfe zum Trocknen an die Flamme und bekleiden seine Füße mit Mocassins. Dann schieben und zwängen wir ihn in seinen Schlafsack, lassen nur das Gesicht im Freien. Rasch wird ein Wärmefang hergestellt. Nun ent­korkt Jack die Flasche, hält sie sehnsüchtig an die Nase und setzt sie endlich selbstvergessen an seine bärtigen Lippen.

„Jack, oh, Jack, was tust du?" Er läßt die Hand mit dem Behälter sinken und seufzt

schwer, ehe er beschämt ruft: „Hast recht! Schätze, daß es eine gewaltige Schweinerei ist, dem armen Kerl, der es nötig hat, seinen Whisky wegzusaufen. — Aber bei Gott, ich war eben ganz woanders. In Moosetown beim Star of Poland!"

Kopfschüttelnd kniet er nieder, klemmt mit dem Messer die festzusammengebissenen Kiefer des Blonden auseinan­der und flößt ihm das scharfe Zeug ein. Sofort kommt jener spuckend und hustend zu sich. Eine Weile betrachtet er Jack, bis er ihn erkennt. „Danke, danke! Das war nett von euch, daß ihr mich verbunden habt. — Aber wo ist Dakota-Charley?" flüstert er.

„Wenn Sie den Kerl meinen, der den Schuß abgab, so schätze ich, daß er yukonabwärts eifrig Beine macht, was das Zeug herhält. So, also Dakota-Charley war's ? Ich kriegte ihn nicht mehr zu Gesicht. Lassen Sie ihn laufen, die Grenze kann sowieso nicht mehr weit sein!" erwidert Jack bedächtig.

„Das ist's ja. Nun entkommt er!" Tränen der Wut schie­ßen in die blauen Augen. „Donnerwetter, tut mir der Kopf weh. Ah — oh!" die Augen schließen sich wieder.

„Glaube gern, daß ihm der Kürbis wie ein hohles Faß brummt. Und tüchtiges Wundfieber wird er auch kriegen,

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der uniformierte Menschenfänger. Es ist, bei Gott, keine Arbeit, die mir gefallen würde. Allerdings ist Dakota-Char­ley ein Mörder. — Wie er jetzt daliegt, kann er mir doch leid tun. Hm!"

Wir bringen das Lager in Ordnung, fällen Holz, füttern die Hunde und bauen ein rundes Eskimoiglu aus Schnee um und über den Verwundeten. Das geht, wenn man Übung hat, ziemlich rasch. Der gefrorene Schnee wird in großen, läng­lichen Blöcken ausgestochen und damit ein Kreis gebaut. Auf die erste „Grundmauer" kommt die zweite, dann die dritte und so fort, sich allmählich nach oben zu verjüngend. Schließlich hat man ein domartiges Gebäude fertig, dessen runde Seiten von lauter Ecken starren. Diese füllt man mit geschmolzenem Wasser aus, das, sofort gefrierend, der beste Zement ist. An einer Seite wird ein Loch gelassen, vor das man noch einen kurzen Tunnel bauen kann, um das Voll­wehen des Palastes zu verhindern. Oben in der Kuppel bleibt eine kleine Öffnung als Rauchabzug und das Iglu ist fertig.

Der Korporal hat auf seinem Schlitten Tran und eine steinerne Eskimolampe. Diese wird angezündet und bald ist es so heiß in dem Iglu, daß wir uns Parkahs, Unterjacken und Hemden ausziehen und mit bloßem Oberkörper herum­sitzen können.

Draußen aber herrscht eine derartige Kälte, daß einem die Lippen zufrieren.

Unter allen diesen Arbeiten vergingen Stunden, und am Himmel wirbeln längst die bunten Sonnen der Nordlichter. Paines erhält warmen Mehlbrei mit Whisky versetzt, den wir ihm löffelweise eintrichtern. Er schlägt bereits im Wund­fieber um sich und phantasiert von sprudelnden Quellen unter rauschenden Ulmen.

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Dann kommt die Nacht. „Ihr müßt mich nach Bullers Fort bringen!" murmelt

Paines nach der Morgensuppe matt und schweißdurch­tränkt.

„Wo liegt das? Habe noch nie den Namen gehört! Bullers Fort? Klingt ganz wie in alten Zeiten, als Gold in jedem Creek lag!" staunt Jack und der Blonde muß gequält lachen. „An der Grenze liegt's. Wer drüben in Alaska etwas aus­gefressen hat, der sucht Bullers Fort auf. Und wer bei uns in Kanada Dreck am Stecken hat, schlüpft über die Grenze nach Alaska, holt sich aber seinen Proviant von Zeit zu Zeit bei Buller!"

„Und die Mounties ?" „Die Mounties kommen ab und zu und nehmen die ganz

bösen Burschen mit, wenn sie sie erwischen können. Dakota-Charley suchte auch Schutz bei Buller, aber ich war zu dicht hinter ihm her. Vier Monate trieb ich ihn kreuz und quer. Er konnte jedoch seine Hunde bei Buller umtauschen und deshalb habe ich ihn nicht eingeholt. Hätte ihn aber doch gekriegt, wenn der verfluchte Schuß — oh, mein Kopf, mein K o p f ! "

Ich mache Paines eine Eiskompresse und lege sie vorsich­tig auf die verbundene Stelle. Die Wirkung zeigt sich bald. Das Fieber sinkt, und er wird so gesprächig, daß wir ihm schließlich den Mund verbieten müssen. Dann kauern wir über der Tranlampe und spielen mit unsern Gedanken. Und während er uns von seiner mich wie eine Odysee anmuten­den Menschenjagd durch Eis und Einsamkeit erzählt, kann ich nicht umhin, mich in die Lage eines Verbrechers zu versetzen, der sich von solch hartnäckigem Verfolger gehetzt weiß, der obendrein noch alle Mittel zur Verfügung hat, während jener nur Freiwild ist.

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Die Sonne

„Oh, Hölle, will denn der Sommer gar nicht kommen? — Die Sonne, o Gott, die Sonne! oder ich werde verrückt!"

Wochenlang hausen wir nun in dem Iglu und nähren uns von Paines' Proviant. Meine Nerven sind derart reizbar, daß die beiden andern mir seit Tagen scheu ausweichen. Sie sind weise in der Art Nordlands und haben manche Tragödie erlebt, die so anfing. Der Korporal, der noch schwach ist, liegt meist im Iglu, doch Jack kriecht eben ins Freie und hockt sich neben mich hin. Es herrscht lähmende Stille um uns. Selbst das Schnarchen der gesättigten Hunde ist nicht hörbar. Man denkt dabei nur an Licht, Sonne und Licht. Und um uns ist nur das ruhige Schweigen einer Ewigkeit.

Dort vorn im Norden, wohin wir eben mit hungrigen Augen starren, äfft uns spiegelnder Abglanz, während die Sonne fern von hier, weit weg im Süden ihren Kreislauf be­schreibt und mit ihrem göttlichen Licht Millionen von Men­schen beglückt, die gar nicht wissen, was es heißt, ohne Sonne, ohne Wärme zu sein.

Der Norden gleicht einem gespenstischen traurigen Ge­mälde. Schwacher, flimmernder Schein schiebt sich über den grauen Horizont, beginnt stärker zu glühen, wird rötlich, violett und endlich grellorange. Und plötzlich, während ich mit aufgerissenen Augen dieses Licht im Norden, das doch ganz anders als die Nordlichter ist, anglotze und meine Hand in Jacks Schulter kralle, ist es wie weggewischt. Nur der graue Horizont bleibt übrig. Aber ich sah doch etwas, und mit trockenem Schluchzen zeige ich auf den Schlitten. „Jack, o Jack, bin ich wirklich wahnsinnig?"

Er klopft mir auf die Achsel und seine tiefe Stimme klingt beruhigend und verständnisvoll: „Wenn du den Schatten

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meinst, den der Schlitten wirft, dann bist du so normal wie ich! Und das, was wir eben gesehen haben, war das erste Licht des Tages. Eigentlich auch nur ein Schatten von der Sonne dort hinten im Süden. Aber ein leuchtender Schatten, verstehst du, Junge!"

Ich höre gar nicht mehr auf seine seltsame Philosophie, sondern betrachte glücklich den Schlitten, der tatsächlich einen kurzen und kaum bemerkbaren Schatten auf den Schnee wirft. Jetzt wird er deutlicher, das seltsame Licht im Norden glüht nochmals auf! Hart und brutal reißt mich da Jack herum, daß ich nach der entgegengesetzten Richtung schauen muß. Ein Schrei des Entzückens entfährt mir da, denn vorn lacht die Sonne über dem Einschnitt zwischen den zwei wei­ßen Hügeln!

Nur so lange wie ein Mensch braucht, um einen tiefen Atemzug zu tun, bleibt die herrliche Sonne sichtbar, dann sinkt sie, und alles ist wieder grau. Eine Flut befreiender Tränen stürzt aus meinen Augen.

„Na, na!" brummt Jack und kriecht ins Iglu. Ein weicher Körper schiebt sich zwischen meine Knie, ein lachendes Hunde­gesicht mit blitzenden Zähnen, pendelnder Zunge schaut mich an und eine buschige Rute wedelt heftig. „Aurora! Hast du die Sonne gesehen, gutes Tier? Die Sonne, die Sonne!"

Die Leithündin gebärdet sich wie toll, hüpft um mich herum und stößt Töne aus, wie ich sie von Schlittenhunden bisher noch nie vernommen habe. Und die Tiere des Kor­porals wälzen sich aus ihren Schneekuhlen, hören sekunden­lang zu und beginnen dann ebenfalls zu kläffen, zu winseln, zu brummen und zu stöhnen, wobei sie über die weiße Fläche rasen und Purzelbäume schlagen.

Die beiden andern kriechen aus dem Schneetunnel vor dem

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Iglu. „Ich schätze, wir brechen auf. Paines denkt, daß er den Marsch machen kann," verkündet Jack, und die Hunde heulen dazu.

B u l l e r s F o r t

Am Rande des Tannenwaldes, auf einem Hügel, der vorn steil zum gefrorenen Bach abfällt, liegt die Siedlung. Es sind nur einige Blockhäuser aus geschälten Stämmen, in denen hart aussehende Männer wohnen, eintreten oder von dort wieder gehen. Manchmal ist der Barraum oder der soge­nannte Laden daneben voll von diesen Männern. Sie trin­ken brennenden Schnaps, geben Felle und Goldkörner dafür und beladen ihre Schlitten mit Proviant, um dann in der weißen Einsamkeit zu verschwinden. Niemand stellt Fragen über das Wohin und Woher. Die Männer sind so schweigsam wie die sie umgebende Natur.

Als wir ankamen, betrachteten uns mißtrauische Blicke, und schon nach einer halben Stunde waren einige der Männer verschwunden. Die andern beäugten uns halb mitleidig, halb spöttisch. Dies änderte sich erst gestern, als Korporal Paines, der wieder völlig hergestellt ist, seinen Schlitten anschirrte und sich auf den langen Weg zur nächsten Polizeistation machte. Zum Dank hat er uns vier Hunde gekauft. Der Ab­schied war kurz, wie es in Nordland üblich ist.

König dieser kleinen Welt ist Sam Buller, dessen Ge­sicht so hart und scharf wie das des Indianerhäuptlings auf den alten Kupfercentstücken der Vereinigten Staaten ist; dessen Augen so hart und blau glitzern wie Gletschereis; dessen Stimme so tief und dröhnend tönt wie der Chinook-wind, wenn er zwischen den Klüften und Bergen Nordlands erwacht, ehe er sausend und stöhnend seine Reise nach der

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Tundra antritt; dessen Kräfte derartig sind, daß er vorhin zwei Neuankömmlinge, die eine lange Tour hinter sich hatten und zu seiner schwarzlockigen Tochter frech wurden, mit den Köpfen zusammenstieß, daß sie ohnmächtig wurden. Das ist Sam Buller, der Mann, der selten den Mund auftut, wenig fragt, keinen Kredit gibt und eine Tochter besitzt, deren Schönheit am besten mit dem Wort teuflisch bezeichnet werden kann. Mit kleinen Füßen, zierlichen Fesseln, lang­gliedrig und schmalhüftig, mit steil den Wollsweater span­nenden Brüsten. Einem Gesicht von der Farbe café au lait, mit großen dunklen Augen, geschwungenen Brauen, einem Mund, der einer kleinen samtartigen Rose gleicht, und Be­wegungen, die an den federnden schmiegsamen Gang des Jaguars der Tropen erinnern. Das ist Jaqueline Buller, die Tochter des Mannes, der alle seine zweideutigen Gäste um den Finger wickelt und selbst von ihr um den kleinen, mit einem Goldreif geschmückten Finger gewickelt wird.

Ihre Mutter war eine Shiwashsquaw, und sie soll so schön gewesen sein, daß, wie man mir erzählt hat, die größten Gauner und Taugenichtse Nordlands, die ihren Stützpunkt in Bullers Fort aufschlugen, sich in ihrer Gegenwart wie in einer Kirche glaubten und zahm wurden.

Sie war nur eine Indianerin, die Tochter eines ziemlich degenerierten Stammes. Die Indianer Nordlands sind nicht schön, aber manchmal kommt es vor — vielleicht alle hun­dert Jahre — daß einem solchen Stamm eine Frau geboren wird, deren Schönheit unbeschreiblich ist. Eine solche war Jaquelines Mutter.

„Buller will mit dem Mädel nach Kalifornien, wenn er genug Geld hat!" flüsterte mir gestern einer jener Namen­losen zu, die hier kommen und gehen.

Dieses „Fort" ist einer der seltsamsten Plätze, der mir

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je auf meinen Wanderungen in der Welt aufstieß. Weit, weit von der nächsten Ansiedlung entfernt, sozusagen in Niemandsland zwischen Alaska und Kanada liegend, sind seine Gäste fast alle Leute, die wegen irgendeiner „Kleinig­keit" von den Behörden gesucht werden. Kein Diener des Ge­setzes kann sich jedoch bis auf fünfzig Meilen dem Fort nähern, ohne daß er gemeldet wird. Ist es nun die Nord­westpolizei, die einen Fang machen will, so verschwinden alle diejenigen, die sich unsicher fühlen, auf die Alaskaseite. Kommen jedoch Onkel Sams Häscher, so geht die Sache umgekehrt von statten. Sam Buller steht sich gut dabei, denn er gibt für keinen Cent Kredit. Seine Kunden müssen zahlen, und wenn sie dies nicht können, so läßt er sie einen Winter Holz hacken, wofür er ihnen im Frühjahr einen Grubstake und Fallen gibt, damit sie in die Berge können, um Gold zu waschen oder Pelzwerk zu erjagen.

Es sind jetzt auch zwei Männer damit beschäftigt, draußen in der schneidenden Kälte Bäume zu fällen. Der Yukonofen in der Schenkstube verbraucht Unmengen Scheite.

Heute sah ich die Sonne, und ich konnte bis zwanzig zählen, ehe ihr glühender Rand wieder untertauchte. Ich fühle mich so zufrieden wie seit langem nicht, grad als wenn ich ein Elixier getrunken hätte. Ein wohliges Prickeln überläuft von Zeit zu Zeit meinen Leib.

Jack ist verliebt, ist rettungsloser Sklave Jaquelines wie die meisten der anwesenden Männer. — Sie kokettiert nach allen Seiten, das heißt, sie führt alle an der Nase herum und gibt keinem etwas und niemandem den Vorzug. Ich kann das beurteilen, weil sich ihr Einfluß nicht auf mich erstreckt, Peggy ist noch zu frisch und stark in meiner Erinnerung.

Acht Männer sitzen außer mir im Barraum. Drei davon gehören zusammen, sie haben sich um den bullernden Ofen

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geschart und flüstern miteinander. Trotzdem vergessen sie nicht, von Zeit zu Zeit Blicke auf Jaqueline zu werfen, die panthergleich in einem Schaukelstuhl ruht. Die andern starren vor sich hin, und mannigfache Gedanken zeichnen sich zuckend und huschend auf ihren bärtigen Gesichtern ab. Und diese teils bösen, teils verbissenen Gesichter werden weich und ansprechend, wenn ihre Augen sich zu Jaqueline hinstehlen. Woran sie wohl in solchen Momenten denken mögen? An Arbeit, Friede, Frau und Glück?

Und sowie sie wegschauen oder Jaqueline fortblickt, wer­den ihre Züge wieder kantig und finster, weil ihnen die grausame Unmöglichkeit ihrer heimlichen Wünsche auf­dämmert. Old Buller würde ihnen schön heimleuchten; Ja­queline Buller ist nicht dafür da, die Frau eines solchen Namenlosen zu werden!

Jack brummelt ein kleines Liedchen vor sich hin, von gelben Kornfeldern, grünen Wiesen, Heckenrosen und zwit­schernden Vögeln. Ein Lied, das nicht ins Nordland paßt. Jack denkt an Jaqueline.

Finster, stumm, mit wachsam glitzernden, eisblauen Augen lehnt Sam Buller hinter der Theke. Die drei am Ofen flüstern; das Feuer brüllt und knallt. Zeke, der einsame Berufsspieler in der Ecke, zählt seine Chips, weil er heute nichts zu tun hat. Sanft knarrt Jaquelines Schaukelstuhl, und draußen er­tönt dumpfer Axtschlag. Dann tritt eine jener Pausen ein, wie sie nur Nordland kennt und dem Menschen fühlbar macht. Alle Geräusche verstummten wie unter einem un­erklärlichen Zwang und nur das Feuer im Ofen scheint zu leben.

Plötzlich knallt die Tür auf, und in der Öffnung steht eine Gestalt. Ein Riese! Ein Kerl, dessen braunes Gesicht mit den schrägen Backenknochen und den hellen Augen darin

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eine angsterregende Mischung von Franzose und Indianer verrät. Ein Kerl, dessen Schulterbreite die eines Gorillas ist!

„Ho, bonschur, Mister Buller! Votre Diener, schöne won­derful Mademoselle! Ho! ich will Whisky trinken, daß die Wände wackeln. Ho! und jeden Monsieur, der wagen will einen Gang, sacre, einen Ringkampfgang, den will ich legen auf seinen Rücken, daß es kracht, bei le bon Dieu!" brüllt er in einem wunderlichen Gemisch von abgehacktem Kanada­französisch.

„Kommt herein, Louis Quebec! Tretet ein, Mann, und seid verdammt, solange ihr die Tür offen stehen laßt," brummt Buller.

Der Nähertretende ist bunt angezogen, so bunt und roman­tisch wie die Männer jener Filme, die Nordlands Leben meist grundfalsch zeigen. Über den Rand seiner Mukluks ragen rote Wollstrümpfe mit gelben Troddeln, ein in perlen­geschmückter Scheide steckendes Messer hängt ihm an der Seite, von der Mütze baumelt ein Fuchsschwanz; und wie er die Parkah abwirft, steht er in einem grellkarierten Wollmackinaw da. Louis Quebec ist ein Dandy Nordlands, das zeigt nicht nur seine zirkusartige Kleidung, sondern auch der übertriebene gewichtige Gang. So schreiten Preis­boxer einher, mit hängenden, pendelnden Armen und steif herausgereckter Brust. Dieser Kerl, der jetzt Whisky ver­langt, ist in seiner Art sicher ein Bluffer, aber ein gefähr­licher, mit Bärenkräften ausgerüsteter!

„Schöne Demoiselle, 'ab Sie lange nicht gesehen und mein 'erz war schwer, sacré!"

„Na, wenn's nur nicht so schwer geworden ist, daß es in die Hosen hinabrutscht!" ist Bullers trockne Erwiderung. Jaqueline erinnert jetzt wirklich an eine große geschmeidige Raubkatze. Dem Halbblut gefällt Bullers Spott nicht, und er

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sucht jetzt einen Ausfluß für seine schlechte Laune. Die klei­nen hellen, grausam kalten Augen überfliegen uns, bleiben auf mir haften und ein verächtliches Grinsen stülpt den wulstigen Mund auseinander und läßt die vom Tabakkauen geschwärz­ten Zähne sehen. „Soll ich dich auf den Rücken legen, mon enfant ?"

Seinen Blick aushaltend, erwidere ich kopfschüttelnd: „Merci, Mister, habe schon die ganze Nacht auf dem Rücken geschlafen, wissen Sie!"

„Sacré nom d'un chien! So antwortet man nicht Louis Quebec, mon enfant!" stößt er durch die Zähne. Schnell ziehe ich den Colt und stoße ihm den Lauf ziemlich kräftig gegen den Bauch.

„Heigho!" lacht Jack. Das Mädchen richtet ihren im Stuhl lehnenden Oberkörper halb auf. Sie lächelt und die andern grinsen. Nur Sam Bullers Miene bleibt unverändert.

„Hölle! Mon Dieu, was fällt dir ein, Knabe? Willst du tout de suite kaputt geschlagen werden?" keucht Louis. Ich ramme den Lauf nur noch fester gegen ihn, und er weicht bis an die Theke zurück.

„Nein, Louis, aber du hast, scheint's, Lust auf ein Loch im Bauch! Ein so großes Loch, daß ein Schlittengespann durchfahren kann! Glaubst wohl, daß ich auf deinen franzö­sischen Bluff reinfalle. Ich will in Ruhe gelassen werden, du großes, buntangezogenes Schwein! Sonst schieße ich! — Gibst du nun Frieden?"

Haß lodert mir aus den hellen Augen des Halbbluts ent­gegen. Jaqueline kichert klar und perlend: „Oh, ich möchte sehen, wie ein Schlittengespann durch Monsieur Quebecs Bauch fährt. Mon Dieu, ich würde dem jungen Mann meine Lieblingshunde dazu leihen!"

„Ich den besten Schlitten!" brummt ihr Vater und fährt

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fort: „Frieden jetzt, Louis, oder ich muß hinter der Theke hervorkommen, und was das heißt, wißt ihr ja!"

