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Glashütten, im Dezember 2015 - helpalliance.org · Glashütten, im Dezember 2015 Liebe...

Date post: 27-Aug-2019
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Glashütten, im Dezember 2015 Liebe Pachamama-Freunde, das Jahr ist schon bald wieder vorbei, und es ist so viel geschehen. Um dies alles zu berichten, würde es den Rahmen unseres heutigen Briefes sprengen. In diesen Tagen dachte ich daran, wie schwierig teilweise unsere Jahre in Peru waren und wir in den Zeiten des Terrorismus seit der achtziger und dem Beginn der neunziger Jahre sehr leiden mussten, wenn zum Beispiel durch zahlreiche gesprengte Strommasten unsere Stromquellen lahm gelegt wurden (es gab immer Kerzen zu kaufen!!), denn Irgendwie musste man sich dann behelfen, Not macht erfinderisch. Am Schlimmsten war jedoch die Wassernot, die herrschte (in einem Land, in dem Wasser bis heute eine kostbare Besonderheit ist.) So kann ich mich nur zu gut an die Zeiten erinnern als das bereits wenige Wasser noch rationalisiert wurde. Im heißen Sommer gab es manchmal nur einen halb gefüllten Plastikeimer täglich mit Wasser zum Waschen… Dabei fiel mir der beiliegende, 1990 erschienene Artikel eines bekannten Journalisten in die Hände, der die damalige Lebenssituation in seiner Karikatur darstellte. Die Mentalität des Peruaners kann man immer wieder nur bewundern: Es kann noch so schlimm kommen, er wird damit fertig, nimmt vieles gelassener als wir, regt sich natürlich auch vehement auf, und meistert teilweise mit einem uns überraschenden Humor perfekt die schlechteste Situation. Wird es dann aber zu viel, wehrt er sich, geht auf die Straße, macht Krach und Rebellion gegen den Staat, die Institutionen, die Ungerechtigkeit und - schlägt sogar heftig zu. Er geht auf die Straße, streikt, macht auf seine Umstände aufmerksam (mit viel Radau) und sagt offen und laut, was er denkt. Der Peruaner wartet nicht bis alles verloren ist. Die Armen können so oder so nichts mehr verlieren, also wehren sie sich rechtzeitig. Und bevor ich es vergesse: …An einem Tag in Lima sah ich Leute mit Regen- schirmen. Eine ungewöhnliche Situation, denn in Lima regnet es so gut wie nie. Nach Befragung eines Mannes auf der Straße sagte mir dieser, dass er sich vor den Autobomben schützen müsse, die zu der damaligen Zeit keine Besonderheit waren.
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Glashütten, im Dezember 2015

Liebe Pachamama-Freunde,

das Jahr ist schon bald wieder vorbei, und es ist so viel geschehen. Um dies alles zu

berichten, würde es den Rahmen unseres heutigen Briefes sprengen.

In diesen Tagen dachte ich daran, wie schwierig teilweise unsere Jahre in Peru

waren und wir in den Zeiten des Terrorismus seit der achtziger und dem Beginn der

neunziger Jahre sehr leiden mussten, wenn zum Beispiel durch zahlreiche gesprengte

Strommasten unsere Stromquellen lahm gelegt wurden (es gab immer Kerzen zu

kaufen!!), denn Irgendwie musste man sich dann behelfen, Not macht erfinderisch.

Am Schlimmsten war jedoch die Wassernot, die herrschte (in einem Land, in dem

Wasser bis heute eine kostbare Besonderheit ist.) So kann ich mich nur zu gut an die

Zeiten erinnern als das bereits wenige Wasser noch rationalisiert wurde. Im heißen

Sommer gab es manchmal nur einen halb gefüllten Plastikeimer täglich mit Wasser

zum Waschen…

Dabei fiel mir der beiliegende, 1990 erschienene Artikel eines bekannten Journalisten

in die Hände, der die damalige Lebenssituation in seiner Karikatur darstellte. Die

Mentalität des Peruaners kann man immer wieder nur bewundern: Es kann noch so

schlimm kommen, er wird damit fertig, nimmt vieles gelassener als wir, regt sich

natürlich auch vehement auf, …und meistert teilweise mit einem uns überraschenden

Humor perfekt die schlechteste Situation.

