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Geschichte und Literatur im Unterricht der Oberstufe...17 Geschichte und Literatur im Unterricht der...

Date post: 08-Mar-2021
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17 Geschichte und Literatur im Unterricht der Oberstufe Auszüge aus einer Dokumentation am Tag der offenen Tür (Teil 3/1) Zur Pädagogik der 11. Klasse Wer eine Klasse durch die Oberstufe begleitet, wird die Er- fahrung machen können, dass die Atmosphäre, die Stimmung in der 11. Klasse von einer besonderen Innigkeit geprägt ist. Bei der Arbeit an einem modernen, anspruchsvollen Gedicht etwa kann man immer wieder beobachten, dass die Jugendlichen jetzt eine besondere seelische Vertiefung und innere Reifung durch- leben. Ein tieferes Verständnis nicht nur im Sinne rationaler Durchdringung ideeller Zusammenhänge, sondern im Sinne des Mitfühlens und Mitleidens ist spürbar. Hinzu kommt oft ein intensiveres künstlerisches Erleben der Welt – vorausgesetzt, der Weg vom „Kopf“ zum „Herzen“ wurde frei gehalten, wie im Vorangegangenen beschrieben. Das Gefühl, einer Menschen- gemeinschaft und einem Schick- salszusammenhang anzugehören, die Verantwortlichkeit und Ver- bindlichkeit gegenüber eigener und fremder Lebensgestaltung, die Frage nach dem eigenen Ort im sozialen Zusammenhang wird in- nerlich bewegt. Ein verstärktes Engagement für die Sorgen und Nöte der Mitmenschen, auch im globalen Zusammenhang, wird rege. Nicht selten führt diese See- lenlage zu einem Leiden an der Welt, das nach Verwandlung und Erlösung sucht. Die Frage nach dem Sinn des Leidens und einer tieferen Gerechtigkeit im Schick- salszusammenhang wird drängend. Raffael: Justitia. Vatikan, Stanzen
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Geschichte und Literatur imUnterricht der OberstufeAuszüge aus einer Dokumentation amTag der offenen Tür (Teil 3/1)

Zur Pädagogik der 11. KlasseWer eine Klasse durch die Oberstufe begleitet, wird die Er-

fahrung machen können, dass die Atmosphäre, die Stimmung inder 11. Klasse von einer besonderen Innigkeit geprägt ist. Beider Arbeit an einem modernen, anspruchsvollen Gedicht etwakann man immer wieder beobachten, dass die Jugendlichen jetzteine besondere seelische Vertiefung und innere Reifung durch-leben. Ein tieferes Verständnis nicht nur im Sinne rationalerDurchdringung ideeller Zusammenhänge, sondern im Sinne desMitfühlens und Mitleidens ist spürbar. Hinzu kommt oft einintensiveres künstlerisches Erleben der Welt – vorausgesetzt, derWeg vom „Kopf“ zum „Herzen“ wurde frei gehalten, wie imVorangegangenen beschrieben.

Das Gefühl, einer Menschen-gemeinschaft und einem Schick-salszusammenhang anzugehören,die Verantwortlichkeit und Ver-bindlichkeit gegenüber eigener undfremder Lebensgestaltung, dieFrage nach dem eigenen Ort imsozialen Zusammenhang wird in-nerlich bewegt. Ein verstärktesEngagement für die Sorgen undNöte der Mitmenschen, auch imglobalen Zusammenhang, wirdrege. Nicht selten führt diese See-lenlage zu einem Leiden an derWelt, das nach Verwandlung undErlösung sucht. Die Frage nachdem Sinn des Leidens und einertieferen Gerechtigkeit im Schick-salszusammenhang wird drängend.

Raffael: Justitia.Vatikan, Stanzen

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In dieser Situation liegt es nahe, nicht nur theoretisch, sondernim praktischen Tun, etwa in einem Sozialpraktikum, Antwortenzu suchen oder, besser noch, Fragen stellen zu lernen.

Im Hinblick auf die geschichtliche Entwicklung der Mensch-heit scheint die beschriebene Seelenverfassung besonders geeig-net zu sein, ein Verständnis für das Leben und die Kultur dessogenannten „Mittelalters“ zu entwickeln, für dessen Empfin-dungs- und Gemütsinnigkeit, wie sie auch heute noch an denWerken der bildenden Künste nachempfunden werden kann, fürseine tiefe Religiosität und Spiritualität, aber auch für seine oftals „dunkel“ erlebten Geheimnisse und Rätsel und seine innerenWidersprüche. Dem kommt die Tatsache entgegen, dass imLiteraturunterricht dieser Klassenstufe das Parzival-Epos Wolf-rams von Eschenbach zum Unterrichtsstoff gehört, ein Werk,das von den meisten Deutschlehrern zu Recht als unverzichtba-

rer Glanzpunkt des Oberstufenunterrichts angesehenwird. Es gibt wohl in der Literatur kein anderes Werk,das den inneren Zusammenhang von künstlerischerGestaltung und Schicksalskräften tiefer und schönererleben lässt. So kommt der „Waldorf-Lehrplan“ vonTobias Richter folgerichtig zu der Ansicht: „Einewichtige Aufgabe des Geschichtsunterrichtes im 11.Schuljahr ist es, den Boden für ein Verständnis desParzival-Epos zu schaffen. Der Weg, den Parzivalgeht, ist der Weg des Jugendlichen, der auf der Suchenach sich selbst und einem neuen Verhältnis zur Weltist. Die mittelalterliche Geschichte gibt einerseits denHintergrund zu einem Verständnis des Epos, anderer-seits kann sie in den geschichtlichen Entwicklungen alsSpiegelung dieses Weges verstanden werden und kanndamit dem Jugendlichen ein Bild seiner eigenen Ent-wicklung geben.“

Zugleich mit dem tieferen Erleben von Schicksals-beziehungen entwickelt sich aber auch das innere Ge-spür für das Wesen des menschlichen Rechts, wasgemeinhin als Rechtsgefühl bezeichnet wird. Derlandläufigen Meinung, das Juristische gründe sichallein auf den Boden sachlicher Rationalität, steht dieBeobachtung entgegen, dass wir alles Unrecht undjeden Rechtsbruch mit heftiger Emotionalität begleiten.Das Ungerechte wird von Jugendlichen dieser Alters-stufe oft nicht nur mit Empörung angeprangert, son-dern auch stark mit durchlitten. Die Empörung überdas Unrecht, das Gott an ihm begangen habe, ist deremotionale Kern des Zweifels, der Parzival jahrelangquält.

