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Gleichmacherei der Gesundheitsversorgung ist nicht erwünscht

Date post: 25-Jan-2017
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politik 26 DFZ 5 · 2014 Europatag der BZÄK Gleichmacherei der Gesundheitsversorgung ist nicht erwünscht Die Qualität der medizinischen Behandlung in Deutschland soll auf hohem Niveau bleiben. Damit sprachen sich Vertreter aller Parteien beim diesjährigen Europatag der Bundeszahnärztekammer in Berlin gegen eine Normierung von Gesundheitsleistungen und die Aufweichung der Regeln zum Berufszugang ebenso wie zur Berufsausübung innerhalb der Europäischen Union (EU) aus. „Keine Nivellierung der Qualitätsmerkmale nach unten“ lautete der einhellige Tenor von Zahnärzten und Politikern aller Couleur, die auf dem Diskussionspodium saßen. Vielmehr könnten deutsche Stan- dards Motor für europäische Regelungen und zum Exportschlager werden – allen voran: die freie Ausübung des ärztlichen Berufs. „Das Frustrationspotenzial in Europa ist erheblich“, stellte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Peter Engel, gleich zu Beginn des Europatags in dem Geschichte atmenden Sezier- saal des Tieranatomischen eaters der Humboldt Universität in Berlin fest. Tiere wurden denn an diesem Europatag der Bun- deszahnärztekammer auch so einige bemüht: Vom europäischen Stier war mehrfach die Rede, der bei den Hörnern gepackt wer- den müsse, ebenso wie von den Haifischen im Europabecken. Vielleicht passte gerade deshalb der Rahmen des Europatags, von den Studenten einst liebevoll „Trichinen-Tempel“ genannt, so gut zur Veranstaltung. „Wir stehen vor echten Weichenstel- lungen in Zeiten der Krise“, betonte Kammerpräsident Engel im Hinblick auf die bevorstehende Europawahl Ende Mai. Und dabei gehe es nicht nur um die ganz großen Wirtschaſtsthemen, sondern „die EU hat für unseren Berufsstand große Bedeutung“. Angefangen von der Niederlassungsfreiheit bis hin zu europäi- schen Standards für die medizinische Versorgung, nannte Engel nur einige der relevanten Punkte, auf denen der Fokus in den nächsten Jahren liegen werde. Hohe Anforderungen an Qualität und Ausbildung erhalten „Wir wollen das hohe Gesundheitsniveau in Deutschland weiter sicherstellen“, betonte Annette Widmann-Mauz (CDU), Par- lamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministe- rium, in ihrem Impulsreferat. Reserven sieht sie vielmehr dar- in, deutsche Regelungen und Interessen an eine gute Gesund- heitsversorgung in die EU zu exportieren und auf europäischer Ebene in die Debatte einzubringen. „Die grenzüberschreitende, europäische Freizügigkeit für Waren und Dienstleistungen gilt für den Gesundheitssektor nicht uneingeschränkt“, stellte die Gesundheitspolitikerin klar. An qualifizierte Aus- und Weiterbil- dung müsse es hohe Anforderungen geben. „Wir müssen wach- sam sein, was den Zugang zu den Gesundheitsberufen angeht“, sagte Widmann-Mauz. Auch die Normierungsvorhaben der EU auf dem Dienstleistungssektor sieht die Staatssekretärin ausge- sprochen kritisch: „Normierung ist kein geeignetes Instrument, um die Qualität zu verbessern.“ Wie groß die Bedeutung der EU in der Gesundheitspolitik ist, wurde vor allem in der anschließenden Diskussion mit Bundes- und Europapolitikern deutlich: Durch immer neue Verordnun- gen, Richtlinien und den Harmonisierungsgedanken der EU- Länder ist die Furcht vor einer Normierung der Gesundheits- leistungen nach unten groß. „Individuelle Behandlungen kön- nen nicht normiert werden“, betonte Anja Weisgerber, CSU- Bundestagsmitglied sowie ehemalige Europa-Abgeordnete, und warnte vor Gleichmacherei. „Wir wollen keine Harmonisie- rung auf niedrigem Niveau.“ Auch der stellvertretende Vorsit- zende der FDP-Delegation im Europäischen Parlament, Michael eurer, betonte: „Dienstleistungen im Gesundheitssektor soll- FVDZ-Europa-Experte Dr. Ernst-J. Otterbach: „Bestreben zur Angleichung sind offensichtlich“ BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel: „Europa steht vor neuen Wei- chenstellungen nach der Wahl im Mai“ © (4) BZÄK / Axentis
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Europatag der BZÄK

