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Generati

Date post: 04-Jan-2017
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JOHN VORNHOLT

STAR TREK® GENERATIONEN

Roman zu dem gleichnamigen Film

Story von RICK BERMAN & RONALD D. MOORE & BRANNON BRAGA

Drehbuch von RONALD D. MOORE & BRANNON BRAGA

Star Trek® Starfleet Kadetten

Band l

Deutsche Erstausgabe

WILHELM HEYNE VERLAG MÜNCHEN

HEYNE SCIENCE FICTION & FANTASY Band 0606501

Titel der amerikanischen Originalausgabe STAR TREK® GENERATIONS™

Deutsche Übersetzung von Andreas Brandhorst

Redaktion: Rainer Michael Rahn Copyright © 1994 by Paramount Pictures

Erstausgabe by Pocket Books/Simon & Schuster, Inc. New York Copyright © 1995 der deutschen Ausgabe und der Übersetzung

by Wilhelm Heyne Verlag GmbH & Co. KG, München Printed in Germany 1995

Umschlagbild: Pocket Books/Simon & Schuster, New York Umschlaggestaltung: Atelier Ingrid Schütz, München

Technische Betreuung: M. Spinola Satz: Schaber Satz- und Datentechnik, Wels

Druck und Bindung: Ebner Ulm

ISBN 3-453-09.050-0

STARFLEET-ZEITTAFEL

2264 Beginn der Fünfjahresmission der USS Enterprise NCC-1701 unter Captain Kirk.

2292 Die Allianz zwischen dem Klingonischen Imperium und dem Romulanischen Reich zerbricht.

2293 Colonel Worf, Großvater von Worf Rozhenko, verteidigt CaptainKirk und Doktor McCoy bei ihrem Prozeß wegen Mordes am klingonischen Kanzler Gorkon.Friedenskonferenz zwischen dem Klingonischen Imperium und der Föderation auf Khitomer [Star Trek VI].

2323 Jean-Luc Picard beginnt die vierjährige Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2328 Das Cardassianische Imperium annektiert Bajor.

2341 Data beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2342 Beverly Crusher (geb. Howard) beginnt die achtjährige Ausbildung an der Medizinischen Fakultät der Starfleet-Akademie.

2346 Massaker der Romulaner auf dem klingonischen Außenposten Khitomer.

2351 Die Cardassianer erbauen im Orbit um Bajor eine Raumstation, diesie später aufgeben werden.

2353 William T. Riker und Geordi LaForge beginnen die Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2354 Deanna Troi beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2355 Tasha Yar beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2357 Worf Rozhenko beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie.

2363 Captain Jean-Luc Picard tritt das Kommando über die USS Enterprise, NCC-1701-D an.

2367 Wesley Crusher beginnt die Ausbildung an der Starfleet-Akademie. Zwischen den Cardassianern und der Föderation wird ein unsicherer Waffenstillstand geschlossen. Angriff der Borg im Sektor Wolf 359; unter den Überlebenden sind Lieutenant Commander Benjamin Sisko,Erster Offizier der Saratoga, und sein Sohn Jake. Die USS Enterprise-D besiegt das Schiff der Borg im Erdorbit.

2369 Commander Benjamin Sisko tritt das Kommando über Deep Space Nine im Orbit von Bajor an.

Kapitel 1

Farben schimmerten, wie bei einem Regenbogen, der alles umhüllte. James Tiberius Kirk fiel aus der Umlaufbahn. Die Leere des Alls wich den obersten Schichten der Atmosphäre, und angesichts der hohen Geschwindigkeit stoben Funken von dem speziellen Schutzanzug. Nach einer Weile wurde das Gas dichter, und das bunte Gleißen wich einem strahlenden Blau. Wenige Minuten später wurde Kirk von einem Überschallknall durchgeschüttelt.

Er stieß einen begeisterten Schrei aus, hörte jedoch nichts – der Knall hatte ihn vorübergehend taub werden lassen. Er spähte durch die Sichtscheibe des Helms und grinste, als er die verbrannten Stellen an seinem Sicherheitsharnisch sah. Hier und dort dampften die metallenen Facetten.

Kirk rotierte mehrmals, und dadurch drehte sich ihm der Magen um. Schließlich entschied er, den Fallschirm auszuprobieren. Es überraschte ihn ein wenig, daß er sich tatsächlich öffnete – immerhin schien der Schutzanzug in keinem guten Zustand mehr zu sein. Innerhalb weniger Sekunden stabilisierte der Schirm den Fall. Jim griff nach den Kontrollen, löste winzige Manövrierdüsen am Rücken und an den Stiefeln aus.

Der Kurs war genau richtig! Kirk sauste einem weiten Weizenfeld entgegen, das im Sonnenschein wie ein Ozean aus Gold wirkte. Er hielt nach dem Ziel Ausschau, gab es jedoch schon bald auf und suchte statt dessen nach einem Schuppen oder anderen vertrauten Merkmalen. Es blieb ihm nicht genug Zeit nachzudenken, während er aufgeregt mit Hilfe der Düsen steuerte. Als Fünfundzwanzigjähriger wäre ihm sicher ein besserer Orbitalsprung gelungen…

Aber für einen alten Mann ist das nicht schlecht, fuhr es ihm durch den Sinn. Der Boden schien ihm entgegenzujagen, und im letzten Augenblick streckte er die

Beine. Die Landung erwies sich als ziemlich hart, und der Fallschirm zog ihn weiter. Jim setzte hastig einen Fuß vor den anderen, um nicht zu fallen. Durch den Aufprall taten ihm alle Gelenke weh. Andererseits: Die rheumatischen Schmerzen hatten ihn schon vor dem Sprung begleitet.

Kirk hoffte immer, daß er sich jünger fühlte, wenn er etwas Gefährliches und Waghalsiges unternahm, aber das Gegenteil war der Fall: Er fühlte sich älter.

Was jedoch nichts an seiner Begeisterung änderte! Starke Hände ergriffen ihn und bewahrten ihn davor, das Gleichgewicht zu

verlieren. Jim seufzte, sah die Gesichter des Schotten Scotty und des Russen Chekov – beide Männer hatten damals zur Besatzung der Enterprise gehört. Sie schnauften und keuchten noch mehr als er selbst.

„Ins Schwarze getroffen!“ brachte Kirk in einem triumphierenden Tonfall hervor. „Ich bin über der arabischen Halbinsel abgesprungen und lande hier, genau am Ziel!“

Chekov deutete zum Kornfeld. „Eigentlich befindet sich das Ziel dort drüben, Captain – fünfunddreißig Meter entfernt.“

„Danke für den Hinweis“, erwiderte Kirk und schnitt eine finstere Miene. Er wollte den Anzug abstreifen, bückte sich – und stöhnte plötzlich.

Scott schüttelte wie eine alte Glucke den Kopf. „Ich habe Sie davor gewarnt, den Rücken einfach zu ignorieren. Sie sollten sich von einem Arzt untersuchen lassen.“

Jim winkte ab und versuchte, keine schmerzerfüllte Grimasse zu schneiden. „Für morgen habe ich einen trielliptischen Sprung geplant. Er beginnt über Nordchina, und man saust dreimal um die Erde, bevor der Wiedereintritt in die Atmosphäre beginnt.“

Chekov räusperte sich. „Captain… Vielleicht haben Sie vergessen, daß morgen die Schiffstaufe der neuen Enterprise stattfindet.“

Kirk runzelte die Stirn – er hatte es keineswegs vergessen. „Ich nehme nicht daran teil.“ Er wandte sich an den früheren Chefingenieur. „Helfen Sie mir bitte mit dem Sicherheitsharnisch, Scotty.“

„Sie wollen nicht daran teilnehmen?“ fragte der Schotte besorgt. „Wir haben es versprochen.“

Jim schüttelte den Kopf. „Als ich mich in den Ruhestand zurückzog, habe ich geschworen, nie wieder ein Starfleet-Schiff zu betreten. An dem Eid halte ich nun fest.“

Chekov lächelte, und für zwei oder drei Sekunden wirkte er so jungenhaft wie vor dreißig Jahren. „Um der alten Zeiten willen?“

Captain Kirk stand in der Aussichtskammer des Raumdocks, das Teil einer riesigen Orbitalen Werft war. Würdenträger und Funktionäre aus allen Bereichen der Föderation umgaben ihn. Während seines aktiven Dienstes hatte er sich von Politikern und Botschaftern nie sehr beeindrucken lassen, und an dieser Einstellung hielt er auch jetzt fest.

Stille herrschte, als eine Sektflasche durchs All schwebte und der glänzenden Enterprise entgegenglitt. Sie zerplatzte an der aus Tritanium bestehenden Außenhülle, und Glassplitter segelten davon.

Kirk las die Beschriftung auf dem Diskussegment: USS ENTERPRISE NCC-1701­B. Er hörte, wie der hinter ihm stehende Scotty leise lachte. Der alte Ingenieur war nicht richtig zufrieden, solange kein Schiff mit jenem Namen zwischen den Sternen flog. Nun, eigentlich unterschied sich diese Enterprise gar nicht von anderen Raumern der Excelsior-Klasse. Warum der ganze Rummel um Taufe und Jungfernflug? Warum bin ich überhaupt hier? fragte sich Kirk.

Ein Shuttle brachte sie vom Dock in den Hangar der Enterprise, wo noch mehr Gäste und Journalisten warteten.

Alle applaudierten; blendendes Scheinwerferlicht tastete hin und her. Reporter bedrängten Jim mit Fragen. Der Grund dafür lag auf der Hand: Er war Kommandant der Enterprise 1701 und auch der Enterprise 1701-A gewesen. Wie fühlte er sich dabei, an Bord des neuen Schiffes unterwegs zu sein, das – ähem – unter dem Befehl eines anderen Captains den Flug zu fernen Welten fortsetzte? Kirk lächelte freundlich, bahnte sich mit höflichem Nachdruck einen Weg zum Turbolift und wußte, daß ihm Scotty und Chekov folgten.

Die Reporter ließen nicht locker, stellten weitere Fragen. Die Aufzeichnungsmodule von Datenblöcken summten. Kirk trachtete danach, nicht die Beherrschung zu verlieren; er zählte die Sekunden, während die Transportkapsel des Turbolifts zur Brücke der Enterprise sauste. Die Journalisten versuchten, ihm auch in den Kontrollraum zu folgen, aber Captain John Harriman hielt sie zurück.

„Später gibt es Zeit genug für Fragen“, teilte er ihnen streng mit. Er sieht wie ein Captain aus und verhält sich auch so, dachte Jim. Aber wie mochte

er bei einem Notfall reagieren, wenn es hart auf hart ging? Kirk ließ den Blick über die Brücke schweifen, sah die Konsolen, den

Kommandosessel. Er mußte zugeben: Es fühlte sich sehr gut an, wieder im Kontrollraum eines Raumschiffs zu sein. Gerade deshalb hatte er es vermieden, ins All zurückzukehren.

Captain Harriman wandte sich an Kirk, Scotty und Chekov. „Willkommen an Bord. Wir freuen uns sehr, daß einige lebende Legenden an unserem Jungfernflug teilnehmen.“ Er lächelte stolz. „Ich habe schon von Ihren Missionen gehört, als ich noch die Grundschule besuchte.“

Die älteren Offiziere verzogen das Gesicht, als sie an ihr Alter erinnert wurden, und Harriman wirkte sehr verlegen. Kirk schmunzelte amüsiert. „Dürfen wir uns umsehen?“ fragte er. Chekov berührte Jim am Arm. „Entschuldigen Sie. Ich möchte Ihnen den Steuermann der Enterprise-B vorstellen: Fähnrich Demora Sulu.“

Kirk sah eine junge Asiatin, und sein Lächeln wuchs in die Breite. „Captain James Kirk“, stellte ihn Chekov vor. Fähnrich Sulu nickte höflich. „Es ist

mir ein Vergnügen, Sie kennenzulernen, Sir. Mein Vater hat mir einige interessante Geschichten über Sie erzählt.“

Jim blinzelte verblüfft. „Ihr Vater? Hikaru Sulu ist Ihr Vater!“ „Ja, Sir.“ Chekov lachte. „Sie sind ihr schon einmal begegnet, aber damals war sie ein ganzes

Stück kleiner.“ „Ja“, brachte Kirk hervor. „Nun… Herzlichen Glückwunsch, Fähnrich. Die

Enterprise braucht einen Steuermann namens Sulu.“ „Danke, Sir.“ Demora wandte sich an Chekov. „Ich möchte Ihnen das neue

Navigationssystem zeigen…“ Jim sah ihnen nach und spürte Scottys angenehme, tröstende Präsenz in

unmittelbarer Nähe. Der Ingenieur strahlte. „Ein gutes Schiff, wenn Sie mich fragen.“ Kirk schüttelte den Kopf. „Ich bin baff, Scotty. Wann hat Sulu Zeit gefunden, eine

Familie zu gründen?“ Der Schotte zuckte mit den Achseln. „Wie heißt es so schön? Es gibt immer Zeit

genug. Man muß nur entscheiden, wofür man sie verwendet.“ Er bedachte Jim mit einem durchdringenden Blick. „Ist das der Grund, warum Sie wie ein abenteuerlustiger Achtzehnjähriger die Galaxis durchstreifen? Der Ruhestand hat Ihnen Einsamkeit beschert, wie?“

„Angesichts eines solchen Taktgefühls bin ich froh, daß Sie Chefingenieur und kein Psychiater geworden sind“, brummte Kirk.

Captain Harriman winkte. „Bitte entschuldigen Sie, meine Herren. Wenn Sie jetzt bitte Platz nehmen würden… Dann kann der Jungfernflug beginnen.“

Kirk seufzte und suchte sich einen Platz. Es ging los, und das war ihm nur recht – weil es bedeutete, daß Harriman in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rückte. Der hochgewachsene Captain schritt zum Befehlsstand.

„Treffen Sie Vorbereitungen für das Verlassen des Raumdocks“, sagte Harriman. „Heckschub, voraus mit fünfundzwanzig Prozent Kapazität. Backbord und Steuerbord: Positionskontrolle.“

Er drehte sich um. „Captain Kirk… Es wäre mir eine Ehre, wenn Sie den Befehl zum Beginn des Jungfernfluges gäben.“

Jim mußte sich sehr beherrschen, um nicht laut zu stöhnen. „Nein. Nein, danke.“ Alle sahen ihn erwartungsvoll an und schienen der Meinung zu sein, daß der alte

Captain den Befehl für den Start des neuen Raumschiffs erteilen sollte. Er gab nach. „Bringen Sie uns hinaus“, sagte er schlicht. Er empfand den Applaus als peinlich und hoffte inständig, daß ihn nicht noch

Schlimmeres erwartete. Er setzte sich zu Scotty und Chekov, die ihm spöttische Blicke zuwarfen.

„Sehr gut, Sir“, kommentierte Chekov leise. „Ich bin zu Tränen gerührt“, fügte Scotty hinzu. Kirk versuchte, nicht zum Wandschirm zu sehen, aber die Versuchung war zu groß.

Das Raumdock wurde kleiner, schrumpfte zu einem Punkt im unendlichen Weltraum. Das All ist wie ein Ozean, dachte Jim. Es bleibt voller Geheimnisse, selbst wenn man es jeden Tag beobachtet.

Auch auf der Brücke befanden sich Journalisten, wenn auch nicht so viele wie im Shuttlehangar. Jeder von ihnen bemühte sich, ein Interview mit den hebenden Legenden zu führen. Nach einer Weile hob Harriman die Arme und bat um Stille.

„Meine Damen und Herren…“, begann er. „Wir haben gerade den Asteroidengürtel hinter uns gebracht. Unser Flug führt bis zum Pluto, und anschließend kehren wir zum Raumdock zurück. Eigentlich machen wir nur einen Spaziergang um den Block.“

Höfliches Lachen erklang – und dann ertönte ein Pfeifen von der Kommunikationskonsole. Der Kom-Offizier betätigte einige Tasten.

„Wir empfangen einen Notruf, Captain“, meldete er. „Lautsprecher ein.“ Lautes Knistern ertönte, wich einige Sekunden später einer verzweifelt klingenden

Stimme. „Hier ist der Transporter Lakul. Wir sind in einer Art energetischen Turbulenz gefangen und können uns nicht daraus befreien!“

Es rauschte und knackte, „…brauchen dringend Hilfe… zerreißt uns…“ Stille folgte. „Der Transporter Lakul ist eins von zwei Schiffen, die el-aurianische Flüchtlinge

zur Erde bringen“, sagte die Spezialistin an der wissenschaftlichen Station. Kirk sah zu Harriman. Welche Entscheidungen traf der Captain nun? „Können Sie die Position der Transporter bestimmen, Fähnrich Sulu?“ fragte er.

Die junge Frau nickte. „Koordinaten drei eins null Komma zwei eins fünf. Entfernung drei Lichtjahre.“

„Öffnen Sie einen Kom-Kanal zum nächsten Starfleet-Schiff“, wies der Kommandant den Kom-Offizier an. „Wir sind nicht zu einem Rettungsunternehmen in der Lage. Unsere Besatzung ist nicht einmal vollständig.“

Der Navigator schüttelte den Kopf, „Wir sind das einzige Starfleet-Schiff in Reichweite, Sir.“

Kirk rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. Alles in ihm drängte danach, selbst das Kommando zu übernehmen. Aber er hielt sich zurück, wartete wie alle anderen darauf, daß Harriman Befehle erteilte.

Kapitel 2

Captain Harriman straffte die Schultern. „Offenbar bleibt uns keine Wahl. Steuermann, nehmen Sie Kurs auf die Transporter. Maximale Warpgeschwindigkeit.“

„Aye, Sir“, bestätigte Demora Sulu sofort. Kirk entspannte sich ein wenig, als er das vertraute Prickeln eines Warptransfers

spürte. Drei Lichtjahre vom Sol-System entfernt kehrte die Enterprise ins normale Raum-Zeit-Gefüge zurück, und daraufhin leuchtete ein seltsames Etwas auf dem Wandschirm. Kirk starrte ebenso verwundert zum zentralen Projektionsfeld wie alle anderen.

„Was ist das?“ fragte Chekov. Ein flackerndes, sich hin und her windendes energetisches Phänomen leuchtete auf

dem großen Bildschirm. Tentakelartige Erweiterungen gingen davon aus und hielten zwei hilflose Schiffe gefangen. Wie Spielzeuge wurden sie hin und her geworfen, während Energiefäden über ihre Rümpfe krochen.

„Die Außenhüllen sind den hohen Belastungen nicht gewachsen“, sagte Demora Sulu. „Sie halten nicht mehr lange stand.“

Die Enterprise erbebte. Alle Stehenden nahmen rasch wieder Platz. „Von dem Energieband gehen starke gravimetrische Störungen aus“, meldete der

Navigator. „Wir müssen sichere Distanz wahren“, erwiderte Harriman, der ganz offensichtlich

nicht wußte, was es jetzt zu unternehmen galt. „Traktorstrahlen“, platzte es gegen seinen Willen aus Kirk heraus. Harriman seufzte. „Die entsprechenden Projektoren werden erst nächsten Dienstag

installiert. Fähnrich Sulu, versuchen Sie, ein Subraumfeld bei den Transportern zu schaffen. Vielleicht gelingt es ihnen dadurch, die Turbulenz zu verlassen.“

Sulus Tochter schüttelte den Kopf. „Die Quanteninterferenzen sind zu stark, Captain.“

„Wie war’s, wenn wir… Plasma aus den Warpgondeln strömen lassen?“ Kirk wollte Einwände erheben, überlegte es sich jedoch anders, als er die Blicke

der Journalisten auf sich ruhen spürte. Er lächelte schief. „Plasma wird freigesetzt“, meldete Fähnrich Sulu. Ihre Aufmerksamkeit galt den

Kontrollen. „Sir! Einer der beiden Transporter bricht auseinander!“ Auf dem Wandschirm war zu sehen, wie sich eine energetische Ranke fester um

eins der beiden Schiffe schlang – das daraufhin explodierte. Journalisten und Brückenoffiziere schnappten entsetzt nach Luft.

„Wie viele Personen befanden sich an Bord jenes Schiffes?“ fragte Chekov. „Zweihundertfünfundsechzig“, antwortete Demora Sulu. Äußerlich blieb Captain Harriman ganz ruhig. „Für Vorschläge wäre ich sehr

dankbar, Captain Kirk.“

Jim sprang auf und war mit einigen wenigen Schritten neben Harriman. „Bringen Sie uns bis auf Transporterreichweite heran und beamen Sie die Besatzung des anderen Schiffes an Bord.“

„Aber was ist mit den gravimetrischen Störungen?“ fragte Harriman. „Sie könnten die Enterprise auseinanderreißen.“

Kirk senkte die Stimme, damit ihn nur Harriman hörte, nicht aber die anwesenden Journalisten. „Wenn Sie im Kommandosessel sitzen wollen, müssen Sie bereit sein, gelegentlich ein Risiko einzugehen.“

Der junge Captain schob das Kinn vor. „Navigation: Reduzieren Sie die Entfernung bis auf Transporterreichweite. Beamen Sie Crew und Passagiere des Transportschiffes direkt zur Krankenstation.“

Scotty und Chekov standen ebenfalls auf und näherten sich. „Wie viele Ärzte und Krankenpfleger gehören zur medizinischen Sektion dieses Schiffes?“

Harriman schluckte. „Das Medo-Personal trifft erst am Dienstag ein.“ Chekov wandte sich an zwei Journalisten. „Sie beide sind gerade zu medizinischen

Assistenten befördert worden. Kommen Sie mit.“ Sie eilten zum Turbolift. „Wir sind in Reichweite“, berichtete der Lieutenant an den Transporterkontrollen.

„Der Transfer-Fokus läßt sich kaum ausrichten. Die Personen scheinen sich in einer Zone ausgeprägter… temporaler Instabilität zu befinden.“

„Der Maschinenraum meldet Fluktuationen bei den Warpplasma-Ausrichtern“, warf Demora Sulu ein.