„Ein paar liebliche blaue Äugelein, die dann grün, gelb, braun und schwarz werden!" lacht Zeke, der Spieler, aus seiner Ecke. Jaqueline läßt sich wieder zurücksinken. Ihr Mund ist halbgeöffnet und gleicht einem rotlackierten Bogen, hinter dem das Weiß der Zähne schimmert. Die schwarzen, mandelförmigen Augen ruhen verächtlich auf Louis Quebec, in dessen bunten Mackinaw mein Revolverlauf eine merk­liche Vertiefung macht. Jetzt atmet er schwer auf, verzerrt das braune Gesicht zu grinsender Fratze. „Bei le bon Dieu, Sie sind forsch. Das aber gefällt Louis Quebec. Sie und alle andern Monsieurs sollen jetzt mit Louis Quebec trinken! Den roten Wein von la belle France!"

Langsam stecke ich die Waffe ein, während Buller miß­trauisch das Halbblut fragt, ob er auch bezahlen könne, denn der Wein von la belle France kostet in Nordland viel Geld.

„Ha! Louis Quebec hat Geld. Gold, bei le bon Dieu! Da schaut her, Messieurs, ist das etwa Messing?" Er wirft ein pralles Säckchen plumpsend auf den Tisch. Bedächtig holt Buller die Goldwaage und beginnt zu wiegen, ehe er drei Flaschen Bordeaux aufzieht und auf den Tisch stellt. „Die Letzten! Nachher müßt ihr Whisky trinken, Gentlemen!" sagt er dann und verschränkt die Arme.

„Ha, will la plus belle Demoiselle Jaqueline keinen Wein von la belle France mit Louis Quebec trinken ?" schreit Louis, als Buller kein Glas für seine Tochter hinstellt.

„Ich muß mich jetzt schaukeln, Monsieur Louis!" lacht sie und wiegt ihren biegsamen Körper. Der Riese stürzt den Inhalt seines Glases hinab, trinkt ein zweites und drittes. „Sauft, Messieurs, sauft, sonst, bei le bon Dieu, tue ich's

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allein und ihr kriegt den Teufel, haha!" fordert er uns dann knurrend auf.

Es wird bereits Whisky getrunken, als Jack mich an den Ofen zieht. „Laß sie jetzt, Boy. Quebec ist bereits voll und denkt sicher an andere Dinge!" meint er. Ja, Louis lümmelt sich breit über den Schanktisch, neben ihm stehen die andern, und dahinter ist Sam Buller mit dem unbeweglichen In­dianergesicht beschäftigt, die Gläser zu füllen, die ihm eben­so rasch zugeschoben werden. Ist es aber Absicht oder Zu­fall, daß gerade jetzt Jaqueline mit ihrer schmeichelnden Stimme die Köpfe der Zechenden nach uns herumschnellen läßt? „Oh, Monsieur, Sie da, wie heißen Sie doch — ooh, ich werde Sie Quebecbändiger nennen! Das klingt reizend! — Bitte, schaukeln Sie doch meinen Stuhl, ich bin müde!" ruft sie, und ihr Blick zwingt mich, hinter den Stuhl zu treten und ihren Willen zu erfüllen.

„Bei le bon Dieu und allen verdammten, grinsenden Teu­feln dans l'inferno!" schnauft der Riese und trampelt von einem Fuß auf den anderen, daß die Planken schallen. Die Atmosphäre ist wieder eine gespannte, denn diesmal läßt sich Louis Quebec nicht überraschen, ,,'cré nom d'une pipe bleue!" schäumt er und greift in den Mackinaw. Sofort weichen die andern zurück.

„Bücke dich, Tochter!" rät Buller dem Mädchen, das be­lustigt auflacht, aber ruhig in der alten Lage verharrt. Schwer wie Blei dünkt mich die Luft zu sein. Würgend wie unsichtbare Schlangen drücken mich die tödlichen Wünsche des Halbbluts, dessen Rechte immer noch in den Gewandfalten herumtastet. Und wieder ist es Nordland, das eine seiner Überraschungen auf uns losläßt und den bösen Wunschkreis von Louis Quebecs Willen zerstört.

Ein gellender Schrei wird draußen laut, gefolgt von vielen,

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deren einer immer wilder und bluterstarrender ist als der andere.

Louis' Hand sinkt leer herab, er lauscht. Um Jaquelines rote Lippen spielt ein spöttisches, beinahe bedauerndes Lächeln. Kalter Schweiß tritt plötzlich auf meine Stirne.

„Die Indians!" brummt Sam Buller und öffnet die Tür zum anstoßenden Ladenraum.

„Hiih, Potlatsch! Aiih, Potlatsch!" kreischt es draußen wieder und ein Heulen aus Dutzenden von Hundekehlen tobt dazu los. Und schon tritt der erste Indianer ein, gefolgt von vielen anderen, die freundlich durcheinanderrufen: „Ho, good morning, good evening — goodnight — au revoir, Gentlemen! Ho, viel Drinks, viel Mehl, Decken und neue Fallen! Viel Sirup, ho, Whisky, ganz verdammt! Bitte ihn schnell bringen! Klaweenleute verdammt durstig. Oh, bitte, bitte, Mister Buller! Squaws draußen haben auch viel schöne Pelze auf Schlitten. Schön verdammte Pelze; schwarz, grau, weiß und braun! Schön Zobel, schön Hermelin, schön viel graues Eichhörnchenbalg. Whisky dafür. Wollen großes Fest, großes Potlatsch machen!"

Die braunen, in Pelze und Seehundleder gekleideten Men­schen mit den schmutzigen Mongolengesichtem umdrängen uns zutraulich, schütteln unsere Hände und schlagen uns auf die Schultern. Louis Quebec lacht dröhnend und Sam Buller füllt ihnen kleine Gläser. „Polizei habt ihr ja nicht mitgebracht, Boys ?" fragt er eintönig und verschmitzt, denn er weiß wohl, daß man Indianern keinen Alkohol geben darf. Nachdem die Klaweens getrunken haben, fordert er sie auf, ihre Felle zu holen. Einer, der der Häuptling der Bande ist und ein furchtbares, von Krallennarben zerstörtes Gesicht hat, öffnet die Tür und ruft etwas hinaus. Sofort kommen, unter der Last von Pelzpacken gebückt, die Squaws herein

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und legen ihre Tauschware im Nebenraum ab. Scheu schauen sie sich um und ihre Augen sowie der Ausdruck ihrer Ge­sichter sind tief melancholisch.

Sam Buller läßt den roten Männern wenig Zeit, sondern beginnt mit geübten Händen die Packen auseinanderzu­reißen und die einzelnen Pelzsorten aufzustapeln. Zum erstenmal ist der starre Ausdruck seiner Züge verschwun­den, er wurde zur schlauen, aber unbeweglichen Maske, aus deren eisblauen Augen raffende Gier bleckt.

„Dafür kriegst du 'ne Wolldecke, drei Quarts Whisky, ein Pfund Sirup, 'n Säckchen Mehl, plenty Streichhölzer und ein rotes Wollhemd!" sagt er, auf einen Haufen Pelze deutend, die mindestens fünfhundert Dollars wert sind, und blinzelt den Indianer an. Dieser verbirgt seine Enttäuschung hinter einer verschmitzten Miene und schüttelt den Kopf. „Viel ver­dammt zu wenig, Mister Buller. Klein zu wenig! Ich schätzen, du geben fünfmal mehr!"

Buller schaut ihn kalt an. „Allright, nimm, was ich dir bot, Rothaut, oder laß es bleiben. Sam Buller hat noch nie ein Angebot zweimal gemacht, das solltest du bald wissen."

Der Indianer weiß es auch, denn er bittet kleinlaut: „Gut, gut, du geben und ich nehmen. Aber ich nicht Mehl wollen, wollen zwei Quarts mehr Schnaps dafür!"

„Fein, da nimm dies und das. — Fang auf! Und das auch noch! — Willst du die eine Pulle gleich aufgezogen?" spricht der Händler. Seine Hände teilen zauberschnell Waren aus und heimsen kostbare Grauhörnchenpelze ein. Kaum ist der eine Indianer abgefertigt und drückt sich in den Schankraum hinaus, da unterhandelt Buller schon wieder mit dem näch­sten. Seine Augen leuchten immer schärfer, und die sehnigen Finger, mit denen er seine Angebote gleichsam in der Luft unterstreicht, öffnen und schließen sich gierig.

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Vor dem Yukonofen, in dessen gewölbtem rotglühendem Leibe die Scheite knallen, schaukelt sich Jaqueline. Die an­dern Männer verfolgen gespannten Blickes das Tauschge­schäft. Louis Quebec lacht jedesmal, wenn Buller wieder einem armen roten Teufel auf eine Art betrogen hat, daß sich die Balken biegen könnten.

„Jack, morgen brechen wir auf," sage ich in bestimmtem Ton, denn mich ekelt die ganze Geschichte an. Er nickt trüb­selig, wobei er einen Blick auf Jaqueline wirft. „Schätze so!"

Sie wirft den Kopf zurück. „Aufbrechen ? Wohin und war­um ? Und wer sagt das ?"

„Nun, Miß Jaqueline, Sie wissen, daß Sie 'ne verdammt nette, wunderhübsche..." stottert Jack verlegen, ehe ich da­zwischenfahre. „Ich sagte es, Miß! Wir müssen fort, zum Yukon zurück!"

Ihre Augen verengern sich zu schmalen Schlitzen, wäh­rend der lächelnde Mund die kleinen weißen Zähne entblößt. Welch prächtiges Gebiß hat doch dieses Weib.

„Ich wünsche, daß Sie hierbleiben!" kommt es leise über die lächelnden Lippen, und Zwei ärgerliche Falten graben sich um die bebenden Nasenflügel.

„Nun ja, wir können ja noch — 'ne Woche, sagen wir mal, draufgeben!" meint Jack wieder, und es sieht aus, als ob er sich ihr zu Füßen stürzen will.

Den hat sie im Garn! Das weiß sie auch und ebenso genau ist sie davon überzeugt, daß sie mich noch nicht hat. Der ärgerliche Ausdruck verschwindet aber von ihrem Gesicht, die länglichen Augen werden groß und weit, schlagen mich in ihren Bann. „Peggy, oh, Peggy, hilf mir jetzt!" sende ich ein Stoßgebet zum Himmel und mechanisch plappert mein Mund: „Wir müssen zum Yukon, Miß Jaqueline. Müssen, müssen!"

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„Ist es denn so wichtig?" klingt es leise wie Musik, und im Nebenraum sagt ihr Vater gerade: „Wenn du nicht willst, verdammte rote Krähe, so laß es bleiben. Sam Buller hat noch niemals ein Angebot zweimal gemacht!"

Das zerstört den Bann. Die da im Schaukelstuhl sitzt und mich anschaut, ist Zwar eine wunderschöne Frau, aber mir flößt sie Grauen ein. Beinahe kann ich mir vorstellen, wie es dem armen Kaninchen im Zoo zumute ist, wenn der glitzernde Blick der Boa es hypnotisiert.

„Wir müssen!" sage ich kategorisch und wundere mich dabei, daß Jack still bleibt.

„Eh bien, wie Sie wünschen! Wenn Ihnen die Kälte und die Strapazen da draußen lieber sind als meine Gesellschaft, so mögen Sie nach Belieben handeln!" Schnippisch schürzt sie die Lippen, und ihr Blick geht durch mich durch, als ob ich gar nicht da wäre. Jack hüstelt und zündet sich eine Pfeife an, hinter deren Qualmwolken er seine Verlegenheit ver­birgt. „Ich schätze, daß die Roten heute nacht ein Potlatsch nach ihrer Art abhalten werden!" sagt er nach einer Weile. „Macht es Ihnen Spaß zuzuschauen, Miß Jaqueline?"

Sie antwortet nicht. Rhythmisch knarrt ihr Schaukelstuhl. Allmählich verbreitet sich überall der strenge Geruch von Whisky aus den offenen Flaschen der Indianer, deren Squaws mit den traurigen Tieraugen alle die rings um sie aufge­stapelten Herrlichkeiten betrachten, die nicht den zehnten Teil der köstlichen Pelze wert sind, die ihre Männer ab­lieferten, und wovon sie nicht einmal ein Hundertstel er­halten.

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P o t l a t s c h

Die Kälte knistert, ein auf glattgestampftem Schnee er­richtetes Feuer kracht und prasselt, und am Himmel schlägt Aurora-Borealis ihre wundervollen bunten Brücken. Der Waldrand gleicht einem Scherenschnitt aus schwärzestem Papier, und die davor aufstiebenden Funken sind die Glüh­würmchen in einer Feennacht.

„Potlatsch, aiiih! Hiiih!" kreischen gellende Stimmen, und jedesmal heulen die Hunde auf, als wollten sie mit der Ge­walt ihrer Klage den Himmel zerbrechen. Die Klaween­jäger hocken, in ihre Pelze gehüllt, in einem großen Kreis, den der glattgestampfte Schnee bildet, und an dessen Rand das Feuer lodert. Sie lachen, trinken, sind schon betrun­ken, weinen rührselig oder schreien und johlen. Ununter­brochen wiegen sie ihre Oberkörper hin und her, und der Häuptling mit dem schrecklichen Narbengesicht schlägt un­unterbrochen mit der flachen Hand auf eine kleine, fell­bespannte Trommel. Er macht keine Pause; wenn er Durst hat, so hört er auch nicht auf, die Trommel zu quälen, son­dern grunzt nur etwas. Dann beugt er den Kopf zurück, und ein Kumpan setzt ihm die viereckige Flasche an den Mund. Er schluckt, gurgelt und hustet und trommelt weiter.

„Potlatsch! Hiiih, Potlatsch!" Auf dem hartgestampften Schnee tanzen und drehen sich

die Weiber und stampfen ihn mit ihren Elchhautmocassins noch härter. Sie tanzen unter den Nordlichtern, wie die Müt­ter ihrer Urgroßmütter und deren Ahnen getanzt haben.

Malerisch auffallend lehnt Louis Quebec an einem Holz­stapel. Die verkniffenen Züge des Spielers neben ihm sind vom Scheine der Nordlichter bald rot, bald grün beleuch­tet und sehen so wechselnd aus wie der Satan in der Hölle

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oder wie das Gesicht eines Menschen, der einen schweren Tod sterben muß. Indianergleich und äußerlich mehr India­ner als diese armen roten Burschen, denen er Geist und Seele mit seinem Whisky vergiftet hat, steht der Schotte Sam Buller da.

Narbengesicht trommelt. Seine Brüder jubeln und tor­keln im Sitzen hin und her wie Marionetten, die auf einen Strick gezogen sind. Manchmal führt eine braune, knochige Hand die blinkende Flasche Zum Munde. Dünn, kaum hör­bar, wimmert am Rande des Feuers ein Baby, bis sich die Mutter zu ihm beugt und das in einer Art Pelztüte steckende Geschöpf an ihre vollen entblößten und offenbar gegen die Kälte unempfindlichen Brüste hält.

Die Klaweenweiber tanzen unermüdlich den Bärentanz, wobei sie plump einhertappen und mit den Armen plumpe Schläge in die Luft machen. Erst sind die Bären auf der Jagd und erlegen ihre Beute, dann schleppen sie das Erlegte heim in die Höhle und sättigen sich; nachher kommt die Paarung, darauf der Schlaf und endlich die Geburt nebst Aufzucht der Jungen.

Alles tanzen die Weiber und tanzen es derart wirklich und unverkennbar, daß ein Mensch, der plötzlich aus der Zivilisation in dieses Potlatsch versetzt würde, ohne nachzu­denken sagen müßte: „So ist das Leben der Bären!"

Und sie tanzen das listige Fuchsdasein, die Meutenjagd der grauen Wölfe! Sie tanzen den Frühlingszug der tausend Renntiere und tanzen den Flug der schnarrenden Wild­gänse! Auch tanzen sie das Gleiten, Stemmen und Schlän­geln der Lachse und den Weidegang des längst ausgerotteten Moschusochsen. Alles tanzen sie, was es in Nordland gibt und gab! Tanzen es in stummer eindrucksvoller Pantomime, wobei ihre Augen und die Gesichter melancholisch bleiben.

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Whiskyflaschen gurgeln, dröhnend lacht manchmal Louis Quebec. Und Narbengesicht trommelt, als ob seine Muskeln aus gefühllosem, unermüdlichem Stahl bestehen.

Es verstreichen Stunden und längst schlafen alle Hunde, da trommelt Narbengesicht immer noch. Von den Tanzen­den sind nur wenige übrig. Die meisten taumelten hinaus aus dem Ring nach ihren Zelten, die spitz und dunkel auf dem Schnee stehen. Nur wenige Männer sitzen noch da. Die andern liegen schnarchend dort, wo sie umfielen. Nun enttaumelt auch die letzte Squaw dem Tanzplatz. Narben­gesicht sitzt ganz allein neben dem niedergeglühten Feuer und lacht, während er trommelt. Plötzlich entfällt ihm das Instrument, idiotisch grinsend starrt er vor sich hin und schnellt plötzlich mit einem Ruck auf die Füße. Beinahe wäre er wieder hingefallen. Er blickt um sich und schaut mich endlich an, alle andern sind gegangen oder schlafen den Schlaf der Betäubung auf dem Schnee. Narbengesicht macht eine Geste, deutet auf die schnarchenden Betrunkenen und lauscht kurz dem Weinen eines Kindes, das aus der Dun­kelheit tönt. Verächtlich stößt er die Whiskyflasche mit dem Mokassin fort und geht, klein, unansehnlich, häßlich und schmutzig, aber jeder Zoll der Häuptling eines gefallenen Volkes, nach seinem Zelte. Mir bleibt der Atem fast stehen, ich möchte dem Manne nacheilen und rufen: „Vergib! Ver­gib uns Weißen!" Aber dann würde ein häßlicher betrunke­ner Indianerhäuptling mich rührselig umarmen und schluch­zend um Whisky betteln.

Er verschwindet im Zelt, und ich bin allein mit meinen Gedanken. Über mir tanzen kalte bunte Flammen ihren un­berechenbaren Tanz. Das Potlatsch ist aus. Braune Men­schen haben heute wieder einige Riesenschritte ihrem Unter­gang entgegen getan. Und so wie sie rückwärts und hinab in

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die Tiefe schreiten, so klimmen Sam und Jaqueline Buller die Sprossen einer Leiter hinauf, Reichtum und Glück ent­gegen. Das Potlatsch ist aus. Taumelnde Squaws machen sich an die Arbeit, ihre Herren und Gebieter, die sonst erfrieren müßten, in die Zelte zu schleifen.

Lou i s Q u e b e c und J a c k F a d d e n

Wieder sah ich die goldene Sonne ein wenig länger, ehe sie in Grau versank. Ihr Schimmer beleuchtete den zer­stampften Tanzplatz der Nacht. Die Indianer waren fort. Schweigend, ohne jemanden zu wecken, verschwanden sie, nachdem sie ihren zwei Tage währenden Kater ausgeschla­fen hatten. Niemand sah den Aufbruch der roten Männer und ihrer Squaws. Als wir zum zweitenmal erwachten und Sam Buller zuerst ins Freie trat, waren sie nicht mehr da.

„Das ging schnell, Donnerwetter! Na, wenn sie wieder Felle haben, kommen sie wieder. Ich habe ein verdammt gutes Geschäft gemacht!" brummte er und damit war diese Epi­sode abgeschlossen.

Louis Quebecs Gesicht gefiel mir nicht! Ein paarmal muß­ten wir alle an die Bar, weil er spendierte. Wiederholt brüllte er: „Drinks für alle! Louis Quebec bezahlt, denn er hat Geld, bei le bon Dieu!"

Die Drinks sind die verschiedenen mehr oder weniger willigen Kehlen hinabgekippt worden. Louis Quebec suchte etwas anderes.

„Kommt raus, Messieurs! Bei lo bon Dieu, ich werde euch zeigen, welche Kraft in mir steckt. Wie Goliath, com­prenez-vous?"

Er drängte sich uns voraus und stemmte draußen ge­

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waltige Holzklötze mit seinen Pranken mühelos hoch, jong­lierte mit gefrorenen Elchvierteln und zeigte auf viele Arten, daß er wirklich Bärenkräfte besitzt. Dann tat er einige Schritte rückwärts und stolperte seiner ganzen Länge nach auf den Schnee, weil ihm ein herumschnüffelnder Hund zwi­schen die Füße geriet. Wütend emporspringend, brüllte er laut auf und seine hellen Augen zogen sich tückisch zusam­men. Mit einer für seine schwere Gestalt kaum glaubbaren Gewandtheit bückte er sich und packte das unglückliche Tier mit jeder Hand an einem Hinterbein. Es ging alles so schnell! Der Unmensch schwang den heulenden, sicher vierzig Kilo schweren Hund zweimal um seinen Kopf und schmetterte ihn gegen den nächsten Baum.

Ah, nie wieder möchte ich dieses schreckliche Geräusch hören, mit dem das Tier anprallte! Nie wieder das fast menschliche dumpfe Stöhnen, als das Halbblut es mit ge­brochenem Rückgrat fortschleuderte! Nie wieder möchte ich sehen, wie dieses arme Tier sich qualvoll auf die Vorder­pfoten zu erheben und mit halberloschenen Augen in den Wald zu schleppen versuchte! Nie wieder!

Wieder und wieder aber möchte ich das plötzlich grau werdende Gesicht des Schinders erblicken, das er machte, als Jack ihm zähneknirschend eine Kugel in den Leib schoß! Das ging alles so schnell, oh, so schnell, daß keine Minute verstrichen war, seit Louis den Hund ergriff, und er selber mit dem Blei in der Schulter jammernd wie ein altes Weib auf dem Schnee lag, und Jack dem armen Tier den Gna­denschuß gab.

Gleich einer Furie stürzte Jaqueline ins Freie. „Du Hund, was hast du mit meinem Hund getan!" schrie sie außer sich und trat dem um Gnade wimmernden Riesen mit den Fü­ßen ins Gesicht. Sich an Jack wendend, der immer noch

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die rauchende Waffe hielt, sagte sie dann weich: „Monsieur, das vergesse ich Ihnen nie. Verlangen Sie von Jaqueline Buller alles, was Sie wollen!"

„Und von Sam Buller auch ein gut Teil!" schloß sich ihr Vater an.

