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 · genannte Kern- oder Kleinfamilie von Eltern und Kindern. Diese Vorstellung hat eine...

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OFFENE KIRCHE OFFENE KIRCHE www.Offene-Kirche .de , E -mail: Redaktion@Offene-Kirche .de, Interentredaktion@Offene-Kirche .de Juni 2005 2 Nr. Evang. Vereinigung in Württemberg Aus dem Inhalt: Familie Genozid Weltwasserkrise Wir alle wissen, dass sich Familien in ihren Formen verändern, dass die traditionelle Großfamilie die Aus- nahme geworden ist und Familien heute ganz anderen Bedingungen und Zwängen unterworfen sind als noch zu Großmutters Zeiten. Doch wie sieht der Familienalltag in den verschiedenen Formen moderner Familien heute aus? Ist die Familie noch ein Zukunftsmodell? Was leisten Familien, woran leiden sie und was brauchen sie? In der Arbeit mit Familien zeigt sich der vielfach beschriebene Wandel von Familien auf ganz konkreter Ebene. Auch wenn die Familie mit Mutter, Vater und Kind oder Kindern noch die häufigste Form des familiären Zusam- menlebens darstellt, kann man nicht darüber hinwegsehen, dass der Anteil der Alleinerziehenden und der Patch- workfamilien in den letzten Jahren deutlich gestiegen ist. Familie – quo vadis? Stephanie Saleth i Notsituationen Anita Z., Mutter zweier Kinder im Alter von 11 und 14 Jahren, zieht ihre Kinder alleine groß. Die Kinder essen in der Schule, die Mutter arbeitet als Kranken- schwester in einer Klinik. Zum Vater haben die Söhne keinen Kontakt, vermissen ihn auch nicht. Doch was passiert, wenn Frau Z. krank wird und in die Klinik muss? Zum Vater wollen die Kinder nicht, Großeltern sind auch nicht in der Nähe. Frau Z. hat Glück, sie wohnt in einem Mehrfamilienhaus und kann in Notfällen mit nachbarschaft- licher Unterstützung rechnen. Zusam- men mit dem professionellen Angebot der Familienpflege kann sie die Not- situation in diesem Fall überbrücken. Das Beispiel zeigt aber, dass Familien in ihrem Wandel auf neue Netzwerke und Unterstützungssysteme angewiesen sind. Frau Susanne A. hat vier Kinder. Drei Kinder aus erster Ehe, ein Kind mit ihrem Lebensgefährten, mit dem sie in nichtehelicher Gemeinschaft zusam- menlebt – eine Patchworkfamilie. Typisch für diese Familien sind der häufig große Altersabstand zwischen den Kindern aus erster Ehe und dem gemeinsamen Kind der derzeitigen Lebenspartner. Auch Frau A. wird krank, das häufig sehr anstrengende Zusammenleben mit den vier Kindern geht an ihre Reserven, sie muss zu einer
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Page 1:  · genannte Kern- oder Kleinfamilie von Eltern und Kindern. Diese Vorstellung hat eine Entstehungsgeschichte. Sie reicht zurück in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, in die

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Aus dem Inhalt:

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Familie

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Genozid

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Weltwasserkrise

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Wir alle wissen, dass sich Familienin ihren Formen verändern, dass dietraditionelle Großfamilie die Aus-nahme geworden ist und Familienheute ganz anderen Bedingungenund Zwängen unterworfen sind alsnoch zu Großmutters Zeiten. Dochwie sieht der Familienalltag in denverschiedenen Formen modernerFamilien heute aus? Ist die Familienoch ein Zukunftsmodell? Wasleisten Familien, woran leiden sieund was brauchen sie?

In der Arbeit mit Familien zeigt sich dervielfach beschriebene Wandel vonFamilien auf ganz konkreter Ebene.Auch wenn die Familie mit Mutter,Vater und Kind oder Kindern noch diehäufigste Form des familiären Zusam-menlebens darstellt, kann man nichtdarüber hinwegsehen, dass der Anteilder Alleinerziehenden und der Patch-workfamilien in den letzten Jahrendeutlich gestiegen ist.

Familie – quo vadis? Stephanie Salethi

NotsituationenAnita Z., Mutter zweier Kinder im Altervon 11 und 14 Jahren, zieht ihre Kinderalleine groß. Die Kinder essen in derSchule, die Mutter arbeitet als Kranken-schwester in einer Klinik. Zum Vaterhaben die Söhne keinen Kontakt,vermissen ihn auch nicht. Doch waspassiert, wenn Frau Z. krank wird undin die Klinik muss? Zum Vater wollendie Kinder nicht, Großeltern sind auchnicht in der Nähe. Frau Z. hat Glück, siewohnt in einem Mehrfamilienhaus undkann in Notfällen mit nachbarschaft-licher Unterstützung rechnen. Zusam-men mit dem professionellen Angebotder Familienpflege kann sie die Not-situation in diesem Fall überbrücken.

Das Beispiel zeigt aber, dass Familien inihrem Wandel auf neue Netzwerke undUnterstützungssysteme angewiesensind.

Frau Susanne A. hat vier Kinder. DreiKinder aus erster Ehe, ein Kind mitihrem Lebensgefährten, mit dem sie innichtehelicher Gemeinschaft zusam-menlebt – eine Patchworkfamilie.Typisch für diese Familien sind derhäufig große Altersabstand zwischenden Kindern aus erster Ehe und demgemeinsamen Kind der derzeitigenLebenspartner. Auch Frau A. wirdkrank, das häufig sehr anstrengendeZusammenleben mit den vier Kinderngeht an ihre Reserven, sie muss zu einer

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Quo vadis? ....................................... Seite 1Von Wunschbild und Wirklichkeit

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Die Armenier....................................... Seite 5

Assyrer und Aramäer....................................... Seite 7

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Kirchliche Arbeit in der Polizei....................................... Seite 9

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Wasserprivatisierung..................................... Seite 11

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Esslinger Erklärung von 1969..................................... Seite 13

Christoph Blumhardt d.Ä...................................... Seite 15

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..................................... Seite 18

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..................................... Seite 21

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◆◆◆◆◆ bei der Sommersynode wird das Thema„Zukunftsmodell Familie“ behandelt. Dazuhaben wir Fachfrauen befragt, aber auchfestgestellt, dass sich schon die VikarInnen1969 mit der „Eheproblematik“ herumge-schlagen haben. Nun sind wir gespannt, wasdie Synode dazu beitragen wird, dass esFamilien – in welcher Form auch immer – inZukunft besser geht. Es sollten auchFachmänner mitdiskutieren! Am bestenMenschen, die in den Gemeinden fürFamilien da sind oder Angebote vermissen.Und was ist mit Alleinlebenden? Fast dieHälfte unserer Gesellschaft? Ich bin ge-spannt, ob das auch einmal ein Synoden-thema wird.

◆◆◆◆◆ Diesmal müssen wir einiges in eigenerSache loswerden. Erstens: Unsere Homepagewurde runderneuert. Wer Internet hat,möge dies unter www.Offene-Kirche.debegutachten. Pressemitteilungen sind daebenso zu finden wie Vorträge, die anlässlichder Mitgliederversammlungen oder derAMOS-Preis-Verleihungen gehalten wurden.Auch OK-Hefte kann man nachlesen, zumBeispiel den Artikel über den KirchenkreisStuttgart, der durch ein technisches Verse-hen verunglückt war (worum wir DekanEhrlich um Verzeihung bitten). Natürlichsind Veranstaltungen angekündigt, sofernwir davon erfahren. Also, schauen Sie nach –

auch ob Ihre Adresse stimmt – und tragenSie sich ein, wenn Sie den elektronischenNewsletter erhalten möchten. Schreiben Sieuns bitte unter [email protected].

◆◆◆◆◆ Zweitens: Auch wir müssen sparen. UnserGeschäftsführer und Finanzminister ReinerStoll-Wähling hat herausgefunden, dass sichdas Porto halbiert, wenn wir das OK-Heftexakt in jedem Quartal versenden. Das istein Argument, bedeutet aber, dass wir Heft 3vor den Sommerferien fertig haben müssen,damit es im September herauskommenkann. Das ist wichtig für AutorInnen!

◆◆◆◆◆ Und nochmal Finanzen: Große, dickeBitte an alle, ihren Mitgliedsbeitrag zuüberweisen – sofern noch nicht geschehen –und evtl. eine AMOS-Preis-Spende springenzu lassen. Letztere muss auf dem Über-weisungsträger als solche gekennzeichnetsein. Die Kontonummern finden Sie auf derRückseite.

Aus unserer Redaktion hat sich GerlindeMaier-Lamparter verabschiedet, die dem

Inhalt

psychosomatischen Kur. Wer soll sichum die Kinder kümmern? In diesem Fallspringt der Vater der drei Kinder auserster Ehe ein. Bald schon zeigt sichaber, dass er und der neue Lebensge-fährte seiner Frau dies nicht gemeinsambewältigen können.

Karin K. ist verheiratet und hat zweiKinder im Alter von drei und fünfJahren. Ihr Mann ist ganztags berufstä-tig, sie versorgt den Haushalt und dieKinder. Die Großeltern wohnen, wie beiden meisten Familien heutzutage, weitweg. Bei Frau K. wird Brustkrebsdiagnostiziert. Zu Beginn der Krankheitkann sich der Vater vermehrt um dieKinder kümmern. Da ihn jedoch dieSorge um seinen Arbeitsplatz umtreibt,kann er es sich nicht leisten, all zu oftzu Hause zu bleiben. Auch diese Familiebenötigt Unterstützung, um ihren Alltagzu meistern.

Drei ganz normale Familien in ganznormalen Krisen? Jedenfalls keineAusnahmen, sondern Situationen, wiesie in Familien häufig vorkommen.Familien sind in ihren verschiedenen

Formen heute vielfältigen Risikenausgesetzt und müssen neue Formendes Umgangs mit Krisensituationenfinden. Sie brauchen neue Netzwerke,wo traditionelle Formen der gegenseiti-gen Unterstützung weggebrochen sind.Großeltern wohnen oft nicht mehr umdie Ecke oder sind nicht mehr bereit,einen Großteil Ihrer Zeit der Betreuungder Enkel zu widmen. Paarbeziehungenwerden brüchiger. Über 200 000 Paarelassen sich in Deutschland jedes Jahrscheiden. Viele Familien müssenhäufiger den Wohnort wechseln, da vonden ArbeitnehmerInnen Mobilitäterwartet wird. NachbarschaftlicheBeziehungen haben nicht mehr dieselbeTragfähigkeit wie früher. Insbesonderein der Anonymität einer Großstadtbleiben Notsituationen, in die Familiengeraten können, häufig unerkannt.

Chancen der PatchworkfamilieIm Spiegel all dieser Entwicklungenstellt sich die Frage, was Familie heuteist und wie wir Familien bei der Bewälti-gung ihrer Lebensschwierigkeitenunterstützen können. Kinder wachsenin den unterschiedlichsten Formen des

Team seit 1991 angehörte und dank ihrerPersonenkenntnisse immer gute Tipps gebenkonnte. Wir wünschen Ihr alles Gute unduns eine/n neue/n RedakteurIn.

Ihnen erholsame Ferien und viele neueEindrücke – auch aus unserem Heft!

Ihre Renate Lück

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Familie – Problemzone der Erziehung?Die Familie ist in der Krise, und mit ihrdie Erziehung. Schuld daran, so dieöffentliche Meinung, seien in der Regeldie Eltern, denn Erziehung ist nuneinmal Privatsache. Aber der öffentli-chen Krisendebatte vom Verfall derFamilie stehen auch andere Meinungengegenüber. Entgegen allen anderslautenden Behauptungen ist die Familieimmer noch die dominierende Lebens-form. In Westdeutschland lebten im Jahr2000 rund 80 Prozent aller Kinder unter18 Jahren bei ihren miteinander verhei-rateten Eltern. In Ostdeutschland warenes 69 Prozent . Auch in der subjektivenEinschätzung von Jugendlichen stehtFamilie hoch im Kurs. Misst man dieWertschätzung des Familienlebens ander Zustimmung zur eigenen Erziehung,zeigt sich eine hohe Übereinstimmungzwischen Eltern und Kindern. Etwa 75Prozent der befragten Kinder undJugendlichen würden ihre eigenenKinder später ähnlich erziehen wie sieselbst erzogen worden sind. Noch nieseit den 70er Jahren war die Überein-stimmung zwischen Eltern und Kindernso ausgeprägt wie heute. Also keinAnlass zur Aufregung?

Familie – ein uneindeutiger Begriff?Was ist eigentlich eine Familie? ImAllgemeinen meint man dabei die sogenannte Kern- oder Kleinfamilie vonEltern und Kindern. Diese Vorstellunghat eine Entstehungsgeschichte. Siereicht zurück in die zweite Hälfte des18. Jahrhunderts, in die beginnendeIndustrialisierung und die Durchsetzungder Klassengesellschaft. Unser heutigesFamilienmodell entstand mit demBürgertum. Sein Kennzeichen war dieTrennung von Beruf und Zuhause,öffentlich und privat. Die männlicheArbeit war Erwerbsarbeit in einerarbeitsteiligen und funktional organisier-ten Öffentlichkeit, während die Frauenfür Haushalt und Kinder im privatenWohnraum zuständig waren. Kapital desBürgertums war seine Bildung. Bildungwar Statussicherung in einer sichwandelnden Gesellschaft für eine Klasseohne Besitz oder politische Macht.

Deshalb erhielten Kindheit, Erziehungund Unterricht einen besonderenStellenwert. Prototypisches Beispiel fürdiese Familienform waren die evangeli-schen Pfarrhäuser des 19. Jahrhunderts.Zurück zur Frage nach der Familieheute. In der Wissenschaft gibt es keine„richtige“ Definition von Familie.Trotzdem gibt es Merkmale, mit denenFamilien beschrieben werden können,etwa so: als überschaubare Gruppe vonmindestens zwei Generationen, diedauerhaft, nah und intim zusammenlebtund die eine Umwelt bildet, in der diejüngere Generation sich entwickeln undin die Gesellschaft hineinwachsen kann.Neu ist, dass heute aufgrund dergestiegenen Lebenserwartung in derRegel drei, oft vier, manchmal sogar fünfFamiliengenerationen gleichzeitig leben.Das gab es bisher noch nie.

Familie – riskante Balance zwischenden Widersprüchen der GesellschaftDie Kulturgeschichte zeigt, dass esgenerationsübergreifende Formen desZusammenlebens schon immer gab. InUntersuchungen wurden Männer undFrauen, die in Familien oder familien-ähnlichen Lebensgemeinschaften lebten,nach den „Familienbildern“ gefragt, andenen sie sich selber orientieren. Bei

Zusammenlebens mit Erwachsenen undanderen Kindern auf. Jede siebteFamilie, so Schätzungen, lebt heute alsPatchworkfamilie. Dabei unterscheidensich diese Familien sehr in ihrer Größe,in ihrer Form sowie in der Art desZusammenlebens. Gemeinsam ist allen,dass sie sich neu zusammenfindenmüssen und wichtige Fragen desZusammenlebens geklärt werdenmüssen. Akzeptieren meine Kindermeinen neuen Partner? Wo verbringendie Kinder Ostern oder Weihnachten?Wie sind die Besuchszeiten geregelt?Gleichzeitig bieten gerade Patchwork-familien häufig auch neue Chancen.Plötzlich bekommt das EinzelkindGeschwister, die Mutter oder der Vatereinen neuen Partner. Kinder wachsen inneuen Formen des Zusammenlebens mitall ihren Kompliziertheiten und Schat-tenseiten auf und lernen damit umzuge-hen. Letztendlich geht es darum, dieseFormen des Zusammenlebens nicht nurkritisch zu beäugen, sondern auch dieChancen und Potenziale zu erkennen,die in Veränderungen liegen. Nur mitdiesem Blickwinkel kann die Familie einZukunftsmodell sein, denn vom Mythosder heilen Familie, im Sinn einertraditionellen Familie, werden wir unsüber kurz oder lang verabschiedenmüssen. Der gesellschaftliche Wandelbringt unweigerlich einen Wandel derBeziehungen mit sich, das Zusammenle-ben ist vielfach komplizierter undschwieriger geworden.

Bei aller Veränderung bleibt aber dieTatsache, dass Eltern die Verantwortungfür ihre Kinder tragen, für welche Formdes Zusammenlebens sie sich auchentscheiden. Vielleicht sollte man„Familie“ zukünftig nicht mehr über dieVollständigkeit der im Haushalt leben-den Familienmitglieder definieren,sondern über Verantwortung für Kinder,der Eltern in den verschiedenstenFormen versuchen gerecht zu werden.Die Sehnsucht nach Liebe, Geborgen-heit und Angenommensein ändert sichbei allem äußeren und inneren Wandelnicht. Wo diese Sehnsucht ein Zuhausefindet, dort ist Familie, in welcher Formauch immer.

Dr. Stephanie Saleth ist Ausschuss-mitglied der Evangelischen Haus-und Familienpflege, Delegierte derFrauenarbeit der EvangelischenLandeskirche und Mutter zweierKinder im Alter von fünf und neunJahren.

Familie – vom idealen Wunschbildund der riskanten Wirklichkeit

Ursula Pfeifferi

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vielen prägt noch immer das alteBild der um den Tisch versammel-ten Familie ihre Vorstellung, also einBild für Geborgenheit, Gemütlich-keit, Gemeinschaft und Solidarität,Harmonie und Frieden. Für nichtwenige Menschen ist das bis heutedas archetypische Familienbild. Die-se Bilder entstammen vielfachkeineswegs der Lebenswirklichkeitder eigenen Familien oder früherenErfahrungen. Oft stehen sie fürWünsche und Phantasien, auchfür explizite Gegenbilder zur eigenenErfahrung. Diese Idealvorstellung vonFamilie droht uns heute zu überfordern.Aus einem Leitbild kann dann einLeidbild werden.