„Die Ausrichter umgehen und auf Reservesysteme umschalten“, sagte Scotty sofort. Und zu dem Lieutenant: „Brauchen Sie Hilfe beim Transporter?“

Der junge Mann nickte, und Scott eilte zur Konsole. Dort sah er auf die Displays und stellte fest: „Bei den Biosignalen kommt es immer wieder zu Phasenverschiebungen: Es findet ein ständiger Wechsel zwischen unserem Raum-Zeit-Kontinuum und einem… anderen Ort statt.“

„Phasenverschiebungen?“ wiederholte Kirk. Scotty übernahm das Pult, und seine Finger huschten über die Kontrollen. Er nahm

sich nicht die Zeit für eine Antwort. „Sir!“ rief der Navigator. „Das Schiff bricht auseinander!“ Der Wandschirm zeigte es ganz deutlich: Eine energetische Ranke vernichtete das

zweite Flüchtlingsschiff. Scotty atmete schwer. „Es ist mir gelungen, siebenundvierzig Personen zu

transferieren.“ Er schüttelte den Kopf. „Von insgesamt hundertfünfzig.“ Die Enterprise-B schüttelte sich, und Kirk hätte fast das Gleichgewicht verloren. „Statusbericht!“ rief er. „Wir sind in einem gravimetrischen Feld gefangen, das vom Rand der Turbulenz

ausgeht“, sagte Fähnrich Sulu. „Ein tentakelartiger Auswuchs…“ „Triebwerke – voller Umkehrschub!“ befahl Harriman.

In der Krankenstation der Enterprise-B sah es aus wie nach einer Schlacht. Überall lagen Verwundete; andere wanderten wie in Trance umher. Man könnte glauben, sie seien aus ihren Träumen gerissen worden, dachte Chekov. Zusammen mit den

„medizinischen Assistenten“ hob er die Bewußtlosen auf Diagnoseliegen. Die anderen El-Aurianer ließen sie zunächst weiter umherwandern und ihre leisen Selbstgespräche fortsetzen.

„Die Farben berühren mich!“ rief einer der Überlebenden. „Ich bin in Glas gefangen!“ brachte ein anderer hervor. „Helft mir!“ Jene Männer und Frauen, die einen zu verwirrten und desorientierten Eindruck

erweckten, behandelten sie mit Beruhigungsmitteln. Während der ersten Minuten zischten die Injektoren recht häufig…

Die ganze Zeit über schüttelte sich das Schiff immer wieder, so heftig, daß Chekov, seine Helfer und alle anderen hin und her geworfen wurden. Der Russe fragte sich mehrmals, ob sie diese Sache lebend überstehen würden. Wie dem auch sei: Captain Kirk befand sich auf der Brücke, und mehr konnte man sich in einer solchen Situation nicht erhoffen.

„Was ist mit ihnen los?“ fragte der eine Journalist. Chekov sah auf die Anzeigen seines Tricorders. „Bisher haben wir nur leichte

Verletzungen festgestellt. Allerdings scheinen diese Leute einen neuralen Schock erlitten zu haben.“

„Es sind El-Aurianer“, erklang die Stimme des anderen Journalisten. „Man nennt sie auch ‚Lauscher’, nicht wahr?“

Chekov bekam keine Gelegenheit, die Frage zu beantworten. Einer derÜberlebenden setzte sich ruckartig auf und packte den Reporter am Kragen. Es handelte sich um einen kräftig gebauten Mann, in dessen Augen ein seltsames Licht flackerte. Blut sickerte aus einer Stirnwunde.

Der Journalist wich ein wenig zurück. „Warum?“ heulte der El-Aurianer, und in seinen Pupillen flackerte es. „Ich… ich

muß zurück! Ihr versteht nicht! Laßt mich gehen!“ „Es… es ist alles in Ordnung“, stammelte der Journalist. „Sie sind an Bord der

Enterprise.“ Chekov eilte herbei, gab dem Mann ein Sedativ und lud den Injektor gleich wieder,

nur für alle Fälle. Der El-Aurianer sank auf die Diagnoseliege und blieb reglos liegen, während der

Journalist nach Luft schnappte. „Wovon hat er gefaselt?“ Chekov schüttelte den Kopf, als eine benommene Frau gegen ihn stieß. Sie war

dunkelhäutig und trug exotisch anmutende el-aurianische Kleidung. Er wollte ihr ebenfalls eine Injektion verabreichen, doch im letzten Augenblick hielt er inne.

Die Frau schien nur ein wenig verwirrt zu sein, mehr nicht. „Guinan…“, hauchte sie, und ihre Knie knickten ein. Chekov hielt sie fest,

bewahrte sie damit vor einem Sturz. „Es ist alles in Ordnung“, behauptete er. „Kommen Sie, legen Sie sich hin.“ Er

führte sie zu einem Biobett. Chekov wußte nicht, wieviel Zeit verstrich. Er und die beiden Journalisten

kümmerten sich auch weiterhin um die Überlebenden. Nach einer Weile hörten die Vibrationen des Schiffes auf – Chekov vermutete, daß der Captain die Enterprise in

Sicherheit gebracht hatte. Er wußte nicht, welchem Captain dieses Verdienst gebührte, aber er hätte jederzeit auf Kirk gesetzt.

Das Interkom summte, und er schaltete das Gerät ein. „Chekov.“ „Hier ist Scotty“, ertönte eine betroffen klingende Stimme. „Können Sie zum Raum

mit den Deflektormodulen kommen? Deck fünfzehn, Sektion 21 alpha.“ „Derzeit habe ich ziemlich viel zu tun“, erwiderte der Russe. „Die überlebenden El-

Aurianer brauchen Hilfe.“ „Es dauert nicht lange“, antwortete der alte Ingenieur. „Und es ist wichtig. Es kam

zu einem Unglück…“

Chekov stand neben Scotty auf Deck fünfzehn und starrte auf ein gezacktes Loch in der Korridorwand. Jenseits davon leuchteten Sterne in der ewigen Nacht des Alls. Gelegentlich schwebte ein Trümmerstück vorbei und erinnerte viel zu deutlich an die Katastrophe. Ein Kraftfeld leuchtete unmittelbar vor der Öffnung – ohne die Ergbarriere wären auch Chekov und Scotty vom Vakuum in den Weltraum gesaugt worden.

„Was ist passiert?“ fragte der Russe. „Wir mußten den Einsatz eines Photonentorpedos simulieren – mit einer

Resonanzentladung von der zentralen Deflektorscheibe“, erklärte Scotty. „Captain Kirk eilte hierher, um die notwendigen technischen Modifikationen vorzunehmen. Niemand anders kam dafür in Frage. Ich hatte mit dem Transporter zu tun, und der Captain meinte, daß Harriman auf der Brücke bleiben sollte.“

Der alte Schotte schüttelte fassungslos den Kopf. „Es gelang uns tatsächlich, aus dem Einflußbereich des energetischen Phänomens zu entkommen, aber die Entladungen rissen hier ein Loch in die Außenhülle – genau hier, wo Captain Kirk ganz allein an den Schaltkreisen arbeitete.“

„Ist nach ihm gesucht worden?“ fragte Chekov. Er trat zum nächsten Interkom und schaltete es ein. „Chekov an Brücke.“

„Hier Sulu“, tönte es aus dem Lautsprecher. „Das ganze Schiff muß durchsucht werden“, stieß der Russe hervor. „Und zwar

besonders gründlich.“ „Ich habe nicht nur das Innere der Enterprise sondiert, sondern auch die

Raumbereiche in der Nähe“, erwiderte Demora Sulu. Sie sprach in einem geduldigen Tonfall. „Von Captain Kirk fehlt jede Spur.“

Scotty seufzte und schüttelte den Kopf. „Ich hab’s ja gesagt, Junge.“ „Danke“, murmelte Chekov und unterbrach die Kom-Verbindung. „Nur ein kurzer Spaziergang um den Block“, flüsterte Scotty bitter. „Ich hätte nie gedacht, daß es auf diese Weise endet“, erwiderte Chekov heiser.

„Der Captain… tot…“ Der frühere Chefingenieur straffte die Schultern. „Alles muß einmal enden, Mr.

Chekov.“

Kapitel 3

Achtundsiebzig Jahre später pflügte ein Segelschiff mit drei hohen Masten stolz durch schäumende Wellen. Es bestand aus Holz und trug den Namen Enterprise. Vor sechs Jahrhunderten hatte es sich vom Wind über die Ozeane der Erde tragen lassen.

Captain Jean-Luc Picard atmete die frische, salzige Luft tief ein. Dies hielt er für das wahre Leben! Fern von der Admiralität und Starfleet Command, auf hoher See, eins mit dem Meer. Über ihm knirschten die Masten und blähten sich die Segel auf.

Er wandte sich dem Ersten Offizier zu. Will Riker trug dem neunzehnten Jahrhundert angemessene Kleidung, ebenso Beverly Crusher, Deanna Troi, Geordi LaForge, Data und alle anderen. Es handelte sich um eine komplette Marineuniform mit Dreispitz, Epauletten und Beinlingen. Picard fand, daß Riker in historischer Kleidung immer ein wenig eingezwängt wirkte, so als fänden seine breiten Schultern einfach nicht genug Platz.

„Zum Meer zurückkehren“, murmelte der Captain. „Zum einsamen Ozean und dem Himmel… Stellen Sie sich vor, wie’s damals gewesen ist, Will. Keine Triebwerke, keine Computer. Nur der Wind und das Meer. Und die Sterne wiesen den Weg.“

Riker verzog das Gesicht. „Schlechtes Essen, miserable Disziplin.“ Er schluckte. „Keine Frauen.“

Picard lachte und hob die Hand. „Bringt den Gefangenen!“ Ein holographischer Trommler schlug einen langsamen Rhythmus, und man führte

Worf aufs Deck. Er trug schwere Eisenschellen an Händen und Beinen – sie klirrten bei jedem Schritt. Dennoch strahlte er den typischen Stolz eines Klingonen aus.

Captain Picard musterte ihn streng. „Mr. Worf, ich habe immer gewußt, daß irgendwann einmal ein solcher Tag kommen würde. Sind Sie bereit, sich der Anklage zu stellen?“

„Ich bin bereit“, erwiderte Worf leise. Riker holte eine Schriftrolle hervor und begann zu lesen. „Wir, die Offiziere und

Besatzungsmitglieder der USS Enterprise, erklären hiermit, daß wir im Vollbesitz unserer geistigen Kräfte sind. Wir legen Lieutenant Worf folgendes zur Last.

Erstens: Bei zahllosen Gelegenheiten hat er mehr getan als nur seine Pflicht. Zweitens: Seit zwölf Jahren ist er ein guter und immer zuverlässiger Offizier dieses Schiffes. Und drittens: Er hat sich Respekt und Bewunderung der ganzen Crew erworben.“

Riker lächelte und rollte das Dokument wieder zusammen. Picard nickte ernst. „Angesichts solcher Verbrechen kann es nur ein Urteil geben.

Hiermit befördere ich Sie zum Lieutenant Commander und verleihe Ihnen alle damit einhergehenden Rechte und Privilegien. Möge Gott Ihrer Seele gnädig sein.“

Alle Personen auf dem schwankenden Deck spendeten begeisterten Applaus, und Geordi begann damit, Worf von den Schellen zu befreien. Der Klingone wirkte erleichtert – bis er Commander Rikers Lächeln sah.

„Die Planke ausrichten!“ befahl der Erste Offizier.

Einige Besatzungsmitglieder grinsten und schoben ein schmales Brett über die Reling. Das Schiff schlingerte, als mehrere Hände Worf packten und ihn zur Planke zerrten.

„Das Wasser ist bestimmt sehr kalt“, sagte Deanna. Es klang zufrieden. Beverly Crusher wirkte besorgt. „Geordi, haben Sie daran gedacht, das

Sicherheitsprogramm des Holo-Decks zu aktivieren? Ich weiß nicht, ob Klingonen schwimmen können.“

„Ich erinnere mich nicht genau“, erwiderte LaForge amüsiert. Tiefe Falten bildeten sich in Worfs Stirn, als er auf die Planke trat. Picard wandte sich mit einem fragenden Blick an den Ersten Offizier. „Gehen Sie

jetzt nicht ein wenig zu weit, Nummer Eins?“ Riker schmunzelte. „Als wir Deannas Beförderung im alten Rom stattfinden ließen,

warfen wir sie den Löwen zum Fraß vor. Erinnern Sie sich?“ Picard lächelte ebenfalls, und seine Aufmerksamkeit kehrte zum Geschehen an der

Reling zurück. „Die Dienstmarke senken!“ ordnete Riker an. Ein Mann war an einer Rahnock emporgeklettert und ließ nun ein Seil herab, an

dem ein dreieckiger Offiziershut samt Feder befestigt war. Er ließ ihn über dem Ende der Planke baumeln.

„Sie können es schaffen, Worf!“ rief jemand. „Sehen Sie nicht nach unten!“ Der große Klingone brummte, holte tief Luft, lief über das Brett und sprang. Das

Besatzungsmitglied an der Rahnock zog am Seil, doch Worf bekam den Hut zu fassen, fiel zurück und landete auf der Planke. Einige Sekunden lang schwankte er, doch dann fand er das Gleichgewicht wieder. Riker schien enttäuscht zu sein und winkte – woraufhin sich das Brett in Luft auflöste. Mit einem lauten Platschen fiel der Klingone ins Wasser, zum großen Vergnügen der Männer und Frauen an Bord.

Data trat zwischen Captain Picard und Dr. Crusher, die beide laut lachten. Der Androide beugte sich über die Reling und beobachtete, wie Worf tief unten schwamm.

„Doktor… Warum finden es die Leute lustig, wenn jemand in kaltes Wasser fällt?“ „Es ist alles ein Spaß“, erwiderte die Ärztin. Data sah sie groß an. „Das verstehe ich nicht.“ „Versuchen Sie, die allgemeine Stimmung zu erfassen und mitzumachen“, sagte

Beverly. „Lernen Sie, etwas… spontaner zu sein.“ Data überlegte kurz – und dann stieß er Dr. Crusher über die Reling. Neben Worf

fiel sie ins Wasser, doch diesmal lachte niemand. „Das war nicht lustig“, kommentierte Geordi streng. Allerdings: Picard fand Datas Gesichtsausdruck komisch, als der Androide über

etwas nachdachte, das er vermutlich für ein verwirrendes Paradoxon hielt. „Nummer Eins…“, sagte der Captain. „Bringen Sie das Schiff vor den Wind.

Stellen wir fest, was sich dort draußen befindet.“ Bevor Riker entsprechende Anweisungen erteilen konnte, ertönte eine Stimme aus

dem Nichts. „Brücke an Captain Picard.“ Jean-Luc seufzte. „Hier Picard.“

„Es ist eine persönliche Nachricht für Sie eingetroffen. Von der Erde.“ „Ich nehme sie hier entgegen“, entgegnete Picard. Er trat fort von der allgemeinen

Aufregung, schritt zu einem stillen Bereich des Schiffes. „Computer – Kom-Nische.“ Wie durch Zauberei entstand plötzlich eine U-förmige Öffnung mit modernen

Geräten. Deanna Troi stand am Ruder und beobachtete, wie der Captain die von einem Monitor gezeigte Text-Mitteilung las. Einzelne Worte konnte sie nicht erkennen, aber dafür sah sie den Schmerz in Picards Gesicht.

„Vertreten Sie mich am Steuerrad“, sagte Deanna zu einem Besatzungsmitglied in der Nähe. Sie ging zum Kommandanten der Enterprise und flüsterte: „Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Captain?“

Er nickte geistesabwesend. „Ja, Counselor. Wenn Sie mich bitte entschuldigen würden… Computer – Ausgang.“

Ein Schott materialisierte und glitt beiseite. Riker kam näher und wandte sich besorgt an Deanna.

Erneut erklang eine Stimme. „Brücke an Commander Riker.“ „Hier Riker“, meldete sich der Erste Offizier. „Wir empfangen einen Notruf vom Amargosa-Observatorium, Sir. Darin ist von

einem Angriff die Rede.“ „Alarmstufe Rot!“ rief Riker. „Gefechtsstationen besetzen! Captain Picard zur

Brücke…“ Deanna Troi war sicher, daß Picard als erster im Kontrollraum eintraf – in

Notfällen war er immer schneller als alle anderen. Doch diesmal saß er nicht im Kommandosessel, als sie die Brücke betraten. Die Counselor und ihre Begleiter trugen noch immer die historischen Kostüme, was ihnen einige verwirrte Blicke einbrachte.

Kurz darauf erreichte die Enterprise das Amargosa-System, und alle sahen zum großen Wandschirm, der das riesige Observatorium mit den vielen Teleskopen und Sensoren zeigte. Unübersehbare Spuren eines Kampfes zeigten sich: Energiestrahlen hatten ganze Antennenbündel verbrannt und viele dunkle Stellen an der Außenhülle hinterlassen. Das Zentralgestirn lieferte die einzigen Anzeichen von Aktivität: Es pulsierte mit der millionenfachen Energie der irdischen Sonne Sol.

„Offenbar kommen wir zu spät“, murmelte Riker. „Es befinden sich keine anderen Raumschiffe in diesem Sonnensystem“, berichtete

Worf. „Biosondierung beginnt.“ Datas Finger huschten über die Schaltflächen der

Operatorstation. Schließlich kam Captain Picard aus dem Bereitschaftsraum. Auf Deanna wirkte er

sehr blaß, und er schien nur mit halbem Ohr hinzuhören, als ihm Riker die Situation schilderte.

„Überlebende?“ fragte er. Data nickte. „Die Sensoren orten fünf Lebensformen in der Station, Captain.“ „Ihre Besatzung bestand aus neunzehn Personen“, fügte Riker hinzu.

„Alarmstufe Rot beenden“, sagte Picard. „Beginnen Sie mit Nachforschungen, Nummer Eins…“

„Sir, ich dachte, Sie würden…“ „Ich glaube, ich habe mich klar genug ausgedrückt“, sagte Picard scharf und kehrte

in den Bereitschaftsraum zurück. Deanna wußte, daß die Reaktion des Captains Riker verletzte, und sie brachte ihm

Mitgefühl entgegen – er verdiente keine solche Abfuhr. Andererseits: Der Captain hatte durchaus das Recht, solche Entscheidungen zu treffen – und mit seinen Emotionen allein zu sein. Doch diesmal ging es um mehr. Diesmal ging es darum, daß Jean-Luc Picard unter der Wirkung eines Schocks stand; früher oder später fiel die Sache bestimmt in den Zuständigkeitsbereich der Bordcounselor.

Unterdessen wandte sich Riker an Worf. „Wir brauchen eine bewaffnete Eskorte für die Einsatzgruppe. Sie begleiten uns, Worf. Und auch Sie, Dr. Crusher.“

Kapitel 4

Riker, Worf, Beverly und zwei Sicherheitswächter materialisierten auf dem Hauptdeck des Observatoriums. Die Station war kaum mehr als ein Trümmerhaufen. Funken stoben aus geborstenen Konsolen, und dichte Rauchschwaden trieben umher. Zwielicht herrschte; als es noch dunkler wurde, schalteten der Erste Offizier und seine Begleiter ihre Taschenlampen ein.

Vorsichtig gingen sie an Schlackehaufen und den Resten von explodierten Schaltpulten vorbei. Überall zeigten sich Brandspuren. Hier scheint jemand Schießübungen veranstaltet zu haben, dachte Riker. Überall bot sich ein Bild der Zerstörung dar.

Worf und Beverly nahmen Sondierungen mit den Tricordern vor. „Allem Anschein nach sind hier Intervaller der dritten Kategorie eingesetzt

worden“, sagte der Sicherheitsoffizier. „Nun, dann kommen nur Klingonen, Breen und Romulaner in Frage.“ Beverly trat an ihnen vorbei und behielt die Anzeigen ihres medizinischen

Tricorders im Auge. „Ich empfange Biosignale… Etwa zwanzig Meter weiter vom.“ „Damit dürfte klar sein, daß Klingonen nicht für dies hier verantwortlich sind“,

brummte Worf. Als Riker ihm einen fragenden Blick zuwarf, fügte er hinzu: „Sie hätten niemanden am Leben gelassen.“

„Hier drüben!“ rief Beverly. So schnell wie möglich eilten sie durch das Chaos und entdeckten einen verletzten Starfleet-Offizier. An seinem Rücken zeigte sich eine häßliche Brandwunde – das Ergebnis einer Intervaller-Entladung. Als die Ärztin ihre Medo-Tasche öffnete und sich um den Mann kümmerte, ließ Riker den Blick durch die Station schweifen.

„Kommen Sie mit, Worf“, sagte er. „Paskall, Sie und Mendez sehen sich auf dem Oberdeck um.“

Die Sicherheitswächter liefen sofort zu einer Leiter und kletterten nach oben. Worf leuchtete mit seiner Lampe, und Riker folgte ihm in einen dunklen Korridor. Zwei reglose Gestalten lagen dort auf dem Boden, und Riker bückte sich, nahm eine kurze Untersuchung vor. Wenige Sekunden später schüttelte er den Kopf – Intervallerstrahlen hatten diese beiden Personen getötet.

Hinter einem umgestürzten Wandsegment klopfte es, und mit einem Satz war Riker wieder auf den Beinen. Er erreichte das Trümmerstück noch vor Worf und versuchte, es anzuheben, doch es erwies sich als zu schwer. Als der kräftige Klingone mit anfaßte, geriet die Metallplatte in Bewegung. Darunter sah der Erste Offizier zwei Beine.

Jemand schnappte nach Luft, und die beiden Enterprise-Offiziere versuchten, sich noch schneller durch den Schutt zu graben. Der Überlebende ergriff Worfs Hand, zog sich mühsam hoch. In seinen Augen flackerte es, und die Narbe auf der Stirn des Mannes erinnerte an eine alte Verletzung.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte Worf. „Wir helfen Ihnen.“

Riker ging in die Hocke, um den Fremden zu beruhigen. „Ich bin Commander William Riker vom Raumschiff Enterprise.“

„Soran“, krächzte der Mann. „Dr. Tolian Soran…“ „Wer hat Sie angegriffen, Doktor?“ „Ich bin nicht sicher… Es ging alles so schnell.“ Sie hörten das Geräusch von Schritten im Korridor und drehten sich um. Dr.