Hildegard von Bingen:Erde, Himmel, Trinitätnach dem Gericht

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Das Rechtsgefühl ist grundlegend für unser Verhältnis zuanderen Menschen, aber auch für das Leben der Völker unter-einander. Es ist zugleich Voraussetzung einer Individualisierung,die nicht in den Exzessen eines entfesselten Egoismus undMachttriebs untergeht. Der Mangel an Rechtsgefühl ist ein we-sentlicher Grund für die Verwilderung der menschlichen Bezie-hungen in den Katastrophen des 20. Jahrhunderts. Dies maggenügen um zu begründen, weshalb der Geschichtsunterrichtsich nicht auf das Mittelalter beschränken sollte, sondern sichzunächst mit jener Kultur beschäftigen sollte, deren wesentlichesCharakteristikum das Juristische ist: mit der Kultur der römi-schen Antike.

Vom göttlichen zum menschlichen RechtWenn wir jene Seite unseres Wesens bezeichnen wollen, die

sich im Leben durchsetzt, die sich von der Welt abgrenzt undsich behauptet, notfalls auch auf Kosten anderer, dann gebrau-chen wir nicht zufällig das lateinische Wörtchen „ego“ für diesesIch. Rom gilt gemeinhin als der Inbegriff des Martialischen undder egoistischen Machtentfaltung. Darauf deutet schon das Ur-symbol dieser Kultur, die Wölfin. Die römische Geschichteerscheint auch zunächst tatsächlich im Wesentlichen als eineAbfolge von Kriegen: dem Gott des Beginnens, dem doppelge-sichtigen Janus, war ein Tempel geweiht, dessen Tür im Kriegoffen stand und in der Geschichte der Stadt bis Augustus nurzweimal für kurze Zeit geschlossen wurde. Schauen wir uns dieMythen und Sagen von der Frühzeit Roms an, so sehen wir eineendlose Blutspur: Die Zwillinge Romulus und Remus entstam-men der Vergewaltigung einer Vesta-Priesterin durch denKriegsgott Mars, sie werdenausgesetzt und von einer Wöl-fin ernährt; bei der GründungRoms ermordet Romulus sei-nen Bruder, wie es heißt, imStreit um die Stadtgrenze;Ausgestoßene und Verbrecherbevölkern schließlich die Stadt,durch Raub bemächtigt mansich der Frauen der benach-barten Sabiner.

Solche Volkssagen, wieman sie beispielsweise beiLivius findet, werden von derGeschichtsforschung gern als„bloße Literatur“ abgetan, doch

Romulus und Remus,kapitolinische Wölfin

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bringen sie, ähnlich wie die religiösen Mythen, oft gerade dasCharakteristische einer Kultur oder eines Volkes zum Ausdruck.Hier mag es allerdings verwundern, dass solche Bilder des E-goismus im Sagenkreis einer Kultur eine derart große Rollespielen. Doch lässt sich leicht einsehen, dass sie keineswegszufällige Anekdoten einer überwundenen Vergangenheit dar-stellen, sondern durchaus kennzeichnend für das Wesen der

römischen Kultur sind, ja geradezu denBoden für das römische Selbstver-ständnis bilden: An ihnen soll sichnämlich die gesellschaftsbildende Kraftdes Rechts erweisen.

Ursprünglich war dieses Recht nochin der Hand der Priester, war „fas“, dasgöttliche Recht, das die Priester demGötterspruch ablauschten – das Wortkommt von fari = aussprechen und hatdieselbe Wurzel wie fatum, das Schick-sal. Während wir am Beispiel Grie-chenlands sehen konnten, wie die Ent-

wicklung „vom Mythos zum Logos“ verlief, wie die göttlicheWeisheit die Tempel verließ und zum menschlichen Wissen,zum logischen Denken in Wissenschaft und Philosophie wurde,so können wir in der Kulturentwicklung Roms als Grundideeden Übergang vom göttlichen zum menschlichen Recht, vom„fas“ zum „ius“ beobachten.

Zunächst musste sich das Recht durch äußere DisziplinierungGeltung verschaffen – die „legio“, die Heeresabteilung mit ih-rem militärische Drill, und das „Gesetz“, lex, sind nicht nursprachlich verwandt.

Der Anfang Roms ist nach der Sage der Zustand der Wildheitund Gesetzlosigkeit. Die Gründer Roms sind Räuber und Aben-teurer, die von den ihrigen ausgestoßen sind oder einem zügel-losen Leben zuliebe sich von ihnen losgerissen haben, Götterund Familie daheimlassend und nichts mitbringend als ihren Armund ihr Schwert. Sie sind ein Aggregat von Individuen, von Ato-men, durch nichts vereinigt als durch ihren wilden Sinn und dengemeinsamen Zweck des Raubens… Als die einzigen Bindemit-tel des wilden Haufens werden Ordnung und Recht zur Herr-schaft gebracht, und als Schirmerin derselben das Königtumerrichtet… Ein zusammengelaufener Haufe von Abenteurern…,nicht gewohnt an Gesetz und Ordnung, bedarf der eisernenZuchtrute der militärischen Disziplin, um Zucht und Gehorsam zuerlernen, aber was der Vater erlernt hat, kommt dem Sohn zu-gute, was dieser, dem Enkel, und der Urenkel in der Soldatenfa-milie ist bereits ein guter Bürger, auch ohne Soldat zu sein.

Kopf der kapitolinischenWölfin

Rudolf von Jhering: DerGeist des römischen Rechts,Leipzig 1878, S.94f

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Der geheime Name RomsWas zunächst als bloßer Zwang, als schiere Gewalt erscheint,

offenbart im Laufe der Geschichte noch eine andere Seite. Dieskann uns eine der berühmtesten römischen Sagen vor Augenführen, die Erzählung von Mucius Scaevola, die Livius in „Aburbe condita“ aus der Anfangszeit der Republik erzählt, als Romvon dem Etruskerkönig Porsenna belagert wurde.

Nichtsdestoweniger war höchste Not durch die Belagerungund mit der Teuerung des Getreides, und Porsenna hatte dieHoffnung, dass er die Stadt erobern wird, wenn er dableibt, – alsGaius Mucius, ein vornehmer Jüngling, dem es unwürdig er-schien, dass das römische Volk diente, … beschloss freiwillig indas Lager der Feinde einzudringen… Nachdem er einen Dolchim Gewand verborgen hatte, brach er auf. – Sobald er dorthingekommen war, stand er in einer dichtgedrängten Schar nahedem königlichen Thron. Als dort zufällig den Soldaten der Soldausgezahlt wurde und ein Schreiber bei dem König saß undvieles tat, beinahe mit gleichem Schmuck, und als die Soldatenin Massen zu diesem hingingen, wagte er nicht sich zu erkundi-gen, wer von den Beiden Porsenna sei, damit er nicht durchseine Unkenntnis selbst verriet, wer er sei. So tötete er denSchreiber anstatt des Königs, indem er die Tat auf gut Glückdurch das Schicksal vollstreckte… Vor den Thron des Königsgestellt sagte er dann, selbst unter so großen Drohungen für sein

Fasces nannte man die Rutenbündel, zeitweise mit einemBeil bestückt, die von den Liktoren als Zeichen der Staats-gewalt getragen wurden. Sie begleiteten die hohen Amts-träger als Zuchtruten und als Zeichen der Unbeugsamkeitund Festigkeit des Gesetzes. Mussolini hat das Zeichen der„großen Vergangenheit Roms“ zum Symbol und Namens-geber des „Faschismus“ gemacht. Merkwürdig ist, dassdieses Zeichen keine Ächtung erfuhr wie das Hakenkreuz,sondern sich bis heute als Sinnträger großer Beliebtheiterfreut. – Abbildungen von links: Fez der italienischen„Schwarzhemden“, Wappen des Kantons St. Gallen, Red-nertribüne des amerikanischen Repräsentantenhauses.