Familie: Kindzentriert oder –dezentriert?Zwei gegenläufige Trends bestimmenheute das Leben von Heranwachsenden:einerseits sind sie der Mittelpunkt ihrerFamilie und der Gesellschaft, anderer-seits sind sie im Weg, stören sie denTrend zur Mobilität und Unabhängig-keit. Die erstgenannte Entwicklung kammit der bürgerlichen Familie undbrachte die bürgerliche Kindheit. Wie imZuge von Aufklärung und Idealismusvieles besser werden sollte, so auch dieKindheit. Kinder rückten in den Mittel-punkt der Familie. Heute beteiligen sichneben der Familie noch viele andereSpezialisten, Erzieher, Psychologen,Lehrer, Ärzte, Wissenschaftler, Medizi-ner, Trainer, Elternbildner, Ratgeber-autoren und Medienprogrammgestalteran der möglichst optimalen Entwicklungvon Kindern und Jugendlichen. IhrenHöhepunkt findet diese Entwicklungderzeit in der Reproduktionsmedizin.Die ungeteilte Aufmerksamkeit derEltern auf das eine „Projekt“ Kindbeginnt mit dem richtigen Zeitpunkt fürsein erwünschtes Erscheinen. SeineLebenschancen steigen aus Sicht jungerEltern dann, wenn sie nicht geteiltwerden müssen, mit Geschwistern zumBeispiel, alles andere erscheint „verant-wortungslos“ in den Augen vieler Elternheute.

Es gibt aber auch das Gegenteil: Kinderwerden aus dem Mittelpunkt derFamilie verdrängt. Der wird zumUmschlagplatz unterschiedlichsterInteressen, über die verhandelt und fürdie gekämpft werden muss. Immermehr Kinder machen die Erfahrung,dass sie auch am Rande der Gesellschaftstehen. Ihre Familien leben in Armut,bedingt durch Arbeitslosigkeit, Krank-

heit oder Kinderreichtum. Rund eineMillion Kinder unter 18 Jahren sindSozialhilfeempfänger. Sie könnenfinanziell nicht mithalten, das beein-flusst ihre Sozialbeziehungen und ihrenzukünftigen Platz in der Gesellschaft.Wen wundert es, dass es immer wenigerKinder gibt? Und wie wird die alterndeGesellschaft mit der Minderheit ihrerKinder und Jugendlichenumgehen? Der Preis kostbarerund knapper Güter ist bekannt-lich hoch, das ist eine alteErfahrung.

Familie: Keimzelle oderKrisenherd der Gesell-schaft?Die Familie soll „Keimzelle“der Gesellschaft sein, sie solldas leisten, was wir dieSozialisation in die Gesellschaftnennen. Aber ihr Ziel ist nichtihr Weg. Das Leben in derFamilie folgt anderen Spielre-geln als das gesellschaftlicheLeben. Dort, in der Familie,stehen die Beziehungen, dasZusammenleben und dieIndividualität der Mitglieder,die räumliche und emotionaleNähe, die gegenseitige Solidari-tät im Vordergrund. In dermodernen Gesellschaft oder inder Schule dagegen geht es um einespezielle Sache oder um bestimmteZiele, um begrenzte Zusammenarbeit,zeitlich und der Sache nach, um Distanzzum Persönlichen und Individuellen,um Leistung und Konkurrenz imWettbewerb, um begrenzte Positionenund Gratifikationen. Vergleicht manbeides, erscheint die Familie mit ihrenStrukturen nicht in die Gesellschaft zupassen, sie wirkt wie eine zurückgeblie-bene vormoderne Lebensform. KeinWunder also, dass von der Krise derFamilie heute so oft die Rede ist. Dabeiwerden Zweifel laut, ob sie den gesell-schaftlichen Erwartungen an ihre

Erziehungsleistung zur Vorberei-tung auf das spätere Leben in derGesellschaft im gewünschtenUmfang noch nachkommt. Aberdas ist nur die eine Seite. Auf eineandere will ich am Schluss nochhinweisen. Adorno hat das, was ichmeine, so ausgedrückt: „manchmalwill es scheinen, als wäre dieunselige Keimzelle der Gesell-schaft, die Familie, zugleich auchdie hegende Keimzelle des kompro-misslosen Willens zur anderen. Mit

der Familie zerging der Widerstand, derdas Individuum zwar unterdrückte, aberauch stärkte, wenn nicht gar hervor-brachte. Das Ende der Familie lähmt dieGegenkräfte.“ Nicht um Anpassung also,sondern um Widerstand geht es hier,um einen Widerstand, der Ausdruckeigener Urteilsfähigkeit ist. Und diese, soAdorno, lernt man eben nur da, wo es

Gegensätze gibt, an denen ein eigenesUrteil entstehen kann, zum Beispiel ineiner Familie, in der nicht alles glattgeht. Dass diese Urteilsfähigkeit sichdann auch als Gegenkraft gegen gesell-schaftliche Zustände artikulieren kann,das war nach Auschwitz für Adornoeine überlebenswichtige Funktion derFamilie für die Gesellschaft. Brauchenwir das heute nicht mehr?

Die OK-Synodale Dr. Ursula Pfeifferist Professorin an der Pädagogi-schen Hochschule Weingarten.

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HerkunftDie Armenier besitzen eine dreitausend-jährige Geschichte. Über ihre Herkunftgibt es verschiedene wissenschaftlicheund mythologische Aussagen. Die Bibelsieht in den Armeniern NachfahrenNoahs, der ja mit seiner Arche amheiligen Berg der Armenier, am Araratlandete. Die Armenier selbst sehen esanders: Ihre ältesten Überlieferungenberichten von einem Stammvater Hajk,der auf der Flucht vor dem Tyrannen Belaus Mesopotamien in das armenischeHochland gelangte. Nach dem Stammva-ter „Hajk“ nennen sich die Armenier„Hay“ und ihr Land „Hayastan“ (des-halb heißt unser Vereinsheim in Salach„HAY-DUN“ = Haus der Armenier). Diewissenschaftlichen Theorien besagen:Die Armenier, wie wir sie heute ken-nen, setzen sich aus unterschiedlichenVölkergruppen zusammen. Das wich-tigste Element bildeten die Urartäer, einim Hochland von Armenien ansässigesVolk, das seine politische und kulturelleBlüte im 7. bis 9. Jahrhundert v. Chr.erreichte. Ihr Name lebt u.a. im Wort„Ararat“ („Ararat“ bedeutet im Assyri-schen „Urartu“) fort, zu dem dieArmenier dagegen „Massis“ sagen. DasZentrum des Urartäischen Reichesbefand sich am Wan-See in der heutigenOst-Türkei, wo man noch die eindrucks-vollen Befestigungsanlagen und kunst-vollen Bewässerungskanäle, die Ruinenihrer Paläste und Burgen der ehemaligenUrartäer-Metropole Tuschpa sehenkann. Die zweite wichtige, an derBildung des armenischen Volkesbeteiligte Gruppe sind Indoeuropäer, dievermutlich ab dem 8. Jahrhundert v. Chr.von der Balkanhalbinsel nach Kleinasieneinwanderten. Diese Indoeuropäervermischten sich mit den Urartäern,wobei sie deren Kultur und Elementeder Sprache übernahmen. Das Drittesind Einflüsse der kaukasischen Spra-chen und Kulturen.

Die armenische Schrift und SpracheBis Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr.hatten die Armenier kein eigenesAlphabet. Sie benutzten die griechische,syrische und persische Schrift je nach-dem, wer das Land beherrschte. AlsArmenien im Jahre 387 durch einen

Friedensvertrag zwischen KaiserTheodosius und dem PerserkönigSchapur III. aufgeteilt wurde, galtin Westarmenien Griechisch alsHof- und Kirchensprache und inOstarmenien Persisch als Hof- undSyrisch als Kirchensprache.Der königliche Sekretär Mesrop Masch-tots, berühmt für seine Kenntnisse dergriechischen, persischen und syrischenSprache, vollendete nach achtjährigerArbeit aufgrund des phönizischenAlphabets das armenische Alphabet mit36 Buchstaben (heute sind es 38). Daswar im Jahre 406. Im Jahre 434 be-endete Maschtots seine Übersetzung dergesamten Bibel. Damit wurde dasArmenische nicht nur Volks- sondernauch Schrift- und Kirchensprache. (410schuf M. Maschtots für die Georgier,423 für die kaukasischen Albaner eineigenes Alphabet.) Mit Hilfe der Schriftvollzog sich eine stürmische Entwick-lung der armenischen Literatur, so dassdie erste Hälfte des 5. Jh. das GoldeneZeitalter der armenischen Literaturgenannt wird.

Altarmenisch, Grabar genannt, ist nochheute die Kirchensprache in der Arme-nisch Apostolischen Kirche. Mittel-armenisch (11. bis 15. Jh) diente alsKanzlei- und Umgangssprache am Hofedes armenischen Königreiches Kilikien.Die Neuarmenische Sprache entwickeltesich in Ost- und Westarmenisch. DasOstarmenische ist heute die offizielleRegierungs-, Universitäts- und Umgangs-sprache in der Armenischen Republik.An die fünf Millionen Menschensprechen heute Ostarmenisch. Die ausder Türkei vertriebenen Armenier undihre Nachkommen sprechen heute inder Diaspora Westarmenisch, wobei dieKirchen, Schulen und die Pressewirksame Hilfen zur Erhaltung derSprache leisten. Gut drei MillionenMenschen sprechen Westarmenisch.

Die Armenische KircheDas Christentum wurde schon sehr frühin Armenien verbreitet. Die ArmenischeKirche führt ihren Ursprung auf dieApostel Bartholomäus und Thaddäus(vgl. Matth. 10.3) zurück, die um 50 bis60. n. Chr. als Prediger nach Armenien

kamen und dort den Märtyrertodfanden. Auf das Wirken der ApostelChristi bezieht sich die ArmenischeKirche in ihrer offiziellen Bezeichnungals „Armenisch-Apostolisch OrthodoxeKirche“. Historisch nur wenig fassbar istdie Person Gregor des Erleuchters(Krikor Lusaworitsch). Er kam alsMissionar nach Armenien. Dabei stießer auf den entschiedenen Widerstanddes armenischen Königes Tridates III.Der Überlieferung nach wurde Gregorarrestiert und nach 13-jähriger Einker-kerung aus dem Gefängnis befreit.Danach soll er König Tridates III. voneiner unheilbaren Krankheit geheilthaben. Daraufhin bekehrte sich derKönig und ließ seine Herrscherfamiliesowie alle seine Untertanen taufen. ImJahre 301 erklärte er das Christentumzur Staatsreligion Armeniens. DieArmenier sind daher das Volk mit derältesten christlichen Staatskirche derWelt, denn im Römischen Imperiumwurde das Christentum erst im Jahre311, mithin zehn Jahre später, durchKaiser Konstantin (280 – 337) zur„allein berechtigten Religion im Reich“erhoben.

Die armenische Kirche anerkennt dieBeschlüsse der Ökumenischen Konzilevon Nizäa (325), von Konstantinopel(381) und von Ephesus (431). DasDogma des vierten Konzils, das 451 inChalcedon abgehalten wurde, wonachChristus zwei Naturen besessen habe,nämlich eine menschliche und einegöttliche, wurde von der ArmenischenKirche nicht anerkannt. Bis heute hältsie an der Einnaturlehre fest. Sie bildetauch dogmatisch eine selbständigeKirche innerhalb des orthodoxenFlügels. Nachdem die ArmenischeKirche ihre Unabhängigkeit erklärt hatte,entwickelte sie ihre eigene Tradition. Sieanerkennt weder den Papst noch denökumenischen Patriarchen, sondern nurden Katholikos, das Oberhaupt derArmenischen Kirche, als die obersteInstanz. Der Sitz des Katholikos änderte

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Die Armenier Hagop-Jan Avedikjan und Benjamin Aynali

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Hagop-Jan Avedikjan (links) und Benjamin Aynal

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sich mit der jeweiligen politischen Lage.Lange war der Amtssitz auf der InselAkhtamar im Wan-See. Als in Kilikienein neues armenisches Königreichgegründet wurde, verlegte man dasKatholikosamt nach Kilikien in dieHauptstadt Sis. Es gab aber auch Zeiten,wo sich verschiedene Katholikosategegenüberstanden und den Rechtsan-spruch streitig machten. Im Jahre 1441wurde Etschmiadsin (heute in Ar-menien) endgültig zum Hauptsitz desKatholikos gewählt und ist es bis heutegeblieben. Im Jahre 1924 sah sich dergreise Katholikos Sahak von Sis gezwun-gen auszuwandern, da die Armenierwährend des Ersten Weltkrieges in derTürkei fast ganz ausgerottet wordenwaren. Heute besteht in Antilias naheder Stadt Beirut ein Katolikosat, dasauch ein großes Priesterseminar betreibt.

GeschichteEinen tiefen Einschnitt in seiner Ge-schichte erlebte Armenien im 7. Jahr-hundert durch die Entstehung des Islam,bei dessen rascher Ausbreitung imvorderen Orient arabische Stämme baldauch nach Armenien gelangten. VonOsten her drangen im 11. Jahrhundertdie Seldschuken nach Armenien ein undüberfielen u. a. seine berühmte Haupt-stadt Ani. Mitte des 11. Jahrhundertswurde das armenische Volk aus seinemStammland vertrieben und wandertenach Kilikien aus (heutige Südtürkei).Armenien war für das Abendland immerdas christliche Bollwerk gegen denIslam. Im Mittelalter leistete das Fürsten-tum Kilikien den europäischen Kreuz-züglern wirksame Unterstützung. AlsDank wurde das Fürstentum durchKaiser Heinrich Vl. und Segen desPapstes Celestin III. zum armenischenKönigreich erhoben. Es leistete allemBedrängen erfolgreich Widerstand, bis es1375 unter dem Ansturm der islami-schen Mamelucken endgültig zusam-menbrach.

Die Geschichte des 19. und 20. Jahr-hunderts fügte dem armenischen Volkund seiner Kirche schwere Verluste zu.Zwar wurde nach der Aufteilung Ost-Armeniens zwischen den Persern unddem zaristischen Russland im östlichenLandesteil eine sog. Polejenie (1836)erlassen und für die im OsmanischenReich lebenden orthodoxen Armenierebenfalls die Anerkennung als eigene„Nation“ („Millet“ im damaligenosmanischen Sinne eine Art religiös-konfessionelle Volksgruppe) im Jahre1863 erreicht. Jedoch verhinderte dies

nicht die Massaker, die von SultanAbdul-Hamit II. 1894 bis 1896 ausreligiösen Gründen veranlasst wurden.Während dieser Massaker kamen300.000 Armenier ums Leben. Viel-leicht das schrecklichste war dasMassaker in Urfa am 28./29. Dezember1895. Etwa 3.000 armenische Männer,Frauen und Kinder hatten in derKathedrale Zuflucht gesucht, in diejedoch Soldaten eindrangen. Nachdemdie Türken viele unbewaffnete Opferniedergeschossen hatten, trugen sieStroh herbei, begossen es mit Petroleumund setzten es in Brand. Konsul Fitz-maurice schrieb später darüber: „DiePfeiler der Empore und das Holzgebälkstanden sofort in Flammen, worauf dieTürken die Treppe zur Empore mitähnlichem brennbaren Material blockier-ten. Sie ließen die um ihr Leben ringen-de Menschenmenge ein Opfer derFlammen werden. Mehrere Stundenlang durchzog der Geruch brennendenFleisches die Stadt“. 1909 fandenweitere Massaker in Kilikien statt, vorallem in der Stadt Adana; hier wurden30.000 Armenier bestialisch getötet.Die größte Katastrophe brach währenddes ersten Weltkrieges aus. Das jung-türkische Regime unter dem Triumviratvon Enver-, Talat- und Djemal-Paschaverübte aus nationalistischen Motivenden ersten Völkermord des 20. Jahrhun-derts, wobei 1915/1916 1,5 MillionenArmenier durch Mord und brutaleDeportationen („Todesmärsche“) umsLeben kamen. Ihr Hab und Gut, Grundund Boden wurden beschlagnahmt, diearmenischen Kirchen und Schulenzerstört. Es bedeutete Zwangsislami-sierung, Vergewaltigung armenischerFrauen, Zerstreuung der Armenier aufder ganzen Welt.

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges,am 28. Mai 1918, wurde die Armeni-sche Republik ausgerufen. Jedoch hattediese Republik in Trans-Kaukasien einsehr kurzes Leben: Am 29. November1920 marschierte die Rote Armee einund Armenien wurde sowjetisiert. Diesekleinste Republik der Sowjet-Unionwurde kurz vor Ende der UdSSR, am21. September 1991, durch Volksent-scheid wieder unabhängig. Das armeni-sche Gebiet von „Berg-Karabach“, dasAnfang der zwanziger Jahre von Stalinan die Aserbaidschanische Sowjet-Republik angegliedert wurde, ist zwarseitens der Karabach-Armenier befreitworden, aber die Frage des Berg-Karabach ist bis heute noch nicht gelöst.

Armenische Gemeinde e.V. Baden-WürttembergDurch Verfolgung, Vertreibung undMassenvernichtung um die Jahrhundert-wende wurde unser Volk in die ganzeWelt verstreut. Viele Armenier haben inzahlreichen europäischen Ländern, u. a.auch Deutschland bzw. Baden-Württem-berg, eine neue Heimat gefunden.Unsere Gemeindemitglieder sindzumeist aus der Türkei stammendearmenische Volksangehörige, die in den60er und 70er Jahren als Gastarbeiter,vor allem als Handwerker und Akademi-ker, nach Deutschland kamen. In Baden-Württemberg leben etwa 4.500 Armeni-er, die sich längst etabliert haben unddeutsche Staatsangehörige sind. AlsChristen fühlen wir uns in Deutschlandsicher und sehr wohl. „Wenn dreiArmenier zusammen sind, dann grün-den sie erst eine Kirche, dann eineSchule und danach eine Zeitung“, heißtein armenisches Sprichwort. Obwohldas nicht in dieser Reihenfolge geschah,gründeten wir 1974 zuerst mit ein paarFreunden in Göppingen einen Verein.Der damalige Kreisverein betreut heutealle in Baden-Württemberg und West-Bayern lebenden Armenier. 1983 habenwir in Göppingen-Bartenbach die ersteArmenische Kirche in Deutschlandeinweihen können. Die EvangelischeGemeinde Bartenbach hat uns hierfürdankenswerterweise ihre alte St. Otmar-Kirche überlassen. In unserer Surp-Khatsch-Kirche (Heilige-Kreuz-Kirche)finden jeden Monat zweimal Gottes-dienste statt.