Louis Quebec wurde ins Haus getragen und untersucht. Die Kugel steckte über dem Brustknochen, und der alte Bul­ler zog sie ihm gleich heraus. Ich glaube nicht, daß er sich besondere Mühe gab, dabei sehr zart zu verfahren. Das Halbblut schrie, als ob er einer chinesischen Tortur unter­zogen würde. Wir standen alle drum herum und lachten ebenso laut wie er klagte, bis der große brutale Feigling in Ohnmacht sank.

A b s c h i e d von B u l l e r s

„Jack!" fragte ich nachher meinen Partner, als er sin­nend in der Ecke saß und Jaqueline mit den Augen ver­schlang. „Jack, wenn du hier bleiben willst, dann sag's. Vielleicht nimmt dich der alte Buller zum Schwiegersohn, ich glaub's zwar nicht. Hast du gesehen, wie er die In­dianer bemogelt hat?"

Er nickte und sprach verloren vor sich hin: „Bei Gott, man kommt in das Alter, wo man jedem hübschen Ge­sicht nachläuft. Hm, ich wünsche — hm, ich weiß nicht — hm hm!"

„So hübsch wie das schwarzhaarige, katzenartige Mädel vom alten Buller sind viele!" log ich, denn das, was ich sagte, stimmte nicht. Man muß lange suchen, um eine Ja­queline zu finden!

„Hm, meinst du? Hm ja, eigentlich bin ich ja auch mehr

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für rosige Haut und blonde Haare. Weißt du, wie daheim die unsern in Kalifornien. Bei Gott, das sind Mädels!" Er wurde lebhaft, und ich spornte ihn an, denn ich weiß, daß er sobald nicht aufhört, wenn er erst von seinen Landsmännin­nen angefangen hat. Vielleicht vergaß er dabei die gefähr­lichen Worte, die Jaqueline ihm zugerufen hatte.

Es dauerte lange, denn er ist hartnäckig und störrisch wie ein Maulesel. Endlich hatte ich ihn so weit, daß er mit mir hinausging, um den Schlitten zu bepacken. Es war zwar bald Schlafenszeit, aber mich drängte es, so rasch wie mög­lich aus der Nähe dieser Blockhäuser zu kommen. Die Schie­ßerei ließ mich kalt, aber — dieser arme Hund, wie er über den Schnee kriechen wollte und nicht konnte!

Jack brummte noch, aber er gab mir recht. So traten wir denn in den Laden, erstanden verschiedene Dinge, die wir brauchten, und gaben Old Buller unsere Absicht kund, so­fort nach dem Yukon aufzubrechen. Seine Miene verzog sich nicht im geringsten. Er gab das Verlangte her und sagte: „Von euch mag ich keine Bezahlung. Es ist alles mit der Kugel, die Jack in das großmäulige Halbblut jagte, aus­gelöscht und abgetan. Schade, jammerschade, daß ihr schon fort wollt!"

„Was ist das? Wer redet hier von Fortwollen?" fragte eine Stimme, die einen leise drohenden Klang hatte, hinter mir. Jaqueline schob sich zwischen uns. „Unsinn, Messieurs, Sie werden nicht abreisen. Jetzt nicht, vielleicht im Frühjahr. Vorläufig erlaube ich's nicht. Basta!" Ihr zierlicher Fuß stampfte hart auf.

„Da seht ihr's, Gentlemen. Meine Kleine hat ihren ver­dammt eigenen Willen. Und was sie sich vornimmt, das setzt sie durch!" brummte Buller mit seiner undurchdringlichen Indianermiene. Jack fing schon an, die Daumen zu drehen,

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da stieß ich ihm in die Rippen und trat gegen seinen Knöchel. Und der gute Kerl sagte wirklich die Lektion her, die ich ihm vorher eingebläut hatte: „Miß Jaqueline, Sie meinten doch heute, daß ich sozusagen alles von Ihnen verlangen dürfte?"

Eifrig nickte sie. „Na!" sprach er weiter und wagte nicht, sie dabei anzu­

sehen. „Na, so bitte und verlange ich, daß Sie uns erlauben, heute nach dem Yukon aufzubrechen, um im Frühjahr mei­nen Claim auszubeuten!"

„Verdammt gute Idee das!" murmelte der Alte. Wieder stampfte sie auf. „Schauen Sie mich an, Monsieur Jack — mir in die Augen! Ist es Ihr Ernst?"

Nun, da Jack das A gesagt hatte, scheute er sich nicht, sie anzublicken und auch das B auszusprechen. „Well, ja, wirk­lich. Ich hab' doch den Claim dort!"

Buller murmelte abermals: „Teuflisch vernünftige Idee, das. Vielleicht findet er dicke Klumpen!"

Jaqueline warf die Locken zurück. „Gut, da Sie mich an mein Wort erinnern!" Zu mir herumschnellend, zischte sie: „Und mit Ihnen, junger Mann, möchte ich etwas reden, ehe Sie aufbrechen!"

„Allright!" entgegnete ich, mir war recht unbehaglich dabei zumute. Zuerst verabschiedete ich mich aber von den anderen, damit verstrich einige Zeit. Als ich ins Freie trat, sah ich zu meinem Erstaunen Jack schon eine ganze Strecke entfernt vor dem Schlitten herschreiten. Dann stand Jaque­line vor mir. Ihre Augen blitzten Haß, als sie unterdrückt flüsterte: „Meine Mutter war Indianerin, wie Sie wissen, aus einer alten Schamanenfamilie. Sie wußte allerlei Zauber und Beschwörungen! Ich hab' nie daran geglaubt, aber jetzt wollte ich, ich hätte damals auf meine Mutter gehört und

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mich unterweisen lassen." Sie brachte ihr Gesicht ganz dicht an das meine und raunte: „Denn dann würde ich Unglück über Sie wünschen, Unglück und plötzlichen Tod! Sie sind nämlich schuld daran, daß Jack aufgebrochen ist!" Bitter lachend fuhr sie fort: „Nicht, daß ich etwa in den lang­weiligen Kerl verliebt bin, haha! Aber er hat sich meinem Willen entgegengesetzt, und das wühlt in mir. Sie sind schuld! — Da!"

Klatsch! Eine Ohrfeige brannte auf meiner Wange, und die wütende Furie war verschwunden. Da rannte ich hinter dem Gespann her, und als ich an meinen Platz zwischen den Lenkstangen kam, fiel mir eine Last von der Seele.

Jack schwieg noch lange, bis er endlich über die Schulter warf: „Du hör mal, ich schätze, daß sie doch ein Satan war, ein Satan in Röcken!"

„Wer denn?" entgegnete ich fröhlich. „Gleich werf ich dir den Schlitten an den Schädel!" Harter Schnee klirrte unter den Kufen.

U n d d ie T a n n e f ie l

Die neuen Hunde sind gute, kräftige Tiere. Aurora leitet das Gespann, und wir wissen längst, daß wir uns doch getäuscht haben, als wir meinten, sie sei trächtig.

Schwer lastet Nordlands Schweigen auf uns, während wir über den Schnee stapfen. Es ist frischer Pulverschnee, den einzelne Windstöße zu hohen Gebilden aufwirbeln, die bald schnell, bald langsam durch die Täler hüpfen, ehe sie in sich zusammensinken. Ja, die neuen Hunde sind gute Tiere, aber sie haben trotzdem nicht aufgepaßt! Neulich waren wir so müde, daß wir nach dem Abkochen die Proviantkiste

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und die Packen offen stehen ließen. Halbtot krochen wir in den Schlafsack, und die Hunde hatten sich so tief in den Schnee gewühlt, daß nur weiße Hügel ihre Anwesenheit kennzeichneten. Nachher schneite es noch mehr. Als wir am Morgen aufwachten, fanden wir den Proviant größten­teils verschwunden. Geplündert, gestohlen und gefressen von einer Bande hungriger Füchse, wie die Spuren bewiesen! Und gleichsam zum Hohn hatten uns die Bestien ihre Ex­kremente hinterlassen, mitten in die fast leere Proviantkiste hinein. Nach sorgfältigem Suchen fanden wir aber doch aller­lei im Schnee liegen, hier einen halb ausgelaufenen, zerbisse­nen Mehlsack, dort Kaffee und Tee. Die gefrorenen Lachse für die Hunde hatten die Feinschmecker kaum berührt. Wahrscheinlich wurden sie auch durch einen im Schlaf knur­renden Husky verjagt.

Natürlich haben wir unsere Tiere verprügelt. Aber der Mensch ist mal so! Wenn ihm etwas schief geht, dann braucht er einen Blitzableiter, um seiner üblen Laune Raum zu geben.

Na, umkehren wollen wir nicht, es ist zu weit, auch ist Jacks Abneigung gegen Jaqueline inzwischen gewachsen. Wir werden also den Proviant mit den Tieren teilen und auf einen Elch hoffen. Von Elchfleisch kann man leben, bis der Frühling kommt, dann baut man sich ein Kanu oder besser noch ein Floß und läßt sich vom Yukon bis zur nächsten Ansiedlung treiben. Aber erst muß man wieder am Yukon sein!

Ich möchte wissen, ob die Füchse auch die Hartspiritus­patronen gefressen haben? Die sind nicht mehr da. Das ist höchst unangenehm, da wir zeitweise keine Bäume antreffen und mühsam im Schnee nach Krüppelweiden buddeln müs­sen. Hoffentlich bekommen die Biester Bauchgrimmen!

Am zehnten Tage nach dem Besuch der Füchse erreichen

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wir ein Flußbett, hier gibt es wieder Tannen, die in Abstän­den zu dreißig und vierzig beisammenstehen.

Hier haben wir Lager gemacht, weil wir einen Elch schie­ßen möchten. Das erfüllt sich aber nicht. Mit merklich leich­ter gewordenem Schlitten ziehen wir den Fluß entlang. Holz gibt es immer noch in Menge, nur der Proviant nimmt ab, und gefrorener, dann aufgetauter Hundelachs schmeckt mise­rabel! Der Tee geht auf die Neige, wir trinken heißes Was­ser mit einer Prise Mehl darin verrührt. Das Flußbett ist un­endlich lang, und die Tannengruppen werden bald zum rich­tigen Wald mit Bäumen von ansehnlicher Höhe. Ein Wald ohne Tierleben, ohne Geräusch; ein erstarrter, gefrorener Wald, dessen Zweige wie Glas brechen, wenn man daranhin streift.

Wir haben es schon versucht, Raben zu essen, aber das war zu eklig, nichts als Balg, der von Ungeziefer wimmelt, Knochen und Sehnen. Jetzt hätten wir trotzdem gerne einige dieser schwarzen Vögel und würden sie am liebsten samt Federn und unausgenommen kochen. Sie lassen sich jedoch nicht mehr schießen, sind viel zu schlau, und Schrotflinten besitzen wir keine . . .

„Schau, Jack, was für eine mächtige Tanne! Komm, laß uns lagern, ich will nachher nochmals nach einem Elch Aus­schau halten!"

Mißmutig hält er den Schlitten an und faucht: „Quatsch!" Dicht am Fuße des großen, halbverdorrten kerzengeraden

Baumes stampfen wir den Schnee glatt. Jack bückte sich, um die Axt loszumachen, während ich nach dem Karabiner greife. In der Runde steht der reglose, verschneite Wald mit dem graudämmernden Himmel darüber. Plötzlich fällt eine Last Schnee auf meinen Nacken. Ein Seufzen, das in drohendes Sausen übergeht, ertönt über mir. „Zurück!"

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schreit Jack und macht einen Satz zur Seite, gerade in die Bahn des niedergehenden dicken Stammes.

Aus meiner Erstarrung erwachend, versuche ich den halb unter dem Schnee liegenden Freund auszugraben. „Mein Bein, au! mein Bein! Der verdammte Stamm liegt quer dar­über!" stöhnt er, und helle Schweißtropfen stehen auf seiner erblaßten Stirne. Wie ein Berserker schleudere ich den Schnee nach allen Seiten, während er mir still und mit schmerzlicher Miene zusieht. Endlich habe ich den Stamm frei und bearbeite ihn mit schmetternden Axtschlägen. Dann ziehe ich Jack hervor und muß erst noch ein Feuer anzün­den, ehe ich mich weiter um ihn kümmern darf, und seinen Schenkel bloßlege.

Ein glatter Beinbruch, wenigstens ragen keine Splitter aus der weißen Haut!

Jack trinkt die halbe Whiskyflasche leer, ehe die Farbe in sein graugewordenes Gesicht zurückebbt. Nun kann er mir durch die zusammengebissenen Zähne Anweisungen zu­murmeln, und ich fertige eine Schiene an, umwickele das halb versteifte Bein dicht mit Seehundsfellriemen. Dann füt­tere ich die Hunde, die Jack mit klugen Gesichtern be­schnüffeln, während in einem Topf die Krankenbrühe kocht: fast angefaulte, jetzt gefrorene Lachsstücke, denen ich eine Handvoll Tannennadeln und etwas Moos als Würze zu­füge.

„Kannst auch noch den letzten Rest Kaffeesatz, den wir noch haben, hinzufügen. Was tut's schließlich, und viel­leicht wird das Gebräu davon schmackhafter!" sagt er und versucht zu lachen.

Von all den merkwürdigen Speisen, die ich je aß, wird dies eine der seltsamsten. Sie schmeckt ungefähr wie der Ge­ruch, der über frisch gedüngten Feldern steht. Aber sie ist

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heiß und man hat etwas im Magen. Nordland, o Nord­land! . . .

Nachher streiten wir uns. Der warm neben dem Feuer eingepackte Amerikaner hat plötzlich die heldenhafte, aber, wie ich ihm sage, saudumme Idee, daß ich ihn im Stich lassen und mein Heil allein versuchen soll. Wäre er nicht hilflos, so würde ich ihn solange prügeln, bis er den „Yankee doodle" singt!

„Allein hast du vielleicht Glück und triffst auf Fallen­steller! Bleibst du aber bei mir, so holt der Teufel uns beide, wo er sich sonst an mir genügen lassen würde, wie ich kalkuliere!" Seine Stimme ist vor Schmerz und Verzweiflung heiser. Schließlich antworte ich gar nicht mehr.

Am Morgen lege ich ihn auf den Tobogan, schnüre ihn gut fest, zünde seine Pfeife an und klemme sie ihm zwischen die Zähne. Dann trete ich vor den Hunden her Pfad. Jack schimpft wie ein Schifferknecht, dann wie ein besoffener Schleppdampferheizer, und nachher flucht er auf eine Art, die ordentlich gebildet klingt. Ich möchte nur wissen, was er gewesen ist, ehe er dem Goldlockruf ins Nordland folgte?

All sein Fluchen nützt ihm nichts, und je öfter er bettelt und droht, ich soll ihn schön sanft in den Schnee betten, ihm die Pfeife stopfen und ihn sanft einschlafen lassen, desto schneller stapfe ich vor den Hunden her. Endlich schweigt er vor Erschöpfung.

Am nächsten Lagerplatz gelingt es mir, einen weißen Fuchs zu schießen. Er gibt herrliches Dünstfleisch und eine Tasse Krankensuppe. Unser Geschmack ist schon derart verwirrt, daß wir das streng stinkende, dunkle Fleisch mit gemäste­ten Puten vergleichen. Die Hunde bekommen auch eine volle Mahlzeit. Ab morgen werden sie auf Viertelrationen ge­setzt, und in acht Tagen ist nichts mehr da. Vielleicht essen

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wir bis dahin Elchschinken oder schlachten den ersten Hund. Welcher wird es sein?

Vorläufig sträuben sich noch mein Magen und mein Ge­wissen gegen derartige Pläne.

„Mensch, laß mich liegen, dann kommt ihr viel schneller vorwärts!" brüllt Jack alle zehn Minuten mit vor Anstren­gung blau werdendem Gesicht. Schlauerweise wollte er mich auch schon mit dem Revolver zwingen, aber ich hatte den­selben wohlweislich längst beiseitegeschafft. Sein Bein sieht übrigens gut aus. Aber es ist herzzerreißend, einen starken Mann hilflos auf dem Rücken liegen zu sehen, kaum etwas zu essen zu haben und ringsum die fürchterliche, stille, weiße Öde.

Ich fange an, mir Gedanken darüber zu machen, was ge­schieht, wenn, wie die Amerikaner so treffend sagen, der Tag kommt, an dem meine Nerven alle zur Hölle geschossen sind. Was dann?

Die F a l l e

Wir haben uns weitergeschleppt und sind längst bei Vier­telrationen für die Hunde angelangt. Für uns beide gibt es seit gestern gekochtes, in kleine Stückchen gehacktes See­hundsfell von den Schlittengeschirren. Gott sei Dank ha­ben wir noch Tabak, und damit läßt sich's aushalten. Vor drei oder vier Tagen — woher zum Teufel, soll ich noch wissen, ob meine Kalenderrechnung stimmt! — schoß ich einen Ptarmigan im Fluge. Nur der Schnabel und die Kral­len blieben übrig, und die hat Aurora verschlungen.

Hunger wühlt in meinen Eingeweiden, und nach Indianer­sitte habe ich mir einen Riemen eng um den Magen ge­schnürt. Der Gedanke, einen Hund zu schlachten, hat nichts

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Abstoßendes mehr, sondern ist eher verlockend. Eigentlich würden die Schwänze genügen! Wenn ich sie ihnen ab­hackte und eine Suppe davon kochte? Der Frost wird die Blutung sofort stillen.

Apathisch liegt Jack auf dem Schlitten und läßt sich ziehen. Die Kräfte der Hunde reichen kaum noch aus, den Tobo­gan vorwärtszubewegen. Ihre Augen sind matt, nur manch­mal flackert es wie rote Tollwut darin auf, und beim letzten Halt versuchten die vier aus Bullers Fort stammenden, mich anzugehen. Der eine sprang mir auf den Rücken, während die anderen geduckt mit bleckenden Zähnen auf mich zu­schlichen. Aurora lag japsend auf der Seite. Schwach wie ich war, verlieh mir die Todesangst Kraft genug, das knur­rende Tier abzuschütteln und die andern drei abzuwehren. Schließlich legten sie sich winselnd auf die Bäuche und schauten mich vorwurfsvoll an.

„Siehst du, du blödsinniger Affe, warum hast du mich nicht längst irgendwo im Schnee in die seligen Jagdgründe hinüberträumen lassen!" schilt Jack.

Statt einer Antwort binde ich die Hunde einzeln an, gebe Jack die Axt — den Revolver vertraue ich ihm nicht an — und steige mit dem Gewehr in den stummen Wald. Wenn ich nichts erlege, muß nachher der Hund, der mir auf den Rücken sprang, daranglauben.

Die Sonne strahlt mir eine Viertelstunde lang auf den Rücken und verwandelt Schnee und Eis in eine funkelnde, aus Diamanten zusammengesetzte Landschaft. Nichts rührt sich. Als die Lichtscheibe wieder verschwunden ist, sieht der Wald so unwirklich aus wie das Machwerk irgendeiner ver­rückten kubistischen Kunstgewerblerin! Kein Geräusch höre ich außer meinen eigenen, keuchenden Atemzügen. Keine Spur furcht den Schnee. Nichts, absolut nichts.

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Ha, dort an der Tanne, da ragt etwas aus dem Schnee, den der Wind ausgehöhlt hat. Ich stolpere hin und finde ein leeres, noch nicht zugeklapptes Eisen mit einem undefinier­baren, gefrorenen Köder darin. Einen Zweig abbrechend, berühre ich den Eisenteller, die beiden Bügel schnappen zu, und gefahrlos kann ich nun den faustgroßen Klumpen ent­fernen. Am liebsten möchte ich ihn sofort verschlingen, aber ich denke an Jack und halte mich gewaltsam zurück. So rasch ich kann, vor Schwäche manchmal lang hinschlagend und gegen Tannen taumelnd, die mich mit eisigen Lasten überschütten, erreiche ich das Lager.

Traurig betrachten mich die angebundenen Hunde. „Jack, Jack! Ich habe eine aufgestellte Falle gefunden und dies drin!" schreie ich entzückt. Gierig beschnüffelt er den Klum­pen. „Hm, ich schätze, es ist von der Kälte zusammenge­geschnurrtes Elchfleisch. Koch Suppe davon!" brummt er und fragt mich dann aus, während ich am Feuer hantiere. Sicher seien wir im Gebiet eines Fallenstellers, meint er dar­auf. Aber wo mag derselbe hausen? In Nordland stellt ein Trapper seine zwei- bis dreihundert Eisen über ein Gebiet von fünfhundert Kilometern auf und untersucht sie dann höch­stens dreimal im Winter. Es kann nun sein, daß dieses Eisen gerade das letzte der langen Linie ist und der Trapper zwanzig Tagereisen von hier seine Hütte hat! Aber die Tat­sache, daß der Köder noch darin war, bestätigt eigentlich, daß er noch nicht zum Nachsehen hier war. Was sollen wir tun? Lagern oder aufs Geratewohl weiterwandern?

So raten wir hin und her, während der riesige Topf voll Wasser mit einem faustgroßen Stück Fleisch darin auf dem Feuer steht und die Hunde winselnd herüberschnuppern. Wir kommen zu dem Beschluß, daß es am besten ist, am Waldrand weiterzuwandern. Trapper stellen dort gerne für

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die heraus- und hineinwechselnden Tiere ihre Eisen auf, und vielleicht treffen wir auf einen solchen Mann der Wildnis.

Neue Kräfte, neuer Mut durchströmen mich, richten auch Jack auf, daß er sogar schon Pläne macht, wie wir am besten den Claim am Yukon ausbeuten können. Und auch die Hunde sollen Teil an Hoffnung und Freude haben, denn ihnen verdanken wir es, daß wir soweit gekommen sind. So klein das Köderfleisch auch ist, ich zerschneide es dennoch in winzige Fasern, zerklopfe diese noch mit dem Revolver­knauf, füge Moos hinzu und erhalte auf diese Weise durch langes Kochen eine große Portion Brühe, die zwar dünn ist, aber nicht schlecht schmeckt. Ein Viertel davon erhalten wir beide, der Rest wird ehrlich unter die dankbar meine Hand leckenden Hunde verteilt. Sie wissen ganz genau, daß wir das Letzte mit ihnen teilen, und daß uns irgendeine neue Hoffnung beseelt. Ihre Augen blicken nicht mehr so matt oder tückisch, und ich kann ihnen die Köpfe tätscheln, ohne daß sie nach mir schnappen. Soll ich den armen Teu­fel, der mir mit seinen achtzig Pfund ins Genick sprang, töten und zu Speise verarbeiten? Donnerwetter, ich denke gar nicht daran! Er hatte nur Hunger. Wenn Menschen da­durch zu Tieren werden, was soll denn solch ein Hund tun?