Eine Welt zwar bist du, o Rom;doch ohne die Liebewäre die Welt nicht die Welt,wäre denn Rom auch nicht Rom.

Goethe, Römische Elegien

Livius, Ab urbe condita, II,12

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Schicksal eher furchtbar als sich fürchtend: „Ich bin römischerBürger, sie nennen mich Gaius Mucius. Ich wollte als Feind denFeind töten, und habe nicht weniger Mut zum Sterben als ich Mutzum Töten hatte. Sowohl tapfer zu handeln als auch tapfer zuerdulden ist römisch. Und ich habe nicht als einziger diese Ge-danken gegen dich geführt. Die Reihe derer, die dieselbe Hel-dentat anstreben, ist lang nach mir… Wir, die römische Jugend,erklären dir diesen Krieg. Du wirst keine Schlacht und keinenKampf zu fürchten haben, du wirst es mit einzelnen zu tun ha-ben.“… Und er legte die rechte Hand in die Fackel, die zum Op-fer angezündet worden war, und verbrannte sie gleichsam emp-findungslos. Nachdem der König, erschreckt durch das Wunder,beinahe von seinem Thron herabgesprungen war, befahl er, dassder Jüngling von den Altären weggeführt werde… „Gehe fort, duhast gegen dich mehr als gegen mich gewagt. Ich würde dirgroße Bewunderung zollen, wenn diese Tapferkeit für mein Va-terland wäre. Nun lasse ich dich hiermit vom Kriegsrecht frei,unverletzt und unberührt.“…

Die Episode zeigt mehr als das viel belächelteIdealbild bürgerlicher Tugend. Die Fähigkeitender Opferbereitschaft, der Selbstverleugnung fürdas Gemeinwesen aus eigenem freien Willen, derStandhaftigkeit und Aufrichtigkeit waren Ele-mente jenes altrömischen Charakters, der imhohen Maße kulturprägend war und die Ent-wicklung des Rechtsgefühls entscheidend mitge-tragen hat. Für jemanden „die Hand ins Feuerlegen“ wurde zum Urbild der sozialen Verbind-lichkeit und Zuverlässigkeit. In der folgendenGeschichte vieltausendmal missbraucht, nichtzuletzt von den Römern selbst, sind diese Tugen-den dem modernen Menschen suspekt geworden.Es empfiehlt sich deshalb, die Bedeutung solchermenschlichen Qualitäten für die Gemeinschaft imUnterricht zu erarbeiten. Sie begründen nicht nurdas zwischenmenschliche Recht, die Beziehung

zwischen eigenständigen Rechtssubjekten, ohne sie kann auch,wie die Geschichte zur Genüge belegt, keine noch so idealerdachte Gesellschaftsform bestehen.

Dies kann Anlass bieten, über die Frage der Vertragsfähig-keit und Mündigkeit zu sprechen. Dabei kann deutlich werden,dass diese keineswegs allein vom Alter oder der Gesundheitbedingt sind. Das 20. Jahrhundert zeigt uns das schrecklicheBeispiel eines politischen „Führers“, dessen Vertragsunfähigkeitvon seinen Partnern teils nicht gesehen, teils ignoriert wurde.Aber auch im Privaten wird man mit niemandem einen Vertragabschließen, von dem man erwartet, dass er sich nicht daran

Rubens: Scaevola

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halten will oder halten kann. Tut man es dennoch, ist man ent-weder besonders naiv oder besonders gerissen. Wenngleich wirunser Augenmerk gewöhnlich auf das kodifizierte Vertragsrechtrichten, dessen Grundlagen im antiken Rom gelegt wurden,spielt sich die eigentliche Rechtsbeziehung zwischen mehr oderweniger mündigen Menschen ab und ist Sache seelisch-geistigerBildung. Hier begegnet der Mensch „seines-gleichen“, und dieFrage ist ebenso spannend wie dringlich: wo befindet sich heute,in Zeiten der Globalisierung, wo nicht mehr Römer dem Römer,sondern der Mensch dem Menschen gegenübersteht, die Sphärerechtlicher Verbindlichkeit?

In den genannten Tugenden äußert sich eine andere Seite desrömischen Wesens, die von der bloß martialischen überlagertwird: sich ver-tragen setzt die Fähigkeit voraus, etwas durchzu-tragen. Der Kult der Vesta-Priesterinnen lässt etwas vom geisti-gen Ursprung dieser Kraft ahnen: schon in der Kindheit wurdensie dazu ausersehen, in völliger Reinheit und Selbstlo-sigkeit das Heilige Feuer zu hüten und damit dieRückbindung („religio“) zum kulturellen und geistigenUrsprung zu bewahren. Dieser wurde denn auch in derGöttin Venus als Mutter des Aeneas gesehen – sobetrachtet erhält die Sage von der Vestalin Rhea Sil-via, der von Mars vergewaltigten Mutter der Zwillin-ge, einen tieferen Sinn. Verschiedene Autoren spre-chen auch von einem verborgenen, „geheimen NamenRoms“, wie der spätantike griechische SchriftstellerJohannes Lydus: „Der Mysterienname bedeutet Liebe(Amor), damit alle durch göttliche Liebe für die Stadtbegeistert werden sollten… Der politische Name hießRoma… Der Mysterienname war aber nur den Pries-tern bei ihren heiligen Handlungen auszusprechenerlaubt, und es wird überliefert, dass ein Eingeweihtereinstmals bestraft worden sei, weil er gewagt habe, vorder Menge den Mysteriennamen der Stadt offen aus-zusprechen.“ (Nach Erwin Horstmann, Der geheimeName der Stadt Rom)