Da unser Verein ein großes Einzugsge-biet hat und wir kein eigenes Vereins-heim besaßen, waren wir gezwungen,uns an verschiedenen Orten meistens inGaststätten zu treffen. Gott sei Dankhaben wir im Februar 1998 in Salach-Bärenbach von der Gemeinde Salach dasehemalige Schützenhaus erwerbenkönnen. Hier werden unsere armeni-schen Bräuche aufrechterhalten (Mutter-sprache, Volkstänze, Volks- und Kinder-lieder). Außerdem betreuen wir inunserem Vereinsheim sozial Schwache,Kranke, Rentner, ältere und alleinste-hende Menschen sowie Jugendliche.Wir wollen in diesem Land nicht nurGast bleiben, sondern in diesem Gebäu-de auch für unsere deutschen FreundeGastgeber sein.

Avedikjan ist Gründer und jetziger Ehren-präsident der Armenischen Gemeindee.V. Baden-Württemberg, Aynal ist Ers-ter Vorsitzender der Gemeinde

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Anerkennung als „Völkermord“Bei den Assyrern spricht man von„Shato d’ sheifo“, vom „Jahr desSchwertes“ und jeder Assyrer weiß, dasses sich hier sich um die Vernichtungseines Volkes 1915 handelt. Die Öffent-lichkeit bei uns weiß, wenn überhaupt,vor allem von dem Völkermord an denArmeniern, weniger davon, dass auchdie Assyrer und Aramäer, die syrischenChristen im Tur Abdin im Südosten derTürkei, in gleicher Weise Ziel dieserVernichtung durch die damals regieren-den Jungtürken waren. In vielenGedenkveranstaltungen wurde in vielenLändern an das Massaker der Armeniererinnert, weniger an das der Assyrerund Aramäer. Beide, Armenier undAssyrer fordern bis heute ihr Recht.Beide setzen sich dafür ein – was bisheute in vielen Ländern noch nichtgeschehen ist – dass die Vertreibung vonArmeniern und Assyrern mit Hundert-tausenden Toten ein „Völkermord“ warund so auch anerkannt wird, vor allemvon der Türkei.Tilman Zülch von der „Gesellschaft fürbedrohte Völker“ schrieb in einemoffenen Brief an die Abgeordneten desDeutschen Bundestages am 20. April2005, einen Tag vor der Behandlungeines Antrags der CDU/CSU im Bundes-tag zu den Vertreibungen und Massa-kern an den Armeniern vor 90 Jahren:„16 nationale Gesetzgeber, unter ihnendie französische Nationalversammlung,die italienische Abgeordnetenkammer,das kanadische House of Commons, dierussische Staatsduma, das amerikanischeRepräsentantenhaus oder der Vatikan,haben sich nicht davor gescheut, durchEntschließungen oder Gesetze dieseVerbrechen als Völkermord (Genozid)an bis zu 1,4 Millionen Armeniern undbis zu 500.000 assyrisch aramäischen

Christen international zu bestätigen. Imübrigen haben gerade deutsche Persön-lichkeiten – so der Missionar Dr.Johannes Lepsius, der jüdische DichterFranz Werfel oder der Gründer desWandervogels, Hoffmann – die Welt-öffentlichkeit damals alarmiert oder denGenozid an den Armeniern bekanntgemacht.“ Im Antrag der CDU/ CSUwurde der Begriff „Völkermord“ nichtverwendet. Die deutsche Bundesregie-rung schweigt bis auf den heutigen Tag,vielleicht aus Rücksicht auf die vielentürkischen Mitbürger in unserem Landund aus Rücksicht auf die guten politi-schen und wirtschaftlichen Kontakte zurTürkei. Das damalige deutsche Reichhatte übrigens 1915 ebenfalls guteBeziehungen zur damaligen türkischenRegierung und schwieg zu den Vorgän-gen, von denen es Kenntnis habenmusste.

Zivilcourage eines syrischen PfarrersIn der Türkei ist es bis auf den heutigenTag äußerst schwierig bis gefährlich,vom Völkermord an den Armeniern undAssyrern zu sprechen. Die Türkei beruftsich auf den § 312 des türkischenRechts, in dem sinngemäß steht: Wervon Völkermord redet, begeht Landes-verrat und wird hart bestraft. Aktuellwurde dies im Interview, das dersyrische Pfarrer Yussuf Akbulut ausDiyarbakir im Oktober 2000 privat dertürkischen Zeitung Hürriyet gab und dasauch als Video heimlich aufgezeichnetund dann im türkischen Fernsehengezeigt wurde. Er sagte dort u.a., dassdie Behauptungen über den Völkermordan den Armeniern richtig seien, unddass auch seine Glaubensbrüder davonbetroffen gewesen sind. „Nicht nur dieArmenier, auch die Syrer sind damalsmit der Begründung, dass sie Christen

sind, dem Völkermord ausgesetztgewesen. Die Syrer wurden in Scharenermordet. Und bei diesem Massakerwurden die Kurden genutzt.“ Dank derBeteiligung von Beobachtern aus demAusland wurde Pfarrer Akbulut am5.4.2001 in der dritten Verhandlungschließlich freigesprochen. Der Vorwurfwegen angeblicher Volksverhetzungwurde überraschend fallen gelassen.Damit ist aber das Problem des Völker-mordes an armenischen und syrischenChristen von 1915 noch längst nichterledigt. Die türkische Regierung unddie türkische Gesellschaft werden sich,wenn sie in die EU wollen, diesembesonderen Problem ihrer Vergangen-heitsbewältigung stellen müssen. Schonlange wird gefordert, alle historischenFakten und Dokumente der Öffentlich-keit zugänglich zu machen, damit dieVorgänge von 1915 aufgearbeitet undneu bewertet werden können. Dannmüssen auch die Bestimmungen ausdem „Lausanner Vertrag“ von 1923anerkannt werden, in denen dennichtmuslimischen Bürgern der TürkeiGleichstellung, religiöse Freiheit undToleranz zugestanden werden. Leider istdie heutige Realität in der Türkei nochweit entfernt von diesem damalswegweisenden Vertrag.

Begegnungen mit ZeitzeugenIm Rahmen meiner Besuche im TurAbdin und im Nordirak bin ich 1999 imarmenischen Dorf Azverok im Nordirakauf Nachkommen von Überlebendengestoßen, die 1915 ihr Leben rettenkonnten und in den heutigen Nordirakgeflüchtet waren. Unsere Landeskirchehat diesen armenischen Christen denBau einer Kirche ermöglicht, um ihrenGlauben wieder feiern zu können, denn1991 wurde ihre Kirche vom irakischenDiktatorSaddamzerstört.

Vor Jahrenbegegnete ichim DorfAyinvert imTur Abdineiner altenFrau – sie istinzwischengestorben –die mirfolgendeserzählte: „Sieh dir diese Kirche an. Siewar 1915 Zufluchtsort von tausendenvon Christen, die ihr Leben vor denJungtürken retten konnten“. Sie hielt

24. April 1915 – ein Trauma auchfür Assyrer und Aramäer

Horst Oberkampfi

Am 24. April jährte sich zum 90. Mal der Völkermord an den armenischenChristen. 1,4 Millionen Armenier sollen bei diesem Völkermord ums Lebengekommen sein. Aber nicht nur die Armenier, sondern auch die Assyrer,Aramäer und Chaldäer sind von diesem Genozid betroffen gewesen. Die Zahlder Getöteten geht in die Hunderttausende. Wie der Missionar Dr. JohannesLepsius, der Gründer der deutschen Orientmission in seinen Berichten damalserwähnte, handelte es sich nicht nur um eine Vernichtung der Armenier,sondern um eine Ausrottung der Christen. Die Jungtürken wollten das Land„türkisieren“, also gleichsam säubern von allen ethnischen und religiösenMinderheiten, die anders waren als sie.

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inne und schaute uns traurig an, dannsagte sie: „Ich war ein Kind und weißnoch, wie die Menschen sich damals inunsere Kirche flüchteten. Ich kann dasnicht vergessen. Die Angst von damalssteckt in mir bis heute; sie steckt in unsallen, die wir Christen sind und im TurAbdin leben“. Ich stand einer Zeitzeugingegenüber, die das „Jahr des Schwertes“miterlebt hatte.

Neue Entwicklung: RückkehrJahre nach dieser Begegnung gibt eseine neue und hoffnungsvolle Entwick-lung im Tur Abdin, die sicher ein neuesKapitel nach all den dunklen Jahrenaufschlägt – vor Jahren hätte niemandauch nur davon geträumt: Familien, dieihr Land und ihre Dörfer vor 20 oder 30Jahren aus Angst verlassen haben,kehren wieder zurück an den Ort, woihre Wurzeln liegen. „Rückkehr“ ist dasgeheime Zauberwort, das gegenwärtigunter den Assyrern und Aramäer imwestlichen Ausland heiß und kontroversdiskutiert wird. Die politische Situationist entspannter und ruhiger geworden,die ehemaligen militärischen Auseinan-dersetzungen zwischen PKK undtürkischem Militär sind beendet, dieAnstrengungen der Türkei, in die EU zukommen, sind auch im Tur Abdin vonden syrischen Christen zu spüren. Wasnoch fehlt, ist eine Garantie ihrerMenschenrechte, so wie sie im Lausan-ner Vertrag 1923 festgelegt wurden,und damit auch eine Anerkennung alsreligiöse und ethnische Minderheit. Daswird aber hoffentlich noch Wirklichkeitwerden!

Die Assyrer heute führen ihre Existenz aufdie altorientalischen Völker der Assyrer,Chaldäer und Aramäer in Mesopotamien,dem heutigen Irak zurück. Sie sind Chris-ten und gehören vor allem vier Kirchen an:„Der Heiligen Kirche des Ostens“ (assyri-sche Kirche, nestorianisch), der „Kirchevon Antiochien“ (jakobitisch oder syrischorthodox), der Chaldäisch KatholischenKirche und der Syrisch Katholischen Kir-che. Wenn von „syrischen Christen“ ge-sprochen wird, dann erinnern wir uns andie ursprüngliche Bezeichnung „Süriani“für die „ersten Christen“ in Antiochia(Apost.. 11, 26). Sie sprechen bis heuteeinen Dialekt des Aramäischen, der Mut-tersprache Jesu.

Pfarrer i.R. Horst Oberkampfberichtet unter www.nordirak-turabdin.de über seine Reisen indie Türkei und den Nordirak

Getürkte RealitätenPünktlich zum 90-jährigen Gedenkendes Genozids an den Armeniern ist einBuch erschienen, das den gegenwärti-gen Stand der historischen Forschung inspannender Weise darstellt. Allerdingsführt der Titel insofern in die Irre, als dieAktionen der armenischen Unter-grundorganisation „Operation Nemesis“mit dem Attentat auf führende türkischeKriegsverbrecher nur die Einführungund den Schluss ausmachen. ImHauptteil wird ausführlich mit schreckli-chen Details geschildert, wie schon1895, aber dann vor allem ab 1915Armenier in den verschiedenstenLandesteilen systematisch vertriebenund vernichtet wurden. Rolf Hosfeldarbeitet insbesondere die deutscheBeteiligung heraus, da das Kaiserreichalle kritischen Nachrichten unterdrück-te, um im Ersten Weltkrieg den wichti-gen Bundesgenossen nicht zu verlieren.Es wird aber auch klar, dass die türki-sche Rechtfertigung, es habe sich umnotwendige Kriegshandlungen gehan-delt, nur Zweckpropaganda ist. Dennder Wille zur Vernichtung ist viel älter.Der Krieg war eine willkommeneGelegenheit, unbehelligt von denGroßmächten mit einer unbequemenMinderheit endlich „aufzuräumen“. Derhistorisch interessierte Leser, der einigeSchriften von Johannes Lepsius oderArmin T. Wegner kennt, erfährt nochNeues. So kennen viele den Roman vonFranz Werfel „Die vierzig Tage desMusa Dagh“, aber nicht die tatsächlicheGeschichte. Sein wichtigster Zeitzeugeund Organisator des Widerstands warnämlich der protestantische PastorDikran Andreasian. So setzt der Autorvielen Menschen ein Denkmal, derenNamen keiner mehr kennt.Das „Nachspiel“ des Völkermords istmindestens so deprimierend wie dieMordgeschichten selbst. Nachdem sichdie Hauptverantwortlichen abgesetzthatten, verurteilte sie ein osmanischesGericht zum Tode. Von den siebzehnTodesurteilen werden aber nur dreivollstreckt. Die Vorstellung des zuständi-gen Staatsanwalts bei der Eröffnung desHauptverfahrens geht nicht in Erfüllung:„Die unschuldig Ermordeten werdenwieder auferstehen“. Mustafa Kemal,genannt Atatürk, löst die Gerichte, diesich mit dem Völkermord befassen,1920 auf. In seiner Tradition wird dasVerbrechen bis heute von der türkischenRegierung geleugnet. Die Hauptverant-wortlichen wurden rehabilitiert und mit

Ehren beigesetzt. Zuletzt erhält 1996der ehemalige Kriegsminister desOsmanischen Reiches, Enver Pascha, aufdem Freiheitshügel in Istanbul einposthumes Staatsbegräbnis. Initiator derRehabilitierung Envers war übrigens derdamalige islamistische Bürgermeistervon Istanbul und jetzige Ministerpräsi-dent Recap Tayyip Erdogan. Doch esgibt auch kritische Stimmen. Dertürkische Journalist Murat Belge be-kennt: „Wir haben die ethnischenSäuberungen erfunden“. Er fügt hinzu:„Ich behaupte, die Fortsetzung derLeugnungspolitik der Türkei wider-spricht ihren nationalen Interessen. DerGrund für diese Behauptung ist sehreinfach: weil sie falsch ist. Jede Politik,die auf falschen Prämissen beruht, istdazu verdammt, über kurz oder lang insich zusammenzufallen.“

Die Leugner des Völkermordes kannman fragen, wo denn die Armeniergeblieben seien, deren Siedlungsgebieteman noch aufspüren kann. 1913 lebtenim Osmanischen Reich auf dem Gebietder heutigen Türkei 1.834.900 Armeni-er, zur Zeit der Gründung der Türki-schen Republik 1923 waren es noch300.000, heute sind es 60.000. Selbstwenn man Auswanderung einbezieht,schwanken die Opferzahlen zwischen800.000 und 1,4 Millionen. Der Autornennt viele Dörfer und Städte, woArmenier gelebt haben. Kein modernerReiseführer erwähnt das. Sollte mannicht einmal einen „alternativenBaedeker“ herausgeben, mit dem derheutige Tourist die Spuren der Opferfinden kann? Bisher muss man sich mitdem nur antiquarisch erhältlichen Buchvon Johannes Lepsius „Der Todesgangdes Armenischen Volkes“ von 1927begnügen, der alle Orte detailliertauflistet.

In jedem Dorf der Türkei gibt es mindes-tes ein Denkmal für den MassenmörderMustafa Kemal. Wann wird es dort eineinziges Denkmal für die umgekomme-nen Armenier geben? Wann werdenTürken auch hierzulande Trauer undScham über den Genozid an denArmeniern ausdrücken? Sollte mannicht auch bei uns wie in der kleinenmutigeren Schweiz die Leugnung diesesGenozids unter Strafe stellen?

Wolfgang Wagner

Rolf Hosfeld, Operation Nemesis.Die Türkei, Deutschland und derVölkermord an den Armeniern.Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln2005, 351 Seiten, 19,90 Euro.

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Ich will diesen Fragen mit dem Blick aufdrei Säulen kirchlicher Arbeit in derPolizei nachgehen.

1. PolizeiseelsorgeAls ich vor viereinhalb Jahren dieAufgabe der Polizeiseelsorgerin auf dergeschäftsführenden Stelle im Polizei-pfarramt unserer Landeskirche übernom-men habe, wurde mir sehr schnelldeutlich, dass die Frage nach dem, wasdie Kirche eigentlich in der Polizei zusuchen hat, nicht getrennt werden kannvon der Erkenntnis, was Kirche dortfinden kann: Menschen, die überwie-gend mit den dunklen, schmutzigen,blutenden, stinkenden, verlogenen,ohnmächtig aggressiven und skrupellosgewaltbereiten sowie oft im wahrstenSinn himmelschreienden Seiten unsererGesellschaft in Berührung sind. Stellver-tretend für uns alle und in einem Maß,dass der einzelne Polizist, die einzelnePolizistin manchmal nicht mehr weiß,wie er, wie sie das aushalten kann.

Diesen Menschen ist die Kirche inseelsorglicher Bringschuld verpflichtet.Seelsorge heißt für uns PolizeipfarrerIn-nen, den Bediensteten in der Polizei denRücken zu stärken sowohl in persönli-chen Krisen als auch in belastendenSituationen ganzer Organisations-einheiten. Etwa wenn ein Kollege sichdas Leben genommen hat (womöglich inden Diensträumen und mit der Dienst-waffe), nach extrem belastendenEinsätzen an Unfallorten, wenn – Gottsei Dank ist das selten, dann aber meistunter skandalierenden Blicken – Polizis-ten die Schusswaffe benutzt haben odersie in Ausübung ihres Dienstes Opfervon Gewalt geworden sind. Polizei-seelsorge heißt auch: Schuld undSchuldgefühle mit PolizistInnen auszu-halten und daran mitzuwirken, dass ein

Leben mit dem, was nicht mehr rück-gängig gemacht werden kann, neumöglich wird. Das fängt nicht erst beimoft schwer traumatisierenden Gebrauchder Pistole an. Wer mit Verletzung undTod in schrecklichen Ausprägungen sohautnah und häufig im Kontakt ist wieim Streifendienst und in entsprechendenAbteilungen der Kriminalpolizei, kannheftig umgetrieben werden von derFrage nach Gottes A(b)nwesenheit.Einige PolizistInnen verzweifeln daran.Manche entledigen sich in zynischerSchutzhaltung aller religiösen Deutungs-versuche und wieder andere spüren indiesen Grenzsituationen menschlichenLebens eine Berührung mit dem, wasdas Leben wesentlich macht und mit derleisen oder laut drängenden Frage nachdem, was das Leben eigentlich trägt.