Gleichmacherei der Gesundheitsversorgung ist nicht erwünschtDie Qualität der medizinischen Behandlung in Deutschland soll auf hohem Niveau bleiben. Damit sprachen sich Vertreter aller Parteien beim diesjährigen Europatag der Bundeszahnärztekammer in Berlin gegen eine Normierung von Gesundheitsleistungen und die Aufweichung der Regeln zum Berufszugang ebenso wie zur Berufsausübung innerhalb der Europäischen Union (EU) aus. „Keine Nivellierung der Qualitätsmerkmale nach unten“ lautete der einhellige Tenor von Zahnärzten und Politikern aller Couleur, die auf dem Diskussionspodium saßen. Vielmehr könnten deutsche Stan-dards Motor für europäische Regelungen und zum Exportschlager werden – allen voran: die freie Ausübung des ärztlichen Berufs.

„Das Frustrationspotenzial in Europa ist erheblich“, stellte der Präsident der Bundeszahnärztekammer, Dr. Peter Engel, gleich zu Beginn des Europatags in dem Geschichte atmenden Sezier-saal des Tieranatomischen �eaters der Humboldt Universität in Berlin fest. Tiere wurden denn an diesem Europatag der Bun-deszahnärztekammer auch so einige bemüht: Vom europäischen Stier war mehrfach die Rede, der bei den Hörnern gepackt wer-den müsse, ebenso wie von den Hai�schen im Europabecken. Vielleicht passte gerade deshalb der Rahmen des Europatags, von den Studenten einst liebevoll „Trichinen-Tempel“ genannt, so gut zur Veranstaltung. „Wir stehen vor echten Weichenstel-lungen in Zeiten der Krise“, betonte Kammerpräsident Engel im Hinblick auf die bevorstehende Europawahl Ende Mai. Und dabei gehe es nicht nur um die ganz großen Wirtscha�sthemen, sondern „die EU hat für unseren Berufsstand große Bedeutung“. Angefangen von der Niederlassungsfreiheit bis hin zu europäi-schen Standards für die medizinische Versorgung, nannte Engel nur einige der relevanten Punkte, auf denen der Fokus in den nächsten Jahren liegen werde.

Hohe Anforderungen an Qualität und Ausbildung erhalten „Wir wollen das hohe Gesundheitsniveau in Deutschland weiter sicherstellen“, betonte Annette Widmann-Mauz (CDU), Par-lamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministe-

rium, in ihrem Impulsreferat. Reserven sieht sie vielmehr dar-in, deutsche Regelungen und Interessen an eine gute Gesund-heitsversorgung in die EU zu exportieren und auf europäischer Ebene in die Debatte einzubringen. „Die grenzüberschreitende, europäische Freizügigkeit für Waren und Dienstleistungen gilt für den Gesundheitssektor nicht uneingeschränkt“, stellte die Gesundheitspolitikerin klar. An quali�zierte Aus- und Weiterbil-dung müsse es hohe Anforderungen geben. „Wir müssen wach-sam sein, was den Zugang zu den Gesundheitsberufen angeht“, sagte Widmann-Mauz. Auch die Normierungsvorhaben der EU auf dem Dienstleistungssektor sieht die Staatssekretärin ausge-sprochen kritisch: „Normierung ist kein geeignetes Instrument, um die Qualität zu verbessern.“

Wie groß die Bedeutung der EU in der Gesundheitspolitik ist, wurde vor allem in der anschließenden Diskussion mit Bundes- und Europapolitikern deutlich: Durch immer neue Verordnun-gen, Richtlinien und den Harmonisierungsgedanken der EU-Länder ist die Furcht vor einer Normierung der Gesundheits-leistungen nach unten groß. „Individuelle Behandlungen kön-nen nicht normiert werden“, betonte Anja Weisgerber, CSU-Bundestagsmitglied sowie ehemalige Europa-Abgeordnete, und warnte vor Gleichmacherei. „Wir wollen keine Harmonisie-rung auf niedrigem Niveau.“ Auch der stellvertretende Vorsit-zende der FDP-Delegation im Europäischen Parlament, Michael �eurer, betonte: „Dienstleistungen im Gesundheitssektor soll-

FVDZ-Europa-Experte Dr. Ernst-J. Otterbach: „Bestreben zur Angleichung sind o�ensichtlich“

BZÄK-Präsident Dr. Peter Engel: „Europa steht vor neuen Wei-chenstellungen nach der Wahl im Mai“

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ten nicht normiert werden.“ Ein Arzt müsse frei sein in seinen Entscheidungen.