„Komm her, alter Bursche, komm, laß dich streicheln! Kommt alle her, ihr guten Teufel!"

G e s a n g i m W a l d e

Seit Zwei Tagen ziehe ich nun mit den Hunden den Schlit­ten, falle oft hin, krieche weiter, taumele auf und tappe weiter. In langen Pausen flucht Jack mit heiserer Stimme.

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Links von uns erstreckt sich der stumme Wald bis in die Unendlichkeit hinein.

Oh, wie mich der Hunger plagt! Visionen von saftigen Steaks und Bergen mit grüner Petersilie geschmückter Kar­toffeln martern mich. Humpen voll duftendem Tee gaukeln leibhaftig vor mir herum, und wenn ich schwerfällig da­nach hasche, so zerfließen sie in glitzernde, vom Frost wie mit winzigen Nadeln durchsetzte Luft. Jack flucht.

Ich muß mich wieder vor den Hunden in acht nehmen, denn für sie bin ich ein vor ihren Lefzen baumelndes, ge­waltiges Steak, an dem sie alle satt hätten!

Solange sie in den Sielen stecken, können sie mir nichts tun, aber nachher, wenn wir lagern, werden sie versuchen, mich anzuspringen. Doch dann will ich einen schlachten, oder besser gleich zwei . . .

Weiter, weiter! Nun geht's nicht mehr. Lang falle ich aufs Gesicht. Die Hunde versuchen, mich zu erreichen, doch bringen sie den schweren Tobogan, den ich bisher ziehen half, nicht vom Fleck. Kaum drei Schritte vom vordersten entfernt, liege ich auf dem Schnee. Da wirft sich einer nach dem anderen auf die Seite, und ich sehe ihre abgemagerten Flanken auf- und abpumpen, sehe ihre mit einer gelben Schicht bedeckten Zungen lallen. Auf dem Schlitten im Schlafsack liegt der hilflose, festgeschnallte, fluchende Ame­rikaner.

Nach einer Weile werden die Hunde sich erholt haben und kräftig genug sein, um den Tobogan zu mir heranzuziehen und irgendeiner — vielleicht ist's Aurora — beißt mir die Kehle durch. Der Blutgeruch wird sie toll machen, ein haa­riger, kläffender, in den Seehundsriemen verstrickter Knäuel wird über mich herfallen und mich zerreißen. Jack mag vergebens probieren, sich aus dem Schlauch des Schlaf­

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sacks loszuknüpfen. Wahrscheinlich fangen dann die ver­hedderten Hunde miteinander zu streiten an, der Schlitten fällt um . . .

Nach langer Zeit werden sich die Männer in Moosetown fragen: „Habt ihr nicht Jack und den langbeinigen German gesehen?"

„Sie sind nach Norden gezogen!" antwortet einer, und der erste zuckt die Achseln. „Barkeeper, mir noch 'nen Whisky pur!"

Was mag wohl Annie, was Peggy sagen, wenn Nordland auf alle Fragen über uns schweigt? Ob sie wohl noch an mich denken? O Peggylein, wie warst du schön und lieb zu dem wilden Jungen. Und du, Annie, hast du mich nicht von Spiel und Suff ferngehalten ?.. .

Das Päckchen, das Päckchen, das Annie mir damals um den Hals hängte! Meine Hand tastet danach, aber ich kann die Parkah nicht mehr öffnen. Soll es hängen bleiben, es ist ja doch viel zu klein, um etwas Eßbares zu enthalten, haha!

Ich will verdammt sein, und alles soll verdammt sein. „Verdammt! Verdammt! Verd..." flüstert Jacks heisere Stimme, und wieder ist's still.

Sieh, nun steht ein Hund auf, dann noch einer, bis sie sich alle gegen die Sielen stemmen. Mordlustig flackern ihre Augen, die magern Körper stemmen sich, stemmen. Der Tobogan bewegt sich einige Zentimeter, kommt wieder zum Stillstand, weil ein kleiner Klumpen ihn hemmt. Doch wer­den sie diesen überwinden, denn sie haben Hunger.

Trottel, der ich bin, haha! Gestern hätte ich noch einen von ihnen erschießen und in den Kochtopf stecken können. Heute habe ich nicht einmal die Kraft, meine Parkah zu öffnen, geschweige denn, die Pistole aus dem Halfter zu ziehen. Recht geschieht mir, ganz recht!

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„La lalalalalah! On the trail of the lonesome pine!"

Wer singt da? Wer hat da gesungen? Bin ich schon ver­rückt und vernehme die Stimmen der Engel oder Teufel, die mich holen kommen?

„He, hörst du das?" krächzt Jack, und die Hunde spitzen ihre Ohren. Wieder singt es und, bei Gott, es ist eine Frauen­stimme. Haha, wie soll eine Frau in diese verdammte Ge­gend geraten! Höchstens Nordland-Annie brächte das fertig, und die ist jetzt in Moosetown. Horch nur!

„In the vales of the Bluegrass mountains!" . . .

„He, steh auf, da kommt jemand!" keucht Jack, und Aurora heult kurz auf. Der Gesang verstummt, seitwärts kracht der Schnee, und Tannenäste klirren. Und nun glei­tet eine in Pelze und Hosen gekleidete Gestalt auf Schnee­schuhen aus dem Walde, hält erstaunt inne, eilt dann auf uns zu. Die Hunde heulen freudig.

„Bei Gott, eine Frau, ein Mädel, wie sie nur in Kali­fornien gewachsen sein kann!" krächzt Jack wieder. Ein freundliches, robustes Mädchengesicht beugt sich über mich, sieht gegen den nordlichtflimmernden Himmel aus wie eine von derbem bäurischem Pinsel gemalte Madonna. Funken tanzen, rote Schleier ziehen sich vor meinen Augen hin und her, und auf einmal ist alles um mich nur noch brausende Dunkelheit.

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Sie a b e r k o n n t e n s ich n i c h t t r e n n e n

Hei, wie gemütlich liegt doch die Hütte des alten Williams, worin er samt seinen beiden Kindern Margret und Washing­ton im starren verschneiten Zauberwalde haust. Nur hat sich Jack geirrt, denn das breithüftige, breitgesichtige gut­mütig blickende Mädel ist nicht in Kalifornien „gewachsen", sondern hier in Nordlands tiefer Einsamkeit. Old Williams ist wie viele einsame hier oben lebende Männer ein sogenann­ter „Squawmann", er hat sich eine Indianerin vom Stamme der Tlinkit genommen. Sie starb vor Jahresfrist, wie ein guter Hund in den Sielen stirbt, nämlich auf einer monate­langen winterlichen Schlittentour. Der Proviant wurde knapp, ging ganz zur Neige, und eines Morgens lag sie kalt und steif­gefroren neben ihrem Gatten im Schlafsack. Sie hatte sich, ohne daß er es merkte, für ihn geopfert, indem sie tagelang nur scheinbar aß, damit er mehr haben konnte. Da hüllte er sie in ihre Pelze, befestigte sie im Wipfel einer Tanne, da­mit die Wölfe nicht an sie konnten und schleppte sich, einen Hund nach dem andern schlachtend, heim in die Hütte zu den halberwachsenen Kindern. Seither ist er alt und wunder­lich, sitzt am liebsten am bullernden Ofen, raucht Pfeife und starrt vor sich hin.

Margret hat uns dies erzählt, als der Alte einmal draußen war und seine nächsten Fallen abschritt. Washington weilt seit Wochen auf einer gleichen einsamen Reise. Wir haben ihn gar nicht kennengelernt, er wird noch lange fortbleiben.

Margret hat uns die ganze Zeit gepflegt, während der Alte stumm am Ofen hockte. Die Zeit in dieser warmen, einräumigen Hütte, die nur noch einen kleinen Anbau be­sitzt, der als Gefrierraum für mächtige Elchviertel und Stapelplatz für Felle dient, verstrich zuerst im Fluge. Jacks

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Bein heilt glatt, er kann schon wieder gehen. Er kann be­reits wieder sogenannte Ausflüge mit Margret in den Wald machen. Ich hatte mich schon oft gewundert, was die beiden miteinander haben, bis ich durch Zufall dahinter kam, daß der verteufelte Amerikaner sich in dieses nette, gut kochende, aber beileibe nicht hübsche Mädel verliebt hat.

„Jack, du bist verrückt. Dreimal übergeschnappt wie ein alter Dachkater!" sagte ich neulich. „Ich kenn' dich nicht wieder, früher warst du wählerischer! Mußt du dich jetzt in jede verlieben, die dir vor den Bug kommt?" . . . Dann packte ich den Schlitten voll Proviant, hauptsächlich mit gefrorenen Lachsen und Elchschinken, die mir Old Williams gegen Annies letztes Gold bereitwilligst überließ. Nun steht der Tobogan fix und fertig im Schuppen und die Hunde sind prächtig herausgefüttert. Wir könnten aufbrechen, der Yukon ist nicht mehr fern, und zwischen uns und dem Platz, wo Jacks Claim liegt, gibt es noch Siedlungen, wo wir vierzehn Tage Holz hacken und dafür den Proviant ergänzen können. Aber Jack ist, wie ich schon einmal sagte, wirklich so störrisch wie ein Maulesel! Er hat mich schon gefragt, was ich davon hielte, ob wir uns nicht hier niederlassen und dem Alten zur Hand gehen könnten ? Natürlich ist's Margret, die als Magnet wirkt.

Ich werde noch verrückt, wenn das so weiter geht. Die Gesellschaft des alten, am Ofen sitzenden stummen Fallen­stellers ist gerade genug für einige Wochen, aber dazu kommt noch Jacks verdammtes Liebäugeln. Manchmal balle ich die Hände unterm Tisch, wenn ich seine galanten Ver­suche beobachte. Wenn Margret auch unser Leben gerettet hat, so ist dies doch schließlich kein Grund für sie, mir den Partner, ohne den ich in Nordland hilflos bin, weg­zuangeln! Sie ist trotz ihres harmlosen Aussehens gar nicht

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so dumm und einfältig. Als sie merkte, daß ich wütend auf Jack bin, versuchte sie auch mit mir zu kokettieren. Himmel und Hölle, müssen einem denn die Weiber immer einen Strich durch die Rechnung machen!

Und es wirkt wahrhaftig schon bei mir. Das Verlangen nach Peggy erwacht auch schon in mir. Wahrhaftig, manch­mal bin ich auf Jack eifersüchtig! Und die kleine Tochter der Indianerin vom Stamme der Tlinkit und des alten Schotten merkt dies und scheint sich diebisch zu freuen.

Abwechselnd hasse ich sie und Jack. Der brennt lichter­loh, benimmt sich manchmal wie ein ertappter Spitzbube und grinst verlegen.

Fast den ganzen Tag sind die beiden im Walde. Ich muß hier sitzen, den halbverrückten Alten genießen und Töpfe voll Tee trinken. Nachts ertappe ich mich bei dem Wunsch, die kleine Margret einfach unter den Arm zu nehmen, auf den Schlitten zu werfen und mit ihr in die Flitterwochen in den verdammten Wald hinein zu ziehen, nach ein paar Tagen zurückzukehren und Jack vor die vollendete Tatsache zu stellen.

Margret würde sich kaum sträuben, in ihr tobt nur das Verlangen nach dem Mann. Welcher, das ist ihr ziemlich egal! Wozu drückt sie mir sonst unter dem Tisch die Hand und trampelt auf meinen Mukluks herum? Bei Jack macht sie es ebenso.

Das kann nicht so weitergehen! sagte ich mir gestern. Jetzt ist der Alte im Walde draußen und die beiden sausen auch irgendwo im Freien herum. Da bleibt mir Zeit, den Tobogan nochmals zu überholen, damit alles in Ordnung ist. Dann schreibe ich auf das letzte vergilbte Blatt der alten Bibel — sonst ist kein Papier in der Hütte — mit zugespitzter Holzkohle: „Lieber Jack, ich bin abgefahren. Nimm Du

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die Margret, ich glaube, Dich hat sie lieber. Ich gönne sie Dir auch, aber ich kann das nicht mehr ansehen. Viel Glück. Ernest."

Die Bibel klappe ich wieder zu und lege sie an ihren Platz, denn draußen knirscht der Schnee. Da sind sie auch schon! Lachend und kichernd wie zwei Kinder! Der Alte wird heute nicht zurückkehren, er ging mit einem Packen zu seinen Fallen.

Margret tischt uns ein in brauner Tunke schwimmendes Elchsteak auf. Dabei äugelt sie bald nach rechts, bald nach links. Ich glaube, daß alle Frauen mehr oder weniger ge­borene Koketten sind, woher sollte dies Mädel sonst das alles wissen?

Nachher kriechen wir in die Kojen. Es sind so viele Felle vorhanden, daß Jack den Verlust des Schlafsacks, der drau­ßen auf dem Schlitten festgebunden ist, gar nicht merkt. Hinter dem Vorhang, der eine Ecke als Frauengemach ab­trennt, ertönen bereits Margrets tiefe Atemzüge. Jack schnarcht auch schon. Beide waren den ganzen Tag im Walde und sind müde.

Das paßt mir gut. Ich nehme mich gar nicht sehr in acht, als ich aufstehe, die Bibel mit der beschriebenen Seite auf den Tisch lege und ein Messer dazwischen klemme, damit sie nicht zuschlagen kann. Rührte Jack sich eben nicht?

Ich schiebe den Riegel zurück und schleiche wie ein Dieb in die knisternde Frostnacht hinaus. Bitterkeit und Öde sind in meinem Herzen! Die Hunde knurren freudig, während ich sie anschirre. Nun gleitet der Tobogan davon, über den Schnee und in den Wald, wo die Tannen von Nordlichtern beschienen gleich gläsernen Gebilden stehen.

„Heiah, musch! Heiah! Zum Yukon, ihr Huskies! Heiah, musch, in die Einsamkeit! Musch, ihr Tiere, lauft, es geht zu

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Peggy, die euch Zucker gibt! lache und schluchze ich plan­los vor mich hin und gespensterhaft gleiten wir weiter. Stundenlang.

Der Wald lichtet sich, und ein Stück weißer Tundra liegt vor mir. Die Hunde halten aus eigenem Antrieb. Da setze ich mich auf den Tobogan, zünde eine Pfeife an und versuche zu rauchen. Aber die Kälte läßt das Mundstück immer wieder zufrieren. Ich grüble deshalb, nachdem ich die Pfeife versorgt habe.. .

„So, da bin ich und meine Sachen habe ich auch gleich mitgebracht!" sagt es da. Emporschnellend, sehe ich Jack vor mir stehen. Verblüfft entfährt es mir: „Willst du denn die Margret nicht heiraten ?" Er lacht trocken zurück: „Ich habe sie nicht gefragt und sie mich auch nicht, Gott sei Dank. Sie schläft noch. Ich sah dich aufstehen und wußte gleich, was los war. Dann entzifferte ich dein Geschreibsel in der Bibel, und da bin ich dir nach. Glaubst du, daß ich dich allein ziehen lasse, Schafskopf? — Mein polnischer Stern ist doch hübscher, schätze ich!"

„Und meine Peggy!" Unsere Hände finden sich. Die Hunde schnappen unge­

duldig. „Heiah, musch! Oh, heiah!" Gemeinsam ziehen wir wei­

ter durchs weiße schweigende Nordland. Die Sterne erblas­sen bereits, da fällt mir etwas ein. „Jack, hast du die Bibel auf dem Tisch liegen gelassen?"

Schwer stapft er vorne und ruft zurück: „Bewahre! Ich habe sie zugeklappt und in die Kiste zurückgelegt. Da mag sie liegen bleiben."

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B le i , B a u m w o l l e u n d W a t t e

Lang, lang ist Nordlands Winter! Aber nun naht wirklich das Frühjahr, oder besser gesagt: die Zeit, während der die Sonne innerhalb vierundzwanzig Stunden jedesmal ein klein wenig schneller erscheint und etwas rascher ihre Bahn den östlichen Horizont emporschraubt, Schritt für Schritt, etwa wie ein blinder Seemann sich weiterfühlt. — Nein, Frühling kann man das nicht nennen, der kommt in Nordland auf einen Schlag, gleich der Faust eines Giganten, die mit ge­waltiger Wucht den Schnee in den Boden und die Blumen hervor stampft. Aber es ist doch wenigsten ein Anfang, man merkt, daß selbst die kalte eisige Natur hier oben in der Nähe des arktischen Kreises nicht nur ein Eisherz hat.

Wir haben das große Yukonknie erreicht, weilten etliche Wochen in Fort Cudahy, wo wir Holz hackten und dafür eine Proviantergänzung erhielten. Zu meinem Erstaunen und zur unsäglichen Freude fand ich zwei Briefe für mich vor. Die Flugpost hat sie gebracht! Ja, es gibt eine provisorische Fluglinie, die sogar im Winter, wenn auch unregelmäßig, funktioniert.

Um auf die Briefe zurückzukommen, sie waren von Peggy und Annie, die aufs Geratewohl hierher schrieben. Sie haben sich nämlich ausgerechnet, daß wir auf unserm Weg nach Alaska vielleicht Fort Cudahy berühren würden. Annies Schreiben ist kurz, lakonisch, dazu eine Hundertdollarnote mit dem förmlichen Befehl, kein Aufhebens davon zu ma­chen. Peggys Epistel besteht aus heimlich durch besorgte Fragen schimmernden Zärtlichkeiten, die mich mit tollem Verlangen erfüllten. Am liebsten wäre ich umgekehrt, über Dawson und Pelly nach Moosetown zurück. Jack war dies­mal der Vernünftige, der mich anschnauzte: „Was willst du

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da unten ohne Geld ? Auf Weiberkosten leben? Gleich kriegst du 'nen Schlag, der sich gewaschen hat, in dein ungewasche­nes Genick! Lümmel!"

Er hatte recht, nur allzu recht. — Peggy teilte mir ferner etwas mit, worauf ich bisher am neugierigsten gewesen war — warum Annie diese fast mütterliche Zuneigung zu mir gefaßt hat. Sie besaß einmal einen kleinen Bruder, der auf der Farm durch den Hufschlag eines Pferdes getötet wurde. Wenn er groß geworden wäre, würde er genau so aussehen wie ich, hat Annie zu ihr gesagt. Es klingt ganz wie ein Ro­man. Unwillkürlich faßte ich an das versteckte Säckchen auf meiner bloßen Brust, ließ es aber in Ruhe, denn es ging mir doch nicht schlecht. Nur wenn es mir ganz miserabel und dreckig geht, soll ich's aufmachen!

Annies Hunderter tat uns gute Dienste, wir konnten damit neue Mukluks und verschiedene Paare dicker Strümpfe er­stehen, auch Tabak. Mit allen diesen Dingen war es bei uns schlecht bestellt, als wir in die Siedlung Fort Cudahy ein­zogen. Ich schrieb lange Antworten an die beiden Frauen, und nachher brachen wir auf, der Grenze bei Eagle und Fort Yukon am großen Knie zu. Jetzt weilen wir schon in Onkel Sams Gebiet, in Alaska.

Es ist ein ganz anderes Wandern, wenn man nicht nur die erregt hüpfenden Sterne, die prächtigen flammenden Farben­orgien der Aurora-Borealis, sondern auch zeitweilig die Sonne über sich hat, und man einen wirklichen, scharf ge­zeichneten Schatten auf den blitzenden Schlittenpfad wirft. Das Herz ist einem leichter, das Gemüt fröhlicher und die Gedanken bauen sich in Form lockender Luftschlösser auf. Es wird einem von innen heraus wundervoll warm, wenn man weiß, daß eine Frau an einen denkt.

Meine Mutter denkt zwar auch an mich, sicher tut sie

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es Tag und Nacht, aber das ist etwas ganz anderes. Missen möchte ich die Erinnerung an Mutter nicht, die so unwirklich weit in einem fernen Sonnenlande um mich bangt.

Ob Jack noch der Margret mit dem breiten gutmütigen Gesicht und den derben gut kochenden Händen nachhängt? Ich glaube es nicht. In Fort Cuday gab es Frauen. Nicht nur leichtfertige Tanzgirls und goldgierige Hostesses, sondern auch die Gattinnen und Töchter von Ingenieuren, rotblonde, kastanienbraune Engländerinnen mit Gesichtern wie Milch und Pfirsich. Jack, der rasch Entflammbare, hat mehr als nur ein Stück seines Herzens in Cudahy zurückgelassen, als er einer entzückenden englischen Miß den zerrissenen Schnee­schuhriemen knüpfen durfte. Das war in jener von bunten Strahlen erfüllten Wintermärchennacht, als die Hundeschlit­tenrennen auf dem wie polierten mächtigen Strom stattfan­den. Das Eis war von der Farbe schwarzen Marmors, durch den einzelne weiße Schneeadern liefen. Die Treiberpeitschen knallten, „Musch musch" schrien die Männer, sausend feg­ten von zottigen Hunden gezogene Tobogans dahin, und die Zuschauer wetteten oder verfolgten leuchtenden Auges die aufregende Jagd. Da riß Miß Hamiltons Schneeschuhriemen, und während Jack ihn galant zusammenknüpfte, riß auch der letzte Erinnerungsfaden, an dessen Ende Margret, die Tochter der Tlinkitsquaw und des alten Schotten baumelte. Jack besitzt eine neue Göttin, obwohl sich Miß Hamilton außer einem süßen: „Thank you ever so much!" absolut nicht mehr um den schwermütig blickenden Abenteurer ge­kümmert hat. Das spielt aber keine Rolle, einsame Männer geben sich auch mit Illusionen zufrieden, wenn diese nur schön sind.

Ja, es war recht nett in Fort Cudahy, aber auch hier auf

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dem jetzt seinem Ende nahenden Pfade ist es herrlich. Eben sah ich einen Schneesperling!

