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Gedanken zur Tektonik Spaniens. - ngzh.ch · Jahrg. 71. RUDOLF STAUB. Gedanken zur Tektonik...

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Gedanken zur Tektonik Spaniens. Von RUDOLF STAUB. (Mit 1 Tafel.) (Als Manuskript eingegangen am 4. August 1926.) Kein anderes Land Europas enthüllt dem Geologen einen solch unerschöpflichen Reichtum des Baues, eine derart wechselvolle Struktur, wie die iberische Halbinsel Spaniens und Portugals. Als wollte sich das mediterrane Gebirgssystem vor seinem Niedersinken in den Ozean noch einmal zu seiner ganzen fundamentalen Grösse erheben, raffen sich im Meridian von Spanien und Marokko die alpinen Elemente Eurasiens noch einmal enger zusammen und erreichen in hohen Ketten das Meer. Die Grenze dieses machtvollen Baues gegen die endlose afrikanische Tafel bezeichnen in Marokko die Ketten des Hohen Atlas, den Abschluss gegen die Länder Europas bilden die Pyrenäen. Der also eingeschlossene Raum zwischen Atlas und Py r e n ä e n steht mit seiner jungen alpinen Tektonik den beidseitigen, seit dem Karbon kaum mehr von Faltungen betroffenen Kontinentalblöcken als ein eigenes Element allererster Ordnung gegenüber. Es ist die Zone des erweiterten, auch die beidseitigen Vo r l ä n d er in hohem Masse mitumfassenden alpinen Gesamtorogens, die hier in einer gewaltigen Breite von gegen 1500 km in ungebrochener Kraft in den Ozean hinauszieht. Das grossartige Ende der mächtigen eurasiatischen Ketten, innerhalb welchem alle Tektonik der einzelnen Gebirgszüge als ein belangloses Detail und Ornament erscheint. Der so berühmt gewordene „Bogen" der Ketten von Gibraltar, was hedeutet er gegen- über dem unentwegten Streichen des grandiosen Gesamtorogens zwischen Pyrenäen und Atlas? Die grossen Züge des Baues, sie richten sich nicht nach ihm, kaum dass er sich im Gesamtbild des spanisch-marokkanischen Gebirgssystems überhaupt bemerkbar macht. Und die Pyrenäen, was liegt daran, ob sie ein alpines Deckengebirge sind oder nicht, und ob der grössere Schub von Süden oder von Norden gekommen ist? Lauter grossartige Details, die gegenüber der gigantischen Sprache des Gesamt- orogens wie Kinderspiel versinken.
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Gedanken zur Tektonik Spaniens.Von

RUDOLF STAUB.

(Mit 1 Tafel.)

(Als Manuskript eingegangen am 4. August 1926.)

Kein anderes Land Europas enthüllt dem Geologen einen solchunerschöpflichen Reichtum des Baues, eine derart wechselvolle Struktur,wie die iberische Halbinsel Spaniens und Portugals. Als wollte sichdas mediterrane Gebirgssystem vor seinem Niedersinken in den Ozeannoch einmal zu seiner ganzen fundamentalen Grösse erheben, raffensich im Meridian von Spanien und Marokko die alpinen ElementeEurasiens noch einmal enger zusammen und erreichen in hohen Kettendas Meer. Die Grenze dieses machtvollen Baues gegen die endloseafrikanische Tafel bezeichnen in Marokko die Ketten des Hohen Atlas,den Abschluss gegen die Länder Europas bilden die Pyrenäen.

Der also eingeschlossene Raum zwischen Atlas und Py r e n ä e nsteht mit seiner jungen alpinen Tektonik den beidseitigen, seit demKarbon kaum mehr von Faltungen betroffenen Kontinentalblöckenals ein eigenes Element allererster Ordnung gegenüber. Es ist dieZone des erweiterten, auch die beidseitigen Vo r l ä n d er in hohemMasse mitumfassenden alpinen Gesamtorogens, die hier in einergewaltigen Breite von gegen 1500 km in ungebrochener Kraft in denOzean hinauszieht. Das grossartige Ende der mächtigen eurasiatischenKetten, innerhalb welchem alle Tektonik der einzelnen Gebirgszügeals ein belangloses Detail und Ornament erscheint. Der so berühmtgewordene „Bogen" der Ketten von Gibraltar, was hedeutet er gegen-über dem unentwegten Streichen des grandiosen Gesamtorogens zwischenPyrenäen und Atlas? Die grossen Züge des Baues, sie richten sich nichtnach ihm, kaum dass er sich im Gesamtbild des spanisch-marokkanischenGebirgssystems überhaupt bemerkbar macht. Und die Pyrenäen, wasliegt daran, ob sie ein alpines Deckengebirge sind oder nicht, und obder grössere Schub von Süden oder von Norden gekommen ist? Lautergrossartige Details, die gegenüber der gigantischen Sprache des Gesamt-orogens wie Kinderspiel versinken.

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Ein Verständnis des Strukturbildes Spaniens ist daher nurmöglich, wenn wir stets die grossen Grundlinien des ganzen Orogensvor Augen behalten. Und dieses Orogen ist von solch monumentalenAusmassen, dass wir es ohne weiteres direkt mit den Hauptzügenim Grundbau Asiens vergleichen können. Schon rein äusserlich, wenHwir bloss die Breiten der asiatischen Orogene an sich betrachten.Der Raum zwischen Atlas und Pyrenäen ist kaum kleiner als derQuerschnitt der alpinen Ketten zwischen Arabien und Turkestan, undbleibt kaum zurück hinter dem Sektor der asiatischen Ketten zwischenBrahmaputra und Nanschan. Und wenn wir die grossartige Gliederungjener asiatischen Segmente in geschlossene Ketten und Hochländer,in süd- und nordbewegte Gebirgsstämme näher hetrachten, so ergebensich sofort auch tiefere Analogien zwischen spanisch-marokkanischemund asiatischem Bau. Die Ketten des Atlas, wenn auch deutlichnordbewegt, entsprechen in Position und Struktur weitgehend demStamm des H i m a la y a, die Pyrenäen nehmen die Stellung vonNanschan, Tianschan und Kaukasus ein, und das zwischen-liegende Gewirr von jungen Faltengebirgen und Hochländern in Spanienund Marokko ist dem weiten Zentrum der asiatischen Ketten, vorallem Kleinasien, Persien und Tihet mit Tarimbecken und Tsaidamgleichzusetzen.

In Asien schalten sich zwischen Süd- und Nordstamm des eigent-lichen g e o s y n k l i n a l e n Orogens die weiten Hochländer von Kl ein -a s i en , Persien und Tibet. Im spanisch-marokkanischen Sektorübernimmt deren Rolle die weite marokkanische Meseta zwischenRif und Atlas. Tarimbecken und die Salzwüste von T s a i d ambezeichnen in Asien die Grenze der eigentlichen Alpiden gegen diegrossartige Vorlandfaltung des Nanschan und des Tianschan. InSpanien erscheint in durchaus analoger Stellung, im grossen zwischenBetischer Kordillere und Pyrenäen, die mächtige i b cri sche M e s et a.Und wie in Asien die zwischen die einzelnen Gebirgszüge einge-schalteten Hochländer in ihrem Streichen in spitzen Keilen zwischendiesen Gebirgen enden, so sehen wir in Marokko die marokkanischeMeseta zwischen Rif und Atlas am Col de Taza, oder im westlichenMittelmeer die iberische Meseta zwischen Pyrenäen und Alpen ver-schwinden. Eine Fülle von Analogien verbindet also schon a priori,ohne jedes nähere Eingehen in Details, den spanisch-marokkanischenmit dem asiatischen BaU.

So verstehen wir die iberische Halbinsel heute nurals einen Ausschnitt des grossen eurasiatischen Gesamt-orogens.

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Kein Land Europas zeigt die grossartige Gliederung der Strukturwie die iberische Halbinsel Spaniens und Portugals. Kein Land Eu-ropas ist daher so geeignet zur Erkenntnis asiatischen Baues, undkein Land Europas fordert, zusammen mit seinem Gegenpol Marokko,so direkt zu Vergleichen mit der Architektur des asiatischen Kolossesheraus. Kein Land Europas erlangt daher auch nur annähernd dieBedeutung Spaniens auf dem Wege zur wahren Erkenntnis dergeologischen Struktur unseres enrasiatischen Kontinentes.

Aber auch rein lokal-europäisch gesprochen, rückt Spanien alsdas Westende Eurasiens in den Angelpunkt der grossen europäischenFragen. Auf seinem Boden entscheidet sich der für die Erkenntnis derGenesis Europas so wichtige Verlauf der alpinen Leitlinien,um den noch heute der Streit der Meinungen wogt. Wie anders ge-staltet sich die Vorstellung vom Werden der Alpiden und der Ge-schichte Europas, ob wir den grossen Zng der Alpen direkt in Bale-aren und Betische Kordillere ziehen lassen, oder ob wir dazwischennoch Pyrenäen und Hesperiden einschalten. Wie anders wiederum,ob wir die Balearen direkt mit den Westalpen verknüpfen, oder denUmweg durch das tyrrhenischo Meer nehmen lassen. Wie andersendlich, ob wir den Alpenzug an der Strasse von Gibraltar mitmässigem Axenfallen im Ozean versinken, aber weiter nach Westenziehen sehen, oder aber ob wir ihn über die Meerenge ins marok-kanische Rif umbeugen lassen. Welche Fülle von Fragen und Pro-blemen, deren Entscheid auf iherischem Boden liegt. Dass daneben einmächtiges Stück hercynischen Gehirges die Halbinsel fast ohneUnterbrechung durchzieht, ist nur ein weiterer Anreiz zu vergleichendenStudien. Kein Land Europas zeigt auch heute noch einen solch ge-schlossenen hercynischen Bau wie die iberische Halbinsel.

So mag denn eine allgemeine Betrachtung der StrukturelementeSpaniens in hohem Masse zu fesseln geeignet sein, und dies umsomehr,als wir in der geologischen Struktur Spaniens heute schon rechtweitgehend unterrichtet sind. Die folgenden Seiten mögen als einVersuch in dieser Richtung gewertet werden. Die GrossgliederungSpaniens ist ihr vornehmstes Ziel.

Als fixer Ausgangspunkt für unsere Betrachtungen kann die schöneÜbersichtskarte der iberischen Halbinsel, die „Mapa geologico deEspana", herausgegeben vom Instituto geol6gico in Madrid 1919,gelten. Dort ist in bisher Unerreichter Art der Boden Iberiens in durch-sichtiger Synthese dargestellt, in einer Unsumme von Forscherarbeit,die wir mitteleuropäischen Geologen nur mit Gefühlen des Dankesentgegennehmen können. Diese Übersichtskarte vermittelt einen gross-

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artigen Einblick in die Struktur Spaniens, ihr wollen wir nun folgen(vergl. auch Tafel 1). Wir betrachten zunächst

Die Grossgliederung Spaniens.Verwirrend fast erscheint die Fülle tektonischer Formen im Antlitz

der iberischen Halbinsel, und bunt wie maurisches Mosaik fügen sichdie Strukturelemente verschiedenster Art zusammen. Der Kette derPyrenäen folgt im Westen das kantabrisch-asturische Ge-birge, beide im Süden begrenzt durch die weiten Tertiärbeckendes E b r o und von Alt -Kastilien. Westlich folgt das berühmteasturische Knie und die alten Gneisreviere von Galicien undNordportugal. An der Sierra de Guadarrama stösst diesalte Gebirge weit nach Osten zwischen Alt- und Ne u- K a s t i l i e n

vor, und zwischen Ebrohecken und das Hochland von Alt-Kastilienschieben sich von Osten her die Ketten der H e s p e r i d e n. DenSüdostsaum des Ebrobeckens bilden die k a t a l o n i s c h e n Rand -g e b i r g e , von Gerona bis über Tarragona hinaus. Westlich des neu-kastilischen Beckens erreicht der alte Block Iberiens die Niederungender Tajomündung in Portugal, in deren Süden sogar den Ozean, undim Süden endlich stösst derselhe in gewaltiger Entwicklung hinabbis zum Guadalquivir. Jenseits der grossen T e r t i ä r bucht An d al u s i e n s erhebt sich die b e t i s c h e Kette, von den Balearen bisnach Jerez und Cadiz, und endlich kleben an den alten GebirgenPortugals die jungen Falten der A l g a r v e und der Sierra Ar r a-b i d a, und im Norden die grosse vulkandurchsetzte m e s o z o i s c h eBruchplatte zwischen Lissabon und Porto. Kleinere Ter-tiärbecken liegen auf den alten Gebirgen am Guadiana bei Badajoz,in den jungen Ketten bei Granada, Murcia, auf den Balearen. Eingewaltiges Bild struktureller Geschichte liegt in der Karte Spaniensvor uns.

EDUARD SUESS hat zuerst eine Gliedernng Spaniens gegeben. Erstellte die jungen Gebirge der Pyrenäen und der Betischen Kordilleredem alten Block der spanischen Hochfläche, der M es e ta gegenüber.Die südspanische Kordillere fasste er als Ausläufer der Alp i denauf, die auf den Balearen ihr Ende erreichen sollten, die Pyrenäenwurden später als eigenes Gehirge ausgeschieden. Die neuerenSynthesen von TERMIER, KOBER, KOSSMAT, JENNY und STILLE haben diePyrenäen und Hesperiden aber meist wiederum in direkten Zusammen-hang mit den Alpen gebracht, sodass allmählich die Vorstellung über-hand nahm, die Iberische Halbinsel zerfalle in zwei voneinandergrundverschiedene Teile, die starre M e s e t a mit ihren lokalen Sen-

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kungsfeldern, den Tertiärbecken, einerseits, die jungen Faltengebirgeder Alpiden andererseits. Der DeckeHcharakter der Pyrenäen schiendieser Ansicht, rein äusserlich, recht zu geben, ebenso die Verbindungder provençalischen Ketten mit den äUssern Zonen der Westalpen ander Côte d'Azur.

Neuerdings sind FALLOT, ARGAND und ich, jeder auf seine Weise,wieder zur alten SuEssschen Auffassung zurückgekehrt, indem wirdie Pyrenäen als ein fremdes, intrakontinentales Gebirge von be-schränktem Ausmass radikal und ganz von den Alpiden trennten.FALLOT demonstrierte in erster Linie das Abschwenken der alpinenG e os y n k l i n a l e von den Balearen in der Richtung auf Sizilien, undden epikontinentalen Charakter der Pyrenäensenke. Als eine gross-artige Vorlandfaltung bezeichnete ich im „Bau der Alpen" dasPyrenäengebirge, und stellte es direkt dem Kaukasus und weiter derasiatischen Vorlandfaltung im Tianschan und Nanschan zur Seite.Auf meiner „Tektonischen Skizze von Europa" dehnte ich diese Vor-landfaltung der Pyrenäen auf das kantabrische Gebirge, die Hespe-riden und die Sierra Arrabida aus, und bezeichnete die Gesamtheitdieser Vorlandketten als die Iberiden. ARGAND führt für diese ArtVorlandfaltung in seiner „Tectonique de l'Asie" den Begriff der Plisde fonds, der intrakontinentalen „Grundfalten" ein, und bezeichnetals solche vor allem die Pyrenäen, dann aber auch weitgehende Ver-biegungen des alten Mesetablockes. Die Pyrenäen werden gleichfallsals ein kleiner Tianschan angesprochen. Während aber ARGAND seinespanischen und asiatischen „Plis de fond" von der Alpenfaltung un-abhängig wissen will, betrachte ich die Vorlandfaltung Iberiensund Asiens als in engstem Zusammenhang mit den Ursachen deralpinen Orogenese stehend. Die Vorlandfaltung ist für mich nur dergrossartige C o n t r e c o u p der die Alpiden türmenden gewaltigenafrikanischen Schübe. Ohne den Mechanismus der Alpenfaltung gäbees nie eine solche Vorlandfaltung, wie wir sie heute in Iberien undAsien beobachten. Auf jeden Fall nicht in derselben räumlichen Ver-teilung und derselben Intensität.

Damit gelangen wir zu einer Dreiteilung der strukturellenElemente Spaniens; wir unterscheiden:

1. den alten Bau der Meseta,2. den Alpidenzug der Betischen Kordillere und der Balearen,3. die Vorlandfaltung der Iberiden.Jedes dieser Elemente hat seine besondern Eigenheiten. Meseta

und Iberiden zeigen auf altgefaltetem Unterbau die kümmerlicheSedimentserie des mitteleuropäischen Vorlandes, die Betische Kor-

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dillere aber beherbergt, zum Teil in konkordantem Verbande mitihrem Unterbau, die reiche alpine Schichtreihe der Tethys. Im eigent-lichen Mesetablock finden wir ein gewaltiges Vorherrschen alter,zumindest hercynischer Strukturen, alpine Linien treten völlig zurück;in den Iberiden aber kreuzen alpine Strukturlinien in hervorragen-dem Masse den alten mesetischen Unterbau. Die Alpiden bilden imSüden Spaniens ein einziges grossartiges Gebirge, die Iberiden hin-gegen sind meist von beschränkterer Ausdehnung, sie lösen einanderim Streichen häufig ab und erlöschen in kleinen Kulissen. Die Al-piden endlich zeigen einen grossartigen Deckenhau, wie die klassischenAlpen, in den Iberiden je doch scheint ein solcher, vielleicht bis andie Pyrenäen, zu fehlen. Faltungen vom Juratypus, Schollengebirge,Fächer, beschränkte Überschiebungen beherrschen deren Bau. So ge-staltet sich das Strukturbild Spaniens immer reicher und mannig-faltiger.

Betrachten wir nun die einzelnen Teile desselben etwas näher.Da ist zunächst

Der alte Bau der Meseta.

Ergreifend ist der Gegensatz des Baues beidseits der Ebene desGuadalquivir in der Umgebung von Cordoba uHd Sevilla. Von NWstreichen die alten Falten der Meseta kaum gestört bis hinab znmGuadalquivir, jäh abgeschnitten von den gewaltigen Brüchen, an denen,vom Cap San Vincente in Algarve bis über Cordoba hinaus, der alteBlock Iberiens unter die jüngeren Gebilde Andalusiens hinabsinkt.Staunend sehen wir von den Höhen ob Cordoba die alpinen Kettender subbetischen Sierren gegen uns branden, die alten Falten derMeseta in einem Winkel von 40-90° überschneidend. Die Verschie-denheit der Faltenrichtung in Vorland und alpiner Kette ist eiHhervorragender seit altersher wohlbekannter Zug im Antlitz Spaniens.Nur in den Sudeten wiederholt sich auf europäischem Boden etwasähnliches in kleinerem Maßstab.

Das NW-Streichen der alten Falten der Meseta ist stets, bisnach Asturien hiHauf, als ein allgemeines betrachtet worden.Dort sah man dies alte Gebirge, im sogenannten „asturischen Knie",in scharfer Beugung über N nach NE ins Meer hinausziehen undvermutete seit SUESS und MARCEL BERTRAND auf solche Weise seinenördliche Fortsetzung im armorikanischen Bogen des hercynischenGebirges der Bretagne. Man sprach vom spanischen Ast des armo-rikanischen Bogens und nahm an, derselbe ziehe unentwegt in süd-

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östlicher Richtung nach Andalusien hinunter und stehe vielleichtdurch den Unterbau der Betischen Kordillere mit den wieder NNEstreichenden hercynischen Falten der marokkanischen Meseta unddes Atlas in VerbindUng. So zeichnen KossmAT und STILLE eineBeugung der hercynischen Kette, analog der Karpathenbeugung amEisernen Tor, östlich der Meerenge von Gibraltar.

Allein diese einfache Verbindung von spanischen und marok-kanischen Hercyniden erscheint mehr als zweifelhaft. Einmal schondeshalb, weil die einen zum afrikanischen, die andern zum euro-päischen Unterbau gehören, und weil die hercynischen Falten dermarokkanischen Meseta keineswegs geschlossen nach NNE zur Engevon Gihraltar ziehen, sondern in offener Vi r g a t i o n gegen NW undNE a u s e i n a n d e r t r e t e n. Dann aber scheint mir auch in Spa-nien das NW-SE-Streichen der alten Falten kein auch nur an-nähernd allgemeines zu sein. Es macht sich vielmehr schon hier einemächtige Beugung im Streichen der hercynischen Ketten geltend,die deutlich genug ist, um zu zeigen, dass die hercynischen Kettender spanischen Meseta nicht nach Afrika hinübersetzten, sondern wieheute die Alpiden, dem 0 z e an zustrebten. Betrachten wir daherden alten Bau der Meseta etwas näher.

Drei grosse Einheiten des europäischen Grundbaues treten unsim Block der Meseta entgegen: ein alter Kern mit a r c h ä i s c h e rFaltung, daran anschliessend vermutlich ein Gürtel k al e d o n i s chdislozierter Ketten, zu innerst endlich der Kranz der spanischenHer c y n i d e n. Wenn auch die genaueren Kenntnisse des grossenalten Blockes noch auf weiten Strecken zu wünschen übrig lassen,so lässt sich doch folgendes erkennen.

Als archaischer Block erscheint vor allem das weite Gebietkristalliner Schiefer und alter Granite im NW der Halbinsel, vonCoruna und Orense über Bragança bis gegen Salamanca hin. Die Ver-breitung des Estrato cristalino in der kastilischen Zentralkette —Sierra de Gredos, Sierra de Guadarrama — spricht dafür, dass die-selbe gleichfalls zum archäischen Block gehört. Archäische Diskor-danzen sind in der Sierra del Agua nördlich Sevilla bekannt. Nörd-lich Bragança, vom Moncalvo nach Norden, dann wieder am RioMinho zwischen Lngo und Orense, sehen wir Kambrium oder Silurdiskordant über Granit- und Gneisfalten hinweggreifen. Dieselbenstreichen NNE und werden von den jüngeren NW-streichenden her-cynisch-kaledonischen Falten schief abgeschnitten. Dieser archäischeBlock reicht von Galicien ungefähr bis zum Tajo und den Montes deToledo.

