+ All Categories
Home > Documents > Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des...

Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des...

Date post: 09-Dec-2016
Category:
Upload: hans
View: 213 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
7
Es ist seit rund 10 Jahren ein heftiger Meinungsstreit weltweit fiber die Frage ent- brannt, ob Magnetfelder von einer Starke, wie sie haufig anzutreffen ist, die menschliche Gesundheit schadigen, z. B. Krebs und insbesondere Leukamie bei Kindern auslosen. Diese Debatte ist typisch fUr die Art, wie in unserer Gegenwart technisch bedeutsame Diskussionen in der Offentlichkeit entstehen und ausgetra- gen werden. Da das Problem auBerdem eine hohe Brisanz im Rahmen des Schut- zes vor Umweltgefahren technischer Natur enthaIt, ist seine Durchdenkung im Rahmen einer wissenschaftlichen Akademie mehr als gerechtfertigt, zumal diese Durchdenkung es zugleich mit wesentlichen Fragen der Wissenschaftstheorie zu tun hat, doch auch mit dem fiberall sich vordrangenden Fragenkomplex der Risi- koakzeptanz, der ffir unsere okonomische Existenz vermutlich bald hochste Be- deutung erhalten wird. 1 Paradigmatiscbe Betracbtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems Man kann schwerlich bezweifeln, daB bei der EinfUhrung neuer Techniken, sofern sie aus okonomischer Sicht lohnend sind, diese Thchniken so gut wie niemals von Technikern selbst auf mogliche Gesundheitsgefahren geprfift werden. Man pflegt sich mit der Annahme zu beruhigen, daB der betreffende technische ProzeB nach aller Wahrscheinlichkeit keinerlei Wirkung auf den Korper von Tier und Mensch ausfibt, welche Gefahren mit einiger Wahrscheinlichkeit implizieren. Die Kontrol- Ie technischer Innovationen durch zahlreiche mit der Gesundheits-Sicherung be- auftragter Institutionen wie der Gesundheitsamter, der Gewerbe-Aufsichts-.Amter oder der Berufsgenossenschaften, scheint einen leidlich verlaBlichen Schutz vor den Gefahren technischer Innovationen zu bieten. DaB das nicht immer stimmt, erfahren wir gelegentlich, z. B. anlaBlich der technischen Verwendung von Asbest. Doch werden auch extrem starke technische Einwirkungen, wie z. B. die Wirkung hoher magnetischer Gleichfelder in der sog. Kernspin-Resonanz-Tomographie, ohne sonderliche Bedenken verwandt und erst im nachhinein haben andere als technische Kreise die wichtigsten Tests zum Nachweis ihrer Unschiidlichkeit durchgeffihrt (vgl. Kap. 13). 1m Grunde verlaBt sich der Techniker darauf, daB schon seine ersten Versuche der Anwendung technischer Innovationen dann deren Ungefahrlichkeit vermuten lassen, wenn bei diesen Versuchen keinerlei beunruhi- - 219 - H. Schaefer, Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991
Transcript
Page 1: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

Es ist seit rund 10 Jahren ein heftiger Meinungsstreit weltweit fiber die Frage ent­brannt, ob Magnetfelder von einer Starke, wie sie haufig anzutreffen ist, die menschliche Gesundheit schadigen, z. B. Krebs und insbesondere Leukamie bei Kindern auslosen. Diese Debatte ist typisch fUr die Art, wie in unserer Gegenwart technisch bedeutsame Diskussionen in der Offentlichkeit entstehen und ausgetra­gen werden. Da das Problem auBerdem eine hohe Brisanz im Rahmen des Schut­zes vor Umweltgefahren technischer Natur enthaIt, ist seine Durchdenkung im Rahmen einer wissenschaftlichen Akademie mehr als gerechtfertigt, zumal diese Durchdenkung es zugleich mit wesentlichen Fragen der Wissenschaftstheorie zu tun hat, doch auch mit dem fiberall sich vordrangenden Fragenkomplex der Risi­koakzeptanz, der ffir unsere okonomische Existenz vermutlich bald hochste Be­deutung erhalten wird.