Die Sonne glitzert auf dem Schnee, erfüllt die von Tan­nen und Felsstürzen hängenden riesigen Eiszapfen mit sprü­henden, die Augen schmerzenden Blitzen. Meine Augen tun mir überhaupt seit einigen Tagen weh, und manchmal ist mir der Kopf so benommen. Ich habe es Jack erzählt, der sah mich besorgt von der Seite an, schüttelte aber nur wortlos den Kopf. Heute stampfe ich die Bahn vor dem Schlitten. Gestern ging es leicht, da konnten wir traben, weil wir noch die schmale glatte, tiefausgefahrene Schlittenspur, die nach Fort Yukon führt, verfolgten.

Mein Kopf dröhnt wie eine Kesselpauke, das Genick schmerzt und meine Augen brennen, als ob mir jemand fort­während glühende Asche hineinwirft. Sekundenlang sehe ich gar nichts, und jedesmal stupft mir dann Aurora, unsere Leithündin, gegen die Kniekehlen, weil ich sie im Lauf hemme. Jack Fadden merkt nichts. Gebückt stapft er hin­ter dem Tobogan her und ist gewiß damit beschäftigt, das allerliebste, von einer Pelzkappe umrahmte Gesicht Miß Hamiltons vor seine Erinnerung zu zaubern.

Auf einmal muß ich stehen bleiben, ich kann absolut nichts mehr von der glitzernden Landschaft erblicken. Samt­schwarze, von goldenen Blitzen durchschnittene Dunkelheit umgibt mich, und in den Augen brennen wütende Schmerzen, daß ich mit den Zähnen knirschen muß. Schon rennen die Hunde gegen mich an und nach ein paar tastenden Sprüngen falle ich mit dem Gesicht auf die krachende Schneekruste.

„Ho, stop! Ho!" vernehme ich Jack und seine Schritte nä­hern sich. Verzweifelt kralle ich in den Schnee und presse ihn gegen meine Augen, um die fürchterlichen Schmerzen zu lindern, aber es nützt nichts.

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„Was ist mit dir?" fragt er. Die Qual preßt mir ein dump­fes Stöhnen heraus. „Jack, ich sehe nichts mehr. Nichts! — Das ganze Gesicht tut mir weh, am allermeisten die Augen. — Das hält ja kein Mensch aus!" Schrei auf Schrei peitschen mir der wilde Schmerz und die gräßliche Angst über die Lippen.

„Beiß die Zähne zusammen, Boy. Du bist schneeblind, da­gegen gibt's aber Mittel. Bleib mal fein hier, ich will das Zelt, was wir in Cudahy geschnorrt haben, aufschlagen. Dann kriechst du in den Pelzsack, ich braue dir 'nen tüch­tigen Grog und den schluckst du, während ich die Me­dizin bereite!" plaudert er und ich höre ihn das Lager auf­schlagen. Dann geht er fort, vermutlich, um Holz zu holen, und ich stehe die größte Furcht meines Lebens aus, weil ich mir plötzlich einbilde, daß er mich allein in der Wildnis gelassen hat, um nicht wiederzukommen. — Fern aufklin­gende Axtschläge sind wie die herrlichste Musik für meine Seele.

Nachher prasselt das Feuer, er hilft mir in den Schlaf­sack, und ein Gefühl der Geborgenheit befällt mich, aus dem mich aber die wahnsinnigen Augenschmerzen empor­schrecken. Blind! Schneeblind! Ich habe schon oft davon gehört, weiß jedoch nicht, ob es gefährlich ist, ob es lange oder ewig dauert, denn als ich noch mit meinen guten Augen sehen konnte, da habe ich mich nicht viel um solche Ge­schichten gekümmert.

Jack hält mir den heißen Becher an die Lippen. „So, jetzt muß ich Medizin machen wie ein alter Indianerschamane!" scherzt er.

„Wie machst du das? Oh, erzähl' mir's, Jack!" flehe ich und taste mit der Hand umher, bis meine Finger in weichen Hundehaaren versinken und darin wühlen. Es ist Auroras

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Rücken oder der eines andern Huskies, der behaglich stöhnend stillhält. In einer Art Takt, genau wie die Schmer­zen in meinen Augen flammen und beißen, wühle ich in dem Fell und bilde mir ein, dadurch Erleichterung zu emp­finden. Unterdessen rumort Jack umher und beschreibt in abgerissenen Worten seine Arbeit. „Zuerst!" fängt er zu reden an. „Zuerst ziehe ich eine Kugel aus einer Colt­patrone. — Können Gott danken, schätze ich, daß wir gute alte Bleibrocken haben und nicht die neumodischen stäh­lernen Spitzgeschosse. — Die würden uns einen Schmarren helfen!"

Rhythmisches dumpfes Klopfen ertönt, und er spricht wei­ter: „Na, siehst du — ach, du armes Schwein kannst ja nicht sehen — na, jetzt schlage ich die Bleikugel breit und flach. Nun nehme ich ein Stück von meinem Baumwollschnupftuch und drehe eine Art kleine Tüte draus. Schmutzig ist's, bei Gott! Na, und jetzt zünde ich diese Tüte an." Er bewegt sich hin und her, und ich lausche.

„So, nun ist's verbrannt und ich puste die Asche weg. — Was bleibt übrig, hoho ? — Nu, wie ich schätze, ein Häuf­chen schwefelgelber Schmiere auf dem Blei!"

Wieder bewegt er sich und vor lauter Neugier vergesse ich beinahe meine Schmerzen und die purpurne Nacht der Blind­heit.

„Verbandswatte ist da, hoho! Ein Stück um ein Streichholz gewickelt, angefeuchtet und bei Gott, ein kleiner netter Schwabber ist fertig. Damit werde ich jetzt — so ist's schön, laß dir die Augenlider auseinanderhalten — die gelbe Schmiere auf deine Pupillen tupfen!" Nachdem dies ge­schehen ist, macht er sich, unentwegt dabei plaudernd und mich durch Scherze erheiternd, sofort daran, neue Baum­wolle auf dem Blei abzubrennen. Stundenlang führt er dies

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aus, und nachdem ich ungefähr zwanzig Behandlungen er­halten habe, verspüre ich merkliche Erleichterung.

„Jack, du bist die beste Krankenschwester der Welt und ein Teufelskerl dazu. Wer hätte an solche Medizin ge­dacht!"

„Es gibt viel Besseres in den Stores und Apotheken, aber die haben wir hier nicht. Da muß eben die alte Methode, die mal ein alter Sauerteigfritze von Goldgräber an meinen eigenen Lichtern ausprobierte, herhalten. Und es hilft. Warum und was für Zeug das ist, das durch die Verbren­nung auf dem Blei entsteht, weiß ich nicht. Doch es hilft." Er verbindet meine Augen und meint, daß ich bei dieser Be­handlung in vier bis fünf Tagen wieder in Ordnung sein werde.

Tiefe Dankbarkeit gegen den praktischen Amerikaner er­füllt mich, und ich taste nach seiner Hand. „Na, na, so schlimm ist's ja nicht, mach kein Aufhebens," wehrt er brummig ab und geht hinaus, um die Hunde zu füttern. Nachdem er auch mir etwas zu essen bereitet hat, zündet er meine Pfeife an und schiebt sie mir zwischen die Lippen.

Das schmeckt prächtig. „He, Jack!" „Ahem ?" „Du, wollen wir uns nicht eine Runde Grog auf den

Schreck bewilligen ?" „Ich schätze, daß dies eine Idee ist, so gut wie eine Hand­

voll Waschgold. Grog? Allemal. Das ist eine kleine Schnee­blindheit wohl wert!"

„Was? — Grobian, brutaler!" „Hoho! Hoho!"

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D e r C h i n o o k

Durch eine wilde Tannenschlucht zog sich das gefrorene Bett eines Wasserlaufs dem fernen Yukon zu. Wir wanderten es aufwärts und hatten dabei schwere Arbeit, den Schlitten vorwärtszubringen. Als die Märchengebilde der Nordlichter emporwallten, hinter ihnen die Sterne fieberhaft zuckten, fernes Wolfsheulen echote und eine weiße Eule omengleich um unsere Köpfe schwirrte, erreichten wir Jacks Claim.

Die Schlucht verbreitert sich hier, ihre Seiten sind sanft abfallende Halden, unter deren weißer Decke rostrote Erde ruht, wie mir mein Partner sagte. Dort hat er, als er das letzte Mal hier weilte, ein tiefes Loch gegraben und nachher mit seinem Messer genug Gold herausgepolkt, um sich einige lustige Wochen in Dawson machen zu können. Er schwört, daß noch mehr darauf wartet, ausgegraben zu werden.

„Warum hast du damals den Claim, den du doch rechtmäßig angemeldet hattest, nicht ganz ausgebeutet?" fragte ich ihn. „Es ist doch Tatsache, daß ein verlasse­ner, aufgegebener von jedermann beschlagnahmt werden kann ?"

Er nickte halb verlegen, ehe er antwortete: „Ja, als ich so ein kleines Wildledersäckchen voll hatte, da setzte ich mich ans Feuer und ließ die gelben Körner von einer Hand in die andere laufen. Das ist ein herrliches Gefühl! Nichts auf der Welt hat solchen Reiz wie Gold, pures blankes Gold. — Na, ja, natürlich noch Frauen. Wer jedoch Gold hat, besitzt auch diese!

Gut; wie ich also da saß und der Feuerschein so schön gelb und rot über die schweren, sich wie lebend anfühlenden Körner strahlte, da konnte ich's nicht mehr aushalten und packte am nächsten Morgen meine Sachen, um nach Dawson

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zu gehen." Schwermütig endete er: „Das ist so mit dem Gold. Es zerrinnt dir zwischen den Fingern und nie kannst du's festhalten . . . "

Das Zelt steht im Schutze einer Tannengruppe halb am Hang, damit es nicht weggespült wird, wenn die große Schnee- und Eisschmelze plötzlich über Nacht kommen sollte und die Schlucht in ein tobendes, brausendes Wildwasser verwandelt. Die Tage sind schon lang, während des Sonnen­scheins schmilzt viel Schnee, der nach der Dunkelheit zu spiegelnden gefährlichen Eisplatten erstarrt.

Wir kamen überein, vorläufig kein Blockhaus zu bauen. Es ist zu zeitraubend, wir können uns besser damit be­schäftigen, in mühevoller, nur langsam fortschreitender Ar­beit den harten Schnee aus der Grube zu entfernen. Dies geschieht mit Schaufel, Picke, Feuer und den Goldwäscher­schüsseln.

„Paß auf, wir werden Glück haben!" sagt der Amerikaner alle Augenblicke. Sein Phlegma ist von ihm gewichen, sein Gesicht wurde noch hagerer, die Augen glühen tief in ihren Höhlen. Nachts wälzt er sich schlaflos im Pelzsack herum. Aber noch haben wir den Claim nicht freigelegt.

In den Lüften tönt es jetzt Tag und Nacht. Bald ist es scharfes vielstimmiges Schreien, bald brausendes Schwir­ren. Es sind die Heere der Vögel, die bald hoch, bald niedrig in abgegrenzten Formationen gen Norden fliegen. Es gibt kein sichereres Zeichen des nahenden Frühlingssommers als diesen herrlichen Anblick und dieses Blut und Nerven mit wildem Verlangen aufpeitschende Geräusch, das die Flü­gel der wandernden Scharen verursachen.

Plötzlich aus heiterer Luft heraus kommt der Nordland­föhn, der brüllende Chinook! Er stöhnt und hallt durch die Schluchten, schüttelt die tropfenden Tannen; saust, unter­

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mischt mit Vogelschreien, pfeifend in den Lüften, wächst zum eintönigen, aber machtvollen Brausen an. So hallt das Meer in den Höhlen schwimmender Eisberge, so verströmt der Hauch der Natur durch Südlands ferne riesige Wälder seine majestätische Seele! Große, nasse Schneeflocken beglei­teten sein erstes Nahen, dann wurde der Schnee zu Wasser. Es regnet. Regen peitscht, klatscht, trommelt und murmelt. Überall gurgeln und glucksen kleine Wassersträhnen, die ein Netzwerk über die Schneefläche des Winters ziehen, sich zu dicken Quellsprudeln vereinigen, aus denen Bäche erwach­sen, die triumphierend rauschend den Schnee in großen Stücken verschlucken. Grau ist der verborgene Himmel, un­ter dem jetzt unsichtbar die Scharen der eilenden Vögel nordwärts streben. Graue Schwaden wirbeln zwischen den Tannen, schlingen wogende Girlanden über das Tal, bis zeit­weilig nur noch die Tannenwipfel unter uns dem grauen Chaos entragen. Dort unten aber tost und poltert es. Dump­fes Rauschen, lautes schnalzendes Sprudeln, dröhnendes Krachen und helles, scharf singendes Zischen — alles vereint sich mit dem Hallen des Windes zur gewaltigen, dämonisch schönen Schreckensmusik. Der Chinook, Nordlands Sommer­herold, ist da!

Es regnete gestern, es regnet heute und es wird noch wei­ter regnen. Es wird regnen, bis nur noch einzelne Schnee­flächen den reingewaschenen Leib der Erde wie weiße Spitzenwäsche bedecken. Und das Geräusch, das von unten aus dem Nebel zu uns untätigen Menschen im Zelt herauf­donnert, ist der letzte Kampf des unterliegenden Winters gegen die seinen Eispanzer mit rieselnden Fluten zer­brechende Wärme. Uns bleibt nichts anderes übrig, als zu rauchen und zu warten.

„Schlau von mir, daß ich das Loch schräg gegraben habe,

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he? Dann brauchen wir nicht soviel Wasser auszuschöpfen!" meint Jack händereibend, ehe wir zur Ruhe gehen...

Es regnet drei Tage, vier Tage, es regnet eine Woche. Un­ser Zelt aber hält dicht. Dann hört es auf, und der weiter­fegende Chinook jagt Dunst und Nebel davon, die Sonne lacht auf Hänge, die fortwährend in murmelnder Auflö­sung begriffen sind. An vielen Stellen schaut die satte Erde heraus, die Tannen glänzen grün, und ein trübgrauer Strom spielt im Tal mit krachenden Eisblöcken und wie Geschütz­donner rollenden Steinbrocken.

Schneesperlinge hüpfen von Ast zu Ast. Grashalme zeigen sich, und die ersten Leberblümchen recken ihre blauen Gesichtchen hart an den Schneerand. Es ist etwas Unbegreifliches, man glaubt fast an Zauberei, so rasch sprießen Blumen über Nacht aus jedem schneefreien Erdfleck.

Aber Jack sieht das alles nicht, er zwingt mich, im eisigen Schneebrei zu stehen, um die verfluchte Grube auszuschöp­fen. Jeden Abend ist mein Rücken wie zerschlagen, jeden Morgen erblicke ich neue Wunder der Natur und muß arbei­ten wie vielleicht noch nie im Leben. Der phlegmatische Amerikaner, der lächelnd zugesehen hat, wie die goldgieri­gen Männer damals fluchend Löcher in die Eisdecke des Bittercreeks schlugen, ist nun selber ein Besessener, ein fin­sterer, jähzorniger, mit den Augen glühender und mit den Kinnbacken mahlender Mensch, der mich am liebsten mit der Hundepeitsche traktieren möchte, weil ich nach seiner Ansicht zu langsam schufte. Nachts stöhnt, murmelt und ächzt er. Oft steht er auf, und ich höre durch das triumphie­rende Trompeten fliegender Wildgänse und das müde Zwit­schern der Rotkehlchen jenes klatschende Geräusch, mit dem der nasse Schneebrei aus der Grube geschleudert wird.

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Schläft er denn gar nicht mehr? Um das Kochen und das Abfüttern der Hunde kümmert er sich nicht.

Der kalte Brei in der Grube ist nun bereits so dünn, daß wir nicht mehr die aus einem Tannenstamm mit Aststum­pen bestehende Leiter hinauf- und hinabklettern müssen — dabei schwappendvolle Schüsseln auf den Köpfen balancie­rend — sondern wir lassen jetzt einfach einen Eimer am Seil wie in einen Brunnen hinab.

„Verdammt, ich hätte das Loch damals mit behauenen Stämmen zudecken sollen, dann hätten wir jetzt nicht diese Bescherung!" ruft er einmal ohne mich anzuschauen.

Am Hang duften Veilchen, stehen Primeln, und die wei­ßen Köpfchen der Schneeglöckchen nicken. Alle diese Blu­men sind hier viel größer als daheim.

Eine Parkah braucht man nicht mehr anzuziehen, der wollene halblange Mackinaw der kanadischen Holzfäller ge­nügt vollkommen. Die Spatzen baden ja schon in Eiswasser­pfützen!

Endlich ist der letzte Eimer Wasser draußen, der Boden der Grube ist nur noch handhoch damit bedeckt. Mit einem wilden Schrei springt Jack hinab in die Tiefe, daß der Brei bis zu mir emporspritzt. Sofort beginnt er mit dem Mes­ser an den rauhen Wänden herumzustochern, während ich langsam, aber mit tobendem Herzschlag die Stumpenleiter nach unten klettere.

„Da!" kreischt er. „Da! Und hier! Ist das etwa nichts? Ist das etwa Dreck ?" und hält mir eine Handvoll Erde hin, in der es an zwei Stellen winzig klein gelb aufschimmert. Gold!

Nun packt auch mich das Fieber und irr lachend, uns manchmal Hände voll Erde vor die Augen haltend, stechen wir drauf los.

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„Blow, boys, blow! there is plenty of gold, so I am told in the banks of Sacramento!"

gröhle ich das mir einfallende Seglermatrosenlied, und Jack lacht wie ein der Hölle entkommener Teufel. Einen ganzen Hügel haben wir schon losgearbeitet, stehen bis an die Knie darin, ehe wir daran gehen, die Erde nach oben zu schaffen. Jeder füllt seine Schüssel und eilt damit an den brüllenden Wasserlauf. Ich setze mich auf einen Stein, achte nicht der eisigen Kälte, mit der das Wasser meine Beine umspült und schaukle zwischen den gespreizten Knien die Schüssel. Klatsch! Klatsch! Braune Brühe schlägt über den Blech­rand. Klatsch, klatsch! mehr und mehr. Schon ist nur noch wenig Erde darin, und als ich diese vorsichtig mit dem letzten Schubs Wasser herausschaukle, da glänzen einige kleine dünne Plättchen vor meinen Augen.

„Juppih!" heule ich aus Leibeskräften und „Huiih!" brüllt der andere, der ebenfalls den gelben Fluch der Menschheit in seiner Schüssel blinken sieht. Nun kennen wir keine Rast mehr, rennen zwischen Fluß und Grube hin und her, hacken Erde los, waschen diese — unermüdlich, nichts sehend und nichts hörend, versunken in den Anblick der goldenen Plätt­chen, die wir vorsichtig in einen Teller legen.

Erst als die hungrigen Hunde ihr protestierendes Geheul erheben und sich die Sonne des langen Tages mit der hel­len Nacht paart, stehen wir kreuz- und lendenlahm auf. Die Hunde erhalten ihr Futter; wir selbst haben keinen Appetit, sondern kriechen, naß wie wir sind, in den Schlafsack und träumen von Gold.

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De r d o n n e r n d e Yukon

Aus dem kräftigen Regen wurde ein leises raunendes Rie­seln, und der Chinook ist zur Ruhe gegangen, nachdem er die Eispforten des Winters mit warmem Atem zerstört hat. Zeitweilig dröhnt durch das gleichförmige Rauschen des Flüßchens ein feines, unheimliches Grollen. „Der Eisgang des Yukon!" erklärt Jack, indem er eintönig meine Frage deutet.

Zu meinem Erstaunen erkundigt er sich mit seiner alten Gutmütigkeit in der Stimme: „Wollen wir mal hin, Boy? Ich sage dir, wenn du das noch nicht gesehen hast, solltest du's nicht versäumen!"

Das Frühstück haben wir verschlungen und wollen gerade in die Grube hinab, um goldhaltige Erde nach oben zu be­fördern. Innerhalb einiger Tage haben wir Gold im Werte von ungefähr dreihundertfünfzig Dollars ausgewaschen. Ge­stern war die Ausbeute gleich Null. Das ist nur natürlich, denn so dicht gestreut ist der gelbe Mammon nirgends in der Welt, daß man ihn gleich einschaufeln kann. Die Tat­sache, daß wir gestern nichts fanden, wirkte beruhigend auf uns und lenkte unsere zügellose Gier in gemäßigte Bahnen.

„Na, wie ist's, wollen wir an den Strom und zusehen, wie er mit Eisblöcken jongliert ?" lachte Jack gutmütig und wirft den Karabiner über.

„Und ob!' ist meine Antwort, während ich die Blech­schüssel in die Ecke schleudere und dem schon Voraus­schreitenden folge. Die um das Zelt lungernden Hunde schauen mich aus klugen Augen an, dann schleicht einer nach dem anderen in den Wald, wo sie seit Tagen auf eigene Faust jagen dürfen. Nur Aurora schließt sich uns an. Wir arbeiten uns an den glitschigen Hängen entlang und drängen

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durch wassersprühendes Tannengeäst. Unten rauscht der Fluß und führt kleine mattblinkende Eisschollen talab. Das Dröhnen und Murren schwillt langsam an. Als wir nach mehreren Stunden den letzten blumenbesäten Hang hinab in das breite Tal des Yukon rutschen und auf der noch mit nassem Schnee bedeckten Ebene landen, wird das Geräusch furchtbar. Wir müssen uns in die Ohren schreien, um uns zu verständigen.

Da liegt der mächtige, an dieser Stelle durch übergetretene Fluten eineinhalb Kilometer breite Strom vor meinen Augen! Lehmgelb, mit einem Ton ins Grünliche, wälzen sich die Wasser beängstigend rasch nach Westen. So weit ich in dieser Richtung blicken kann, bilden sie eine wogende, hüpfende und rasende, mit großen Eisblöcken besäte Fläche. Ganze Flöße aus Eis, auf denen Dörfer Platz hätten, ziehen maje­stätisch dahin; Wasser leckt und spritzt wie Springbrunnen an ihren Rändern empor. Blöcke und Schollen, kleine zackige Miniaturgebirge aus blauem, grünem, gelblichem oder fast schwarzem Eise schaukeln vorbei. Glitzernder Eisgrus, über den ein schmutziggelber Schimmer in der Luft geistert, hebt und senkt sich rhythmisch im Weiterschwimmen. Eine Welt von Eis!