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Anschliessend an diesen ältesten Kern Spaniens, der wohl ver-gleichbar ist dem baltischen Schild oder dem Gneis der Hebriden,erkennen wir an verschiedenen Stellen, aber noch keineswegs in ihrerganzen Ausdehnung und Grösse, eine kaledonische Faltenzone. Die-selbe ist bisher nur an wenigen Orten direkt greifbar, wo das Devondem gefalteten Altpaläozoikum transgressiv und diskordant aufliegt,so in der Gegend von A l m a d é n. Verdächtig für schon kaledonischeBewegungen ist auch das völlige Fehlen des Devons in den kambrisch-silurischen Faltenzügen zwischen Rivadeo und Tineo in Westasturien.. Sicheren Boden betreten wir aber bei der Betrachtung der hercy-

nischen Ketten Spaniens. Hier können wir nun, gleichgültig, ob einekaledonische Faltung mitbesteht oder nicht, den Zusammenhang derKetten um den archäischen Block Galiciens lückenlos verfolgen undden alten Faltenzug rekonstruieren. Das a s t u r i s c h e Knie mitseiner grossartigen BeUgung der Falten haben wir schon erwähnt,es ist altbekannt. Zwischen Gijon und Vivero erreichen die hercy-nischen Ketten mit N, NNE, NE, ja sogar ENE-Streichen das kan-tabrische Meer, schief durchschnitten, wie wir sehen werden, von denjüngeren Leitlinien der Iberiden. Im Raume Lugo—Pola de Lenaschwenken alle diese Ketten in mächtigem Bogen aus ihrer asturischenNE-SW-Richtung in das NW-SE-Streichen des zentralen Spaniensum, und auf der Linie Leon—Zamora—Salamanca taucht das astu-rische Faltengebirge mit eiHheitlichem SE-Streichen unter die jnngenSedimente von Alt-Kastilien ein. Jenseits derselben nun springt in derkastilischen Zentralkette der Sierra de Gredos-Sierra de Gua-darrama der altarchäische Block Galiciens weit nach Osten vor, undzwar nicht nur mit seinen z. T. sicher postkaledonischen Graniten,sondern mit seinem alten Grundgebirge, dem Estrato cristalino. Erstöstlich Segovia, zwischen Riaza und Siguenza, erkennen wir die Fort-setzung der paläozoischen Ketten Asturiens. Dieselben müssen da-her aus der Gegend von Leon und Zamora in beinahe östlicher Rich-tung unter Palencia und Valladolid am Grunde der altkastilischenEbene gegen die Sierra de la Demanda und das Ostende der Sierrade Guadarrama ziehen. Diese Beugung nach Osten mag durchdie alpine Vorlandfaltung der Iberiden, wie übrigens auch das astu-rische Knie, etwas verstärkt worden sein, doch kann deswegen amZusammenhang der Dinge und dem Umfliessen der Sierra deG u a d a r r a m a durch die alten Falten des asturischen Gebirges nichtim geringsten gezweifelt werden.

Am Ostende der Sierra de Guardarrama aber ziehen die paläo-zoischen Ketten neuerdings mit ausgesprochenem SE- und S-Streichen

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vorbei. Bei Fuentenebro südlich Aranda del Duero, und südlich Atienza-Riaza tritt dies auf der Karte Spaniens mit aller Deutlichkeit hervor:die Ketten schwenken um das Ostende des alten Blockesh e r u m. Wie aber steht es nun mit der weiteren Fortsetzung? Ziehendie spanischen Hercyniden nun wieder ungestört gegen Südosten weiterin den Unterbau der betischen Kette? Betrachten wir die geologischeKarte Spaniens weiter.

Der alte Block der kastilischen Zentralkette taucht südlich desTajo in den Montes de Toledo wieder auf. Südlich daran lehntsich in langem Zuge Kamhrium und besonders Silur, bis an den Süd-rand des neukastilischen Beckens hinunter, gegen Süden zu langenFaltenzügen gestaut. Westlich der Linie Toledo—Ciudad Real streichendiese Falten WNW bis NW, wie droben in Asturien und unten inAndalusien, sodass es zunächst wirklich den Anschein hatte, als bildetendiese südwestlichen Hercyniden Spaniens, von Toledo und Ciudad Realgegen Westen, eine eigene hercynische Parallelkette zum astu-risch-altkastilischen Gebirge. Die hercynischen Gehirge Spaniens er-hielten dadurch eine gewaltige Breite, und müssten auf diese Weisein mächtigem Zuge nach Afrika hinübersetzen. Die Verhältnisse desneukastilischen Westrandes zwischen Toledo und dem Guadalquivirzeigen aber deutlich, dass dem nicht so ist.

Die paläozoischen Ketten Asturiens schwenken viel-mehr an der Ecke von Siguenza und den Montes de Toledoin einer gewaltigen Beugung um die archäische Eckeder Sierra de Guadarrama nach Westen und Westnord-westen um und ziehen geschlossen nach Portugal undin den Ozean hinein.

Diesegrosse Beugung der hercynischen Ketten Spaniens,wir nennen sie nach dem alten Königreich Kastilien die kastilische,erscheint als ein wundervolles paläozoisches Gegenstück zur Alpiden-beugung am Eisernen Tor. • Nur tritt hier das die Ketten deformie-rende alte Hindernis in Form eines mächtigen „Horstes" viel deut-licher hervor. Die südspanischen Hercyniden entsprächen dem Balkan,die Strecke Toledo—Riaza der Beugung am Eisernen Tor, und diealtkastilischen und asturischen Ketten erscheinen als Analoga zu denrumänischen, siebenbürgischen und ungarischen Karpathen. Die Dimen-sionen dieser Kettenschlinge sind in Spanien noch beinahe ge-waltiger. Was diese grosse kastilische Beugung der spanischen Her-cyniden für die Entwicklung Europas bedeutet, wird später zu erörternsein, vorerst sei einmal den nähern Tatsachen nachgespürt.

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Bei Fuentenehro in Alt-Kastilien streicht die hercynische KetteSE, westlich Siguenza beinahe N-S, während sie am Ostrande derSierra de Guadarrama südlich des Cerro de la Cebollera aus ihrerN-S-Richtung schon beinahe gegen SW abschwenkt. Es folgt die Ebenevon Neukastilien, die ein interessantes Mittelstück verdeckt. ZwischenToledo und Ciudad Real aber tritt der alte Untergrund wieder her-vor, und hier nun sehen wir die alten Falten Südspaniens nicht nachSüdost, gegen die Betische Kordillere, in Richtung auf Murcia undAlicante fortstreichen, sondern dieselben hiegen um die Montesde Toledo aus WNW über W-E iH die NE-Richtung um. ZwischenOrgaz, Madridejos und Alcàzar de San Juan schwenken die paläzoi-schen Falten der Estremadura, die Karte zeigt dies in aller Deut-lichkeit, gegen Nordosten um, direkt auf das Ostende der Sierra deGuadarrama westlich Siguenza hinweisend. Der Zusammenhang zwischendiesem Ostende der kastilischen Zentralkette und dem Südrand desBlockes von Toledo ist so offenkundig, dass an einem Umschwenkender hercynischen Ketten um diese archäisch-kaledonische Ecke garnicht gezweifelt werden kann. Zudem schwenken auch die südlichenFalten der Estremadura aus ihrer SE-Richtung zwischen Càceres undAlmadén in der östlichen Sierra Morena mehr und mehr in eine E-W,sogar ENE-Richtung ein.

Die paläozoischen Ketten Spaniens biegen also umden alten galicisch-kastilischen Block in einer grossenBeugung nach Westen zurück und ziehen gegen denOzean hinaus. Der Aussenrand der Ketten liegt daher nicht inAsturien im Osten, in Südspanien im Südwesten, abgekehrt vom altenarchäischen Block, sondern der Aussenrand des Gebirgesschmiegt sich dem Umriss dieses alten Blockes an. Soverstehen wir auch die Verteilung des Karbons auf der Meseta, unddie Verbindung mit den zerstückelten Resten des hercynischen Ge-birges in Mitteleuropa. Anschliessend an den alten Block folgen, teil-weise anf denselben etwas übergreifend, die kaledonischen Faltungen,wie droben in England,. Skandinavien und den Sudeten. Es sind diekambrisch-silurischen Faltenzüge Westasturiens, denen das Devon voll-ständig fehlt, und die Faltenzüge zwischen Almadén und Toledo, wodas Devon diskordant dein gefalteten Silur aufruht. Weiter einwärtsfolgen, wie in Mitteleuropa die das Unterkarbon noch miterfassendenhercynischen Ketten im engeren Sinne, von Asturien bis hinab in dieSierren nördlich Cordoba und Sevilla. Der kaledonische Untergrundist dabei von den hercynischen Bewegungen randlich abermals erfasstworden, genau wie in der Fortsetzung der asturischen Ketten, in den

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Ardennen oder Sudeten. Der kaledonische Vorlandgürtel wurde vonden intrakarbonischen Bewegungen genau so in den hercynischen Zykluseinbezogen wie die hercynischen Massive der Westalpcn in die Alpen-faltung eingeschleppt sind. Die Mischung hercynischen und kale-donischen Gebirges am AUssenrand der spanischen Hercyniden erscheintdaher keineswegs als ein Zufall, sondern als ein gewisses Gesetz.Jedes jüngere Gebirge zieht eben grosse Teile seinesVorlandes in seinen jüngeren Bau ein, und gerade die merk-würdige Mischung kaledonischer und hercynischer StrUkturen amRande des archäischen Blockes weist einmal mehr auf die grosseBeugung der Ketten in Kastilien hin. Zudem sind die Abstände derersten grossen Karbonzüge vom archäischen Block südlich und nörd-lich der grossen Beugung beinahe dieselben, die asturischen Kohlen-gebiete entsprechen direkt denen im Norden von Cordoba. Das grosseKarbongebiet von Huelva und Südportugal aber liegt am südlichenInnenrand der spanischen Hercyniden, vielleicht als das Anzeichen einergrossen hercynischen Innensenke zwischen den einzelnen Ketten.

In ähnlicher Art wie die kaledonisch-hercynische Mischung amRande des hercynischen Gebirges ist wohl auch das randliche Über-greifen der kaledonischen Faltung auf den archäischen Block Galicienszu verstehen. Hier ergriff eben die kaledonische Faltung ihrerseits auchnoch Stücke des archäischen Vorlandes, wie später die hercynischeBewegung Teile der Kaledoniden, oder die alpine Orogenese Teile derHercyniden in ihren Bau einhezogen hat.

Ungezählt sind die alten Probleme, die heute noch der Lösungund des Studiums harren, ein herrliches Arbeitsfeld ist hier auf denHöhen der spanischen Meseta noch zu beackern. Aher das eine darfwohl heute bereits als gesichert gelten, d ass die h er c y n i s c h e nKetten, mit einzelnen kaledonischen Enklaven, von As tu r i en ineiner machtvollen Beugung um das Ostende des gali-cisch-kastilischen Blockes herumschwenken und überPortugal in den Ozean hineinziehen.

Die spanischen Hercyniden erlangen damit im Bauplan Europaseine hervorragende Wichtigkeit. Sie bilden das gewaltige westlicheSegment einer grossen nordgetriebenen Bogenschar von europäischenHercyniden. Den polnischen, variskischen und armorikanischen Kettenschliesst sich der spanische Ast als bestindividualisierter Sektor an.Die asturischen uHd armorikanischen Ketten schliessen sich zu einemgewaltigen NW-schauenden Bogen zusammen, der im Osten vorder-hand ohne jedes Gegenstück bleibt. Weit stösst derselbe zwischenden alten Massen Kastiliens und Brabants nach Westen vor, wie heute

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der Westalpenbogen zwischen Korsika und Vogesen. Kein Zweifel, dassin dieser hercynischen Anlage schon der erste Keim zur späteren Pla-cierung der Westalpen liegt. Dem grossen arm o r i k a n i s c h e nBogen der Bretagne und Asturiens folgt die Beugung von Ka-stilien, daran anschliessend endlich das wieder nordbewegte Bogen-stück der Estremadura und des Alemtejo. So endet das hercy-nische Gebirge Enropas mit seinen südlichen Ästen in einer grossenSchleife, bedingt durch den Widerstand der alten kastilischen Masse.Die Hercyniden Europas biegen in Spanien um diesenarchitischen Block nach Westen zurück, sie dringennicht nach Afrika hinein.

Dieser Verlauf der alten Falten der Meseta, vom grossen asturisch-arInorikanischen Bogen über die kastilische Beugung in das schwachnach Norden getriehene Bogensegment der Estremadura reizt direktzu Vergleichen mit den grossen Leitlinien der Alpiden. Dieselbenerscheinen jetzt dem Verlauf der Hercyniden in Europa, nun der spa-nische Sektor die obige Deutung erhalten hat, abgesehen von sekun-dären Deformationen, weitgehend konform und angepasst.

So folgt der Verlauf der OstalpeH als getreues Ahbild der va-riskischen Front zwischen Elbe und Maas, so kommt das grosse west-alpine Segment ins Zentrum des mächtigen armorikanischen Bogenszu liegen. Die Beugung zwischen West- und Ostalpen weist von Paduaüber den Schwarzwald hinaus zur Beugung der variskischen Faltenum das BrabaHter Massiv, und dem Segment des grossen penninischenBogens entspricht en gros das Weststreichen des belgischen Kohlen-reviers westlich der Maas. Ein asturisches Knie alpiner Art umschliesstdie Ebene von Piemont, und endlich erscheint die grosse Alpiden-beugung um die Südostecke Sardiniens als ein Analogon zur kasti-lischen Beugung der Hercyniden. Der tyrrhenische Sektor entsprichtdabei dem asturisch-altkastilischen, die Kette • Balearen-Betische Kor-dillere dem Westwärtsziehen der hercynischen Ketten in der Estre-madura. Kein Zweifel, dass daher die Anlage der alpinen L ei t-linien auf den alten Verlauf der hercynischen Kettenz u r ü c k g eh t. Gewisse Abweichungen sind ja nur zu verständlich ange-sichts der gewaltigen Zeiträume zwischen den beiden Orogenesen und auchdem ungleichmässigen intrahercynischen Untergrund. Auf jeden Fall wur-de die Form der europäischen Südfront durch den Verlauf dieser hercyni-schen Ketten weitgehend beinflusst, und dieser Südfront des mesozoischenEuropas passten sich ehen die alpinen Leitlinien wiederum an. Mitteleuro-päische Bucht und spanisch-korsosardisches Vorgebirge, vielleicht sogardas PromontoirArgands, gehen auf diese hercynische Grundanlage zurück.

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Was wir zwischen Wien und Gibraltar daher an alpin-hercynischenKonformitäten sehen, ist nur sehr verständlich. Sache der osteuro-päischen Forschung wird nun sein, ähnliche Beziehungen zwischen her-cynischen und alpinen Leitlinien im Raume von Karpathen und Balkanzu finden, wo heute solche nur sehr summarisch zu existieren scheinen.Die Karpathen haben eine Extratour in die russische Tafel hineinunternommen, und zudem lassen sich Zusammenhänge hercynischerBruchstücke, wie sie sich auf den Hochflächen Iberiens mit aller Deut-lichkeit kundgeben, in den östlichen Tiefländern nur sehr schwererkennen. Aber die Struktur Spaniens möge zu solchen Versuchenwenigstens anregen.

Auf jeden Fall aber dürfen wir im Verlauf der hercynischen Leit-linien Spaniens auch eine unvorhergesehene, dafür aber um so wert-vollere ursächliche Bekräftigung der von uns im „Bau der Alpen"angenommenen alpinen Leitlinien zwischen Westalpen, Sardinien nndSpanien sehen.

So offenbart uns die spanische Meseta eine Fülle wichtigster Tat-sachen für das Verständnis des Bauplanes Europas. Archäische, kale-donische und hercynische Elemente sind heute zu dem gewaltigen Blockverschweisst, der nun seinerseits den jüngeren alpinen Bewegungenund dem Ansturm Afrikas Richtung und Halt geboten hat. Diesealten kaledonisch-hercynischen Gebirge Spaniens mögen nun der Ein-fachheit halber, und da eine reinliche Trennung heute nur sehr schwermöglich ist, unter einem gemeinsamen Namen zusammengefasst werden.Ich schlage vor, dafür die Bezeichnung „ H i s p an i d e n" zu verwenden.Wir können auch nicht einfach von den Falten der spanischen Mesetasprechen, da unter denselben eine Unzahl alpinen Ursprungs sind.Es seien deshalb die paläozoischen Ketten Spaniens undPortugals als Hispaniden den jüngeren alpinen Contrecoups inder Meseta, den Iberiden, gegenübergestellt.

Die Hispaniden sind damit als der westliche Ab-schluss der europäischen Altaiden im Sinne von SUESSzu definieren. Sie bilden die südliche Fortsetzung des grossenarmorikanischen Bogens und ziehen nach ihrer Beugung in Kastilienin den Ozean hinaus.

Damit verlassen wir den alten Bau der Meseta und gehen überzum zweiten grossen Bauelement Spaniens, das ist

Der Alpidenzug der betischen Kette.

Vom Caho de la Nao zwischen Valencia und Alicante bis hinabnach Sanlucar de Barrameda am Golf von Cadiz erhebt sich als ge-

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waltige Barriere gegen das 'Mittelmeer die Betische Kordillere.Auf 600 km Länge das Hochland Spaniens gegen Süden ahschliessendund in Gipfeln von über 3000 m Höhe überragend. Von alters her galtdieses mächtige Gebirge, das an gewissen Stellen bis zu 160 km Breiteanschwillt, als die Fortsetzung des Alpenzuges, als ein Glied der A l-p i d e n. Aber wie verschieden wurde die Verbindung der be-tischen Ketten mit den Alpen Zentraleuropas ‚gesucht.Über Atlas und Apennin ; über Balearen, Hesperiden, Pyrenäen undProvence; über die Balearen, das tyrrhenische Meer und Korsika; undendlich direkt über die Balearen zu den Westalpen. SUESS liess denAlpenzug in jener merkwürdigen Schlinge von Gibraltar vor dem spa-nischen Mesetablock neuerdings nach Osten zurückbiegen , und in denBalearen, genauer auf Mallorca, in freiem Ende erlöschen; ARGAND

biegt im Gegenteil das Ende der Alpiden im marokkanischen Rifnach Osten zurück. KOBER, KOSSMAT, JENNY und STILLE verlängern diebetischen Ketten durch merkwürdige Schleifen über die Hesperidenund Pyrenäen in die Westalpen, und ARGAND legt die alpine Ketteparallel zur katalonischen Küste, und erklärt die heute sicher hinterSardinien und Korsika durchziehende Verbindung mit einem nachträg-lichen gewaltsamen Losreissen dieser Massen vom spanischen Block, miteiner mächtigen Kontinentalverschiebung der sardischen Masse gegenOsten. Ich selber habe im „Bau der Alpen " die Betische Kordilleregegen Westen im Ozean versinken lassen und sie gegen Osten üher denBalearenbogen schon primär hinter Sardinien und Korsika in Über-einstimmung mit FALLOT, dem trefflichen KeHner der Balearen, mitden Alpen in Znsammenhang gebracht. — Verschiedenheiten der Mei-nungen mehr als je. So mag denn eine etwas eingehendere Prüfungder Betischen Kordillere heute im Mittelpunkt des regionalen Inter-esses sein. Eine solche sei daher hier, nur skizzenhaft allerdings,versucht.

Zunächst erscheinen in der Betischen Kordillere ohne jeden Zweifeldie alpinen Faciesreihen der T e t h y s wieder, in scharfem Gegen-satz zu den nördlich vorgelagerten Hochländern der Meseta und denKetten der Iberiden, in scharfem Gegensatz auch zu den Ketten desHohen und Mittleren Atlas. Kambrium und Silur sind nur inmetamorpher Facies entwickelt. Marines Per m fehlt, wie in denAlpen auch, wo ja dasselbe erst in den Südalpen, in den Bellerophon-schichten der Dinariden, einsetzt. Alpiner V e r r u k a n o erscheint sowohlin der Basis der sub- oder besser praebetischen Ketten als auch inder Sierra Nevada und den Alpujarras. Die Trias ist überaus ty-pisch. Während in den Gebieten der Meseta und der Iberiden dieselbe

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meist diskordant dem gefalteten Paläozoikum aufliegt, mit allen Merk-malen neritischer, detritischer und lagunärer Facies, oft mit derklassischen Gliederung der germanischen Trias, zeigen betische Zen-tralzone und Balearen ganz andere Verhältnisse. Die einzigen Vor-kommnisse rein mariner Trias in ganz Spanien liegen im Süden dersubbetischen Ketten, beidseits der Sierra Nevada und auf den Balearen.IH den Alpujarras zwischen Granada und Motril scheinen die Kalkevon Gador die ladinische Stufe, die darüberfolgenden Dolomite mitMegalodon den Hauptdolomit zu vertreten. An der Basis der Seriefinden sich dort dünnbankige, oft schwarze Dolomite und Kalke vomAussehen unseres anisischen Muschelkalkes, und stellenweise schaltensich, besonders in der Sierra Nevada, an der Basis des Hauptd.olomitszweifellose Raiblerschichten mit Rauhwacken, bunten Dolomiten undSchiefern ein. Auch die Triasgliederung auf den Balearen, auf Menorcabesonders, lehnt weitgehend an ostalpine Verhältnisse an; ihreFauna erinnert z. T. an sizilianische und Hallstätter Verhältnisse. Inden zentralen Teilen der Sierra Nevada, aber unter dem grossen,altbekannten Triasgürtel der Sierra, liegt eine kümmerliche Trias mitQuarziten, Dolomiten, Marmoren Und Rauhwacken konkordant auf denkristallinen Schiefern, die in jeder Beziehung direkt an zentralalpine,penninische Profile gemahnt.

Im Jura machen sich dieselben Unterschiede zwischen betischenKetten und dem Rest der spanischen HalbiHsel noch weit stärker be-merkbar. Dem Jura der Pyrenäen, der nur bis zum Oxford hinaufentwickelt ist, und demjenigen der Hesperiden südlich des Ebrobeckens,der zwar reicher, aber doch sehr lückenhaft ist, steht der Jura derbetischen Ketten in jeder Beziehung scharf gegenüber. Hier allein inSpanien haben wir eine komplete Juraserie, und einzelne Gliederderselben weisen frappante Ähnlichkeiten mit den alpinen Gebieten,besonders mit Sizilien und der Lombardei, auf. So der Ammoniticorosso, der dem der Alpen, von Sizilien und Algier weitgehend gleicht,ja oft sogar dessen sizilianische Fauna zeigt. Dann das Dom grien, dasan die Serien der Provinz Brescia erinnert, das TithoH, in dem hellerötliche und weisse Aptychenkalke vorkommen, und das stellenweisedie Fauna der ostalpinen Strambergerkalke führt. In der zentralenSierra Nevada endlich kommen auch die alpinen Bündnerschiefer wiederzum Vorschein.

Die Kreide der betischen Ketten geht ohne Hiatus aus demTithon hervor, sie bleibt stellenweise komplet bis hinauf zur Trans-gression des Eozäns und erinnert in manchem an Biancone und Scagliader Südalpen. Überall sonst transgredieren verschiedene Stufen der

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Kreide, meist oberes Albien und Cenoman, auf tieferen Schichten, inden Pyrenäen bis auf das Paläozoikum hinunter. Im Norden Spaniens,um Burgos und Santander, im Becken von Aragon, erscheint sogardie kontinentale Facies der Kreide in Form des Weald. Mit dem Be-ginn des T e r t i ä r s verschwinden dann langsam die Unterschiedegegenüber dem Vorland, wenn auch immer noch der Gegensatz einerbetisch-balearischen Geosynklinale gegenüber flachen Vorlandsenkenbesteht.

Alles in allem erscheint die Region der Betischen Kordillere, vomJura weg besonders die subbetischen Ketten, als das Gebiet einer aus-gedehnten G e o s y n k l i n al e gegenüber den Hochflächen der Meseta.Es ist die alpine Geosynklinale der Tethys, die hier unzweifelhaftdurchzieht, und welche südlich der Balearen mit der Geosynklinaleder Alpen in direktem ZusammenhaHge steht. FALLOT hatdarauf in seiner Monographie der Balearen mit aller Überzeugungs-kraft hingewiesen.