Freiberu�ichkeit gibt es nicht überall in EuropaDabei wurde in der Diskussion klar, dass in der EU das Modell des freiberu�ichen Zahnarztes und auch das des selbstverwalte-ten Berufsstands, wie es in Deutschland existiert, weithin unbe-kannt ist. „Die Besonderheiten kennen wir in Europa nicht über-all“, gab die Binnenmarktpolitische Sprecherin der S&D-Frak-tion im Europaparlament, Evelyne Gebhardt (SPD), zu bedenken. Da sei eine Europäisierung durchaus denkbar und angebracht. Harald Terpe, Mitglied des Bundestags und Gesundheitsex-perte von Bündnis 90/Die Grünen, appellierte daran, deutsche Standards durchzusetzen, die dann auf Europa durchschlagen. Deutschland könne dann als „Motor einer Entwicklung“ fungie-ren. „Wir sollten die Freiberu�ichkeit in die EU tragen“, sagte er. Diesem einheitlichen Bekenntnis zur Freiberu�ichkeit schloss sich auch Harald Weinberg, Gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag, an: „Der Gesetzgeber sollte nicht alles bis ins Detail herunterregeln, sondern die Ausgestal-tung den Ärzten und Kammern überlassen.“ Die Grundlagen der Qualität und medizinischen Kompetenz stünden nicht infrage. Die Gesundheitsberufe sollten deshalb von europäischen Dienst-leistungsrichtlinien weiterhin ausgenommen bleiben.

Wie viel Freizügigkeit ist in Gesundheitsfragen möglichBleibt die Frage: Wie freizügig kann die EU für (Zahn-)Ärzte sein? „Wenn man Freizügigkeit sagt, muss man aufpassen, dass man dafür sorgt, dass Regelungen abgescha� werden, die nicht der Qualität oder der Quali�kation dienen“, betonte SPD-Poli-tikerin Gebhardt. „Wir müssen da in Europa sehr aufmerksam bleiben.“ Gewürdigt wurde vom Auditorium, dass die Ansprüche an die Ausbildung ausländischer Zahnärzte, die sich in Deutsch-

land niederlassen wollen, angeglichen wurden: Ein fün�ähriges Studium müsse nachgewiesen werden und 5000 Behandlungs-stunden sowie entsprechende Sprachkenntnisse. Doch, auch wenn es Fortschritte in der europäischen Gesundheitspolitik gibt, wurde am Ende der Diskussion klar: Es ist noch ein wei-ter Weg zur Europäisierung, denn eine simple Vereinfachung führt in eine gesundheitspolitische Sackgasse. Die Zuständig-keit für das Gesundheitswesen solle deshalb auch in Zukun� bei den Mitgliedsstaaten erhalten bleiben, machte Staatssekretärin Widmann-Mauz deutlich. Dass es jedoch sehr wohl gesund-heitspolitische Angleichungsbestrebungen innerhalb der EU gibt, die das bewährte Subsidiaritätsprinzip bedrohten, machte der Europa-Experte des Freien Verbandes Deutscher Zahnärz-te (FVDZ), Ernst-J. Otterbach, im anschließenden Gespräch klar: Er wies auf ein Papier der EU-Kommission hin, dass diese Bestrebungen verdeutliche. Hellhörig ließ dies die Politiker auf dem Podium werden: Mit einem Kommissionspapier sei Alarm-stufe „Rot“ angezeigt, hieß es dort. Mit einem klaren Appell an die berufsständischen Verbände: „Mischen Sie sich ein, bringen Sie ihre Bedenken in die Anhörungsverfahren – das ist notwen-dig bei der Vielzahl von Details im europäischen Prozess.“ Die FVDZ-Vorsitzende Dr. medic/IfM Timisoara Kerstin Blaschke bot den Politikern an, über die Hemmnisse zur Freiberu�ichkeit ins Gespräch zu kommen. Der Spagat zwischen großen Investi-tionen einerseits und verschlechterten Verdienstmöglichkeiten andererseits führe gerade bei jüngeren Kollegen zur Abwan-derung ins Ausland oder gar zur Aufgabe des Berufs. „Mit der viel beschworenen Vereinbarkeit von Familie und Beruf hat das insgesamt wenig zu tun“, betonte Blaschke. „Zahnärzte müssen auch Rahmenbedingungen haben, in denen sie ihren Beruf frei ausüben können.“

Sabine Schmitt

Volle Ränge im Tieranatomischen �eater der Humboldt-Uni-versität: „Europäischen Stier bei den Hörnern packen“

Angeregte Diskussionen auf dem Podium: „Deutsches Modell der Freiberu�ichkeit taugt als Exportschlager für Europa“


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