Fortwährend stoßen die Massen aneinander, reiben sich, schieben sich auf- und übereinander, daß manchmal riesige Brocken wie Geschosse hochprallen. Mit wütender Kraft, ungebärdig wie die sich ihrer Fesseln entledigende Mit­gardschlange tobt der Yukon, wobei Eismassen weit hinauf ans Ufer geschleudert werden. Und diese sich bewegenden, gleichsam auf panikartiger Flucht miteinander kämpfenden Eisberge erfüllen die Natur mit derartig dämonischem Knir­schen, Kreischen, Donnern und Krachen, daß man davon­laufen möchte.

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Auch ich fühle ein Bangen und merke die unbeschreibliche Drohung, die der brüllende Yukon ohne Pause ausstößt; und doch muß ich stehen und diesen Giganten bewundern. So etwas gibt es nirgends auf der Welt als nur in Nordland! Ein gewaltiger Strom, überströmend im Gefühl seiner Kraft, und mit dem Eise, das ihn viele Monate unerbittlich unter seine starre Decke gebannt hat, nun auf eine Art spielend, daß die weißen Massen ununterbrochen krachend hoch und nach allen Seiten sausen.

Jack zieht mich herum, deutet stromauf und winkt mir, ihm zu folgen. Hier hat sich über die ganze Breite des Yukon und darüber hinaus, dabei Bäume wegrasierend und das Erdreich zu tiefen Wunden aufwühlend, eine Eisbarriere gebildet. Die von oben kommenden und stromab drängenden Massen stauten sich in einer Bucht, mehr und mehr kamen dazu, drückten fortwährend nach, bis sich ein ungeheurer, dreißig bis vierzig Meter hoher kompakter Eisriegel formte. Starr, unbeweglich, wie für die Ewigkeit geschaffen, baut sich dieses Hindernis vor uns auf. Über den Rand hinaus aber schieben sich stetig große Eisflöße, donnern hinab und eilen, in Stücke zersprengt, auf den Fluten davon.

Es ist, als wenn Ymir selbst mit seinen Reif- und Frost­riesen hinter der Barriere Aufstellung genommen hätte und aus riesigen Geschützen ein Bombardement mit Eisklötzen unterhält, die über das Hindernis hinwegprallen und in den freien Yukon klatschen. Manchmal treffen sich zwei solcher Geschosse mitten in ihrer luftigen Bahn und zerplatzen zu weißen Wolken.

Vorsichtig führt mich Jack um das Hindernis herum, und dann stehen wir seitwärts dicht hinter dem Steilabfall. So­weit ich sehen kann, bildet der Yukon ein weißes, zerklüf­tetes, unbewegliches Chaos, aus dem drohendes Grollen

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dringt. Daß die ganze unübersehbare Masse von oben her nachpreßt und sich gegen die Barre stemmt, ist nur an deren Rand ersichtlich. Große Felder lösen sich fortwährend ab und schießen darüber hinaus.

Jack näherte sich mir. „Großartig, was ? Komm, wir wollen einen kleinen Spaziergang machen!" brüllt er dicht an meiner Ohrmuschel. Schon tritt er zurück und zuckt über meine be­sorgten Gesten verächtlich die Schultern. Um uns ist ein Sausen, Krachen und teuflisches Poltern. Reitet ihn denn der Böse, daß er jetzt in dieses Eisdurcheinander hinein­klettert, sich über Blöcke schwingt, um zackige Eisschultern kriecht und über gähnende Klüfte der Strommitte zuhält ? Er winkt, und als ich standhaft den Kopf schüttle, stellt er sich breitbeinig auf einen glatten Klotz, und sein Gesicht sagt so deutlich wie nur möglich: „Feigling!"

Donnerwetter, das lasse ich mir nicht sagen. Die Sache wird zwar schief ausgehen, aber ein Feigling bin ich nicht!

„Komm, Aurora!" rufe ich die Leithündin; diese jedoch ist vernünftig, sie bleibt auf dem festen Boden, während ich Jack nachklettere. "Wo das Eis rauhe und körnige Flächen hat, komme ich schnell vorwärts. Weiter drin aber bildet es einen wirr zusammengeschütteten Haufen von Blöcken mit runden glatten Seiten, scharfen Ecken, Löchern und Tunnels. Oft komme ich nur auf allen Vieren weiter, stürze wiederholt schmerzhaft, hüpfe über Spalten und rutsche auf den Knien zwischen übergekanteten Blöcken hindurch. Als ich Jack er­reiche, bin ich in Schweiß gebadet und freue mich, daß ich keine Pelze anhabe.

Wir setzen uns auf einen oben abgestumpften Eiskegel, zünden die Pfeifen an und betrachten lachend wie zwei Jungen, die einen lustigen Streich verübten, den Strom. Unterhalten können wir uns nicht, der donnernde Aufruhr

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hinter der Barriere verbietet dies. Jack hat recht gehabt hier­her zu klettern, denn es ist großartig! Jeden Augenblick kann die Barriere weichen, in Trümmer gehen, aber sie kann auch noch tage-, ja wochenlang den brüllenden Yukon beherr­schen. Und gerade diese Gefahr hat ihren Reiz.

Ehern fest ist diese Barriere noch, in deren Wildnis wir sitzen. Mag es unter unseren Füßen grollen und schauderhaft knirschen, mag nachher die Barriere brechen und die ganze Eiswildnis, die uns jetzt trägt, gleich einer weißen, sich über­stürzenden Hölle auseinanderplatzen — augenblicklich hält sie, und wir wollen ja auch nicht Häuser auf ihr erbauen. Wir wollen uns nur ein bißchen erholen von der Öde des Zeltlebens und dem Fieber des Goldes. Nur ein wenig Ge­fahr möchten wir auskosten.

Regen rieselt. Das Ufer, von dem wir kamen, ist durch den Dunst kaum noch zu erkennen; das jenseitige ver­schwimmt ganz in jenem gelbweißen über dem Eise hängen­den Schimmer, den der die Arktis befahrende Seemann Eis­blink nennt. Über uns im grauen feuchten Geriesel trompetet der Leiterpel einer Wildgansschar.

Jack ist heute tollkühn! Statt umzukehren, hält er zwar nicht mehr quer über den Strom, schlägt aber die Richtung nach dort ein, wo das Geschiebe der Barriere auch auf dieser Seite gleich einem wuchtigen Gebirge emporragt. Und da bewegt sich das Eis, sonst könnten ja nicht fortwährend Tausende von Tonnen Eis gleichzeitig über den Rand hin­aus ins Wasser poltern!

„Jack! Jack!" Bei dem betäubenden Lärm hört er nichts. Ich eile ihm,

der wieder einen großen Vorsprung hat, nach, so rasch ich kann. Jetzt ist's nicht mehr die Lust am gefährlichen Aben­teuer, die mich anspornt, sondern blasse Angst und Sorge

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um den Mann da vorne. Je näher ich kletternd und springend oder auf dem Bauche rutschend dem schrägen Geschiebe komme, desto fürchterlicher und ohrenzerreißender wird der Lärm. Und jetzt merke ich schaudernd, wie das Eis unter mir bebt. „Jack!" schreie ich und will umkehren.

Da reißt mir der mächtige Schauer eines Erdbebens — anders kann ich das Brechen der Barriere und das plötz­liche damit verbundene Vorwärtsstreben des Eises nicht nennen! — beide Füße unterm Leibe hoch. Ringsum bewegen sich die Massen, fallen übereinander, reiben und schaukeln aneinander mit dem Gebrüll von tausend Donnern! Gerade springe ich rechtzeitig auf die Füße, ein verzweifelter Schwung wirft mich hinter einen festen Block, als ein Eis­klotz von der Größe eines Hauses mit seiner Kante über die Stelle knirscht, wo ich eben strampelnd gelegen habe.

Mit vor Schreck geweiteten Augen sehe ich Jacks dunkle Gestalt von einer unter ihm sich hochrichtenden Platte pfeil­gleich durch die dunstige Luft schießen, ins Durcheinander knirschender Blöcke fallen und verschwinden. Wie mit kalter Hand greift es mir ans Herz.

Toll vor Angst, keuchend und schluchzend gelingt es mir, einen Block zu erklimmen, von diesem auf einen andern großen Klotz und noch auf einen dritten zu springen. Sie heben und senken sich schwerfällig unter mir, schaukeln und aus ihrem Innern heraus tönt greuliches Knirschen. Die ganze Barriere ist in Bewegung und von hinten drücken die be­freiten Massen des Oberlaufs nach.

Mein Instinkt sagt mir, daß der sicherste Platz auf dem breiten Grat eines der Riesenstücke ist, in die die Barriere zerbrach; dort macht sich das Schaukeln am wenigsten be­merkbar, auch bricht sich dort die Wucht nachschiebender Schollen. Überall wanken und drehen sich Eisschollen und

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Blöcke, prallen und knirschen gegeneinander und wechseln fortwährend Gestalt und Größe. Gelbliches Wasser wallt manchmal dazwischen auf, gelber Schaum sprüht. Hüpfend, hinfallend und mich wieder aufraffend, muß ich von Sekunde zu Sekunde meine Lage ändern. Ich habe nun wieder kaltes Blut, die Panik machte dem Selbsterhaltungstrieb Platz, und während ich hin- und herspringe und mit ausgebreiteten Armen bei den unter mir ruckenden, heimtückischen Stö­ßen das Gleichgewicht bewahre, arbeiten meine Gedanken wie im Fluge.

Manchmal kracht und donnert der Tod in Gestalt plötzlich hochspringender Eisblöcke so dicht an mir vorbei, daß der Luftzug mich umreißt. Langsam, ganz langsam arbeite ich gegen die Bewegung der treibenden Massen an. Höchstens zweihundert Meter zu meiner Linken gleitet das bewaldete Ufer vorbei. Vor mir, stromauf, hören endlich die Schollen auf, gegeneinander zu prallen, und der ganze Fluß scheint eine Eisfläche zu sein, ein glattes Feld dichter, treibender, schaukelnder Stücke. Ich bin gerettet, wenn ich dieses trei­bende Feld erreiche.

Der große Block, auf dem ich stehe, beginnt plötzlich zu zittern, bäumt sich auf und rollt gleich einem Baumstamm. Meine Füße verlieren den Halt, die Hände greifen in der Luft umher. Ich schlage auf eine Eisplatte und rutsche mit den Beinen in das eisige Wasser; aber meine krallenden Finger finden den jenseitigen Rand der Platte und klammern sich fest.

Leidenschaftliche Lebenslust, fürchterlicher Trotz gegen eine stärkere Natur und kochende Wut über Jack — dies alles paart sich in mir und gibt mir für Augenblicke lodernde Kraft. Aber meine Glieder sind fast erstarrt und schwer wie Blei. Wieder und wieder versuche ich, mich aufs Eis zu schwingen und sehe dabei voller Entsetzen, daß die einzige

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Öffnung, die es gibt, so weit ich sehen kann, und in der ich hänge, sich langsam schließen will. Die beiden Schollen nähern sich einander. Die Berserkerkraft in mir ist verebbt. Ein letzter verzweifelter Ruck, und ich liege oben, versinke in Bewußtlosigkeit, aus der ich nach Minuten erwache.

Das Loch zwischen den beiden Schollen ist geschlossen, der Yukon bildet eine schwankende, eng zusammenhängende und doch aus Tausenden von Eisstücken bestehende Fläche. Zehn Meter von mir fließt das waldige Ufer vorbei.

Es ist schön, hier zu liegen und sanft geschaukelt zu wer­den. Wenn's nur nicht so verdammt kalt wäre! Wo Jack ist? Zerquetscht, zermahlen und in Atome zerrieben? Wo er hineingeschleudert wurde, kämpfte das Eis am heftigsten!

Es regnet immer noch. Langsam klärt sich mein Hirn. Ich versuche Arme und Beine zu bewegen. Es tut weh und kostet unsägliche Mühe, aber ich bin hartnäckig, denn hier kann ich nicht liegenbleiben, das wäre gleichbedeutend mit Tod. Ich vermag nach einer Weile auf die Knie und die Hände zu kommen, dann auf die Füße. Das Blut beginnt rascher in mir zu fließen, ich versuche einige Schritte auf der Scholle zu machen und stampfe fest auf. Am ganzen Körper prickelt es, als ob mich viele heiße Nadeln stechen.

Wieder ein paar Schritte vor- und rückwärts, denn die Scholle ist klein. Jetzt los, über die schaukelnde Fläche im plumpen Torkeltrott! Noch ein weiter gewagter Sprung, und ich lande mit allen Vieren auf einer nassen Felsplatte. So­fort springe ich empor und stehe nun am Rande des brüllen­den Yukon, der immer noch versucht, mit Eisschollen Ball zu spielen und sie ans Ufer zu speien. Wütend drohe ich mit der Faust und kreische in das Tosen hinein: „Jack hast du umgebracht, du tückische Bestie. Aber ich — ich hab' dich besiegt!"

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Männer, die Nordland durchwandern, führen immer wassergeschützte Streichhölzer bei sich und sind geduldig und erfahren in der Arbeit, aus nassem Holz Feuer zu machen. Bald habe ich eine Lohe, die immer mächtiger wird, je mehr harzreiche Tannenäste ich hineinschleudere. Halb­nackt stehe ich daneben, fühle meine Haut prickeln und trockne dabei meine Kleider. Dann wandere ich traurig stromauf, der Stelle zu, wo jener kleine Fluß aus unserer Goldschlucht seine klirrende Eislast dem mächtigen Bruder übergibt. Kläffend und winselnd springt mir Aurora ent­gegen, dann rennt sie vorbei, kehrt zurück und sucht deut­lich nach Jack.

„Komm, mein guter Hund! Den du suchst, der ist nicht mehr!"

Sie scheint es zu verstehen und schleicht mit hängender Rute hinter mir her.

Vögel ziehen über mir gen Norden und der Yukon brüllt.

A l l e i n b in ich in d i e s e r W e l t

Wenn mir's ganz dreckig geht, dann darf ich das Säck­chen aufmachen, hat Nordland-Annie damals in Moosetown gesagt und mich dabei ins Ohr gekniffen. Geht's mir jetzt vielleicht gut? Nein, nein!

Meine Finger nesteln am Halse, ziehen das flache Mach­werk heraus. Ich muß es aufschneiden, weil es mit großen Stichen zugenäht ist. Gespannt greife ich hinein, hole den sich wie Papier anfühlenden Inhalt heraus und breche dann in bitteres, enttäuschtes Lachen aus. Zwischen meinen schmutzigen Fingern halte ich Zwei verschwitzte, fettige Hundertdollarnoten der Vereinigten Staaten.

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O Annie, kann mich das fröhlich machen? Mir Jack wie­dergeben? — Sieh, das Wildledersäckchen, das dort im Schlafsack steckt! Gearbeitet habe ich all die Tage wie ein Wilder, der letzte Rest Schnee ist dabei geschmolzen, die ersten Lachse zeigten sich, und eine Elchmutter wechselte mit ihrem tolpatschigen Kalb über den Fluß. Aber ich kann meine Einsamkeit nicht vergessen, ich werde dadurch das Gefühl einer lähmenden Angst nicht los, und das Bild, das ich jede Nacht sehe, wie Jack vom brüllenden Yukon ge­tötet wird, geht nicht weg. Alle Hunde bis auf Aurora haben mich verlassen, sie wildern irgendwo und werden eine Beute der Wölfe werden.

Sieh, der zierliche Kreuzschnabel und das Rotkehlchen hüpfen auf den Tannenästen, freche Sperlinge beäugen mich fragend, die Sonne scheint Tag und Nacht, Blumen blühen und nicken im sanften Winde. Im Walde ist ein Jubeln und Trillern, heimliche Schritte tapsen und trippeln über den Moosboden. Der traumschöne Sommer Nordlands vol­ler Saft und Kraft ist da!

Und der Wildlederbeutel im Schlafsack ist prall, schwer und voll gelber blinkender Körner und Plättchen.

Allein, allein bin ich in dieser Welt! Und du, Annie, gibst mir Banknoten! Wird Jack dadurch

lebendig? Ach, ich wollte, es wäre Winter, eisiger erbar­mungsloser Winter, wenn die Nordlichter ihre flammenden Feste feiern. Ich wollte, der Tobogan glitte über den Schnee, von winselnden Huskies gezogen, Jack voran, ich hinter­drein wie in den guten alten Tagen. Aber es ist Sommer, draußen ist's warm und in mir ist alles kalt, erloschen.

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N a t u r s t u d i e

Ich wasche kein Gold mehr. Mag auch die verdammte Grube noch voller Klumpen sein so groß wie der von Hans im Glück! Ich will ausruhen, will dem Einfluß des gelben Teufels entrinnen.

Zwei Tannen habe ich gefällt, daß sie nebeneinander über den Fluß stürzten. Die Äste habe ich mit Jacks guter ameri­kanischer Axt abgehauen und liege nun seit Stunden auf dieser improvisierten Brücke, während die Sonne meinen Rücken bestrahlt und das Gewässer in hüpfendes Gold ver­wandelt. Etwa fünfhundert Meter flußauf, über einen Stein am Wasser gebeugt, hockt ein Bär. Er war gestern schon da, und wir kennen uns. Letzte Nacht umschnüffelte er sogar das Zelt, und Aurora kroch kläglich winselnd fast zu mir herein. Tappend ging er bald davon.

Ja, wir kennen uns und tun einander nichts, denn wir haben vollauf zu essen und sind friedlich gestimmt. Nord­lands Sommer läßt keines seiner Geschöpfe hungern, selbst dem Menschen gibt er Überfluß an saftigen Beeren, schmack­haften Fischen und strengaromatischem Wildbret.

Freund Braun sitzt auf seinem Platz am großen Stein. Jetzt schlägt er mit der Pranke ins Wasser, und ein großer blitzender Lachs wird ans Ufer geschleudert. Der Bär speist gemütlich, richtet sich dann auf die Hinterpfoten und windet zu mir herüber, ehe er langsam davontrottet.

Mir näher, auf einer kleinen, wie eine spitze Nase ins Flüßchen ragenden Sandbank kauert Aurora. Bis jetzt hat sie mit flachen Ohren nach der Richtung geschnüffelt, wo sie Petz wußte. Nun aber ist er fort, und sie wendet ihre Auf­merksamkeit dem funkelnden Wasser zu.

Schwapp! fegt ihre Pfote seitwärts in die Flut, und ein

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Lachs hüpft ans Land, wo die Hündin ihm geschickt den Garaus macht. Insekten umsummen mich in gaukelndem Flug, balsamischer Duft streicht durch das Tal; lang aus­gestreckt liege ich auf meiner Brücke und starre ins Wasser.

Da unten, so nahe, daß ich sie mit der Hand berühren könnte, dabei gleißend und prächtig aufblitzend, ziehen die Lachse. Seit Tagen sehe ich sie nun und noch nimmt der zum Laichen kommende Zug kein Ende. Stundenlang liege ich und werde nicht müde, die kräftigen Bewegungen der Tiere zu betrachten: ihre herrlichen Sprünge über kleine Schnel­len, ihre peitschenden Schwänze, das Spiel der rötlichen Flossen, das Atmen der Kiemen und den Schmelz der Schuppen.

Morgens esse ich Lachs, mittags auch und abends wieder. Aurora hält sich an die gleiche Kost, versorgt sich selbst und mich dabei.

Mehrmals beobachte ich einen Adler, der vielleicht seinen Horst auf den fernen Felszinnen des eisbedeckten McKinley­berges hat, wie er hoch oben kreist und plötzlich wie ein Stein herabfällt und mit einem Fisch in den Krallen wieder emporrauscht.

Ein Nordlandsommer ist so schön! Golden und hell strahlt seine Sonne am Tage, wankt dann in einem Rausch wun­dervoller Farben in die von ihrem hellen glühenden Lichte ebenfalls erfüllte Nacht hinüber.

Dann sitze ich vor dem Zelt und träume von Annie und Peggy, von Mutter und Heimat, bis ich müde bin und schla­fen gehe. Wie im Traum höre ich noch lange das geheim­nisvolle Raunen und Weben der Tiere der Wildnis dort draußen.

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D e r s a n f t e Y u k o n

Mein Gepäck habe ich auf das Nötigste beschränkt. Ich habe den Rest von Tee, Zucker und Tabak und den Kessel in den Schlafsack gepackt und diesen zu einem ziemlich schweren Bündel aufgerollt, das ich wie einen Tornister auf dem Rücken schleppe. Axt, Messer und Revolver trage ich im Gürtel und dazu den Karabiner in der Hand. Alles andere muß ich zurücklassen. Ohne einen Blick zurückzu­werfen, folge ich mit Aurora dem Lauf des Flüßchens, in dem immer noch die Lachse unermüdlich aufwärts schwim­men. Vorhin machte ich einen weiten Streifzug und pfiff und rief die übrigen Hunde. Vergeblich! Ihrer ist jetzt das Paradies der Freiheit und mich haben sie vergessen.