Aber neben dieser Fülle stratigraphischer Analogien zwischenAlpen und Betischer Kordillere gibt es auch eine Unmenge solchertektonischer Art.

Da ist zunächst die gewaltige Vortiefe des Guadalquivir,die weitgehend dem Molassevorland der Alpen entspricht. Dann folgendie Randbogen der subbetischen Kordilleren, die in denRandbogen der Alpen ihre klassischen Äquivalente finden. Nachdemwir das Gebiet der betischen Kalkketten überschritten haben, gelangenwirin die grosse kristalline Zentralzone der SierraNevada,die weitgehend an penninische Verhältnisse erinnert. Zwischen Gra-nada, Baza, Huercal Overa, Canjavar, Orjiva und Lanjaron erscheintder Dom der Sierra Nevada und der Sierra de los Filabres mit seinen140 km Länge wie in den Alpen der Dom der Hohen Tauern. AmInnenrand einer grossen Beugung, — um die Meseta östlich vonJaen, — erscheinen wie in den Alpen die jungen E r u p t i v a vonAlmeria bis zum Mar Menor. Und schauen wir von den Höhen derAlhambra über die gebirgsumrahmten Flächen der Vega hinweg, soerkennen wir weitgehende Ähnlichkeiten mit den in n e r a l p i n enBecken der Alpen, vor allem dem Becken von Klagenfurt. So er-innert schon rein äusserlich ungeheuer viel an die Alpen.

Betrachten wir nun den Bau der betischen Ketten etwas näher.Da lassen sich sofort zwei grosse Gebiete verschiedener Art er-

kennen, die sog. b e t i s c h e Zentralzone, ein Gebiet vorwiegend alterkristalliner und paläozoischer Gesteine, und die sog. sub- oder peni-betischen Ketten am Nordrand des Gehirges, die grosse b e t i s c h e

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Kalkzone. Nördlich der Kalkzone folgt, wie in den Alpen, eine schwachausgeprägte Randzone von F l y s c h, dann das breite T er ti ä r b e c k endes G u a d a l q u i v i r, im Norden endlich der kristalline Horst derSierra Morena, die Meseta.

SUESS betrachtete die Meseta als Ganzes als einen Horst, der anBrüchen längs des Guadalquivir unter die grosse tertiäre Ebene Anda-lusiens versinkt. Diese selbst fasst SUESS als V o r t i e f e der BetischenKordillere auf, gegen die die betischen FalteH von Süden her andrängen.Die Betische Kordillere selbst ist bei SUESS noch völlig au t o c h t h o n,bis auf wenige randliche Überschiebungen.

Die Spanier betrachten gleichfalls die Sierra Morena als einengrossen Horst, die Ebene des Guadalquivir aber als einen mächtigenGraben , der im Süden von neùem durch eine Reihe von Horste nbegrenzt sein soll. Als erster solcher Horst wird die betische Kalk-zone angesehen. Und zwar ist dieser Kalkhorst zusammengesetzt austriadischen und jurassischen Spezialhorsten zwischen einzelnen Kreide-synklinalen. Das Gebiet des Nummulitikums von Malaga bildet einenneuen Spezialgraben innerhalb der betischen Kette, der endlich imSüden vom kristallinen Horst der Zentralzone, im besondern der SierraNevada, abgegrenzt wird. Südlich daran schlösse sich dann der Grabendes heutigen Mittelmeeres.

Diese noch auf der Exkursion des Internationalen Geologenkon-gresses in diesem Frühjahr vertretene Meinung ist absolut unhaltbar.Sie zeigt nur die absolute Ratlosigkeit der spanischen Geologen gegen-über grösseren tektonischen Phänomenen. Es fehlt eben in Spanienjene tektonische Schulung, wie wir sie in Mitteleuropa durch Gene-rationen hindurch von einem STUDER, ESCHER, HEIM, SCHARDT, LUGEON

und TERMIER, SUESS, UHLIG und KOBER genossen haben. Nur so lässtsich jene altertümliche Auffassung der Betischen Kordillere verstehen,die heute noch von den Spaniern mit einem wahren Horror vor den» Charriages" vertreten wird.

Nun, auf der Exkursion des Geologenkongresses konnte man leichtanderer Meinung werden. Die Tatsachen sind folgende:

1. Der Nordrand der betischen Kette ist ein Über-schiebungsrand.

2. Auch wo diese randliche Überschiebung nicht aufgeschlossenist, stossen absolut unmögliche Faciesreihen un-vermittelt, ohne jeden Übergang ineinander, zu-sammen.

3. Die Horstgrabentektonik derbetischen Kalkzoneist in Wirklichkeit ein prachtvoller Faltenbau.

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4. Die kristalline Zone der Sierra Nevada erscheintals das grossartige Fenster einer tieferen tekto-nischen Einheit innerhalb einer grossen höherenDeckenmasse.

Falten- und Überschiebungsbau sind überall offenbar, und wodieser letztere nicht direkt aufgeschlossen ist, erkennen wir am unver-mittelten Zusammenstossen ganz verschiedener Faciesreihen seine Spur.

Sehen wir nun näher zu.Dass am Nord ran d der Betischen Kordillere Überschiebungs-

p h ä n o m e n e vorkommen, wissen wir seit den Untersuchungen vonDOUVILLÉ in der Umgebung der Stadt Jaen, wo die Kreidegesteineder subbetischen Kalkzone auf 5-7 km über die miozäne MolasseAndalusiens hinweggeschoben worden sind. Üherschiehungsphänomenesind also seit längerer Zeit am Nordrand der Kordillere schon be-kannt, nur hatte man hisher keinen Anhaltspunkt, wie weit diesePhänomene ins Innere der Kette hineingreifen. DOUVILLÉ hat sichdenn auch mit diesen bescheidenen Überschiebungen von Jaen zu-friedengegeben und betrachtete schon die jurassischen Sierren südlichdieser Stadt als autochthones Gebirge.

Weitere Überschiebungsphänomene am Nordrand der betischenKette geben sich in dcr Umgebung von Cabra südlich Cordoba über-aus deutlich kund. Wenn auch eine richtige Kontaktfläche bisher nichtgefunden, z. T. auch gar nicht gesucht worden ist, so stehen sich dochbei Cabra Faciesgebiete in einer Schroffheit gegenüber, die in keinemFalle ursprünglich sein kann. Nördlich von Cabra erscheint, der sub-betischen Kalkzone vorgelagert, eine überaus lückenhafte Sediment-serie, die in der Hauptsache germanische Trias und Eozän, danebenetwas unsichere, schwach entwickelte Kreide enthält. Südlich derStadt aber beginnt die subbetische Sierra u n v e r m i t t e l t mit vielenhundert Meter mächtigen Jura-Kreidegewölhen, die merkwürdig flachgegen Norden gestossen erscheinen. Ein primärer plötzlicher Faches-wechsel dieser Art, ein so unvermitteltes Einsetzen der mächtigensubbetischen Jura-Kreideserie, ist absolut ausgeschlossen. Wir müssenvielmehr anHehmen, dass die beiden so verschiedenen Schichtfolgen,Trias-Eozän einerseits, Trias-Jura-Kreide-Eozän anderseits, heute durcheine grössere Überschiebungsfläche getrennt sind, und dass im be-sondern die betische Kalkzone erst durch eine grössere Überschiebungaus ursprünglich weit grösserer Entfernung in jenen unmittelbarendirekten Kontakt mit der Trias-Flyschzone gebracht worden ist, indem wir sie heute sehen. Wie tief aber diese Schubflächen ins Inneredes Gebirges eingreifen, können wir auch bei Cabra nicht ahnen.

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Ein drittes Gebiet von Überschiebungen am Nordrand der Ketteist die Gegend der Sierra de C a z o r l a östlich von Jaen, wo wirsehr klar die Trias-Jura-Kreide-Ketten ganz flach der Trias der Mesetaaufruhen sehen. Es sieht dort aus, wie wenn ein Säntis sich über dieMeseta hinwegschieben wollte.

Die „Horst-Grabentektonik" der betischen Kettesiehtin Wirklichkeit ganz anders aus. Eine ganze Reihe von prachtvollen Ge-wölben wechselt mit ausgesprochenen, oft tief greifenden Muldenzonen,die sich teils weit im Streichen verfolgen lassen, teils aber nach kurzemVerlauf zwischen einzelnen Gewölben ausheben. Die Gewölbe ihrerseitstauchen oft überaus rasch im Streichen unter, anderseits lassen siesich, wie beispielsweise die grosse Triasantiklinale von Antequera,über weiteste Strecken, oft bis zu 90 km im Streichen, erkennen. EinQuerschnitt Cahra-Loja zeigt diesen subbetischen Faltenbau in klas-sischer Art.

Da baut eine erste Gewölbezone, durch drei Kreidesynklinalengegliedert, die eigentlichen Sierren von Cabra auf. Westlich Carcabueywird deren kretazischer Südschenkel von zwei Trias-Jura-Kreide-schuppen überfahren, die ihrerseits die hohen Sierren von Carcabueyund von Priego bilden. An der Sierra de Priego bäumt sich der Juradieser Schuppen in prachtvoller Falte zu einer hohen Sierra empor,um jenseits derselben in mehreren Sekundärfalten in die südlich an-schliessende Mulde von Iznajar, wo sogar das Miozän erhalten ist,abzusinken. Südlich der Mulde von Iznajar folgt, in der Gegend vonArchidona und Antequera, an der Pella de los Enamorados, mit deut-licher Überschiebung auf Kreide, der jurassische Nordschenkel einergrossen neuen Triasantikinale, derjenigen von Antequera. Diese mäch-tigste Antiklinale der betischen Kalkzone wird im Süden durch dieJura-Kreidemulde von Loja begrenzt. Südlich derselben endlich erhebensich . die plateauartigen Sierren von Loja-Zaffaraya als der Anfangeiner neuen südlichsten Gewölbeschar, die im Süden bis auf dasKristallin von Malaga entblösst ist.

Ein Faltenbau mit grösseren randlichen Über-schiebungen gegen Norden ist also überall in derbetischen Kalkzone nachzuweisen. Die wahre Grösse desPhänomens aber enthüllt uns erst die kristalline Zentralzone derSierra Nevada.

Wir können dort vorderhand im Grossen sicher 3 verschiedenetektonische Elemente unterscheiden, die sich auch in ihrer F a c i e sals durchaus selbständige Individualitäten erweisen. Von besondererPrägnanz sind diese Faciesunterschiede in der Trias.

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Da liegt zu unterst im ganzen tektonischen System der BetischenKordillere die kristalline Zone der. Veleta, die eigentliche Kern-zone der Sierra Nevada und der Sierra de los Filabres,zu einem gewaltigen Gewölbe aufgestaut, das schon auf den bisherigenKarten ohne weiteres an die grossen Gneiskuppeln der Westalpenoder an den Dom der Hohen Tauern erinnert. Flache Lagerung,Konkordanz zwischen Mesozoikum und kristallinen Schiefem, Absinkenin der Längsaxe, genau wie dort.

Dieses Ve l e t a k r i s t all in nun trägt eine bisher nur sehr küm-merlich bekannte Sedimentserie, die aber doch an vielen Orten einigehundert Meter Mächtigkeit erreicht. Es ist die BR0uwER'sche Mischungs-zone. Zunächst folgt über dem. kristallinen Grundgebirge eine über-aus schwach entwickelte Trias in Form von Quarziten, Mar-moren, Dolomiten und Rauhwacken ; die Mächtigkeit der ganzen Stufeübersteigt kaum die 60 m. Über dieser Trias, der wohlverstandengerade das typische Glied der Mesetatrias, der bunte KeUper, fehlt,erscheinen Glimmermarmore, Kalkglimmerschiefer, Kalkphyllite, diesich in nichts von den Bündnerschiefern der Alpen unter-scheiden, und die wir nach ihrer Lage über der Trias ohne weiterestatsächlich als eine stark metamorphe Facies des Jura betrachtendürfen. Die ganze Sedimentserie der Veletazone zeigt in der Tat ab-solut den Charakter des penninischen Mesozoikums der Alpen.Dort ist ja die penninische Zone in einer ursprünglichen Breite vonmindestens 400 km entwickelt; es ist daher anzunehmen, dass siesich im Streichen des Gebirges in derBetischen Kordillere wenigstensin schmalem Zuge noch finden wird. Dieser Fund ist nun tatsächlichdurch die nunmehrige Aufstöberung des penninischen Basisprofils derSierra Nevada gelungen.

Neben diesen mesozoischen Sedimenten finden sich, in diekristalline Veletazone eingekeilt, verschiedentlich Linsen von S e r -p e n t i n, zu langen Zügen geordnet. Wir können heute schon miteiner gewissen Bestimmtheit sagen, dass diese Serpentinlinsen m e s o -z o i s c h e Muldenkeile zwischen einzelnen kristallinen Decken derSierra Nevada sind. Denn diese Serpentine sind verschiedentlich vonDolomit- und Kalkschieferschollen begleitet, die sie kontaktlich be-einflusst haben. Genau dasselbe Bild wie in den mesozoischen Ophiolitender penninischen Zone der Alpen.

Wir sind daher berechtigt, den kristallinen Dom der SierraNevada, nach seiner Facies sowohl als seiner Struktur, als einSystem penniniseher Decken aufzufassen, das erst in grössererTiefe dem wahren autochthonen Gebirge der Meseta aufruht.

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Das kristalline Gebirge der Veletazone sinkt allseitig unter seinemesozoische Bedeckung, penninische Trias und Bündnerschiefer ein.Im Norden nach Norden, im Osten nach Osten, im Süden nach Süden,im Westen gegen Westen. Darüber folgt, dieses p e n n i n i scheMesozoikum seinerseits allseitig umschliessend, einehöhere Einheit. Im Norden, Osten und Westen beinahe ausschliesslichaus mächtiger Trias bestehend, im Süden kristalline und kambrischeKerne umfassend. Es ist die grosse Zone der altbekanntenNevadatrias, die deckenförmig die Bündnerschiefer derzentralen Veletakuppel überschiebt. Zwischen die Triasund den liegenden Bündnerschiefer schalten sich sowohl im Nordenwie östlich und westlich der Sierra Nevada Lamellen voH Gneisen,Amphiboliten und Paläozoikum ein, darüher folgt oft ein violetterVerrukano, mit Sandsteinen, Quarziten, Breccien und bunten Schiefern,als die Basis der grossen Nevadatrias. Es gehört daher diese Trias,die bisher stets als das normale Mesozoikum des Sierra Nevada-Kristallins betrachtet worden ist, gar nicht z u diesem Kri-stallin, sondern diese Trias bildet eine unabhängigehöhere Decke eigener Facies auf den Bündnerschiefernder Sierra Nevada. Die Facies der Nevadatrias ist im Gegensatzzu der penninischen Trias der Veletazone vollständig ostalpin , manglaubt in den Engadinerdolomiten, den Radstättertauern oder im Kar-wendel zu sein. Wir können dieselbe gliedern vom anisischen Muschel-kalk bis zum Hauptdolomit hinauf, Wettersteinkalke und Raibler-schichten sind sehr deutlich entwickelt.

Im Süden schaltet sich an der Basis dieser ostalpinen Trias, —es ist dies die marinste Trias ganz Spaniens, — das Kambrium un dKristallin der Alpujarras ein, als der alte Kern der nach Nor-den gcstossenen grossen Triasdecke. In diesen Alpujarras sind Triasund Paläozoikum eng miteinander verkeilt und verschuppt, die Triasgreift in langen Mulden in das alte Gebirge ein. Gegen Norden stei-gen nur dünne Lamellen des Paläozoikums mit der Trias über dieKuppel der Sierra Nevada empor, und in der Hauptsache erreicht nurdie Trias die Nordseite derselben.

Die Triasdecke der Sierra Nevada kontrastiert mit ihrer ge-waltigen Mächtigkeit grossartig zu den kümmerlichen Triasge-steinen der Veletazone einerseits, mit ihrer marinen Facies zuden kontinentalen Serien der subbetischen Ketten andererseits.

Es hesteht schon heute gar kein Zweifel mehr, dass diese Trias-decke als solche existiert, nach Faciesverteilung der Trias sowohl alsauch nach aufgeschlossenen Kontakten. BROUWER hat als erster aus

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den tektonischen Kontakten zwischen Trias und Nevadakri-stallin auf eine Decke der Nevadatrias geschlossen. Heute findenwir dazu überall an ihrer Basis die penninische Zone der Bündner-schiefer; jurassische Gesteine unterteufen als jüngeres Subtratheute die, grosse Nevadatrias. Diese selber aber zeigt andere Faciesmit typisch ostalpinem Charakter. Nach dem bedeutendsten Ort, dendiese Zone heute quert, sei dieselbe die Decke von Granada genannt.

Die Decke von Granada überschiebt mit ihrer Trias, imSüden mit ihren paläozoischen Kernen, die Bündnerschieferzoneder zentralen Sierra Nevada. Ein Zweifel am Zusammenhangzwischen Süden und Norden kann nicht bestehen, da sich sowohlöstlich wie westlich der grossen Nevadakuppel die nördliche TriasSchritt für Schritt in die südliche der Alpujarras hinein ver-folgen lässt. Die Überschiebungsbreite dieser Decke beträgt an die60 km, die Stirn ist unbekannt, nördlich Granada begraben in der Tiefe,die Wurzel liegt in den südlichen Alpujarras. Dort erreicht die Granada-decke zwischen Motril und Almeria die Küste des Mittelmeeres. Derenge Faltenbau der Alpujarras, der Sierren voH Contraviesa, Gador,Alhamilla ist als eine wurzelnahe Zone der grossen Granadadecke zuverstehen.

Damit ist ein mächtiger Deckenbau in der Sierra Nevada ge-sichert. Was bedeutet ein solcher aber nun weiterhin ? Kann bei derExistenz eines solchen Deckenbaues der Zentralzone die nördlicheKalkzone der subbetischen Ketten wirklich noch autochthon hleiben ?Wo wir doch schon an deren Nordrand hedeutende Überschiebungengegen Norden kennen ? Das weitere Studium der subbetischen Kettetezeigt, dass dies unmöglich ist.

Da sehen wir zunächst einmal die ostalpine Nevadatrias im Kalk-gebirge der Ordutia nördlich Granada in steilem Kontakt unter Ve r -rukano und germanische Trias der subbetischen Ketteneinschiessen. Ostalpine und germanische Trias stossen unvermitteltan einer polierten Rutschfläche aufeinander. Doch kann dies alleinnoch nicht genügen, den Deckencharakter der ganzen grossen suh-betischen Zone zu erweisen. Es wäre ja theoretisch auch noch möglich,dass die Triasdecke der Sierra Nevada ein autochthones subbetischesGehirge unterführe. Aber sehen wir weiter zu.

Einmal weist der grossartige F a c i es w e c h s e 1 bei C a b r a aufeine grössere subbetische Überschiebung hin, und anderseits zeigt dieweitere Verfolgung der Überschiebung an der Orduna,dass wir hier vor einer ganz gewaltigen Decke erster Ordnung stehen.Denn einerseits sehen wir östlich und westlich der Sierra Nevada

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die normale kristalline Basis der subbetiseheu ILalkzone imkristallinen Gebirge von Malaga und an der Sierra (le lasEstancias erscheinen, überall, bis hinab ans M ittelmeervon (len Triasgesteinen der Granadadecke unterteuft ; und ander-scits kleben nach den prächtigen Funden von BROUWER kristallineDeckschollen dieser subbetischen Basis an verschiedene nStellen der Sierra Nevada auf den Triasgesteinen derGranadadecke. Es unterliegt daher gar keinem Zweifel, dass diekristalline Zone von Malaga und der Sierra de las Estancias als derKern der betisehen ILalkzone die ostalpine Trias der SierraN evada übersehiebt. Wir können aus den subbetischen Ketten ohnejeden tektonischen Hiatus in die kristalline Basis von Malaga hinunter-steigen, Lind wenn wir dieselbe queren, so gelangen wir keineswegsin immer ältere Gesteine hinab, sondern wir finden an deren Basisdie jungen S3rien der Nevadatrias. Dieselben u n t e r t e u f e n überalldie kristalline Basis der subbetischen Ketten. Schliesslich gelangenwir um die Kuppel der Sierra Nevada herum ohne jeden Hiatus ineine steilgestellte kristalline Zone, die südlich der Nevadatrias genSüden in die Tiefe schiesst und in der Gegend von M o t ri 1 dasMeer erreicht. Es ist die Wurzel der gesamten grossen Betischen Deck e.

Westlich und östlich des zentralen Domes der Sierra Nevada sehenwir das südliche, in der Hauptsache kristalline Gebirge vom Mittelmeerher aus einer steilgestellten Wurzelzone über die ostalpine Granada-trias bis zu 60 km nach Norden vordringen als mächtige k r ist a l 1 i n eDecke. Vor der Längskulmination der Sierra Nevada, wie sie sichaus dem domförmigen Auftauchen des Veletakristallins unter der Nevada-trias beidseits des Massivs ergibt, d. h. vor der Sierra de Baza, heben dieAxen der oberen Dccken aus, und erreicht das südliche, überschobeneKristallin nicht oder kaum mehr die Gebirgsoberfläche. Es mag z. T.hinter der Nevadakulmivation zurückgebremst worden sein , zumgrössten Teil aber dürfen wir es als über derselben längst abgewittertbetrachten. Heute dringt daher das subbetische Basiskristallin nurbeidseits der Sierra Nevada weit nach Norden vor, und wirerkennen damit hier im Grunde genommen dasselbe Bild des all-mählichen Umschwenkens höherer tektonischer Elementeum ein tieferes Fenster wie zu ungezählten Malen in den Alpen.Ich brauche nur an das Vordringen der Bernhard-Aduladecke beid-seits des Tessinerhalhfensters, das Umschwenken der Grisoniden umdie Penniden in Val Malenco, oder die Umrahmung der Hohen Tauernoder des Wechsels zu erinnern. Die Verhältnisse im Umkreis derSierra Nevada sind durchaus analoge, nur dass hier die Zusammen-

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hänge nicht bloss durch den quartären Schutt der Täler, sondernauch noch durch die Füllung der tertiären Becken zwischenVega und Murcia einigermassen verschleiert werden. Am obigen Zu-sammenhang aber scheint mir kein Zweifel bestehen zu können.Jeder Kenner der Alpen wird danach den Dom der Sierra Nevadaun d F i l a b r es als ein grossartiges Fenster tieferer Einheiten i inRahmen der grossen betischen Decke verstehen.