Crusher und einer der beiden Sicherheitswächter näherten sich. „Commander!“ rief er. „Sie sollten sich das hier ansehen.“

„Kümmern Sie sich um ihn, Doktor“, sagte Riker und deutete auf Soran. Worf und der Erste Offizier ließen sich von dem Sicherheitswächter zur Leiter

führen. Kurze Zeit später befanden sie sich auf dem Oberdeck, das ebenso verwüstet worden war wie der weiter unten gelegene Bereich. Einige Leichen lagen zwischen den Trümmern, und eine von ihnen…

Mendez drehte den Toten auf den Rücken, und Riker hielt unwillkürlich den Atem an.

Er sah lange Ohren, den spitzen Haaransatz in der Mitte der Stirn und eine exotische Uniform mit breiten Schultern.

Es handelte sich um einen Romulaner.

Data saß in seinem Quartier, mit der Katze Spot auf dem Schoß. Er streichelte das Tier, weil es ganz offensichtlich Gefallen daran fand, aber weitere Motive steckten seinerseits nicht dahinter. Warum empfanden es Menschen als angenehm, kleinen Säugetieren diese Art von Zuneigung zu gewähren? Der Grund dafür blieb ihm ein Rätsel. Einmal mehr wünschte er sich, direkte und unmittelbare Erfahrungen mit menschlichen Emotionen sammeln zu können.

Der Androide hatte sich Spot vor einigen Jahren zugelegt, im Rahmen eines Experiments, das dem menschlichen Verhalten galt. Über Menschen erfuhr er kaum Neues, aber dafür nahmen seine Kenntnisse in Hinsicht auf Katzen zu. Inzwischen wußte er sogar, wie man mit einem Wurf umging und Jungkatzen großzog. Der Türmelder summte. „Herein“, sagte Data. Das Schott glitt mit einem leisen Zischen beiseite, und Geordi LaForge betrat die Kabine. Zwar verbargen sich die Augen des Chefingenieurs hinter dem VISOR, aber der Rest des Gesichts deutete nicht gerade auf Freude hin.

„Ist Dr. Crusher noch immer böse auf mich?“ fragte der Androide. LaForge schüttelte den Kopf. „Nein, ich glaube nicht. Trotzdem: An Ihrer Stelle

würde ich mich eine Zeitlang von der Krankenstation fernhalten. Was hat Sie nur veranlaßt, Beverly über Bord zu stoßen?“

Data neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Ich habe versucht, die… allgemeine Stimmung zu erfassen und spontan zu sein. Ich hielt es für amüsant.“

Der Androide setzte Spot ab, stand auf und ging zum Schreibtisch. Er hatte sich bereits entschieden – es schien die einzige Möglichkeit zu sein. Eine Taste klickte leise unter seinem Finger, und ein Fach öffnete sich. Es enthielt einen transparenten, antistatischen Behälter, und darin ruhte ein Chip, der sich – zumindest für Data – durch eine gewisse Ästhetik auszeichnete.

Geordi trat neben ihn. „Denken Sie wirklich daran, das Ding zu verwenden?“ „Schon seit Monaten denke ich darüber nach“, erwiderte der Androide. „Angesichts

des Zwischenfalls mit Dr. Crusher halte ich nun den richtigen Zeitpunkt für gekommen.“

„Sie haben eine Überladung Ihres neuralen Netzes befürchtet, nicht wahr?“ Data sah den Chefingenieur an. „Ich glaube, daß ich bei meiner Entwicklung als

künstliche Lebensform einen toten Punkt erreicht habe. Seit vierunddreißig Jahren bemühe ich mich, ‚menschlicher’ zu werden, über meine ursprüngliche Programmierung hinauszuwachsen. Trotzdem bin ich noch immer nicht imstande, ein so elementares Konzept wie den Humor zu verstehen.“

Er nahm den Mikroprozessor aus dem Behälter und betrachtete ihn. „Vielleicht läßt sich das Problem nur mit dem Emo-Chip lösen. Helfen Sie mir?“

„Ja“, sagte Geordi widerstrebend. „Aber beim ersten Anzeichen von Problemen desaktiviere ich den Prozessor. Einverstanden?“

Data nickte. „Einverstanden.“ Etwas anderes hatte er von seinem Freund nicht erwartet. Data spürte nichts, als Geordi eine Schädelklappe öffnete, unter der Schaltkreise zum Vorschein kommen. Der Androide stellte eine kurze energetische Fluktuation fest, während LaForge den Chip installierte, aber erfühlte nichts.

„Es regen sich keine Emotionen in mir“, sagte er. „Auch in mir nicht“, meinte Geordi. „Selbst Menschen sind nicht dauernd voller

Gefühle. Ich schlage vor, wir begeben uns jetzt zum Gesellschaftsraum.“ Dort hielten sich ziemlich viele Besatzungsmitglieder auf, und einige Sekunden

lang spürte Data so etwas wie Verwirrung. Wie sollte er sich verhalten? Welche Bemerkungen erwarteten die Leute von ihm? Die Besorgnis wich Zufriedenheit, als er sich daran erinnerte, daß Menschen häufig Unsicherheit empfanden, wenn sie mit vielen Personen konfrontiert wurden. Woraus folgte: Der Chip schien tatsächlich zu funktionieren.

Geordi beobachtete ihn aufmerksam, und auch dieser Umstand weckte Nervosität im Androiden. Er schritt zur Theke, und LaForge folgte ihm. Guinan begrüßte sie dort – jene dunkelhäutige Frau, die im Gesellschaftsraum gewissermaßen als Wirtin füngierte.

Sie holte eine Flasche hervor, die dunkle Flüssigkeit enthielt. „Sie haben sich gerade freiwillig dazu gemeldet, meine ersten Opfer zu sein. Das Rezept für dieses neue Getränk habe ich von Forcas Drei. Sie werden begeistert sein.“

Sie füllte zwei Gläser. Data griff nach einem davon und schnupperte an der Flüssigkeit. Sie erschien ihm suspekt, aber er trank trotzdem einen Schluck, um höflich zu sein.

Unmittelbar darauf verzog er das Gesicht. „Ich glaube, das Getränk hat eine emotionale Reaktion in mir bewirkt“, sagte er.

Geordi beugte sich vor. „Tatsächlich? Was fühlen Sie?“ Data schüttelte den Kopf. „Ich bin mir nicht sicher. Mit Emotionen habe ich nur

wenig Erfahrung. Daher sehe ich mich außerstande, mein Empfinden zu beschreiben.“

„Emotionen?“ fragte Guinan.

„Ich erkläre es später“, sagte Geordi. „Trinken Sie noch einen Schluck.“ Sowohl LaForge als auch die Wirtin sahen aufmerksam zu, als der Androide das

Glas leerte. Anschließend überlegte Data und suchte nach den richtigen Worten, um seine Gefühle zu beschreiben.

„Ich glaube, er verabscheut meine neue Spezialität“, meinte Guinan. „Ja, genau!“ entfuhr es Data, und Aufregung leuchtete in seinen Augen. „Das ist

der richtige Ausdruck: Ich verabscheue das Getränk!“ Guinan lächelte. „Noch eine Runde?“ Data nickte begeistert. „Ja, gern!“

Commander Riker räusperte sich demonstrativ. Normalerweise war so etwas nicht nötig, wenn er dem Captain gegenübertrat, aber diesmal schenkte ihm Picard überhaupt keine Beachtung: Er starrte aus dem Fenster des Bereitschaftsraums, schien in Gedanken viele Lichtjahre entfernt zu sein.

Der Kommandant hörte das Geräusch und drehte sich zum Ersten Offizier um. „Ja, Nummer Eins?“

„Wir haben zwei tote Romulaner in der Station gefunden. Derzeit wird ihre Ausrüstung analysiert. Vielleicht gibt uns das Aufschluß darüber, woher sie kamen.“

„Haben wir Hinweise darauf, aus welchem Grund der Angriff stattfand?“ fragte Picard.

„Nein, noch nicht“, antwortete Riker. „Wie dem auch sei: Die Aggressoren haben praktisch die ganze Station auseinandergenommen. Sie riefen Daten aus den Speicherbanken des zentralen Computers ab und stellten in den Frachtkammern alles auf den Kopf. Es hat den Anschein, daß sie nach etwas suchten.“

Picard zuckte mit den Schultern und erweckte den Anschein, die ganze Sache für nicht besonders interessant zu halten. „Informieren Sie Starfleet Command. Der Angriff auf das Observatorium könnte bedeuten, daß die Romulaner weitere Aktionen in diesem Sektor planen.“

Riker blinzelte erstaunt. „Sie möchten, daß ich Starfleet Command informiere?“ „Gibt es da irgendein Problem?“ fragte Picard. „Nein, Sir.“ „Danke, Nummer Eins.“ Der Erste Offizier schritt zur Tür, und dort blieb er noch einmal stehen. „Das ist

noch nicht alles, Captain. Einer der überlebenden Wissenschafter – ein gewisser Dr. Soran – möchte Sie sprechen. Ich habe ihn darauf hingewiesen, daß Sie beschäftigt sind, aber er meinte, ein unverzügliches Gespräch mit Ihnen sei äußerst wichtig.“

Picard sah wieder aus dem Fenster. „Verstanden. Sie können jetzt gehen.“ Riker wußte, daß er den Bereitschaftsraum jetzt eigentlich verlassen sollte – der

Captain wollte ganz offensichtlich allein sein. Andererseits: Eine Föderationsstation war unter mysteriösen Umständen zerstört worden, und alles deutete auf eine Aktion der Romulaner hin. Unter solchen Umständen durfte sich der Captain nicht von anderen Dingen ablenken lassen. Hinzu kam, daß Riker Jean-Luc Picard für einen Freund hielt.

„Sir…“, begann er. „Stimmt was nicht?“

Das Gesicht des Captains kam einer Maske gleich. „Nein.“ Und nach einer kurzen Pause. „Wo ist Dr. Soran?“

„Im Gesellschaftsraum“, sagte Riker. „Ich gehe gleich zu ihm.“

Kurz darauf betrat Picard den Gesellschaftsraum auf dem zehnten Vorderdeck und sah sich um. Er wußte natürlich, daß er nicht die ganze Zeit im Bereitschaftsraum sitzen und aus dem Fenster sehen konnte. Vielleicht ist es ganz gut, wieder unter Leute zu kommen, dachte er. Doch als er fröhliche Gesichter sah und lachende Stimmen hörte, wäre er am liebsten auf der Stelle zurückgekehrt. Dieser Ort eignete sich nicht für ihn.

Dann bemerkte er einen Mann, der allein an einem Tisch saß. Er trug eine Uniform, die sich sehr von der üblichen Starfleet-Kleidung unterschied. Außerdem wirkte er sehr besorgt. Der Captain näherte sich ihm.

„Dr. Soran?“ fragte er. Der Mann stand auf und nickte. „Ja, ja, Captain. Danke, daß Sie gekommen sind.“ Sie schüttelten sich die Hände. Anschließend nahm Picard Platz, um sich

anzuhören, was ihm der Wissenschaftler mitzuteilen hatte. Soran war ein Nervenbündel. Kein Wunder, dachte Jean-Luc. Immerhin hat jemand seine Forschungsstation angegriffen, und er kann von Glück sagen, daß er noch lebt.

Soran beugte sich vor. „Captain… Ich muß sofort zum Observatorium zurück und dort ein sehr wichtiges Experiment in Hinsicht auf die Sonne Amargosa zu Ende führen.“

Picard preßte die Lippen zusammen. Es gefiel ihm nie, wenn ihm jemand sagte, was er zu tun und zu lassen hatte. „Unsere Nachforschungen in bezug auf den Angriff sind noch nicht beendet. Sobald die Untersuchungen abgeschlossen sind, können Sie und die anderen Forscher zum Observatorium zurückkehren. Bis dahin…“

„Nein“, unterbrach Soran den Captain. „Der Zeitfaktor spielt bei meinen Experimenten eine große Rolle.“ Soran ließ einen Hauch Verzweiflung in seiner Stimme erklingen. „Wenn ich sie nicht innerhalb der nächsten zwölf Stunden fortsetzen kann, gehen viele Jahre Arbeit verloren.“

Picard schüttelte den Kopf. „Wir geben uns alle Mühe. Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden…“

Er stand auf, und Soran streckte plötzlich die Hand nach seinem Arm aus. Jean-Luc spürte, wie der Wissenschaftler fest Zugriff, und er sah ihm in die großen, irrlichternden Augen.

„Es heißt, die Zeit sei das Feuer, in dem wir alle brennen“, sagte Soran leise. „Und für mich wird die Zeit knapp.“ Er ließ den Arm des Captains los. „In unserem Leben gibt es so viele unerledigte Dinge. Verstehen Sie, was ich meine?“

Picard schluckte. Oh, er verstand genau, was Soran meinte. Die gleichen Gedanken gingen ihm durch den Kopf. So viele unerledigte Dinge…

Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern, als er sagte: „Ich werde sehen, was ich tun kann.“ Mit diesen Worten ging er.

Picard fragte sich, warum das Schicksal Dr. Soran zur Enterprise geführt hatte. Eigentlich seltsam, daß sie beide über knapp werdende Zeit nachdachten. Für Jean-Luc war es sogar schon zu spät, und deshalb wußte er, wie der Wissenschaftler empfand. Er beschloß, ihm zu helfen.

Eine junge Frau in der Nähe lachte, und Picard sah auf sie hinab, als er am betreffenden Tisch vorbeikam. Als sie die strenge Miene des Captains bemerkte, wich die Freude schlagartig aus ihren Zügen. Jean-Luc wollte sie auffordern, auch weiterhin zu lachen, das Leben in vollen Zügen zu genießen, weil es viel zu schnell zu Ende sein konnte.

Doch er senkte nur den Kopf und ging weiter.

Eine. Zeitlang blieb Soran sitzen und sah zu Guinan, die auf der anderen Seite des Gesellchaftsraums Gäste bediente. Mit ihrem großen Hut war sie kaum zu übersehen.

Er holte eine alte Taschenuhr hervor und betrachtete sie einige Sekunden lang. Dann stand er auf und verließ den Gesellschaftsraum.

Kapitel 5

Geordi LaForge stand auf dem Hauptdeck des Observatoriums und staunte über das Ausmaß der Verwüstung. Er befand sich jetzt zum erstenmal in der Forschungsstation und konnte kaum glauben, was ihm das VISOR zeigte. Vandalen schienen hier gehaust zu haben. Wer auch immer hinter dem Angriff steckte: Offenbar hatte er nur um des Zerstörens willen zerstört.

Data leistete ihm Gesellschaft. Der Androide ging mit langen Schritten umher, blickte dabei immer wieder auf die Anzeigen seines Tricorders. Geordi wollte gerade sein eigenes Ortungsgerät einschalten, als der Insignienkommunikator piepste.

Er klopfte darauf. „Hier LaForge.“ . Commander Rikers Stimme erklang. „Wir haben jetzt endlich einen Anhaltspunkt,

Geordi. Worf hat die Sondierungsprotokolle der Romulaner analysiert – wir glauben, daß sie nach Trilithium suchten.“

„Trilithium?“ wiederholte Geordi. „Das ist eine Substanz, mit der die Romulaner seit einigen Jahren experimentieren. Ein auf Trilithium basierender Sprengstoff könnte rein theoretisch tausendmal mehr destruktive Energie freisetzen als eine Materie-Antimaterie-Annihilation. Allerdings hat man im Reich bisher keine Möglichkeit gefunden, das Zeug zu stabilisieren. Und warum sollte man ausgerechnet hier danach Ausschau halten?“

„Keine Ahnung“, erwiderte der Erste Offizier. „Aber eins steht fest: Die Romulaner suchten danach. Und deshalb sollen Sie ebenfalls danach suchen. Riker Ende.“

Geordi aktivierte seinen Tricorder. „Haben Sie gehört, Data? Um Trilithium geht’s. Justieren Sie Ihren Scanner.“

Data lachte plötzlich. „Jetzt verstehe ich endlich!“ „Was verstehen Sie?“ Data krümmte sich fast vor Lachen. „Sie haben folgende Worte an Commander

Riker gerichtet…“ Er ahmte Geordis Stimme perfekt nach, als er intonierte: „‚Der Clown kann hierbleiben, aber der Ferengi im Gorillakostüm muß weg.’„

Der Chefingenieur sah ihn groß an. „Wie bitte?“ „Während der Farpoint-Mission. Wir befanden uns auf der Brücke, und Sie

erzählten einen Witz. Ich habe eben die Pointe zitiert.“ „Während der Farpoint-Mission? Seitdem sind sieben Jahre vergangen, Data.“ Der Androide lächelte stolz. „Ja, ich weiß. Und jetzt verstehe ich den Witz. Er war

sehr lustig.“ Geordi zuckte mit den Schultern. „Danke. Wir sollten jetzt besser mit der Suche

beginnen. Commander Riker fände es bestimmt nicht lustig, wenn wir Zeit verlieren.“

Er schritt durch einen Korridor, und der leise kichernde Androide folgte ihm. Plötzlich blieb LaForge vor einem ganz normal aussehenden Wandsegment stehen. Es täuschte den Tricorder, nicht aber das spezielle Gerät vor den Augen des Chefingenieurs.

„Hier gibt es einen verborgenen Zugang. Das VISOR zeigt mir die Fuge.“ Er strich mit den Fingern über etwas, das wie massives Metall aussah. Doch der Schein trog.

Data blickte auf die Displays seines Tricorders. „Offenbar existiert ein Abschirmfeld, das die Ortungssignale von den Bereichen jenseits der Tür fernhält.“

Geordi hakte sein eigenes Sondierungsinstrument an den Gürtel und strich einmalmehr über die Wand. „Es muß hier irgendwo einen Öffnungsmechanismus geben.“

„Wenn Sie gestatten…“ Data löste goldene Synthohaut vom Handgelenk. Schaltkreise wurden darunter sichtbar, und der Androide begann damit, kleine Kontrollmodule zu modifizieren. „Anscheinend ist die getarnte Tür magnetisch verriegelt. Vielleicht gelingt mir eine Umpolung, indem ich meine axialen Servomechanismen verändere.“ Der Androide schloß die kleine Klappe am Handgelenk und berührte die Wand. „Sesam, öffne dich“, intonierte er.

Es summte, und dann klickte etwas. Die verborgene Tür glitt beiseite. Data lächelte. „Man könnte sagen, daß ich eine magnetische Persönlichkeit habe.“ Er lachte über seinen eigenen Witz.

Hinter dem Zugang erstreckte sich ein kleiner Raum, und Geordi trat vorsichtig ein. Auf den ersten Blick schien es sich um ein Lager für solare Sonden zu handeln: mehrere glänzende Kugeln ruhten in Gestellen.

LaForge holte einmal mehr den Tricorder hervor und scannte. „Ich empfange noch immer nichts. Jemand scheint sich große Mühe gegeben zu haben, diesen Raum abzuschirmen.“ Er unterbrach sich. „Was ist das?“

Er bückte sich und deutete auf eine Vorrichtung, an der mehrere Apparate befestigt waren. „Haben Sie jemals eine derart konfigurierte solare Sonde gesehen?“

Der Androide lächelte und hob den Tricorder. Er sprach mit verstellter, quiekender Stimme, öffnete und schloß die Klappe des Ortungsgeräts wie den Mund einer Marionette. „Nein, Geordi, das habe ich nicht. Und Sie?“

Data lachte, und LaForge seufzte. Seine Geduld dem neuen, emotionalen Data gegenüber ging langsam zu Ende. „Bitte helfen Sie mir, diese Verkleidungsplatte hier zu lösen.“

Der Androide bückte sich und öffnete eine Klappe in der Sonde. Geordi sprang ganz plötzlich zurück.

„Donnerwetter!“ entfuhr es ihm. „Mein VISOR empfängt etwas im Thetabereich. Vielleicht handelt es sich um Trilithium-Emissionen…“

Data lachte laut, und LaForge wandte sich ihm verärgert zu. „Dies ist nicht der richtige Zeitpunkt!“

„Es tut mir leid.“ Der Androide lachte in kurzen Schüben und schnappte zwischendurch nach Luft.

„Ich kann nicht mehr aufhören. Irgend etwas in mir scheint defekt zu sein…“ Aus dem Gelächter wurde Hysterie. Geordi beobachtete, wie der Androide am

ganzen Leib zu beben begann, als erlitte er einen epileptischen Anfall. Sein Gesichtsausdruck war in einem ständigen Wandel begriffen und zeigte verschiedene Gefühle, von Zorn bis hin zu Leidenschaft.

Dann versteifte sich der Androide und fiel zu Boden.

„Data!“ rief LaForge, beugte sich über ihn und hielt nach Schäden Ausschau. Wenige Sekunden später öffnete Data die Augen und blinzelte.

„Ist alles in Ordnung?“ fragte Geordi. Der Kopf des Androiden bewegte sich ruckartig. „Ich glaube, der Emo-Chip hat

meine positronischen Verbindungskomponenten überladen.“ „Sie sollten zum Schiff zurückkehren.“ Geordi klopfte auf seinen

Insignienkommunikator. „LaForge an Enterprise.“ Keine Antwort – der Insignienkommunikator reagierte nicht. LaForge wollte ihn

schon abnehmen und untersuchen, als hinter ihm eine Stimme erklang. „Haben Sie ein Problem, meine Herren?“ Geordi drehte sich um und erkannte Dr. Soran. „Oh, Sie sind’s“, sagte er. „Ja, wir

haben tatsächlich ein Problem. Data braucht Hilfe, und ein Abschirmfeld blockiert unsere Kom-Signale.“

Doch Soran hörte gar nicht zu. Er sah an LaForge vorbei zur solaren Sonde, und Besorgnis huschte durch sein Gesicht.

„Ich helfe Ihnen gern.“ Data empfand Erleichterung, als er diese Worte des Wissenschaftlers vernahm. Dr.

Soran konnte ihnen bestimmt helfen – immerhin befanden sie sich hier in seiner Forschungsstation. Zweifellos wußte er, wie man das Abschirmfeld deaktivierte.

Soran bückte sich – und schlug ohne Vorwarnung zu. Seine Faust traf den Chefingenieur so hart am Kinn, daß LaForge zurückgeschleudert wurde und das VISOR verlor. Es rutschte in eine Ecke des Raums.

Bewußtlos blieb Geordi liegen. Data versuchte aufzustehen, aber Soran richtete einen Intervaller auf ihn. Jähe

Furcht erfüllte den Androiden. „Bitte tun Sie mir nichts“, brachte er hervor.