Man mag die Beziehung Roma – Amor für bloße Wortspiele-rei halten, sie kann uns immerhin den Gedanken nahe bringen,dass Egoismus und Machtstreben nur eine Seite des civis Roma-nus, des Römischen Bürgers, darstellen; eine andere äußert sichin einem hochentwickelten Pflichtbegriff, der Verlässlichkeit,Verbindlichkeit, Vertrauen zwischen den Menschen begründet.Diese verbindende Kraft der Gesellschaftsbildung hat auf einerbestimmten Stufe der Menschheitsentwicklung eine große erzie-herische Bedeutung, ähnlich wie auch in der Entwicklung derindividuellen Persönlichkeit. In ihr äußert sich die herbe und

Reste des Vesta-Tempels, Rom

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strenge Seite einer Liebe, die über die bloße Sympathie hinaus-geht und Selbstüberwindung und Selbsterziehung als Vorausset-zung für menschliche Freiheit ermöglicht. Die Blütezeit derRepublik erwuchs aus einem tiefen Rechtsgefühl, das eine At-mosphäre des gegenseitigen Vertrauens, insbesondere auch ge-genüber den politischen Repräsentanten des römischen Ge-meinwesens, begründete. Die Zwölftafelgesetze waren auf demforum Romanum ausgestellt, und die Kinder lernten sie in derSchule auswendig.

Die Römer haben schließlich alles unter dem Aspekt desRechts angeschaut, sogar ihre Beziehung zu den Göttern. So wares etwa üblich, die Götter der Feinde durch „Evocation“ auseiner belagerten Stadt „herauszurufen“, indem man ihnen eineArt Vertrag anbot und Verehrung, „Tempel und Spiele“ ver-sprach. Selbstverständlich musste auch der Krieg immer ein„gerechter Krieg“, ein bellum iustum sein, wobei die römische„Wölfin“ eine raffinierte Spitzfindigkeit darin entwickelte, dasRecht auf ihre Seite zu ziehen. (Die Parallelen zu zeitgeschicht-lichen Vorgängen sind auffallend.) Gerade die zahllosen siegrei-chen, das Machtgefühl immer weiter anstachelnden Kriege unddie damit verbundene ungeheure Machtausweitung waren dafürverantwortlich, dass im Laufe der Jahrhunderte das Rechtsgefühlimmer mehr korrumpiert wurde. Aus dem lebendigen Rechtentwickelte sich allmählich ein Buchstabenrecht, das zur Recht-fertigung eigener Machtinteressen diente und eine machtvolleWaffe in der Hand der Privilegierten wurde, während die großeMasse der Bevölkerung in die Unmündigkeit abglitt. Vor allemdie Kriege gegen die Karthager hatten verheerende Folgen fürdie siegreichen Römer.

PersonaIm ausgewogenen Zusammenspiel einer klugen politischen

Ordnung – der res publica, das heißt der „öffentlichen Sache“,die Angelegenheit jedes Bürgers sein sollte – mit den bürgerli-chen Tugenden, wie sie sich im Laufe der Zeit verinnerlichthaben, bildet sich in Rom die selbstbewusste Person heraus. DasWort persona bedeutet Maske, wobei die Herkunft umstritten ist:kommt es von personare, was soviel wie „durchtönen“ heißt,oder vom etruskischen Erdgott persu – in jedem Fall deutet esauf ein Bewusstsein von der Unterscheidung zwischen geistigerSubstanz und irdischer Erscheinung. Dabei wird aber die Beto-nung gerade auf die „irdische Maske“, die Person gelegt. DerSchriftsteller Polybios berichtet von einer alten römischen Tra-dition:

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Wenn in Rom ein angesehener Mann stirbt, wird er im Lei-chenzug in seinem ganzen Schmuck nach dem Markt zu densogenannten rostra, der Rednertribüne1, geführt, meist stehend,so dass ihn alle sehen können, nur selten sitzend. Während dasganze Volk ringsherum steht, betritt entweder, wenn ein erwach-sener Sohn vorhanden und anwesend ist, dieser, sonst ein ande-rer aus dem Geschlecht die Rednertribüne und hält eine Redeüber die Tugenden des Verstorbenen und über die Taten, die erwährend seines Lebens vollbracht hat. Diese Rede weckt in derMenge, die durch sie an die Ereignisse erinnert wird und siewieder vor Augen gestellt bekommt, und zwar nicht nur bei denMitkämpfern, sondern auch bei den nicht unmittelbar Beteiligten,ein solches Mitgefühl, dass der Todesfall nicht als ein persönli-cher Verlust für die Leidtragenden, sondern als ein Verlust fürdas Volk im ganzen erscheint. Wenn sie ihn dann begraben undihm die letzten Ehren erwiesen haben, stellen sie das Bild desVerstorbenen an der Stelle des Hauses, wo es am besten zusehen ist, in einem hölzernen Schrein auf. Das Bild ist eine Mas-ke, die mit erstaunlicher Treue die Bildung des Gesichts undseine Züge wiedergibt. Diese Schreine öffnen sie bei den großenFesten und schmücken die Bilder, so schön sie können, undwenn ein angesehenes Glied der Familie stirbt, führen sie sie imTrauerzug mit und setzen sie Personen auf, die an Größe undGestalt den Verstorbenen möglichst ähnlich sind… Sie fahren aufWagen, denen Rutenbündel und Beile und die anderen Insigniendes Amtes, je nach der Würde und dem Rang, den ein jeder inseinem Leben bekleidet hat, vorangetragen werden, und wennsie zu den rostra gekommen sind, nehmen alle in einer Reihe aufelfenbeinernen Stühlen Platz. Man kann sich nicht leicht eingroßartigeres Schauspiel denken für einen Jüngling, der nach

1 Auf dem Forum Romanum, s.u.

Das Forum Romanum heute

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Ruhm verlangt und für alles Große begeistert ist. Denn die Bilderder wegen ihrer Taten hochgepriesenen Männer dort alle ver-sammelt zu sehen, als wären sie noch am Leben und beseelt,wem sollte das nicht einen tiefen Eindruck machen? Was könntees für einen schöneren Anblick geben? Wenn nun der Rednerüber den, den sie zu Grabe tragen, gesprochen hat, geht er zuden anderen über, die da auf den rostra versammelt sind, undberichtet, mit dem Ältesten beginnend, von den Erfolgen undTaten eines jeden. Da auf diese Weise die Erinnerung an dieVerdienste der hervorragenden Männer immer wieder erneuertwird, ist der Ruhm derer, die etwas Großes vollbracht haben,unsterblich …

Die Verehrung der irdischen Person und ihrer äußeren Tatennimmt im Laufe der zahllosen Eroberungszüge immer extremereFormen an. Plutarch schreibt über den Triumphzug des AemiliusPaullus, als dieser im Jahre 167 v. Chr. siegreich von seinemGriechenlandfeldzug zurückkehrte:

Der festliche Umzug war auf drei Tage verteilt, von welchender erste kaum für die erbeuteten Bildsäulen, Gemälde und Ko-

lossalstatuen ausreichte, die auf zweihun-dertfünfzig Wagen vorbeigefahren und zurSchau gestellt wurden. Am folgenden Tagewurden die schönsten und kostbarsten dermakedonischen Waffen auf vielen Wagenvorgeführt, die an sich schon vom Schimmerneupolierten Erzes und Eisens glänzten undmit absichtsvoller Kunst so zusammengelegtwaren, dass es aussah, als habe man siebeliebig, wie es kam, übereinandergeworfen…Hinter den Wagen mit den Waffen marschier-ten dreitausend Männer mit Silbergeld in sie-benhundertfünfzig Gefäßen von je drei Talen-ten Gewicht, deren jedes von vier Mann ge-tragen wurde. Andere trugen silberne Misch-krüge, Trinkhörner, Schalen und Becher, wohlgeordnet für die Betrachtung und alle vonaußerordentlicher Größe und Schönheit dergetriebenen Arbeit.