Fassen wir zusammen, so bleibt folgender Zusammenhang ge-sichert. Das vortriadische, zur Hauptsache kristalline Gebirge derSierra de las Estancias und von Malaga trägt, wie die paläozoischenKeile an der Orduna, dort wo der ursprüngliche Zusammenhang zwischen den weiten Tertiärbecken gewahrt geblieben ist, das Trias-Jura-Kreidegehirge der s u b b e t i s c h e n Kette n. Dass dieselben als Deckenetwas über den Rand der andalusischen Vortiefe und die Meseta hin-weggeschoben worden sind, wussten wir seit den Untersuchungen vonNIE LES im Königreich Murcia, und von DouvILLÉ in der Gegend vonJaen. Im Osten zeigt die Sierra de Mallorca, durch FALLOT vor kur-zem ausgezeichnet dargestellt, denselben Schuppen- und Deckenbau.Reste einer älteren Vortiefe sind, wie in den Alpen in Form vonF l y s c h decken durch die andrängenden betischen Kalkdecken vorsich her nach Norden gestossen worden. Im einzelnen gestalten sichdie tektonischen Verhältnisse der betischen Decken überaus kompliziert,mehrere Teilschuppen sind bereits ausgeschieden worden, vorallem durch FALLOT und GENTIL, aber all dies erscheint als ein ge-ringes Detail gegenüber der Tatsache, dass die Unterlage des ge-samten subbetisehen Deckenkomplexes, der ganzen penibetischenKettenschar, als eine kristalline Decke erster Ordnung zumindestan die 80 km über den zentralen Dom der Sierra Nevada gewan-dert ist. Das ist die Distanz zwischen Orduna und der Küste beiMotril. Subbetische Ketten, das Gebirge von Malaga und (lie Sierrade las Estancias bilden gegenüber dem Dom der Sierra Nevada-Filabres eine gewaltige Einheit erster Ordnung, einen mächtigenhöheren Deckenkomplex.

Durch die Feststellung dieses tektonischen Zusammenhanges inder Sierra Nevada können wir nun in der gesamten Betischen Kor-dillere drei grosse strukturelle Einheiten, drei grosse Deckengruppenunterscheiden. Zutiefst liegt die Veletazone mit den penninischenSedimenten, als zumindest eine grosse Decke über dem autochthonenGebirge. Darüber folgt die Decke von Granada mit Kristallin, Paläo-zoikum und Trias im Süden, als Deckenkern, mit Trias allein imNorden. Über diese Decke von Granada legt sich im Süden, Westen

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und Osten das kristalline Gebirge der Sierra de las Estancias undvon Malaga als kristalliner Kern der subbetischen Kalkzone, im Nor-den diese selbst. Das Itristallin von Malaga und der Sierra de lasEstancias bildet daher mit der subbetischen Kalkzone ein grossesGanzes über der Trias der Decke von Granada, eine gewaltigeDecke allererster Ordnung: Sie heisse einfach die „Betische Decke".

Damit sind in der Betischen Kordillere zugleich auch drei grossetektonische Einheiten der Alpen unzweifelhaft festgestellt.An der Basis des betischen Deckensystems erkennen wir die penni-nische Zone der Westalpen, in der Veletazone der Sierra Ne-vada, darüber folgt die Zone der Grisoniden, — wie in den Alpenweiter in sich kompliziert, — in der Decke von Granada. DieB e tische Decke endlich entspricht der gewaltigen ostalpinenHauptdecke, der Decke der Tiroliden, der Silvretta, der Oetztaler,der Kalkalpen, der o b e r o s t a l p i n e n Decke der Alpen.

Die Schubweiten sind wie in den Alpen sehr beträchtlich,die betische Front hat mindestens 140 —150 km zurückgelegt. DieZone von Granada ist als Decke an die 60 km über das penninischeGebiet der Sierra Nevada gewandert, und auch dieses letztere scheintnoch keineswegs autochthon zu sein.

Nun erkennen wir weitere Zusammenhänge. Die Betische Deckeumgibt heinahe vollständig, im Westen, Norden und Osten, die tiefereEinheit der Granadadecke, diese ihrerseits ist auf der Kuppel derSierra Nevada völlig von der Erosion durchlöchert, und lässt dar-unter die tiefste betische Einheit erscheinen, die penninische Zoneder Veleta. Das ganze Gebirge der Sierra Nevada bildetdaher im Rahmen der Granada- und der Betischen Deckeein grossartiges Fenster von über 160km Länge. DasTauern-fenster Spaniens ist damit gefunden.

Östlich und westlich der Sierra Nevada sinkt die Betische Deckemit ihren Aren so weit, dass tiefere Einheiten von der heutigenErosion nicht mehr erreicht werden, und deshalb die grosse BetischeDecke geschlossen vom Mittelmeer bis an die subbetische Front hinaus-zieht. Diesem Umstande ist es wohl auch zu verdanken, dass ihrDeckencharakter, ja der Deckenhau der ganzen Betischen Kordillerebis heute unerkannt geblieben ist.

Fassen wir zusammen. Wir haben in der Betischen Kordillerefolgende drei Einheiten, von oben nach unten:

1. die Betische Decke2. die Decke von Granada3. die Decken der Veletazone.

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Decke von Granada und Veletazone sind auf das Fen-ster der Sierra Nevada beschränkt, die Betische Decke bil-det die Hauptmasse der Kordillere von den Balearen bis hinabnach Cadiz.

Damit ist ein grossartiger Deckenbau der Detischen liordillereohne Zweifel dargetan. Es gibt in der Betischen Kordillere Spaniensgewaltige Decken alpinen Ausmasses.

Von Malaga über die Sierra Nevada bis hinüber gegen Murciaund Cartagena erkennen wir eine mächtige Deck e n k u l m i n a t i o n,vergleichbar der lepontischen Kulmination der Alpen, oder der derHohen Tauern. Dementsprechend hehen und senken sich auch dieAxen der vorgelagerten betischen KetteH zwischen Cabra-Loja undder Provinz Alicante. Bei einer autochthonen Auffassung des Bauesder kristallinen Zentralzone, die übrigens heute nicht mehr möglichist, wäre das Untertauchen der betischen Falten von Osten gegenWesten im Raume zwischen Jaen und dem Genil nicht zu verstehen ;so aber ordnet sich dieses A,xenfallen in harmonischer Weise denAxenschwankungen der Zentralkette bei. Dem Niedertauchen der zen-tralen Axen zwischen Murcia und Cartagena entspricht im Raume derbetischen Ketten das Verschwinden der grossen Jnrakerne unter demalicantischen Kreidegebirge. Wir werden sehen, dass die grosse Kul-mination der Sierra Nevada auch im spanischen Vorland sich nochgeltend macht, und zwar bis hinauf in den archäischen Block derSierra de Guadarrama. Den beidseitigen Depressionen der betischenKette entspricht im Norden das Niedersinken der Meseta unter jüngereSedimente in Portugal und Kastilien. So fügen sich auch die Axenver-hältnisse Altspaniens harmonisch in das entworfene Bild des be-tischen Deckenbaues.

Wichtig für das Verständnis und die Deutung des spanischenGebirgsbaues ist weiter die horizontale Segmentation des Gebirges,seine Teilung und Gliederung in einzelne Bogen. Zwei grosse Ab-schnitte erster Ordnung lassen sich in der Betischen Kordillere unter-scheiden : ein westlicher, zwischen Cadiz und Mancha Real, mit ENE-Richtung; und ein östlicher, zwischen Mancha Real und Cabo de laNao, mit starkem NE-Streichen. Die Beugung zwischen den beidenBogenstücken ist in zweierlei Beziehung interessant. Einmal liegt die-selbe hinter einer entsprechenden Ecke der Meseta in der Gegendvon Linarès, weiter genau hinter der iberiden Beugung der kastilischenZentralkette, zwischen Sierra de Gredos und Sierra de Guadarrama ;und anderseits liegt im kristallinen Hinterland dieser grossen betischenBeugung das Zentrum der jungvulkanischen Aktivität am

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Cabo de Gata östlich eria.Alm Wie die Vulkan- und Jungmassiv-reihe Hegau—Bergell—Adamello—Predazzo—Vicentin—Euganeen inder grossen Beugung zwischen West- und Ostalpen liegt, oder die Reiheder steirischen Vulkane an der Beugung zwischen Alpen und Kar-pathen, so erkennen wir hier eine durchaus analoge Anordnung vonVulkanen und 'Vulkannarben zwischen Ciudad Real und Almeria ander grossen Beugung der betischen Ketten hinter der SE-Ecke derMeseta. Die im „Bau der Alpen" geäusserte Vermutung, dass die jung-vulkanischen posttektonischen ErUptionen an die grossen B e u g u n gender Ketten gebunden seien, bestätigt sich hier von neuem. Auch imHohen Atlas liegt der vulkanische Apparat des Djebel Siroua hinterder Beugung der Kette südlich Marrakesch.

Die beiden grossen Grundsegmente der Betischen Kordillere,das w e s t- und das o s t b e t i s c h e, zerfallen ihrerseits wiederum inmehrere sekundäre Gebirgsbogen, im grossen in je zwei. Zwischen Cadizund Osuna stösst der Bogen von Sevilla bis an die 50 km gegendie andalusische Hauptstadt vor, daran schliesst sich, bis hinübernach Jaen und Mancha Real, der mächtige Bogen von Ja e n. Diesenbeiden andalusischen Bogen folgt die weitgespannte Guirlande zwischenMancha Real und dem Durchbruch der Segura nordwestlich von Murcia,mit dem Klippenmassiv der Sagra. Dieses Segment sei daher als derBogen der Sagra oder der Segura bezeichnet. Östlich der LinieMurcia-Hellin endlich zieht eine ganze Anzahl sekundärer Elemente,zum Bogen von Alicante geformt, zum Cabo de la Nao.

Die inneren Teile der Ketten machen diese Bogen zum Teilmit. So erkennen wir den Bogen der Sagra im Umbiegen der kristal-linen Kette des Talayon gegen Cartagena und Cabo de Palos hin,und finden in der Gegend der Bleistadt La Union den Anfang derBeugung vom Bogen der Sagra zu dem von Alicante. Es entsprichtder Intensität dieser Beugung, dass wir auch hier, ähnlich wie hinterder grossen Beugung der betischen Ketten bei Mancha Real in derGegend von Almeria, junge Vulkanreihen emporwachsen sehen, dievom Mar Menor bis weit über Murcia hinaus dem Gebirge aufgesetztsind. Schwach macht sich endlich auch die andalusische Beugung amGenil in der kristallinen Kette von Malaga geltend.

Wichtig für die Erkenntnis der alpinen Leitlinien wird nun vorallem das West- und das Ostende der Kette, bei Gibraltar-Cadizund zwischen Valencia und Alicante. Die grosse Frage am West-ende der Kette lautet : Biegt das Gebirge wirklich als Kette mitseinen einzelnen Falten üher die Strasse von Gibraltar hinüber nachAfrika und ins Rif, wie es die Auffassung von SUESS, GENTIL und neuer-

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dings von ARGAND ist, oder aber ist der Bogen von Gibraltar nur einscheinbarer, etwa ein axial untersinkender Kettenscheitel zwischeneinem nord- und einem südbewegten Alpidenstück, wie der Bogen vonLigurien, und zieht deshalb die Betische Kordillere durch den Golfvon Cadiz in den Ozean hinaus, wie dies TERMIER und ich vertretenhaben? Das Problem des betischen Ostendes ist: Zieht die BetischeKordillere zwischen der Halbinsel und dem Nordteil der Balearenparallel der katalonischen Küste direkt gegen die Alpen, oder ziehtder Aussenrand der Kordillere über die Balearen selbst Und von dortgegen Sardinien zurück? Auch hier fassen ARGAND und ich die Sach-lage verschieden auf. Sehen wir näher zu.

Das Ostende der Bettsehen liordillere streicht zwischen Ali-cante und Gandia mit E-, stellenweise sogar mit ESE-Richtung indas Mittelmeer hinaus. Die betische Front bei Gandia kann daher aller-besten Falles in die Ibizen hinein ziehen und auch dies nur mit einerneuen scharfen Beugung oder Bogenkettung im zwischenliegendenMeeresraum. Die betische Zentralkette bricht ja schon 160 km weitersüdlich mit ENE-Streichen ins Meer und kommt bei Berücksichtigungdes Streichens im Bogen von Alicante und auf den Ibizen wohl umdenselben Betrag SE der Balearen zu liegen. Von einem Einschwenkender betischen Kette parallel zur katalonischen Küste kann daher wohlkaum die Rede sein. Auch biegt auf Mallorca das immer noch betischeStreichen nicht gegen Katalonien, sondern sehr langsam und ungestört,ohne jede Verletzung durch einen korsosardischen Seitenstoss in dieMenorcarichtung, wo wohl SE-Streichen vorherrschen dürfte, ein. A u fjeden Fall lässt sich die direkte Verbindung zwischenAlpen und Balearen parallel der katalonischen Küstedurch nichts beweisen.

Gehen wir nun über zum Westende der betischen Ketten zwi-schen Gibraltar und der Mündung des Guadalquivir. Da setzt einmaldie V o r tiefe der Kette von Sevilla nicht gegen Süden, wie dies einwirkliches primäres Umschwenken des Gebirges nach Afrika erfordernwürde, fort, sondern weiter schief zum Streichen der Meseta nachWesten. Von Ayamonte an schalten sich zwischen Küste und Mesetadie jungen EW streichenden Falten der Algarve ein. Sie sindals Contrecoups einer heute versunkenen EW streichenden Fortsetzungder betischen Ketten zu verstehen, nicht aber, wenn wir dieselbendurch die Beugung von Gibraltar nach Afrika einschwenken lassen.ARGAND geht dieser Schwierigkeit aus dem Wege, indem er die be-tische Kette allerdings zunächst südlich der Algarve weiter westwärtsziehen lässt uHd sie erst im Miozän gewaltsam in das Rif zurück-

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beugt. Damit würde stimmen eine schwache vulkanische Tätigkeit imsüdlichen Algarve am Ende des Tertiärs. Wo aber sind die vul-kanisch en Äusserungen eines so gewaltigen Risses inden Provinzen Huelva und Sevilla?

Noch ein weiterer Umstand spricht gegen die Annahme einergrossen Beugung im Sinne von SUESS und ARGAND. Lag vor dem Ab-biegen der Kette das betische Westende hinter Algarve, wie ARGAND

meint, so müsste sich westlich der Beugung von Almeria-Mancha Real,etwa im Querschnitt Cordoba-Malaga, die betische Kette in ausge-sprochener neuer Beugung nach Westen gewandt haben. Dann solltenwir aber dort in ähnlicher Weise junge vulkanische P h ä n o -m e n e finden wie auf der Linie von Almeria, Basalte, Andesite,Trachyte usw. Dies ist aber nicht der Fall. Es kann auch nicht an-genommen werden, dass die westbetische Kette als Ganzes einefrüher stärkere Beugung bei Almeria durch ihr Südwärtsschwenkengeschwächt hätte. Denn das Abbiegen der Kette soll ja nach AR-

GAND schon ins beginnende Miozän fallen; die Vulkane von Almeria,die durch eine Zerrung gerade infolge verstärkter Beugung derKette entstanden sind, sind aber jünger als das Miozän. Es wurdealso im Gegenteil die westbetische Kette während des M i o z ä n sweiter nach Norden gedrückt, was zu verstärkter Beugung heiAlmeria und damit den bekannten Vulkanreihen führte. Für diesemiozänen Bewegungen der Kette gegen Norden spricht ja auch dierandliche Überfahrung der miozänen Vortiefe durch die Front derbetischen Decken in der Umgebung von Jaen und südlich Cordoba.

Endlich zeigt kein einziges Gebirge Eurasiens bis zum heutigenTage eine solche Abkrümmung seiner Axe, wie sie für Gibraltar ge-fordert wird, und zu alledem sehen wir schliesslich das ganze grossea l p i n e Kettensystem, von den Pyrenäen bis hinab zum HohenAtlas, in eindeutiger Richtung in den Ozean hinausziehen. Wo bleibthier Raum für solche Seitensprünge eines in das ganze System ein-geschlossenen Gebirges? Die Betische Kordillere zieht wie alleandern Ketten des eurasiatischen Orogens mit zunehmender Ver-flachung nach Westen in den Ozean hinaus.

Wir kommen also immer wieder dazu, ein Fortstreichen der be-tischen Kette in den atlantischen Ozean anzunehmen, und der „Bogen"von Gibraltar erscheint uns mehr und mehr als eine grossartige Täu-schung.

Betrachten wir daher das Westende der betischen Kette zwi-schen Malaga und Gibraltar-Cadiz, und den vermeintlichen Zusam-menhang mit dem nördlichen Rif einmal etwas näher.

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Zwischen Granada und Motril sinkt das penninische Fenster derSierra Nevada axial gegen Westen unter die Trias der Decke vonGranada, und diese selber unter das Kristallin der grossen Betischen .Decke. Dasselbe umhüllt als das Kristallin von Malaga wie eine Zwiebel-schale die tieferen Einheiten. Durch die Provinz Malaga zieht diesermächtige kristalline Kern gen Westen; im Norden begleitet von dersubhetischen Kettenschar. Zwischen Ronda und Estepona abersehen wir auch das Kristallin von Malaga gegen Westenund Südwesten axial in die Tiefe sinken, und biegen diemesozoischen Gesteine der subbetischen Kette um einniedersinkendes Gewölbe des Malagakristallins nachSüden und Osten um, in eine Reihe schmaler mesozoi-scher Keile, die nun das Malagakristallin auch im Sü-den, und zwar bis gegen Malaga hin, begleiten. Diese Triaskeilezwischen Estepona und Malaga hangen unzweifelhaft mit der subbe-tischen Trias zusammen, sie zeigen auch die germanische subbetischeFacies, — sie lassen sich auch ohne Schwierigkeit in dieselbe hinausverfolgen.

Was haben wir daher hier vor uns P Nichts anderes als die grosseWurzel der betischen liallizone. Bei Motril sahen wir die kristal-line Basis derselben über der Granadatrias gen Norden hinaufsteigenund sich mehr und mehr nach Norden über dieselbe hinweglegen bishinauf ins Becken von Granada. Zwischen Estepona und Malagaerkennen wir im Süden dieses s e l b e n betischen KernkristallinsKeile von Trias, die sich über das niedersinkende Kristallinhinüber und herum, ohne jede Lösung des Zusammenhanges,in die subbetisch e Trias verfolgen lassen. Diese Keile sinddaher als Wurzelkeile der subbetischen Kalkzone zn verstehen. Trias,Jura, Kreide der subbetischen Ketten schwenken um das niedersin-kende Westende des Malagakristallins nach Osten herum, ja sogar diegrosse Flyschzone der Provinz Cadiz schwenkt deutlich um diesesEnde Hach Süden und Osten ein.

Dieser Zusammenhang aber zeigt uns, dass von einem Umschwenkendes betischen Deckenbaues nach A f r i k a gar nicht die Rede sein kann.Die subbetischeKalkzone schwenkt nicht nach Afrika hin-über, s o n der n um ihre nach Westen sinkende Unterlage in einenormal streichende Wurzel zwischen Estepona und Malaga.

Wie ist nnn aber bei dieser neuen Sachlage die Gegend der Strassevon Gibraltar zu denten? Bisher wurde ja stets ein Umschwenkender Ketten von Gibraltar ins Rif angenommen, die Betische Kordilleresollte im Bogen von , Gibraltar die Meerenge queren.

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Die Wirklichkeit sieht aber anders aus. Zunächst erreichen dieäussern subbetischen Ketten in der Gegend von C a d i z mit durch-aus normalem betischem Streichen das Meer, und zeigen auch dieFalten in der Gegend zwischen Tarifa und Algecirasein Streichen parallel der Meerenge, nicht quer dazu. DieFelsen von Tarifa weisen weit nördlich Kap Spartel in den Atlantikhinaus. Dann aber ist auch die afrikanische Küste keineswegseinem Durchqueren der Meerenge durch die einzelnen Falten günstig.Bei T a n g e r streichen die Gewölbe parallel zur Küste , des-gleichen am D j e b e 1 M u s a bei Ceuta, wo man die Faltenaxen stattnach Gibraltar hinüber ins Mitte l m e e r hinaus verfolgen kann.Auch der Felsen von Gibraltar selber weist EW streichen d e Brücheauf. Bestechend war ja nur das Westfallen des grossen Liasfelsensvon Gibraltar, doch ist dies das allgemeine A x e n fallen, nicht dasSchenkelfallen einer Falte. Zwischen Ceuta und C ab o Negro öst-lich Tetuan endlich erkennen wir nach den neueren spanischen Auf-nahmen ein grosses kristallines Gewölhe, das westwärts axial unter-taucht, ostwärts aber mit normalem EW-Streichen ins Mit-t e l m e e r hinauszieht.

Betrachten wir das Gebiet der Strasse von Gibraltar als Ganzes,so erkennen wir im Norden, zwischen Estepona und Ronda, das grosseScheitelgewölbe der Betischen Decke, südlich davon die Betische Wurzel.Jenseits der Meerenge folgt das kristalline Gewölbe zwischen Ceutaund Caho Negro. Die dazwischenliegende Region samt der heutigenStrasse von Gibraltar erscheint somit als kompliziertgebaute norm al-streichenstreichende S y n k l i n a l z o n e zwischen diesen beiden Gewölben,mit dem „Estracho" selber als tiefst eingefaltetem Teil. Es schaltensich also südlich der Betischen Wurzel, parallel zur betischen Ketten e u e F alten e l e m e n t e ein, die mit dem Liasgewölbe von Gibraltarbeginnen und weiter im Süden die Falten des Rif umfassen. DasselbeBild wie südlich der Wurzeln der Alpen, wo auch das weitere Hin t er-l an d der alpinen Kette zu einer grossen F a l t e n s c h ar zusammen-gestossen ist. Das Rif entspräche in dieser Beziehung den S ü d a 1 p e n ,den inneren dinarischen Ketten. Das Gewölbe von Ceuta zeigt grosseÄhnlichkeit mit der insuhrischen Antiklinale zwischen den beiden Ge-birgen. Nördlich desselben Nord-, südlich desselben Südbewegung,genau wie in den Alpen auch.

Damit verstehen wir heute den Zusammenhang zwischenRif und b e t i s cher Kette auf ganz andere Art. Es gibt an derStrasse von Gibraltar nicht eine betische Kette, die quer überdie Meerenge ins marokkanische Rif hinüberzieht, sondern wir erken-

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nen an der Strasse von Gibraltar eine ganze Ketten schar , d i emit normaler WSW-Richtung durch die Meerenge, parallelder betischen Kette, vom Mittelmeer in den Ozean hin-ausstreicht. Im Norden die alpine Kette mit ihren grossen Decken,im Süden das gefaltete diaarische Rückland im Rif. Durch die WSWstreichende Mulde von Gibraltar hangen die beiden Elemente in derTiefe zusammen, sie erscheinen einfach als zwei parallele Ketten mitzentraler Axe aH der Meerenge. Wir stehen also dort vor einem gross-artigen Kettenfächer.

Welches aber die Hauptbewegung des ganzen Orogenswar, ist nicht schwer zu beurteilen. Die grossen Überschiebungenweisen alle nach Norden, auf Europa hin, sie sind auf die betischeKette beschränkt. Die Überschiebungen des Rif, die eine Zeitlangstark übertriehen worden sind, bleiben in viel bescheidenerem Rahmen,sie erscheinen gegenüber der gewaltigen Nordfaltung der betischenKette als eine kleine Rückfaltung, wie die Südalpen gegenüberden Alpen. 160 km stossen die betischen Decken von ihrer Wurzelnach Norden vor; zwischen 20 und 30 km bewegen sich die Südüber-schiebungen des Rif in der Gegend von Meknes und Fes. Diese Süd-bewegungen im Rif sind übrigens die einzigen im ganzen Orogen zwi-schen Atlas und Pyrenäen, überall sonst geht alle Bewegungnach Norden.