Deanna Troi stand vor der Tür von Picards Quartier und zögerte. Schon seit Jahren gehörte sie zur Crew des Captains, doch es fiel ihr noch immer nicht leicht, auch ihm mit psychologischem Rat zu helfen. Er war ein ausgezeichneter Raumschiffkommandant, doch als Mensch neigte er zu Reserviertheit. Er konnte recht schwierig sein, wenn er wollte.

Schließlich gab sich die Counselor einen Ruck und betätigte den Türmelder. „Herein“, erklang eine tiefe Stimme. Das Schott glitt beiseite, und Deanna betrat die Unterkunft. Sie war nicht luxuriös,

aber geschmackvoll eingerichtet. Exotische Objekte hingen an den Wänden und standen in den Regalen: Erinnerungen an Besuche und Abenteuer auf fremden Welten. Der Captain saß am Schreibtisch, und vor ihm lag etwas, das Troi nun zum erstenmal sah.

Ein Fotoalbum. Picard schniefte leise und rieb sich die Nase. „Counselor… Was kann ich für Sie

tun?“ „Eigentlich bin ich hier, um festzustellen, ob ich etwas für Sie tun kann“, erwiderte

Troi. „Seit einiger Zeit scheinen Sie abgelenkt zu sein.“

Der Captain musterte sie einige Sekunden lang und schien sich dann zu einer Entscheidung durchzuringen. „Es sind nur… Familienangelegenheiten. Sie haben meinen Bruder und seine Frau nie kennengelernt, oder?“

Er drehte das Album, und Deanna kam näher, um sich die Bilder anzusehen. Ein Holo zeigte einen ernst wirkenden Mann neben einer lächelnden Frau. Bei ihnen saß ein Junge. Andere holographische Aufnahmen präsentierten ein großes, altes Landhaus und Weinstöcke. Troi erinnerte sich: Jean-Luc Picard hatte seine Kindheit auf einem landwirtschaftlichen Anwesen in Südfrankreich verbracht.

Die Ähnlichkeit zwischen ihm und seinem Bruder war offensichtlich. Beide Männer schienen daran gewöhnt zu sein, ihren Willen durchzusetzen.

Picard schniefte erneut. „Manchmal kann Robert geradezu unausstehlich sein. Er neigt zu Rechthaberei und Arroganz, muß immer das letzte Wort behalten. Nun, in den letzten Jahren hat diese Tendenz ein wenig nachgelassen.“ Picard schüttelte den Kopf. „Im nächsten Monat wollte ich einen kurzen Urlaub auf der Erde verbringen. Ich dachte an einen Abstecher nach San Francisco. Es war schon immer Renes Wunsch, die Starfleet-Akademie sehen.“

Deannas Blick kehrte zu dem Jungen zurück. „Ihr Neffe?“ Der Captain lächelte liebevoll. „Ja… Er ist völlig anders als sein Vater. Hat

Phantasie und träumt gern. So ähnlich bin ich selbst gewesen, damals, als Junge.“ „Was ist passiert?“ Picard holte tief Luft und blickte zu Boden. Troi spürte nun seinen Schmerz. Er

mochte reserviert sein, aber diese Pein konnte er nicht länger verbergen. „Jene Nachricht von der Erde…“, sagte er leise. „Robert und Rene… Sie sind tot.

Kamen durch ein Feuer ums Leben.“ Die Counselor versuchte, ruhig zu bleiben, aber der Kummer des Captains übertrug

sich auf sie selbst, strömte in ihren emotionalen Kosmos. Picard schien es zu spüren, als er aufstand und zum Fenster ging.

„Es tut mir leid“, hauchte Deanna. Er hob und senkte die Schultern. „Schon gut. So etwas geschieht. Wir alle haben

nur begrenzte… Zeit im Diesseits. Und ihre war abgelaufen.“ „Nein, so etwas geschieht nicht jeden Tag, und es geht dabei keineswegs um

abgelaufene Zeit’ und dergleichen“, erwiderte Troi. „Dieser Erkenntnis sollten Sie sich stellen – dann fällt es Ihnen bestimmt leichter, Ihr inneres Gleichgewicht wiederzufinden.“

„Ja, ich weiß“, sagte Jean-Luc. „Wie dem auch sei: Es geht nicht um mich, sondern um meinen Neffen. Dauernd muß ich an ihn denken. An jene Dinge, die Rene nun nicht mehr erfahren und erleben kann: die Ausbildung an der Starfleet-Akademie, von der er träumte; Liebe, Ehe, eigene Kinder… Das alles gibt es nicht mehr für ihn.“

„Ich hatte keine Ahnung, daß er Ihnen soviel bedeutete.“ Picard nickte ernst. „In gewisser Weise war er wie ein Sohn für mich. Wir alle

haben ihn sehr geliebt.“ „Ihre Familiengeschichte ist sehr wichtig für Sie, nicht wahr?“ fragte Deanna.

„Ja“, bestätigte der Captain. „Schon als Knabe hörte ich von den Traditionen unserer Familie. Picards kämpften beim Kap Trafalgar. Picards gehörten zu den Siedlern der ersten Marskolonie. Als mein Bruder heiratete und einen Sohn bekam…“ Er unterbrach sich, sprach den Satz nicht zu Ende

Troi verstand. „Daraufhin fühlten Sie sich nicht länger verpflichtet, selbst für den Fortbestand der Familie zu sorgen.“

„Mein Bruder nahm jene Bürde auf sich und erlaubte mir, meinen egoistischen Bestrebungen nachzugehen.“

„Wenn man ein eigenes Leben führt und Erfüllung im Beruf findet…“, meinte Deanna, „Das hat nichts mit Egoismus zu tun.“

Der Captain atmete tief durch. „Wissen Sie, Counselor…“, murmelte er schließlich. „Die Hälfte meines Lebens ist vorbei. Schon seit einer ganzen Weile ist mir klar, daß mehr Tage hinter mir liegen als vor mir. Ich habe immer Trost in der Vorstellung gefunden, daß die Familie Picard auch nach mir besteht. Aber jetzt…“

Er griff nach dem Fotoalbum und blätterte zu den letzten Seiten – sie waren leer. Jäher Zorn erfaßte ihn, und er schlug mit der Faust auf den Tisch.

„Aber jetzt… Der Tod hat etwas schrecklich Endgültiges. Nach mir gibt es keine Picards mehr.“

Deanna suchte nach passenden Worten für eine Antwort. Sollte sie Picard darauf hinweisen, daß er noch immer jung genug war, um Vater zu werden, eigene Kinder zu haben? Sie sah kaum einen Sinn darin. Dieser Mann war in erster Linie Kommandant der Enterprise; Troi konnte sich ihn nicht als Oberhaupt einer Familie vorstellen.

Plötzlich flutete grelles Licht durchs Fenster, blendete sowohl den Captain als auch die Counselor.

Rikers Stimme tönte aus den Lautsprechern der internen Kommunikation. „Senior-Offiziere zur Brücke! Alle Stationen besetzen!“

Kapitel 6

Captain Picard trat aus dem Turbolift und schritt durch den Kontrollraum der Enterprise, gefolgt von Counselor Troi. Commander Riker freute sich, sie beide wiederzusehen, aber er vergeudete keine Zeit mit einem Gruß. Der große Wandschirm bot einen seltsamen Anblick: Die einst so hell und vital leuchtende Sonne Amargosa wurde immer dunkler, und eine energetische Wellenfront raste durchs All.

„Bericht“, sagte Picard knapp. „Im Innern der Sonne kam es zu einer Quantenexplosion“, meldete Riker. „Die

nuklearen Fusionsprozesse hören auf.“ „Wie ist das möglich?“ fragte Jean-Luc. Diesmal kam die Antwort von Worf. „Die Sensoren haben eine solare Sonde

geortet, die vor kurzer Zeit in den Stern stürzte.“ „Es dauert nicht mehr lange, bis der Stern kollabiert“, fügte Riker hinzu. „Sir…“ Worf klang nun besorgt. „Durch die Implosion kam es zu einer

Schockwelle der Stufe zwölf.“ „Stufe zwölf?“ wiederholte Troi erschrocken. „Das bedeutet… In diesem

Sonnensystem wird alles zerstört.“ Eine Stimme erklang. „Transporterraum an Brücke. Wir können weder Commander

LaForge noch Mr. Data lokalisieren.“ Riker wandte sich an den Klingonen. „Hat ein Retransfer stattgefunden?“ „Nein, Sir“, entgegnete Worf und berührte mehrere Schaltflächen auf seiner

Konsole. „Sie befinden sich nicht an Bord.“ „Wann erreicht die Schockwelle das Observatorium?“ erkundigte sich Picard. „In vier Minuten und vierzig Sekunden.“ Jean-Luc sah zu Riker, und der Erste Offizier nickte. Er verstand sofort und eilte

zum Lift. „Kommen Sie mit, Mr. Worf“, sagte er nur. Kurze Zeit später stapften Riker und der Klingone übers Hauptdeck des

Observatoriums, auf der Suche nach Data und Geordi. So schnell wie möglich eilten sie von Raum zu Raum – bis sie Dr. Soran fanden. Der Wissenschaftler betrachtete die Displays einer Konsole, verfolgte auf diese Weise die fatale Metamorphose des Sterns. Als er die beiden Starfleet-Offiziere hörte, wirbelte er um die eigene Achse und schoß mit einem Intervaller.

Der Energiestrahl kochte über die Wand. Riker und Worf gingen rasch in Deckung. „Was ist denn in ihn gefahren?“ knurrte Riker.

„Ich schätze, er hat die Sonde gestartet“, vermutete Worf und spähte vorsichtig um die Ecke. „Da drüben liegt LaForge. Er rührt sich nicht.“ Ein zweiter Energieblitz zwang den Klingonen, sich an den Boden zu pressen.

„Enterprise an Riker“, tönte Picards Stimme aus dem Insignienkommunikator des Ersten Offiziers. „Ihnen bleiben noch zwei Minuten.“

„Bestätigung.“ Riker hob die Stimme. „Haben Sie das gehört, Soran? Eine Schockwelle der Stufe zwölf rast der Station entgegen. Wir müssen weg von hier!“

Die Antwort des Wissenschaftlers bestand aus einem dritten Intervallerstrahl. „Enterprise an Riker.“ Einmal mehr erklang die Stimme des Captains. „Ein

klingonisches Raumschiff hat gerade die Tarnvorrichtung desaktiviert. Backbord voraus.“

„Wie bitte?“ brummte Worf. „Wir müssen Sie jetzt zurückholen“, betonte Picard. „Ja“, erwiderte Riker. Etwas weckte seine Aufmerksamkeit, und er schob sich ein

wenig vor, hielt genauer Ausschau. Data hockte in einer Ecke und zitterte vor Furcht. „Data!“ rief Riker. „Versuchen Sie, Geordi zu erreichen!“ Der Androide hob den Kopf, und Entsetzen zeigte sich in seinem Gesicht. „Ich…

ich kann nicht, Sir. Ich habe… Angst.“ Ein anderer, mehrere Meter entfernter Kommunikator piepste. Die beiden Starfleet-

Offiziere sahen auf und beobachteten, wie Soran sich von seinen Instrumenten abwandte. Geordi war noch immer bewußtlos, und der Wissenschaftler packte ihn am Kragen. Mit der anderen Hand griff er nach dem VISOR. Eine Sekunde später entmaterialisierten Soran und LaForge in einer Wolke aus schimmerndem Licht.

„Er hat sich und Geordi zum klingonischen Schiff gebeamt“, knurrte Worf. „Enterprise an Einsatzgruppe“, sagte Picard. „Der imperiale Kreuzer ist fort, und

wir haben keine Zeit mehr.“ Riker und Worf eilten zu Data, halfen dem verängstigten Androiden auf die Beine.

„Transporterraum“, meldete sich der Erste Offizier. „Drei Personen für den Transfer.“

Die drei Gestalten lösten sich auf, und zurück blieb ein leeres Observatorium – das kurz darauf von energetischem Feuer erfaßt und verbrannt wurde.

An Bord des klingonischen Schiffes lachten Lursa und B’Etor – sie freuten sich darüber, daß es ihnen gelungen war, der mächtigen Enterprise ein Schnippchen zu schlagen. Die beiden klingonischen Schwestern hatten schon einige Male über die Föderation triumphiert, aber noch nie zuvor auf diese Weise.

„Gut gemacht!“ lobte Lursa ihre Crew, woraufhin die Männer jubelten. Das Schiff war alt und an vielen Stellen zusammengeflickt, aber es taugte noch immer für den Kampf. Und wenn sie die neue Waffe hatten… Dann waren sie unbezwingbar!

B’Etor sah zum Hauptschirm und lächelte, als das Zentralgestirn des Sonnensystems kollabierte. „Hervorragend“, sagte sie.

Dr. Soran kam aus dem Turbolift, und B’Etor trat ihm entgegen. „Wir haben es geschafft!“ stieß die Klingonin hervor und strahlte. Von einem Augenblick zum anderen schlug der El-Aurianer zu und traf die Frau

am Unterkiefer. Sie fiel zu Boden. Sofort sprangen die in der Nähe sitzenden Klingonen auf und zogen ihre Waffen, doch B’Etor hielt sie zurück und stemmte sich hoch. Im einen Mundwinkel zeigte sich Blut.

„Ich hoffe um Ihretwillen, daß es sich dabei um den Beginn eines Brautwerbungsrituals oder dergleichen handelt“, zischte sie.

„Sie sind unvorsichtig geworden“, sagte Soran scharf. „Die Romulaner kamen zur Station, auf der Suche nach dem gestohlenen Trilithium.“

B’Etor schüttelte den Kopf. „Unmöglich. Wir haben in jenem Vorposten keine Überlebenden zurückgelassen.“

„Zum Glück wurden sie von der Enterprise verscheucht“, meinte der Wissenschaftler.

„Was spielt es für eine Rolle?“ warf Lursa ein. „Wichtig ist nur, daß wir jetzt eine überaus mächtige Waffe haben!“

„Ich habe die Waffe“, korrigierte Soran. „Und wenn Sie möchten, daß ich sie Ihnen irgendwann zur Verfügung stelle, so sollten Sie vorsichtiger sein.“

B’Etor sprang vor und hielt ihm einen Dolch an die Kehle. „Vielleicht haben wir das Warten satt.“

Soran blieb reglos stehen und lächelte. „Ohne meine Forschungen ist das Trilithium wertlos. Das gilt auch für den Plan, das Imperium unter Ihre Kontrolle zu bringen.“

So kommen wir nicht weiter, dachte Lursa und schob den Dolch beiseite. „Wir sind Partner“, gurrte sie. „Und Soran hat uns eine Geisel gebracht.“ Sie

wandte sich an den Steuermann. „Nehmen Sie Kurs auf das Veridian-System. Maximale Warpgeschwindigkeit.“

Der El-Aurianer rückte sich den Kragen zurecht. „Lassen Sie Commander Geordi LaForge in mein Quartier bringen. Ich brauche einige Auskünfte von ihm.“

Commander Riker schritt durch den Korridor zur Krankenstation. Er versuchte, nicht daran zu denken, daß sie vielleicht Geordi verloren – oder daß Soran entkam. Außerdem trachtete er danach, nicht über einen Data nachzudenken, der sich von Angst regelrecht lahmen ließ.

„Commander!“ erklang eine tiefe Stimme. Riker drehte sich um und sah den Sicherheitsoffizier.

„Ich habe mit dem klingonischen Hohen Rat gesprochen, Sir“, sagte Worf. „Das Schiff dort draußen gehört den Duras-Schwestern.“ Als er den Namen nannte, erklang unüberhörbare Verachtung in seiner Stimme.

Riker blinzelte überrascht. „Lursa und B’Etor? Das ergibt doch keinen Sinn. Ein bekannter Solarphysiker benutzt Trilithium, um eine Sonne zu vernichten. Anschließend entführt er Geordi und flieht mit klingonischen Renegaten. Warum? Was ist hier eigentlich los?“

Worf schüttelte nur hilflos den Kopf. Kurz darauf betraten sie die Krankenstation und sahen dort eine Beverly Crusher, die gerade Datas geöffneten Kopf untersuchte. Der Androide war bei Bewußtsein und sondierte sich mit einem Tricorder.

„Wie geht es ihm?“ fragte Riker. Die Ärztin seufzte. „Der Emo-Chip scheint durch einen Energieschub mit dem

neuralen Netz verschweißt zu sein.“ Worf musterte den Androiden. „Besteht deshalb Gefahr für ihn?“ „Nein, ich glaube nicht“, antwortete Beverly. „Der Chip funktioniert nach wie vor.

Ich würde mir die Sache gern genauer ansehen, aber dazu müßte ich die zerebralen Schaltkreise vollständig demontieren. Und dazu brauche ich Geordis Hilfe.“

Riker bedachte Data mit einem Lächeln. „Nun, offenbar müssen Sie sich eine Zeitlang mit Ihren Emotionen abfinden. Wie fühlen Sie sich?“

„Ich mache mir Sorgen um Geordi“, sagte der Androide. „Wir auch“, meinte der Erste Offizier. „Wir bekommen ihn bestimmt zurück.“ Data runzelte die Stirn. „Das hoffe ich, Sir.“ „Commander…“, ließ sich Beverly Crusher vernehmen. „Ich habe einige

Nachforschungen in Hinsicht auf den persönlichen Hintergrund von Dr. Soran angestellt.“ Sie betätigte eine Taste, und daraufhin erschien Sorans Bild auf einem Schirm. Daneben wurden biographische Daten eingeblendet.

„Er ist El-Aurianer und über dreihundert Jahre alt“, fuhr die Ärztin fort. „Verlor die ganze Familie, als Borg seine Heimatwelt angriffen. Soran entkam mit einigen anderen Flüchtlingen an Bord eines Raumschiffs namens Lakul. Der Transporter fiel einer energetischen Turbulenz oder etwas in der Art zum Opfer. Bevor das geschah, wurden Tolian Soran und sechsundvierzig andere Personen von der Enterprise-B gerettet.“

„Bei jener Mission kam James Kirk ums Leben, nicht wahr?“ fragte Riker. „Ja“, bestätigte Beverly. „Aber das ist noch nicht alles. Ich habe die Passagierliste

der Lakul überprüft. An Bord des Transportschiffes befand sich eine uns gut bekannte Person: Guinan.“

Der Commander nickte nachdenklich. „Niemand kennt Guinan besser als der Captain. Er sollte ein Gespräch mit ihr führen.“

Captain Picard stand mitten in Guinans Quartier und sah auf die dunkelhäutige Frau hinab. Die El-Aurianerin saß im Schneidersitz auf dem Boden, umgeben von exotisch anmutenden Kissen. Er kannte sie seit vielen Jahren. Auf seine Bitte hin hatte sie sich der Besatzung der Enterprise hinzugesellt, und dafür war er ihr sehr dankbar.

„Wir haben Probleme mit einem Mann, den Sie wahrscheinlich kennen“, sagte Jean-Luc. „Dr. Tolian Soran.“

Guinan ließ sich selten überraschen, aber diesmal hob sie erstaunt den Kopf. „Diesen Namen habe ich schon seit einer ganzen Weile nicht mehr gehört.“ Sie stand auf und entfernte sich einige Schritte vom Captain, schien auf diese Weise vermeiden zu wollen, irgendwelche Fragen beantworten zu müssen.

„Es ist sehr wichtig, daß Sie mir alles sagen, was Sie wissen“, beharrte Picard. „Vielleicht hat Soran eine Waffe entwickelt – eine schreckliche Waffe. Strebt er nach Macht?“

Guinan lächelte wehmütig. „Macht und Waffen sind Soran völlig gleich. Ihm geht es einzig und allein um eine Rückkehr zum Nexus.“

Unbehagen erfaßte den Captain. Er hatte nie nach dem Wie und Warum von Guinans Fähigkeit gefragt, über Dinge Bescheid zu wissen, von denen sie eigentlich gar keine Kenntnis haben konnte. Er ahnte, daß ihn seine nächste Frage ganz nahe an die Wahrheit heranbrachte.

„Was hat es mit dem Nexus auf sich?“

Erneut wandte sich Guinan ab und rückte die Gegenstände auf einem Tisch zurecht. Sie dachte über die Antwort nach, und der Captain wartete geduldig.

„Jenes Energieband, das die Lakul zerstörte… Dabei handelt es sich nicht um ein ziellos durchs All ziehendes Phänomen. Es stellt eine Verbindung dar, ein Tor zu einem anderen Ort – dem Nexus. Er existiert nicht in unserem Universum, und dort gelten auch nicht die uns bekannten Naturgesetze. Es ist ein Ort, den ich vergessen möchte.“

„Warum?“ Guinan drehte sich um, und ihr Gesicht brachte eine seltsame Mischung von

Ehrfurcht und Freude zum Ausdruck. „Ich hatte das Gefühl, mich im Innern des… Glücks zu befinden. Die Freude schien Substanz zu gewinnen, greifbar zu sein. Nie zuvor in meinem Leben bin ich so froh gewesen.“

„Doch dann wurden Sie von der Enterprise-B gerettet“, sagte Picard. In Guinans Augen blitzte seltener Zorn. „Man brachte mich fort, und zwar gegen

meinen Willen. Niemand von uns wollte jenen Ort verlassen. Damals dachte ich einzig und allein an die Rückkehr. Umstände und Konsequenzen waren mir gleichgültig…“

Sie blickte aus dem Fenster, sah zu den fernen Sternen. „Schließlich lernte ich, damit zu leben. Aber es war nicht leicht. Der Nexus hat mich verändert.“

Picard nickte. „Ihr sechster Sinn. Und Soran?“ „Vielleicht will er noch immer zurück. Und wenn er tatsächlich von diesem

Gedanken besessen ist, so wird er nichts unversucht lassen, um die Tür für sich zu öffnen.“

Der Captain hatte noch viele andere Fragen, bezweifelte jedoch, daß Guinan sie beantworten konnte. Dazu war nur Soran imstande.

