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Selbst kleine Fehler ftihren zu hohen MiBbildungs-Haufigkeiten, die nur durch hohe Sorgfalt zu vermeiden sind (WITTKE u. a. 1977). Die Thtsache, daB im Feld immer erhohte Zahlen von MiBbildungen resultieren, konnte dann bedeuten, daB bei der Applikation des Magnetfeldes neue, Abnormitat fOrdernde Faktoren hinzutreten, die nichts mit Magnetfeldern zu tun haben, denn jeder Eingriff in die optimale Bebriitung ftihrt zu diesem Effekt.
Diese Versuche konnten, wenn sie gesichert waren, den oben zitierten epidemiologischen Befund interpretieren, daB die Benutzung von Heizkissen und Heizdecken in erhohter Haufigkeit Aborte auslost. Diese Befunde waren aber in sich selbst so widerspriichlich, daB man ihnen kaum eine nennenswerte Bedeutung zubilligen kann (vgl. Kap. 5.2). Da es nicht eine einzige leidlich akzeptable Epidemiologie gibt, welche Aborte oder MiBbildungen durch Magnetfelder belegt (MEYER u. a. 1989), kann man sagen, daB diese experimentellen Tierversuche als Modelle blind sind, also keine Thtsachen existieren, die sie verstandlich machen konnten.
13 Wirkungen magnetischer Gleichfelder auf die Gesundheit
13.1 Wirkungen auf den Menschen
In den letzten lahren erfuhr die Anwendung sehr starker magnetischer Gleichfelder durch die neue Technik der Kernspin-Resonanz-Tomographie eine weite Verbreitung. Es nimmt sich etwas seltsam aus, wenn die Wirkung von magnetischen Wechselfeldern im Mikrotesla-Bereich so stark verdachtigt wird, gesundheitsschadlich zu sein, aber eine magnetische Kraft, die 6 Zehnerpotenzen starker ist, offenbar nie auf gesundheitliche Auswirkungen hin untersucht wurde. Natiirlich besteht auBer ihrem Intensitatsverhaltnis noch ein grundsatzlicher Unterschied zwischen den kleinen Wechselfeldern und den hohen Gleichfeldern. Wenn eine schadigende Wirkung durch ein Magnetfeld auftritt, so wird es sich vermutlich in erster Linie urn eine Zell-Reaktion handeln, die eine Antwort auf den Wechsel des Magnetfeld-Vektors darstellt. Einen solchen Wechsel hat das Magnetfeld des technischen Wechseltroms mit der Frequenz von 50 Hz und einer Flankensteilheit, die bei sinusfOrmigen Stromformen, die allein weit verbreitet sind, in der GroBenordnung von rund
500 Tis pro T eff' 50 Hz
liegt. Da die induzierten Strome im menschlichen Korper nach TENFORDE (1985) die GroBenordnung von 0,2 mA/cm2 IT eff bei 50 Hz besitzen, muB ein Magnetfeld von 1 mT, 50 Hz eine Induktion von rund 0,2 IlA/cm2 bewirken. Die iiblichen Schwellenstromstarken liegen aber mehr als 3 Zehnerpotenzen hoher, bei
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H. Schaefer, Gefährden Magnetfelder die Gesundheit?© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991
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0,5 mA/cm2, so daB fur den Menschen tatsachlich erst 1 T Wechselfeld 50 Hz gefahrlich wurde.
Bei rechteckigen Impulsstr6men sinkt dieser Wert freilich, der h6heren Flankensteilheit entsprechend, erheblich abo Genaue Messungen liegen nicht vor, Rechnungen sind wegen der Rolle der Kapazitaten im K6rper schwierig.
SolI ein Gleichfeld hinsichtlich der Induktion dieselbe Wirkung entfalten wie ein 50 Hz Wechselfeld, so muBte sich also ein Gleichfeld von 1 T in der Zeit von 2 msec umkehren, was auch bei den schnellsten Bewegungen in einem solchen Feld nicht erreichbar ist. Die Gefahren im Gleichfeld beruhen also kaum auf der Induktion von Str6men durch Bewegungen, sondern auf einer Wirkung, weIche nicht einer elektrischen Reizwirkung analog ist. Hiervon gibt es nur zwei Ausnahmen. Wenn die Erregbarkeit oder die Suszeptibilitat, d. h. die Empfindlichkeit von Zellen in einer Gr6Benordnung liegt, weIche urn rund 3 - 4 Zehnerpotenzen h6her als die der Ganglien- oder Muskelzellen ist, k6nnten Bewegungen, bei denen ein Gleichfeld von 1 T in 2 oder gar 0,2 Sekunden durchmessen wird, Erregungswert haben. SoIche Zellen sind aber im menschlichen K6rper nicht nachgewiesen worden.
Die zweite Ausnahme ist realistischer. Wenn ein Leiter sich im Magnetfeld bewegt, induziert er eine Spannung. SoIche Bewegungen finden sich in der notwendigen Starke bei der Austreibung des elektrisch leitfahigen BIutes durch das Herz in die Aorta.