Wir PolizeipfarrerInnen wagen immerwieder stellvertretend das Vertrauen,dass jenseits unseres begrenzten Hori-zontes Gottes Anwesenheit in denLeidenden und Getöteten geglaubtwerden kann. Dieses Vertrauen bringenwir ein. Nicht selten unter eigenenseelischen Qualen und immer wiederselbst ohnmächtig, traurig oder wütendangefochten. Aber vor allem auchbereichert durch das, was wir anStandfestigkeit von den Menschen imPolizeidienst lernen können. Wirversuchen in gut evangelischer Manier,eine „Kultur des Schmerz-Aushaltens“(Dr. Raphael Behr, bei der Ökumeni-schen Jahrestagung 2002, zwei Tagenach dem Flugzeugabsturz am Boden-see) zu entwickeln und in die Polizeieinzubringen. Dass dies der Polizei guttut, wird uns oft bestätigt. Im Grundestellt sich in diesem Zusammenhang dieFrage nicht wirklich, was bzw. wenunsere Kirche in der Polizei zu suchenhat. Von Haus aus Kirchenferne oder

dem Glauben entfremdete Menschentun in belastenden Situationen seltenvon sich aus den Schritt in eine Orts-gemeinde, die für sie weit weg ist vondem, was auf der Straße passiert.Aufsuchend präsent zu sein, wo andereihren Kopf und ihr mutiges, wie ihrgeängstetes Herz den Katastrophenunserer Welt hinhalten und so nichtselten selbst Teil der Katastrophewerden, sieht die Kirche als ihreAufgabe an. Vor allem dort, wo Gottes-bilder zerbrechen (müssen), sichfinsterste Täler auftun und der Bodenunter den Füßen wankt.

Prof. Dr. Isolde Karle machte bei derÖkumenischen Jahrestagung für Polizeiund Kirche 2004 darauf aufmerksam,dass wir in der Polizei auf Menschentreffen, die unsere christlich-jüdischeTradition gut kennt. In den Klage- undRachepsalmen kommen sie zu Wort: Dieohnmächtig Wütenden und Gekränkten;die, die ahnen, dass weder die eigenenoch weltlich-staatliche Macht ihremverletzten GerechtigkeitsempfindenGenugtuung verschaffen kann. DieKirche begegnet – wenn sie sich auf dieMenschen in der Polizei einlässt – sehroft denen, die Jesus selig gepriesen hat:denen, die hungern und dürsten nachGerechtigkeit. Der Schatz und derSchutz des Seelsorgegeheimnisses ist ineiner Organisation, deren Mitarbeitendedem Strafverfolgungszwang unterworfensind, eine besonders große Chance.

Die Arbeit der Polizeiseelsorge hatmeiner Einschätzung nach in denletzten Jahrzehnten gezeigt, wie vielEntlastung und welche not-wendigeWürdigung Menschen erfahren, wennihre seelischen Qualen ohne Wertungernst- und wahrgenommen werden. Einneues Online-Seelsorge-Angebot für diePolizei will auch niederschwellig dieMöglichkeiten dazu öffnen. Ein Netz-werk polizeiinterner Hilfsangebote ist inden letzten Jahren entstanden. In denKriseninterventions-Teams der Polizeisind die Polizeiseelsorgen beider großen

Kirchliche Arbeit in der Polizei Eva-Maria Agsteri

Gehört die Kirche in die Polizei? Was hat sie dort überhaupt zu suchen,nachdem die Zeiten der Vergangenheit angehören, in denen Thron und Altaroft mehr unheilige denn heilige Verbindungen eingegangen sind? Was ist derEvangelischen Landeskirche in Württemberg an der „Kirchlichen Arbeit in derPolizei“ so wichtig, dass sie seit 1962 Jahr für Jahr in die damit verbundenenAufgaben investiert? Das heißt vor allem in die Gehälter der beiden hauptamt-lichen PolizeipfarrerInnen und der nach den Kürzungsrunden übrig gebliebe-nen einen Sekretärin sowie den bis zum kommenden Sommer begrenztenhalben Dienstauftrag eines Pfarrers z. A., der in einem entscheidendenEntwicklungsstadium den Ausbau der Notfallseelsorge konzeptionell undstrukturell voranbringen soll (siehe OK 1/2003).

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PolizeischülerInnen in der Vesperkirche

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Kirchen integriert. Die internen Angebo-te entlasten die Seelsorgearbeit in ihrerBeratungsfunktion, die allein durch diegeographische Ausdehnung der Zustän-digkeit und in ihrer Fülle immer wiedergrenzwertig belastend war und ist.

So kann die Seelsorge ihre Schwerpunk-te in Zukunft hoffentlich noch etwaserweitern und mehr spirituell stärkendeAngebote einbringen. Die ökumenischverantwortete Fastenwanderung fürStudierende an der Fachhochschule warüberbucht, die so genannten Sport-exerzitien eines katholischen Kollegensind es seit Jahren. Ein erstmals vomEvangelischen Polizeipfarramt ausge-schriebenes Schweigeseminar im StiftUrach wurde in der ersten Woche derAusschreibung intensiv nachgefragt. Ichdenke, dass es auch eine spirituelleAufgabe sein wird, noch mehr als bisherschon nebenher, bewusst Räume zurVersöhnung zwischen Polizei undBevölkerung zu schaffen, Gräben zuüberwinden. Ich denke etwa an Polizis-ten, die in Mutlangen eingesetzt waren,und denen, die dort demonstriert haben.

2. BerufsethikKirchliche Arbeit in der Polizei geschiehtin einer „Organisation mit Gewalt-lizenz“ (Jan Philipp Reemtsma), in dersich die Frage nach der „Kultur desGewaltmonopols“ immer neu stellt.„Eine kontroverse Debatte über dieKultur des Gewaltmonopols unterschei-det ...eine demokratisch legitimiertePolizei von anderen Polizeien. Und derKirche steht es gut zu Gesicht, dieseKontroverse zu befördern bzw. zumoderieren“, so der ehemalige Polizistund Soziologe Raphael Behr. Wie dasGewaltmonopol in unserer Gesellschaftdurch die Polizei wahrgenommen wird,ist eine entscheidende Frage für dieQualität des Zusammenlebens in einerDemokratie, in der die Achtung derMenschenwürde nicht angetastetwerden soll und einklagbar ist. ImVerhaltenskodex für Beamte mitPolizeibefugnissen (1979 bei derVollversammlung der UN verabschiedet)heißt es: „Beamte mit Polizeibefugnissensollen Gewalt nur anwenden, wenn diesunbedingt notwendig ist und in demAusmaß, wie dies in Ausübung ihrerPflicht notwendig ist“.

Was heißt das für eine junge Polizistin,die bis aufs Äußerste gereizt undgedemütigt worden ist? Was heißt dasfür einen gestandenen Polizisten, den

angesichts eines erkennbar gefährlichenGegenübers die berechtigte Angstüberfällt? Was bedeutet das im Rahmeneiner Organisation, in der Einzelne ihreKraft und Akzeptanz zum Durchhaltenüberwiegend durch den Rückhalt in dereigenen Gruppe, die in ihnen geltendenNormen und Regeln erfahren („copculture“)? Solchen und anderen Fragengeht die Kirchliche Arbeit in der Polizeiin ihren berufsethischen Angebotennach: Wie überbringe ich eine Todes-nachricht? Wie verhalte ich mich aneinem Ort, an dem Menschen verletztsind oder sterben? Wie kann ich einenangemessenen Umgang mit Opferngestalten? Wie können wir seelischgesund bleiben oder wieder werden?Wie können Frauen ihre Stärke in derPolizei leben? Sich das Leben nehmen?Wie geht Polizei mit all dem um, wasAbschiebungen mit sich bringen?

Berufsethik ist Teil eines vernetztenGesamtsystems der polizeilichen Aus-und Fortbildung. Der Unterricht an denPolizeischulen und an der FH inVillingen-Schwenningen sowie an derAkademie der Polizei in Freiburg findetgemäß der 2002 unterzeichnetenVereinbarung zwischen den Kirchenund dem Land Baden-Württembergstatt. Durch die Vergütungen meinesberufsethischen Unterrichts an derPolizeischule in Göppingen und der FHin Villingen-Schwenningen wird ein Teilder Kosten für das Polizeipfarramtrefinanziert.

3.Gremienarbeit auf politischer EbeneViele Probleme, die den PolizeipfarrerIn-nen in ihrer Seelsorge begegnen, habenauch eine politische Dimension undmüssen darum auf der politischen Ebeneund mit der Polizeiführung besprochenwerden. Alle vier Kirchen in Baden-Württemberg verantworten gemeinsamdiese Arbeit und haben sich dafürStrukturen gegeben im Kontakt mit derPolizeiführung. Auf Bundesebene habensowohl die Evangelische wie dieKatholische Kirche entsprechendeGremien. So hat z.B. die EvangelischeLandeskirche in Württemberg zweiStimmen in der Konferenz EvangelischerPolizeipfarrerInnen in Deutschland(KEPP). Jüngste Frucht der KEPP-Arbeitwar ein Weihnachtsgottesdienst für diePolizeibeamtInnen, die im KosovoDienst tun.

Der Zusammenarbeit von Kirche undPolizei wird oft mit Vorbehalt begegnet,außerhalb wie innerhalb der Polizei. Ich

möchte mit einem Auszug aus einerRede, die ich bei der Unterzeichnungder neuen Vereinbarung zwischen Landund Kirche in Löwenstein gehaltenhabe, schließen. Sie greift diesenVorbehalt auf: „Eine Partnerschaft istkein unangemessener Schulterschluss,wie immer wieder argwöhnisch vermu-tet wird. Bei einer Partnerschaft kannsich im Gegensatz zum Schulterschlusswirkliche Begegnung ereignen. DieKultur von Kirche und Polizei könnensich begegnen. Es ist Raum für Solidari-tät und Kritik. Was eine Partnerschaft imGegensatz zum Schulterschluss aus-zeichnet, hat der im Libanon geborenePhilosoph Kahil Ghibran in einem Textfolgendermaßen beschrieben:

... lasst Raum zwischen euch.Und lasst die Winde des Himmelszwischen euch tanzen...Steht nicht zu nah beisammen,denn die Säulen des Tempels stehen fürsich,und die Eiche und die Zypresse wachsennichtim Schatten der anderen.

Die Vereinbarung lässt Raum zwischender Kirchenkultur und der Kultur in derPolizei. So kann etwas weiterwachsenzwischen uns, was sich seit 40 Jahrenzu entfalten begonnen hat. Ob dieWinde des Himmels zwischen unstanzen können, sagt die Vereinbarungnicht. Hoffen können wir es.“

Mit der Kirchlichen Arbeit in der Polizeiist es wie mit der Notfallseelsorge:Wenn es sie nicht gäbe, müsste man sieerfinden, sagte sinngemäß ein polizeili-ches Mitglied im neu geschaffenenBeirat unserer Landeskirche für dieKirchliche Arbeit in der Polizei. Manmüsste sie erfinden, auch, damit Kirchenah bei denen ist, die Jesus selig preist.

Kirchenrätin Agster bietet Vorträgein Gemeinden an zum Thema:„Was tut die Kirche in der Polizei?“

Der Text der Vereinbarung zwischenLand und Kirchen kann beim Ev.Polizeipfarramt bezogen werden (bitteeinen frankierten Umschlag beilegen).Kontakt: Evangelisches Polizeipfarramt,Ecklenstraße 20, 70184 StuttgartTel.: (07 11) 46 20 01; Email: [email protected]

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Auf dem Milleniumsgipfel der VereintenNationen wurden die so genanntenMillenium Development Goals (MDG)beschlossen. Eines der Ziele lautet, dassbis zum Jahr 2015 die Anzahl derMenschen ohne Zugang zu ausreichen-dem und sauberem Trinkwasser halbiertwerden soll. Derzeit leiden etwa 1,2Milliarden Menschen weltweit unterunzureichendem Trinkwasserzugang.Will man dieses Ziel tatsächlich errei-chen, müssen jeden Tag 280.000Menschen einen Zugang zu Trinkwassererhalten – eine stolze Zahl. Und dieVereinten Nationen sind sich durchausbewusst, dass dieses Ziel nicht imVorbeigehen eben mal so mitgenommenwerden kann. Das Jahr 2003 haben dieVereinten Nationen zum UN-Jahr desSüßwassers deklariert, ein Jahr späterhat der UN-Generalsekretär Kofi Annaneinen Wasserbeirat ins Leben gerufen,der ihn und seine Organisation dabeiunterstützen soll, nach Wegen aus der

globalen Wasserkrise zu suchen. Undwieder ein Jahr später haben die Verein-ten Nationen die Wasserdekade „Waterfor Life“ eröffnet. Eindringlich weist dieStaatengemeinschaft darauf hin, dass dieLösung der Wasserkrise den Schlüsselzur Armutsbekämpfung und zu neuenEntwicklungschancen darstellt. Dabei istdie Verkündung einer UN-Wasser-dekade noch lange keine Erfolgsgarantie.Die erste Wasserdekade von 1980 bis1989 hatte sich sogar zum Ziel gesetzt,am Ende der Dekade allen Menschenausreichendes Wasser zur Verfügung zustellen. Sie war kläglich gescheitert.

Auch zum jetzigen Zeitpunkt ist längstnicht klar, ob die MDGs erreichtwerden können. Im September wird inNew York eine erste Evaluierung dazustattfinden. Schon zuvor haben UNICEFund WHO eine erste Zwischenbilanzgezogen. Das Ergebnis: Auch fünf Jahrenach der Verkündung der MDGs sindüber eine Milliarde Menschen ohne

Wasserzugang. Erfolgen in manchenStaaten Asiens stehen massive Problemein den meisten afrikanischen Länderngegenüber.

Wie so oft wird dabei auch ums Geldgestritten. Die Angaben, wie viel Kostenmit einer Lösung der Wasserkriseverbunden sind, gehen dabei enormauseinander. Während der Weltwasser-rat, der eng mit der Weltbank undgroßen privatwirtschaftlichen Unterneh-men liiert ist, von einem Volumen vonrund 100 Mrd. US-Dollar spricht,wurden auf der Süßwasserkonferenz inBonn im Dezember 2001 schon einZehntel dieses Betrages als ausreichendbetrachtet. Im Mittelpunkt steht dabei

die Frage, ob große, teure und techno-logieintensive Maßnahmen, unterBerücksichtigung der Privatwirtschaftvon Nöten sind oder eben lokal ange-passte Niedrigkostenlösungen. Klar istindes, dass Geld nötig sein wird. Ineiner Studie, die er für die VereintenNationen erstellt hat, hat Geoffrey Sachsgefordert, dass sich die internationaleEntwicklungshilfe schrittweise erhöhenmuss – anders sei die Krise nicht zumeistern. Bis zum Jahr 2010 sollten alleStaaten ihre Gaben auf mindestens 0,55Prozent des Bruttosozialproduktessteigern. In Deutschland liegt der Anteilderzeit bei ca. 0,34 Prozent – undFinanzminister Eichel hat erst vorkurzem nochmals betont, dass eineErhöhung nicht in Frage kommt.

Menschenrecht oder Ware?An der von Weltbank, verschiedenenbilateralen Entwicklungsgebern undnicht zuletzt vom Weltwasserrat (Der

Auf dem Weg zu einer Lösung derWeltwasserkrise?

Bernhard Wiesmeieri

Am 22. März 2005 begann die neue UN-Wasserdekade „Water for Life“. ZehnJahre lang sollen alle Anstrengungen der Vereinten Nationen sowie der Staatendarauf ausgerichtet werden, die Wasserkrise in den Griff zu bekommen.Während die internationale Wasserbewegung immer größer wird, wird überdie Lösungsansätze weiter heftig gestritten. „Brot für die Welt“ hat mit seinerKampagne „Menschenrecht Wasser“ schon vor zwei Jahren das Themaaufgegriffen und maßgeblich an der nationalen und internationalen Vernetzungder Wasserbewegung mitgestrickt. Ebenso wichtig ist es aber auch, das ThemaWasser hierzulande auf die Agenda zu bringen und politische Entscheidungs-träger dafür zu gewinnen, sich für das Menschenrecht auf Wasser stark zumachen.

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Weltwasserrat organisiert zusammen mitWeltbank und anderen die alle dreiJahre stattfindenden Weltwasserforen;dort sind auch die Global Player imWasserbereich stark vertreten.) favori-sierten Privatisierung der Wasserversor-gung, als Lösungsansatz scheiden sichdie Geister. Noch ist der Anteil privati-sierter Wasserversorgungseinrichtungengeringer als zehn Prozent, dennochsehen viele Unternehmen hierin einenzukunftsträchtigen Markt. Die bisherdamit gesammelten Erfahrungen zeigen,dass die Skepsis vieler Privatisierungs-kritiker durchaus berechtigt ist. Ob inManila, der Hauptstadt der Philippinen,in Cochabamba (Bolivien) oder BuenosAires – überall hat die Privatisierungähnliche Ergebnisse gebracht: DasWasser wurde erheblich teurer, dieInvestitionen der privaten Akteureblieben weit hinter den Erwartungenzurück und die Qualität und der Servicewurden schlechter. Erfahrungen, diezum Teil auch in den Industrieländerngemacht wurden. In England stiegen diePreise nach der Privatisierung 1989, inAtlanta (USA) wurden 400 von 700MitarbeiterInnen vom privaten Akteurentlassen, was zu einer Verschlechte-rung des Service geführt hat und inBerlin haben RWE und Veolia bei derTeilprivatisierung der Wasserwerke einejährlich festgeschriebene Rendite vonacht Prozent mit dem Land Berlin

vereinbart – und das, obwohl Berlinohnehin zu den am höchsten verschul-deten deutschen Bundesländern gehört.

Aktuell erregt der Fall von El Alto in derWasserszene Aufmerksamkeit. DieEinwohnerInnen der zweitgrößtenbolivianischen Stadt in der Nähe derHauptstadt La Paz haben im Januar denprivaten Versorger aufgefordert, dieKonzession zurückzugeben. Hinter-grund waren enorme Preisanstiege beiden Wasseranschlüssen. Dabei ist auchdie deutsche Entwicklungszusammen-arbeit in die Kritik geraten. NachAuskunft bolivianischer Nichtregierungs-organisationen hat die deutsche Bot-schaft darauf gedrängt, dass der auslän-dische Anbieter (SUEZ) weiter Anteilean der Wasserversorgung der Stadtbehält – ansonsten würden sie die Stadtnicht mehr unterstützen. Der Ausgangist noch völlig unklar. Pikant ist der Fall

auch deswegen, weilEl Alto von den Priva-tisierungsbefürworternund nicht zuletzt vomBundesministerium fürwirtschaftliche Zusam-menarbeit und Ent-wicklung als gelunge-nes Erfolgsbeispieleiner Wasserprivati-sierung gelobt wordenwar.