Die betische Kette erscheint mehr und mehr als das getreue A h -b i l d der Alpen; mit ihrer gewaltigen Nordbewegung, mit ihremÜberschiebungsbau, mit ihrer Teilung in verschiedene Zonen. Dreimächtige Einheiten liegen ühereinander, die Veletazone, die Deckevon Granada und die Betische Decke. Die Veletazone entspricht nachFacies und tektonischer Stellung der penninischen Zentralzone derAlpen, die Decke von Granada erinnert an die mächtige Gesellschaftder alpinen Grisoniden, die mittel- und unterostalpinen Decken. DieBetische Decke endlich mit ihrer grossartigen kristallinen Basis mussals ein Äquivalent der austriden Hauptmasse der Alpen betrachtetwerden, die subbetische Kalkzone im speziellen erscheint als Analogonder östlichen Kalkalpen. Die Muldenzone von Gibraltar entsprichteinem erweiterten Drauzug, das Gewölhe zwischen Ceuta und Tetuander insubrischen AHtiklinale, das Rif den Südalpen. An der Basis derbetischen Kalkdecke stellen sich tiefere Einheiten in Form von Flysch-decken ein, die mit ihrer Kombination Trias-Eozän weitgehend anGurnigel-Niesen oder an die ostalpine Flyschzone gemahnen. Das Fensterder Sierra Nevada ist ein Gegenstück zu den Hohen Tauern, die Deckevon Granada entspricht weitgehend der Radstätter Umrahmung der-

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selben. Eine Fülle von Analogien verbindet damit Alpen und BetischeKordillere zu einem einheitlichen Kettenzuge.

Noch bleibt übrig, aUf Differenzen hinzuweisen. Da ist ein-mal die viel geringere Häufung von Decken als in den Alpen.Wir kennen in der Betischen Kordillere nur 3 grosse Decken, in denAlpen aber wohl deren 10-12. Dies ist e i n grosser Unterschied. Derzweite liegt in der z. T. verschiedenen Facies der einander sonst ent-sprechenden Elemente. Eine gewisse V er a r m u n g d er F a c i e s trittein. Schon im betischen Vorland ist dies der Fall. Aber auch die pen-ninische Zone ist unvergleichlich viel schmächtiger als in den Alpen,wenn sie auch als solche noch gut erkennbar ist. Auffallend aberwird besonders der Faciesunterschied zwischen der Betischen Decke,der Hauptdecke der spanischen Kordillere und den oberostalpinenDecken der Kalkalpen. Wo bleibt hier die grosse Masse oberostalpinerTrias, wo die Trias der Dinariden ? An ihrer Stelle finden wir ja einerein „germanische" Ansbildung, wie ist dies zu erklären? Nun, ein-mal ist diese Trias nicht als germanisch, sondern als marokkanischanzusprechen. Denn diese Trias wurde einst südlich der marinenNevada-Trias abgelagert und stand südlich dieses Meeresraumes ohneUnterbruch mit der kontinentalen Trias Marokkos in Verbindung.Der tektonische Zusammenhang bestätigt dies ja ohne weiteres. Dannaber scheint sich gegen Osten, schon im Gebiet der Balearen, in der-s e l h en tektonischen Einheit, in der Betischen Decke, der Übergangvorn betischen K o n t i n e n t a l r e g i m e der Trias zur marinen Ent-wicklung der Ostalpen vorzubereiten. Es erweckt damit den Anschein,als ob die im Meridian der Alpen sehr breite Tethys im spanisch-marokkanischen Sektor zu einem relativ sch rn al en Meeres a r mzusammenschmolz, an dessen Grunde penninische und ostalpine Seriennur in schmalem Zuge abgelagert wurden, während besonders dassüdliche Gebiet der nachmaligen Austriden schwach überflutetesFestland war.

Fazielle Differenzen machen sich hier im Streichender alten Tethys deutlich bemerkbar. Wir haben im Raumeder Alpen eine breite und relativ tiefe See, im Raume Spanien-Marokko nur einen schmalen Meeresarm. Die Strasse von Gibraltarist heute dessen letzter Rest. Aufgabe weiterer Forschung wird sein,diesen Zusammenhängen näher nachzuspüren und ihre Ursachen in derälteren Tektonik zu suchen.

Differenzen zwischen Alpen und Betischer Kordillere sind also vor-handen, aber sie sind doch verschwindend k 1 ein gegenüber der grossenSchar von Parallelen zwischen beiden Gebirgen. Die grösste Über-

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einstimmung zwischen Alpen und Betischer Kordillere aber ist gegebenim Deckenbau der beiden Gebirge.

Unendlich viel bleibt in der wundervollen Kordillere Südspaniensnoch zu tun, bis wir dieselbe auf ihrer ganzen Länge so zergliedernkönnen wie unsere Alpen. Aber die Grundlinien der Struktur tretenbereits klar hervor; der Deckenbau beherrscht das Feld,ein grossartiges alpines Deckenland erreicht im Süden Spaniensden weiten Ozean.

Damit schliessen wir unsere Betrachtungen über die Alpiden Spa-niens und schreiten zum dritten grossen Strukturelement der iberischenHalbinsel, das ist

Die Vorlandfaltung der Iberiden.Der grosse afrikanische Schuh, der am Südrand Alteuropas die

Alpiden schuf, zertrümmerte auch weithin die starren Vor l ä n d e r derKontinente und schob auch sie zu jungen Ketten zusammen..Das bunte Mosaik des europäischen Vorlandes wird gleichmässig vondieser machtvollen Vorlandfaltung ergriffen, dieselbe durchzieht ingleicher Weise alte Massive wie mesozoische Tafeln und tertiäre Becken.Aber während in Mitteleuropa diese Vorlandfaltung ausser den in dieAlpen selbst einbezogenen autochthonen Zentralmassiven keine eigent-lichen Gebirge zu türmen vermochte, sehen wir dieselbe auf deriberischen Halbinsel, wo das Vorland viel direkter dem afrikanischenAnsturm ausgesetzt war, die ganze Meseta samt ihren randlichen Sedi-menttafeln zertrümmern, und entstehen innerhalb dieses iberischenVorlandes der Alpiden mächtige junge Ketten von grossartigem Aus-mass. Das mitteleuropäische Vorland lag eben weit im Norden, inder alpin-karpathischen Bucht, zwischen russischem und spanischemVorgebirge wohl beschützt gegen den Ansturm Altafrikas, währendSpanien und das pontische Gebiet dem anrückenden afrikanischenKoloss direkt die Stirne boten. Darum wirkte die Vorlandfaltungim mitteleuropäischen Sektor nur sehr schwach, während wir im Ostenden Kaukasus , im Westen die Iberiden als gewaltige eigeneGebirge im exponierten Vorland entstehen sehen. Die Vor-landfaltung macht sich dort besonders geltend, wo der angegriffene Iïontinent verstärkten Widerstand bieten kann. Dasselbeerkennen wir ja auch in Zentralasien, vor dein alten Kern des An-garalandes. So verstehen wir heute die eigenartige, inganz Europa einzig dastehende komplizierte Strukturder iherischen Halbinsel , wo sich, wie nirgends in Europa,im Vorland der Alpiden ein fremdartiges Gebirge an das andere reiht,

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aus ihrer exponierten schon primär weit gegen Afrika vor-springenden Lage.

Zu einer gewaltigen Kettenschar ist das iberische Vorland zu-sammengestossen. Da ist zunächst im Norden der Zug der p ,y r e -näisch-kantabrisch-asturischen Gebirge, das spanischeHoch-land vom Ozean und dem übrigen Europa scheidend. Dann durchziehteine zweite hohe Kette in mehrfach gewundenem Verlauf, zum Teil inKulissen aufgelöst, die ganze Halbinsel, von Catalonien bis nach Lissabonhinunter. In der z e n t r a l k a s t i l i s c h e n Kette der Sierra de Gredos

_ und der Sierra de Gudarrama erreicht dieselbe heute ihren Kulminations-punkt. Die Sierren von Toledo und G u a d a l u p e sind ein weiteresschwächeres Glied der iberischen Kettenschar, und schliesslich er-scheint ganz im Süden, im Angesicht der hetischen Ketten, das breiteGewölbe der Sierra Morena mit seiner Fortsetzung in die süd-portugiesischen Sierren des algarvischen Küstenstriches, als schwacherAusklang der iberischen Vorlandfaltung zu flachen, aber doch ziemlichlebhaft erodierten RUmpfen emporgestaut.

Die Intensität der Bewegungen nimmt von Nordengegen Süden, wie auch die Höhe der Ketten, a b. Während in denPyrenäen Höhen von 3400, in Asturien solche von 2700 m erreichtwerden, sinken dieselben in der zentralkastilischen Kette auf 2600und 2400 m hinunter und bleiben iH der Kette von Toledo schonunter 1500 m Meereshöhe. In der südlichen Kette der Sierra Morenaendlich werden 1000 m kaum mehr überschritten. Und während diePyrenäen verworrenen, aber im Vergleich zu den Alpen oder derBetischen Kordillere bescheideHen D e c k e n b au , Stauung zu einemgewaltigen Fächer, die asturische Kette grossartige Fächerfaltungmit gelegentlichen Überschiebungen zeigt, die zentraliherische Ketteeinen grossartigen Faltenbau vom Juratypus, erkennen wir in denbeiden südlichen Elementen nur noch schwache Verbieg u n g en desalten mesetischen Unterbaues, mit Bewegungen an Brüchenund listrischen Flächen, die heute oft nur mehr schwer als solche zuerkennen sind. Die Vorlandfaltung steigert sieh mit vermehrtemWiderstand im Innern des Kontinentes, d. h. sie nimmt gegenNorden, gegen die festen mitteleuropäischen Bollwerke hin, an Inten-sität und Ausmass zu. Das intrakontinentale Becken der kantabrisch-pyrenäischen Sedimente mag dabei die stärkere Umformbarkeit dieserGebiete noch weiterhin begünstigt haben. Wir heobachten also iHSpanien ein Abnehmen der Vorlandfaltung vorn mittel-europäischen Widerstand weg, ein Wandern derselben vomWiderstand gegen Süden. Diese Abnahme der iberischen Vorlandfaltung

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gegen Süden aber darf keinesfalls als Argument dafür angesehenwerden, dass es sich dabei nicht um alpine Contrecoups handle; dieseContrecoups betrafen das Vorland als Ganzes und schoben dasselbeehen zunächst erst am nächsten grösseren Widerstand, d.h.vor dem alten Block des französischen Zentralplateaus, und an besondersschwachen Stellen znsammen. Wir erkennen damit hier dasselbe Ge-setz der ersten und stärksten Stauung am nächstenWider s t a n d, wie in den Decken der Alpen, wo wir auch zunächstdie Bernharddecke als dem autochthonen Widerlager am nächstenliegende grosse penninische Einheit entstehen sehen, bevor die rück-wärtigen, ebenfalls schwächeren Decken des Monterosa und der Dent-blanche sich bilden. Und doch wird dabei niemand die von Südenstossende Wirkung des alpinen Hinterlandes in Abrede stellen.

Doch betrachten wir nun etwas die Details und begründe nwir die Iberiden Spaniens und Portugals.

Dass die Pyrenäen ein alpin gefaltetes Gehirge mit hercynischenKernfächern und hescheidenem Deckenbau sind, ist altbekannt. DiePyrenäen werden ja heute noch von vielen Forschern direkt mitden Westalpen und dem Alpensystem überhaupt verbunden. Der Um-stand aber, dass die F a c i es der Pyrenäen keine Spur wirklich alpinenCharakters aufweist, im Gegenteil rein e p i k o n t i n en t a l mittel-europäisch ist, hat schon EDUARD SUESS bewogen, die Pyrenäen alszwar alpin deformiert anzuerkennen, sie daneben aber radikal vomAlpidenzug zu trennen. In der Tat ist heute, wo wir den Zug derAlpiden näher kennen, auch über den Bau der Alpen selbst endlichzu abschliessender Klarheit gelangt sind, eine Einordnung der Pyre-näen in den Alpidenzug ein Ding der Unmöglichkeit. Es fehle nvor allem die typisch alpinen Serien der Tethys, diezum wahren alpinen Bau gehörigen Ophiolithe und Tief-sees e di m e n t e, und es fehlt schliesslich, auch den Pyrenäen, dertiefgreifende, alles andere heherrschende Deckenbau g r o s s eH S t i ls ,wie wir ihn sonst in den wahren Alpiden finden. Welch lückenhaftärmliche, echt europäische Sedimentserie beherbergen die Pyrenäen,uHd wie armselig nehmen sich die pyrenäischen Ophite neben dengewaltigen Lakkolithen der alpinen Ophiolithe aus. Die Verfolgungdes Alpenstammes gegen Westen und Osten, vom Apennin und derBetischen Kordillere bis hinein nach Asien, hinab in die Sunda-Inselnund hinunter nach Neu-Kaledonien, zeigt uns, wie die e c h t e alpin eZone überall und stets von grossen Ophiolithmassenbegleitet ist. t. Die Ophiolithe sind, neben den kompleten Sediment-serien der Tethys, das auffallendste Wahrzeichen der alpinen Zone,

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vorn einen Ende Eurasiens bis zum andern. Gerade sie aber fehlenauch den Pyrenäen.

Wir können daher die Pyrenäen keinesfalls als ein Glied derAlpiden bezeichnen, und was wir in den Pyrenäen an alpiner Faltungsehen, ist nichts anderes als eine grossartige Faltung des al p i n e nVorlandes selber, welche die Sedimente und den alten Unterbaueines i n n e r e u r o p ä i s c h e n Meeresbeckens ergriffen hat, das mitder eigentlichen Tethys nur in losem und oft unterbrochenem. Zu-sammenhang gestanden hat. Die Pyrenäen sind geradezu derTypus einer Vorlandfaltung.

Weit weniger bekannt ist das alpine Alter des grossen as t u -rischen Massivs zwischen kantabrischem Meer und den ProvinzenLeon und Palencia. Ich nenne dieses Gebirge in Anlehnung an diePyrenäen die Asturen. Die merkwürdige alte Tektonik dieses Berg-landes, die so auffällig im asturischen Knie der Hispaniden indie Augen tritt, hat wohl bisher dazu geführt, in Asturien die jungeTektonik wenn nicht ganz zu übersehen, so doch zu vernachlässigen.Und doch ist die alpine Struktur dieses asturischen Massivs eine soklare und grossartige, dass sie schon bei jeder Betrachtung einergeologischen Karte Spaniens auffallen muss. PENCK und TERMIER

haben denn auch, neben aller hercynischen Komplikation dieser Kette,auf die alpinen Strukturlinien derselben hingewiesen.

Zunächst werden einmal die östlichen Teile des asturischen Knies,d. h. die Silur-Karbonfalten ostwärts Oviedo, sowohl im Süden wie imNorden von langen Kreidemulden begrenzt. Auffallend ist besondersdie lange Kreidezone Asturiens, die vom Becken von Oviedo,ja von Grado weg, bis über Cangas de Onis hinaus aufgegen 100 km Länge die hercynischen Falten des asturischenKnies in schärfster Diskordanz durchschneidet und damit von denpaläozoischen Falten der asturischen Küstenzone zwischen Avilés undLlanes scheidet. Dieser Kreidezug ist eine typisch alpine Synklinale,und die beiden paläozoischen Ketten südlich Und nördlich davon er-scheinen daher gewissermassen als hercynische Zentralmassive.Wundervoll ist diese Diskordanz alpiner und hercynischer Strukturenzwischen Cangas und Oviedo, und ergreifend das Durchsetzen derhercynischen Strukturlinien durch die mesozoische Muldenzone vonAvilés. Da werden die gen NE streichenden hercynischen Faltenzügevon Belmonte von der WNW gegen das Meer hin ziehenden Trias-Juramulde von Avilés in einem Winkel von gegen 90° abgeschnitten;jenseits derselben aber sehen wir sie zwischen Gijon und dem Cabo

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de Pefias in ungestörter hercynischer Richtung gegen NE weiter zie-hen. Nördlich Infiesto und Arriondas beobachten wir Ähnliches. Mehroder weniger EW streichende alpine Muldenzonen durchschneiden alsoschief und quer die alten hercynischen Falten des asturischen Knies.Nördlich Oviedo erhebt sich die Kette der Na r an co s mit typischpyrenäischer EW-Richtung an steilen Brüchen über die asturischeKreidezone, dieselbe dabei bis zur lokalen Überkippung schleppend.Ein weiterer alpiner Zug sind die Pefias de C a r e s e s NE Oviedo,die TERMIER beschrieben hat, dann das Karbongewölbe von Cabrafies.Beide Antiklinalzonen stehen mit ESE-Richtung schief zum altenasturischen Streichen. Durch die Mulde von Oviedo-Cangas zerfallendie Asturen in zwei selbständigo alpine Zentralmassive, deren süd-liches über Tineo direkt in den alten galicischen Scheitel hineinzieht,deren nördliches nach kurzem Untertauchen unter der Sedimentbrückevon Villaviciosa und Gijôn im Cabo de Pefias den Ozean erreicht.Die zwischenliegende Kreidezone von Oviedo aber erin-nert direkt an die Gräben des Tianschan. Ein Ferghana-g r ab en im Südwesten Europas.

Instruktiv und weiter beweisend für den alpinen Charakter derAsturen ist dann vor allem das Ostende und der Südsaum desgrossen asturischen Zentralmassivs, das in den Pi c os de Europabis zu 2700 m über das kantabrische Meer aufsteigt. Da dringen vonOsten, genau wie heispielsweise im Aarmassiv der Alpen, lange Sedi-mentmulden mit Trias, Jura und Kreide zungenförmig in den alt-hercyHischen Unterbau ein, ja hei San Vicente de la Barquera nimmtan diesen Synklinalen sogar das Eozän noch teil. Dasselbe schiesstin steiler Mulde nördlich unter Trias und Paläozoikum ein. Ander-seits erscheint SW Santander mitten in den kantabrischen Sediment-falten, in dem tiefen Einschnitt' von Las C a l d a s südlich Torrelavega,das asturische Karbon in Form eines EW gestreckten Gewölbes alsh e r c y n i s c h e s F e n s t e r. Genau wie östlich des geschlossenen Aar-massivs im Fenster von Vättis nochmals der hercynische Untergrundunter den helvetischen Sedimenten emportaucht. Am Ostende desasturischen Zentralmassivs erkennen wir auch dieselbe klassischespäthercynische Disk o r d an z gegen das Mesozoikum, wie beispiels-weise an der Dent de Morcles oder am Tödi. Am Südrand des Mas-sivs sinkt zwischen Cervera de Rio Pisuerga und der Nordwesteckedes altkastilischen Beckens westlich La Vecilla die Kreide in starkenFalten unter das asturische Massiv hinein. Dasselbe erhebt sich daherals gewaltiges Fächermassiv zwischen den Mulden von Oviedo undVecilla-Cervera zur heutigen asturischen Sierra. Gegen Osten sinkt die-

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ses Zentralmassiv auf der Linie Llanes-Reinosa-Cervera, entsprechenddem östlichen Absinken der gesamten Meseta, unter die grosse S e-dimentbriicke von Kantabrien; gegen Westen setzen mit An-näherung an die grosse galicische Axenkulmination der Ibe-riden, die wir noch weiter erkenneH werden, die alpinen Mulden indie Luft, das Gebirge scheint sich zu verbreitern, und der Massiv-charakter zu verflachen. Vielleicht markiert das kleine Miozänbeckenvon Monforte NE von Orense und der Unterlauf des Rio Minho dasAusklingen der alpinen Bewegungen der Asturen gegen den altenarchäischen Block Galiciens hin.

Schliesslich sind ans den Asturen auch Ü b e r s c h i e b u n g sp h ä n o m e n e mit Klippen und Fenstern gemeldet worden. Paläo-zoische Sandsteine ruhen zwischeH Llanes und Santander verschiedent-lich klippenartig der asturisch-kantabrischen Sedirnentbrücke auf, undnördlich der Picos de Europa soll bei Leb e n a ein Kreidefensterunter dem asturischen Massiv zum Vorschein kommen. Dass aberam Bau der Asturen wirkliche Decken alpiner Art beteiligt seien, istdamit nicht gesagt, und nach dem bestehenden Kartenbild auchnicht gerade wahrscheinlich. Die Klippen der Küstenregion mögenvon lokalen Überschiebungsphänomenen im Anschluss an die alpineStauung der asturischen Kette herrühren, und das Fenster von Le-bena scheint vorderhand keineswegs gesichert. Wenn sich auch diebetreffenden Mergel wirklich als Kreide herausstellen sollten, so wäredoch bei der Lage von Lebena in erster Linie an eine Fortsetzungder Mulde von O v i e d o gegen Osten, die ganz wohl lokal vomMassiv der Picos de Europa überschoben sein kann, zu denken. DieÜberschiebung des ganzen asturischen Zentralmassivs auf eine ge-schlossene Kreideplatte zwischen Cervera und Lebena erscheint auchdeswegen noch unwahrscheinlich, weil wir im Westen des Massivs,wo gemäss dem asturischen Axensteigen die Unterlage des gesamtenMassivs zum Vorschein kommen müsste, nirgends auch nur dieSpur einer solchen Kreidebasis entdecken können. Es scheint mirdaher vorderhand der Charakter der. Asturen als eines doppeltenFächermassives von der Art der alpinen Zentralmassive mehrgesichert.

Die Asturen erscheinen als ein alpines Zentralmassiv mitgrossartig erhaltener hercyniseher Struktur. Sie sind damitohne weiteres als prachtvolles Glied der iberischen Vorlandfaltungzu klassieren, sie stellen sogar den Iberidentypus par excellence dar.

Durch die alpine Zusammenstauchung des asturischen Unterbaueszum heutigen Zentralmassiv ist selbstverständlich die Beug un g des

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hercynisch-asturischen Knies um ein Bedeutendes verstärkt wor-den. Auf dieses alpine Zusammenpressen des alten Faltenbogens durchden jungen iberischen Stoss ist vor allem das scharfe Einbiegen derhercynischen Züge parallel zum südlichen Kreidezug zurückzuführen.Daneben erscheinen in der Nähe der mesozoischen Mulden die altenFalten oft gewaltsam lokal in ein ihnen fremdes pyrenäisches EW-Streichen eingelenkt.

Asturen und Pyrenäen sind beides Glieder der iberischen Vor-landfaltung. Hangen sie vielleicht unter der kantabrischen Sediment-brücke direkt miteinander zusammen?

Der Nordteil der Asturen, das eigentliche Küsten-massiv, setzt über Santander, Bilbao und Tolosa in diePyrenäen fort.. Der südliche Hauptstamm des asturi-schen Massivs aber zieht gegen Südosten zum Ebro-becken und erscheint vielleicht wieder in den Sierrenvon Lérida.