Am dritten Tage gleich frühmorgens zogenTrompeter auf… Hinter diesen wurden hun-dertzwanzig gemästete Ochsen mit vergolde-ten Hörnern geführt, geschmückt mit Bändernund Kränzen. Die jungen Männer, die sieführten, schritten einher im Schmuck schön-gewebter Schurze für die Opferhandlung undmit ihnen Knaben, die silberne und goldeneOpferschalen trugen. Nach diesen kamendann die Leute, welche die Goldmünzen tru-gen, in derselben Weise wie das Silbergeld

„Die Ideologie der Macht“Augustusals Pontifex Maximus

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auf Gefäße von je drei Talenten Gewicht verteilt; die Zahl derGefäße betrug siebenundsiebzig. An diese schlossen sich dieMänner, welche die heilige Schale emporhielten, die Aemiliusaus zehn Talenten Gold, geschmückt mit Edelsteinen, hatteherstellen lassen…

Zum Beginn der Kaiserzeit schließlich hat die Vergottungder Person einen kaum noch zu übertreffenden Höhepunkt er-reicht. So lesen wir bei Cassius Dio über den Tod des Augustus,des „Erhabenen“, der sich selbst als Imperator Caesar divi filiusAugustus, als Sohn des Göttlichen, bezeichnete:

Der Senat erklärte Augustus für unsterblich und bestimmtefür ihn Priester und heilige Kulte und bestimmte Livia, die bereitsJulia und Augusta genannt wurde, zu seiner Priesterin; und sieerlaubten ihr, bei ihren Kulthandlungen sich eines Liktors zubedienen. Jene aber wendete einem Numerius Atticus, einemSenator und gewesenen Praetor, eine Million Sesterzen zu, da ergeschworen hatte, er habe Augustus zum Himmel auffahrensehen… Und ihm wurde in Rom ein Heiligtum errichtet auf Be-schluss des Senates, erbaut von Livia und Tiberius, und anderean vielen anderen Plätzen, mit oder auch ohne den Wunsch derjeweiligen Städte. Auch das Haus in Nola, in dem er verschiedenwar, wurde zum heiligen Bezirk erhoben…

Nie zuvor hatte eine menschliche Persönlichkeit eine solcheMachtfülle besessen, ohne geistige Legitimation durch einePriesterschaft – den inzwischen sinnentleerten Titel des PontifexMaximus, des „Obersten Brückenbauers“, führte Augustusselbst. Das Spekulieren auf alte Einweihungsriten und der „Cä-sarenwahn“ nachfolgender Kaiser folgt aus diesem schwindeler-regenden Gipfel äußerer Macht. Man spürt, wie die Krise derPersönlichkeit in die menschliche Dekadenz hineinführt, dieAhnung, dass nur durch eine Tat, eine „Handreichung“ aus dergeistigen Welt der Niedergang des Menschen abgewendet wer-den kann, der aus eigenen Kräften heraus zu einer Wandlungnicht fähig ist, taucht in sensiblen Zeitgenossen auf. So dichtetVergil etwa eine Generation vor Christi Geburt in der viertenEkloge seiner Hirtengedichte imaginativ-prophetisch vom neuenAion, vom neuen Weltenkeim, der als messianisches Kind er-scheint.

Letzte Weltzeit brach an – Prophetie der Sibylle von Kyme: /Groß von Anfang an neu wird geboren der Zeitalter Reihe. /Schon kehrt wieder die Jungfrau, kehrn wieder saturnische Rei-che, / schon wird neu ein Sprößling entsandt aus himmlischenHöhen. / Sei nur dem eben geborenen Jungen, mit dem dasGeschlecht von / Eisen vergeht und in aller Welt das von Goldwieder aufsteht, / sei nur, Lucina, du reine, ihm gut; schonherrscht dein Apollo!

Römische Sesterze mit KaiserCaligula, der dem göttlichenAugustus opfert

Geschlossener Janustempel

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Der AbgrundWenn auch der Janus-Tempel geschlossen war, die gesell-

schaftliche Wirklichkeit der „Pax Augusta“ war alles andere alsfriedlich. Der Vergottung Einzelner stand als Gegenstück dieVertierung, die Bestialisierung der Massen gegenüber. Währenddas Zentrum Roms mit Triumphbögen und anderen Prachtbautenvollgestopft wurde, füllten sich die Wohnviertel mit billigenMietskasernen für das Lumpenproletariat, das sich vor allem ausder im Krieg verarmten Landbevölkerung rekrutierte. AlsStimmvieh und Almosenempfänger vegetierte es dahin undmusste mit „Brot und Spielen“ bei Laune gehalten werden.

Wenn wir nach fast 2000 Jahren Christentum die Arena einesrömischen Amphitheaters betreten, haben wir das Empfinden, indie Hölle des Altertums hinabzusteigen. Unser Verständnis reichtnicht mehr aus, um die Verwirrung zu begreifen, der dieses Volkverfallen ist, indem es das munus, das Menschenopfer, in einvom ganzen Gemeinwesen freudig gefeiertes Fest verwandelteund unter allen Vergnügungen, die man ihm bot, das Morden vonMenschen am liebsten sah, die man nur bewaffnet hatte, damitsie einander vor seinen Augen töteten… Seit Augustus gehörtendie munera genau so zu den offiziellen und vorgeschriebenenVeranstaltungen wie die ludi im Theater und im Zirkus, ja siewaren das kaiserliche Schauspiel par excellence. Zur selben Zeitwurden ihnen auch von Staats wegen großartige Gebäude zurVerfügung gestellt, die eigens für diese Zwecke gebaut warenund deren Form … uns heute als eine gewaltige Neuschöpfungder Architektur der Kaiserzeit erscheint: das Amphitheater… Wiebei den ludi wurden Wetten abgeschlossen, und da zu befürch-ten war, dass infolge eines geheimen Übereinkommens zwi-

schen den Kämpfern derWaffengang nur ein Schein-gefecht sein könnte, hieltsich ein Abrichter in ihrerNähe, der, sooft es nötigschien, den unter seinemBefehl stehenden „Knuten-meistern“, die Weisung gab,den Kampfeseifer derFechter durch entsprechen-de Zurufe anzuspornen:„Schlag zu!“, „Erstich ihn!“,„Brenn’ ihn!“ oder auchkräftigere Mittel anzuwen-den, nämlich die Kämpfermit Lederriemen blutig zuschlagen. Bei jeder Ver-wundung, die einer derGegner davontrug, ging eine