„Danke“, sagte er und wandte sich zum Gehen. „Jean-Luc…“ Eine Warnung erklang nun in Guinans Stimme. „Überlassen Sie es

jemand anders, Soran aufzuhalten. Wenn Sie den Nexus aufsuchen… Dann ist Ihnen Soran oder die Enterprise völlig gleich. Dann denken Sie nur noch daran, wie es sich anfühlt, dort zu sein. Und dann wollen Sie nicht zurück.“

Picard musterte Guinan und begriff, daß sie es sehr ernst meinte. Allerdings: Schon jetzt war ihm alles gleichgültig. Die tiefe Trauer über den Tod des Bruders und Neffen hatten ihn innerlich ausgehöhlt. Nur das Pflichtbewußtsein trieb ihn weiter an.

„Darüber mache ich mir Gedanken, wenn es soweit ist“, erwiderte er.

Geordi LaForge wußte nicht, wie der Raum aussah, in dem man ihn gefangenhielt. Ohne das VISOR war er blind. Er wußte nur, daß die Kammer unangenehm roch, nach Schmutz und Rauch. Ein leises, beständiges Summen teilte ihm mit, daß er sich an Bord eines Raumschiffs befand, das im Warptransfer flog. Nun, diese Dinge besorgten ihn kaum. Ein anderer Aspekt seiner Situation beunruhigte ihn weitaus mehr: Er verabscheute es, in der Gewalt eines Wahnsinnigen zu sein.

Für Geordi bestand nicht der geringste Zweifel daran, daß Dr. Soran verrückt war. Das ließ sich auch ohne VISOR feststellen. Der Chefingenieur rechnete nicht damit, diesen Tag zu überleben, und er nahm sich vor, tapfer zu sterben.

„Lassen wir doch das übliche Verhörgerede“, sagte der Wissenschaftler. „Ich habe Ihr VISOR und bin vielleicht bereit, es Ihnen zurückzugeben, wenn Sie einige Fragen beantworten. Was veranlaßte Sie, im Observatorium nach Trilithium zu suchen?“

„Man erteilte mir eine entsprechende Anweisung“, erwiderte Geordi. Warum nicht die Wahrheit sagen, solange sie harmlos blieb?

„Ich bin El-Aurianer“, meinte Soran. „Manche Leute bezeichnen uns als Lauscher und geborene Zuhörer. Weil wir zuhören. Sie haben nun meine volle Aufmerksamkeit, Mr. LaForge. Ich lausche interessiert, während Sie mir erzählen, was Sie von Trilithium – und mir – wissen. Was hat Ihnen Guinan über mich erzählt?“

„Guinan?“ entfuhr es Geordi verblüfft. „Ich weiß überhaupt nicht, wovon Sie reden.“

Jäher Schmerz explodierte in ihm, schien seine ganze Brust in einen Schraubstock zu zwängen. Er konnte nicht mehr atmen und hatte das Gefühl, von mehreren Messern gleichzeitig durchbohrt zu werden. Geordi versuchte, nicht zu schreien, aber er zappelte in seinem Sessel wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Es ist soweit, fuhr es ihm durch den Sinn. Ich sterbe… Die Pein ließ ebenso plötzlich nach, wie sie in ihm entstanden war. Der

Chefingenieur lehnte sich zurück, schnaufte und keuchte. Ihm blieb nichts anderes übrig, als zu warten – darauf, daß Soran ihn endgültig umbrachte.

„Oh, ich habe ganz vergessen, Sie darauf hinzuweisen“, sagte der El-Aurianer mit scheinbarer Freundlichkeit. „Während’ Ihrer Bewußtlosigkeit habe ich Ihnen eine winzige Diagnosesonde in den Blutkreislauf injiziert. Sie hat Ihr kardiovaskuläres System durchstreift und befindet sich nun im Herz. Diesen Trick habe ich von den Borg gelernt…“

Geordis Kehle brannte, und irgend etwas schnürte ihm die Kehle zu. Doch er wollte dem Irren nicht zeigen, wie schwach er sich fühlte. „Ja“, krächzte er. „Die Borg stecken voller Ideen.“

„Ich habe Ihr Herz eben für fünf Sekunden angehalten“, verkündete der Wahnsinnige. „Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, nicht wahr? Wußten Sie, daß man die Herztätigkeit bis zu sechs Minuten lang unterbrechen kann, bevor es zu irreparablen Schädigungen des Hirngewebes kommt?“

„Nein, das wußte ich nicht.“ Soran lachte leise. „Jeden Tag erfahren wir etwas Neues über uns selbst. Nun,

vielleicht habe ich mich nicht klar genug ausgedrückt. Es ist sehr wichtig für mich, daß Sie mir mitteilen, was Captain Picard über mich und das Trilithium weiß.“

„Ich habe Ihnen alles gesagt. Jetzt können Sie mich ruhig töten.“ „Ich bin kein Mörder, Mr. LaForge“, erwiderte Soran zornig. „Nun, versuchen

wir’s mit dreißig Sekunden.“ Der heiße Schmerz riß Geordi aus dem Sessel und warf ihn auf den Boden. Diesmal

konnte er nicht still bleiben, schrie und schrie…

Kapitel 7

Captain Picard wanderte auf der zentralen Plattform in der Sternkartenkammer hin und her. Diesen Teil der Enterprise besuchte er nur selten – während der ersten Phasen seiner beruflichen Laufbahn hatte er mehr als genug Gelegenheit gefunden, sich mit stellarer Kartographie zu befassen. Unter den gegebenen Umständen bot die Kammer jedoch einen großen Vorteil: Ihre holographischen Projektionsfelder vermittelten einen guten Eindruck davon, wie der Nexus durch die Galaxis – und auch die Zeit – glitt.

Picard und Data schienen sich im Weltraum zu befinden. Sterne umgaben sie. Manche bildeten aktuelle Konstellationen, und manche wurden in den Mustern gezeigt, die sie vor Jahrhunderten gebildet hatten. Das seltsame Energieband des Nexus wand sich zwischen ihnen durchs All, wirkte wie eine lebendige Entität. Natürlich handelte es sich nicht um den echten Nexus, sondern um eine vom Computer berechnete Simulation.

Immer wieder sah der Captain zum Androiden und hoffte, daß er bald Ergebnisse lieferte. Data saß an der Konsole, korrelierte und elaborierte, veränderte die Basisinformationen und betrachtete komplexe Diagramme. Als er erneut den Blick des Captains auf sich ruhen spürte, huschten seine Finger noch schneller über die Schaltflächen.

„Die derzeitigen Informationen lassen folgenden Schluß zu“, sagte er fast monoton. „Das Band besteht aus temporaler Energie, die unsere Galaxis einmal in neununddreißig Komma eins Jahren durchquert. Es passiert diesen Sektor in etwa zweiundvierzig Stunden.“

Ein Schatten fiel auf Picards Züge. Datas Hinweise bestätigten, daß Guinan recht hatte. Was auch immer der Wissenschaftler plante: Es ging dabei um den Nexus und seinen Wunsch, zu ihm zurückzukehren.

„Soran hat die Sonne Amargosa aus einem ganz bestimmten Grund kollabieren lassen“, sagte Jean-Luc. „Welche Auswirkung hat die Vernichtung des Sterns? Erstellen Sie eine Liste sämtlicher Konsequenzen.“

Data starrte ins Leere, schien mit offenen Augen zu träumen. „Data!“ sagte der Captain scharf. Der Androide zuckte zusammen, und seine Hände kehrten zu den Kontrollen

zurück. „Entschuldigen Sie bitte, Sir. Der Computer braucht einige Minuten, um alle Daten zu korrelieren.“

Während sie warteten, seufzte Data laut und senkte den Kopf. Picard fand, daß er sehr betrübt wirkte.

„Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragte er. „Nein, Sir. Es fällt mir schwer, mich zu konzentrieren. Ich bin überwältigt von…

Schuldgefühlen in Hinsicht auf mein Verhalten im Observatorium.“ „Wie meinen Sie das?“

Data schüttelte fassungslos den Kopf. „Ich wollte Geordi retten. Doch in mir regte sich ein lähmendes Empfinden, mit dem ich nicht gerechnet hatte – Angst. Sir, ich glaube, ich sollte desaktiviert werden, bis Dr. Crusher den Emo-Chip entfernen kann.“

„Ausgeschlossen“, entgegnete Picard sofort. „Bei dieser Sache brauche ich Ihre volle Aufmerksamkeit.“

Der Androide erweckte nach wie vor einen sehr niedergeschlagenen Eindruck, und Jean-Luc nahm neben ihm Platz. „Wenn man Gefühle hat, so muß man lernen, sie ins allgemeine Leben zu integrieren und mit ihnen umzugehen, ungeachtet aller Umstände. Sie sind ein Offizier dieses Schiffes und haben eine Pflicht zu erfüllen. Reißen Sie sich zusammen, Commander. Das ist ein Befehl.“

Data straffte die Schultern. „Ja, Sir.“ Der Computer wies mit einem akustischen Signal darauf hin, daß er alle Daten

verarbeitet hatte. Data sah wieder auf den Bildschirm. „Die Neutralisierung der Sonne Amargosa hat folgende Auswirkungen auf diesen Sektor: Die Gamma-Emissionen haben um null Komma null fünf Prozent zugenommen; das Raumschiff Bozeman mußte den Kurs ändern…“

„Einen Augenblick“, sagte Picard. „Die Bozeman. Warum mußte das Schiff den Kurs ändern?“

„Die Vernichtung des Sterns hat die Gravitationskräfte im ganzen Sektor modifiziert. Alle Schiffe, die diesen Bereich passieren, müssen eine geringfügige Kurskorrektur vornehmen.“

Aufregung zitterte in Picard, und er sah sich die Daten selbst an. „Wäre es möglich, daß sich durch den Kollaps der Sonne Amargosa der Kurs des Nexus verändert hat?“

„Ja, Sir“, erwiderte Data überrascht. „Ich nehme sofort eine entsprechende Berechnung vor.“

„Alle Raumschiffe, die in den Einflußbereich des energetischen Phänomens geraten, werden zerstört.“ Picard überlegte laut. „Soran kann nicht in den Nexus hineinfliegen, und deshalb läßt er ihn zu sich kommen.“

Vor dem Androiden veränderten sich die Anzeigen der verschiedenen Displays. „Ja“, sagte er. „In dem Fall braucht Dr. Soran einen Ort, wo er auf das Energieband warten kann. Mit ziemlicher Sicherheit würde er einen Planeten der Klasse M wählen. Der Kurs des Nexus führt durchs Veridian-System, und dort gibt es zwei M-Welten.“

„Was geschähe mit dem Nexus, wenn auch das dortige Zentralgestirn einem künstlich herbeigeführten Kollaps zum Opfer fiele?“

„Dadurch würde der Nexus nach Veridian Drei gelenkt, einem unbewohnten Planeten“, antwortete Data. Besorgt sah er zum Captain. „Aber auf dem anderen Planeten der Klasse M leben zweihundertdreißig Millionen Personen. Und die Schockwelle ließe niemanden überleben.“

Jean-Luc klopfte auf seinen Insignienkommunikator. „Picard an Brücke.“ „Hier Worf.“ „Nehmen Sie Kurs aufs Veridian-System. Maximale Warpgeschwindigkeit.“

Zusammen mit Data eilte der Captain zum Turbolift.

Lursa Duras saß ungeduldig im Kommandosessel des klingonischen Schiffes. Sie konnte es gar nicht abwarten, den Passagier namens Dr. Soran loszuwerden, aber er mußte erst noch sein Geheimnis lüften – sie brauchten die Trilithiumwaffe von ihm. Durch das Bündnis mit der Föderation war das klingonische Imperium schwach geworden. Es benötigte neue, starke Führung – sie selbst und B’Etor.

Ihre Schwester kehrte auf die Brücke zurück, gefolgt von Dr. Soran. „Gab Ihnen der Mensch die gewünschten Auskünfte?“ fragte Lursa. „Nein“, erwiderte der Wissenschaftler. „Aber ich habe ihn am Leben gelassen –

damit Sie ihn als Geisel verwenden können. Eine Art Abschiedsgeschenk von mir.“ „Wir schwenken in die Umlaufbahn von Veridian Drei“, meldete der Steuermann. Soran klatschte in die Hände und lächelte. „Bereiten Sie alles für meinen Transfer

zur Oberfläche vor.“ „Wir wollen unseren Lohn“, verlangte B’Etor. Der El-Aurianer reichte ihr einen kleinen Chip. „Darin sind alle für den Bau der

Waffe notwendigen Informationen gespeichert. Die Daten sind verschlüsselt. Wenn Sie mich zum Planeten transferiert haben, bekommen Sie den Code von mir – vorher nicht.“

„Herrin!“ rief der klingonische Steuermann. „Ein Raumschiff der Föderation trifft gerade in diesem Sonnensystem ein!“

„Was?“ fauchte Lursa. „Auf den Schirm.“ Sie schnappte nach Luft, als die Enterprise den Warptransfer beendete und

ebenfalls in einen Orbit um den Planeten glitt. „Man setzt sich mit uns in Verbindung“, sagte der Steuermann. Er wirkte ebenso

besorgt wie die anderen Crewmitglieder. „Lautsprecher ein.“ Captain Picards klare Stimme erklang. „An das klingonische Schiff. Wir wissen,

was Sie vorhaben. Und wir werden jede solare Sonde zerstören, die Sie in Richtung der veridianischen Sonne starten. Wir verlangen, daß Sie unserem Chefingenieur die Rückkehr erlauben und anschließend dieses System verlassen.“

Soran runzelte die Stirn und sah auf seine Taschenuhr. „Für so etwas haben wir keine Zeit. Eliminieren Sie das Föderationsschiff.“

B’Etor schüttelte den Kopf. „Es handelt sich um ein Schiff der Galaxis-Klasse! Dagegen haben wir keine Chance.“

Soran lächelte. „Und wenn uns alle Geheimnisse des Gegners bekannt wären, alle seine Schwächen?“ Er holte Geordis VISOR hervor und betrachtete es. „Es wird Zeit, daß wir Mr. LaForge die visuelle Wahrnehmung zurückgeben.“

Einige hundert Kilometer entfernt schritt Picard im Kontrollraum der Enterprise auf und ab. Riker, Data und Worf behielten die Anzeigen ihrer Konsolen im Auge.

„Bestimmt überlegen sie gerade, ob es ein zwanzig Jahre altes klingonisches Schiff mit uns aufnehmen kann“, spekulierte der Captain.

„Sir…“, brummte Worf. „Nach meinen Berechnungen braucht eine solare Sonde nur elf Sekunden, um die Sonne zu erreichen – vorausgesetzt, sie wird aus der Umlaufbahn oder von der Planetenoberfläche gestartet. Da wir den genauen Startort

nicht kennen, benötigen wir zwischen acht und fünfzehn Sekunden, um die Waffensysteme auszurichten.“

„Also bluffen wir nur.“ Riker richtete einen ernsten Blick auf Picard. „Wann trifft der Nexus hier ein?“ fragte Jean-Luc. „In siebenundvierzig Minuten“, antwortete Data. „Wir empfangen Kom-Signale“, meldete Worf. „Auf den Schirm.“ Die Gesichter von zwei klingonischen Frauen erschienen im zentralen

Projektionsfeld. Selbst durch das Lächeln wurden sie kaum attraktiver. „Captain…“, sagte Lursa. „Welch ein unerwartetes Vergnügen.“ „Ich möchte mit Soran reden“, entgegnete Picard. „Oh, ich fürchte, er befindet sich nicht mehr an Bord unseres Schiffes.“ „Dann beame ich mich zu ihm“, erwiderte Picard. „Geben Sie mir die

Koordinaten.“ „Soran legt großen Wert auf seine Privatsphäre“, behauptete Lursa. „Er wäre sicher

sehr… ungehalten, wenn plötzlich eine bewaffnete Einsatzgruppe bei ihm erschiene.“ „Ich beame mich an Bord Ihres Schiffes“, schlug Picard vor. „Anschließend können

Sie mich auf den Planeten transferieren.“ „Sir…“, warf Riker ein. „Sie dürfen den Duras-Schwestern nicht vertrauen.

Vielleicht haben sie Geordi getötet. Und sie wären auch fähig, Sie umbringen.“ Lursa lächelte erneut und versuchte, freundlich zu wirken. „Wir haben Ihrem

Ingenieur kein Haar gekrümmt. Er ist unser Gast. Wir lassen ihn gern zurückkehren, und wir sind auch bereit, den Captain zu transferieren.“

Picard preßte die Lippen zusammen. Ganz deutlich sah er Rikers Mißbilligung, aber diese Entscheidung stand allein ihm zu – sein Leben gegen das des Chefingenieurs. LaForge war ein junger Mann, den noch viel erwartete. Jean-Luc hingegen fühlte sich alt. Mit dem Verzicht auf eigene Kinder hatte er seine Familie enttäuscht und verraten. Die Crew der Enterprise und die über zweihundert Millionen Unschuldigen im Veridian-System durfte er nicht im Stich lassen.

„Sie haben das Kommando, Nummer Eins“, sagte er. „Bitten Sie Dr. Crusher, den Transporterraum drei aufzusuchen.“

„Aye, Sir“, murmelte Riker. Mit entschlossenen Schritten trat der Captain zum Turbolift. Kurze Zeit später

stand er auf einem Transferfeld, während sich der Transporterchef an der Konsole bereithielt. Beverly Crusher und Schwester Ogawa warteten in der Nähe, mit einsatzbereiten Medo-Instrumenten. Die Ärztin lächelte, aber Jean-Luc wußte um ihre Besorgnis. Das Unbehagen in ihm verdichtete sich, doch er hielt an der Absicht fest, so viele Leben wie möglich zu retten.

„Koordinaten werden jetzt übermittelt, Captain“, sagte der Transporterchef. Picard schob das Kinn vor. „Energie.“ Der Captain verschwand in flirrender Energie, und im gleichen Augenblick

materialisierte Geordi. Jean-Luc sah noch, wie Beverly und Ogawa zu dem Chefingenieur eilten – und

dann stand er in einer Berglandschaft auf einem Hochplateau, umgeben von Büschen

und Bäumen. Ein Teil von ihm reagierte mit Überraschung darauf, daß die Duras-Schwestern ihr Versprechen tatsächlich gehalten hatten. Nun, vielleicht lag es daran, daß sie sich mit der weit überlegenen Enterprise konfrontiert sahen.

Picard stellte fest, daß ihm der Insignienkommunikator fehlte. In der Ferne sah er ein Gerüst. Er lief darauf zu und näherte sich einer Plattform,

wo eine solare Sonde für den Start vorbereitet worden war. Nicht weit entfernt stand Dr. Soran und sah auf seine Taschenuhr. „Hallo, Captain“, sagte er. „Sie halten mich vermutlich für verrückt.“ „Diese Möglichkeit kam mir in den Sinn, ja.“ „Ihre Anwesenheit an diesem Ort kann nur folgendes bedeuten: Sie wissen nicht

genau, ob Sie imstande sind, meine Solarsonde rechtzeitig zu neutralisieren. Deshalb wollen Sie versuchen, mir meinen schrecklichen Plan auszureden. Viel Glück.“

Picard wollte sich Soran nähern, doch ein unsichtbares Kraftfeld schleuderte ihn zurück. Zwei oder drei Sekunden lang blieb er benommen liegen, richtete sich dann auf, griff nach einigen kleinen Steinen und warf sie. Es glühte dort, wo sie die Ergbarriere berührten.

Der Captain brauchte nicht lange, um herauszufinden, daß der energetische Schild den Startbereich auf allen Seiten umgab.

Soran lachte laut, als er den Zorn in Picards Gesicht sah.

An Bord des klingonischen Schiffes beugte sich Lursa über die Schulter des Navigators und warf einen Blick auf die Anzeigen.

Der Mann lächelte zuversichtlich. „Es ist jetzt eine Signalverbindung mit der Mikrokamera hergestellt, die wir im VISOR des Menschen versteckt haben.“

„Auf den Schirm“, befahl die Klingonin. Eine Zeitlang zeigte der Hauptschirm nur wirre Streifen, und dann erschien die

Decke eines Zimmers in der Enterprise. „Es klappt!“ freute sich Lursa. B’Etor gesellte sich ihr hinzu. „Wo ist er?“ fragte sie. Plötzlich präsentierte der Bildschirm Beverly Crushers Gesicht, umrahmt von

kastanienbraunem Haar. Sie bedachte Geordi mit einem beruhigenden Lächeln und sprach mit ihm. Akustische Informationen wurden nicht übermittelt, aber Lursa ahnte, wo sich der Chefingenieur befand.

„Das ist die Krankenstation“, sagte sie und schnitt eine Grimasse. „Menschliche Frauen sind einfach abscheulich.“

„Wann sucht er den Maschinenraum auf?“ erkundigte sich B’Etor. Lursa starrte auf den Schirm. „Wir müssen Geduld haben. Keine Sorge, Schwester.

Früher oder später bekommen wir Gelegenheit, die Enterprise zu vernichten.“

Kapitel 8

Captain Picard schritt am Kraftfeld entlang und suchte nach einer Möglichkeit, auf die andere Seite zu gelangen. Er beobachtete, wie der Wissenschaftler die Tasten einer Fernbedienung drückte, anschließend zur Startvorrichtung ging und dort Justierungen an der solaren Sonde vornahm.

„Soran!“ rief er. „Was Sie jetzt vorhaben, ist gar nicht nötig. Bestimmt finden wir eine andere Möglichkeit, Sie in den Nexus zu bringen.“

Der El-Aurianer schüttelte den Kopf. „Achtzig Jahre lang habe ich nach einer anderen Möglichkeit gesucht, Captain. Dies ist der einzige Weg. Sie können mich begleiten, wenn Sie möchten. Sie forschen und erforschen gern, nicht wahr? Hier bietet sich Ihnen Gelegenheit, etwas zu untersuchen, das völlig fremd für Sie ist.“

„Nein“, erwiderte Picard. „Es würde den Tod von über zweihundert Millionen Personen bedeuten. Ich frage mich… Wußte Ihre Frau Leandra, daß sie einen Mann geheiratet hat, der zum Massenmord fähig ist?“

Soran sah verärgert auf. Einige Sekunden lang hoffte Picard, etwas Menschliches in ihm berührt zu haben, doch dann lächelte der Wissenschaftler.