WasserbewegungDie Zivilgesellschaft,die sich dagegenwehrt, dass auchWasser zunehmend zueiner Handelswarewird, ist in den letztenJahren stetig gewach-sen – national wieinternational. „Brot fürdie Welt“ ist seitBeginn seiner Kampag-ne „MenschenrechtWasser“ ein wichtigerAkteur der internatio-

nalen Wasserbewegung. Ausgehendvom Peoples World Water Forum inDelhi, bei dem im Januar 2004 über300 Aktive aus über 60 Ländernzusammengetroffen waren, vernetztensich die lokalen und regionalen Grup-pen. In Lateinamerika gründete sich dasNetzwerk Red Vida, bei dem auchPartnerorganisationen von „Brot für dieWelt“ aktiv sind, um das Menschen-recht auf Wasser auf ihrem Kontinentdurchzusetzen. Erster Erfolg: In Uru-guay entschieden sich die Menschen beieinem Referendum mit großer Mehrheitdafür, das Menschenrecht auf Wasser indie Verfassung aufzunehmen. Auf demalternativen Weltwasserforum in Genf,das vom 16. bis 19. März 2005 statt-fand, diskutierten TeilnehmerInnen ausaller Welt über Strategien zur Lösungder Wasserkrise, die auf dem menschen-rechtsorientierten Ansatz basieren.

Auch in Deutschland hat „Brot für dieWelt“ gemeinsam mit anderen Organisa-tionen eine Aktion ausgearbeitet, dieeinen Schutzdeich gegen Wasser-privatisierung bauen will. Gefordert wirdu.a., dass die Entwicklungshilfegelderfür die Verbesserung der Situation derArmen ausgegeben werden sollen undnicht, um Unternehmen beim Aufbauneuer Wassermärkte zu unterstützen.Wasser soll obendrein aus internationa-len Handelsvereinbarungen ausgenom-men bleiben und die EU soll daraufverzichten, Liberalisierungsforderungenim Wassersektor an andere Länder zustellen.

Neben der Netzwerkarbeit und derLobbyarbeit hat „Brot für die Welt“ aberauch mit der Kampagne das Ziel, dieMenschen hierzulande über die Wasser-krise zu informieren. Mit Erfolg: VieleKirchengemeinden haben in denvergangenen zwei Jahren das Thema„Wasser“ aufgegriffen und es auf lokalerEbene umgesetzt. Viele Gemeindenfragen die Materialien nach, die imRahmen der Kampagne entstanden sind.Und nachdem auf der letzten EKD-Synode der Beschluss gefasst wurde, dieKampagne zu unterstützen und Kirchen-gemeinden aufgefordert werden, dieKampagne aufzugreifen, werden sichsicher noch mehr dafür einsetzen, dassWasser das bleibt, was es ist: GottesGabe und ein Menschenrecht.

Der Politologe Bernhard Wiesmeierarbeitet bei Brot für die Welt in derKapagne „Menschenrecht Wasser“

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Die verdrängte Frage nach der Mitteder SchriftWir leiden unter den Erwartungen, dieein Großteil der Gemeinde an unserVerständnis der Bibel heranträgt. Wirkönnen die Bibel nicht von vornhereinals normatives Wort Gottes betrachten.Sie hat und gewinnt ihre Autorität nurdurch ihre jeweilige Überzeugungskraftin der konkreten Situation.Unser Reden und Handeln als Theolo-gen können wir nicht selbstverständlichaus der Bibel ableiten, sondern müssenuns in erster Linie an der gegenwärti-gen gesellschaftlichen und individuellenNot orientieren. Bei der Bemühung,diese Not zu wenden, verstehen wir dieBibel als einen Gesprächspartner unteranderen. Das hätte etwa zur Folge, dassim Gottesdienst nicht mehr einer dasWort Gottes verkündigen kann, sonderndass in einem Gespräch gemeinsamnach dem in der Situation Notwenden-den gesucht werden muss.(Presseerklärung der Württembergi-schen Vikarskonferenz 1969, in: akid4/69, S. 26)

Für Müller hat sich die Lage, was dasVerständnis der Bibel angeht, nichtwesentlich geändert. Der Spagat zwi-schen wissenschaftlicher Ausbildung an

der Uni und dem weit verbreitetenBibelverständnis in der Gemeinde ist bisheute für die angehenden PfarrerInnenbelastend. Genau das war der Ausgangs-punkt und die Baustelle von Esslingen.Müller: „Solange dashermeneutischeProblem nicht offenverhandelt wird,bestehe der gleicheLeidensdruck fürPfarrerInnen weiter.“Ein offenes Gesprächüber das Verständnisder Bibel aberbräuchte gegenseiti-ges Vertrauen, dasAnnehmen desAnderen als Christund Christin. Vertrau-en kann man nichteinfordern, es musswachsen können. Esmüsse „Arrange-ments für Vertrauengeben“, aber ebendaran, so Müller,mangele es bis heute.

Zwar habe sich dieTheologie undPredigtpraxis weithin

auf eine allegorische Bibellektüreeingelassen. Müller beobachtet auch soetwas wie eine „Wiederentdeckung derErzählung“. Dies sei begrüßenswert,weil Erzählungen den menschlichenErfahrungen besonders nahe sind, umdie es beim Glauben geht. Aber sowohlim Blick auf Erzählungen als auchinsbesondere, wenn es um ethischeTexte geht, sei das hermeneutischeProblem weiter virulent. Wie verstehenwir heute den biblischen Dualismus vonGut und Böse? Oder Phänomene wieden Bann in der Bibel? Die Mythen unddie Wunderberichte. Buchstäblich?Allegorisch? Für uns nicht bindend? FürMüller ist an solche Texte immer undimmer wieder die Frage neu zu stellen:„Ist überall, wo Gott drauf steht, auchGott drin?“ Diese Frage ernst zunehmen, heißt für ihn, „nach der Mitteder Schrift (Bibel) zu fragen“. Aber ebendarüber gibt es bis heute unter denverschiedenen Bibellesarten in unsererKirche keine Verständigung.

Der Satz: „Bei der Bemühung, diese Notzu wenden, verstehen wir die Bibel alseinen Gesprächspartner unter anderen“und die Wendung „müssen uns inerster Linie an der gegenwärtigengesellschaftlichen und individuellen Notorientieren“ – seien übrigens nicht ausseiner Feder und der Grund dafür, dasser selbst nicht für diese Resolutiongestimmt habe. Beides sei in der End-redaktion hinzugefügt worden und in

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„Ist überall, wo Gott drauf steht,auch Gott drin?“

Ein Gespräch mit Dr. Klaus W. Müller, einem derMitautoren der Esslinger Erklärung von 1969

iHarry Waßmanni

Die Esslinger Erklärung gehört in ihre Zeit. Sie atmet die Atmosphäre von 1968und 1969. Das macht Klaus W. Müller gleich zu Beginn unseres Gesprächesdeutlich. Er erinnert an die Gründung der „Kritischen Kirche“ (später „OffeneKirche“), an den Rücktritt des von Konservativen im Vorfeld des StuttgarterKirchentags „gemobbten“ Synodalpräsidenten Oskar Klumpp, an die heftigenDiskussionen um das Schriftverständnis auf dem Stuttgarter Kirchentag und andie Synodenbegleitung „von oben“: Wie von der Besucherempore aus spontanerstellte Flugblätter die Redebeiträge kommentierten und die Synodalen z.T.„per Luftpost“ erreichten. Auch die Wahl von Helmut Claß zum Bischof gehörtfür Müller in das Umfeld der Esslinger Erklärung. Er galt als Brückenmensch,als einer, der es unternahm, die StudentInnen und VikarInnen ernst zunehmen. Nach Müllers Erinnerung wollte die Esslinger Vikarskonferenzeinen Beitrag zu einem angemessenen Verständnis des fragwürdig gewordenenund mißbrauchten Begriffs der Autorität erarbeiten. Dabei seien zwei Kern-bereiche für die jungen TheologInnen besonders wichtig gewesen: 1. Wie istdie Autorität der Bibel zu beschreiben? und 2. Welche Autorität kommtbürgerlichen Lebensformen zu – und wie verhält sich dazu die kirchlicheKasualpraxis?

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der Öffentlichkeit aufgespießt worden,als würde hier die Geringschätzung derBibel durch die VikarInnen erkennbar.Dass es den VikarInnen aber vielmehrum eine begründete Autorität der Bibelging und nicht um ein autoritär verord-netes „Die Bibel hat doch recht“, das seidamals nicht begriffen worden.

Die VikarInnen haben sich in Esslingen1969 durchaus nicht als antiautoritäreTheologInnen verstanden, sondern seienauf der Suche nach einer Autoritätgewesen, die davon lebt, dass etwasüberzeugt und einleuchtet. Nicht dasEvangelium als Autorität in Gestalt derUnterwerfung oder der Preisgabe derVernunft, sondern als eine Autorität, diegetragen ist von der Erwartung und derErfahrung: Es wird einleuchten. Das seiauch der Knackpunkt gewesen für ihrevehemente Kritik an der kirchlichenTrauung.

Ehe ohne geistlichen GrundDie Arbeitsgruppe ,,Theologie, Soziolo-gie und Therapie“ hat unter Aufnahmevon Gedanken der ,,Celler Konferenz“unter anderem den gesellschaftlichenBezug der kirchlichen Amtshandlungendiskutiert. Dort wurde das Grund-problem am Beispiel der kirchlichenTrauung erörtert. Dabei kam man in derArbeitsgruppe zu folgenden Ergebnissen:1 a) Die kirchliche Trauung neben derbürgerlichen Eheschließung wirkt alsSanktionierung der letzteren. DieInstitution Ehe wird dadurch zurgöttlichen Ordnung erhoben und so derDiskussion entzogen.b) Die Überhöhung der Ehe zur gott-gewollten, unauflöslichen Ordnung hatu. a. die Diskriminierung von Geschie-denen zur Folge.c) Die gegenwärtige Traupraxis derKirche dient dazu, die Problematik derEhe in der heutigen Gesellschaft zuverschleiern, statt zu ihrer Klärungbeizutragen.d) Dieser Mißstand kann durch Trau-gespräche und Eheberatung höchstensverdeckt, nicht aber behoben werden,solange an der kirchlichen Trauungselbst festgehalten wird.2. Aus den angegebenen Gründen solltedie gegenwärtig praktizierte Form derkirchlichen Trauung nicht weitergeführtwerden.3. Der Beitrag der Kirche zur Lösungder Eheproblematik müßte darinbestehen, zu einer sachgemäßenDiskussion beizutragen. Das könnte inGesprächen und Seminaren geschehen,sofern sie ohne gesellschaftlichen Druck

nicht alsVorbedin-gungeinerkirchli-chenTrauung,und mitfachlichgeschul-tenGe-sprächs-partnerngeführtwerden.(Presseer-klärung der Württembergischen Vikars-konferenz 1969, in: akid 4/69, S. 26)

Diese Passage, so vermuteten dieVikarInnen damals fälschlich, würdemehr Widerspruch auslösen als dieerste. Aber ihre Kritik der kirchlichenTrauung ging im Streit um ihr Bibel-verständnis unter. Beim Streit um diekirchliche Trauung ging es nach Müllerzunächst gar nicht um Theologie. Diestandesamtliche Trauung hatte aus derSicht der „Esslinger“ die kirchlicheTrauung verdrängt oder auch überflüssiggemacht. Man verwahrte sich vehementgegen eine religiöse Überhöhungstaatlich regulierter Lebensordnungen.Was Ehe soll, darauf fand die 68-erGeneration in der Theologie keineAntwort. Sie bewunderten die Thera-peuten und waren von deren Weisheitüberwältigt. Seine Generation, soMüller, war von einem großen Zutrauenzur Humanwissenschaft erfasst und voneinem ebenso großen schlechtenGewissen, „nur Theologe zu sein“.Wenige seines Jahrgangs seien dannauch im Pfarramt angekommen.

Müller bemerkt heute demgegenübereine witzige Verkehrung: Gerade diegleichgeschlechtlichen Partnerschaften –nunmehr staatlich anerkannt – drängtennach einer religiösen Weihe. Was aber1968 und in Folge nicht gelang war, dieGemeinschaft von Frau und Mann –auch in der Gestalt der Ehe – in ihrerreligiösen Weisheit zu ergründen. Dasblieb offen. Es gehe in Partnerschaftendoch um Verbindlichkeit und Verläss-lichkeit, es gehe um das, was Menschenbeglückt und fördert. Genau das, soMüller, sei theologisch (weisheitlich) zudurchdringen und ist eine bis heutebleibende Aufgabe. Im Herabsetzengleichgeschlechtlicher Partnerschaftenund nicht-ehelicher Lebensgemeinschaf-

ten äußere sich heute „Angst vor demFremden, Angst vor Wandel undUnsicherheit im Blick auf Lebens-orientierung“. Das Bedürfnis nacheinem festen Reglement ist zwarerkennbar und verständlich. Es wirddaraus aber eine heikle Geschichte,wenn mit Lebensorientierungen Machtüber andere ausgeübt wird.

Gemeinsame Erklärungen über dieGrundlagen unseres Glaubens helfen solange nicht weiter, solange man sichnicht angstfrei gegenseitig befragenkann: „Was meinst du damit? Wieverstehst du das?“ Für Klaus W. Müllersteckt ein Weg zu einem solchengegenseitigen Verstehen verschiedenarti-ger Lebenspraxis in dem apokryphenWort Jesu bei Lukas 6, 4, wo es heißt:„An diesem Tage sah Jesus einen Mann,der am Sabbat arbeitete. Er sprach zuihm: Mensch, selig bist du, wenn duweißt, was du tust. Wenn du es abernicht weißt, bist du verflucht und einGesetzesübertreter.“ (Codex Cantabri-giensis). Zugleich, und das steht amEnde des Gesprächs, wundert sichMüller, mit welchem Pathos heute überZiele und Reformen von Kirche gestrit-ten wird, kommt es ihm doch so vor, alshätten sie seinerzeit diese ganzenÜberlegungen schon einmal angestellt.Aber jede Generation geht neu heran.Als Leiter des Pfarrseminars sieht erheute junge TheologInnen heranwach-sen mit einem großen Horizont undVerstehensmöglichkeiten für ganzverschiedene Lebenssituationen. Bleibtzu hoffen, dass ein engstirniges Bibel-verständnis diesen Nachwuchs nicht ausdem Amt treibt.

Harry Waßmann ist Pfarrer inTübingen

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Möttlingen im frühen 19. JahrhundertMöttlingen ist ein kleines Dorf am Randdes Nord-Schwarzwaldes zwischen Weilder Stadt und Liebenzell. Armut undBegrenztheit bestimmen das Leben:Kleinste Bauernhöfe, wenige Handwer-ker, Hausierertätigkeit im Winter. DieReligiosität ist geprägt von exzessiverFrömmigkeit, getragen von biblizis-tischem Pietismus, scharf ablehnenderKritik der Aufklärungstheologie und desRationalismus. Dämonenglaube, Zaube-rei und der Glaube an das Numinose imAlltag ergeben eine Mischung ausbiblischem Christentum und heidnischerVolksreligiosität. Viele erwarten die naheWiederkunft Christi. Manche wanderndeshalb nach Palästina oder (überKorntal) nach Osteuropa aus. Doch diemeisten kompensieren die ersehnteHoffnung durch eine spannungsge-ladene Frömmigkeit. Psychische undkörperliche Probleme haben zum Teilhierin ihre Ursachen. Zu Beginn derIndustrialisierung wird von DorisBlumhardt eine „Industrieschule“(Strick- und Nähschule) und 1844 vonJoh. Christoph Blumhardt eine Klein-kinderschule gegründet und vonGottliebin Dittus geleitet.

Blumhardts Vorgänger, ChristophGottlieb Barth (1799-1862), ist einhochgebildeter, weltoffener Mann,kommt aber in Seelsorge und Predigt beider Dorfbevölkerung nicht an. Er hatKontakte zur Brüdergemeinde inHerrnhut, hat die Reformpädagogik vonJohann Friedrich Oberlin (1740-1826)studiert und ist durch die Gründung des„Vereins zur Rettung verwahrlosterKinder“ in Beuggen/Süd-Baden berühmtgeworden. Nachdem er – so sagt erselbst – „die Gemeinde zu Tode gepre-digt“ hat, leitet er schließlich den vonihm gegründeten Verlagsverein in Calw.Johann Christoph Blumhardt stammt auseiner Stuttgarter Bäckersfamilie, vonderen pietistischer Frömmigkeitspraxis

stark geprägt. Trotz des frühen Todesdes Vaters kann er dank eines königli-chen Stipendiums in Tübingen Theolo-gie studieren. Im Evangelischen Stift gilter als strebsam und umfassend gebildet.Nach kurzem Vikariat in Dürrmenz beiMühlacker lehrt er von 1830 bis 1837an der Missionsschule in Basel Hebrä-isch und das „Nebenfach der Nützli-chen Kenntnisse“. In Basel verlobt ersich mit Doris Köllner aus Sitzenkirch.

Blumhardt kehrt nach Württembergzurück, um eine Pfarrstelle zu bekom-men. Kurze Zeit ist er Vikar in Iptingenbei Vaihingen/Enz. Paul Schempp(1900-1959), notiert 100 Jahre späterals Pfarrer in Iptingen über Blumhardtsseelsorgerliche Arbeit: „Johann Chris-toph Blumhardt war ein Zeuge der Bibelund das heißt ein Zeuge Jesu Christi.Mehr wollte er nicht sein; dies aberwollte er ganz sein. So durchzieht seinDenken und Leben eine gewaltigeSehnsucht nach neuen Gottesoffen-barungen, nach Pfingstzeiten der Kirche,nach deutlichen Machterweisen undSiegeszügen Jesu und eine ebenso großeWehmut über die Dürftigkeit undMagerkeit der Kirche und der Gemein-den.“

1838 kommt Blumhardt in das leergepredigte Möttlingen. Durch intensiveHausbesuche und Seelsorge, Unterrichtund Vorträge sowie einfache und klarePredigten will er das Eis brechen. Aberdie „Gleichgültigkeit war schon so groß,dass das Dorf schrecklich gelähmt wardurch krassen Aberglauben, der auf Leibund Seele verderblich wirkte“, so seinSohn später. „Ein Tun Gottes musstehelfen, wenn geholfen werden sollte.“1840 ziehen vier elternlose Geschwisternamens Dittus (auch eine Bäckers-familie) in ein ärmliches Häuschen inder Dorfmitte. Damals eher einem Stallähnlich, ist es heute ein kleines Muse-um. Ein Spruch am Fensterladen (noch

sichtbar) charakterisiert die religiöseStimmung der Zeit: „O Mensch bedenkdie Ewigkeit – und spotte nicht derGnadenzeit – denn das Gericht ist nichtmehr weit.“ Gottliebin, die älteste derGeschwister, lange körperlich undseelisch kränkelnd, sucht zögerndKontakt zum neuen Pfarrer, als ihreLeiden sie tiefer belasten. Sie ist faszi-niert von dem jungen Mann undglänzenden Pfarrer und abgestoßenzugleich. Oft weist sie ihn bei seinenBesuchen ab. Sie hängt noch stark andem Vorgänger, der sie zur Leiterin derdörflichen Spinnabende für junge Leuteberufen hatte. Die manchmal zwielichti-ge Atmosphäre legt sich auf alle Beteilig-ten. Es entwickelt sich eine gereizte unddiffuse Beziehung zwischen Blumhardtund Gottliebin, die zu keiner Klärungfindet. Blumhardt akzeptiert die Situati-on und Gottliebins Verhalten. Er drängtsich nicht auf. So nimmt eine Krank-heits- und Heilungsgeschichte ihrenLauf, die unter ernst zu nehmendenZeugen geschehen, gut und vielfältigberichtet, als „Krankheitsgeschichte derGottliebin“ in religiöser Erbauungs-literatur wie auch in der theologischenund medizinischen Wissenschaftbekannt ist.