1 Paradigmatiscbe Betracbtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

Man kann schwerlich bezweifeln, daB bei der EinfUhrung neuer Techniken, sofern sie aus okonomischer Sicht lohnend sind, diese Thchniken so gut wie niemals von Technikern selbst auf mogliche Gesundheitsgefahren geprfift werden. Man pflegt sich mit der Annahme zu beruhigen, daB der betreffende technische ProzeB nach aller Wahrscheinlichkeit keinerlei Wirkung auf den Korper von Tier und Mensch ausfibt, welche Gefahren mit einiger Wahrscheinlichkeit implizieren. Die Kontrol­Ie technischer Innovationen durch zahlreiche mit der Gesundheits-Sicherung be­auftragter Institutionen wie der Gesundheitsamter, der Gewerbe-Aufsichts-.Amter oder der Berufsgenossenschaften, scheint einen leidlich verlaBlichen Schutz vor den Gefahren technischer Innovationen zu bieten. DaB das nicht immer stimmt, erfahren wir gelegentlich, z. B. anlaBlich der technischen Verwendung von Asbest. Doch werden auch extrem starke technische Einwirkungen, wie z. B. die Wirkung hoher magnetischer Gleichfelder in der sog. Kernspin-Resonanz-Tomographie, ohne sonderliche Bedenken verwandt und erst im nachhinein haben andere als technische Kreise die wichtigsten Tests zum Nachweis ihrer Unschiidlichkeit durchgeffihrt (vgl. Kap. 13). 1m Grunde verlaBt sich der Techniker darauf, daB schon seine ersten Versuche der Anwendung technischer Innovationen dann deren Ungefahrlichkeit vermuten lassen, wenn bei diesen Versuchen keinerlei beunruhi-

- 219 -

H. Schaefer, Gefährden Magnetfelder die Gesundheit?© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 1991

Page 2: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

8 H. Schaefer

gende Erfahrung auftritt. Wir wollen eine solche Erfahrung eine "Primiirerjah­rung" nennen, deren spontanes Auftreten man erwartet, wenn eine technische In­novation gesundheitlich nicht tolerabel sein sollte. Solche Primarerfahrungen sind nur bei elektrischen Feldern oder nur in Hinsicht auf subjektive StOrungen zwar beschrieben worden, und zwar von russischen Arbeitsmedizinerinnen (ASANOVA 1963, SAZANOVA 1971) und werden jetzt als das "Moskau-Signal" bezeichnet (WILSON u. a. 1990). Eine wirkliche Gefahr deuteten diese ersten Berichte aber nicht an. Sie wurden zudem spater widerlegt (Literatur bei SCHAEFER 1983, Tabelle 6), und auch LIBURDY (1982) stellte fest, daB es nirgends in der Literatur Hinweise auf solche Primarerfahrungen mit echten Gefahren gibt.

Es zeigt sich freilich, daB bei vielen wenn nicht den meisten technischen Prozes­sen Gesundheitseffekte falls tiberhaupt mit langer Latenz auftreten, was die Ent­stehung einer Primarerfahrung weitgehend verhindert. Die kausale Deutung einer Primarerfahrung kann sich bekanntlich nur nach dem Prinzip des "post hoc ergo propter hoc" ergeben, durch die zugleich vorliegende Erfahrung des engen zeit­lichen "Zusammenhangs". In der Unfallforschung spielt diese Art kausaler Inter­pretationen eine groBe Rolle.

Das hier zu erorternde Problem handelt von moglichen Gefahren, welche von elektrischen Installationen, insbesondere der Freileitungen hoher Spannung und Leistung, ausgehen. In der Tat schien hier die soeben zitierte Primarerfah­rung aufgetreten zu sein, die wir beztiglich der elektrischen Felder schon vor dieser Akademie erorterten (SCHAEFER 1983, S. 80; ferner WILSON u. a. 1990, S. 33 ff.)