Ruinen des Colosseums

Jerome Carcopino: Das Alltags-leben im alten Rom, Wien 1949

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Welle hässlicher Leidenschaft durch die Menge der Zuschauer,die für ihre Einsätze zitterten. Sobald derjenige wankte, gegenden sie gewettet hatten, konnten sie sich nicht mehr halten vorwiderlicher Fröhlichkeit und verkündeten schreiend die Treffer:„Er hat einen (habet)!“,,Jetzt hat er einen (hoc habet)!“ Es wareine barbarische Freude, die sie über den Sieg ihres Heldenempfanden, wenn sie den Gegner unter einem tödlichen Hiebzusammenbrechen sahen… Meistens war der Besiegte nur be-täubt oder verwundet, aber nicht zu Tode getroffen. Aber außer-stande den Kampf fortzusetzen, streckte er die Waffen, legte sichauf den Rücken und hob die linke Hand zum Zeichen, dass erum Gnade bat… Wenn der Besiegte sich tapfer gewehrt hatte,schwenkten die Zuschauer ihre Taschentücher, hoben ihrenDaumen empor und schrien: Mitte! – „Las ihn laufen!“ Wenn derKaiser ihrem Wunsche willfahrte und wie sie seinen Daumennach oben richtete, war der Besiegte begnadigt und lebendaus der Arena entlassen. Wenn die Zuschauer dagegen derMeinung waren, dass er durch seinen schwächlichen Wider-stand seine Niederlage verdient hatte, richteten sie ihreDaumen nach unten und schrieen: Jugula! – „Erstich ihn!“Und der Kaiser befahl ruhig, indem er dasselbe Zeichen mitdem Daumen machte, pollice verso, den zu Boden gestreck-ten Gladiator zu töten…

Es scheint zunächst provozierend, wenn man Vergleichemit der modernen Massengesellschaft zieht, mit der tosendenHysterie etwa, wie sie auf den großen Massenveranstaltun-gen im 20. Jahrhundert üblich geworden sind. Die Frage abermuss erlaubt sein, ob vielleicht zukünftige Zeitalter die bro-delnden Instinkte auf solchen Veranstaltungen – man mussnicht immer an die Nazis denken – als ähnlich widerwärtigempfinden, wie wir heute die römischen Amphitheater.

Gegen die Romanisierung der Geschichte –der jüdische Kulturimpuls

Einerwird den Ballaus der Hand der furchtbarSpielenden nehmen…

Nelly Sachs

Halten wir neben die Darstellung der römischen „Spiele“ dieBeschreibung, die Philo von Alexandrien von der Lebensge-meinschaft der Essäer gibt – ein größerer Gegensatz ist kaumvorstellbar.

Auch Palästina, wo ein nicht geringer Teil des überaus men-schenreichen Judenvolkes wohnt, ist nicht unfruchtbar an edlerTugend. Unter ihnen gibt es diejenigen, die man Essäer nennt,

Propagandabild: Mussoliniposiert vor dem Colosseum

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über viertausend an der Zahl… Sie bringen keine Tieropfer dar,sondern sind bestrebt, die eignen Gedanken und Gesinnungenso zu gestalten, dass sie zum heiligen Dienst geeignet sind. Siewohnen vorwiegend in dörflichen Zusammenhängen. Die Städtevermeiden sie wegen der unter den Stadtbewohnern üblichenVerkommenheit… Schätze von Gold und Silber sammeln sienicht, auch lassen sie sich nicht durch die Sucht nach Besitzdazu verleiten, größere Stücke Landes zu erwerben. Sie wollenvielmehr genau nur das, was zum Leben notwendig ist, besitzen.Sie sind fast die einzigen unter allen Menschen, die ohne Habund Gut leben, und zwar mehr aus tätiger Absicht als aus Mangelan Glück. Und dennoch halten sie sich für die reichsten Men-schen, indem sie Genügsamkeit und Gelassenheit, worin manihnen zustimmen muss, als den besten Reichtum betrachten…Unter ihnen gibt es keinen einzigen Sklaven; sie sind alle frei undhelfen und dienen einander. Sie verurteilen alle Herrenmen-schen, nicht nur als ungerecht, weil sie die Gleichheit verletzen,sondern auch als gottlos, weil sie die Ordnung der Natur zerstö-ren, die wie eine Mutter alle Menschen auf gleiche Art geborenhat und ernährt.

Wie auch immer das Verhältnis der Essäer zu Johannes demTäufer oder zu Jesus gewesen sein mag: wir haben es hier miteiner Gemeinschaft zu tun, deren Leben ganz entgegen der Zeit-strömung nicht auf die Vergottung der Person, sondern auf dieErwartung einer zukünftigen Herabkunft des Geistig-Göttlichenausgerichtet ist. Was ein solcher „Ausstieg“ aus der Gesellschaftbedeutet, wie er zu beurteilen oder zu rechtfertigen ist, kann imUnterricht Gegenstand einer gründlichen Diskussion sein, denndie Problematik ist hochaktuell und berührt die Lebensfragen derJugendlichen. Handelt es sich hier bloß um Weltflucht, oder istes nicht eher ein alle „Persona“ übersteigender geistiger Indivi-dualismus? Woher kommt die Kraft zu einem solchen Leben?Mit solchen Überlegungen wird man die römische Wölfin einezeitlang abschütteln und sich dem zukunftsweisenden, heilsge-schichtlichen Messianismus des Judentums zuwenden. Von hieraus kann man die Geschichte in ihren Grundzügen bis in diehalbmythische Frühzeit zurückverfolgen.