Therapie der GottliebinNie wollte Blumhardt aus seiner Erfah-rung etwas Besonderes machen. Aber erwird angefeindet durch Ärzte, imKollegenkreis und bei der Kirchen-leitung. So schreibt er einen ausführli-chen Bericht für das königliche Konsisto-rium (die damalige Kirchenleitung), derwiederum unter Vertrauensbruch an dieÖffentlichkeit gelangt und durchBlumhardt dann verschiedentlichergänzt und erweitert wird. Späternimmt er in seiner Predigt- und Seel-

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Das Reich Gottes und dasHeil des Menschen

Zum 200. Geburtstag von Johann ChristophBlumhardt am 16. Juli

Christian Buchholzi○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○ ○

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sorgearbeit ausdrücklich darauf Bezug.Diese Heilungsgeschichte prägt seinLebenswerk und seine Theologie wie dieseines Sohnes Christoph FriedrichBlumhardt entscheidend; sie wird zumintegralen Bestandteil ihres Denkens,Glaubens und Handelns. Rückblickendsagt Blumhardt ein Jahr vor seinem Todin einer Weihnachtspredigt: „Es sindheute 36 Jahre her, da ich auf derKanzel stand in Möttlingen. Ich bindamals mit einem Triumphgefühlaufgetreten, da mir der Psalm, denMaria sang (Lk1,46ff), sehr wertvollgewesen ist. Denn es war am Tag,nachdem ich mit einem eigentlichenschweren Kampf fertig geworden war.Das war ein persönlicher Kampf mit denPersönlichkeiten der Finsternis, da wirmiteinander einunddreiviertel Jahregerungen haben, um zu sehen, wer derHerr würde. So hat der Gedanke anJesus, den Anfänger und Vollender desGlaubens, der nach blutigem Kreuzestodzur Rechten Gottes erhöht worden ist,mich stark erhalten; und zuletzt hatauch die Finsternis ausrufen müssen,vielleicht zum ersten Mal: Jesus istSieger! Und damit bin ich fertig gewe-sen. Jesus war Sieger. Und alle seineFeinde mussten es laut schreien, so dasses fast durch den ganzen Ort gehörtwurde: Jesus ist Sieger! Ihr könnt euchdenken, mit welchen Gefühlen ich dann…auf die Kanzel trat, da alles vollErwartung war, wie es noch mit demKampf hinauslaufen würde. Aber kühnund mutig konnte ich sagen: Es istgewonnen!“

In seiner Analyse zu Beginn der Beglei-tung stellt Blumhardt sachlich fest:„Gibt’s eine Zauberei und Hexerei, ist’snicht Sünde, sie unangetastet ihr Spieltreiben zu lassen? Mit solcherlei Gedan-ken arbeitete ich mich im Glauben andie Kraft des Gebetes auch in dieseSache, bei welcher kein anderer Ratsonst übrig war, hinein und ich rief derKranken zu: Wir beten, sei’s, was eswolle. Wir probieren’s. Wir verspielenwenigstens nichts mit dem Gebet. DerHerr wird tun, was er verheißt.“Blumhardt erkennt in der Krankheit eine„Herausforderung an Gott, ein Zeichenzu tun“ und stellt sich (zusammen mitden Kranken) dieser Herausforderungdurch intensives und schlichtes Gebet.Fast nüchtern kann er nach allerAnspannung formulieren: „Nun schiendie Macht und Kraft des Dämons mitjedem Augenblick gebrochen zu wer-den. Er wurde immer stiller undruhiger, konnte immer weniger Bewe-

gungen machen und verschwand zuletztganz unmerklich, wie das Lebenslichteines Sterbenden erlischt…“

Beim Versuch, dieses Ereignis undBlumhardts Weg zu verstehen undeinzuordnen, fallen verschiedeneElemente auf, die die neuzeitlicheSehnsucht nach Spiritualität auf eineganzheitlich-geistliche Weise korrigiert:1. Nicht Blumhardt ist der eigentlichAgierende: Die Energie der Krankheitwird umgelenkt. Die Kranke kommt zusich selbst und zu ihren ursprünglichenKräften. Er schafft „Quartier“, wiespäter der Sohn formuliert, für denMenschen und für Gottes Wirken.2. Die Heilung geschieht im Raum desVertrauens. „Der Heiland kommt nichtals der große Kaputtmacher, sondern alsder große Seligmacher.“ Die Öffentlich-keit bleibt während der Heilung ausge-schlossen, eine heftige Kritik an heuti-gen Heilungsspektakeln.3. Alles zielt auf das Christusbekennt-nis: „Jesus ist Sieger“. Diese Heilung –wie später auch alle anderen – sindAnzeichen für den erhofften endgültigenSieg. In dem einzigen Lied, das inunserem Gesangbuch von Blumhardt d.Ä. aufgenommen ist (EG 375), heißt esprogrammatisch: „Dass Jesus siegt,bleibt ewig ausgemacht.“4. Blumhardt hält aus. Er gibt – fastkindlich – nicht auf: Der Gebetskampfscheint der rote Faden zu sein. DieWiederentdeckung der elementarenDimension des Gebets, die unsereWirklichkeit mehr als berührt, verbietetGebetsfloskeln und oberflächlichesRitual. Blumhardt hält nichts vom„Andächteln“.5. Blumhardt nimmt die körperlicheDimension des Glaubens und dieeigenartige Mächtigkeit der Volks-religion ernst. „Das Evangelium…ist eineKraft.“ Blumhardt interpretiert denVorgang als Befreiung: „Die Menschenbedürfen keiner Bekehrung – denn auchmit Sünden hatten sie sich nicht vonGott abkehren wollen – sondern nureiner Befreiung.“6. Die medizinische Versorgung durchden Arzt bleibt Teil der ganzheitlichenHeilung. „Ich arbeite…einer ärztlichenBehandlung (wenn sie noch nötig undverlangt wird) auf die heilbringendeWeise vor.“7. Der Glaube kann auch heute Wunderwirken, die nicht auf die Zeit deshistorischen Jesus beschränkt sind.Unser Wirklichkeitsverständnis bleibtbegrenzt.8. Theologisch ist interessant, dass

Blumhardt nicht nur die synoptischenBerichte über Heilungswunder aufseiner Seite hat, sondern auch einenGrundstrom paulinischer Gedankenaufnimmt. Die urchristlichen undprophetischen Zeugen des Glaubenssind seine Vorbilder.

DeutungenIn der fachkundigen Deutung dieserGeschichte haben sich nach demzweiten Weltkrieg vor allem die Psycho-therapeuten Joachim Scharfenberg undGaetano Benedetti (Basel) einen Namengemacht: Sie gelten als herausragendeBrückenbauer zwischen Theologie/Seelsorge und Psychotherapie und alsVorläufer der klinischen Seelsorge in derheutigen Pfarrerausbildung: Arzt undSeelsorger haben ihre je eigene Kompe-tenz, die es zu respektieren und inkonstruktiver Zusammenarbeit zugestalten gilt. So auch in der tiefen-psychologischen Interpretation unseres„Falles“. Nicht Gottliebin sondern der„Dämon“ steht im Zentrum des „Kamp-fes“. Blumhardt tritt als Seelsorger undGesprächstherapeut an die Stelle derSchwachen, weil sie ihrer innerenZerrissenheit nicht mehr Herr wird. Ersetzt sich ihr und der ganzen zerstörer-ischen Konfliktsituation aus. In dem„maßvollst gehaltenen Gespräch“ öffnetsich die Situation, Neues kann wachsen,damit „von oben her etwas kommen“kann. Gottliebins Stummheit wird inSprachfähigkeit gewandelt. Gefestigtwird dieser Prozess dadurch, dassBlumhardt sie danach in die Großfamiliedes Pfarrhauses einbindet. Sie erhältzudem eine wichtige Funktion im Dorf.

Die FolgenRasch wird der Vorfall bekannt – imDorf, in der Umgebung, im Land unddarüber hinaus. Öffentliche und intri-gante Beschuldigungen gegen Blum-hardt tragen dazu bei. Im Dorf beginnteine spontane Buß- und Erweckungs-bewegung: Einzelne, Eheleute, ganzeFamilien kommen zu Blumhardt zurSeelsorge, zur Beichte. Tränen fließen.Glaube wird gestärkt. Die Gottesdienstesind überfüllt. Das Pfarrhaus wird zumaus allen Nähten platzenden Gasthausder Mühseligen und Beladenen. Blum-hardt versteht sich dabei nicht als dergroße Heiler, sondern er sehnt sich beiall dem Trubel und aller bewegtenFrömmigkeit nach „Ausstrahlungen derHerrlichkeit und Freundlichkeit JesuChristi“. „Es war mir, als ob ich in eineganz neue, mir völlig unbekannte

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Fragen und PerspektivenOb sich die modernen Heilungsbewe-gungen auf Blumhardt berufen können,ist mehr als zweifelhaft, obgleich sie aufdie körperliche Dimension von Religionund besonders des christlichen Glaubensverweisen. Aber der Lärm, der medialum sie erzeugt wird, verdeckt meist dasfreundliche und Mut machende Gebotder Heilung im NT (Mk 16 u.ö.), dasstets intime Seelsorge mit erlebbarerVeränderung des Alltags verbindet.

Das Kurhaus existiert noch. Es ist jetztTeil der „Diakonie Stetten“, unserergroßen diakonischen Einrichtung inWürttemberg. Das Haus selber wird alsRehabilitationsklinik für verschiedeneKrankheiten – dank der Schwefel- undMineralquelle und der Schiefer-Fango-Anwendungen – geführt und mit einemausgesprochen seelsorgerlich-geistlichenAngebot ergänzt. Ein „GeistlichesZentrum“ rundet das moderne Angebotab – ganz in der Tradition der beidenBlumhardts und im Geist der Schen-kungsurkunde von 1920, als das Hausund der gesamte Besitz von der Blum-hardt-Familie an die Herrnhuter Brüder-gemeine überging: „Bad Boll soll einHaus sei, wo der Heiland regiert, in demman nach dem Reiche Gottes trachtetund sich um sein Wort sammelt. Es solleine Stätte sein, von der Segen aus-strömt in weite Kreise des Volkes, woArme und Reiche sich in einem Geistezusammenfinden, wo Mühseligen undBeladenen eine Stätte geboten wird, vonder aus sie neu gestärkt wieder hinaus-treten können in den Kampf des Lebens,und wo Liebe und Barmherzigkeitwohnen.“

Christian Buchholz, Schuldekan fürGöppingen und Kirchheim/Teck.Veranstaltungshinweise:Sonntag, 7. August, Pilgerweg inErinnerung an die beiden Blumhardtsdurchgeführt in Bad Boll. Informationenund Anmeldungen:www.evanggemeindeblatt.de/email:[email protected]/Tel: (07 11) 6 01 00-74

Internationale Tagung über JohannChristoph Blumhardt: 7. bis 9. Oktoberin der Evangelischen Akademie BadBoll. Informationen und Anmeldungen:www.ev-akademie-boll.de/email:[email protected], Tel: (0 71 64) 79-342

Sphäre hineingezogen würde, inwelcher heilige Geisteskräfte sichregten.“ Neid und Anfeindungen vonseiten der Pfarrerschaft wachsen, ziehendoch viele Gemeindeglieder Sonntag fürSonntag aus ihren Dörfern und Städtenin Kutschen und auf Bauernwagen nachMöttlingen. Manchmal scheint halbStuttgart unterwegs zu sein. Ebensohäufen sich ganz konkrete Erwartungenvieler Heilung Suchender. Blumhardtwird auch von Menschen und Gemein-den außerhalb Württembergs angefragtund besucht. Die Kirchenleitung wirftihm vor, sich in ärztliche und außer-parochiale Angelegenheiten einzumi-schen. Der Rückhalt im Dorf nimmt imLauf der Jahre ab. Erste Ideen, ananderer Stelle und in einer anderenKirche zu wirken, nehmen Gestalt an.König Wilhelm I. will ihn aber unbe-dingt in Württemberg halten.

Nachdem Blumhardt verschiedeneVersuche, seine ausufernde Arbeitselbständiger gestalten zu können,erfolglos und enttäuscht abgebrochenhat, besichtigen seine Frau Doris undGottliebin Dittus das heruntergekomme-ne königliche Kurhaus in Bad Boll, daszum Verkauf steht, um größere undattraktivere Räumlichkeiten zu finden.1852 übernimmt Blumhardt für diestattliche Summe von 25.000 Gulden(es gab schon genügend Sponsoren) vonder württembergischen Regierung daseinstmalige „herzogliche Wunderbad“aus dem Jahr 1595 mit dem weit-räumigen Grund und Boden. Das Bad –1824 unter dem Königspaar Wilhelm I.und Pauline restauriert – war von den„oberen Ständen“ nicht mehr angenom-men und aufs Neue verfallen. Eine ersteUmstrukturierung im Kurhaus istprogrammatisch: Der Tanzsaal wird zumGottesdienst-Saal (heute Festsaal undimmer noch Ort für den sonntäglichenGottesdienst der Herrnhuter Brüderge-meine). Nach anfänglichen Schwierig-keiten setzt sich die Möttlinger Erwe-ckungs- und Heilungsbewegung in BadBoll fort: Menschen aus allen Ständen(vornehmlich aber Begüterte undEinflussreiche) suchen Kontakt zuBlumhardt.

Eine Sehnsucht nach dem „Heiligen“oder sogar nach dem „heiligen Mann“?– so fragen wir heute kritisch. Blum-hardt selber hat das ähnlich problemati-siert, andererseits aber seine geistlicheVerantwortung aufgrund seiner Erfah-rungen wahrnehmen wollen. WiePaulus konnte er nicht anders: Tröstung,

Heilung, körperliche Genesung, unmit-telbaren und brieflichen Rat sowiegottesdienstliche und seelsorgerlicheBegleitung suchen die Menschen undfinden dies zum größten Teil beiBlumhardt persönlich, in der bergendenAtmosphäre des Kurhauses, in der dorterlebten Gemeinschaft. Nie wollteBlumhardt aus seinem Kurhaus eine„Gebetsheilanstalt“ werden lassen. Aberes sollte zum Zeugnis werden für densichtbaren und greifbaren Weg desReiches Gottes in dieser Welt. Deshalbist auch die Übersetzung der beidenWilhelm und Pauline wiedergebendenBuchstaben W und P, im Sinn (derbeiden!) Blumhardts – Warten undPressieren: Wir warten auf das ReichGottes und wir bemühen uns gleichzei-tig darum, ihm hier in unserer WeltGestalt zu geben.

1872 stirbt die Weggefährtin Gottliebin:An ihrem Sterbebett wird den Versam-melten (erneut) die Gewissheit vermit-telt: „Jesus siegt“. Dieses elitäre Be-wusstsein mit dem kämpferischenGrundton prägt weiter die Wege derBeteiligten. Im Frühjahr 1880 erkranktBlumhardt an einer Lungenentzündung.Im Stil hebräischer Patriarchen versam-melt er seine Söhne um sich undverpflichtet sie zum Dienst an derbegonnenen Aufgabe: „Ich segne dichzum Siegen“ spricht er auf dem Sterbe-bett Christoph Friedrich zu, der wider-willig Theologie studierte und nie denVater beerben wollte. Als einfacherMitarbeiter hat er – nach verschiedenenVikariaten (u.a. in Dürnau bei Bad Boll)– über zehn Jahre in der Landwirtschaftdes Kurhauses den Stall gemistet, Milchgemolken und in der Hausverwaltungmitgearbeitet. Nun ist er in die geistlicheund strukturelle Pflicht genommen.

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Ein neues Afrikascheint möglichPräsidentin des ökumenischenWeltrates setzt aufs Positive:

Friede, Demokratie, mehr Rech-te für Frauen

Aids, Kriege, Völkermord, Hunger – dassind die Stichworte, die spontan zumThema „Afrika“ fallen. Alles richtig,stimmt Dr. Agnes Abuom zu. Und doch:Ein neues, ein anderes Afrika scheintmöglich; erste Anzeichen von Frieden,Demokratie und mehr Rechten fürFrauen lassen hoffen. Die Präsidentindes ökumenischen Weltrates setzt aufsPositive.