Auch hier fehlen genaue Rechnungen. Eine Abschatzung zeigt, daB in der sog. "Austreibungszeit" eine Potentialflache an den beiden Seiten der Aortenwand entsteht, weIche einige Quadratzentimeter groB ist und ein elektrisches Feld aufbaut, das in der Gr6Benordnung von einigen mVlcm liegt. Zwar liegt der Schrittmacher des Herzens mitten in diesem Gleichfeld, aber dessen Schwelle liegt bei 500 mVicm. Diese Schwelle wird von den Induktionspotentialen im Aortenbogen wahrscheinlich urn eine Zehnerpotenz unterschritten. Ein magnetisches Gleichfeld auch von 4 T ist in dieser Hinsicht sicher ungefahrlich. Zu diesem SchluB kommen auch KINOUCHI u. a. (1987).
Nun gibt es freilich Befunde, weIche auf Wirkungen hindeuten, die man beachten sollte. Gleichfelder im Tesla-Bereich verandern den Zellstoffwechsel stark (Lit. bei MARET u. a. 1986). Es mussen auch die physiologischen K6rperstr6me beeinfluBt werden. In der Tht andert sich das Elektroencephalogramm (BEG), freilich nur mit seinen durch optische oder akustische Reize ausgel6sten, sog. evozierten Potentialen (v. KLITZING 1987). Solche Anderungen hatte SILNY (1981) auch im magnetischen Wechselfeld gefunden. Die durch Reizung peripherer Sinnesorgane erzeugten evozierten Potentiale bleiben aber durch ein magnetisches Gleichfeld unbeeinfluBt (HONG u. a. 1990). Die Arbeit v. KLITZING'S spricht von einer Beeinflussung der "Biosignale", was in dieser Form miBverstandlich ist, wei! das "Signal" ja auch subjektiv beobachtbar ist und sich subjektiv nicht andert (SANDER 1983; SILNY 1981). Wohl treten im Gleich- und Wechselfeld St6rungen des Befindens auf, wie SILNY (1981) und seine Mitarbeiter fanden und ich selbst an mir
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deutlich feststellte, und zwar bei 2 T. Was diese MiBempfindungen (Kopfschmerz, Schwindel) bedeuten, ist unbekannt.
Aile diese Experimente betreffen akute Effekte bei kurzdauernden Expositionen. Was bei langdauernden Expositionen geschieht oder ob es Effekte mit langer Latenz auch bei kurzen Expositionszeiten gibt, wissen wir nicht.
13.2 Beobachtungen an Zellen
Es liegt nahe, wie bei den Wechselfeldern auch bei sehr starken magnetischen Gleichfeldern deren Wirkung auf isolierte Zellen zu untersuchen, weil eine Schiidigung dann mindestens unwahrscheinlich wird, wenn eine Anderung von dauerhafter Art an Zellen nicht gefunden wird. Zwei Laboratorien unseres ForschungsVerbundes haben diese Frage geprfift. Zur Prfifung stand eine Hoch-Magnetfeld-Anlage der TV Braunschweig zur Verfligung, mit der magnetische FluBdichten bis zu 16 T und langen Einwirkungszeiten erzielbar sind. Tumorzellen (LISS u. a. 1988) und menschliche Lymphocyten (DIENER u. a. 1988) zeigten keine Anderung der Wachstumsgeschwindigkeit, des Proliferationsindex, der chromosomalen Aberration und des Schwester-Chromatid-Austausches. Auch das Wachstum von Hfihnerembryonen im Feld eines NMR-Gerates (TRIFFE u. a. 1988) zeigte keine Beeinflussung. Die Versuche sind freHich noch nicht abgeschlossen.
Da auch trotz der inzwischen schon langen Zeit, wahrend der mit Kernspin-Resonanz gearbeitet wird, keine "Primarerfahrung" mit Gesundheitsschaden auftrat, wird man das magnetische Gleichfeld auch bei Feldstarken bis 4 T nicht flir schadlich halten kOnnen, solange die derzeit fiblichen Anwendungsbedingungen eingehalten werden.
Diese Meinung grfindet sich vor allem auf die Thtsache, daB die beobachteten Einflfisse auf Zellen den Stoffwechsel betreffen und deshalb wahrscheinlich vOllig reversibel sind. Ein Nachweis der Vnschadlichkeit ist freHich mit solchen Versuchen grundsatzlich nicht zu erbringen, und langdauernde Expositionen sollten vermieden werden.
14 Synopsis der Ergebnisse: 1st das Problem der Kanzerogenese von Magnetfeldem entscheidbar?
Am Ende der Darstellung der heute vorliegenden experimentellen Befunde ist die Frage zu stellen, ob die kanzerogene Potenz von Magnetfeldern entscheidbar ist. Die Antwort wfirde zudem eine Aussage nach gebotenen Konsequenzen verlangen.
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