Wird es dann aber zu viel, wehrt er sich, geht auf die Straße, macht Krach und

Rebellion gegen den Staat, die Institutionen, die Ungerechtigkeit und - schlägt sogar

heftig zu. Er geht auf die Straße, streikt, macht auf seine Umstände aufmerksam (mit

viel Radau) und sagt offen und laut, was er denkt. Der Peruaner wartet nicht bis alles

verloren ist. Die Armen können so oder so nichts mehr verlieren, also wehren sie sich

rechtzeitig.

Und bevor ich es vergesse: …An einem Tag in Lima sah ich Leute mit Regen-

schirmen. Eine ungewöhnliche Situation, denn in Lima regnet es so gut wie nie. Nach

Befragung eines Mannes auf der Straße sagte mir dieser, dass er sich vor den

Autobomben schützen müsse, die zu der damaligen Zeit keine Besonderheit waren.

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Die Autobomben bewirkten, dass bei großen Gebäuden die Fensterscheiben

erschüttert wurden und dann weit durch die Straßen flogen. Nicht wenige kamen

dabei um oder wurden schwer verletzt. Bei einer gezündeten Autobombe in der Nähe

des größten Museums in Lima (Museo de la Nación) hielt ich mich in der Nähe auf.

Selten hatte ich in meinem Leben einen solchen Schreck bekommen, die Explosion

war immens laut und heftig. Die riesigen Scheiben des Nationalmuseums flogen kreuz

und quer durch die Straßen. Später wurden die Öffnungen erst einmal mit Pappen

geschützt, an Erneuerung war in jener Zeit nicht zu denken, wusste man nie, was am

nächsten Tag passieren konnte.

Geschichtlicher/ politischer Hintergrund:

Die als „Leuchtender Pfad“ bekannte kommunistische Partei Perus ist eine maoistische

Partei und Guerillaorganisation. In der o.g. Zeit war sie besonders aktiv, und während

der bürgerkriegsähnlichen Zustände über 10 Jahre hinweg kostete sie mehr als 70.000

Menschen das Leben.

Bildung:

Als in den Jahren um 1970 das Bildungssystem in Peru eine Öffnung erfuhr, wurden bei

der hauptsächlich indigenen Bevölkerung des Landes besonders große Hoffnungen auf

eine Verbesserung ihrer sozial misslichen Lage geweckt. Diese Hoffnungen wurden

jedoch enttäuscht, denn weiterhin bestimmten andere „Denker“ und finanziell gut situierte

Schichten die Entwicklung der Bildung der indianischen Bevölkerung.

Mit ihrem autochthonen Aussehen (und ohne notwendige Beziehungen) fanden sie trotz

eines regulären Abschlusses an einer staatlichen Universität oftmals keinen Arbeitsplatz.

Diese Tatsache und gewaltige Nichtbeachtung dieser Menschen und ihrer Situation war

unter anderem ein Grund, der den Sendero unterstützte und moralische Zustimmung erteilte,

ab 1980 in den Untergrund zu gehen und mit Anschlägen zu beginnen. Von Anfang an war

das politische Ziel der völlige Umsturz der bestehenden Gesellschaftsordnung, basierend

auf einem Volkskrieg.

Nachdem 1992 unter Präsident Alberto Fujimori der Kopf des Sendero Luminoso (Abimael

Guzmán) und seine Gefolgsleute gefangen wurden, zeigte sich nun auf dem Weg der

Förderung und Bildung in den kommenden Jahren langsam eine positive Entwicklung.

Pachamama kämpfte in den darauf folgenden Jahren immer intensiver für die Möglichkeiten

der uns anvertrauten Kinder – die meisten stammen aus Familien, die aus dem Hochland

kommen und die den Terrorismus erlebten. Die psychologischen Folgen der Ängste und

Entbehrungen, die die Familien erlebten, wurden an die Kinder weitergegeben. Wir können

es an täglichen Verhaltensweisen erkennen, die oft bis zum heutigen Tag in den Kindern

wurzeln.