1.1 Elektrische und magnetische Wirkungen

Die von elektrischen Anlagen ausgehenden Wirkungen sind nun von zweierlei Art. Es entstehen elektrische und magnetische Felder. Die durch elektrische Felder ausgelosten biologischen Effekte sind zahlreich, allein schon weil die auftretenden hohen elektrischen Feldstarken (bis zu 10 kVlm und mehr) Wirkungen entfalten, z. B. Vibrationen der Haare im Rhythmus der Wechselspannung, welche sptirbar werden. Auch haben Fische Sinnesorgane entwickelt, welche ftir elektrische Felder extrem sensibel sind. Diese Wirkungen sind gesundheitlich unbedeutend, und seit unserer Darstellung von 1983 hat sich an ihrer Kenntnis nichts Entscheidendes ge­andert.

Magnetische Felder verhalten sich grundsatzlich anders. Zwar sind auch bei ih­nen Reizwirkungen auf Sinnesorgane schon vor 100 lahren beschrieben worden, die sog. Magnetophosphene, Lichterscheinungen, die nur im Dunkeln deutlich er­kennbar sind (BEER 1902, DANILEWSKI 1905). Ihre Schwelle liegt bei etwa 5 - 20 mT fUr 50 Hz, die optimale Schwelle liegt bei etwa 20 Hz (SILNY 1981). Doch sind diese Magnetophosphene grundsatzlich auch mit einer direkten elektri­schen Durchstromung auszulosen (HENSSGE 1956; SEIDEL 1968). Es fragt sich

- 220 -

Page 3: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

Gefilhrden Magnetfelder die Gesundheit? 9

also, inwieweit Magnetfelder nur durch die im lebenden Gewebe induzierten Stro­me einwirken.

Der Vergleich dieser induzierten Strome bei elektrischen und magnetischen Fel­dern ist nicht einfach, weil die Stromdichte des induzierten Stromes von der geo­metrischen Form des im Feld liegenden Korperteiles und seiner elektrischen Leit­fahigkeit abhiingt. Auch sind die elektrischen und magnetischen Feldstarken in der Nahe elektrischer Installationen grundsatzlich unabhangig voneinander. Flir den Fall von Freileitungen, wie sie zur Ubertragung hoher Leistungen heute liber­all verwandt werden, lassen sich folgende Werte in grober Annaherung und Verall­gemeinerung angeben. Unter Freileitungen mit einer Ubertragungsspannung von 11 0 kV finden sich elektrische Feldstarken von 1-2 kVlm. Die magnetische Induktion hangt aber nur von der Stromstiirke in der Freileitung abo Hier sind magnetische FluBdichten von 10 /JT/kA unter 11O-kV-Leitungen gemessen wor­den (SCHNEIDER 1981). Unter 380 kV-Leitungen herrscht ein elektrisches Feld von etwa 5 kVlm, ein magnetisches, mit einer FluBdichte von etwa 10-40/JT (BRINKMANN 1987; KAUNE u. a. 1990). Man kann also ungefahr das Verhiiltnis von elektrischer zu magnetischer Feldstarke unter den derzeit vorhandenen Frei­leitungen so angeben, daB 5 kVlm mit etwa 10 /JT magnetischer FluBdichte ge­koppelt sind.

Das bedeutet flir das Korperinnere folgendes. Das elektrische Feld greift in den menschlichen Korper nur mit einem Bruchteil von 1: 2 10-7 ein (SILNY 1976). Die Angaben schwanken in der Literatur, aber bleiben doch innerhalb einer Gro­Benordnung (Literatur bei SCHAEFER 1983). Die vom auBeren elektrischen Feld induzierte intrakorporale Feldstarke liegt, 110 kV Freileitung und 1 kVlm auBere ungestorte Feldstiirke vorausgesetzt, dann bei 20 /J Vlcm. Bei einem mittleren spe­zifischen Widerstand des Korpergewebes von 300 Ohm· cm fiihrt das zu einer in­duzierten Stromdichte von rund 66 nA/cm2/kVlm. Bei 5 kVlm auBerer Feldstar­ke werden 330 nAlcm2 induziert.

