Öffentliches Glück und Zivilökonomie
L. Bruni, Lumsa, Rom
• Eudaimonia nichts statisches, sondern eine Art Bewegung oder Aktivität
• Charakteristik: wird um ihrer selbst willen erstrebt
• Aristoteles: Glücklich-sein meint „gutes Leben (eu zen) und gutes Handeln (eu prattein)“ (NE I 2, 1095a).
Eudaimonia
Ambiguität
• H. Sidgwick, Methods of Ethics: Glück (happiness) synonym mit Genuss gebraucht (vgl. 1901, p. 92)
• Keine bessere Wiedergabe für Eudaimonia zur Verfügung als „Glück“ oder „Glückseligkeit“
Daimon
• Homer und griechische Tragödie: göttliche Macht (nicht Götter selbst); dem Menschen äußerliche Macht, dem Schicksal verwandt, nicht vom Subjekt kontrollierbar
• Verständnis ändert sich mit Sokrates und Platon
Glück (Happiness)
Zwei überschneidende Konzepte:
• ursprüngliche Bedeutung in anglo-amerikanischen Sprachen erhalten: happiness und fortune
• im Deutschen meint „Glück“ beides „happiness“ und „fortune“
• Ambivalenz bleibt in der Glücksforschung unberücksichtigt
Felicitas: Kultivierung der Tugenden
• Lat. Felicitas direkt assoziiert mit menschlicher Fruchtbarkeit und dem Bild des Früchtebringens.
• Campania, arabia felix
Aus diesem Grund sind auf den Münzen der Römer und auch späterer Epochen, Darstellungen von Landwirtschaft, Früchten, Frauen und Kindern zu sehen: Leben im Überfluss.
Felicia tempora
Felicia tempora II
Felicitas publica
Felicitas publica II (the child on the leviathan)
Zivilhumanismus
• Problem des Gemeinwohls während Zivilhumanismus – Mitte 15. Jh.
• Neues Zeitalter des zivilen Zusammenlebens
• communi und Aristotelismus in Italien
Muratori
• Della Pubblica felicità (1749)
klassisch-römische Tradition: Es ist das Ziel der guten Prinzen
Die zugrundeliegende Idee: Gesellschaft als einzigartiger Körper; Glück des Einzelnen das Glück aller
Die italienische Tradition des Gemeinwohls (public happiness)
• Achille Loria (Ende des 19. Jh.):
• Historiker des 19. Jh. (u.a. G. Pecchio): Tendenz, die klassische „glückliche“ italienische Zivilökonomie in Kontrast zu „wohlhabenden“ englischen politischen Ökonomie
• Verbindung von Ökonomie und Glück (18. Jh. in Italien)
• Della Publica Felicità (Über öffentliches Glück): wichtig für die Ziviltradition im 18. Jh.
Felicitas publica
• Muratoris Referenz:
das Königreich Salomos oder das römische Imperium (bei Titus und Trajan)
3 Elemente der public happiness Tradition
1. Transformation: - von individuellem in öffentliches Glück
2. Öffentliches Glück: - verbunden mit Gemeinwohl
3. Verbindung: - zwischen öffentlichem Glück und zivilen Tugenden
Tugend und Glück
• Enge Verbindung Zivilökonomie-Tradition der pubblica felicità:
- Italienische Autoren des 18. Jh.: Paolo Mattia Doria,
Isidoro Bianci, A. Genovesi
Position
• Gegenwärtige Debatte um Glückseligkeit:
Idee der felicità publica und Verbindung zur Großzügigkeit sowie Kultivierung von Tugend völlig ausgeblendet
• Glück in Glückforschung bestimmt und nicht als „Aufblühen des Menschen“
• Signale durch Studien mit Bezug auf „relationale Güter“ und Glück
Teil II Glück nach dem Easterlin-Paradox
Hauptbotschaft der Debatte um Ökonomie und Glück
(1) Die Relation zwischen selbstempfundenem Glück/subjektiven Wohlbefinden und individuellem (oder staatlichen) Einkommen ist komplex (Obsession mit BIP)
(2) Bei ärmeren Schichten ist Einkommen ein bestimmender Faktor
(3) Über bestimmten Schwellenwert ist Einkommen keine gute Bestimmungsgrundlage für individuelles Glück.
Ein Schlüsselthema
• Woran denken Ökonomen, wenn sie von „Glück“ sprechen?
- Genuss (der Bentham‘schen Theorie vergleichbar; vgl. Kahneman et al.: „Back to Bentham“, 1997)
- Empirische Studien zeigen, dass die Bentham‘sche Theorie menschliches Wohlbefinden nicht erfasst
Zurück zu Aristoteles
• Aristotelische Eudaimonia wichtign:
- intrinsischer Wert der Sozialität von Beziehungsgütern
- erinnert an Formen der sozialen Interaktion, die zu Glück (happiness) führen, alleine wenn ihr intrinsischer Wert anerkannt wird
Nicht-instrumentale Sozialität
• Beispiele der Bedeutung genuiner interpersonaler Beziehungen für Glück: Freundschaft, Familie, ziviles Engagement, sogn. „Beziehungsgüter“ (relational goods)
• Beziehungsgüter sind Identitäts- und Motivationsabhängig:
- Reziprozität und intrinsische oder interne Motivation werden benötigt
Beziehungsgüter (relational goods)
• Eingeführt durch vier AutorInnen:
- die Philosophin Martha Nussbaum (1986)
- den Soziologen Pierpaulo Donati (1986)
- die Ökonomen Benedetto Gui (1987) und Carole Uhlaner (1989).