„Nicht schlecht, Captain. Wie dem auch sei: Alle Personen, an denen mir etwas lag, sind tot, und ich kann sie nur mit Hilfe des Nexus erreichen. Kommen Sie mit, wenn Sie wahres Glück erfahren wollen.“

Picard seufzte und setzte sich. Wie sollte er Soran daran hindern, seinen Plan zu verwirklichen? Aus einem Reflex heraus tastete er nach dem Insignienkommunikator und berührte eine leere Stelle am Uniformpulli. Nein, er durfte sich keine Hilfe erhoffen, mußte allein mit dem Verrückten fertig werden. Alles hing von ihm ab.

Lursa und B’Etor blickten auch weiterhin zum Hauptschirm. Sie sahen Beine und Seifenblasen, die auf Wasser schwammen. Geordi LaForge nahm ein Bad!

„Vermutlich ist er der einzige Chefingenieur in ganz Starfleet, der den Maschinenraum meidet!“ knurrte B’Etor.

„Unser Schiff war ihm zu schmutzig“, fauchte Lursa. „Aber er ahnt nichts. Soll er sauber in den Tod gehen…“

Commander Riker wanderte unruhig durch den Kontrollraum der Enterprise. „Hat sich was ergeben, Mr. Worf?“ fragte er.

„Nein, Sir“, antwortete der Sicherheitsoffizier. „Es ist noch immer nicht möglich, den Captain zu lokalisieren. Die Ortungssignale der Sensoren können die Ionosphäre des Planeten nicht durchdringen.“

„Versuchen Sie es weiter“, sagte Riker. „Versuchen Sie es weiter.“ Captain Picard warf Steine nach dem Kraftfeld. Sie prallten ab, und in jedem Fall

kam es zu kleinen Entladungen. Soran stand noch immer an den Kontrollen der Startvorrichtung und nahm dort Schaltungen vor.

Es muß einen Weg auf die andere Seite der Ergbarriere geben, dachte Picard.

Einmal mehr trat er an den energetischen Schild heran und versuchte es mit Worten. „Wissen Sie, Soran… Ist Ihnen klar, daß Sie sich praktisch ebenso verhalten wie damals die Borg? Auch Sie schicken sich an, eine ganze Welt zu zerstören, alles Leben auf ihr auszulöschen.“

„Sie haben recht“, antwortete der Wissenschaftler, ohne den Kopf zu heben. „Früher einmal wäre ich nicht dazu imstande gewesen, jemandem ein Leid zuzufügen. Doch dann kamen die Borg… Und sie zeigten mir, daß es in diesem Universum eine Konstante gibt. Sie lautet: Tod.“

Soran stand auf und klopfte sich Schmutz von den Händen. „Später begriff ich, daß solche Dinge eigentlich gar keine Rolle spielen. Wir alle sterben, früher oder später. Auch Sie, Captain. Vielleicht erliegen Sie einer Krankheit. Oder Sie kommen durch ein Unglück ums Leben.“

Langsam drehte er den Kopf und begegnete Jean-Lucs Blick. „Oder Sie verbrennen in einem Feuer.“

Picard schluckte und versuchte, nicht an Bruder und Neffen zu denken. Soran kam näher, blieb auf der anderen Seite des Kraftfelds stehen.

„Ich bin im Nexus gewesen, Captain. Und daher weiß ich Bescheid. Haben Sie das Gefühl, langsam von der Zeit eingeholt zu werden? Sie ist wie ein Raubtier, das sich heimlich ans Opfer heranschleicht. Oh, Sie können versuchen, es mit Hilfe von Ärzten, Medizin und technischen Hilfsmitteln auf Distanz zu halten. Aber Sie sind nicht in der Lage, ihm auf Dauer zu entgehen. Irgendwann kommt es zur Konfrontation, und dann sind Sie erledigt.“

„Wir alle sind sterblich“, erwiderte Picard. „Das ist eine der Wahrheiten unserer Existenz.“

Soran sah zum Himmel empor und schien auf etwas zu warten. „Ich habe eine neue Wahrheit gefunden – den Nexus. Dort hat die Zeit keine Bedeutung. Dort hat das eben erwähnte Raubtier die Zähne verloren.“

Picard suchte nach geeigneten Worten. Aber was sollte er einem Mann sagen, der bereit war, dem eigenen Glück das Leben Millionen Unschuldiger zu opfern?

Soran setzte seine Vorbereitungen fort, und der Captain schritt wieder am Kraftfeld entlang. Nach einer Weile fiel ihm etwas auf.

Neben einem nahen Baum ragte eine Wurzel aus dem Boden und formte einen Bogen, der gerade genug Platz ließ, um hindurchzukriechen. Erneut griff Picard nach einigen Steinen und warf sie. Oberhalb der Wurzel prallten sie am Ergschild ab. Unterhalb von ihr rollten sie auf die andere Seite des Schilds.

Die Barriere erstreckte sich nur über der Wurzel, nicht aber darunter! Soran sah zu dem Starfleet-Offizier. „Seien Sie vorsichtig, Captain. Es handelt sich

um einen fünfzig Gigawatt starken Energieschirm. Sie sollten sich besser davon fernhalten. Es täte mir leid, wenn Ihnen etwas zustößt.“

„Danke für den Hinweis“, antwortete Picard. „Ich vertreibe mir nur die Zeit.“ Der El-Aurianer lachte leise. „Nein, Captain. Die Zeit vertreibt Sie – aus dem

Leben.“

Lursa setzte sich ruckartig auf. Nach wie vor zeigte der Hauptschirm Bilder, die von der Mikrokamera in Geordi LaForges VISOR übertragen wurden. Der Chefingenieur schien stundenlang gebadet und sich rasiert zu haben, doch jetzt ging er endlich durch einen Korridor – und näherte sich einer mit MASCHINENRAUM gekennzeichneten Tür.

„B’Etor!“ rief die Klingonin. Ihre Schwester sprang auf und blickte zum Projektionsfeld. „Wird das

aufgezeichnet?“ „Ja, Herrin“, bestätigte ein Besatzungsmitglied. Lursa hielt unwillkürlich den Atem an, als Geordi den Maschinenraum betrat. Die

Leute dort begrüßten ihn herzlich, schienen sich sehr über seine Rückkehr zu freuen. Kurze Zeit später erschienen die Anzeigen von Monitoren auf dem Hauptschirm – der Chefingenieur überprüfte nun die Instrumente.

Lursa wußte, daß Soran verrückt war, aber mit der Manipulation des VISORS hatte er auch Genialität bewiesen.

Jemand lenkte Geordis Aufmerksamkeit auf eine große graphische Darstellung der Enterprise. Sie zeigte alle Einzelheiten: Waffensysteme, Plasmaverbindungen, Generatoren, Warpkern, Schilde… Genausogut hätte man eine Besichtigungstour für die Beobachter veranstalten können!

„Das sind genau die Informationen, die wir brauchen!“ entfuhr es Lursa. „Ich will eine Vergrößerung des Diagrammbereichs sehen, der Auskunft über den Status der Schilde gibt!“

B’Etor eilte zu den Kontrollen und projizierte aufgezeichnete Daten. „Fokus auf jenen Abschnitt dort“, sagte Lursa. Ihre Schwester betätigte Tasten, und das Bild schwoll an – bis sie ganz deutlich

Zahlen und Buchstabenkolonnen erkennen konnten. Lursa lachte triumphierend. „Die Schilde arbeiten mit einer Modulation von zwei

fünf sieben Komma vier!“ B’Etor lächelte und wandte sich an den Waffenoffizier. „Die Frequenz unserer

Photonentorpedos entsprechend anpassen!“ „Ja, Herrin“, erwiderte der Klingone. B’Etor klatschte in die Hände. „Feuer frei!“

Eine enorme Explosion ließ die Enterprise erbeben. Alarmsirenen heulten, und rotes Licht pulsierte. Auf der Brücke verloren einige Offiziere den Halt und fielen zu Boden; manche von ihnen blieben liegen.

Worf wankte zu seiner Station zurück. „Photonentorpedos!“ brachte er verblüfft hervor. „Und unsere Schilde sind wirkungslos!“

„Phaser: Zielerfassung und Feuer!“ rief Riker. Wieder kam es zu einem direkten Treffer, und die heftigen Erschütterungen

wiederholten sich. Hier und dort stoben Funken aus Konsolen. Rauchwolken bildeten sich.

Riker stand auf und wischte sich Blut von der Stirn. „Schadensbericht!“

Panik erklang in Datas Stimme, als er meldete: „Bordsysteme fallen aus! Lecks bei den Sektionen einunddreißig bis fünfunddreißig. Deflektoren funktionieren nicht!“

Wieder krachte es, und das Licht im Kontrollraum trübte sich. Riker eilte zu Worf. „Wir haben es mit einem ziemlich alten klingonischen Schiff

zu tun. Was wissen wir darüber? Gibt es irgendwelche schwachen Punkte?“ „Es ist eine Einheit der Klasse D-zwölf“, entgegnete der Klingone. „Dieser Typ

wurde wegen defekter Plasmaspulen außer Dienst gestellt.“ Der Erste Offizier sah zum Wandschirm. Es mochte ein altes Schiff sein, aber es

verfügte über zahlreiche Photonentorpedos. Er drehte sich um, und tief in seinem Innern verkrampfte sich etwas, als sein Blick auf ein totes Besatzungsmitglied fiel.

„Defekte Plasmaspulen?“ fragte Riker mit wachsender Verzweiflung. „Können wir das irgendwie zu unserem Vorteil nutzen?“

Worf schüttelte den Kopf. „Ich weiß es nicht. Die Spulen sind Komponenten der Tarnvorrichtungen…“

„Data!“ Riker versuchte, das Heulen der Sirenen zu übertönen. „Eine defekte Plasmaspule müßte doch auf ionische Impulse reagieren, oder?“

Der Androide neigte den Kopf zur Seite und dachte nach. „Ja! Wenn wir einen niederenergetischen ionischen Impuls verwenden, so kommt es dadurch zu einer Rejustierung der Spule, und dadurch wird die Tarnvorrichtung ausgelöst. Eine ausgezeichnete Idee, Sir.“

Worf nickte und verstand. „Wenn die Tarnvorrichtung aktiv wird, sorgt ein automatischer Mechanismus für die Deaktivierung der Deflektoren.“

„Und dann ist der Gegner etwa zwei Sekunden lang verwundbar“, sagte Riker. „Data, Plasmaspule anpeilen.“

Der Androide lächelte. „Geht klar“, entgegnete er locker und eilte zur Wand. Dort löste er eine Verkleidungsplatte und stellte neue Schaltverbindungen her, mit einer Geschwindigkeit, zu der ein Mensch nicht fähig gewesen wäre.

Der Erste Offizier wandte sich erneut an Worf. „Bereiten Sie mehrere Photonentorpedos für den Einsatz vor. Wir bekommen nur eine Chance. Zielen Sie auf den primären Reaktor.“

„Aye, Sir.“ Der Klingone berührte Schaltflächen.

An Bord des imperialen Kreuzers rieb sich Lursa die Hände und grinste. Sie witterte bereits den Sieg! Wenn bekannt wurde, daß es den Duras-Schwestern gelungen war, die Enterprise zu besiegen… Dann lag ihnen das klingonische Imperium zu Füßen.

„Unsere Schilde absorbieren die Phaserenergie“, stellte B’Etor zufrieden fest. „Waffensysteme auf Brückenbereich richten“, sagte Lursa. „Jetzt machen wir ihnen

den Garaus.“ Der Navigator brummte überrascht. „Herrin! Die Tarnvorrichtung hat sich

aktiviert!“ „Was?“ heulte B’Etor. „Unsere Schilde sind gesenkt!“ fügte der Mann am Navigationspult entsetzt hinzu. „Ausweichmanöver!“ fauchte Lursa.

Aber es war bereits zu spät. Der Hauptschirm zeigte, wie die schwer beschädigte Enterprise einige Photonentorpedos abfeuerte. Es blieb Lursa nicht einmal Zeit genug, die Hand zu heben, um die Augen vor dem Gleißen des Explosionsblitzes abzuschirmen.

Die Brückenoffiziere der Enterprise beobachteten, wie das klingonische Schiff auseinanderplatzte. Nur einige glühende Trümmerstücke blieben davon übrig und glitten durchs All.

„Hurra!“ rief Data und schüttelte die Faust. Riker lächelte und klopfte Worf auf den Rücken. „Gut gemacht. Das gilt für Sie

alle. Jetzt sollten wir sofort damit beginnen, wichtige Bordsysteme zu reparieren. Außerdem müssen sich medizinische Einsatzgruppen um die Verletzten kümmern. Wahrscheinlich bleibt uns nichts anderes übrig, als ein Raumdock anzusteuern. Wie weit ist es bis zur nächsten Starbase, Data?“

Bevor der Androide antworten konnte, erklang Geordis Stimme aus dem Kom-Lautsprecher. „LaForge an Brücke. Nur fünf Minuten trennen uns von einem Warpkern-Kollaps! Ich kann ihn nicht verhindern.“

Riker lief zum Kommandosessel. Ein Warpkern-Kollaps! Das bedeutete: In fünf Minuten wurde die Enterprise vernichtet!

Kapitel 9

Commander Trois Stimme ertönte überall im Raumschiff. „Notfallevakuierung! Alle Besatzungsmitglieder und Passagiere ins Diskussegment. Eine Separation stehtunmittelbar bevor. Dies ist keine Übung!“

Als der Alarm erklang, ließ Dr. Crusher ihre Medo-Tasche fallen. Während der vergangenen sieben Jahre hatten sie immer wieder die Trennung des Diskussegments vom Rumpf mit dem Warptriebwerk geübt. Und jetzt wurde es ernst!

Die Ärztin half einer Verwundeten zur Tür. Aus den Augenwinkeln sah sie, wie Schwester Ogawa versuchte, eine Bahre zu entfalten.

„Ogawa!“ rief sie. „Die Verletzten sollen gehen! Für Bahren und dergleichen gibt es nicht genug Platz! Sorgen Sie dafür, daß alle die Krankenstation verlassen. Jede Sekunde zählt!“

Beverly eilte in den Korridor, und dort beobachtete sie, wie Schulkinder ihr Klassenzimmer verließen, zum nächsten Turbolift liefen. Ein Lehrer führte die Klasse; ein anderer zählte die Jungen und Mädchen. Es wimmelte überall von Besatzungsmitgliedern und ihren Angehörigen, aber es kam nicht zu einer Panik. Sie alle hatten gewußt, daß einmal ein solcher Tag kommen konnte.

Ein kleines Mädchen hatte die Arme voller Spielzeuge. Die Mutter nahm sie fort. „Wir dürfen keine persönlichen Dinge mitnehmen“, sagte sie.

Als sie die Trauer im Gesicht der Tochter sah, gab sie ihr den Teddybär zurück. Doch die anderen Spielzeuge warf sie ins Quartier, dessen Tür sich schloß.

Deanna Troi erschien in der Menge, mit einem Kind unter jedem Arm. „Kommen Sie!“ rief sie den Erwachsenen zu. „Helfen Sie den Kindern und Verletzten!“

Die Männer und Frauen warfen alles fort, was sie mit sich trugen, wandten sich jenen zu, die Hilfe brauchten.

Eine Tür schwang auf, und Worf deutete auf eine Stahlleiter. „Hier entlang!“ donnerte er. „Die Turbolifte sind überfüllt!“ Dutzende von Erwachsenen stellten sich an und kletterten nach oben. Die

Umstände erfüllten Beverly mit Furcht, aber sie war auch stolz auf die Crew der Enterprise. Zivilisten, Kinder… Sie alle wußten, worauf es ankam. Wenn sie das Diskussegment nicht rechtzeitig erreichten… Dann starben sie durch die Explosion des kollabierenden Warpkerns.

Ruhe herrschte auf dem Hochplateau des Planeten Veridian Drei. Sanfter kühler Wind wehte, ließ die Baumwipfel rauschen. Soran saß auf einem Felsen und betrachtete seine Taschenuhr. Gelegentlich hob er den Kopf und blickte zu Picard.

Der Captain wartete. Inzwischen hatte er eine Entscheidung getroffen: Er wollte unter der Wurzel hindurchkriechen, um die andere Seite des Kraftfelds zu erreichen. Doch ein solcher Versuch hatte nur dann einen Sinn, wenn Soran nicht zusah. Der Wissenschaftler trug einen Intervaller am Gürtel und würde sicher nicht zögern,

Gebrauch davon zu machen. Woraus folgte… Jean-Luc mußte sich gedulden, bis andere Dinge Sorans Aufmerksamkeit fesselten.

Nach einer Weile stand der El-Aurianer auf, überprüfte noch einmal die Startvorrichtung und nickte zufrieden.

„Danke dafür, daß Sie mit mir gewartet haben, Captain“, sagte er. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, Captain… Ich bin mit der Ewigkeit verabredet und möchte mich nicht verspäten.“

Er kletterte am Gerüst empor. Picard beobachtete ihn einige Sekunden lang, hastete dann zur Wurzel, sank zu Boden und versuchte, sich durch den vom Holz gebildeten Bogen zu schieben. Der Platz genügte kaum…

Plötzlich berührte die eine Schulter das Kraftfeld, und es kam zu einer knisternden Entladung. Der auf dem Gerüst stehende Soran hörte die Entladung, wirbelte herum, zog zornig den Intervaller und schoß. Ein Energieblitz fraß sich dicht neben Picard in den Boden, schuf eine dichte Wolke aus Rauch und aufgewirbeltem Staub.

Soran trat zum Rand der Plattform, um besser Ausschau zu halten. Er wußte nicht, ob er den Starfleet-Offizier getroffen und getötet hatte, aber er war bereit, noch einmal zu feuern. Als sich die Staubwolke schließlich lichtete, sah der Wissenschaftler nur ein Loch im Boden. Vom Captain fehlte jede Spur.

„Picard!“ rief Soran. „Wo sind Sie?“ Keine Antwort. Aus dem Flüstern des Winds wurde ein etwas lauteres Murmeln, und der El-

Aurianer hob den Blick zum Himmel, sah etwas in der Ferne… Der Nexus kam, um ihn aufzunehmen!

„Noch eine Minute bis zum Kollaps des Warpkerns“, sagte Data, und Furcht vibrierte in jeder einzelnen Silbe.

Commander Rikers Finger trommelten auf die Armlehnen des Sessels. Er mußte warten. Aber wie lange noch?

Plötzlich ertönte Geordis atemlose Stimme aus dem Kom-Lautsprecher. „Das war’s, Brücke. Wir sind alle im Diskussegment!“

Der Erste Offizier nickte und sah zu Data. „Separationssequenz einleiten.“ Der nächste Befehl galt Deanna Troi, die bereits wieder an den Steuerungskontrollen saß. „Volle Impulskraft nach Trennung.“

„Ja, Sir“, bestätigte sie. Datas Hände huschten über Schaltflächen, während der Wandschirm eine

Simulation der aktuellen Ereignisse zeigte. Ein Spalt zwischen Diskussegment und Rumpf entstand. Die Warpgondeln gehörten zur sekundären Sektion und gaben kurz Schub, um die Trennung zu beschleunigen. Schließlich schwebte der Diskus frei im All.

„Separation erfolgt“, berichtete Data. „Zehn Sekunden bis zum Warpkern-Kollaps.“ „Beschleunigung mit Impulskraft“, sagte Deanna. Riker ballte die Fäuste und fragte sich, ob die Zeit genügte. Kurz darauf explodierte

der Rumpf, und die energetische Druckwelle der Explosion schüttelte das

Diskussegment der Enterprise. Praktisch alle verloren den Halt und stürzten zu Boden.

„Bericht!“ rief Riker. „Die Steuerungskontrollen reagieren nicht mehr!“ stieß Deanna hervor. Der Erste Offizier blickte zum Wandschirm und sah, wie ihnen der Planet Veridian

Drei entgegenraste. „Oh-oh“, kommentierte Data. Das Schiff erzitterte immer heftiger. In den unteren Bereichen des Diskus weinten

Kinder, klammerten sich an Vätern und Müttern fest. Das kleine Mädchen umarmte seinen Teddybär, während Gegenstände durch die Luft flogen. Alle hielten den Atem an.

Riker starrte aus weit aufgerissenen Augen zum Wandschirm. Der Planet füllte nun das ganze Projektionsfeld. Er sah Wälder, Seen und Berge… Es konnte nur noch Sekunden dauern, bis ein verheerender Aufprall erfolgte.

Datas Finger flogen einmal mehr über die Kontrollen. „Ich habe neue interne Transferkanäle programmiert, damit die Reserveenergie den Manövriertriebwerken zur Verfügung steht. Jetzt beginnt der erste Versuch, unsere Fallgeschwindigkeit zu verringern.“

Riker schaltete das Interkom ein. „An alle: Aufprall steht unmittelbar bevor!“ Im letzten Augenblick neigte sich die eine Seite des großen Diskussegments nach

oben. Eine Sekunde später prallte das große Raumschiff auf den Boden und schuf eine breite Schneise im Wald. Bäume knickten wie Zahnstocher, und ganze Hügel wurden zu Staub zermahlen – der Diskus zermalmte alles unter sich.

Das eigene Trägheitsmoment schleuderte die Brückenoffiziere zu Boden und an die Wände. Deanna fühlte sich wie von einer unsichtbaren Faust gepackt und in Richtung Wandschirm gezerrt, aber glücklicherweise hielt Data sie fest. Konsolen explodierten; Schwaden aus dichtem Qualm durchzogen den Raum. Das Licht ging aus, und Dunkelheit wogte heran.

Das Chaos schien eine Ewigkeit lang zu dauern – und dann hörte es plötzlich auf. Noch einmal krachte es, und mit diesem Geräusch kehrte das Licht zurück. Riker schirmte sich die Augen ab, spähte zur Decke empor und blinzelte überrascht.

Das Licht stammte nicht etwa von den Leuchtkörpern. Die Kuppel über dem Kontrollraum war geborsten, und Sonnenschein glänzte herab. Zwei seltsam aussehende Vögel landeten am Rand des Loches und sahen neugierig in die Tiefe.

Der Erste Offizier lachte erleichtert.

Dr. Soran kletterte am Gerüst empor. Plötzlich traf ihn ein Stiefel im Gesicht und stieß ihn nach hinten – Picard hatte es geschafft, auf diese Seite des Kraftfelds zu gelangen.