Die vom begleitenden Magnetfeld induzierte Stromdichte ist von MEYER­W AARDEN u. a. (1988) in einem Computer-Modell errechnet worden. Sie betragt etwa 0,25 mA/cm2 , T und wlirde also bei 10/JT nur 2,5 nA/cm2 betragen. Wenn also unter einer Freileitung die elektrischen und magnetischen Werte von 5 kVlm und 10 /JT herrschen, sind die jeweiligen Induktions-Stromdichten 330 bzw. 2,5 nA/cm2• Diese Relation ist zwar keineswegs generell korrekt, weil eine Freilei­tung, welche 5 kVlm auBere Feldstiirke entwickelt, durchaus mehr als 10 /JT ma­gnetische Feldstarke aufweisen kann. Aber mehr als 40 /J T sind bislang nicht ge­messen worden, und 40 /J T wiirden die elektrisch und magnetisch induzierten Stromdichten nur auf ein Verhaltnis von 330 zu 10 nA/cm2 bringen. Wenn also die elektrische Komponente der unter Freileitungen herrschenden elektromagneti­schen Felder biologisch wirkungslos ist, muB es die magnetische Komponente erst recht, soweit die Wirkung liber elektrische Strome erfolgt.

Wir dlirfen also schlieBell, daB Magnetfelder andere, magnetospezifische Wir­kungen an biologischen Objekten entfalten.

- 221 -

Page 4: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

10 H. Schaefer

Wenn elektrische Installationen gesundheitliche Gefahren mit sich bringen soll­ten, dann sieher nicht durch jene Felder, wie sie unter Freileitungen herrschen. MaBgebend sind die Felder, in denen sich Menschen lange Zeit aufhalten, also die Wohnungen einerseits, die Arbeitspliitze andererseits. Vor allem der EinfluB hiius­licher elektromagnetischer Felder wird angeschuldigt, die Gesundheit zu schiidi­gen und z. B. Krebs auszulOsen (WERTHEIMER u. a. 1979).

Die Stiirke der Felder in Wohnungen ist nun ebenfalls bestimmt worden. Die elektrischen Feldstiirken liegen zwischen 1 und iiber 25 VIm, mit einem Median­wert von rund 8 Vim, wiihrend die magnetischen FluBdichten von 0,02 mG bis 4,6 mG mit einem Medianwert von 0,47 mG schwanken. Diese Werte, in amerika­nischen Wohnungen gemessen, gelten bei den magnetischen FluBdichten nur dann, wenn die elektrischen Haushaltsmaschinen abgeschaltet sind ("low power") (SAVITZ 1987). Sind sie dagegen in Betrieb ("high power"), so gelten die oben zi­tierten elektrischen Werte, die magnetischen steigen auf Bereiehe von 0,04 bis 12,08 mG mit einem Medianwert von 0,66 mG. Vergleieht man die Mittelwerte von 0,76 mG low power und 1.05 mG high power Magnetfeld mit dem Mittelwert von 9,35 VIm elektrischer Feldstiirke bei high power, wie er von SAVITZ (1987) gemes­sen wurde, so stellt man fest, daB das Verhiiltnis der elektrischen zur magneti­schen Induktion sieh zugunsten des magnetischen Feldes verschoben hat: statt 11500 betriigt es nun 11100, was daher kommt, daB die elektrischen Felder, welche die Wohnung umgeben, von den Wiinden der Wohnung abgeschirmt werden, wiih­rend die magnetischen Felder ungehindert eindringen.