Eigenschaften von Beziehungsgütern
1. Identitätsabhängig: ‚Güter, die sich in jenem Austausch zeigen, wo beide Seiten anonym und austauschbar sind, nicht relational sind‘ (Uhlaner 1987, p. 255).
2. Reziprozität und Fragilität: Sie können nur gegenseitig genossen werden; die Fragilität der Beziehungsgüter beruht auf dem Bemühen anderer, Motivationen und Handlungen
3. Motivation: in reziproken Beziehungen wesentliche Komponente
Beziehungsgüter und Glück
• Empirisch belegt, dass
1. Personen, die sich ehrenamtlich betätigen höheres Wohlbefinden berichten als jene, die dies nicht tun (Wilson / Musick 1999; Meier / Stutzer 2004).
2. je mehr Personen Zeit vor dem Fernseher verbringen, desto weniger glücklich fühlen sie sich, weil sie Beziehungsgüter dadurch verdrängen (Bruni / Stanca 2008).
Qualitative Begründung für relationale Perspektive
• Nehmen wir an, das Glück von A (Ha) hängt von Konsum (Ca) und Beziehungsgütern (Rab) ab:
Ha = h(Ca, Rab)
“Ca” bezieht sich auf alle “extrinsischen” Aktivitäten (die im Kaufhaus gekauft werden können)
“Rab” sind Beziehungsgüter. Bemerkung: Rab ist auch eine Art von lokalem, öffentlichem Gut, das
auch von B’s Beitrag abhängig ist und von A nicht vollständig kontrolliert werden kann.
Ein qualitatives Modell
+ Ca (1) + Glück
Rab
(2) ? Glück
Bemerkung: Das relative Gewicht von (1) und (2) hängt vom Bemühen (Ca) ab: Die Summe (1+2) kann negativ werden “jenseits” des Schwellenwerts von Ca
+ Bemühen
Ca
Glück
Glück-Einkommen (ohne Rab): Ha = h(Ca)
H1>0 (positive Slope Funktion); H2<0 (konkav).
Einführung von Beziehungsgütern: H = f(C,Rab)
Ca
Glück
Marshall's Zone Scitosky's Zone
Schwellenwert
Unterscheidung von Gütern durch Tibor Scitovsky:
- Komfortgüter
- Stimulationsgüter
- Steigendes Einkommen: führt zu mehr Konsum von Komfortgütern und weniger Stimulationsgüter (Ware substituiert Beziehung)
„eudaimonistischer“ Narrativ des Glück-Paradoxes
• Märkte tendieren dazu wahre Stimulationsgüter mit Komfortgütern zu substituieren
• Wohlhabende Gesellschaften konsumieren zu viel Komfortgüter
• Diese Tendenz verstärkt sich mit Entwicklung der Märkte
Politische Fragen
• Markt produziert Pseudobeziehungen
• Schwellenwert hinter dem der Nexus seine Funktion ändert (vom Ergänzen zum Substituieren von Gütern)
Fähigkeit zur Unterscheidung
• Gefahr: Verlust der Unterscheidungsfähigkeit zwischen wahren und falschen Beziehungsgütern
• Führt zu einer Überwucherung von falschen Beziehungen über Konsumgüter
Relative Kosten
• Ökonomische und Technologische Entwicklung :
=> Kosten für Beziehungsgüter scheinen in Ländern mit fortgeschrittener Technologie zu steigen (siehe Esterlin-Paradox)
• Beziehungen zu kultivieren ist aus Perspektive der modernen Marktökonomie kostenintensiv, weil Substitute zu weit geringerem Aufwand existieren
Konklusion: Der ‚Geist‘ des Kapitalismus in USA und Europa
• US philanthropischer Kapitalismus:
- Idee der Teilung der Bereiche (market/gift) verbunden mit Protestantischer Ethik und
Humanismus (Augustinus -> Luther -> Smith -> Friedman)
• Lateinische (Katholische) Vision der Ökonomie und das Europäische Modell (Zivilökonomie) haben Hybrididee der Marktökonomie generiert: Staat, Familie, Gemeinschaft, Firmen, Kirche
Tugenden
• In der Europäischen Zivilökonomie hat eine Vision von Ökonomie und Gesellschaft, die in Tugendethik und Sozialität verankert ist
Der Europäische Sozialmarkt und kooperative Ökonomie
• Die Europäische Verbindung zwischen „market“ und „gift“:
- Unternehmen immer als Teil der Zivilgesellschaft gesehen
- Aufgabe des CSR (European Network for Corporate Social Responsibility) in Europa
- Die europäische Tradition der gift-gratuity
Schluss
• Die Europäische/Katholische/ Kommunitaristische Gesellschaft und Ökonomie hat eine wesentliche Botschaft:
- Der Mensch ist zu wahrhafter Sozialität fähig: „Kain hat das Bild Gottes in Adam nicht getötet.“
- Die Wichtigkeit von Tugendethik
- Die Bedeutung einer zivilen und sozialen Vision von Markt und Ökonomie hervorheben.
Bibliografie
• L. Bruni / R. Sugden, “Why should the devil have all the best tunes. Virtue-ethics in defence of the market”, Journal of Economic perspectives, fall 2013.
• L. Bruni, The wound and the blessing, Newcity, New York, 2012.
• Idem. “The happiness of sociality. Eudaimonia and relational goods”, Rationality and Society (2010).
• Idem, The ethos and the genesis of the market, McMillan-Palgrave, London, 2012.
• L. Bruni / R. Sugden, “Fraternity”, Economics&Philosophy, 2008.
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