Gerade bei der Erarbeitung des jüdischen Kulturimpulses mitseiner weltumspannenden Bedeutung und seiner tiefgründigengeschichtlichen Symbolik – manches davon „schlummert“ inden Seelen noch aus den biblischen Erzählungen der Unterstu-fenzeit – kann man oft staunend erleben, welche tiefen Einsich-ten sich in den jungen Menschen auftun, wenn man in einem„rhythmischen Teil“ zum Unterrichtseinstieg ein anspruchsvol-les Sprachkunstwerk erarbeitet. Die überwältigend schönen undeindringlichen Gedichte von Nelly Sachs etwa können, behut-sam und gründlich erschlossen, eine Atmosphäre schaffen, in der

Prophet Elias,byzantinische Ikone

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Zusammenhänge erfahrbar werden, die der rationalen Erörterungkaum zugänglich sind. Das folgende Gedicht etwa mag zumVerständnis der Rolle des Prophetentums in der jüdischen Ge-schichte beitragen, es hat aber auch zugleich einen unmittelbarenBezug zur inneren Verfassung der römischen Gesellschaft unddarüber hinaus Weltgeltung für unsere aktuelle Gegenwart.

WENN DIE PROPHETEN EINBRÄCHENdurch Türen der Nacht,den Tierkreis der Dämonengötterwie einen schauerlichen Blumenkranzums Haupt gewunden –die Geheimnisse der stürzenden und sich hebendenHimmel mit den Schultern wiegend –für die längst vom Schauer Fortgezogenen –Wenn die Propheten einbrächendurch Türen der Nacht,die Sternenstraßen gezogen in ihren Handflächengolden aufleuchten lassend –für die längst im Schlaf versunkenen –Wenn die Propheten einbrächendurch Türen der Nachtmit ihren Worten Wunden reißendin die Felder der Gewohnheit,ein weit Entlegenes hereinholendfür den Tagelöhnerder längst nicht mehr wartet am Abend –Wenn die Propheten einbrächendurch Türen der Nachtund ein Ohr wie eine Heimat suchten –Ohr der Menschheitdu nesselverwachsenes,würdest du hören?Wenn die Stimme der Prophetenauf dem Flötengebein der ermordeten Kinder blasen würde,die vom Märtyrerschrei verbrannten Lüfte ausatmete –wenn sie eine Brücke aus verendeten Greisenseufzern baute –Ohr der Menschheitdu mit dem kleinen Lauschen beschäftigtes,würdest du hören?Wenn die Prophetenmit den Sturmschwingen der Ewigkeit hineinführenwenn sie aufbrächen deinen Gehörgang mit den Worten:Wer von euch will Krieg führen gegen ein Geheimniswer will den Sterntod erfinden?Wenn die Propheten aufständenin der Nacht der Menschheitwie Liebende, die das Herz des Geliebten suchen,Nacht der Menschheitwürdest du ein Herz zu vergeben haben?

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Die römische Republik versank letztlich in der Dekadenz desKaisertums mit seiner Vergottung einzelner Persönlichkeitenund seiner entmenschlichten Massengesellschaft, in der dieRechtlosen, die Sklaven, den niedersten Instinkten geopfertwurden und die in den Exzessen der Christenverfolgung ihrengrausigen Gipfel erreichte. In den folgenden Jahrhunderten ginges vor allem darum, ein gigantisches Imperium zu verwalten,dessen Schwerpunkt sich unaufhaltsam vom Zentrum Rom zurPeripherie verschob, und dabei das „römische Wesen zu mumi-fizieren“2, um es als herrschende Zivilisation über die Jahrhun-derte oder gar Jahrtausende zu retten. Ziehen wir nun in derGeschichtsbetrachtung eine direkte Entwicklungslinie vom„spätantiken Zwangsstaat“ über die unsägliche Ehe Roms mitdem Christentum zur Völkerwanderung und der Herausbildungder fränkischen Vorherrschaft in Europa, dann haben wir die„Weltgeschichtsschreibung zu einer durchaus römisch-parteilichen fable convenue“2 gemacht.

Dies geschieht auch heute noch in den meisten Schulbü-chern. Dabei ist es erschreckend, dass auch in Deutschland diejüdische Geschichte und Kultur weiterhin ignoriert werden. Ineiner „Orientierungshilfe für Lehrplan- und Schulbucharbeitsowie Lehrerbildung und Lehrerfortbildung“ des Leo-Baeck-Instituts heißt es deshalb über deutsche Schulbücher: „Judenerscheinen zumeist nur als Objekte, Verfolgte und Opfer desHolocaust…“ Statt dessen sollte deutlich gemacht werden: „DieJuden waren im Verlauf der Geschichte nicht nur Objekte, Ver-folgte und Opfer, sondern auch Subjekte, aktive Bürger undkreative Mitgestalter von Geschichte, Kultur und Wirtschaft inMitteleuropa.“ Bei der Behandlung des Mittelalters etwa wäre zuzeigen: „Das Judentum gehört neben dem Christentum und demErbe Athens und Roms zu den Fundamenten europäischer unddeutscher Geschichte und Kultur. Religionsgeschichtlich bedeut-sam sind insbesondere der Monotheismus des Judentums, dasVerhältnis jüdischer und christlicher Religion sowie die Bedeu-tung des Judentums für den Islam…“

Wenn man jenen zentralen Entwicklungsmoment in der Ge-schichte behandelt, in dem griechische, römische, jüdische undschließlich christliche Kulturimpulse zusammenfließen, kann eseine große Hilfe sein, wenn man zur Belebung und Aktualisie-rung – auch unabhängig vom Parzival-Thema – eine Beziehungzum Literaturunterricht herstellt, zum Beispiel mit Max FrischsStück „Andorra“. Auf den ersten Blick scheint dies auch wiedernur den Nationalsozialismus zu thematisieren, die darin enthal-tene „Bildnisproblematik“ jedoch berührt die tiefsten Fragen dermenschlichen Individualität und hat weltgeschichtlich universaleBedeutung. Das schreckliche Unrecht, das Andri, der Hauptfi-

Leo Baeck Institut für die Ge-schichte und Kultur der deutsch-sprachigen Juden in Jerusalem,London und New York,http://www.juedischesmuseum.deÄhnlich wird in den „Studien zurinternationalen Schulbuchfor-schung“ des Georg-Eckert-Instituts betont, dass die „Dar-stellung der religionsgeschichtli-chen Bedeutung des Judentums…bei der Behandlung der Alten undMittelalterlichen Geschichte nichtfehlen“ dürfe. (Schriftenreihe desGeorg-Eckert-Instituts, Bd. 44,1.1992)

2 Sigismund von Gleich:Mysteriendämmerung undChristuserscheinung,Stuttgart 1973

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gur, angetan wird und woran seine Individualität zerbricht, kannzu einer vertieften Diskussion über die Urgründe und Abgründevon Dogmatik, Intoleranz und Vorurteil ebenso beitragen wiezur Erörterung der gemeinsamen Wahrheit in den Religionen.Über das Grundmotiv in „Andorra“ schreibt Frisch in seinemTagebuch:

…Darin besteht ja die Liebe, das Wunderbare an der Liebe,dass sie uns in der Schwebe des Lebendigen hält, in der Bereit-schaft, einem Menschen zu folgen in allen seinen möglichenEntfaltungen. Wir wissen, dass jeder Mensch, wenn man ihnliebt, sich wie verwandelt fühlt, wie entfaltet, und dass auch demLiebenden sich alles entfaltet, das Nächste, das lange Bekannte.Vieles sieht er wie zum ersten Male. Die Liebe befreit es ausjeglichem Bildnis… So wie das All, wie Gottes unerschöpflicheGeräumigkeit, schrankenlos, alles Möglichen voll, aller Geheim-nisse voll, unfassbar ist der Mensch, den man liebt… Du sollst dirkein Bildnis machen, hieß es, von Gott. Es dürfte auch in diesemSinne gelten: Gott als das Lebendige in jedem Menschen, das,was nicht erfassbar ist. Es ist eine Versündigung, die wir, so wiesie an uns begangen wird, fast ohne Unterlass wieder begehen –

Ausgenommen wenn wir lieben.