1.2 Was ist eine "Gefahr"?

Wie wir schon bei der Darstellung der elektrischen Feldwirkungen (SCHAEFER 1983) ausfUhrten, kann fiir eine Analyse der von solchen Feldem ausgehenden Ri­siken nieht die Existenz irgendwelcher Wirkungen auf biologische Systeme maB­gebend sein. Gefiihrlich ist eine Einwirkung nur dann, wenn sie eine der folgenden 3 Symptome auslOst: 1} eine Beeintriichtigung des Wohlbefindens; 2} eine Minde­rung der Leistungsfiihigkeit; 3} eine Verkiirzung der Lebenserwartung. Das Vorlie­gen solcher Gefahren kann also grundsiitzlich nur am Menschen oder (im be­grenzten Umfang) am ganzen Tier festgestellt werden. Wirkungen auf einzelne Organe oder isolierte Zellen, die es in einiger Menge gibt, dienen nur als Indikato­ren fUr mOgliche Gefahren. Unter den vermuteten Gefahren steht die AuslOsung von Krebs, insbesondere bei Kindem, an erster Stelle, wie das neueste Buch iiber das Magnetfeldproblem von WILSON u. a. (1990) es schon im Titel ausdriickt. Neben der Krebsgefahr riickt aber auch die Gefahr einer StOrung der Reproduk­tionsvorgiinge immer mehr in das Interesse der Forschung. Die Feststellung einer Gefahr ist an methodische Details gekniipft, die freilich vorwiegend fiir toxikolo­gische Probleme durchdacht worden sind. Richtlinien auch fiir die Feststellung ei­ner Karzinom-AuslOsung sind schon 1986 ausgearbeitet worden, in Anlehnung an

- 222 -

Page 5: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

Geflihrden Magnetfelder die Gesundheit? 11

toxikologische Gefahrdungs-Forschungen (KAVAT 1990), doch zeigen gerade diese sehr grundlich zusammengestellten Richtlinien, wie weit entfernt das Problem ei­ner Gefiihrdung durch elektromagnetische Felder noch von der Analogisierung zu toxikologischen Prozessen ist.

Wichtig fur die Aufkliirung eines Zusammenhangs von Magnetfeld-Einwir­kung und Krebsentstehung wiire die Kliirung folgender Fragen.

1. Die Grundfrage lautet so, ob die Existenz eines moglichen Zusammenhangs be­wiesen werden kann. Das ist aus Grunden, die wir unten darlegen, in unserem Fall nur durch den epidemiologischen Nachweis einer Korrelation von Feld-Exposi­tion und Krebshiiufigkeit (oder St6rung der Reproduktion, z. B. Hiiufigkeit von angeborenen Fehlbildungen) m6glich. Aber selbst wenn eine solche statistisch ge­sicherte Korrelation gefunden wird, ist die Zusammenhangsfrage nicht entschie­den. Die Korrelation kann niimlich durch dritte Faktoren noch unbekannter Art ("confounder") nur vorgetiiuscht sein. Es bedarf daher eines zweiten Beweisgan­ges, niimlich der Aufzeigung eines Mechanismus, wie die Korrelation als kausale Beziehung gedeutet werden k6nnte. Wir nennen einen derartigen Mechanismus ein Modell des vermuteten, durch die Epidemiologie nahe gelegten Zusammen­hangs. Die Analogie zu KANTs Kriterien der Erkenntnisgewinnung ist offenbar. Der Befund einer epidemiologischen Korrelation ist "leer", die Konstruktion eines Modells ist "blind". Erst beide zusammen konstituieren den ErkenntnisprozeB ei­nes vorliegenden kausalen Zusammenhangs, und selbst hierbei sind Irrtumer m6glich.

2. Findet sich eine epidemiologische Korrelation, so muB danach gefragt werden, ob die Korrelation eine "Schwelle" hat, ob es also eine Feldstiirke gibt, unterhalb derer der Effekt nicht mehr auftritt. Magnetophosphene haben eine solche Schwelle (bei rund 5 mT, 50 Hz). Schwellen gibt es vorwiegend (aber nicht nur) dort, wo ein Agens einen MembranprozeB ausl6st, der an ein sog. Alles­oder-Nichts-Gesetz gebunden ist, wie das z. B. bei der Ausl6sung von Erregungen der Fall ist, die bei 50 Hz-Magnetfeldern erst bei etwa 2,4 T auftreten (SILNY 1987).

3. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit eines "Zusammenhangs" ist dann gegeben, wenn eine Dosis-Wirkungs-Kurve gefunden wird, d. h. wenn die Wirkung stetig mit der Stiirke der Exposition zunimmt.

4. Gerade bei der Konstruktion solcher Dosis-Wirkungs-Kurven st6Bt man auf ein als Hormesis neuerdings erneut beschriebenes, freilich lange bekanntes Phiino­men (SAGAN 1987), das besagt, daB ein schiidigendes Agens in kleiner Dosis pro­tektiv und nicht schiidigend wirkt (s. u. Kap.4.4). Eine Dosis-Wirkungs-Kurve k6nnte durch eine vorhandene Hormesis verschleiert werden.

5. Es sollte eine Modell-Erkliirung fUr die offenbar langen Latenzen der vermute­ten Effekte (der Krebsausl6sung) gesucht werden.

- 223 -

Page 6: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

12 H. Schaefer

6. Es sollte die besondere Problematik solcher Wirkungen untersucht werden, welche "schwach" sind.

Diese Schwache bedeutet, da13 die naturlichen Abwehr- und Reparatur-Krafte des Organismus in ihrer hohen individuellen Variabilitat in groBer Haufigkeit einen Schaden abwehren, so da13 viele exponierte Personen gesund bleiben (sog. "escaper").

7. Es sollte endlich versucht werden festzustellen, ob die Hohe der Schadwirkung von einer einmaligen Einwirkung einer hohen Intensitat oder der mittleren Inten­sitat der Schadquelle (also der Magnetfelder) abhangt, oder ob eine Dosis, das Produkt von Intensitat und Zeit, die biologische Wirkung bestimmt.

1.3 Der Ursprung des Problems: die Studie von Wertheimer u. Leeper

Die derzeitige Diskussion entstand, nachdem von den amerikanischen Autoren WERTHEIMER u. LEEPER (1979) eine epidemiologische Studie verOffentlicht wur­de, welche eine gewisse Wahrscheinlichkeit fUr die Annahme zu bieten schien, da13 Magnetfelder, wie sie technisch uberall vorkommen und denen jedermann ausge­setzt sein kann, Krebs auslosen. Es wurde von vornherein betont, daB es sich dabei mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht urn die Initiation, sondern nur urn die Promo­tion dieser Krankheit handeln werde.

Die Idee der Autoren war, an einem fur Umwelteinflusse besonders empfindli­chen menschlichen Objekt, dem Kinde, festzustellen, ob Magnetfelder Gesund­heitsschaden machen. Diese Idee hat ihre Berechtigung, sobald man folgende Uberlegungen anstellt. Gesundheitsgefahren, die von technischen Einrichtungen ausgehen, sind inzwischen in hoher Zahl bekannt. Ursprunglich ist man auf sol­che Gefahren dadurch aufmerksam geworden, daB beim Gebrauch technischer Einrichtungen Krankheiten auftraten, welche sich in dieser Form oder dieser Haufigkeit auBerhalb technischer EinfluBspharen nicht zu finden scheinen. Wir haben solche Erfahrungen oben "Primarerfahrungen" genannt. Die Beobachtung von Hautkrebs nach der Entdeckung der Rontgenstrahlen, bei Personen, welche mit diesen Strahlen umgingen, ist das bekannteste Beispiel. Hinsichtlich der Ge­fiihrlichkeit von Magnetfeldern lag aber eine solche Primarerfahrung spontaner Natur nicht vor. Auch die weit uberzufaIlige Haufigkeit von Krebs bei bestimmten Berufen (BLOMKE u. REIMER 1980) hat keinen Anla13 gegeben, Magnetfelder als potentielle Gefahrenquelle zu untersuchen. Da andererseits von zahlreichen Schadstoffen ihre die Gesundheit gefahrdende Eigenschaft spat gefunden und oft zufaIlig entdeckt wurde, wie z. B. beim Lungenkrebs durch Asbest (vgl. W0I10-WITZ 1986), lag es durchaus nahe, eine so weitverbreitete technische Einrichtung wie elektrische Leitungen hoher Leistung und damit hoher magnetischer FluB­dichten, auf mogliche Gefahrdungen unserer Gesundheit zu untersuchen. Die Wahl des Kindes als Untersuchungsobjekt war plausibel. Leukamie ist bei Kin-