Der Captain stürzte sich auf den El-Aurianer und kämpfte mit der einzigen Waffe, die ihm zur Verfügung stand: mit den Fäusten. Sie rollten auf der obersten Plattform des Gerüsts hin und her, während Soran versuchte, den Intervaller zu ziehen. Jean-Luc schlug die Waffe aus der Hand des Gegners, und sie fiel zu Boden.

Der Wissenschaftler setzte sich zornig zur Wehr und versetzte Picard einige wuchtige Hiebe. Jean-Luc rollte über den Rand der Plattform, fiel eine Ebene tiefer. Benommen schüttelte er den Kopf, blickte auf – und sah es.

Ein breites Energieband schlängelte sich über den Himmel, wirkte wie ein besonders exotisches Polarlicht. Der Nexus. Und er näherte sich rasch.

Die Zeit wurde knapp. Picard rollte sich zur Seite, und Sorans Stiefelspitze verfehlte ihn nur um

Haaresbreite. Er kam wieder auf die Beine, rammte dem El-Aurianer die Faust ins Gesicht. Er durfte sich nicht länger vom Kampf aufhalten lassen und mußte unbedingt versuchen, den Einsatz der solaren Sonde zu verhindern.

Picard zog sich an der Startvorrichtung hoch, und dabei schmerzte jeder Muskel in seinem Leib. Von einem Augenblick zum anderen donnerte es, und Rauchschwaden umhüllten ihn. Er schirmte sich die Augen ab und beobachtete, wie die Sonde gen Himmel raste.

Der Captain sprang von der Leiter und hoffte inständig, daß die Enterprise den kleinen Flugkörper abschoß. Doch es zuckten keine Phaserstrahlen. Hilflos sah Jean-Luc, wie ein dunkler Fleck auf der veridianischen Sonne entstand, rasch in die Breite wuchs und dabei Licht fraß. Jetzt wiederholte sich das, was Jean-Luc zuvor im Amargosa-System beobachtet hatte: Ein Stern starb.

Der Captain sank zu Boden, hieb mit der Faust in den Staub. Er hatte versagt. Soran heulte triumphierend und stand nun wieder ganz oben auf dem Gerüst. Mit

weit ausgestreckten Armen hieß er das Energieband willkommen. Der Wind lebte auf, und Picard fröstelte. Das einzige Licht am Himmel stammte

vom Nexus, der immer mehr anschwoll. Jean-Luc stand auf, doch er wußte: Flucht – wohin? – hatte keinen Sinn. Das

Gleißen des energetischen Phänomens erfaßte das ganze Firmament. Es verschlang Picard und Soran. Eine Sekunde später erreichte die Schockwelle den Planeten und verbrannte ihn. Alles verschwand.

Kapitel 10

Captain Picard schritt durch einen langen Flur. Er wußte nicht, an welchem Ort er sich aufhielt, denn er trug eine Augenbinde.

Kleine Hände führten ihn, und er hörte leises Lachen. Kurz darauf befand er sich in einem großen Raum. Etwas knisterte, und er spürte

die angenehme Wärme eines Kaminfeuers. Etwas roch frisch und würzig. Die Hände ließen ihn los, und Jean-Luc blieb unschlüssig stehen. Wie sollte er sich jetzt verhalten?

„Was geschieht hier?“ fragte er. „Wo bin ich?“ Man nahm ihm die Binde ab. Er blinzelte, und erste, noch verschwommene

Konturen präsentierten sich ihm. Zuerst sah er einen riesigen Weihnachtsbaum, an dem Hunderte von Lichtern funkelten. Ein Engel schmückte die Spitze.

Picard blickte sich im Salon seines Hauses in Frankreich um. Weshalb war er so sicher, daß es sich um sein Zuhause handelte, um sein Wohnzimmer? Er wußte es nicht. So hatte er sich Weihnachten immer vorgestellt: Zweige von Stechpalmen an den Fenstern und viele Geschenke unterm Baum.

Kurz darauf bemerkte er die Personen: seine geliebte Frau und ihre fünf Kinder. Er lächelte erfreut, hätte vor Glück weinen können.

Olivia, Thomas, Madison, Matthew und die kleine Mimi – er kannte ihre Namen. Natürlich kannte er sie! Schließlich war er ihr Vater. Die Jungen ähnelten ihm sogar.

Seine Frau schmunzelte. „Na los, sag was. Sie warten.“ Er schüttelte den Kopf. „Ich… ich weiß überhaupt nicht, was ich sagen soll…“

Die älteste Tochter Olivia trat vor. „Sag ‚Frohe Weihnachten’, Papa!“ „Frohe Weihnachten“, wiederholte er. Die Kinder applaudierten, und Jean-Lucs Frau trat vor, gab ihm einen Kuß. Sie

duftete wundervoll. Anschließend führte ihn die Schar zu seinem Lieblingssessel, und die Kinder begannen damit, ihre Geschenke auszupacken.

„Wo ist das Paket für Papa?“ fragte Madison und wühlte in dem Durcheinander. Matthew griff nach einem bunten Bündel. „Hoffentlich enthält es das Buch, das ich

mir gewünscht habe: Der Fabulist.“ „Das hier ist für Papa“, verkündete Olivia und strahlte. „Seht euch zunächst eure Sachen an“, schlug Picard vor. „Ich habe jede Menge

Zeit.“ Während die Kinder rege Aktivität entfalteten, lehnte sich Jean-Luc zurück und

beobachtete alles. Nie zuvor hatte er eine solche Zufriedenheit empfunden. Er wünschte sich, daß dieser Tag ewig dauerte.

„Ist der Weihnachtsbaum nicht wunderschön, Papa?“ fragte die kleine Mimi. „Ja“, bestätigte Picard und lächelte einmal mehr. „Ja, er ist prächtig. Ebenso wie

alles andere.“ Matthew, der jüngste Sohn, legte ihm ein Geschenk in den Schoß. „Das ist von uns

allen.“

Die Kinder warteten gespannt, und Picard wußte: Darüber hatten sie wochenlang geflüstert. „Danke“, sagte Picard. „Was mag wohl da drin sein…?“

Er öffnete das Paket mit der gleichen Ungeduld, die seine Kinder zuvor bei ihren eigenen Geschenken offenbart hatten. Der Karton enthielt einen Sextanten aus dem neunzehnten Jahrhundert. Das alte Navigationsinstrument bestand aus glänzendem Messing.

„Es ist ein Sechstant!“ rief Thomas aufgeregt. Tränen quollen Picard in die Augen. „Wo habt ihr ihn gefunden?“ „Das ist ein Geheimnis“, erwiderte Mimi. „Nun, dadurch gewinnt das Geschenk zusätzliche Bedeutung. Danke. Ich danke

euch allen…“ Jean-Luc umarmte die Kinder. „Wir haben dich lieb, Papa!“ rief Mimi. Und das stimmte. Picard spürte die Liebe ganz deutlich, wie etwas, das man

anfassen und berühren konnte. Es gab kein herrlicheres Empfinden. Stolz leuchtete in den Augen seiner Frau. „Wie ich unsere Sprößlinge kenne, haben

sie bald Hunger. Ich kümmere mich besser ums Essen.“ Unterdessen vergnügten sich die Kinder mit neuen Büchern und neuen

Spielzeugen. Picard streckte die Beine und sah sich den Christbaum genauer an. An die meisten Ziergegenstände erinnerte er sich von anderen Weihnachtsfesten her, doch ein Objekt weckte nun seine besondere Aufmerksamkeit.

Es handelte sich um eine gläserne Kugel mit einem winzigen, sternförmigen Licht in ihrem Innern, das mal leuchtete, mal erlosch. Es erinnerte Jean-Luc an etwas, doch die Reminiszenzen blieben vage und verschwommen. Er ahnte, daß sich etwas Unangenehmes mit ihnen verband.

Er drehte den Kopf und sah aus dem Fenster – es schneite draußen. Die Scheibe zeigte ihm ein Spiegelbild der Glaskugel und des Lichts in ihr. Es ging an und aus, an und aus…

Picard rieb sich die Augen. „Dies ist nicht richtig. Es kann nicht die Realität sein…“

„Es ist so real, wie Sie möchten“, erwiderte eine vertraut klingende Stimme. Der Captain drehte sich um und sah Guinan. Die Kinder spielten auch weiterhin,

ignorierten sowohl den Vater als auch die dunkelhäutige Frau. „Was ist los?“ fragte er „Wo bin ich?“ „Sie sind im Nexus.“ Picards Blick glitt durch den prächtigen Salon. „Dies hier ist der… Nexus?“ „Für Sie. Sie sind am Ort Ihrer Wahl.“ Jean-Luc schüttelte den Kopf. „Ich bin nie verheiratet gewesen. Ich hatte keine

Kinder, kein solches Heim.“ Ein geheimnisvolles Lächeln umspielte Guinans Lippen. „Jetzt können Sie sich

daran erfreuen.“ „Was machen Sie hier?“ fragte Picard. „Ich dachte, Sie seien an Bord der

Enterprise.“

„Ich bin tatsächlich an Bord der Enterprise. Und ich bin hier. Sehen Sie in mir eine Art Echo jener Person, die Sie kannten. Ein Teil von mir blieb zurück, als uns die Enterprise-B aufnahm.“

„Gilt das auch für Soran?“ erkundigte sich Picard. Die Auseinandersetzung mit dem Wissenschaftler, der kollabierende Stern… Jetzt erinnerte er sich wieder.

„Für uns alle“, betonte Guinan. „Verstehen Sie nun, warum er unbedingt zurückwollte?“

„Wo ist er jetzt?“ „Wo immer er sein möchte.“ „Papa!“ rief Thomas. „Hilf mir, ein Schloß zu bauen.“ Picard sah zu dem Jungen – er konstruierte ein Gebäude aus kleinen Bausteinen,

die sich miteinander verbinden ließen. Aber sein Schloß ist ebenso irreal wie dieses Zimmer, dachte Picard.

„Gleich“, sagte er und wußte: Wenn er dem Jungen wirklich dabei half, das Schloß zu bauen, dann blieb er vielleicht immer hier. Um glücklich zu sein, bis in alle Ewigkeit.

„Sie haben großartige Kinder“, meinte Guinan. „Sie können in die Vergangenheit zurückkehren, um ihre Geburt zu erleben. Oder machen Sie einen Abstecher in die Zukunft, um Ihre Enkel kennenzulernen. Die Zeit hat hier keine Bedeutung.“

„Das Essen ist fast fertig!“ rief Jean-Lucs Frau aus der Küche. Matthew griff nach seiner Hand. „Komm, Papa! Es gibt deine Lieblingsspeise!“ Natürlich, fuhr es Picard durch den Sinn. Ganz gleich, was in dieser Welt geschah:

Sie bot ihm immer das Beste. Er musterte den Knaben und auch die anderen Kinder. Ja, sie waren großartig noch großartiger, als es sich ein Vater wünschen konnte.

Er erinnerte sich an die Millionen Kinder, die gestorben waren, als die veridianische Sonne kollabierte. Sie haben wirklich existiert, dachte er.

„Geh nur“, sagte er zu Thomas. „Geh ohne mich.“ Der Junge bedachte ihn mit einem verwirrten Blick, doch es lag ihm fern,

ungehorsam zu sein. Zusammen mit seinen Geschwistern begab er sich ins Eßzimmer. Picard und Guinan blieben allein in einem Salon zurück, der dem Captain plötzlich kühler erschien.

„Kann ich den Nexus verlassen?“ fragte er. „Warum sollten Sie das beabsichtigen?“ „Gibt es eine solche Möglichkeit?“ Guinan nickte. „Wie ich schon sagte: Hier hat die Zeit keine Bedeutung. Wenn Sie

den Nexus verlassen, können Sie jeden beliebigen Ort und jede beliebige Epoche aufsuchen.“

Picard holte tief Luft. „Ich weiß genau, wohin ich möchte. Und ich kenne auch den exakten Zeitpunkt. Ich will zurück zum Plateau auf Veridian III – bevor Soran die solare Sonde startete. Ich muß ihn daran hindern, seinen Plan zu verwirklichen.“

„Wieso glauben Sie, diesmal Erfolg zu haben? Was ist, wenn Ihre Bemühungen einmal mehr vergeblich bleiben?“ „Ein berechtigter Einwand.“ Picard straffte die Schultern. „Ich brauche Hilfe. Sind

Sie bereit, mich zu begleiten, Guinan? Gemeinsam könnten wir…“

„Nein“, unterbrach sie den Captain. „Ich bin nur das Echo von jemandem, der sich bereits in der anderen Welt befindet.“

Picard runzelte die Stirn. Mußte er eine zweite Niederlage hinnehmen? Guinan wirkte recht nachdenklich. „Aber ich kenne jemanden, der Ihnen helfen

könnte…“ Es blitzte, und Picard fand sich im Freien wieder. Er hörte das Krächzen eines

Falken und beobachtete, wie der Vogel am Firmament kreiste. Ein prächtiger Anblick bot sich ihm dar: Berge, ein wolkenloser blauer Himmel, eine weite Wiese, auf der hier und dort Schnee glänzte. Jean-Lucs Atem kondensierte in der kühlen Luft.

Er hielt vergeblich nach Guinan Ausschau. Als er sich umblickte, bemerkte er ein zweistöckiges Gebäude in der Ferne. Es bestand aus Holz, wirkte jedoch massiv und stabil. Dies ist der Traum einer anderen Person, überlegte Picard. Aber wer mag es sein?

Er hörte, wie jemand Holz hackte, lenkte seine Schritte in die entsprechende Richtung. Als er um die Ecke der großen Blockhütte kam, sah er einen stämmigen älteren Mann, der eine Axt schwang und so hingebungsvoll arbeitete, daß er schwitzte. Erstaunlicherweise trug er eine Starfleet-Uniform.

Captain James T. Kirk! Picard erkannte ihn sofort – immerhin hing sein Porträt in der Starfleet-Akademie. Aber er war längst tot…

Dann erinnerte er sich: Kirk war im Verlauf jener Mission gestorben, bei der Guinan, Soran und die anderen El-Aurianer gerettet worden waren. Kirk lebte. Und wenn er Holz hackte… Es bedeutete, daß er sich dabei wohl fühlte.

Schnee knirschte unter Picards Stiefeln, und Kirk drehte sich um. „Ein wunderschöner Tag, nicht wahr?“ „Ja“, erwiderte Jean-Luc. „Ja, in der Tat.“ Er bezweifelte, ob es im Nexus schlechte

Tage gab. Kirk deutete auf ein Scheit. „Wenn Sie so freundlich wären…“ Picard begriff: Er sollte das Scheit auf den Hackklotz legen. Nach kurzem Zögern

kam er der Aufforderung nach, und der andere Captain schlug zu. Jean-Luc schluckte und fragte sich, wie er die Sache mit dem Nexus zur Sprache

bringen sollte. Was wußte Kirk von den Hintergründen seiner hiesigen Existenz? „Captain“, begann er, „ist Ihnen klar, daß…“ Kirk hob die Hand und schnüffelte. „Einen Augenblick. Ich glaube, da brennt was.“ Er lief zum Haus. Picard drehte sich um und sah, wie Rauch aus einem offenen

Fenster wehte. Er folgte dem älteren Captain durch die Hintertür in eine gemütliche Küche. Die

Einrichtung der Blockhütte entsprach der amerikanischen Pionierzeit, doch hier und dort gab es auch modernere Objekte. Jean-Luc sah einen alten Herd und ein computergesteuertes Brotbackgerät. Eine Starfleet-Plakette schmückte den Kühlschrank.

Kirk eilte zum Herd und zog eine qualmende Bratpfanne vom Feuer. Sie war natürlich heiß, und er ließ sie in die Spüle rutschen, drehte das Wasser auf. Er fächelte den Rauch beiseite, sah dann wieder zum Besucher.

„Es scheint jemand versucht zu haben, Eier zu braten.“ Er rümpfte die Nase. „Damit meine ich mich selbst. Dies ist mein Haus. Besser gesagt: Es hat mir einmal gehört. Hab’s vor einigen Jahren verkauft.“

Picard beschloß, sofort auf den Kern der Sache zu kommen. „Ich bin Captain Jean-Luc Picard, Kommandant der Enterprise.“

Bevor Kirk antworten konnte, läutete eine Uhr, die auf dem Fenstersims stand. Er betrachtete sie und lächelte verträumt. „Ich habe sie Pille geschenkt“, murmelte er. „Vor vielen Jahren…“

Picard unternahm einen weiteren Vorstoß. „Ich komme aus Ihrer Zukunft, aus dem vierundzwanzigsten Jahrhundert.“

Ein Bellen erklang, und unmittelbar darauf lief ein großer Hund in die Küche. Kirk ging in die Hocke, um ihn zu streicheln, und eine lange Zunge fuhr ihm übers Gesicht.

„Jake!“ entfuhr es ihm. „Jake, alter Knabe! Siehst gut aus, wenn man bedenkt, daß du schon seit sieben Jahren tot bist.“

Im Obergeschoß erklang die Stimme einer Frau. „He, Jim, ich verhungere bald. Wie lange hast du noch in der Küche zu tun?“

Kirk schüttelte staunend den Kopf. „Das ist Antonia.“ Er drehte sich zu Picard um. „Aus der Zukunft kommen Sie? Was soll das heißen?

Dies ist die Vergangenheit.“ Er zog eine Schublade auf und holte ein Hufeisen hervor, das mit einer roten

Schleife geschmückt war. Er lächelte – offenbar erinnerte er sich nun an den genauen Zeitpunkt.

„Dies geschah vor neun Jahren. An diesem Tag habe ich Antonia von meiner Absicht erzählt, zur Starfleet zurückzukehren.“

Kirk hob die Hand zur Stirn, als bereiteten ihm die Erinnerungen Kopfschmerzen. Nachdenklich kehrte er zur Spüle zurück und deutete auf die Pfanne.

„Das waren ktarianische Eier – damit wollte ich den Schock mildern. Und ich gab ihr das hier.“ Er hob das Hufeisen. „Sie sollte es sich über die Tür hängen. Antonia war immer ein wenig abergläubisch.“

„Ich weiß, daß Ihnen dies alles sehr real erscheint“, sagte Picard voller Anteilnahme. „Aber es ist nicht die Wirklichkeit. Wir befinden uns hier nicht in Ihrem Haus, sondern in einem temporalen Nexus.“

Kirk schnippte mit den Fingern. „Dill.“ Er kratzte die Pfanne leer und stellte sie wieder auf den Herd. Dann ging er zur

Speisekammer, holte zwei frische Eier und begann noch einmal, eine Mahlzeit zuzubereiten.

„Diesmal habe ich die Chance, alles richtig zu machen“, sagte er aufgeregt. „Da drüben steht ein Glas mit Dill, und zwar im zweiten Regal links, direkt hinter dem Muskat.“

Picard holte das Gewürz und reichte es Kirk. „Wie lange sind Sie schon hier?“ Der andere Captain zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung. Ich befand mich an

Bord der Enterprise-B, im Raum mit den Deflektormodulen. Die Wand vor mir löste sich auf. Und dann fand ich mich plötzlich hier wieder, beim Holzhacken.“

„Die Geschichte lehrt uns, daß Sie vor achtzig Jahren starben, bei dem Versuch, die Enterprise-B vor der Zerstörung durch ein energetisches Phänomen zu bewahren.“

Kirk lachte, während er die Eier briet. „Sie behaupten also, dies sei das vierundzwanzigste Jahrhundert. Und ich bin tot, wie? Aber so fühle ich mich gar nicht. Ganz im Gegenteil: Zum erstenmal seit vielen Jahren lebe ich richtig!“

„Sie sind nicht tot.“ Verzweiflung keimte in Picard. „Wie ich vorhin schon sagte: Wir sind hier in…“

„In einem temporalen Nexus, ja.“ Kirk nahm Pfanne und Spatel, füllte den Teller auf dem nahen Tablett, stellte ein Glas Orangensaft sowie eine kleine Vase mit Blumen hinzu.

„Ich glaube, da fehlt noch was…“ Damit schien er das Stichwort gegeben zu haben: Es klickte laut, und ein alter

Toaster auf der Arbeitsplatte bot zwei Scheiben Brot an. Kirk legte sie neben den Teller, hob das Tablett und ging damit zur Pendeltür.

Picard schloß zu ihm auf, als er mit dem Tablett in den Händen eine Holztreppe hochging.

„Captain!“ rief er. „Ich brauche Ihre Hilfe. Wir müssen den Nexus verlassen. Ich bin entschlossen, zu dem Planeten Veridian Drei zurückzukehren. Um dort jemanden daran zu hindern, eine solare Sonde zu starten und das Zentralgestirn jenes Sonnensystems zu vernichten. Viele Millionen Leben stehen auf dem Spiel.“

Kirk lächelte. „Eben wiesen Sie darauf hin, daß mich die Geschichte für tot hält. Es käme mir nie in den Sinn, historische Fakten in Frage zu stellen.“

„Sie leben“, betonte Picard. „Und als Starfleet-Offizier haben Sie eine Pflicht zu erfüllen.“

„Sie brauchen mir nicht zu sagen, worin meine Pflicht besteht“, sagte Kirk scharf. „Ich habe bereits die Galaxis gerettet, als Ihr Großvater noch Windeln trug. Und um ganz ehrlich zu sein: Ich glaube, daß die Galaxis in meiner Schuld steht.“

Der ältere Captain runzelte die Stirn, als sich schmerzliche Erinnerungen in ihm regten. „Ich war einmal wie Sie. Dauernd dachte ich an Dienst und Pflicht, hatte nur die Uniform im Sinn. Und was bekam ich dafür? Ein leeres Haus. Aber das wiederholt sich nicht. Ich gehe jetzt ins Schlafzimmer zu Antonia und sage ihr, daß ich sie heiraten möchte.“

Kirk ließ den Worten Taten folgen, brachte die Treppe hinter sich und betrat den Raum, aus dem Antonias Stimme erklungen war.

Aber er fand sich in einer Scheune wieder! Sonnenschein filterte durch schmale Lücken zwischen den Brettern, und Pferde standen in den Boxen. Es roch nach Gras und Heu. Eine Fliege summte neben Jims Ohr.

Er stand mitten in der Scheune und sah sich erstaunt um. Das Tablett war verschwunden.