Nur meinen Freund, den Bären, sehe ich unter einem Strauche naschen. Und wieder — nur bin ich diesmal allein — fällt nachher mein Blick auf den breiten unermeßlichen, heute rötlichen Spiegel des Yukon. Er brüllt und tobt nicht, reißt weder Baumgruppen von seinen Böschungen, noch schleudert er Eisklötze hoch in die Luft. In majestätischer Ruhe, wie tiefe gedämpfte Musik rauschend, fließt er seine Bahn. Am grünen Hang grasen zwei Elche, ein Schwarm Wildenten fällt in einen schilfbestandenen Bach ein. Tannen­bewachsene Hügelketten breiten sich wie die Wogen eines dunklen Meeres gen Norden aus. Dahinter ragen, umspon­nen von duftigem Schimmer, noch weitere Berge. Am jen­seitigen Ufer öffnet sich eine Tundra, die mit langsam land­einwärts ziehenden Renntieren gesprenkelt ist. Die riesige Herde beträgt viele Tausende. Auch einige Menschen ent­decke ich und hin- und herjagende Hunde. Gewiß ist es ein Teil jener großen Herde, die von der kanadischen Regierung in Alaska gekauft wurde. Kundige Indianer treiben sie

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hinauf, tausende Meilen, bis an den Rand jener vereisten Küste in das Gebiet, welches Invit heißt und wo viele Stämme der Eingeborenen langsam verhungernd zugrunde gehen. Denn seit sie mit dem „weißen Mann" und seinem Zauber­tand in Berührung gekommen sind, verlernen sie rapide die Kunst, sich selbst zu helfen. Grammophone, Radioappa­rate und andere Dinge erheben sie auf eine Scheinkultur­stufe, auf der sie einfach hilflos werden. Es gibt bereits Stämme, die binnen weniger Jahrzehnte aus kühnen Jägern und Fischern zu bettelnden Trotteln geworden sind. Recht und billig ist es daher nur, wenn der weiße Mann nun diesen Armen, die dazu auch noch oft von tödlichen Seuchen be­fallen werden, auf die Beine hilft.

Solche Renntierherden gebrauchen ein Jahr oder auch zwei; es ist sogar schon vorgekommen, daß eine Herde vier Jahre unterwegs zubrachte, um ihr Ziel zu erreichen. Welche Geduld gehört dazu, die Tiere so lange zu bewachen! Wölfe, Wolverene, Luchse und anderes Raubzeug ziehen bestän­dig mit und schlagen sich ihre Beute, obwohl die Renn­tiere sich energisch zu schützen wissen und tollwütige Geg­ner sein können. Wer einmal ein erzürntes Ren mit blut­unterlaufenen Augen und schnaubenden Nüstern auf sich zukommen sah, wird mir dies bestätigen.

Dort jenseits des Yukon wandern sie dahin. Das Klap­pern ihrer Hufschalen und aneinanderstoßenden Geweih-schaufeln dringt bis zu mir, es hört sich an wie unauf­hörlicher Kastagnettenrhythmus. Raubvögel, die darauf war­ten, bei günstiger Gelegenheit auf neugeborene Kälbchen niederzustoßen, zirkeln wie schwarze Punkte darüber.

Lange stehe ich und betrachte das großartige Bild; dann schaue ich stromauf, wo der Yukon einer matten Bleiflut gleicht, und wo die Wälder als schwärzlich-grüne Massen

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sich in geheimnisvoller violetter Ferne verlieren. Wenn jetzt mein Weg mit dem Laufe dieses sanft rauschenden Stromes führte, so würde ich ein Floß bauen und mich von seinem breiten Rücken tragen lassen. Aber ich will nicht nach den amerikanischen Siedlungen, nach Nome und an die graue Beringsee. Mich ziehen unsichtbare Fäden zurück über die Grenze, wo ich Freunde weiß in Dawson, Pelly oder in Five Fingers. Vielleicht auch erst in Windy Arm oder gar in Fort Linderman und Chilcoot werde ich Peggy treffen oder von ihr hören. Nordland ist dünn bevölkert, ich werde etwas über sie in Erfahrung bringen. Jeder Barkeeper wird mir's sagen und habe ich nicht auch die Adresse des Agen­ten in Dawson?

Ich bin nicht arm. Wohlgeborgen in meinem den Rücken drückenden Beutel steckt das Wildledersäckchen mit dem Golde. Es hat den Wert von elfhundert Dollars, wie ich durch Abwiegen feststellte.

Elfhundert „Eisenmänner", wie Jack die Dollars zu be­zeichnen pflegte, sind ein gutes Stück Geld im fernen Süd­land. Hier bedeutet diese Summe nicht viel, aber immer­hin, man kann sich damit Ellbogenfreiheit verschaffen.

Wie schön der gewaltige Yukon dahinfließt! So fried­lich, als ob er nicht vor kurzer Zeit getobt hätte wie sämt­liche Gewitter der Welt zusammen. Unzählige, graugelbe, sich bewegende Punkte — so wandert die Renntierherde ihren langen Weg. Das von ihr verursachte Geräusch ist zu einem leisen trockenen Rasseln geworden, das wunderlich mit der tiefen eintönigen Melodie des Stromes harmoniert. Ich möchte, einer der mit Holz gefeuerten Yukondampfer käme in Sicht, damit ich meinen Weg als Fahrgast nehmen kann. Mir graut vor der langen Wanderung bis Fort Yukon,ob­wohl ich unterwegs vereinzelte Behausungen antreffen werde.

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„Aurora, wir wollen gehen!" Und so wandern wir denn in Sichtweite des Gewässers gen Süden. Hasenfamilien spie­len allenthalben im lichten Unterholz. Ein Eichhörnchen ist über uns derart erbost, daß es uns eine Strecke, von Baum zu Baum hüpfend, leise keifend begleitet. Aurora nimmt keine Notiz davon.

Ein blanker, rötlich schimmernder Abend senkt sich auf unser Lager hoch über dem Fluß. Die Hündin knurrt nach einer Weile leise, denn eine lange Reihe Birkenkanus treibt still mit der Strömung in Ufernähe vorbei. Nachher durch­bohren helle Lagerfeuerpünktchen die kurze Dämmerung: Indianer auf der Wanderfahrt! — Die Natur ist mit köst­lichen Düften geschwängert, warme Luftströmungen brin­gen den Geruch von Harz, Tannennadeln und Balsam herbei, der sich mit dem Holzfeuerrauch mischt. Prächtige Tiger­lilien, das Grünweiß des Frauenschuhs und andere Blumen lugen aus dem von der Mitternachtssonne vergoldeten Gras. Paradies des Nordens!

Viele Tiere des Waldes sehe ich auf meiner einsamen Wanderung, den hochschultrigen Elch, den Karibuhirsch und etliche schwarze Bärenfamilien. Und nach jedem Erwachen entdecke ich Spuren von Luchsen, Wölfen und Füchsen. Mar­der huschen überall ins Unterholz. An jedem Teich und Sumpf, von denen es überall so viele gibt, brüten Zehn­tausende von Wildenten und Schilfhühnern, deren Geschrei ohrenbetäubend wirkt, und die in dichten Wolken empor­schwirren, wenn Mensch und Hund einige von ihnen zur Nahrung fordern. Überall schwärmt, rauscht und tönt lautes wildes Leben.

Seit die Indianer neulich den Yukon hinabpaddelten, ist die Wasserfläche still und glatt geblieben. Kein Kanu, kein treibender Baumstamm, nichts ist mehr zu sehen außer der

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spiegelnden Wasserfläche. Aber unglaublich kurz ist solch ein Nordlandsommer und kürzer noch der Herbst, dessen Anzeichen sich von Tag zu Tag mehr bemerkbar machen. Kalter Hauch beginnt sich langsam und fast unmerkbar in die hellen Nächte zu schleichen. Die Blumen hängen am an­deren Morgen dunkel und traurig von ihren noch grünen Stengeln. Vogeleltern lehren ihre plustrigen Kinder das Flie­gen, sammeln sich auf Wiesen und Tundren, um mit ihnen zu exerzieren. Die ersten, schwindelnd hoch fliegenden Keilschwadronen der Wildgänse ziehen schon zurück nach Süden.

Eines Morgens weht ein unfreundlicher Wind und schüt­telt die Nadelbäume. Ununterbrochen schwirrend und von Zeit zu Zeit in trauriger Klage trompetend, setzt die Massen-flucht der Vögel ein, obwohl noch immer einzelne Scharen Spätlinge nach Norden fliegen.

Dann kommen auch die Lachse aus Bächen und Flüs­sen zum Yukon zurück. Matt und träge, ohne den leuch­tenden Schmelz ihrer Frühjahrskleider, schwimmen sie da­her oder lassen sich streckenweise treiben. Ihr Fleisch ist verfärbt und schmeckt nicht mehr.

Wind wühlt den Strom auf und schickt kleine weißbe­mützte Brecher an die Ufer. Durch rauschenden Wald, über feuchtes unter mir federndes Smaragdgras, unter blauem von Vogelscharen bedecktem Himmel, in Sonne, Dämmerung und wieder Sonne hinein, wandere ich gleich den Wild­gänsen gen Süden. Birkenlaub zittert nervös; reife Heidel­beeren, goldgelbe Moosbeeren und phantastisch gezackte Pilzfamilien bilden farbenbunte Flecken.

Eine große Traurigkeit kommt an jenem Tage über mich, als Aurora von einem vom Fels herabspringenden Luchs geschlagen wird. Was nützt es, daß ich der Bestie eine

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Kugel zwischen die funkelnden Lichter schicke und nachher, als sie tot und langgestreckt vor mir liegt, wutentbrannt sämtliche Schüsse des Karabiners in den geschmeidigen Leib jage? Aurora wird dadurch nicht lebendig, und wieder ist ein Band zerrissen, das mich an Nordland knüpfte. Erst Jack, nun die Hündin und dann . . .

„Allein, allein bin ich in dieser Welt!" summe ich und kehre der Höhle, in die ich Aurora gelegt und mit Steinen bedeckt habe, den Rücken.

„Domine in Coeli! Domine in Coeli!" ertönt da ein merk­würdiger Singsang aus dem Walde vor mir, und ehe ich mich darüber wundern kann, daß hier jemand in der Wild­nis lateinische Strophen singt, tritt eine Gestalt ins Freie, die so seltsam aussieht, daß ich die Augen weit aufreiße. Ein Jesuitenpater in beschmutzter Soutane, das Hütchen über dem braunen sanften Gesicht, in einem mächtigen Skapulier und mit einem Riesenpacken, den er nach der Art der In­dianersquaws mittels eines Stirnjoches trägt.

„Gelobt sei Jesus Christus!" grüßt er. Ich habe mich von meiner Verwunderung noch nicht er­

holt. „Well, ich will verdammt sein. Wo kommen Sie her, und wo wollen Sie hin, Padre?" entfährt es mir. Ein stil­les, ergebenes Lächeln breitet sich über seine Züge aus. „Der Herr wird Ihnen den Fluch verzeihen, mein Sohn," mur­melt er und schlüpft aufatmend aus dem Packen. Sich darauf­setzend, während ich mich ins Moos werfe, fragt er: „Haben Sie meine Zöglinge gesehen?" Wie um sich zu entschuldigen, lacht er: „Es sind eigentlich Kinder, große Kinder. Ich fürchte, daß ich mein mir von Gott auferlegtes Amt nicht richtig verwaltet habe, sonst hätten sie mich nicht im Stich gelassen!" Ein Schatten huscht über sein Gesicht, und er faltet die Hände.

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„Meinen Sie etwa die Indianerfamilien, die ich vor vielen Tagen gesehen habe, Padre? — Sechzehn Birkenrindenkanus waren's!"

Freudig nickt er. „Gelobt sei der Herr in seiner Barm­herzigkeit, seine Wege sind unerforschlich!"

„Ja, Mann, warum sind Sie nicht im Kanu nachgefahren? Auf die Art, wie Sie's jetzt treiben, werden Sie verf l . . . Vergebung! werden Sie teuflisch lange brauchen!" Ich stopfe meine Pfeife, zünde sie an und merke, wie die Nasenflügel des Jesuiten hungrig beben. „Wollen Sie rauchen, Padre?"

Lächelnd wehrt er ab. „Es ist Sünde, besonders jetzt, wo ich den Bußpfad beschreite!" Dann erklärt er: „Die India­ner, die Sie gesehen haben, sind von ihrem Stamme losge­sprengte Pellies. Ich weilte fünf Monate bei ihnen, half ihnen ihre Kranken behandeln und lehrte sie den wahren Glauben. Aber als ich bereits dachte, sie wären gar weit auf dem Wege der Erleuchtung fortgeschritten, da verließen sie mich. Ich hatte die halbe Nacht bei einem Kranken gewacht und schlief daher sehr fest. Als ich erwachte, waren die Zelte und alles verschwunden, nur mein Eigentum und ein Stück geräuchertes Fleisch lagen da. Da habe ich zu Gott gebetet und ihn angefleht, mir in meiner Zerknirschung ein Zei­chen zu geben."

„Mensch, Padre, konnten Sie denn unterwegs kein Kanu auftreiben?"

Sanft lächelt er zurück. „Gewiß! In Pokerflat, wo ich vor vier Tagen schlief, wollte mir der Trader ein Fahrzeug schenken."

„Na, und?" Wieder lächelt er: „Ich ziehe es vor, zu gehen, gewiß

ist es so Gott gefälliger!" „Well, ich will doch gleich verd. . ., ich meine, ich will

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doch gleich zu Grase gehen, Padre! Der Winter steht vor der Tür! Eine Waffe, um sich etwas zu erjagen, haben Sie auch nicht. Wissen Sie, daß ich seit vielen Tagen den Strom auf­wärts wandere und keine Seele außer jenen Ihnen durch die Lappen gegangenen Schäflein getroffen habe? Sie werden verhungern oder erfrieren!"

„In meinem Packen habe ich viele erbauliche, in die Siwashsprache übersetzte Heiligenbücher, auch etwas Tee, Mehl und Speck führe ich mit. Sorgt der Herr nicht für alle seine Kreaturen, läßt er nicht Beeren und Schwämme reifen?"

„Hm!" ist alles, was ich erwidern kann. Dann machen wir das Lager, denn der arme Teufel, der eine Last von unge­fähr achtzig Pfund schleppt, ist reichlich müde. Am Feuer sitzend, plaudern wir zwanglos, er läßt sich das von mir erlegte Kaninchen schmecken, fällt darüber mit einem Heiß­hunger her, der mir deutlich verrät, wie „nahrhaft" die Beeren und Schwämme sein müssen.

Vater Giuseppe Bononi ist ein harmloser gutmütiger Je­suit, der in Südtirol geboren wurde und sich nach Absolvie­rung seiner geistlichen Studien zum Missionar ausbildete. In China haben ihn rote Truppen gefangengenommen. Er wurde glücklich befreit, aber die Roten hatten ihm schon mit einer Grobschmiedszange beide Daumen abgeknipst. Ein Schauer überläuft seinen mageren Leib, als er mir davon erzählt und die verstümmelten Hände zeigt.

„Na, Padre, und genügte Ihnen das nicht?" „Dann kam mir eine Eingebung, und ich ließ mich in die­

ses Land schicken, um die Seelen schnapsvergifteter India­ner zu retten. Gott erwies sich mir gnädig, bis auf das Mißgeschick von neulich. Aber ich wandle ja auf dem Pfade der Buße!"

Die glühenden Scheite knistern. Schatten legen sich über

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das Antlitz der Natur, und empfindlich kühler Wind seufzt melancholisch durch den Nadelwald.

„Padre, sehen Sie diesen Baum dort?" Er bejaht, und ich fahre fort: „Würde es der Pflanze gefallen, wenn Sie sie durch irgendein Mittel zwingen wollten, plötzlich waage­recht statt kerzengerade zu wachsen?"

„Es wäre ein Verbrechen an Gott und Natur!" erwidert er überzeugt.

„Allright. Ich will nicht behaupten, daß Sie ein Verbrechen an jenen Pellyindianern begehen — aber Sie rennen gegen eine Mauer an. Diese Menschen verstehen nicht, was Sie predigen, und hören Ihnen nur zu, weil sie faul und gut­mütig sind, oder weil sie materiellen Vorteil durch Sie haben. Warum befassen Sie sich nicht lieber mit dem Elend in den Großstädten?"

Gütig lächelt er: „Gottes Diener sind überall." Darauf fängt er ein Gespräch über China an, und ich merke, daß er über seine Berufung nicht mehr reden will. Wir trinken Tee und plaudern. Gern möchte ich dabei die Pfeife rauchen, doch unterlasse ich es, weil der Duft des Tabaks den guten Don Giuseppe zu sehr quält.

Am nächsten Morgen schlüpft er in sein Stirnjoch, hebt den Packen auf, und wir trennen uns. In Pokerflat würde ich sicher einen Dampfer nach Dawson finden, meint er. Die Tannenäste rasseln, und die schwarze, unter ihrer Last tief­gebückte Gestalt verschwindet. Eine Weile noch höre ich ihn singen, dann wird ein Summen aus den lateinischen Worten, und schließlich verstummt auch dieses.

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D R I T T E R T E I L

I M S C H E I N E D E R N O R D L I C H T E R

Dawson-City / Wolfsgesichter / Bunte

Lichter / Wo der Pfad endet

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D a w s o n - C i t y

Nachdem ich acht Tage in Pokerflat zugebracht und mich von derben Holzfällern im Pokerspiel übers Ohr hauen lassen hatte, daß es nur so krachte, fand ich wirklich Beförderung nach der Metropolis von Klondike. Ein alter, flachgehender Dampfer, der Proviant nach den verschiedenen Camps ge­bracht hatte, führte mich nach Dawson.

Es gefiel mir dort aber schon auf den ersten Blick nicht, denn es ist eine wirkliche Stadt mit holzgepflasterten Stra­ßen und Häusern, von denen einige zum Wolkenkratzertum strebten, jedoch in den Anfängen steckengeblieben waren. Und die alten traditionellen Kneipen aus den großen Tagen Klondikes gefielen mir noch weniger. Das „Tivoli", „Ant­lers", „Stoels'" und der „Klondike Palast" sind mehr oder weniger nur noch „Schauplätze", die von Grünhörnern be­sucht und ehrfürchtig bestaunt werden. Deshalb erkundigte ich mich schnellstens nach der Adresse, die mir Annie gab. „Mr. Thomas Saunders, agent and lawyer" stand auf dem Zettel, den ich auswendig kenne. Agent und Rechtsanwalt!

Er wohnte in einem Hause, das ein häßliches falsches zweites Stockwerk besitzt, wie es in den Cowboystädten der Vereinigten Staaten häufig ist.

„Come in!" ertönte es, als ich derb gegen die Officetür geklopft hatte. Mr. Saunders öffnete selbst und bot mir einen Stuhl an, während er sich wieder hinter den Schreib­tisch setzte.

„Sie kommen aus dem Walde?" fing er an und betrachtete

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mein herabgekommenes Äußere, das zu verbessern ich mir noch nicht Zeit genommen hatte. Forschend schaute der be­leibte, gutmütig aussehende Mann über den Hornrand sei­ner Brille. Ich betrachtete abwechselnd ihn und die weib­lichen Photos, die hinter ihm an der Wand hingen. Auch Anzeigen von Tänzer- und Minstrelgruppen waren dar­unter.

„Ich möchte mich erkundigen, wo ich Miß Annie — ich meine Nordland-Annie und Peggy Wilson — treffen kann. Ich habe nämlich ein Grubstake und Verschiedenes abzu­zahlen."

Er kniff die Augen zu. „So, Sie haben Gold? Well, wenn Sie's in Münze und gute Banknoten einwechseln wollen, so bitte ich um den Vorzug. Zahle reell und was üblich ist!"

Ungeduldig nickte ich: „Gewiß, das Geschäft können wir machen. Aber erst beantworten Sie doch meine Fragen?"

Er faltete die Hände, schlug die Augen zu Boden, und seine Stimme nahm salbungsvollen Klang an. „Hier im Nor­den geschehen oft unvorhergesehene Dinge, junger Mann. Wer sich heute noch des Lebens erfreut, kann morgen schon tot und übermorgen begraben sein. — Hm, wieviel Unzen Gold haben Sie wohl? Zahle reell und was üblich ist!"

„Ist etwas passiert, reden Sie doch, Mann, und lassen sie das verfluchte Gold bis später!" schrie ich, und bange Ahnungen befielen mich.

„Der Herr gibt, und der Herr nimmt! — Sind Sie der junge Mann, der mit Mister Jack Fadden nach Alaska zog? — Hum, hem, hum. Wappnen Sie sich mit dem Panzer der Mannheit, junger Mann!"

„Verdammter Salbaderer, reden Sie nicht daher wie ein Trottel, sondern wie ein vernünftiger Mensch!" brüllte ich.

Er legte seine Hand auf die meine, sah mich an, und seine

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Augen waren auf einmal gut und freundlich. „Miß Annie ist in Moosetown, junger Mann. Peggy Wilson aber i s t . . . "

„Tot!" murmelte ich, und er endete: „Peggy Wilson starb in Five Fingers an den Folgen einer Erkältung. Lungen­entzündung!"

Eine ganze Welt von Hoffnungen, die ich in mir getragen, die mir die einsame Wanderung am Yukon erträglich ge­macht und meine Trauer mit Lichtblicken versüßt hatte, zer­brach.

„Erst Jack, dann Aurora, jetzt Peggy. Und nachher . . . " Der Agent verstand mich nicht, erhob sich und klopfte mir

auf die Schulter. „Sie hat nicht gelitten, es ging schnell. Zwei Tage!" sagte er beschwichtigend, und die hellen Trä­nen liefen mir aus den Augen. Nach einer langen Weile meinte er: „Ich würde an Ihrer Stelle nach Moosetown gehen. Vielleicht schaffen Sie's, noch ehe die Flüsse zu­frieren."

Durch das Fenster sah ich draußen ein Stück dunkelgrauen Himmels, darin wie verschleierte Fackeln die Sonne mit zwei blasseren Lichtern. „Annie ist noch dort!" fing er wieder an. Gleichzeitig verschwanden jene glimmenden Himmels­fackeln, und Schneeflocken fielen vereinzelt herab. Ein Windstoß fauchte durch die Straßen, und im Ofen rumorte es hohl. „Schlecht Wetter!" fuhr er fort.

Ich warf den Goldsack auf den Tisch, daß ein Tintenfaß umkippte. „Geben Sie mir Geld dafür!" forderte ich hart.

Erstaunt betrachtete er mich, dann holte er die Waage aus dem Schrank, prüfte und wog. „Tausend Dollars!" klan­gen die Worte dumpf, er richtete sich dabei auf.

„Her damit!" Kopfschüttelnd öffnete er den alten Geldschrank und

zählte mir die Scheine hin, die ich sofort ins Hemd schob.

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„Wollen Sie nicht mit mir zur Nacht speisen?" fragte er zögernd.

„Danke. Es ist sehr freundlich von Ihnen, aber ich muß nun eilen, mich auszustaffieren."