Blick in die ZukunftDas Eigentümliche und Neue des Christentums ist, dass es

sich nicht allein auf eine geistige Offenbarung, sondern zugleichauf eine irdische Tatsache beruft: die Menschwerdung Gottes.Deren Bezeugung bildet deshalb den Kern seiner religiösen undkulturellen Tradition (Testament, testare = bezeugen). Will mander Vielgestaltigkeit und Universalität des urchristlichen Geis-tes- und Kulturimpulses gerecht werden, muss man aber ver-schiedene Formen der Zeugenschaft unterscheiden. Dabei fal-len, auch im Blick auf die weitere Geschichte des Christentums,insbesondere drei ins Auge. Da ist einmal „Petrus, das ist derFels. Auf diesem Fels will ich meine Kirche bauen.“ Diese Zeu-genschaft wird sich mit dem römischen Wesen verbinden unddie äußere Macht der Kirche darstellen, die sich ins Mittelalterhinein etabliert. Da gibt es aber auch noch eine zweite Zeugen-schaft, die sich auf eine innere Wandlung der Seele begründet.Sie können wir nachempfinden, wenn wir uns die Begegnungdes Paulus mit den griechischen Philosophen in Athen, wie sie inder Apostelgeschichte beschrieben wird, vergegenwärtigen.

Einmal stritten einige Philosophen von der epikureischen undstoischen Schule mit ihm. Die einen sprachen: Was meint eigent-lich dieser Worte-Sämann mit seinen Reden? Andere sagten: Esscheint, dass er die Botschaft von neuen Göttern bringen will;denn er verkündigte Jesus und die Auferstehung. Und sie nah-

Hildegard von Bingen,Säule des Wortes

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men ihn mit und führten ihn auf den Areopag und sprachen:Können wir erfahren, welches die neue Lehre ist, die du ver-trittst? Fremd klingen deine Worte unseren Ohren. Wir möchtenerkennen, was dahintersteckt…

Paulus stand mitten auf dem Areopag und sprach: „…DasGotteswesen, das den Kosmos erschaffen hat und alle Wesen,die darin sind, der Herr des Himmels und der Erde, wohnt nicht inTempeln, die mit Händen gebaut sind. Auch der Dienst, der ihmgebührt, wird nicht von menschlichen Händen ausgeübt. Wiesollte der eines Menschen bedürfen, der allen Menschen dasLeben und den Atem und alles Dasein spendet? Aus einem We-sen hat er schöpferisch das ganze Menschengeschlecht hervor-gehen lassen, das nun das weite Erdenrund bewohnt. Und er hatfür ihre Wohnsitze die Zeiten und Räume so begrenzt und ge-ordnet, dass sie das Gotteswesen suchen müssen… Es ist kei-nem einzigen von uns ferne, denn in ihm leben und weben undsind wir… Auf die Zeiten des Nichtwissens schaut die göttlicheWelt nicht mehr hin. Aber von jetzt an fordert sie von allen Men-schen an allen Orten ein Umdenken…“ So ging Paulus aus ihrerMitte hinweg. Einige wenige schlossen sich ihm an und erfülltensich mit der Kraft des Glaubens. Unter ihnen war auch DionysiusAreopagita…

Schließlich kennen wir eine dritte, prophetisch-visionäreZeugenschaft, die unmittelbar aus dem spirituellen Messianis-mus des Judentums hervorgeht. Sie zeigt sich zunächst in derselbstlosen Gebärde des Täufers – „Er muss wachsen, ich abermuss abnehmen. Der von oben kommt, überragt alle andern…

Was er gesehen und gehört hat, davon legt erZeugnis ab… Wer aber sein Zeugnis annimmt,der besiegelt damit, dass Gott die Wahrheit ist.“ –und mündet in die Zukunftsvision des „himmli-schen Jerusalems“ in der Offenbarung des Johan-nes: „Einen Tempel sah ich in der Stadt nicht. DerHerr, der göttliche Weltgebieter, ist selber ihrTempel, zusammen mit dem Lamm. Die Stadtbedarf auch nicht der Sonne oder des Mondes, umerleuchtet zu werden. Das Licht der göttlichenOffenbarung erleuchtet sie, und ihre Leuchte istdas Lamm. Und in ihrem Licht werden die Völkerwandeln…“

In dem Maße, in dem das Christentum sichmit der weltlichen Macht des Römertums ver-band, wurde die erste Zeugenschaft zur beherr-schenden, die „petrinische“, und zugleich wuch-sen Intoleranz und Unduldsamkeit mit anderengeistigen Strömungen: 529 ließ Kaiser Justiniandie „heidnische“ Philosophenschule von Athen

Johannes-Miniatur,Evangeliar Ellenhardsvon Tegernsee

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schließen. Ein sich verfestigender Dogmatismus führte schließ-lich dazu, dass abweichende Überzeugungen verketzert undverfolgt wurden. Der Geschichtslehrer, der nicht nur die segens-reichen Wirkungen des Christentums in den verschiedenen Völ-kern und Kulturkreisen zu beschreiben hat, sondern auch dieBlutspur, die es hinterlassen hat, wird bei der Arbeit mit heuti-gen kritischen Jugendlichen manch herben Kommentar zu hörenbekommen. Umso wichtiger ist es zu zeigen, dass Wesen undBedeutung des Christentums sich keineswegs in der Dogmatikder mittelalterlichen Kirche erschöpfte, sondern sich in zahlrei-chen Erscheinungsformen und unterschiedlichsten spirituellenEntwicklungen niederschlug. Eine davon, die wie keine anderedie geistige Substanz der mittelalterlichen Welt bildete, dieGralsströmung, wird Gegenstand des zweiten Teils zum Unter-richt der 11. Klasse sein.

Heinz Mosmann (L), Gustav Meck (L)

Elias Martin:Predigt Johannes des Täufers,1768-1780, Nyköping,Södermanlands Länsmuseum


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