Die Muldenzone von Oviedo-Cangas und das nördliche Teilgewölbedes asturischen Massivs ziehen in grossem Bogen über Santander undBilbao zum Westende der PyreHäenmassive bei Tolosa. Die grosseMuldenzone von Cavuerniga, die das eigentliche asturische Zentral-massiv nördlich Potes zerlappt, streicht mit östlichem Axenfallen undallmählicher Verflachung durch die Tertiärmulden von Villarcayo undMiranda del Ebro in die grosse Eozänmulde von P am plo na und T remp.Der südliche Hauptteil des asturischen Massivs ist südlich dieser siche-ren Leitlinie durch die anschliessende breite Gewölbezone direkt insEbrobecken zn verfolgen, und dessen nördlichen Teile sind wohl durchdie Trias-Kreide-Sierren nördlich Huesca und Lérida schwach markiert.Wo diese Sierren fehlen, ist die Fortsetzung des asturischen Massivsdirekt im Untergrund des Ebrobeckens zu vermuten.

Nur ein kleiner Teil der asturischen Kette streichtunter der kantabrischen Sedimentbrücke über Bilbao indie Pyrenäen hinein, der grosse Hauptteil jedoch zieht südlichder Pyrenäen im nördlichen Untergrund des_Ebrobeckens nach Osten.

Pyrenäen und Asttaren scheinen damit einander im Streichenabzulösen. Der nordpyrenäische Deckenbau erreicht dieAsturen nicht, er zieht schon zwischen San Sehastian und Bilbaoins kantabrische Meer hinaus. Pyrenäen und Asturen bilden im NordenSpaniens eine gewaltige Mauer alpiner Zentralmassive, die nur in dergrossen kantabrischen Depression durch die gemeinsame Sediment-brücke derselben unterbrochen wird. Diese kantahrische Sediment-

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brücke verbindet Asturen und Pyrenäen zu einem einheitlichen Ketten-system, das als nördlichstes Glied der Iberiden, der spanischen Vor-landfaltung, die iberische Halbinsel vollständig vom übrigen Europaabschliesst.

Wie endet nun diese nordiberische Kette der Asturen und Py-renäen gegen Osten? Die Asturen dürften im Ebrobecken erlöschen,sie werden durch die gewaltigere Entwicklung der Pyrenäen östlichPamplona mehr als abgelöst. Die Pyrenäen aber scheinen sich an ihremOstende in zwei Äste teilen oder öffnen zu wollen: ihre nördlicheRandzone zieht von Perpignan dem Golfe du Lion ent-lang in die provençalischen Ketten, die damit als Fort-setzung nur der Nordpyrenäen anzusprechen sind, d er südlicheHauptstamm der Pyrenäen aber schwenkt zwischen Techund Figueras in eigentümlicher Weise, aber überausdeutlich, nach Südosten ab. Die Zentralzone der Pyrenäen e r -w eitert sich dabei auf ganz kurzer Strecke auf beinahe das Doppelte.Ihr Nordteil steht ohne Zweifel mit dem Massiv von Toulon, denHyerischen Inseln, den Maures in Verbindung. Der Südteil aher schwenktin der Richtung auf NW-Sardinien hinunter. Erweitert sich am Endehier die pyrenäische Zentralzone zum nördlichen Teil des korsosardi-schen Blockes? Fast scheint es so, wenn wir das eben zu besprechendeAusdünnen der Ebromulde zwischen dem Ostende der Pyrenäen unddem katalonischen Küstengebirge mit dessen altem Bau ins Auge fassen.Es sieht aus, als wollten sich Pyrenäen und katalonischesRandgebirge unter der aushebenden Mulde des Ebro-beckens miteinander zu einem gewaltigen Zentralblockverschweissen, der nichts anderes sein könnte als die grosse k o rs osardischee Masse, ein breites, altes, intrahercynisches Massiv,vergleichbar der böhmischen Masse oder dem französischen Zentral-plateau. Ist aber diese Auffassung erlaubt, und nichts spricht gegensie, so erkennen wir in der Zentralzone der Pyrenäennichts anderes als den enggepressten NW-Ausläufer (leskorsosardischen Vorlandblockes, der damit gegen Westen in undzwischen mehreren Ketten ausspitzen würde. Damit ist aber abermals

. der V o r l a n d c h a r a k t e r der Pyrenäenfaltung dokumentiert, die-selben erscheinen als Vorlandfaltung des korsosardischen Blockes.

Auf jeden Fall ist für die Erkenntnis des europäischen Bauplansdie Tatsache von weittragender Bedeutung, dass sich die Pyrenäenan ihrem Ostende nicht einseitig gegen NE, in die provençalischenKetten und das Massiv der Maures wenden, sondern dass ihre Zentral-zone sich mächtig erweitert und mit ihren südlichen Teilen be-

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stimmt gegen SE hinabzieht. Die enggepressten Ketten der Pyre-näen öffnen sich angesichts des Golfe du Lion, die F a l tun g s -tendenz verliert an Intensität, der Schub voH Süden wirdschwächer.

Pyrenäen und Asturen bilden die äusserste Kettenschar derspanischen Vorlandfaltung. Gegen innen folgt nun, das Becken derEbroniederung südlich umschliessend, der mächtige Kettenwall, derKastilien von Aragon trennt, die sogenannten hesperischen Ketten,die Wasserscheide zwischen Mittelmeer und Ozean. KOBER, KossMAT,

JENNY und STILLE verknüpfen diese Ketten mit dem Alpenstrang aufden Balearen, doch scheint mir diese Verbindung mit den Alpidenebenso ausgeschlossen wie die postUlierte mit den Pyrenäen um dasWestende des Ebrobeckens herum. Die F a c i es dieser Ketten istv o r l an d h a f t wie die der Pyrenäen; Paläozoikum, Trias und Juraerinnern vollständig an mitteleuropäische, z. T. typisch schwäbischeVerhältnisse, von alpinen Sedimenten keine Spur. Auch vonalpinem Deckenbau ist nichts zu sehen, Falten vom Jura- und Dan-phinétypus herrschen vor. Diese Ketten sind jung, alpin bewegtund aufgestaut,' aber mitten im spanischen Vorland; sie hahen mitdem Alpidenzug nichts zn tun, sondern sind nur als der grossartigeAusdruck der iberischen Vorlandfaltung aufzufassen. Sie sind,wie Pyrenäen und Asturen, als C o n tr e c o u p s der alpinen O r o-genese im starren Vorland der Alpiden zu deuten.

Zwei Hauptbündel von Faltenzügen lassen sich hier unterscheiden,die durch den Ostausläufer des altkastilischen Beckens, die Mulden-zone Valladolid—Soria — T e r u e l getrennt sind. Die nördlicheKette umfasst die Sierra de la Demanda, die von Moncayo,Virgen, Vicor, Cucalon, San Yust, die südliche die Sierrenvon Siguenza, Molina und Albarr icin mit den Montes Uni-versales.

- Die nördliche Kette endet bei Burgos und südlich davon,

mit schliesslichem Einlenken in die BW-Richtung, im altkastilischenTertiär, biegt aber dafür im Osten zweifelsohne in die katalonischenRandgebirge ein. Die südliche Kette erreicht bei Castellon de la Planadas Mittelmeer, ebenfalls mit. schwachem Einbiegen in die katalonischeRichtung, die südlichen Zweige streichen gegen Valencia hinaus, dieKette scheint sich also gleichfalls gegen Osten zu öffnen . Daherauch der schon beinahe plateauartige Bau der Gegend zwischen Va-lencia und Tortosa. Auch hier also Anzeichen einer Verflachungder VorlandfaltuHg gegen das Mittelmeer. Ob dies nicht ebenfallsschon der starre Einfluss der korsosardischen Masse ist?

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Gegen Westen aber setzen die südlichen Falten der hesperischenKetten über Siguenza und Atienza weit in die zentrale Meseta hineinfort, ihre Axen heben sich dabei mehr und mehr, und schliesslichbiegen sie um das Nordende des neukastilischen Beckens in das kri-stalline Gebirge der Sierra de G u ad a r r am a ein. Damit ist aberdie Alpidennatur der hesperischen Ketten endgültig besiegelt, dieselbensind ganz direkt mit dem iberischen Vorland, der Meseta ver-bunden. Die hesperischen Ketten erscheinen somit nur als bescheidenerAusschHitt aus dem gewaltigen Kettenzug, der aus der zentralkasti-lischen Meseta, dem Rückgrat Spaniens, nach Osten bis in die kata-lonischen Gebirge zieht.

Die katalonisehen Gebirge zwischen Castellon de la Plana undGerona sind damit gleichfalls als a 1 pi n disloziertes Gebirge aufzn-fassen, sie können nur bedingt als Ausläufer des nngefalteten korso-sardischen Blocks betrachtet werden. Sie sind als dessen von deriberischen Vorlandfaltung ergriffener alpin dislozierter westlichster Teilzu verstehen. Der Faltencharakter der hesperischen Ket-ten bleibt auch im katalonischen Gebirge deutlich ge-wahrt, und zwar bis .gegen Barcelona hin. Nur der Nordteil zeigtmehr hercynische Struktur, die deutlich an Sardinien erinnert. Gegen-über dem östlichen AUsläufer des Ebrobeckens bleibt aber auch deralpine Charakter des n o r d katalonischen Gebirges gewahrt. Im grossenganzen streicht das Iberidenstück des katalonischen Gebirges konformdem Alpidensegment der Balearen. Bei Gerona aber biegt d a sganze Gebirge konform dem südlichen Ast der Pyrenäen,gegen Ost und Südost ins Meer hinaus. Im Scheitel diesesBogens dringen die Vulkanreihen von Olot hervor, das Abbiegen derKette unterstreichend. Von den Pyrenäen bleiben die katalonischenGebirge durch die Jura-Kreide-Tertiärmulde von Olot—Figueras nochreinlich getrennt, doch scheint das AUsheben wenigstens der tertiär enMuldenfüllung schon wenig östlich Figueras sehr wahrscheinlich.

Die Eozämmulde von Olot aber, die im Osten Pyrenäen und ka-talonisch-hesperische Ketten nur in schmalem Zuge von wenig über20 km trennt, erweitert sich gegen Westen zum gewaltigen Bassindes Ebrobeckens. Dasselbe erscheint somit zwischen Pyrenäen undHesperen. nur als eine weitgespannte Mulde grossen Stils, vergleichbarunserem alpinen Molassetrog. Mit seinen 150 km Breite übertrifft esjedoch sogar den Durchmesser des Molassebeckens im Meridian vonRegensburg um mehr als 20 km. Dieses Maximum erreicht das Ebro-becken dort, wo die Hesperen zwischen Zaragoza und Tarragona weitnach Süden zurückbiegen, weithin gefolgt vom Lauf des Ebro. Wo

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jedoch im Osten bei Olot und Gerona, im Westen bei Burgos die hes-perisch-katalonischen Ketten bis nahe an die Pyrenäen und das kan-tabrische Gehirge vordringen, da erscheint dieses gewaltige Beckenauf den engen Raum von wenigen Kilometern zusammengeschnürt undtritt sein eigentlicher Muldencharakter zur EmineHz hervor.

Bei Burgos erlischt nun die nördliche Hesperenkette der Sierrade la Demanda, und erweitert sich infolgedessen der enge Tertiär-kanal zwischen Hesperen und kantabrisch-asturischem Gebirge aber-mals zu einem breiten Muldentrog, dem klassischen Becken -v o nAltkastilien. Dasselbe erscheint nach dem Untertauchen der Sierrade la Demanda als machtvolles Wiedereinsetzen, als grossartige Fo r t-s etzu ng der Ebrobeckenmulde. Wir gelangen damit von Ostenher auf durchaus sicherem Boden zU der wichtigen Feststellung, dassdie grossen Tertiärbecken der zentralen Meseta, wie diesARGAND vermutet hatte, alpine Mulden grossen Stils zwi-schen alpin dislozierten und gehobenen Ketten bedeuten.Doch sehen wir weiter zu.

Als Fortsetzung und Kulmination gleichsam der hesperischen Ket-ten, der Montes Universales, der Sierren von Albarracin und von Mo-lina, erscheint nach prachtvoller scharfer Beugung um die Nordeckedes neukastilischen Beckens der alte Kern der Sierra de Guadarrama,als der Anfang einer langen kristallinen Kettenschar, die ohne Unter-bruch bis hinüber an denBruchrand der portugiesischen Sedimentplattereicht. Das Ostende dieser hastilischen Zentralkette zeigt den Zu-sammenhang mit den sicheren Faltengebirgen der Hesperen in aus-gezeichneter Weise. So dringt das Silur des Guadarrama-Ostendes vonRiaza über Atienza als K eil in den grossen T r i a s k e r n von Siguenza,das Kerngewölhe der Sierra de Molina, ein, und ziehen anderseitsTrias und Kreide, stellenweise auch der Jura der beiden Gewölbe-schenkel weit nach West und Südwest den beidseitigen Flügeln derSierra de Guadarrama entlang. An deren Nordrand ist in der Gegendvon Segovia die altkastilische Kreide z. T. heftig gefaltet,vor dem anrückenden kristallinen Zentralkern energisch zusammen-gestossen. Bei Torrelaguna ist die Kreide N e u k a s t i l i en s mit demKristallin in ähnlicher Weise verzahnt wie die helvetischen Sedimenteam Ostrand des Aarmassivs, und unter den Montes Carpetanos ist dieKreidebedeckung der Meseta in NE streichender Synklinale tief zwi-schen die alten Gneise eingekeilt. Dabei tritt hier wie droben in Astu-rien das Überschneiden der alten Strukturen der Mesetadurch alpine Leitlinien wunderbar hervor, wir sehen die altenFalten der Hispaniden in aller Schärfe an jungen Dislokationen ab-

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schneiden. Die Kreidesynklinale Siguenza—Torrelaguna quert die altenhercynischen Falten unter 90°.

Dieses Überschneiden alter Strukturen durch junge alpine Linien,dieses Abbrechen hercynischer oder noch älterer Falten an jungenalpinen Mulden und Brüchen ist aber keineswegs auf das Ostende derzentralkastilischen Kette beschränkt. Wir finden es bei S e g o v i a,zwischen Madrid und T a l a v e r a, wir finden es wiederum westlichSalamanca. Gegen SW verschwindet mit Annäherung an die zen-trale Meseta auch der letzte Rest mesozoischer Sedimente und trittdas Tertiär der beiden kastilischen Becken direkt an das kristallineGebirge heran. Dasselbe erhebt sich nunmehr als gewaltige Antiklinal-zone zwischen der Tertiärmulde Altkastiliens und derjenigen Neu

-kastiliens. Wie in der Gegend von Burgos, so tritt auch hei Salamancader Muldencharakter des altkastilischen Beckens überaus deutlich inErscheinung, und auf ähnliche Weise spitzt schliesslich gegen Westenauch das Tertiär Neukastiliens in schmalen Muldenkeilen zwischenden Sierren von Toledo und der kastilischen Zentralkette aus; als derT a j o g r a b e n der spanischen Geologen. Gegen Westen übernehmendaher die t e r t i ä r en Becken die Rolle der die kastilische Kettebeidseits hegrenzenden Mulden. An diesen Tertiärmulden nun schneiden,wie im Osten an der Kreide, die alten Strukturen der Meseta oft inrechtem Winkel ab. So stossen NW streichende Falten im Kristallinder Sierra de Gredos an den NE streichenden Bruchrand des neu-kastilischen Beckens, so laufen westlich Salamanca alte, Silur undKambrium umfassende Falten von SE quer auf das NE streichendeMuldenende Altkastiliens.

- Die Sierra de Guadarrama aber ist nur das erste Glied einerlangen kristallinen Kette, die über die S i e r r a d e G r e d o s, dieSierra de Francia, de Gata und Estrella nach Portugalhineinzieht. Die nördliche Begrenzung bildet das Becken von Alt-kastilien, die südliche dasjenige Neukastiliens. Zwischen Sierra deGuadarrama und Gredos erkennen wir eine starke Beugung dieserKette, und im Innern scheinen komplizierte S c h a r u n g e u einzelnerkristalliner Teilketten das Bild zu beleben. Zwischen Sierra de Credosund Sierra de Francia schiebt sich von Osten her eine'Sekundärmuldealtkastilischen Tertiärs, sodass mit der letzteren und der Sierra deGata eine neue Kulisse der kastilischen Kette erscheint. Das auf derMeseta auskeilende spitze Ende der altkastilischen Hauptmulde vonSalamanca scheint diese mittlere Kulisse der Sierra de Gata von derSerra Estrella zu trennen, die damit als abermals neue nördlichsteKUlisse der zentralkastilischen Kette erscheint. Diese an sich recht

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kurzen Kulissen zeugen von der weitgehenden Steifheit der hiervon der Bewegung ergriffenen Materie, und erinnern mit ihren zwischen-geschalteten T e r t i ä r g r ä b en weitgehend an die Gebirge T u r-kestans.

Bis zum Meridian von Salamanca sind nördliche und südlicheBegrenzung dieser gewaltigen zentraliberischen Kette durch die an-liegenden Tertiärmulden ausgezeichnet markiert. Bei Salamanca spitztdas altkastilische Becken in zwei spitzen Keilen beidseits der Sierrade Francia gegen Westen aus, die Muldenaxen steigen überder Meseta in die Luft. Desgleichen endet das neukastilischeBecken in spitzere Keil zwischen Naval Moral und Plasencia. Auchdort steigt der Muldenboden in die Luft, und wir stehen daher beid-seits der Sierra de Gata auf einer grossartigen A x e n k u l m i n a t i o n.Es ist dieselbe, an der im Norden die das asturische Zentralmassivbeidseits begrenzenden Kreidemulden gegen Westen ausheben. Es istdas Ansteigen aller Elemente auf den alten archäischenBlock. Aber während wir im Norden nur die 0 s t seite dieser gross-artigen Kulmination dokumentiert finden, durch das Ansteigen alleralpin-asturischen Faltenaxen gegen Westen, erkennen wir hier imSüden auch den Westabfall derselben gegen Portugal hin. Dortsehen wir nämlich heidseits der kastilischen Zentralkette die überder grossen Mesetakulmination verlorengegangenen, in die Luft ge-stiegenen Mulden, Kreide und Tertiär wieder erscheinen, und wennanch noch durch sekundäre Einflüsse oft unterbrochen, doch deutlichnach Portugal hinunterziehen. So setzt die neukastilische Mul-denzone schon an der portugiesischen Grenze nördlich Alcdntara wiederein und leitet SE Castel Branco eindeutig hinab in das grosse Ter-tiärbecken des T e j o. Nördlich der Serra Estrella erscheinen, wennauch vielleicht nicht im direkten Streichen der a l t k a s t i l i s c h e nMuldenspitzen von Ciudad Rodrigo, NE streichende Kreidezüge süd-östlich C o i m b r a , die die hier heinahe NS streichenden alten Faltender Serra Estrella überkreuzen. An dem grossen Bruch, der ganzWestportugal durchreisst, ist das ganze Gehirge Spaniens plötzlichin die Tiefe gerückt und erscheint, aus seiner Höhe über der Mesetaplötzlich wieder tief versenkt, der m e s o z o i s c h e Sediment -m a n t e l derselben. Und da nun erkennen wir die Fortsetzung unsererzentraliberischen Ketten der Meseta im niedergebrochenen BruchflügelPortugals in aller Deutlichkeit. Das kristalline Gewölbe der SerraE s t r 011 a setzt fort im Trias-Jura-Kreidegewölbe, das von C o i m-b r a bis hinab gegen Lissabon zieht. Die nördlich anschliessendeSynklinalzone erkennen wir in der Mulde von L e i r i a, die südlich

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anschliessende neukastilische Mulde im T ej o b e c k e n. An dem grossenBruch von Coimbra aber ist die ganze grosse westliche Bruchplatteum 20 km nach Norden verschohen, sodass heute die Bruch-stücke östlich und westlich desselben nicht mehr ganz aneinanderpassen. Trotzdem aber ist der grosse Zusammenhang üher allen Zweifelerhaben.

Wir sehen daher in den Trias-Jura-Kreidezügenzwischen Coimbra und Lissabon das jenseits der Meseta-kulmination wieder einsetzende Mesozoikum der zen-traliberischen Kette, das Gegenstück und die Fort-setzung der hesperischen Ketten. Von Coimbra bis gegenCintra hinunter ziehen diese FalteH nach Südwest und sogar Süd.Im südlichen Teil jenes herrlichen Landstriches hingegen biegen dieseKetten, parallel der Serra Arrabida, westlich Cintra in den Ozeanhinaus. Als Ganzes aber sind sie, gegenüher den entsprechendenElementen der Meseta, um über 20 km nach Norden gerückt. Eindeutlicher Beweis für aktiv e alpine Bewegung im südlichen Hinter-land Portugals.

Damit haben wir quer durch ganz Spanien, von den kata-lonischen Bergen und der Küste von Valencia durch die hesperischenund kastilischen Ketten bis hinüber an den Ozean, eine gewaltigeKettenschar alpiner Entstehung, quer durch alle alten Strukturen,erkannt. Die Tafelländer und Becken der Meseta, der alte Zug derHispanideH, ja der alte archäische Block der zentralen Meseta selbst,alles wird ohne Unterschied einheitlich vom alpin-afrikanischen Schuberfasst und entsprechend seiner relativen Steifheit oder Plastizitätdeformiert. Die mesozoischen Gebiete zu echten Faltengebirge nzusammengestaut, die starren Massen der Meseta längs Brüchenund l i s t r i s c h e n Flächen emporgetragen. Die Bruchplatte Por-tugals endlich wird ganz aus dem Zusammenhang mit der Mesetagelöst und selbständig in grossartiger T r a n s v e r s a l v e r s c h i e b u n gnach Norden gestossen.

Eine gewaltige zentraliberische Kette durchzieht die ganzeHalbinsel, von Katalonien bis nach Lissabon hinab. NormaleFaltengebirge wechseln mit kristallinen „Horsten" und Kernen, jenach Material und Axenschwankungen. A us dem norm a l e n Falten -gebirge der hesperischen Ketten gehen gegen Westen ohneH i a t u s die grossartigen kristallinen Ketten der Mesetahervor, und wo diese im Westen wieder zur Tiefe sinkt,erscheiHen die normalen Sedimentgewölbe Portugals. ARGAND

hat vor kurzem seiHe zentraliberischen „Plis de fond" mit dem

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S y n k l i n a l charakter der beidseitigen B eck en demonstriert; ichglaube heute diese gewaltige Vorlandfaltung noch viel eindrucks-voller mit der Verfolgung der kristallinen Ketten in dieöstlichen und westlichen Faltengebirge zeigen zu können.Diese A n t i k l i n a l zonen sind weit klarer zu fassen als die weitenSynklinalbecken, die nur an ihren ausgespitzten Enden sicherenMuldencharakter zeigen. Erst die wahre Erkenntnis der wirklichenGrund g e w ö l b e gibt hier die volle Klarheit, und diese Gewölhenaturder zentraliberischen Ketten glanbe ich nun eingehend erwiesen zuhaben.