Was die Kenianerin auf Einladung derVolkshochschule Schorndorf vor rund50 Gästen von Afrika zu erzählenwusste, schien manchem Zuhörer als zuweich gezeichnet, zu optimistisch. EinEinwand, den Dr. Agnes Abuom leichtentkräften kann: „Wenn du ein Pferdjeden Tag schlägst, wird es müde“,sprich: Wo keine Hoffnung, ist keinVertrauen in die Zukunft, kann nichtswachsen.Aus Sicht der Repräsentantin derafrikanischen Kirchen wächst vieles zurZeit in Afrika. Die Afrikaner sind, unddas ist neu, bereit, die Verantwortungfür die Geschicke des Kontinents selbstzu übernehmen, übersetzt Helmut Hessdie englischen Worte der Referentin.Hess zeichnet bei „Brot für die Welt“ fürAfrika zuständig und hat Agnes Abuombereits zum zweiten Mal nach Schorn-dorf geholt. Seit ihrem letzten Besuchvor vier Jahren hat sich in Afrika vielzum Guten verändert. Das darf nichtverschweigen, wer ein realistisches Bildvon Afrika zeichnen will, sagt dieHistorikerin und zählt auf: Im Sudankeimt neue Hoffnung für Frieden –okay, die verfeindeten Parteien habennicht zum ersten Mal ein Friedensab-kommen unterzeichnet. Doch kehrenjetzt junge Flüchtlinge in ihre Heimatzurück, voll Schwung und willens, dasLand neu aufzubauen, demokratischeStrukturen zu etablieren. NachhaltigerFriede indes wird nur gelingen, soferndie uralten Werte erhalten bleiben.Noch ein Beispiel für Hoffnungsschim-mer: In Somalia gibt’s seit kurzem einegewählte Regierung. Ein Viertel derParlamentssitze entfällt auf Frauen – ein

riesiger Fortschritt auch hier. Wie inRuanda, wo ganz langsam demokrati-sche Strukturen Einzug halten undimmer mehr Frauen an die Machtgelangen. Noch so ein Hoffnungs-zeichen: Eine neue Partnerschaft fürafrikanische Zusammenarbeit kümmertsich um eine eigenständige wirtschaftli-che Entwicklung Afrikas. Eine Keniane-rin hat jüngst den Friedensnobelpreiserhalten. Menschen engagieren sich mitneuem Schwung, neuer Energie nichtzuletzt für eine spirituelle Erneuerung:Die Würde jedes Mannes, jeder Frauwieder in den Mittelpunkt rücken, dasversteht die Kenianerin darunter. DasLeben feiern, darum geht es doch, umdiese Stimmung – die sich keinervermiesen lassen soll von der Politikoder auch der Kirche. Kritik an derKirche, die sie vertritt, scheute Abuomin Schorndorf nicht: Wo in einem Jahrweit mehr als zwei Millionen Menschenan Aids sterben. So wie 2004 in Afrika,muss Kirche endlich lernen, offen überSexualität zu sprechen.

Lösungsansätze gedeihenDie Probleme liegen auf der Hand,Lösungsansätze gedeihen – Bundespräsi-dent Horst Köhler hat vor seiner Reisenach Afrika kürzlich gesagt, am Schick-sal Afrikas entscheide sich die Mensch-lichkeit der Welt, und damit die Verant-wortung der westlichen Welt für diesenKontinent unterstrichen. Der Welt bleibtauch gar nichts anderes übrig, alsVerantwortung zu übernehmen. DieWiege der Menschheit liegt in Afrikaund, so Abuom, „die Zukunft Afrikas istVoraussetzung fürs Überleben derMenschheit insgesamt“.

Schorndorfer Nachrichten vom9. 3. 2005 – Andrea Wüstholz

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Dank an Kling-de LazzerFrauenkandidatur ein Erfolg –Konservative Synodenmehrheit

fehlt das Selbstbewusstseinanderer Synoden

Die Offene Kirche, EvangelischeVereinigung in Württemberg (OK),dankt Frau Dekanin Dr. Kling – deLazzer für ihre Bereitschaft und denMut zur Kandidatur als erste Bischöfinder Evangelischen Kirche in Württem-berg. Die OK begrüßt die überzeugen-den Vorstellungen, die Frau Kling-deLazzer für eine Kirche der Zukunft

entwickelt hat. Die OK wird auchweiterhin engagiert dafür arbeiten,Frauen den Weg in kirchliche Leitungs-ämter zu ebnen. Die OK fordert dieanderen Kräfte in der Synode auf, dasihre auf diesem Weg beizutragen.

Als Erfolg wertet es die Offene Kirche,dass es gelungen ist, eine Frau für dashöchste Leitungsamt der evangelischenKirche zu nominieren. Darüber hinaushat Frau Dr. Kling-de-Lazzer dazubeigetragen, das Argument, es gäbekeine geeigneten Frauen für dieses Amt,endgültig zu entkräften.

Festzuhalten ist, dass die konservativeMehrheit der Synode noch weit vomSelbstbewusstsein der Synoden entferntist, die Frauen wie Maria Jepsen, BärbelWartenberg-Potter oder Margot Käss-mann zu Bischöfinnen gewählt haben.Auch unserer Kirche hätte es wohlangestanden, mit einer anerkanntenFrau über ihre engen Grenzen hinausProfil zu zeigen und damit im Konzertder EKD einmal wieder eine prägendeRolle zu spielen. Vor allem die Gruppe„Evangelium und Kirche“ muss sichvorhalten lassen, zur Frauenpolitik nurwohlfeile Fensterreden zu halten.

Eine Bischöfin wäre überdies einermutigendes Zeichen für eine gleichge-stellte Gemeinschaft von Frauen undMännern in der Kirche gewesen,insbesondere aber für die vielen Christ-innen in unserer Kirche, die das Ge-meindeleben garantieren und auf derenEinsatz sich Pfarrerinnen und Pfarrerzusammen mit der Kirchenleitungselbstverständlich verlassen. Es wird einwichtiges Anliegen der OK bleiben, zuändern, dass die vielen, die Kirchetragenden Frauen, einem ungeschriebe-nen Kirchengesetz zufolge überwiegendvon Männern in Leitungsämtern regiertwerden.

Dem neuen Bischof Frank July gratuliertdie Offene Kirche und wünscht ihmeine glückliche Hand und Gottes Segenfür seine Amtsführung. Sie warnt davor,erste Äußerungen Julys nach seinerWahl etwa zu Gemeindestrukturen,Akademien oder Landeskirche Baden-Württemberg als Festlegungen zuwerten. Solche Fragen bedürfen einergründlichen und breiten Diskussion,bevor sie entscheidungsreif sind.

Albrecht BregenzerPressestelle Offene Kirche

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AntwortOFFENE KIRCHEGeschäftsstelleStoll-WählingIlsfelder Straße 970435 Stuttgart

AMOS Preis-Verleihung

Mitschnitt aus der Erlöserkirchein Stuttgart, vom 20. Februar 2005Der gesamte Mitschnitt besteht aus zweiCDs

CD1: AMOS-Preis für Café StrichpunktStuttgart◆◆◆◆◆ Laudatio: Der StuttgarterAidsseelsorger Petrus Ceelen◆◆◆◆◆ Ein Portrait von Stefanie Meineke inSWR1, Sonntagmorgen, 20.02.2005Dauer 44:37, Preis 7,50 Euro

CD2: AMOS-Preis für Halina Bortnows-ka, Journalistin und Menschenrecht-lerin, Polen◆◆◆◆◆ Laudatio: BundestagspräsidentWolfgang Thierse◆◆◆◆◆ SWR4 Radio Stuttgart, Nachrichten,Kurzbeitrag von Silke Arning,◆◆◆◆◆ Schlusswort: Dr. Erhard EpplerDauer 53:43, Preis 7,50 Euro

Beide CDs kosten zusammen 15 Euro

Bestelladresse:Geschäftsstelle Offene KircheReiner Stoll-Wähling70435 Stuttgart, Ilsfelder Str. 9Telefon: (0711) 5 49 72 11Fax: (0711) 3 65 93 29E-Mail: [email protected]

Thema: Warum OK wählen?Bezirksverantwortlichen-Versammlung

Eine stattliche Runde fand sich am19. März 2005 im Gemeindehausder Stuttgarter Erlöserkirche ein,um sich über das Profil, das Erschei-nungsbild und die Zusammenarbeitinnerhalb der OK auszutauschen.Außerdem sollten Themen für dienächste Kirchenwahl gefundenwerden.

Die meisten BezirksvertreterInnen undLK-Mitglieder kamen aus dem Groß-raum Stuttgart. Der Süden fehlte. Dasses „in der Fläche“ wenig OK-Mitgliedergäbe, dem widersprach GeschäftsführerReiner Stoll-Wähling: „Die kleinenKreise haben zugenommen, in denStädten werden es weniger.“ Demschlossen sich sofort Überlegungen an,wie man die OK-SympathisantInnendazu bringen könnte, das nächste Malzur Wahl zu gehen. Liegt die mangelndeWahlbeteiligung daran, dass die Kirchen-wahl den Kirchenmitgliedern zu wenigbewusst ist? Müsste das Profil der OKgeschärft werden? Müsste denjenigen,die in ihrer Gemeinde nicht angespro-chen werden – also in Gruppen undAktionen nicht vorkommen – gesagtwerden, dass sie in der OK gut aufgeho-ben wären? Besonders Jugendliche

sollten gewonnen werden.

Profil schärfenBei dieser Diskussion ging es auch umdie Wortwahl: Mit der Vokabel „Kir-chenferne“ schließe die „LebendigeGemeinde“ Menschen aus der sogenannten Kerngemeinde aus. In derOK sollte besser von Kirchenkritischenoder Kirchendistanzierten gesprochenwerden. Der gesellschaftliche Trend seigegen die OK, wurde behauptet. DieMenschen hätten heute andere Proble-me als die OK-GründerInnen. Gerechtig-keit etwa sei ein aktuelles Thema, zudem die Landeskirche nichts vorbringt.Der Mensch müsse im Mittelpunktstehen, also die Themen „Arbeits-

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Antwort per Fax: 07 11/3 65 93 29

Ja, ich will die OFFENEKIRCHE kennen lernen:

Senden Sie mir bitte ausführ-liches Informationsmaterialzu:❑ Ein kostenloses Jahresabo derZeitschrift OFFENE KIRCHE

❑ Das OFFENE KIRCHE Wahl-programm 2001-2007

❑ Nennen Sie mir bitte den Na-men eines Ansprechpartners in derfür mich zuständigen Bezirks-gruppe

OFFENE KIRCHE – kompetent, kritisch, kreativJa, ich will die OFFENEKIRCHE unterstützen:❑ Ich werde hiermit Mitglied derOFFENEN KIRCHE mit Stimm-recht bei den jährlichen Mitgliederver-sammlungen und kostenlosem Bezugder Zeitschrift OFFENE KIRCHE:Mitgliedsbeitrag jährlich mindestens Euro50,-, Paare stufen sich selbst einzwischen mindestens Euro 50,- und Euro100,-; in Ausbildung Euro 15,-.

❑ Ich abonniere hiermit dieZeitschrift OFFENE KIRCHE,4 Ausgaben jährlich, Euro 15,-jährlich

❑ Ich bestelle das Themenbuchder OFFENEN KIRCHE: „...undstrecke mich’ aus nach dem,was da vorne ist“ (Themen für dieEvangelische Landeskirche in Württem-berg) Euro 10,- zuzüglich Porto.

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OFFENE KIRCHEEvangelische Vereinigung in WürttembergPfarrerin Kathinka Kaden, Vorsitzende,Schillerstr. 29, 73340 SchalkstettenTel. (0 73 31) 4 22 28, Fax (0 73 31) 4 07 68E-mail: [email protected]: www.offene-kirche.de

losgkeit“, „Menschenrechte“ u.ä. DieOK müsste dabei mehr Mut zur Opposi-tion aufbringen und zeigen, „dass wireine andere Kirche wollen“. Für The-men auf die Straße zu gehen, müsse

aber auch Spaßmachen. Ziel sei dieÖffnung derGemeinden fürkritische Theologie,sozial-diakonischeAufgaben undechte Integrationder Kirchen-mitglieder (das sindalle, die Kirchen-steuer zahlen!). DieOK-PfarrerInnensollten sichtbardabei helfen.

Die Frage, ob dieOK die Bischofswahl verloren habe,wurde überwiegend verneint. Denndamit, dass sie eine Frau aufstellte, habesie Profilgezeigt.Trotzdemwaren dieSynodalenenttäuscht,dass sowenigeFrauen ausden anderenGesprächs-kreisen imerstenWahlgang fürdieKandidatingestimmthaben.

ZukunftEin großes Thema war die Zukunft derOK im Zuge der Sparmaßnahmen. Unterder Moderation des GemeindeberatersHans-Martin Härter überlegten dieAnwesenden in Gruppen, wie man dieProbleme angehen könnte, wie sich dieOK jetzt zeigt und wie sie in Zukunftsein sollte. Die Aufgabe: die OK kritisch,evangelisch und widerständig alsOpposition zu präsentieren. Da auchkirchliche Sparmodelle nicht immergerecht seien, bekräftigte RainerWeitzel: „Wir werden uns nicht weg-ducken können, sondern müssen genaudarüber Auskunft geben, wie wir unsdie Zukunft vorstellen.“

Renate Lück

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Seid Täter des Wortesund nicht nur Hörer, wodurch ihr

euch selbst betrügt.

Freitag, 14. Oktober 2005, 19.00Uhr, Evangelisches GemeindehausBenningen, In den Hofäckern◆◆◆◆◆ warum die Welt auf unsere Mitwir-kung rechnen kann, oder◆◆◆◆◆ der Versuch, eine Außenansicht desChristseins zu skizzieren.

Referent und Gesprächspartner: PfarrerWolfgang Wagner, Studienleiter an derEvangelischen Akademie Bad Boll.

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Wachsende Kirche?!Notwendiger Wandel?!Welche Auswirkungen haben dieseProjekte der Landeskirche auf die Arbeitder Frauen?Das Frauenwerk lädt zu einem Prälatur-arbeitstag ins Gästehaus der Diakonie-schwesternschaft in Herrenberg ein, undzwar Donnerstag, den 21. Juli 2005 von13.45 bis 18 Uhr.Anmeldung bis spätestens 13. Juli unter(07 11) 20 68-222 [email protected]

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VernichtetDas groß angelegte, kirchengeschichtlichnotwendige und theologisch wichtigeWerk der beiden KirchenhistorikerRöhm (früher in der religionspädago-gischen Aus- und Fortbildung Württem-bergs tätig) und Thierfelder (jetztemeritierter PH-Professor von Heidel-berg) ist durch einen weiteren Bandergänzt worden: Beide Autoren, die vorüber zwanzig Jahren durch die Konzi-pierung einer außergewöhnlichenAusstellung zum Thema „EvangelischeKirche zwischen Kreuz und Haken-kreuz“ EKD-weit bekannt und geschätztwurden, haben es sich zur Lebensaufga-be gemacht, jene dunkle Zeit derVerfolgung und Vernichtung so aufzuar-beiten, dass Einzelschicksale im Zusam-menhang von politischen und theologi-schen Entscheidungen gesehen undnachvollziehbar werden. So wachsenKenntnis- und Problembewusstsein. AusBetroffenheit wird religiöse und politi-

sche Perspektive. Aus selektiver Wahr-nehmung wird eine Gesamtschau, diedie bloße moralische Deutung zukirchlicher und gesellschaftlicherKonsequenz heute lenkt. Viele Details indiesem dem Prozess der Verfolgung undVernichtung der Juden von 1941 bis1945, sowie den sehr bedeutendenHilfsmaßnahmen einzelner Personenund kirchlicher Stellen gewidmetenBuch sind erschreckend und beschä-mend – so z.B. die furchtbaren Begriffe„Judensternträger“ und „Sternverord-nung“ (ganz im Gegensatz zu demautobiografischen Buch von IngeAuerbacher, Ich bin ein Stern), dieVerweigerung des Abendmahls für„nichtarische“ Christen, die erzwunge-nen Ehescheidungen… Dass es Zeichender Solidarität gab (vor allem in denskandinavischen Ländern und denprotestantischen Gebieten Frankreichs –neben der berühmten „Pfarrhauskette“)braucht nicht verschwiegen zu werden– darf aber nie ein Alibi für eine müde,introvertierte und angepasste Christen-heit sein. Diese „Lichter in der Dunkel-heit“ (S.161) sollten in gegenwärtigeroberflächlicher Diskussion und auch anden Stammtischen dazu führen, genauerhinzusehen und hinzuhören – diewenigen Dokumente zu beachten, dieLebenswege und die Verzweiflung vonOpfern und Helfern dahinter zu verste-hen und der Opfer zu gedenken, umderetwillen sich etwa der schlichteBerliner Polizist Mattick am Rand seinerExistenz bewegte, wenn er jüdischeFlüchtlinge im Pfarrhaus der schwedi-schen Gesandtschaft in Berlin deckte. Sowird dieses Studierbuch zu einerheilsamen Lektüre, weil es aus demerschrockenen Schweigen zu reflektier-tem Handeln in der Gegenwart führt,weil es Vorbilder und stellvertretendeZeugen und Zeuginnen nennt, an denenwir Heutige uns messen müssen.

Eindrucksvoll ist der Schluss des Bandes,wo der schwere Weg von Dora Veitnachgezeichnet wird, die sich als jungeJüdin aus dem Stuttgarter Raum taufenließ, eine kirchliche Ausbildung durch-lief und nach Verfolgung und Emigrati-on in der Nachkriegszeit nicht nurBoden unter die Füße bekam sondern inder württembergischen Landeskircheeine bedeutende Rolle in Schule undBildungsarbeit übernahm. Und dennochdarf der gewaltsame von Deutschenverursachte Tod nicht übersehenwerden – etwa im Schicksal des hollän-dischen Jungen Klaus Seckel, der –vergleichbar dem Tagebuch der Anne

Frank – von vielerlei Freunden undInstitutionen zunächst behütet seinetäglichen Notizen machen konnte, aberdessen letzter Satz vor der tödlichenDeportation im Sommer 1943 lautet:„Meine Pflanzen sind sehr gewachsen –sie vertrocknen gerade – wenig Zeit“!Eberhard Röhm und Jörg Thierfelderhaben (wieder) eine Lernhilfe geschrie-ben – und das ist weit mehr als eineSammlung von kommentierten Doku-menten und Originalen – eine Hilfe,sich der Vergangenheit heilend zuerinnern. Dafür sei ihnen beidengedankt.

Christian Buchholz

Eberhard Röhm, Jörg Thierfelder,Juden-Christen-Deutsche – Band 4/I:1941-1945 „Vernichtet“, CalwerVerlag Stuttgart 2004, ISBN 3-7668-3887-3, 19,90 Euro.