- 224 -

Page 7: Gefährden Magnetfelder die Gesundheit? || Paradigmatische Betrachtungen zum Ursprung des vorliegenden Problems

Geflihrden Magnetfelder die Gesundheit? 13

dern hinreichend haufig (in Deutschland rund 2 Todesfiille jahrlich pro 100000 der jeweiligen Altersgruppe), urn in der Bev61kerung eines US-Bundesstaates eini­ge Hundert Leukiimiefiille zu sammeln.

Die Autoren beabsichtigten vermutlich, mit einer solchen Untersuchung den Gefiihrdungstest nachholen zu k6nnen, der eigentlich von den Betreibern solcher Anlagen langst hatte durchgefUhrt werden miissen. Aber erstens war vor einigen Jahrzehnten, als Freileitungen mit hohen Stromstarken gebaut wurden, eine sol­che Sensibilisierung gegen technische Gefahren noch nieht ausgebildet. Zweitens wuBten alle Techniker, daB Einfliisse von diesen Leitungen nur in Form von Strah­lung denkbar sind, die von diesen Magnetfeldern ausgehende Strahlung aber, da ihre Frequenz 50 bzw. 60 Hz betragt, eine sehr niedrige Quantenenergie besitzt, die in der Gr6Benordnung von 2.10- 13 Elektronenvolt (eV) liegt. Eine solche Energie ist nicht imstande, Atome zu ionisieren, also einem Atom Elektronen zu entreiBen, wie das die R6ntgenstrahlung mit etwa 40000 eV, also einer urn mehr als 17 Zehnerpotenzen h6heren Quantenenergie, tut. (Man spricht daher auch von dieser Strahlung als "nichtionisierender Strahlung".) Da auBerdem kein einziger EinfluB-Weg bekannt war (was noch vor wenigen Jahren galt), hielten die Techni­ker aufwendige Priifungen auf Gefahrlichkeit bei diesen Leitungen fUr iiberfliis­sig. DaB akute Gefahren nicht vorlagen, zeigte die Selbsterfahrung mit solchen Str6men. Gefahren durch langdauernde Einwirkungen bei Menschen waren aber in jener Pionierzeit nicht nachweisbar gewesen.

Das heute iiberall mit Leidenschaft diskutierte Paradigma technischer Gefahren war ohnehin damals noch unbekannt. Diese Situation hat sich erst in den letzten Jahren grundlegend geandert. Ober Gefahren, die heute als inakzeptabel gelten, hat man noch vor wenigen J ahrzehnten nicht einmal nachgedacht. Die Tatsache, daB heute fast tiiglich iiber den Nachweis kanzerogener Wirkungen technischer Substanzen berichtet wird, scheint dieser Angst vor Gefahren recht zu geben.

2 Der Gefahrennachweis durch Epidemiologien

Das Fehlen jedweder "Primiirerfahrung" hinsichtlieh der Gefahr, die von den Magnetfeldern der Freileitungen ausgeht, besagt zugleieh, daB, wenn iiberhaupt, die Gefahr klein sein muB, weil sie sich der direkten spontanen Beobachtung ent­zieht. In der Tht schien die erste Studie von WERTHEIMER u. LEEPER eine Erh6-hung der Krebsfahigkeit auf das 2-3fache nur bei solchen Kindern, welche unter relativ starken Magnetfeldern wohnten, nachzuweisen. Wir werden spater den Versuch machen, diese Zahlen auf deutsche Verhiiltnisse anzuwenden, und dabei feststellen, daB die geringe Haufigkeit der Krankheit zusammen mit der ebenfalls geringen Wahrscheinlichkeit, unter einem starken Magnetfeld zu wohnen, fUr die Bundesrepublik eine Zahl von sieher weit weniger als 10 Thdesfiillen an kindlicher

- 225 -


Recommended