„Dies dürfte wohl kaum ein Schlafzimmer sein“, meinte Picard. „Nein“, bestätigte Jim. „Das hier ist viel besser: die Scheune meines Onkels in

Iowa.“

Er eilte zu einer Box und klopfte dort an den Hals eines rötlichgrauen Pferdes. „Vor sieben Jahren habe ich dieses Roß geritten – an einem Frühlingstag. Wenn ich mich recht entsinne, ist dies der Tag, an dem ich Antonia kennenlerne.“

Kirk sah Picard an und lächelte. „Ihr Nexus gefällt mir sehr. Er gibt mir die Möglichkeit, jederzeit noch einmal von vorn zu beginnen.“

Er öffnete die Tür der Scheune, griff nach den Zügeln des Pferds und führte es nach draußen. Der Rotschimmel war bereits gesattelt, stampfte unruhig mit den Hufen und schien es kaum abwarten zu können, endlich zu laufen. Wie ein fröhlicher junger Mann schwang sich Jim auf den Rücken des Pferdes, stieß einen glücklichen Schrei aus und stob davon.

Picard schnitt eine Grimasse, trat zu den Boxen und hielt dort nach einem weiteren gesattelten Roß Ausschau. Er fand einen Grauschimmel, eine Stute, in deren Adern offenbar auch arabisches Blut floß. Rasch führte er sie nach draußen, stieg auf und folgte dem anderen Captain.

Er sah ihn in der Ferne: Er trieb sein Roß zu einem vollen Galopp an. Das Pferd sauste durch einen Bach, und Wasser spritzte unter seinen Hufen. Der Mann auf seinem Rücken duckte sich unter einigen niedrigen Zweigen hinweg.

Jean-Luc ritt nicht annähernd so schnell. Kurz darauf sah er etwas, das ihn regelrecht erstarren ließ: Kirk hielt direkt auf eine

Schlucht zu. Er konnte nicht mehr anhalten, mußte über den tiefen Einschnitt hinwegsetzen.

Picard bohrte seinem Grauschimmel die Hacken in die Flanken. Der Abstand zwischen Kirk und der Schlucht schrumpfte immer mehr, und Jean-

Luc hätte fast den Blick abgewendet. Doch dann fiel ihm ein, wo sie sich befanden. Mit neuer Gelassenheit beobachtete er, wie Kirks Roß über die Schlucht hinwegsetzte. Kurz darauf erfolgte ein zweiter Sprung, der Jim auf diese Seite des Grabens zurückbrachte.

Picard ließ seine Stute traben, bis er Kirk erreichte, der nicht einmal außer Atem war.

„Jenen Sprung habe ich bestimmt fünfzigmal hinter mich gebracht“, sagte Jim. „Und jedesmal entsetzte er mich. Aber diesmal nicht.“ Er schüttelte den Kopf. „Weil dies alles nicht real ist.“

Er sah in die Ferne, und Picard folgte seinem Blick, bemerkte eine kleine, zarte Frau, die ein beigefarbenes Pferd führte.

„Antonia?“ „Auch sie ist nicht real, oder?“ murmelte Kirk. „Diese Welt besteht nur aus

Illusion, aus lauter Trugbildern.“ Es klang enttäuscht und niedergeschlagen. „Es ist wie mit dem Orbitalspringen. Einige Minuten lang hat man Aufregung, aber letztendlich spielt’s keine Rolle. Man bewirkt keinen Unterschied.“

Er musterte Picard, schien ihn nun zum erstenmal bewußt wahrzunehmen. „Captain der Enterprise sind Sie?“

„Ja. Der Enterprise-D.“

Ein Hauch von Bitterkeit huschte über Kirks Gesicht. „Bleiben Sie bei Starfleet. Lassen Sie sich nicht befördern oder versetzen. Behaupten Sie Ihren Platz auf der Brücke der Enterprise – denn von dort aus können Sie Unterschiede bewirken.“

„Dazu muß man nicht unbedingt auf der Brücke eines Raumschiffs sein“, erwiderte Picard. „Kommen Sie mit mir. Helfen Sie mir, Sorans Plan zu vereiteln. Dadurch schaffen Sie einen Unterschied.“

Kirk schmunzele. „Wie kann ich es ablehnen, dem Captain der Enterprise zu helfen? Wie heißt der Planet, den wir aufsuchen müssen? Veridian Drei?“

Picard nickte. „Ja.“ „Ich nehme an, unsere Aussichten stehen schlecht, und die Situation ist sehr ernst.“ „Eine angemessene Beschreibung“, entgegnete Picard. „Millionen von Leben

stehen auf dem Spiel.“ Kirk rieb sich das Kinn. „Nun, wenn Spock hier wäre… Er hielte es sicher für

irrational und unlogisch, sich auf eine derartige Mission einzulassen…“ Er klopfte Picard auf den Rücken. „Aber es klingt nach viel Spaß!“

Kapitel 11

Captain Picard stand wieder auf dem Hochplateau des Planeten Veridian III. Dr. Soran schritt zur Startvorrichtung der solaren Sonde.

„Danke dafür, daß Sie mit mir gewartet haben, Captain“, sagte er. „Wenn Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden, Captain… Ich bin mit der Ewigkeit verabredet und möchte mich nicht verspäten.“

Der Wissenschaftler kletterte am Gerüst empor. Picard beobachtete ihn einige Sekunden lang, hastete dann zur Wurzel, sank zu Boden und versuchte, sich durch den vom Holz gebildeten Bogen zu schieben. Der Platz genügte kaum…

Plötzlich berührte die eine Schulter das Kraftfeld, und es kam zu einer Entladung. Der auf dem Gerüst stehende Soran hörte das Knistern, wirbelte herum, zog zornig

den Intervaller und schoß. Ein Energieblitz fraß sich dicht neben Picard in den Boden, schuf eine dichte Wolke aus Rauch und aufgewirbeltem Staub.

Soran trat zum Rand der Plattform, um besser Ausschau zu halten. Er wußte nicht, ob er den Starfleet-Offizier getroffen und getötet hatte, aber er war bereit, noch einmal zu feuern.

Bevor er erneut zielen und den Auslöser betätigen konnte, rammte ihm jemand zwei Stiefel in den Rücken. Dadurch rutschte ihm der Intervaller aus der Hand.

Soran wirbelte herum – und sah James T. Kirk. Der Captain holte zu einem wuchtigen Fausthieb aus, verfehlte jedoch das Ziel. Der El-Aurianer nutzte die Gelegenheit, um ihm einen Schlag in die Magengrube zu versetzen. Kirk taumelte und mußte einige weitere Schläge einstecken.

Picard begriff, daß er sofort handeln mußte. Er stand auf, eilte zur Startvorrichtung und kletterte dort die Leiter hoch. Soran sah ihn und wollte ihm folgen, aber Kirk stürzte sich von hinten auf den Wissenschaftler und riß ihn mit sich zu Boden.

Am Himmel schwoll der schimmernde Nexus immer mehr an. Jean-Luc öffnete die Kontrolleinheit des Startapparats und sah Monitore, die ihm

völlig unverständliche Symbole und Hieroglyphen zeigten. In einigen Fällen glaubte er, Zahlen zu erkennen, die sich dauernd veränderten – vermutlich ein Countdown. Er betätigte mehrere Tasten, ohne daß etwas geschah.

Er sah über die Schulter und beobachtete, wie Soran und Kirk durch den Staub rollten. Beide bemühten sich, den Intervaller zu erreichen.

Picard berührte eine andere Schaltfläche, und daraufhin erschien die veridianische Sonne auf einem Monitor. Ein eingeblendetes Fadenkreuz gab Auskunft über das Flugziel der solaren Sonde.

Aufgeregt drückte Jean-Luc eine weitere Taste… Und die Sonde verschwand! Eine Tarnvorrichtung, dachte er. Ich habe sie versehentlich aktiviert. Was sollte er

jetzt unternehmen? Dann erinnerte er sich an das von Soran verwendete Kontrollgerät, und seine

Aufmerksamkeit kehrte zum Kampf zurück. Einmal mehr holte Kirk aus, und

diesmal traf seine Faust den El-Aurianer mitten im Gesicht. Dr. Soran ging zu Boden, blieb benommen oder gar bewußtlos liegen. Jim schnitt eine Grimasse und tastete nach seinem schmerzenden Rücken.

„Kirk!“ rief Picard. „Er hat ein Kontrollgerät in der rechten Tasche!“ Mit einem leisen Stöhnen bückte sich der andere Captain und durchsuchte die

Taschen des Wissenschaftlers. Schließlich fand er das kleine Gerät und nahm versuchsweise einige Schaltungen vor. Während er damit beschäftigt war, schüttelte Soran den Kopf und setzte sich.

Der Intervaller lag gerade außerhalb seiner Reichweite, und er hechtete danach. Kirk bemerkte nichts davon.

Picard wollte ihn warnen, doch plötzlich erschien die Sonde wieder. Er entdeckte einen kleinen Trackball und drehte ihn, bewegte damit das Fadenkreuz fort von der Sonne.

„He!“ rief Kirk und lächelte. „Mit dem vierundzwanzigsten Jahrhundert scheint nicht viel los zu sein.“

Soran schoß, und der Intervallerstrahl traf Jim im Rücken. Wie in Zeitlupe kippte er nach vorn. Eine Sekunde später zündete das Triebwerk der Sonde, und es blieb Picard gerade noch genug Zeit, von der Startvorrichtung zu springen. Er schirmte sich die Augen ab und beobachtete, wie die Kapsel gen Himmel sauste.

Soran ließ den Intervaller fallen und jubelte – bis die Sonde in einem weiten Bogen zum Planeten zurückkehrte. Picard hörte das dumpfe Donnern einer Explosion und sah Rauch, der aus dem fernen Dschungel aufstieg.

„Nein!“ heulte Soran. Der Nexus füllte den Himmel, doch jetzt kam er nicht mehr näher.

Der El-Aurianer erkletterte das Gerüst, und ganz oben stellte er sich auf die Zehenspitzen, reckte die Arme dem Firmament entgegen, als wollte er nach dem Leuchten greifen. Das Energieband – das Tor durch Zeit und Raum – flackerte einige Male. Dann wich es zurück, und sein Glanz verblaßte.

Picard eilte zu Kirk. Er lebte noch, aber er atmete schwer, und die Wunde sah sehr schlimm aus.

„Es ist eure Schuld!“ heulte Soran mit sich überschlagender Stimme. Er nahm einen kurzen Anlauf, schickte sich an, vom Gerüst zu springen.

Jean-Luc war schneller, griff nach dem Intervaller und hob ihn, als der Wissenschaftler sprang. Der Strahl traf ihn mitten auf der Brust, und tot fiel er zu Boden. Ein glänzender Gegenstand rollte unter der Leiche hervor: die Taschenuhr, der gläserne Deckel zerbrochen.

Picard wandte sich wieder Kirk zu und bettete den Kopf des Verwundeten vorsichtig auf seinen Schoß.

„Guter Schuß…“, krächzte Jim. Er hustete, und seine Lider zuckten. „Halten Sie durch“, sagte Picard. „Ich finde einen Weg, Kontakt mit der Enterprise

aufzunehmen.“ Kirk schien ihn gar nicht zu hören. „Haben wir es geschafft? Haben wir… einen

Unterschied bewirkt?“ „Ja“, erwiderte Jean-Luc leise. „Und das ist in erster Linie Ihr Verdienst.“

„Es war… meine Pflicht, dem… Captain der Enterprise zu helfen.“ Kirk hustete erneut und atmete noch schwerer als vorher.

„Sie kommen wieder in Ordnung“, sagte Picard. Aber sie beide wußten, daß er log. Jim Kirk sah zum Himmel hoch, an dem nun wieder die Sonne strahlte. Er lächelte,

schien zufrieden zu sein und in sich selbst zu ruhen. „Es hat Spaß gemacht“, sagte er. Captain James T. Kirk hatte dem Tod häufig ein Schnippchen geschlagen, doch

diesmal gelang es ihm nicht. Er starb in Picards Armen.

Am späten Nachmittag legte Picard den letzten Stein auf Kirks Grab. Nach vollbrachtem Werk holte Jean-Luc Kirks Kommando-Insignien hervor und fügte sie ehrfurchtsvoll den Steinen hinzu.

Ein Triebwerk summte in der Ferne, und Picard hob den Kopf, sah ein Shuttle, das sich dem Plateau näherte. Er lächelte müde und winkte.

Die Raumfähre landete kurze Zeit später, und Jean-Luc stellte besorgt fest, daß es ziemlich mitgenommen wirkte – hier und dort zeigten sich rußige Beulen. Hinzu kam: Geordi LaForge hatte ein großes Pflaster an der Stirn, und Worfs schmutzige Uniform wies mehrere Risse auf. Nun, ich sehe bestimmt nicht viel besser aus, dachte Picard.

„Captain!“ rief Geordi, als er aus dem Shuttle kam. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“

„Ich wollte Ihnen gerade die gleiche Frage stellen.“ Worf schnitt eine finstere Miene. „Die Duras-Schwestern haben die Enterprise

angegriffen. Wir errangen den Sieg, mußten jedoch das Diskussegment vom Rumpf trennen.“

„Und das Gefechtssegment?“ Der Klingone schüttelte den Kopf. „Es existiert nicht mehr.“ „Wir haben Starfleet benachrichtigt“, fügte Geordi hinzu. „Die Farragut ist

unterwegs, um uns aufzunehmen.“ Picard konnte es kaum fassen. „Soll das heißen… Müssen wir die Enterprise

wirklich aufgeben?“ Geordi nickte traurig. „Kommen Sie“, sagte Jean-Luc. „Ich möchte sehen, was von meinem Schiff

übriggeblieben ist.“ „Und Dr. Soran?“ fragte LaForge. Picard schüttelte den Kopf. „In Hinsicht auf den El-Aurianer brauchen Sie sich

keine Sorgen mehr zu machen.“

Deanna Troi versuchte, Ruß und Blut von den Händen zu wischen, aber die Flecken schienen Teil der Haut geworden zu sein. Das schwarze Haar war zerzaust, bildete eine wirre, schmutzige Masse. Sie seufzte tief und dachte daran, ein heißes Bad zu nehmen, sobald die Farragut eintraf.

Die Counselor sah sich um und betrachtete die mitleiderweckenden Reste der Enterprise. Von dem einst so prächtigen Schiff war nicht einmal genug übrig, um das Interesse eines Ferengi-Schrotthändlers zu wecken. Die Explosion des Warp-Kerns

hatte den Rumpf im All zerstört, und das Diskussegment bestand nur noch aus Trümmern.

Aber es gab noch immer viele Besatzungsmitglieder, die ärztlich versorgt werden mußten. Deanna hatte dabei geholfen, die Verwundeten nach draußen zu tragen, und nun kehrte sie zusammen mit Ogawa in die ramponierte Krankenstation zurück.

Die Krankenschwester wischte sich Schweiß von der Stirn. „Das dürften die letzten gewesen sein, Doktor.“

Beverly Crusher nickte und schien zu erschöpft zu sein, um zu sprechen. Ihre hohlwangige Blässe deutete auf die Anstrengungen der vergangenen Stunden hin.

„Zweihundertzweiunddreißig Patienten in zwei Tagen“, ächzte sie. Ogawa bückte sich und griff nach einer Bahre. „Die bleibt hier“, sagte Beverly. „Gibt es noch einen Verletzten?“ erkundigte sich die Schwester. Dr. Crusher lächelte schief. „Nein. Diese Bahre ist für mich.“ Aus den Augenwinkeln sah Deanna Data vor der Krankenstation. Er hielt einen

Tricorder in der Hand und wirkte sehr besorgt. „Brauchen Sie mich noch?“ wandte sie sich an die Ärztin. Beverly schüttelte den Kopf und rang sich ein Lächeln ab. „Gehen Sie nur. Und

vielen Dank.“ Deanna schloß rasch zu dem Androiden auf und folgte ihm in einem Abstand von

einigen Schritten. Immer wieder blickte er auf die Anzeigen des Tricorders und sondierte die Trümmer. Troi fragte sich, wonach er Ausschau hielt. Inzwischen befanden sich keine Besatzungsmitglieder mehr im Diskussegment.

Er drehte sich zu ihr um. „Haben Sie zu tun, Counselor?“ „Nein“, erwiderte sie. „Um was geht’s?“ „Um eine persönliche Angelegenheit“, sagte der Androide niedergeschlagen. „Spot

wird noch immer vermißt.“ „O nein! Geben Sie mir einen Tricorder, damit ich Ihnen helfen kann.“ Zehn Minuten später erreichten sie eine Frachtkammer und setzten die

Sondierungen fort. Deannas Besorgnis wuchs. Wenn sie Spot nicht fanden, so mochten sich gravierende emotionale Konsequenzen für Data ergeben.

Um das Schweigen zu beenden, fragte die Counselor: „Wie fühlen Sie sich?“ Data neigte den Kopf ein wenig zur Seite. „Es ist nicht leicht gewesen, aber ich

glaube, inzwischen habe ich mich unter Kontrolle.“ „Soll das heißen, Sie wollen den Emo-Chip nicht mehr entfernen lassen?“ „Derzeit behalte ich ihn“, sagte Data. „Zuerst war ich nicht auf die unvorhersehbare

Natur von Gefühlen vorbereitet. Inzwischen hatte ich Gelegenheit, zweihunderteinundsechzig verschiedene emotionale Variationen kennenzulernen, und dadurch habe ich gelernt, eine gewisse Kontrolle auszuüben. Ich lasse mich jetzt nicht mehr von meinen Empfindungen beherrschen.“

„Nun, Data, ich wünsche Ihnen Erfolg bei Ihren Bemühungen…“ Eigentlich hatte Deanna noch etwas hinzufügen wollen, aber plötzlich piepste ihr Tricorder.

Biosignale!

Data blickte über Trois Schulter, orientierte sich anhand der Displays und eilte dann in einen Bereich der Frachtkammer, wo mehrere schwere Regale umgestürzt waren. Der Androide zog sie so mühelos beiseite, als bestünden sie aus Pappe.

Deanna gesellte sich hinzu und hielt unwillkürlich den Atem an. Als Data die letzte große Metallplatte hochzog, hörte sie ein leises „Miau“. Der Androide bückte sich und griff behutsam nach einer orangefarbenen Katze, die jetzt fast ganz schwarz war.

„Spot!“ Er seufzte erleichtert, hob die Katze und hielt sie zärtlich in den Armen. „Ich bin sehr froh, daß ich dich gefunden habe, Spot.“

Deanna lächelte. „Eine weitere Familie vereint.“ Überrascht tastete Data mit dem Zeigefinger nach einem Augenwinkel und

betrachtete ihn anschließend – die Kuppe war feucht. „Ist alles in Ordnung mit Ihnen?“ fragte Deanna. Der Androide schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht genau, Counselor. Es freut mich

sehr, daß Spot wohlauf ist und ich sie wieder in den Armen halten kann. Aber gleichzeitig weine ich. Offenbar handelt es sich um eine Fehlfunktion des Emo-Chips.“

„Nein, Data“, antwortete Troi. „Der Chip funktioniert perfekt.“

Captain Picard und Commander Riker setzten eine lange Tradition fort, indem sie bis zum Schluß an Bord der Enterprise blieben. Während die Farmgut im Orbit wartete, sah sich Jean-Luc noch einmal in den Überbleibseln des Bereitschaftsraums um. Vermutlich gab es dort keine Gegenstände, die heil geblieben waren, doch ohne einen letzten Blick wollte er nicht gehen.

Picard bedauerte den Verlust der Enterprise, dennoch spürte er keine Niedergeschlagenheit. Ganz im Gegenteil. Kraft und erneuerte Zielstrebigkeit erfüllten ihn. Die Realität mochte nicht immer angenehm sein, aber Traumwelten boten keine Möglichkeiten, „Unterschiede zu bewirken“.

Commander Riker sah durch ein großes, gezacktes Loch, das sich dort befand, wo einmal die Tür gewesen war. „Haben Sie es noch immer nicht gefunden, Sir?“

Der Captain richtete sich auf und schüttelte den Kopf. „Es spielt keine Rolle, Nummer Eins.“

„Es liegt an all dem Dreck“, sagte Riker. Er griff nach einer großen Plakette, die von. der Wand gefallen war, verwendete sie als improvisierten Fächer. Eine Staubwolke wirbelte auf, und der Erste Offizier bückte sich, griff nach einem Fotoalbum.

„Suchen Sie das hier?“ fragte er. Picard lächelte erfreut, nickte und nahm das Album entgegen. Es enthielt die

Familienfotos, unter ihnen Aufnahmen von Robert und Rene. „Ja, Will. Danke.“ Riker kehrte auf die Brücke zurück, beobachtete kummervoll die umgestürzten

Sessel und geborstenen Konsolen. „Ich werde das Schiff vermissen. Für diese Enterprise kam das Ende zu früh.“ Jean-Luc sah den jüngeren Mann an. „Es kommt nicht darauf an, wie viele Jahre

man gelebt hat, Will. Wichtiger ist, wie man sein Leben verbrachte. Jemand hat die Zeit mit einem Raubtier verglichen, das sich heimlich an seine Opfer heranschleicht.

Nun, vielleicht ist die Zeit auch ein Gefährte, der uns begleitet, uns daran erinnert, alle Augenblicke unseres Lebens zu schätzen, weil sie sich nicht wiederholen. Schließlich sind wir alle sterblich.“

Riker lächelte schief. „Das ist Ihre Ansicht. Was mich betrifft: Ich habe vor, ewig zu leben.“

Der Erste Offizier versuchte, den Kommandosessel aufzurichten, aber seine Bemühungen blieben vergeblich.

„Ich habe immer gehofft, irgendwann einmal dort zu sitzen, und zwar nicht nur vorübergehend“, murmelte er.

Der Captain legte ihm die Hand auf die Schulter. „Vielleicht erfüllt sich Ihr Wunsch noch. Ich bezweifle, daß dies das letzte Raumschiff namens Enterprise war.“

Er klopfte auf seinen Insignienkommunikator. „Picard an Farragut. Beamen Sie uns an Bord.“

Transporterenergie schimmerte. Jean-Luc Picard und Will Riker entmaterialisierten, verschwanden vom Planeten Veridian III.


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