Durch verschiedene psychologische Studien und Lehrgänge durch Fachpsychologen

eigneten wir uns während der vergangenen Jahre spezielles Wissen über die Problematik

dieser lokalen Entwicklung an und verstanden die Reaktionen der Kinder und jungen

Erwachsenen besser. Dadurch war es dann auch einfacher, sich im täglichen Umgang

mit den vielfältigen Problemen der Kinder in unserem Pachamama Hilfsprojekt

auseinanderzusetzen.

Wird im Allgemeinen über Hilfsprojekte gesprochen, hört man oft den Ausspruch Dritter,

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man helfe armen Kindern. Diese Aussage jedoch genügt nicht, denn die Tragweite einer

solchen Organisation ist viel umfassender und sehr schwierig.

Mir ist klar, dass anfänglich jugendliche Euphorie den Hilfsgeist ungeahnte Kraft sich

entfalten lässt. Eine sozial hilfreiche Tätigkeit benötigt jedoch eine grundlegende und

weitreichende Vorbereitung, am besten durch ein gezieltes Studium, um viele

Zusammenhänge von Grund auf zu lernen bevor man diesen Schritt wagt, sich von (in

Deutschland) Gelerntem und erziehungsmäßig anders gearteten Fundament in eine neue

Welt zu wagen.

Heute können Pachamama glücklicherweise auf Erfolge zurücksehen, nicht nur die

(Aus)bildung unserer Kinder vorangetrieben zu haben und auf diesem Weg weiterzugehen,

sondern ihnen auch andere Werte vermittelt zu haben.

Besonders glücklich und stolz macht es uns, dass es uns doch in den meisten Fällen

gelungen ist, die seelischen Bedrückungen und die Not der Kinder, vielfach ohne ein

zweites Elternteil groß geworden zu sein und die angesprochene Problematik während und

nach dem Terrorismus zu erleben, durch unsere Psychologen bis heute zu behandeln.

Deswegen möchte ich Ihnen ganz besonders im Namen unserer Kinder und unserer

unermüdlichen und sehr geduldigen Mitarbeiter immer wieder danken. Klar, braucht

man für das alles Geld, aber Geld ist auch nicht alles. Die Liebe, die wir den Kindern

geben, ist unser Kapital, dass wir weiterhin arbeiten können. Für die Selbstlosigkeit

unseres Personals bin ich immer wieder dankbar, und unser peruanisches Präsidium

trägt durch viele kleine Gesten innerhalb unserer Arbeitszeit immer wieder dazu bei,

ihnen dieses Gefühl auch zu vermitteln. Wie war es noch?

Unser Projekt ist eine Herzenssache!!

Noch eine wunderbare Geschichte unserer Arbeit in Nasca:

Als unsere Schülerin Patricia am 29.12.2008 bei einem grausamen Autounfall fast ihre

gesamte Familie verlor und es so aussah, dass sie auch noch ihr Augenlicht verlieren würde,

halfen viele unserer Freunde und Mitglieder dabei, für diverse Operationen Mittel zur

Verfügung zu stellen, damit sie ihr Augenlicht behalten konnte. Nicht nur der Verlust

ihres Auges war schrecklich sich vorzustellen, auch ihr Gesicht war total zerschnitten.

Patricia vor dem Unfall

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Nach dem Unfall:

Nach der 1. O.P.

Nach der 2. O.P.

Patricia schrieb uns jetzt zu Weihnachten (Anfang Dez. 2015). Untenstehend

nun ihr ungekürzter übersetzter Text:

Mein Name ist Patricia Catalán, und ich bin 22 Jahre alt. Ich bin aus Nasca, Momentan bin

ich dabei, mein Studium an der Universität für Internationales Business zu beenden. Dies

waren 5 Jahre einer außerordentlichen Belastung und Kraft, die ich eingesetzt habe, doch

ich habe dieses Fach mit ganz großer Freude studieren wollen, auch weil ich mir diesen

Erfolg nach allem Geschehenen auferlegte. Während des Studiums war ich immer auf einem

sehr guten Notendurchschnitt. Das half mir, in verschiedenen Kursen teilnehmen zu können,

die sich immer während der fünf Jahre präsentierten (und die von den Noten abhängen).