Wir drückten uns die Hände, und ich ging. Einen Damp­fer fand ich nicht, aber ein Halbindianer unternahm es, mich in seinem Kanu die größte Strecke des Weges zu transpor­tieren. Er konnte dann zwar nicht mehr zurück, aber das wäre ihm egal, sagte er.

In derselben Nacht glitten wir den Strom hinab. Die ersten Nordlichter flackerten über uns, aber noch waren sie blaß und schemenhaft.

W o l f s g e s i c h t e r

Die letzte Rast vor Moosetown. Der Halbindianer schläft. Rauchend stecke ich den Kopf aus dem Schlafsack und starre vor mich hin, dabei allerlei Bilder in mein Gedächtnis ru­fend. — Jetzt stehen Männer an der Bar, trinken und er­zählen sich von Gold und Reichtum. Und jetzt — irgendwo in der ungeheuren Öde des eiserstarrten Nordlands — gibt es Männer und auch Hunde, die vielleicht gerade ihren letz­ten Atemzug tun, und niemand ist bei ihnen . . .

Müde schließe ich die Augen, und meine Einbildung zau­bert mir wüste Fratzen vor, die fortwährend anderen Ge­sichtern Raum geben, sich wie ein wildgewordener Film ab­spielen und doch keinen Zusammenhang haben. Nur ein furchtbares würgendes Angstgefühl habe ich, und dieses steht in Verbindung mit meinen Gedanken an Annie. Annie! Annie! — Mein Gedächtnis ist eine schwingende tönende Glocke, und plötzlich bricht sie doch mit schneidendem Klir­

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ren ab. Ich wühle mich schweißtriefend aus dem Pelzsack, reiße die Augen auf.

„Siwash, ich muß sofort aufbrechen. Sie können nach­kommen."

„Well?" staunt der schläfrige Halbindianer. „Ich werde leicht reisen. Ohne Schlitten, nur mit einem

kleinen Bündel und dem Karabiner!" „Allright, wenn Sie durchaus wollen. — Da hinten sieht's

aus, als wenn sich ein Schneesturm zusammenbraut," brummt er und schaut kopfschüttelnd meinen Vorbereitun­gen zu. „Vergessen Sie den Kompaß nicht. Bei der dritten Schlucht, wo das Bachbett herauskommt und der einzelne runde Höcker steht, müssen Sie sich westlich halten, dann kommen Sie direkt auf die Moosetownebene. — Allright! Good-bye!"

„Bye, bye!" winke ich und stapfe zwischen den kahlen weißen Birken hindurch in den weißbekrusteten Tannenwald. Kleine Gesellschaften von Raben zu dreien oder vieren stre­ben krächzend über mir. In langen Abständen erheben sich Windstöße in weiter Ferne, stöhnen und rasseln näher und gehen wieder zur Ruhe.

Nach fünf Stunden mache ich kurze Rast, denn ich mar­schierte wie bei einem Wettbewerb, und froh bin ich, daß ich Wald um mich habe, denn kaum habe ich Tannenäste ab­geschlagen und mir in einer Schneegrube einen Verschlag hergerichtet, als ein Blizzard mit dichten Flockenmassen, scharfer Kälte und heulendem Winde alles ringsum aus­löscht, nur eine weiße wirbelnde Hölle übrigläßt.

Es ist nur ein kleiner Blizzard, der in wenigen Stunden vorüberheult. Aber der frische Schnee liegt jetzt tief und selbst mit den Riemenschuhen sinke ich ein.

Erst nach der dritten Rast erreiche ich den Berghöcker

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an der Schlucht und bald beschreite ich die Tundra, die im Abglanz der Nordlichter eine bunte, zitternde Palette bildet.

Fast achtzig Stunden sind verstrichen seit dem Aufbruch vom Lager mit dem Halbindianer, als ich endlich den dunk­len Waldstreifen und die gelben Lichtpünktchen der Siedlung erspähe. Die letzten tausend Meter lege ich im stampfenden Trott zurück, verliere erst die Axt, dann das Gewehr, ohne ihnen auch nur einen Blick zu schenken. Dort vorne die Lichter aus den viereckigen Fenstern und der Chor vieler Hunde rufen mich! Das Bündel hüpft mir vom Rücken, plumpst in tiefen Schnee. Vorwärts, die Lichter winken!

Zwischen den ersten Häusern begegnen mir ein paar ver­mummte gebückte Gestalten, die mich gar nicht beachten. Vor der Polizeistation steht ein Schlitten mit müde aussehen­den eingespannten Hunden.

Hier ist die Doppeltür zur Bar. Ich reiße sie auf, stehe einen Augenblick, vom Lampenglanz und den aus meinen Pelzen aufsteigenden Dampfwolken geblendet, auf der Schwelle still. Allmählich nehme ich das Bild vor mir auf.

Dort vor der Bar steht ein kleiner sehniger Kerl mit schlauem, wolfsartigem Gaunergesicht. Neben ihm steht ein zweiter, ähnlich aussehender Mann, der das Handgelenk des anderen umklammert. Diese Hand aber umschließt einen Revolver, aus dessen kurzem Lauf sich ein Wölkchen ver­flüchtigt. Überall an den Wänden, unter den Tischen, hinter der Bar drücken sich Menschen, Männer in Pelzen, Frauen in schillernden Seidenroben. Und dann sehe ich Annie! Annie in ihrem besten Kleid, mit den Diamanten an Hals und Armen, hochaufgerichtet und mit ganz weißem Gesicht. Jetzt spricht sie, und ihre Worte flattern so müde über die schmalen Lippen: „Oh, du Schuft — auf eine Frau zu schie­ßen, wo — ich — doch — unbewaffnet bin."

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Schwer schlägt sie auf den Rücken, und der Kleine mit den wölfischen Zügen bückt sich kurz, sagt dann geschäftig: „Herzschuß, wie ich kalkulierte. Warum mußte sie mich auch reizen mit ihrem ewigen Kritisieren! Jetzt ist sie tot. Tot wie'n alter Stiefel!"

Der andere entwindet ihm die Pistole und steckt sie ein. Mit geballten Fäusten, dumpfbrüllend, renne ich, begleitet

von einem vielstimmigen Aufschrei, auf den Wolfsgesichtigen los. Er fällt unter der Wucht des Anpralls zu Boden. Greu­lich lachend trample ich auf seinem Gesicht herum, habe nur das einzige Bestreben, diese grausame Fratze zu zertreten, zur Unkenntlichkeit breitzustampfen. Der andere reißt den Revolver aus der Tasche, läßt ihn aber aufbrüllend fallen, als der Barkeeper ihm eine volle Flasche auf dem Hand­gelenk zerschmettert. Noch mehr Wolfsgesichter tauchen auf, eine Kugel pfeift mir über die Schulter, und ich hüpfe immer noch auf dem Mörder herum. Jemand schleudert einen Stuhl derart, daß er im Dahinsausen fast alle Lampen zersplit­tert. Frauenstimmen kreischen nach Polizei, ein heiseres Männerorgan fordert, man soll mir die Beine unterm Leib wegschlagen, soll mir Blei in den Bauch schießen, soll mich von Pete wegreißen, der unter mir zum Pfannkuchen werde! Wieder krachen Schüsse.

Im Dämmerlicht sehe ich helle Frauengestalten an den Wänden entlangstürzen, sehe Goldgräber und Holzfäller auf Männer losdreschen, die sich im amerikanischen Jargon Worte zubrüllen. Krach! Die letzte Lampe zerbricht. Es ist dunkel wie die Nacht.

Ein gewaltiger Stoß schleudert mich von meinem Opfer weg; ein Stuhl trifft meine Schulter. Ein paar Mündungs­feuer leuchten auf wie rote, goldverbrämte Blumen. Stöhnen, Schimpfen, helle Schreie, dünnes klagendes Wimmern, das

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Geräusch brechender Stühle und das Klirren von stürzen­den Flaschen vermischen sich zur Teufelskakophonie, die meine Wut noch mehr anfacht. Ich schlage in die Dunkel­heit hinein, juble, wenn meine Faust etwas Weiches, Dumpf­schallendes trifft, heule laut, als ich auf einen harten Gegen­stand treffe.

Nun taste ich mich umher, schleudere Stühle, die ich im Dunklen erwische, in die aufkreischende Dunkelheit zurück, teile Fußtritte aus, werde ein paarmal umgeworfen und balge mich mit stöhnenden Körpern auf splitternden Scher­ben herum.

„Haut ihn zusammen, er ist verrückt geworden! — Nicht schießen, um Gottes willen nicht schießen! — Wer? — Wen ?" rufte es, und es tönt zurück: „Den Deutschen! Peggys Liebsten!"

Ein anderer brüllt bärenstimmig: „Schlagt die Gangsters zu Brei! — Schlagt! — Wo ist der Sergeant? — Macht Licht!"

Gebrüll, Röcheln, Schall von Fußtritten, brechendes Holz, hysterisches Frauenschluchzen und tiefe Dunkelheit. Warmes Blut rinnt mir über die Stirn, meine Fäuste haben kein Gefühl mehr, die linke Wade brennt mir, wo mich jemand gebissen hat. Plötzlich fliegt die Tür des Yukonofens auf, das grelleuchtende Viereck bescheint kämpfende Silhouetten. Bis in die fernsten Ecken dringt rosiger Schimmer.

„Paßt auf, steckt die Bude nicht an!" schreit es. Wie ein Schwimmer, oft gegen einen Tisch prallend oder nach­gebende Körper umwerfend, schleudere ich mich der Tür zu, schlage jemandem, der sich undeutlich vor mir aufbaut, schluchzend mit beiden weitausholenden Fäusten in das weißschimmernde Gesicht, reiße Tür nach Tür auf und bin draußen im Schein der Nordlichter! Keuchend renne ich,

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vom Instinkt getrieben, nach der Polizeistation. Richtig, der Schlitten mit den Huskies steht noch da. Ich binde ihn los, schnalze mit der Zunge, rufe leise: „Musch!" und zögernd, dann trabend, bewegt sich der Tobogan durch die breite kurze Straße der schimmernden Tundra entgegen. Hinter mir ruft plötzlich Sergeant Hopkins' Stimme: „Was, Zum Teufel, fällt Ihnen ein? Lassen Sie doch die Hunde los, sag ich!"

„Musch, musch! Heiah!" Schon bin ich an der Renntierstallbar vorbei. Eine Kugel

hüpft klatschend eine Blockhauswand entlang und saust dann schrill in die Dunkelheit; gleichzeitig ertönt der scharfe Krach des Gewehrs.

„Heiah, musch!" Wir sind draußen auf der Tundra und halten dem Waldrande zu. Ehe ich in dessen schützenden Schatten tauche, kracht es noch zweimal, und die Geschosse klatschen auf die Packen auf dem Tobogan. Allmählich wird der Aufruhr entfesselter Hundekehlen in Moosetown leiser, und im gleichen Maße wächst das schwirrende Knir­schen der Kufen an. Immer noch schluchzend, laufe ich hinter dem Schlitten her, der von müden unwilligen Hunden, die oft über die Schultern lugen, gezogen wird. Nach Norden, dem mächtigen Yukon zu. Nach Norden, Norden, denn hinter mir droht der Strick, denn sicher habe ich den mit dem Wolfsgesicht getötet! Die Mounties werden jetzt schon auf meiner Spur sein. Eines Tages wird der Richter sagen: „Und so lautet der Spruch, daß der Angeklagte am Halse aufgehängt werden soll, bis er tot, tot, tot!"

Ich muß nach Norden, wo es keine Menschen gibt. „Musch!"

Was ist das? Ich breche in krächzendes Lachen aus, denn nun erkenne ich, daß es Sergeant Hopkins' Schlitten ist und

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sein Gespann, die ich beschlagnahmt habe. Ich halte an und untersuche die Ladung. Mehl, Speck, Tee, dazu Hundefutter, eine Axt und das beste — ein Karabiner mit Munitions­gurt. Hopkins ist wahrscheinlich gerade zurückgekehrt. Die Hunde sind müde, das sehe ich.

„Heiah musch!"

I m S c h e i n e de r N o r d l i c h t e r

Zuerst Jack, dann Aurora, Peggy und nun Annie. — Allein bin ich in dieser Welt!

Ich schlug das Lager auf und holte den Hunden die Eis­klumpen zwischen den Zehen heraus, damit die in guter Verfassung bleiben. Dann brach ich wieder auf. Gleich Regenbogen hängen Nordlichter über dem Horizont. Wie ein unsichtbarer Ring umgibt mich Wolfsgeheul. Es klingt so ergreifend, daß meine Trauer und die Schwermut immer mehr zunehmen. Bei jedem Halten setzen sich die sechs Hunde hin, recken ihre Schnauzen hoch und heulen eben­falls. Sie beginnen mit dünnem Winseln, schreien dann, daß die Luft klirrt und enden dann schluchzend wie gepeinigte Frauen.

Es ist so traurig! Nordland ist Traurigland! Es fängt an zu schneien. Große, weiche, lautlose Flocken.

Unaufhörlich! Meine Spur erlischt. Alles ist weiß. Seltsam stechen blasse Nordlichter durch wirbelnden Flockenreigen. Dann hört es wieder auf. Ich kann sehr weit nach vorne blicken. Zufällig drehe ich mich um, und da fährt mir ein würgender Kloß in die Kehle. Weit, weit da hinten kriechen schwarze Punkte über den Schnee.

„Musch, musch!" kreische ich, und nun rennen wir, ren­nen, bis jene Punkte unterm Horizont versinken.

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Die Erschöpfung zwingt mich, Lager zu machen und in Sergeant Hopkins' Pelzsack zu kriechen. Ich wollte nur liegen und mich ausstrecken, aber die Augen fielen mir zu, und als ich entsetzt aufspringe, sehe ich die Punkte wieder. Sie werden zur Form. Hunde, die einen Schlitten ziehen und ein Mann dahinter!

Eine Vision steht vor meinen Augen. Ich sehe mich tan­zen, den Hals in der Schlinge, bis mir die Luft ausgeht und meine Füße die ruckweisen Bewegungen aufgeben.

Mit den Zähnen knirschend, reiße ich den Karabiner vom Schlitten, lege ihn aber gleich wieder aus der Hand. Schie­ßen? Nein, das bringe ich nicht fertig! Lieber weiter, weiter! „Musch! Oh, meine lieben Hündchen! Lauft, ihr prächtigen Huskies!"

Dünner, lichter Wald nimmt uns auf. Da brechen die Hunde in Galopp aus, rasend schnell rennen sie, mit den Bäuchen tief im Schnee fegend. Und plötzlich bin ich allein. Schlitten und Hunde hat der Wald verschlungen.

Ich habe eine Schneebrücke gekreuzt, die sich über einer warmen Quelle wölbt. Ich breche ein, stehe bis an die Hüften im Wasser.

Und ich habe weder Feuer noch Streichhölzer. Stolpernd fange ich an zu rennen, verspüre scharfe schneidende Pein, die einer langsamen Gefühllosigkeit Platz macht. Noch lich­ter wird der Wald, geht in die Tundra über, und als ich mich umdrehe, sehe ich wieder den Schlitten, die Hunde und den Mann mir nachlaufen. Und das andere Gespann, das mir durchging, trabt hinterher.

Schön, sollen sie folgen, nur folgen. Vorläufig kann ich noch laufen und leicht soll es jener nicht haben! Greller Schmerz durchschießt meine Glieder, Körper und Hirn bren­nen mir.

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Da sinke ich nieder und fühle mich auf einmal so grenzen­los glücklich, leicht und bedürfnislos! Und ist das nicht eine winselnde Hundeschnauze, die mein Gesicht streichelt? Auch Pfoten betasten mich, und ich vernehme eine be­ruhigende Stimme, etwas klemmt mir dabei die Zähne aus­einander. Brennender Rum fließt meine Kehle hinab, macht mich husten. Und war das nicht eben Hopkins' Stimme? Spricht so ein Häscher, der einen Mörder fing?

Nordlichter winken in bunter Vielgestalt dort oben.

W o d e r P f a d e n d e t

Das Feuer knistert, ich rieche Rauch und warme Pelze umhüllen mich. Da sitzt Sergeant Hopkins und betrachtet mich augenzwinkernd.

„Habe ich ihn umgebracht?" kommt es flüsternd über meine Lippen. Er lacht belustigt: „Den Gangster, der Annie erschoß, weil sie ihn beim Falschspielen erwischte und ihm die gezinkten Karten ins Gesicht warf? Den? Nein, aber tüchtig zugerichtet ist er und würde wohl ewig ein Krüp­pel bleiben, wenn nicht der Richter noch ein Wort zu sagen hätte. Hier ist nicht Chikago und auf Mord steht der Strick! — Er sitzt jetzt mit seinen Freunden in der Polizei­station, und ich habe viele Deputies einschwören müssen, die Wache halten, denn die Boys wollten anfangs die ganze Bande kurzerhand lynchen. — Aber sagen Sie bloß, warum sind Sie davongelaufen und ausgerechnet mit meinem müden Team? Das war Ihr Glück, sonst hätte ich Sie nicht so schnell eingeholt!"

Lange starre ich vor mich hin und denke an Peggy, an Jack und an die alte Annie, deren unruhiges Leben hier

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oben im Nordland ganz widersinnig unter der Kugel eines Großstadtverbrechers enden mußte. Tränen schießen mir in die Augen, und ich balle die Fäuste, als Hopkins in meine Gedankenwelt hinein spricht: „Er wird am Halse aufge­knüpft werden, bis daß er tot, tot, tot!"

Eine Weile zieht er stumm an seiner Pfeife, ehe er wieder beginnt: „Die Boys wollen Ihnen eine Ovation und ein Pot-latsch geben!"

„Mir ist nicht nach Potlatschtänzen zumute, Sergeant. Ich möchte weit, weit weg aus diesem verfluchten Land. — Kann man es jetzt im Winter, wo jede Schiffahrt ruht, fertig­bringen?"

Verständnisvoll nickt er: „Gewiß, mit Geld schon. Haben Sie welches?"

„Genügend, wie ich denke!" „Na, dann machen Sie sich doch nach Dawson hinab, ich

werde Ihnen in Moosetown einen zuverlässigen Führer be­sorgen. In Dawson gibt es ein Flugzeug, das, wenn es Passagiere hat, nach Calgary an der kanadischen Pazifik­bahn fliegt. Da kriegen Sie den Zug nach Vancouver oder in die Vereinigten Staaten hinüber."

„Ich kann nicht mehr hierbleiben, Sergeant. Noch einen Winter — und ich würde mir eine Kugel durch den Kopf jagen!"

Weise nickt der alte Soldat. „Verstehe ich. Es zwingt Sie ja niemand, und an Ihrer Stelle würde ich es auch so machen, Sie sind zu jung für dieses Land. Ein schönes, aber ein gottverdammtes Land, das nicht jedem gefällt."

Die Hunde wedeln mit ihren buschigen Ruten. Über den Himmel tanzen in ruckenden Wirbeln die Lichter der Aurora-Borealis, und im fernen Wald schreit ein Wolf. Ich krieche ans Feuer, und schweigend sitzen wir lange, rauchen,

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und viele Gedanken, Bilder und Träume erfüllen mein Inne­res. Und die unbeschreibliche, unbegreifliche Schönheit Nordlands wirft ihren Zauber noch einmal über mich.

Die Hunde recken jetzt ihre Nasen schräg zum Himmel. Weißer Rauch entquillt den roten Rachen und sie heulen, heulen, wie nur Schlittenhunde heulen können! So traurig, so hilflos, so sehnsüchtig.

Nach Stunden schirren wir die Schlitten an und schlagen die Richtung nach Moosetown ein. Der Schnee knistert unter unsern Füßen, eintönig schleifen die Kufen. Seufzend gleiten manchmal weiße Lasten von starren Tannen. Wir ziehen durch Nordland gen Süden, dorthin, woher die wundervollen Himmelslichter kommen.

E n d e

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W e r k e v o n E r n s t F . L ö h n d o r f f

Noahs Arche E i n e Saga v o n M e n s c h u n d Wal

Aus eigenem Erleben schildert der Verfasser das Familienleben der Wale, verknüpft mit ihnen die Schicksale der Walfänger. Um eine schöne und charaktervolle Frau kreisen die bewegten Erlebnisse der Wale und ihrer Jäger.

Satan Ozean Von e i s e r n e n M ä n n e r n u n d S c h i f f e n

Wie Matrosen, Lebensschiffbrüchige, Whiskyschmuggler, Tramps und tranbeschmierte Walfischfänger die Ozeane von Pol zu Pol durchwandern, wie sie denken, träumen, leiden und hassen, wie sie fluchen, reden und lachen - alles ist von ergreifender Lebenswahrheit.

Trommle, Piet! D e u t s c h e L a n d s k n e c h t e i m U r w a l d

Wie die erste deutsche Kolonie gegründet wurde und durch Verrat wieder verloren­ging, schildert dieser Roman, der deutsche Landsknechte, spanische Beamte, weiße und farbige Frauen vor den Kulissen einer tropischen Welt zusammenführt.

Tropensymphonie R o m a n

Ein rechter Löhndorff, voll von abenteuerlichen, packenden und farbenprächtigen Schilderungen. Südamerika: Das Hochland Columbiens, seine Edelsteingruben, düstere Schenken, der Urwald am Amazonas, die Diamantensucher - eine Symphonie exo­tischer Länder, geheimnisvoller Mächte und wilder, abenteuerlicher Männer.

Südwest — Nordost E r l e b n i s s c h i l d e r u n g e n

Von den Perlenfischern der Südsee hinauf in das schillernde Treiben der Hafengassen Singapores, hinüber in den Rauschgifthandel der Levante und weiter in die klaren Frostnächte Alaskas führen uns diese vier spannenden Geschichten.

Prof. Ad. Bartels im „Völkischen Beobachter": In Löhndorff ist wieder ein echter „Ethnograph" aufgetreten, der wie einst Sealsfield treue Bilder des Gesamtlebens exotischer Völkerschaften gibt. Ich halte es für meine Pflicht, ihm seine Stellung in der deutschen Literaturgeschichte zu verschaffen.

C a r l S c h ü n e m a n n / V e r l a g / B r e m e n


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