Mit den beiden grossen Ketten der Pyrenäen —Asturen undder iberischen Zentralkette sind die grössten Phänomene deralpineH Vorlandfaltung erkannt. Neben denselben treten alle ührigenContrecoups im Vorland als verschwindend kleine Dinge zurück. Aberdie Vorlandfaltung macht südlich dieser beiden grossen Ketten keines-wegs Halt, sie macht sich, wenn auch in weit schwächerem Masse,auch im Süden, gegen die betischen Ketten hin, noch sehr bemerk-bar. Hier leiten nun beinahe ausschliesslich die Ter t i ä r b e c k enunsere Erkenntnis. Da sehen wir parallel dem Abbruch der SierraMorena zum Guadalquivir das B e c k en der Man c h a über Ci u d a dReal bis Almédovar del Campo zwischen die Meseta eindringen, underkenHen jenseits der Kulmination von Almadén die Fortsetzung dieserersten Muldenzone im Becken von Badajoz —Villanueva dela S er ei n a. Diese Mulde grossen Stils zerschneidet das alte Ge-birge südlich der Tejo-Tajomulde Portugals und Kastiliens in zweieigene kristalline Gewölhe mit weitgespannter Amplitude. Die ZoneToledo -Alcdzar de San Juan— Montes de Toledo — Sierrade Guadalupe —Cdceres—Portalegre, und die eigentlicheSierra Morena zwischen Ciudad Real—Alcardz und Algarve, dievielleicht in der Gegend von Beja abermals geteilt ist. Die nördlicheZone der Montes de Toledo findet westlich des grossen portugiesischenBruches ihre Fortsetzung wohl in der Serra A r r ab i d a westlichvon Setubal, die mit schwachem SW-Streichen den Ozean erreicht.Die südliche Zone der Sierra Morena zieht durch die Provinz Huelvaohne Unterbruch am Nordrand der mesozoischen Falten der Algarvenach Westen, die trennende Muldenzone Ciudad Real— Badajoz end-lich ist wohl im Tertiärgebiet südlich Setubal zu suchen.

Gegen Osten taucht die Sierra Morena zwischen Manzanaresund Villacarillo gegen Albacete hin unter ihren SedimeHtmantel. DieArt und Weise dieser Verbindung zeigt deutlich, dass dieser Block

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von tertiären Bewegungen noch ergriffen worden ist, wir haben da-her hier abermals. die Verbindung eines auf der Mesetakulminationnur durch die Verteilung der Tertiärbecken und seine Brnchbegrenzungangedeuteten mesetischen G r u n d g e w ö l b e s mit einem sichern, wennauch schwach bewegten sedimentären alpinen Faltenland.Dasselbe zieht nun am Ostabfall der Meseta zwischen betischen Kettenund dem neukastilischen Tertiär gleichfalls noch weit gegen Ostenbis hinab an die Küste von Valencia. Das neukastilische Becken wirddort vor dem Andringen des alicantischen Bogens der betischen Kettemehr und mehr zusammengedrückt und spitzt wie Ebrobecken undAltkastilien gegen Osten aus. Nur zwischen Casas Ibanez und Valenciaerreicht ein schmaler Streifen zwischen zentral- und südiberischenKetten das Meer.

Damit hahen wir Verbreitung, Art und Zusammenhang der Ibe-riden Spaniens und Portugals skizziert. Vier grosse Ketten, vonNord nach Süd an Intensität der Bewegung und an Höheabnehmend, durchziehen weithin, quer durch alle altehispanide Struktur, konform den jungen alpinen Ketten Anda-lusiens und Murcias, das iberische Hochland:

1. die Pyrenäen und Asturen;2. die zentraliberische Kette zwischen K a t a l o n i e n und

Lissabon;3. das Gewölbe von Toledo — Caceres — Portalegre —

Arrabida;4. die Sierra Morena von Algarve bis Valencia.

Dazwischen schalten sich drei mächtige Muldenzonen ein:I. Zwischen 1/2: die Mulde Olot -Ebrobecken - Burgos-

Altkastilien-Salamanca-Coimbra-Leiria,II. Zwischen 2/3: die MuldenzoneNeukastilien—Tejobecken.

III. Zwischen 3/4: die Muldenzone S e t u b a l- B a d a j o z- C i u d a dReal-Valencia.

Daneben greifen sekundäre Mulden noch verschiedentlich in denKörper der Meseta ein. Alle Muldenelemente aber heben auf einegewisse Strecke über der zentralen Meseta aus, um erst jenseits der-selben wieder im Gebirge einzusetzen : Alle diese Mulden kul-minieren zwischen Kastilien und Portugal auf einer Linie,die von Cortina im Norden über Orense, Guarda und Câcereshinunter nach Andtijar am Guadalquivir zieht. Ist es ein Zu-fall, dass wir in gerader Verlängerung dieser Linie auf den Dom derSierra Nevada gelangen? Und dass vor dieser gewaltigen Vorland-kulmination die betischen Ketten in kräftiger Beugung durchziehen,

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dass endlich im Grossen auch die betischen Vulkane im Streichendieser Linie liegen?

Westlich scheint dieser iberischen Hauptkulmination, dieim Süden ganz bedeutend von der von ARGAND skizzierten abweicht,eine sekundäre portugiesische vorgelagert zu sein, die aus der Ge-gend der Serra Estrella über Portalegre und Evora gegen Tavira inAlgarve hinabzieht. Dazwischen erscheint eine Axendepression,gegeben durch die Punkte Castel Branco — Badajoz, die weiterungefähr dem Lauf des Guadiana entlang hinab gegen Huelva zieht,und die wir als Ursache der grossen Axensenke am Golf vonCadiz betrachten, in welche an der Strasse von Gibraltar der alpideKettenfächer nach Westen sinkt.

Im Osten der mesetischen HauptkUlmination endlich erkennenwir, parallel zur selben, die weite Depression zwischen A.sturenund Pyrenäen, kastilischer und katalonischer Kette, diewiederum mit einer Axensenko der betischen Ketten zusammenfällt,in der zwischen Elche-Alicante und Mallorca sämtliche triadisch-jurassischen Faltenkerne unter Kreide und Tertiär verschwinden. Eingrossartiges Zusammenspiel von Vorland und alpiner Kette offenbartsich hier in den grossen Zügen des Baues, wir kommen noch daraufzurück. Vorland und alpine Kette, Meseta und betische Kor-dillere, Iberiden und Alpiden, sie sind • durch diese gross-artigen Gesetzmässigkeiten zu einem einheitlichen Systemverbunden. Sie alle tragen den Stempel einer einheitlichen Ent-stehung, der sie als Konsequenzen einer einzigen grossen Grundursacheerkennen lässt. Quer zu aller alten Struktur ist das spanischeVorland zu den Faltenzügen der Iberiden deformiert worden, weithinkonform aber dem gewaltig andrängenden Wall der Alpidenin der Betischen Kordillere, und damit der Nordfront Afri-kas. Wer mag die Zusammenhänge zwischen diesen drei Erschei-nungen leugnen? Der afrikanische Koloss schob eben „sein" Vor-land gewaltig zusammen, die Tethys zur Betischen Kordillere,das Vorland zur Kettenschar der Iberiden. Die Iberiden er-scheinen als Contrecoups des gleichen Vorganges, der die Alpidenschuf, es sind die Contrecoups des grossen afrikanischenNordstosses.

Damit kommen wir

Zur Deutung der iberischen Vorlandfaltung.

Dass die iberische Vorlandfaltung zeitlich mit dem alpinenZyklus znsammenhängt, zwar mit verschiedenen Einzelphasen, dürfte

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nicht dem geringsten Zweifel unterliegen. Hingegen stehen einanderzwei Ansichten über die Ursachen des Phänomens gegenüber.

ARGAND hat in seiner weitgreifenden „Tectonique de l'Asie"dasselbe, was ich im „Bau der Alpen" Vorlandfaltung nannte,aufgelöst in die oberflächlichen „ Plis de couverture" und dietiefgreifenden „ Plis de fond ". Beides ist im Begriff der Vorland-faltung zusammengefasst. Wo nur die sedimentäre Tafel des Vor-landes, ohne Mitheteiligung des alten Unterbaues, zu Falten zusammen-gestossen ist, erkennen wir das Regime der Plis de couverture, wiebeispielsweise im Jura, im Pariser- und Londonerbecken, - im saxoni-schen Faltungsfeld. Wo aber die Vorlandfaltung auch den altenUntergrund ergreift, wie in den Iberiden, oder den europäischen„Horsten" oder den Vorlandgebirgen Zentralasiens, da stehen wir vorden grossartigen Plis de fonds, den Grundgewölhen ARGANDS. Die Plisde couvertnre sind nur der schwächere Ausdruck einer Vorlandfaltung,und der Unterschied zwischen Plis de fond und Plis de couverture istnur ein gradueller. Der Begriff der Vorlandfaltung scheintdaneben anch in dem Sinne noch etwas präziser, als ARGAND auchinnerhalb der jungen Geosynklinelgebirge Plis de fond uHd Plisde couverture kennt, dieselben somit so ziemlich überall vorkommen.Bei der Vorlandfaltung jedoch ist deutlich gesagt, dass sie auf daseigentliche Vorland der jungen Ketten beschränkt ist. Doch dassind reine Nomenklaturfragen, die in keiner Weise das Wesen derSache berühren. Viel nützlicher ist es, die sachliche ÜbereinstimmuHgzwischen ARGAND und mir in diesem Punkte hervorzuheben. Wir be-zeichnen heide dasselbe Phänomen nur mit verschiedenen Namen.

Über den Begriff einer mächtigen alpinen Vorlandfaltung sindARGAND und ich vollständig einig. Nicht aber über die Ursachen der-selben. ARGAND sieht in seinen grossen Plis de fond Aeusserungenlediglich intrakontinentaler Energien, die genetisch als völligunabhäHgig von der alpinen Faltung der mediterranen Ketten gedeutetwerden. Ich hingegen sehe in der Vorlandfaltung des alpinen Zyklusnur den grossartigen Contrecoup des gleichen gewaltigen Vor-ganges, der im Süden die Alpiden schuf; ich führe beide Phänomene,Alpidentürrnung und Vorlandfaltung, auf die gleiche Ursache zurück,auf den Nordstoss der afrikanischen Masse. Die Ursache der Alpen-faltung ist auch die Ursache der Vorlandfaltung, und aus diesemGrnnde habe ich diese letztere auch als alpine Contreeoups, alsContrecoups der Alpenfaltung, oder überhaUpt als Contrecoups desafrikanischen Nordstosses bezeichnet. ARGAND ist der Meinung, dieVorlandfaltung der alpinen Ketten wäre auch ohne jede Alpen-

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faltung, rein intrakontinental, zustandegekommen, während ich diesfür absolut ausgeschlossen betrachte. Schon im „Bau der Alpen"habe ich auf die AbhäHgigkeiten der grossen eurasiatischen Scha-rungen und der Intensität der Vorlandfaltung vorn Vordringendes Gondwanablockes hingewiesen, einen tatsächlich bestehendenZusammenhang, der die Abhängigkeit der grossen Vorlandphänomenevom alpin-afrikanischen Nordstoss überzeugend dartut. Wenden wiruns nun der iberischen Vorlandfaltung in concreto zu.

Da ist zunächst rein äusserlich schon auffallend die weitgehendeKonformität der iberischen Vorlandketten mit der Be

-tischen K o r d i l l e r e, und dies trotz absolut Unkonformem Unter-grund. Die beiden südlichen Ketten der Sierra Morena und der Montesde Toledo sowie der West- und Ostteil der zentraliberischen Haupt-kette, sind dem betischen Gebirge fast parallel. Daneben aber äussernsich auch tiefere Zusammenhänge zwischen beiden Systemen. BeideGebirge, Alpiden und Iberiden, werden von den s e l b en grossartigenA xe n s c h w a n k u n g e n durchzogen. So setzt die Kulmination der Me-seta, die grosse westliche Kulmination der Iberiden, von Coruna überCâceres und Andujar ohne jeden Hiatus in die grosse Kulmination derSierra Nevada fort; die westlich daran anschliessende AxendepressionCastel Branco — Badajoz hingegen streicht zum Golf von Cadiz hin-unter, gegen den wir an der Strasse von Gibraltar sämtliche betischenStrukturelemente westwärts untertauchen sehen. Die östlich der Meseta-kulmination folgende grosse Axensenkung zwischen Asturen und Py-renäen setzt von Kantabrien, östlich der kastilischen Becken, i nauffallender Parallelität , über die Depression zwischen kasti-lischer und katalonischer Kette, in die grosse Axensenke der betischenFalten zwischen Alicante und IVIallorca. Die grosse Pyrenäenkulmi-nation endlich zieht über die bis aufs Kristallin entblössten katalo-nischen Falten, ebenfalls in gleicher Richtung, auf Menorca zu, dessenpaläozoikumreiche Falten uns abermals eine Kulmination der BetischenKette illustrieren.

Die grossen Axensehwankungen der Iberiden und Alpidensind also dieselben. Sie ergreifen beide Gebirgssysteme in g l e i c h erWeise und nach den se lb en Gesetzmässigkeiten. Schon hieraus er-gibt sich der ursächliche Zusammenhang zwischen beiden.

Ein zweiter wichtiger Punkt für das Verständnis ist die Tatsache,d ass die grossen Beugungen der Iberiden wiederum zusammen-fallen mit entsprechenden Beugungen der Betischen Kordillere.So sehen wir vor der grossen Beugung des betischen Gebirges imRaume zwischen Mancha Real und Cabo de Gata auch die iberischen

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Ketten bis nach Altkastilien hinüber von einer analogen Beugung er-griffen. Die Beugung von Toledo, — zwischen Sierra de Gua-darrama und Sierra de Gredos, und in den Montes de Toledo, süd-lich Ciudad Real, — sie ist dieselbe wie die von Alm e r i a. Undzwar scheint diese iberide Beugung deutlich durch die Betische Kor-dillere dirigiert, und nicht umgekehrt diese letztere sich einer schonbestehenden Beugung der Iberiden anzupassen. Wäre dies der Fall,so müssten wir wohl die grössten vulkanischen Erscheinungen in derkastilischen Meseta, von Linarés bis hinauf nach Toledo und weiter,erkennen können. Statt dessen aber beginnt der vulkanische Riss schonbei Almeria und reicht nur bis Ciudad Real, es geht also die den Risserzeugende Beugung nicht von der Meseta und damit den Iberiden,sondern von der alpinen Zone, und letzten Endes deren Hinterlandaus. Auffallend bleibt die Beugung Almeria—Toledo auf jeden Fall.Eine zweite grosse Beugung der Betischen Kette erkannten wir zwi-schen dem Bogen von A l i c a n t e und den Balearen. Dieser überauskräftigen Beugung, — siehe die Zentralzone, — der alpinen Kettesteht im Vorland die eben so ausgeprägte zwischen he s p er i s ch e mund k a t a Ionisch e m Segment der zentraliberischen Kette gegenüber.Auch hier ist ein enger Zusammenhang zwischen Iberiden und Alpidennicht zu verkennen. Daneben scheinen sich die iberischen Ketten untersich und mit den alpinen zwischen Valencia und den Pyrenäen weit-gehend zu schare n. Die zentraliberische Kette, die im Westen inKastilien an die 200 km nördlich der Alpiden durchzieht, nähert sichbei Valencia der betischen Front auf wenige Kilometer, und das da-zwischenliegende neukastilische Becken spitzt in enger Mulde da-zwischen aus. Auch innerhalb der hesperischen Ketten lässt sicheine Scharung in der Richtung auf das Mittelmeer zu erkennen, manbetrachte nur die Virgation der Ketten zwischen Sierra de la Demandaund Sierra de Guadarrama, die östlich Teruel zu einem einzigen Falten-block sich verknüpfen. Und schliesslich scharen sich, vor dem gewal-tigen Vorstoss der Alpiden auf den Balearen, auch die im Westenweitgetrennten Ketten der Asturen und Pyrenäen mit derzentraliberischen Kette von Katalonien, und hebt die zwi-schenliegende Mulde des Ebrobeckeus beinahe völlig nach Osten aus.Lauter Dinge, die sich ohne den kräftigen Vorstoss der Alpiden öst-lich Almeria nur schwer erklären lassen, und die in sichtlichem Zu-sammenhang mit den alpinen Leitlinien stehen.

Aber auch die grossen Gebirgsbogen der Alpiden finden im ibe-riden Vorland ihre Abbilder. Da ist zunächst der weitgespannteBogen der zentraliberischen Ketten zwischen Lissabon Und Siguenza,

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der der betischen Front direkt par alle 1 läuft. Im Segment derS a g r a- Se g u r a, im Süden zwischen Almeria und Cartagena, sehenwir die alpine Kette in ausgeprägtem Sonderhogen nach Norden vor-springen; vor seiner Front erkennen wir den grossen Bogen, der dieSierra de Guader'arna mit den südlichen Hesperen verbindet.Im Abbiegen der katalonischen Randkette, der Ebro-mulde und der Pyrenäen gegen Südosten erkennen wir denfernen Ausklang des grossen B a l e a r e n b o g e n s zwischen Mallorcaund Menorca. Der ganze Ostrand des Ebrobeckens mit den kataloni-schen Ketten läuft parallel dem alpiden Segment der Balearen. Undentsprechend dem Abbiegen der betischen Kette am Golf von Cadiz,gegen Südwest, nicht gegen Afrika, sehen wir endlich das zentral-iberische Gebirge von der Serra E s t r e l l a an nicht mehr gegenWesten, sondern gleichfalls gegen Südwesten ziehen.

Das sind auf jeden Fall Zusammenhänge, die auf enge genetischeBeziehungen zwischen Iberiden und Alpiden hinweisen. Natürlich sindauch Unstimmigkeiten vorhanden. Aber solche liegen im ver-schiedenen Reagieren des so mannigfaltigen Untergrundes. Welchbuntes Mosaik ist doch von dieser V orlandfaltung ergriffen worden,und wie verständlich werden die Launen der Iberiden, ihre Extra-vaganzen, wenn wir uns vor Augen halten, wie wenig wir eigentlichvom Untergrund der grossen Tertiärbecken wissen. Die ibe-riden Falten schmiegen sich eng uni diese Senken herum, und fasterweckt es den Anschein, als ob in ihrem Untergrunde alte steifeMassiv e die sie umschlingenden Falten dirigieren würden. Wenn abersolche Möglichkeiten bestehen, so sind die Extravaganzen der Iberidenin bezug auf ihre Richtungen ohne weiteres zu verstehen, und können

.nicht mehr gegen ihren Charakter als alpine Contre-c o up s ins Feld geführt werden. Vom Ebrobecken wissen wir ja, dassTeile des grossen asturischen Massivs an seiner Zusammensetzung teil-nehmen müssen, und so wird gerade die merkwürdige Umschlingungdes Ebrobeckens durchaus verständlich. Die Iberiden müssen garnicht absolut konform dem Alpidenstrang sein. Wenn sie dies aberauf weiten Strecken sind, um so besser, und ein um so deutliche-res Zeugnis für ihren Charakter als alpine Co n t r e c o u p s. Un-bedingt nötig ist diese Konformität aber nicht, und dieselbe musssogar gestört sein, wenn wir das bunte Mosaik des iberischen Vor-landes in Betracht ziehen. Und innerhalb der alpinen Gebirge selbersind beispielsweise Karpathen und dinarische Ketten nicht konformerals die Iberiden und Alpiden Spaniens dies sind. Und doch sind Kar-pathen und Dinariden durchaus einheitlicher Entstehung, und sogar

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Glieder eines einzigen, in sich geschlossenen Gebirgssystem. Was sollenwir uns daher über die gelegentlichen Seitensprünge und Abweichungender iherischen Ketten wundern. Die Diskrepanzen zwischen Iberidenund Alpiden sind nicht grösser als die zwischen Karpathen und Di-nariden, im Gegenteil.

Nach alledem glaube ich, dass Iberiden und Alpiden genetischwirklich enge zusammenhängen, und dass die iberische Vor-ldanf a l t u n g, wenn auch intrakontinental ausgelöst, doch eingewaltiger Contrecoup der Alpenfaltung, im Grundegenommen des afrikanischen Nordstosses ist. Und wennARGAND heute seine Plis de fond auf das Wandern der Kontinenteüber einem ungleichmässigen Simauntergrund zurückführt, so ist ebenhier, in Spanien, wie in Asien, dieses Nordtreiben des Vorlandkontinentesnicht ein Phänomen für sich, sondern als solches eng ver-bunden mit der Alpenfaltung und dem indo-afrikanischenNordstoss. Ohne den Nordstoss Afrikas gäbe es weder Al-piden noch Iberiden noch eine asiatische Vorlandfaltung, diesesganze riesige Phänomen der eurasiatischen Vorlandfaltungist mit der Genese der Alpiden und ihren Ursachen auf dasallerengste verknüpft. Der Vorgang der Alpenfaltung bleibt ebennicht bloss auf die G e o s y n k l i n a l e der Tethys beschränkt, sondernderselbe erfasst üherall, wie ja schon im klassischen Gebirge der Alpenselbst, weitgehend auch die starren Vo r 1 ä n d e r. Das eurasiatischeGebiet im Norden, das indo-afrikanische im Süden. Wir müssenheute zum alpinen Orogen nicht nur den Zug der Alpidenrechnen, sondern die ganze in Mitleidenschaft gezogeneZone zwischen Pyrenäen und Atlas. Das alpin-eurasiatischeOrogen setzt sich zusammen aus der zentralen Zone derAlpiden, entstiegen der alteH Tethys, und zwei mächtige nRandzonen alpiner Dislokation, die weithin in die beidseitigenVorländer eindringen. Was in Mitteleuropa an alpinen Contre-coups noch erscheint, bedeutet nur noch einen schwachen Ausklangdes grossartigen alpinen Gesamtsystems. In Spanien allein treffenwir auf europäischem Boden die grossartige Gliederung des eurasi-atischen Gesamtorogens, und nur Spanien und sein Gegenpol Marokkokommen daher für ernsthafte Vergleiche mit Asien in Frage. DieIberiden entsprechen der Vorlandfaltung Zentralasiens, sie sindein integrierender Bestandteil des alpinen Orogens, sie beglei-ten als dessen Nordrand überall den zentralen Alpidenstamm.

Das alpine Orogen des westlichen Mittelmeeres kann daherin drei grosse Einheiten gegliedert werden: den zentralen

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Stamm der Alpiden, die nördliche Vorlandfaltung der Iberiden,und schliesslich die Faltung (les afrikanischen Rücklandesin den Marokkiden. Kwenlun, Tianschan und Himalaya sind dazudie asiatischen Gegenstücke.

Damit verlassen wir die Iberiden und wollen nun noch unter-suchen, ob sich aus dem so gewonnenen StruktUrbild der iberischenHalbinsel vielleicht noch weitere Anhaltspunkte ergeben

Zur Kenntnis der alpinen Leitlinien im westlichenMittelmeer.