Im letzten Jahr hatte ich deswegen die Möglichkeit, innerhalb eines Programms “ Work and

travel” in die USA zu reisen. Dieses Programms besteht in einem kulturellen Austausch-

programm, bei dem man dorthin reisen sowie eine Teilarbeit realisieren darf. Der Sinn der

Sache ist, andere Kulturen kennenzulernen und die Sprache zu lernen.

Meine Erfahrung während des viermonatigen Aufenthaltes in den USA hat mir sehr viel

geholfen, nicht nur wegen der Sprache, sondern auch für meine persönliche Entwicklung und

eine neue Vision meines Lebens zu gewinnen. Nach meiner Rückkehr nahm ich sofort

wieder meine Klassen in der UNI auf, und im Monat August erhielt ich die Nachricht, dass ich

dafür ausgesucht wurde, einen Teil der CADE UNIVERSARIO 2015, in Repräsentation

meiner Universität vorzunehmen. Dieses Ereignis ist ein Kongress, welcher die besten

Schüler aller Universitäten Perus zusammenbringt. Insgesamt waren wir 600 Schüler, die

aus verschiedenen Teilen des Landes ausgewählt wurden. Definitiv war dies die

aufregendste und phantastischste Erfahrung meines Lebens.

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Jetzt sehe ich meine Zukunft voller Illusionen und Hoffnung. Ich habe mir sehr viele Ziele

gesetzt und werde ganz hart daran arbeiten, diese zu erfüllen. Ich kam zu einem Punkt,

der nicht einfach war zu erreichen, weil es auf meinem Weg sehr viele Schwierigkeiten gab.

Ich kann nicht aufhören, der Srta. Nicky und der Asociación Pachamama immer wieder

Dank zu sagen, dass sie mir in meinem schwierigsten Moment im Leben die Hand gaben

und mir zu helfen. Als ich mit 15 Jahren einen schweren Autounfall hatte, bei dem fast alle

meine Familienmitglieder ihr Leben verloren, war dies für mich eine sehr schwere

Lebensperiode für mich. Nicht körperlich, sondern psychologisch. Durch den schweren

Aufprall während des Unfalls musste ich behandelt werden; das war eine sehr kostspielige

Angelegenheit. Auch musste ich zur Behandlung nach Lima fahren, und meine Eltern

konnten dafür nicht alle Kosten aufbringen. Da ich mich damals in der letzten Klasse der

Secundaria (Oberstufe) befand, bin ich der Asociación zutiefst dankbar, die Auslagen für

meine Operationen und Behandlungen übernommen zu haben und dabei gleich (in Lima)

eine gute Schule besuchen zu können, in der sie mich schon auf die Universität

vorbereiteten, an der ich zur Zeit noch studiere (die Schulen in der Provinz sind nicht mit der

Stadt zu vergleichen):

Wenn ich Ihre Hilfe damals nicht erhalten hätte, wäre ich nicht an diesem Punkt, an dem

ich mich heute befinde:

Danke, dass Sie mir ohne eigene Interessen geholfen haben, danke, dass Sie Vertrauen in

mich setzten, danke für die Möglichkeit, die Sie mir gegeben haben, die viele Jugendliche

nicht bekommen, um ihre Fähigkeit zu zeigen, aus der Masse herauszuragen.

Hoffentlich können Sie weiterhin anderen Kindern helfen wie mir. Danke.

Ihre Patricia

Patrica 2015

Für heute schließe ich meinen Bericht und freue mich schon jetzt, in Kürze Ihnen

wieder von allen Neuigkeiten und Veränderungen berichten zu können.

Ihnen meine besten Grüße für die kommenden Festtage und den Jahreswechsel, der

Wechsel zwischen der deutschen und peruanischen Welt schenkt viele Erkenntnisse

in der Lebensphilosophie, Besinnung und auch Demut. In diesem Sinne denke ich an

Sie

Ihre


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