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Spätlese bei Ernst FuchsÄußerlich schlicht – aber inhaltlichbedeutungsschwer und manche Wur-zeln aktueller Pfarrertheologie klärend –kam dieser kleine Gedenkband zum100. Geburtstag von Ernst Fuchs 2003daher. Ein eigenwilliger und kantiger,intellektuell anspruchsvoller und demPredigen verpflichteter Theologe und

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Hochschullehrer, der schwäbischeGemeindepfarrer und Kämpfer für denherausfordernden Weg der Kirche imNaziregime (dies vor allem sei dankbarnach dem Jubiläumsjahr von Barmenvermerkt) und während der Nachkriegs-zeit, wird mit diesem Buch bedacht.Eine ganze Generation ist durch ihnmitgeprägt worden – so auch EberhardJüngel und – hier im Ländle – RobertSchuster, die beide bei ihm promovierthaben! Von diesen beiden sind interes-sante biografische und theologischeBeiträge veröffentlicht – aber auch vonJörg Thierfelder die historische Einord-nung seines Lebenswerks oder vonChristoph Demke (bis 1997 Bischof derKirchenprovinz Sachsen) eine Auseinan-dersetzung um das Vollmachtsver-ständnis von Jesus, äußerst informativeknappe Werkstattberichte von jüngerenTheologen, die kundig zu einzelnenThemenkreisen der Arbeit von Fuchshinführen, lesenswert die Originaltextevon Predigten, ein Briefwechsel mitRudolf Bultmann, Vorträge und – alskirchengeschichtliches Kleinod – eineDarstellung der Position der Bekennen-den Kirche von 1937, das Urteil überden Gleichklang von existentialerBibelinterpretation in Seelsorge undVerkündigung bei Fuchs sowie dieausgezeichnete Einführung in das„sakramentale“ Textverständnis und einälterer Beitrag, der dem „ÜberflussGottes“ nachdenkt und die „Nötigungzur Predigt“ als Grundbewegung derTheologie von Ernst Fuchs bezeichnet.Das alles klingt wie aus fernen Zeiten.Ob es uns Heutigen Ansporn zu „intel-lektueller Redlichkeit“ und stimmigerFrömmigkeit, zu vertiefter Predigt-Bemühung für Pfarrerinnen, Pfarrer undGemeindemitglieder sein kann? ErnstFuchs und der Gedenkband werden –nach aufmerksamer und anspruchsvollerLektüre – dazu beitragen und einer umsich greifenden Theologievergessenheitunsrer Tage abhelfen.

Christian Buchholz

Christian Möller (Hg.), Freude anGott – Hermeneutische Spätlese beiErnst Fuchs, Waltrop 2003, ISBN 3-89991-012-15, 374 Seiten, 20 Euro.

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Notwendige Abschiede„Es wackelt alles!“ soll 1896 der jungeErnst Troeltsch den Freunden der„christlichen Welt“ zugerufen haben.

Damit meinte er die Bedrohung vonTheologie und Kirche durch das histori-sche Denken, die Auflösung der Offen-barung Gottes in historische, literari-sche, soziologische und religions-geschichtliche Vorgänge und alsoletztendlich in ein Nichts. Da berührt esschon seltsam, wenn ein emeritierterProfessor für Praktische Theologie so tut,als seien die „notwendigen Abschiedevon überlieferten Glaubensvorstel-lungen“ irgendwie neu. Gleichwohlmüht er sich auf 341 Seiten damit abund hat für Vorschläge „auf dem Wegzu einem glaubwürdigen Christentum“(3. Teil) nur noch Potenz für ganze 34Seiten. Das erinnert doch etwas aneinen Hochspringer, der erstmal dasganze Stadion umrundet und sich dannwundert, dass er keine Kraft mehrfindet, um über die Latte zu kommen.Dennoch muss man Jörns dankbar sein,dass er die gegenwärtige Befindlichkeitausführlich erforscht, nicht zuletztdurch eigene Umfragen. Eine solcheempirisch-kritische Theologie ist viel zuselten. Andererseits könnten die darge-stellten Differenzen zur offiziellenkirchlichen Lehre (was immer das ist)nicht nur der religiösen Autonomie desmodernen Zeitgenossen entspringen,sondern auch ihre Ursache haben ineiner von ihm selbst beklagten „sichunter uns ausbreitenden Gottesverges-senheit“. So wird also erst einmalAbschied genommen von der reformato-rischen Grundvorstellung „allein dieSchrift!“. Ob seine Abschiede von„Erwählungs- und Verwerfungsvor-stellungen“ oder „von der Vorstellungeiner wechselseitigen Ebenbildlichkeitvon Gott und Mensch“ dem gegenwärti-gen Stand des jüdisch-christlichen

Dialogs entsprechen, sei dahingestellt.Fatal ist es aber, wenn er wieder die alteGegensätzlichkeit von „jüdischer Bibel“(AT) und „christlicher Bibel“ (NT)bemüht. Seit Marcion (2. Jahrhundert)versucht die Christenheit, die ganzeBibel als Heilige Schrift zu lesen undallerdings auch zu interpretieren. FürEvangelische gilt der Maßstab „wasChristum treibet“ (Martin Luther).Dabei bleiben nun einmal wesentlicheVorstellungen wie etwa Jesu Tod alsSühneopfer von Anfang an umstritten.Es kommt wohl darauf an, wie man mitdem Streit darum in der Kirche umgeht.Zwischen Verketzerung und Gleichgül-tigkeit muss ein verantwortungsvollerUmgang mit der tradierten Überliefe-rung gefunden werden. In seinem Buchfällt mir dazu ein überaus kritischerBlick auf die Bibel, aber ein relativunkritischer auf Islam und östlicheReligionen auf. Es ist schon kühn, dieWarnung vor Synkretismus eine „inzes-tuöse Theologie“ zu nennen. Da dasChristentum keine Stammesreligion ist,hat es schon immer Anregungen ausanderen Kulturen aufgenommen. Eskommt aber theologisch darauf an, alleszu prüfen und nur das Gute zu behal-ten.

Gleichwohl enthält das Buch vielewertvolle Gedanken, die man mitZustimmung liest. So ist es sicherlichrichtig, dass „die Arbeit am religiösenGedächtnis der Menschheit“ bei dereigenen Religion beginnen muss.Mittlerweile haben viele Theologenbenachbarte Gebiete geistlich aufgear-beitet und auch die Religionswissen-schaft in der Theologie beheimatet. Esist erstaunlich, dass Jörns davon wenigdiskutiert. Überhaupt zeigt das Literatur-verzeichnis, dass er vor allem auf dieaktuelle Situation eingeht. Die großenMeister der evangelischen liberalenTheologie werden ignoriert. FriedrichHeiler beispielsweise wird nur indirektaus Sekundärquellen zitiert, Rudolf Ottoüberhaupt nicht. Bei seinen Vorschlägenfällt auf, dass kirchliche Praxis in ihrerBreite vieles längst verwirklicht. Ein„Tag der Schöpfung“ wird beispiels-weise in vielen Gemeinden gefeiert,interreligiöse Dialoge gehören insbe-sondere in den Schulen zum Alltag. Dieganze Breite der diakonischen Arbeit,wo sich die Kirche gewissermaßen amweitesten „in die Welt“ hinaustraut,wird kaum erwähnt. Vor allem abervermisst man den Gesprächspartner derGegenposition. Es gibt ja nicht ohneGrund in den Kirchen eine eher evan-

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gelikale Reaktion, die sich nicht zuletztbei jungen Leuten eines großen Zu-spruchs erfreut. Zwar spricht Jörnshäufig von der weltweiten Ökumene,doch bleibt sein Horizont ziemlichdeutsch. Aber auch ein heimischerTheologe wie Klaus Berger, der jüngstmit seinem Jesusbuch die exegetischenGrundlagen neu dargestellt hat, wirdnicht recht ernst genommen. So legtman dieses vielfach anregende Buchletztendlich doch mit gemischtenGefühlen aus der Hand.

Wolfgang Wagner

Klaus-Peter Jörns: NotwendigeAbschiede, auf dem Weg zu einemglaubwürdigen Christentum. Güters-loher Verlagshaus, Gütersloh 2004,ISBN: 3-579-06408-8, 416 Seiten,24,95 Euro.

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Buddhismus verstehenWer das Buch von Ulrich Dehn „DasKlatschen der einen Hand“ von 1999kennt, wird enttäuscht sein. Denn es istmit geringen Veränderungen und einemzusätzlichen Kapitel lediglich mit einemneuen Titel in einem neuen Verlagwieder aufgelegt worden. Es ist nichtsehr aufrichtig, dass dies lediglich inwenigen Zeilen der Einleitung mitgeteiltwird. Man wundert sich auch, dass derAutor sich nicht herausgefordert fühlte,die Veränderungen in den letzten fünfJahren mit einzubeziehen. So ist nichtnur die Zahl der Anhänger von damals70 000 auf derzeit ca. 170 000 gestie-

gen, sondern die Entwicklung desBuddhismus in Deutschland hat sichinstitutionalisiert und christlich-buddhis-tische Dialoge haben auf Kirchentagenund in Akademien zugenommen. DerDalai Lama beispielsweise ist nicht nurin der Lüneburger Heide und in Grazaufgetreten, sondern auch auf demÖkumenischen Kirchentag in Berlin.Dies hat erregte Diskussionen zur Folgegehabt, über die der Autor nichtsmitteilt. So beschränkt er beispielsweise„Deutschlands buddhistische Geschich-te“ auf die Pioniere des letzten Jahrhun-derts. Interessant ist dabei die etwasausführlichere buddhistische Beeinflus-sung Richard Wagners. Aber aus derGegenwart wird lediglich Sylvia Wetzelerwähnt, die nicht unbedingt typisch istfür die heutige Diskussion. Ihre Zeit-schrift „Lotusblätter“ heißt längst„Buddhismus aktuell“ und hat eineandere Schriftleitung. Bei der Darstel-lung des klassischen Buddhismusbeschränkt sich der Autor weiterhinwesentlich auf den japanischen Zen-Buddhismus, wo er sich besonders gutauskennt, und den tibetischen Buddhis-mus. Kaum erwähnt wird der Thera-vada-Buddhismus, der sozusagen dieUrform tradiert und insbesondre von derDeutschen Buddhistischen Uniongepflegt wird. Nur gestreift wird derAmida-Buddhismus, obwohl insbe-sondere die evangelisch-theologischeFakultät Marburg seit Jahren mit denVertretern dieser Richtung akademischeDialogveranstaltungen durchführt.Angesichts der anschwellenden buddhis-tischen Veröffentlichungen in Deutsch-land wäre auch eine Auseinanderset-zung mit diesen Publikationen hilfreich.Wirklich neu ist das 11. Kapitel „Bud-dhismus und Gewaltfreiheit – mit einemBlick auf das Christentum“. Leidererwähnt der Verfasser nicht, dass erdiese Gedanken in Grundzügen bereits2002 auf einer Tagung der evangeli-schen und katholischen Akademievorgetragen hat. (Buddhas Weg nachWesten, Protokolldienst 22/03 der Ev.Akademie Bad Boll).

Wichtig für den Dialog ist seine Erkennt-nis, dass auch der Buddhismus durchausgewaltsames Verhalten hervorbringenkonnte und kann: „Die häufig zuhörende Behauptung, es habe in derGeschichte des Buddhismus keinebuddhistisch legitimierte Gewalt undkeine buddhistisch legitimierten Kriegegegeben, ist unzutreffend“. Leiderenthält auch diese Neuausgabe am OFFENE KIRCHE

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Schluss kein Verzeichnis der verwende-ten Literatur, die lediglich in denAnmerkungen nachgewiesen wird. Soübersieht man leicht, dass ja bereits M.v. Brück und W. Lai (Buddhismus undChristentum. Geschichte, Konfrontation,Dialog, München 1997) ein grundlegen-des Werk zu unserer Thematik vorgelegthaben.

Wolfgang Wagner

Ulrich Dehn: Buddhismus verste-hen, Versuche eines Christen.Verlag Otto Lembeck, Frankfurt2004. ISBN: 3-87476-458-3, 210Seiten, 16 Euro.

„Die evangelikalen Strömun-gen bilden in den USA selbsteine Bastion des christlichenFundamentalismus, und ver-schiedene Anzeichen deutendarauf hin, dass unter demDruck der religiösen Rechtendie USA den pluralistischenWeg verlassen. (...) Derfundmentalistische Protestan-tismus ist in den Sog einerextremistischen Häresie ge-raten, deren Neigung zu Ma-nipulation und Politisierungnicht nur Agnostikern Sorgebereitet, sondern auch Gläu-bige aller Konfessionen be-unruhigen muss. Ähnlich wieim islamischen Fundamenta-lismus wird Religion für pro-fan-reaktionäre Zielsetzungenmissbraucht."

Prof. Dr. Claus Leggewie, Gießen,(Aus Politik und Zeitgeschichte, 7/2005)

Das Zitat

Page 24:  · genannte Kern- oder Kleinfamilie von Eltern und Kindern. Diese Vorstellung hat eine Entstehungsgeschichte. Sie reicht zurück in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts, in die

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3��!!��$%4�&.�Seiten 1: epd-Bild; Seite 2: Marcks,Löwensteiner Cartoon Service (LCS); Seite 3:Tomaschoff (LCS); Seite 4: Küstenmacher (LCS),epd-Bild, Capra; Seite 5: Avedikjan; Seite 7: Ober-kampf; Seite 9: Jan Kempe; Seiten 11, 12: JörgBöthling, Brot für die Welt; Seiten 13, 14: Radius-Verlag; Seiten 15, 17: Buchholz; Seiten 19, 20: Lück.

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LeserbriefeZur Landesbischofswahl:Über die Qualitäten der Bischofs-kandidaten steht mir kein Urteil zu.Dass die Kandidatin von der Landes-synode nur für halb so qualifiziertgehalten wurde, wird sicher von vielenFrauen als Demütigung empfundenwerden. Es wird manche Frauen inWürttemberg abschrecken, für kirchli-che Ämter zu kandidieren. Anderswosind die Chancen für Frauen sicherlichgrößer. So wurde vor kurzem die ersteBischöfin der Evangelisch-methodis-tischen Kirche gewählt. Wahrscheinlichwar es ein Fehler der Bewerberin, mehrIntellektualität zu fordern. Das lassensich Männer nicht gerne sagen. Hierwurde wieder mal Mut zur Offenheitnicht belohnt. Wer nicht aneckt,gewinnt.Noch problematischer ist für mich, dassMedien und Öffentlichkeit das Wahl-ergebnis entsprechend der Zuordnungder KandidatIn zu „Gesprächskreisen“ziemlich genau vorhersagen konnten. Esscheint demnach eine Gesinnungswahlgewesen zu sein, bei der wie im Bundes-tag kollektiv nach Fraktionen abge-stimmt wurde. Unabhängige Geister miteigenständigem Profil scheinen wohlauch in dieser Synode Mangelware zusein. So setzt sich im kirchlichen Bereichdie demokratiefeindliche Praxis fort,Ausgrenzung und Vereinsamung um dereigenen Überzeugung willen nicht mehrriskieren zu können, seitdem wirautoritäre Herrscher wie Kohl, Strauß,Schröder und Fischer in einer Demokra-tie dulden.

Hansbernhard Mistele, Heilbronn

Zu „Evang. Stimme in Europa“,Offene Kirche 1/2005:Dieter Heidtmann berichtet von seinerArbeit als Vertreter der Gemeinschaftder evangelischen Kirchen Europas inBrüssel. Dass das Thema „Europa“ imOK-Presseorgan Raum findet, ist sehr zubegrüßen. Bedauerlich ist allerdings,dass es zum Bericht Heidtmanns vonSeiten der OK-Redakteure keine Nach-fragen und Rückfragen gegeben hat.Dabei wäre es doch interessant gewe-sen, von „unserem Mann in Brüssel“ zuerfahren, ob es bezüglich der künftigenEU-Verfassung außer im Zusammenhangmit der Frage des Gottesbezugs in derPräambel und der Anerkennung derRechtsstellung der Kirchen (Artikel 1.52) noch andere Versuche der Einfluss-nahme von kirchlicher Seite gegeben

hat. Wenn es den evangelischenKirchen in Europa laut Beschluss derVollversammlung ihrer Vertreter 2001in Belfast darum geht, „die theologi-schen und ethischen Aspekte undhumanitären Konsequenzen politischerEntscheidungen aus der Sicht desEvangeliums“ in Brüssel zur Sprache zubringen, dann wäre doch wohl zualler-erst zu den Inhalten der Verfassungselbst eine Äußerung von kirchlicherSeite zu erwarten. Doch ist es nachmeiner Wahrnehmung leider so, dassdie „Evangelische Stimme in Europa“gerade an dieser zentralen Stellebeharrlich schweigt. Damit wird auchein Rückkoppelungs-Potential von eineran sich begrüßenswerten Sonder-pfarrstelle an die heimische kirchlicheBasis verschenkt. Kein Wort also zu dengravierenden demokratischen Defizitendieses Verfassungs-Entwurfs. Kein Wortzu der Frage, ob diese Verfassung vonkirchlicher Seite als grundgesetz-kompatibel angesehen werden kann.Das kirchliche „Wächteramt“ scheintnur im Sinne des „wir sind (als Kirche)für uns selber da“ wahrgenommen zuwerden. Und das trotz des schönenEditorials von Hans-Peter Krüger. –Doch weiter: Kein Wort von DieterHeidtmann zu den einseitig neoliberalenKonturierungen dieser Verfassung. Gabes da nicht einmal eine EKD-Denkschriftunter dem Titel „Für eine Zukunft inSolidarität und Gerechtigkeit“? Das war1997. Nun zitiert Herr Heidtmann zwarRömer 14.17.19! Doch wie wirkt diesesZitat angesichts der verfassungspoliti-schen Realität, die da in Straßburg undBrüssel geschaffen wird und angesichtsder kirchlichen Stimmenthaltung!?Übrigens auch kein Wort zur Frageeines künftigen Europa mit einer – vonder Verfassung geforderten – sehr vielstärkeren militärischen Ausrichtung, mitweltweiten Ambitionen! (Siehe auch:„Europäische Sicherheits-Strategie“ /ESS). Das macht für die Zukunft Angstund darum stünde es m. E. der OK gutan, sich diesem Themenkomplex ineiner der nächsten Informations-Nummern eingehender zu widmen. Esist doch eigenartig: Wir rufen gegenwär-tig die 60 Jahre zurückliegendenEreignisse vom Kriegsende und derNazi-Diktatur in Erinnerung. Wirnehmen gleichzeitig aber nicht wahr,dass wir verfassungspolitisch die Lektio-nen aus dem 20. Jahrhundert (zumal alsChristen in Deutschland) geradezufahrlässig verdrängen und verleugnen.

Christian Horn, Schwäbisch Hall


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