Zunächst ist a priori endgültig zu verlassen die These von SUESS,

dass der Alpidenzug vom Appenin auf dem Umweg über Atlas undRif durch die Strasse von Gibraltar in die Betische Kordillere ziehe,und auf den Balearen im freien Ende erlösche. Diese alte SuEssscheSchlinge des Alpidenzuges, an sich schon schwer verständlich, fälltheute dahin, da die Verbindung über den Atlas als unzulässig er-kannt worden ist. Nichts hindert uns deshalb heute, den Alpenstrang,der durch den Apennin und Ostkorsika hinunterzieht, um die grosseEcke von Sardinien herum direkt mit dem Ostende der betischenKetten auf den Balearen in Verbindung zu setzen; die helvetischenRandbogen mögen vielleicht über die Westseite von Korsika nochetwas nach Süden ziehen und auf dem alten Schild schliesslich er-löschen. ARGAND, FALLOT und ich haben gleichzeitig diese Verbindunggefordert, jeder von andern Gesichtspunkten aus, und die Balearen,wie früher in aHderm Zusammenhange allerdings auch schon TERMIER,

als das alpennächste Glied der spanisch-marokkanischenAlpiden betrachtet. Während ich aber im „Bau der Alpen" die Alpiden-beugung um die korsosardische Ecke als ein primäres Phänomen,verursacht durch den Widerstand des alten korsosardisch-katalonischenBlockes, analog der Beugung der Karpathen am Eisernen Tor auffasste,kommt ARGAND zu ganz anderen Schlüssen. Während für FALLOT und fürmich der intraeuropäische Znsammenhang und die primäre Form desAlpidenstranges gewahrt bleiben, lässt ARGAND die heutigen Bruch-stücke der Alpiden im westlichen Mittelmeer durch weitgehende nach-trägliche Zerreissungen aus einem ganz andern primären Alpiden-verlauf erstehen. Nach meiner Auffassung schweHkt der Alpidenstrang,vom Ozean herkommend, und in den Balearen weit nach Norden vor-stossend, in gewaltiger primärer Beugung über Sizilien, den Apenninund Korsika hinauf zu den Alpen. ARGAND jedoch legt Korsika-Sar-dinien saint ihren Schelfen an die Küste Kataloniens, Sizilien und

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den Apennin südlich an die Sierra Nevada, das Rif an die Faltender Algarve, und lässt die heutige Form des Alpidenzuges als eineschwer deformierte , zerhrochene und zerrissene durch grossartigeBlockverschiebungen zwischen Europa und Afrika, und dieLoslösung Korsosardiniens von Katalonien entstehen. Nachihm zog einst der Alpenzug von Valencia nördlich der Balearenam Südostrand des an Katalonien geklebten korsosardischen Blockesin NE-Richtung weiter direkt auf die Alpen zu, und erscheint derBogen der Balearen als eine sekundäre Folge des AhschwenkensSardiniens nach Südosten. Der „Bogen von Gibraltar" entsteht nachARGAND durch verstärktes Westtreiben Eurasiens gegenüber Afrika,und nachträgliches EiHklemmen der Ketten zwischen spanischer undmarokkanischer Meseta.

Die Diskussion der beiden Anschauungen läuft auf drei Haupt-punkte heraus:

Ist der Bogen der Balearen etwas primäres oder se-kundäres? Sind Anzeichen für ein primäres Nordost-streichen der Alpiden längs der katalonischen Küstevorhanden? Und besteht endlich das Umschwenken der Be-tischen Kette an der Strasse von Gibraltar?

Es ist klar, dass diese Fragen nur im Zusammenhang mit demBau der Umgebung diskutiert werden können, und dass danehenmanches auch lediglich Auffassungssache bleibt. Doch scheinen mireine Reihe von Punkten im Strukturbild Spaniens geeignet, auf diesestrittigen Punkte, die für die ganze Auffassung des Westendes Eur-asiens von grosser Bedeutung sind, ein neUes Licht zu werfen.

Da ist zunächt der Bogen der Balearen, der Mallorca- undMenorcastreichen zusammenschliesst. Derselbe kommt sowohl im beid-seitigen Streichen der Faltenzüge wie auch im Verlauf des unter-meerischen Sockels. der Inseln deutlich zum Ausdruck. Sowohl ARGAND

wie FALLOT nehmen den gleichen Bogen an. Nur soll er nach ARGAND

durch den Stoss des nach SE zUrücktreibenden Sardiniens rein sekundärbedingt worden sein. Gegen diese Auffassung sprechen einmal diestratigraphischen Befunde FALLOTS, nach denen die g e o s y n kl in a l eTethys stets südlich der Balearen bleibt, und mit Sizilienin direkter Verbindung stand. Sodann ist es sehr auffallend, dass derScheitel des Balearenbogens zwischen den beiden Inseln, p a r all e ldem Verlauf der Mesetakulmination, gegen NNW genauauf die analoge Abbiegung eines iberischen Struktur-elementes hinweist, nämlich den Bogen der Mulde von Olotund das Abschwenken der katalonisch-pyrenäischen Gebirge gegen SE.

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Bei Gerona und Olot wiederholt sich der Balearenbogen inunzweifelhafter Weise im iberischen Vorland. Ein solches Zu-sammentreffen ist aber nur denkbar, wenn eben der Alpidenbogender Balearen schon primär tatsächlich bestanden hat. Nur mit demverstärkten Vordringen der Alpiden im Bogen der Balearen ist derBogen von Gerona im iberiden Vorland zu erklären. Dass sich derBalearenbogen in grossen Zügen auch im Verlauf der provençalischenKetten um den Golfe du Lion spiegelt, sei nur nebenbei bemerkt. Aufjeden Fall aber deutet das Abbiegen der nördlichsten Iberiden inKatalonien, am Ende der Pyrenäen und in der Provence gegen SEweit eher auch auf ein primäres südöstliches Abbiegendes Alpidenstranges zwischen heutigem Menorca nndSardinien hin. Dieser Bogen von Gerona—Olot, und der der Pro-vence bleiben bei ARGANDS Annahme einer direkten NE streichendenFortsetzung der Betischen Kette längs der katalonischen Küste in dieAlpen unerklärt.

Die Anzeichen für eine solche direkte alpine Nachbarschaftder katalonischenI£iiste sind überhaupt durchaus negativ. Daseinzige wäre das katalonische Faltengebirge selher, doch zeigen geradedie Verhältnisse in Spanien, dass sich Gebirge solcher Art auch weit vonjeder alpinen Kette entfernt bilden können. Es sei nur an die He-speren, Pyrenäen, Asturen und ihre Distanz von der Betischen Kor-dillere erinnert. Viel wichtiger ist der Verlauf der ostspanischenGebirge, ihre Enden am Mittelmeer, und die Intensität ihrerFaltung. Und da lässt sich nun wiederum sagen, dass nichts aufdie unmittelbare Nachbarschaft eiHer alpiden Kette zwischen Valenciaund Narbonne schliessen lässt, dass im Gegenteil alle Anzeichen dafürvorhanden sind, dass der Alpidenstrang sich von der spanischenKüste entfernt. Wie dies ja auch durch die eben dargelegte primäreNatur des Balearenbogens dokumentiert wird.

Da sehen wir zunächst, dass nur die alleräussersten Hes-perenketten um den Südrand der Ehrobeckens in die katalonischenGebirge einschwenken. Die grosse zentraliberische Kette der kasti-lischen Sierren und der Montes Universales hingegen zieht bei Ca-stellon de la Plana mit ENE-Streichen hinaus ins Meer. Dannaber sehen wir zwischen Barcelona und Narbonne auch die katalo-nischen und pyrenäischen Ketten samt der zwischen sie eingebette-ten Ebromulde nach Osten und Südosten ins Meer hinaus-ziehen. Ein Verhalten der Vorlandfaltung, das bei aller sonstigenÜbereinstimmung mit den Alpiden unbegreiflich wäre, wenn die Al-piden im Sinne ARGANDS wirklich parallel der katalonischen Küste

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gegen die Côte d'Azur hinaufgezogen wären. All e diese i b er i -schen Ketten wären dabei quer auf die Alpiden zuge-l au f en , während sie sich bei der Annahme eines p r i m ä r en s ü d-östlichen Abschwenkens der Alpiden auf Menorca harmo-nisch zum Alpidenstrang beugen, wie auf der iberischenHalbinsel selber auch. Das Abbeugen der Pyrenäen und Kata-lanen gegen SE scheint mir unvereinbar mit einem primärdirekt von den Balearen in die Westalpen laufenden Alpiden

-strang. Daneben aber haben wir endlich gesehen, dass all e dreigrossen, die Küste zwischen Valencia und Narbonne erreichendeniberiden Ketten bei Annäherung an dieselbe sich zu öffnen, zuverbreitern, zu verflachen scheinen. So die hesperische Kette imGebirge westlich Castellon de la Plana und Valencia, das katalonischeRandgebirge nördlich Barcelona, die Pyrenäen bei Perpignan. DiesesSichöffnen gegen Osten und Südosten deutet auf starke Abnahm eder faltenden Kraft, und eine solche Ahnahme wiederum er-scheint nur verständlich, wenn das alpin-afrikanische Kraftzentrumin diesem Raume gegen Süden zurücktritt. Dies ist der Fall,wenn wir den Balearenbogen des Alpidenstranges als etwas P r i -m ä r es betrachten, völlig unverständlich aber, wenn wir dieAlpiden in unmittelbarer Nähe dieser Virgation vorbei-ziehen lassen.

Anderseits erscheint das Sichöffnen der katalonisch-pyrenäischenKetten, das Ausheben der trennenden Mulde des Ebrobeckens, dasAbflachen der Faltung, als wichtiges Anzeichen dafür, dass sich dieseStrukturelemente Spaniens gegen Osten z u einem ein z i gen gross-artigen, wenig gefalteten Block vereinigen, auf dem dieIberiden erlöschen. Als solcher Block wurde ja seit jeher diekorsosardisch-katalonische Masse postuliert, als mächtigessteifes Widerlager der alpiden Faltung und wichtige Faciesgrenze gegendie Tethys. Einesteils zwang dieses alte Massiv die anstürmendenAlpiden zum Ausweichen gegen SE, zur Beugung um Sardinien her-um, und anderseits wurde durch eben dieses südöstliche Zurückweichender Alpiden der Nordteil der alten Masse vor starken Vorlandfaltungengeschützt. So können wir ein Abflauen und Ausklingen der Pyrenäen-Katalanenfaltung verstehen, sonst aber nicht.

Wir kommen also dazu, die Kombination ARGANDS von einer primärendirekten Verbindung zwischen Alpen und Balearen, und damit diemerkwürdige Kreiselbcwegung von Korsika, Sardinien, Sizilien unddem Apennin a b zu l e h n e n. Eine mächtige korsosardisch-katalonischeMasse, die der Balearenbogen von Süden her zu sprengen versucht

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hat, und die das Alpidensystem zum Ausweichen nach Südosten undder Beugung von Sardinien zwang, scheint uns weit wahrscheinlicher.Das nördliche Becken des westlichen Mittelmeeres, vom Golfe du Lionbis hinab zur Linie Menorca—SE-Sardinien, beherhergt auf seinemGrunde ein gewaltiges altes Massiv, das k o r s o s a r d i s c h-iberischeauf dessen steifem Buckel die iberische Vorlandfaltungerlischt, und das im Westen die ausklingenden Pyre-näen, Katalanen und Hesperen, im Norden das Massivder Maures, im Osten und Süden Korsika und Sardinienumfasst. Nur randlich wird dieser grandiose Block von Vorland-falten begleitet, wie in Sardinien und der Provence, oder eben in Nord-ostspanien; das Zentrum aber scheint von solchen alpinen Einflüssenunherührt, ein starrer Horst. Bei dieser Vorstellung erhalten wirin den Tiefen des nordwestlichen Mittelmeeres ein mächtiges, mandel-förmiges Gebilde, das in vielem als direktes Analogon zum E b r o -b e c k en erscheint. Ob dieses vielleicht eine westliche Fortsetzungdes korsosardischen Massivhorstes maskiert? Sicher aher steht dieserkorsosardische Block als Ganzes unter den südlichen hesperischen Kettenmit der grossen Hauptmasse der Meseta in direktem Zusammenhang.Ein gewaltiges Vorlandmassiv erstreckte sich einst vonder Meseta bis nach Sardinien hiHüber, als grossartigesWiderlager gegen die von Süden anstürmenden Ketten der Alpiden.

Damit scheint das Strukturbild Spaniens zugunsteneiner versunkenen Vorlandmasse im nordwestlichen Mittel-meer zu sprechen, welche die alpiden Ketten zur heuteoffenbaren Beugung zwischen Balearen und Korsika zwang.

Gehen wir mit kurzen Worten noch einmal üher zum „Problemvon Gibraltar". Was an der Meerenge selber gegen ein Abbiegenins afrikanische Rif spricht, haben wir bereits erwähnt. Es bleibt dasStrukturbild des Vorlandes noch auf diesen Punkt zu befragen. Daerscheinen die I b e r i d e n Portugals von grundlegender Bedeutung.Aber auch sie zeigen keineswegs ein Zurückschwenken konform einer„Beugung von Gibraltar", sondern sie ziehen schief und quer z u mOzean hinüber. So biegt das Faltenland zwischen Coimbra undLissabon beidseits Cintra mit E-W-Streichen ins Meer, so zieht dieSerra Arrahida ungebeugt nach WSW. Dabei sind diese Falten teil-weise postmiozänen Alters, stammen also aus einer Zeit, in der nachARGAND die Beugung von Gibraltar schon längst vollzogen war. Undendlich sehen wir als merkwürdigen Contrecoup des alpinen Hin te r-l an d es der A l g a r v e die portugiesische Bruchplatte gegenüber derzentralen Meseta nach Norden gestossen, in einer T r a n s v e r s a l-

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v er s c h i e b u n g von über 20 km; ein Phänomen, das wiederum deut-lich abermals nicht für ein Z u r ü c k weichen der alpiden Front, imGegenteil für ein kräftiges Vor dringen derselhen sogar S W derAlgarve spricht. Das iberische Strukturbild weist damitgleichfalls weit eher auf ein westliches Weiterstreichender alpinen Kette im Sinne von TERMIER und mir hin, wie diesja an der Strasse von Gibraltar tatsächlich in natura zu beobachten ist.

Und zum selben Resultat kommen wir, wenn wir endlich dasalpine G e s am t o r o g e n einschliesslich Vor- und Rücklandfaltung alsGanzes betrachten. Alle Strukturelemente desselben, von denPyrenäen und Asturen bis hinab an die Sahara, streichen zumOzean. Kein einziges versucht auch nur eine Beugung derAlpiden bei Gibraltar anzudeuten. Warum bilden nicht wenig-stens spanische und marokkanische Meseta den „Bogen" von • Gibral-tar etwas nach? Warum laufen die Falten der Algarve normal, querzum Ozean? Warum der Atlas, die Serra Arrabida, die portugiesischenKetten? Erschiene es da nicht als eine Laune der Natur sondergleichen,wenn die alpide Kette, im ZentrUm des ganzen Orogens, nunplötzlich solche privaten Seitensprünge machen wollte? Wo ist derPlatz für solche, und wie äussert sich beispielsweise das dadurch po-stulierte O s t w ä r t s s c h l e i f e n Afrikas am eurasiatischen Bauweiter im Osten? Wo gerade Brüche und Zerreissungen denafrikanischen Kontinent durchsetzen, von denen er wohl wie alles andereauf Erden mit der Westdrift eher nach Westen wanderte. Odermüssten wir die Ursachen dieses vermeintlichen Mechanismus in Eu -ropa suchen, in einem mächtigen Weststoss des eurasiatischenB l o c k es gegenüber der afrikanischen Masse? Ein bescheidenes Ab-treiben Westeuropas längs der Rhein-Rhonegräben und der Vulkan-risse der Auvergne scheint sich ja eingeleitet zu haben, doch hättediese relativ immerhin recht schwache Eigenbewegung Westeuropasniemals ausgereicht zur Schaffung der grossartigen „Beugung" vonGibraltar. Ein gewisses Westtreiben der eurasiatischen Gesamt-scholle gegenüber Afrika gibt sich allerdings im gegen Westen ge-schleppten Verlauf der alpinen Leitlinien kuHd; aber es wäre endlichwiederum nicht recht zu begreifen, wie just ein ursprünglich gegenP o r t u g a l geworfenes alpines Bogenstück gerade an A f r i k a hangenbleiben und durch dasselbe vollständig umgekrempelt werden sollte.Und wo ist schliesslich ein Phänomen solcher Art überhaupt auf derErde bekannt ? „Umbieg u n g e n" von der Art Gibraltars gibt eswohl, aher keine vom verlangten Mechanismus. Ein solcher Bogenkönnte wohl entstehen durch Einpressung des betischen Gebirges

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von Osten her, zwischen die heiden Widerlager der spanischen undder marokkanischen Meseta. Aber erstens haben wir keine Anhalts-punkte für irgendwelchen bedeutenden Ost-Westschub im alpinen Oro-gen, und zweitens müsste sich bei dieser Sachlage eine ganz andereAnordnung der iberischen Contrecoups bemerkbar machen;und drittens endlich spricht die Geologie der Meerenge selberdagegen. Die Annahme eines Gibraltarbogens mit dem Mechanismus,wie ihn ARGAND vorgeschlagen hat, stösst also auch rein theoretisch,ganz abgesehen vom heute offenbaren Widerspruch mit den Tat -s a c h e n , auf die grössten Schwierigkeiten mechanischer und geolo-gischer Natur. Wie viel einfacher ist der Ost-West untertauchendeK e t t e n f ä c h et- zwischen Betischer Kette und dem Rif zu verstehen,wie er sich an der Strasse von Gibraltar heute tatsächlich auch inaller Prägnanz kundgibt.

Ein westwärts untertauchender alpiner Kettenfächer zwi-schen Betischer Kordillere und Rif fügt sich dem ganzen Baudes alpinen Orogens zwischen Pyrenäen und Atlas harmonischein; ein dazwischen zurückgebogener verlorener Alpidenastaber erschiene wie eine unmotivierte Laune der Natur in-mitten der strengen Linien ihrer Gesetzmässigkeit.

Damit komme ich ahermals und in allen Punkten zur Linien- -führung des Alpidenstranges, die ich im „Bau der Alpen" skizzierthabe. Die Alpiden streichen von den Alpen Tiber Korsika, Elbaund den Apennin um die Ecke von Sardinien in die Balearenund Tiber die Betische Kordillere und die Strasse von Gibraltargeradenwegs in den Atlantik hinaus.

Zusammenfassung.

Wechselvoll wie Kultur und Geschichte der iberischen Halhinselist auch ihre geologische Struktur. Reizvoll wie maurisches Mosaik,ein Abbild fast der labyrintischen Räume der Alhambra oder dergrandiosen Moschee zu Cordoba, bei näherem Zusehen aber von ge-waltiger Gesetzmässigkeit und Grösse, wie die klassischen Dome derspanischen Gotik.

Ganz Spanien liegt im alpinen Orogen. Betische Kordillereund Balearen bilden als Vertreter der Alpiden dessen zentralenGrundstamm, die grossen Ketten der Iberiden eine nördliche Zonegewaltiger Vorlandfaltung. Südlich der alpiden Axe erscheinendie Rücklandfalten Marokkos bis hinab zum Hohen Atlas als eingrossartiges Gegenstück zur spanischen Vorlandfaltung.

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Die Alpiden Spaniens entsteigen dem Grunde der alten Tethys,die Iberiden entstehen auf dem ehrwürdigen KontinentalbauEuropas. Dessen alte Strukturen werden dabei rücksichtslos vonden alpinen Bewegungen durchschnitten. Dieser iberische Unterbau,die Meseta, zerfällt in zwei Hauptelemente, den alten archäischenBlock Galiciens und eine grossartig deformierte hercynische Kettemit. kaledonischen Bruchstücken, die Hispaniden. Dieselben um-schmiegen den archäischen Block in einer grossartigen, andas Eiserne Tor erinnernden BeUgung grossen Stils undziehen, wie später die Alpiden, uni denselben herum zumOzean.

Die Alpiden Spaniens sind auf den Süden der Halbinsel he-schränkt, auf Betische Kette und Balearen. Pyrenäen, Asturen,Hesperen und katalonisches Gebirge sind endgültig von den Alpidenzu trennen. Diese letzteren ziehen von den Alpen um dieSüdecke von Sardinien herum in die Balearen, und über dieBetische Kordillere in den Ozean. Der Bogen von Gihraltarexistiert nicht, hingegen ein gewaltiger alpin-BinarischerKettenfächer, der an der Strasse von Gibraltar mit zu-nehmender Verflachung gegen Westen im atlantischenOzean versinkt.

Nördlich dieser zentralen, al pi d en A x e des alpinen Orogenserscheinen in grossartiger Kettenschar die Iberiden als der Effekteiner heftigen VorlandfaltUng. Pyrenäen, Asturen, die zentral-iberische Kette zwischen Gerona und Lissabon, die Rumpf-gebirge von Toledo-C,ceres, der Sierra Morena usf. gehörenhieher. Diese Vorlandfaltung steht in deutlicher genetischer Be-ziehung zur zentralen Axe der Alpiden, sie ist auf dieselhen Ursachenzurückzuführen wie die Türmung der Alpiden, d. h. auf den NordstossAfrikas. Die Iberiden erscheinen damit als alpine Contrecoups,sie sind ohne Alpenfaltung nicht zu verstehen, sie werdendurch dieselbe bedingt.

Das Gegenstück zur iberischen Vorlandfaltung sinddie Rücklandfalten Marokkos und des Atlas, die Marokkiden.Wie die Iberiden überschneiden auch diese marokkanischen Ketten desafrikanischen Rücklandes rücksichtslos die alten hercynischen Struk-turen des kontinentalen Unterbaues, und wie die Iberiden zeigen auchdie Ketten des Atlas nicht alpine, sondern epikontinentale und konti-nentale Facies. Die marokkanische Meseta ist das Gegenstück derspanischen, beide spitzen gegen Osten zwischen Alpiden und Vor- bezw.Rücklandfalten aus.

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Diese grossartige Gliederung Spaniens steht in ganz Europa einzigda, sie lässt sich nur, wie schon eingangs erwähnt, mit asiatischenVerhältnissen vergleichen. Schon die Breit e des Gesamtorogens istvon asiatischem Ausmass. In 1500 km Breite erreicht dasselbe denOzean. Daneben aher erscheint Spanien mit seinem marokkanischenGegenstück auch strukturell weitgehend als ein wundervollesAnalogon zum grossen zentralasiatischen Bau. Atlas und Himalaya,marokkanische Meseta u n d Tibet , Alpiden u n d Kuenlun,spanische Meseta, Tarimbecken u n d Salzwüste von Tsaidam,Iberiden und Tianschan — Nanschan stehen einander alsgrossartige Aequivalente gegenüber. Und wie das Tarim-becken an der grossen Scharung der asiatischen Gebirge im Hochlandvon Pamir zwischen den Vorlandketten des Tianschan-Alai-Systemsund dem Alpidenstamm des Kuenlun endet, so sehen wir die spanischeMeseta zwischen Iberiden und Alpiden in der Provence auskeilen.Der S ch a r u n g von P a mir mit ihrer grossen Raffung aller Kettenist die grosse Scharung d er A 1 p en gleichzusetzen, die alle asiati-schen Ketten zu ein e m mächtigen Gebirge zusammenrafft. Von denRücklandfalten der Dinariden bis zu den Contrecoups im Vorland. Da-her rührt auch der gewaltige Deckenbau der Alpen, er wird zumAbbild der grossen Kettenscharung. Der Deckenbau er-scheint nur als Ausdruck einer übertriebenen Scharung dereinzelnen Ketten. Er ist damit in der Hauptsache auf diese Scha-rungen beschränkt und daher lange nicht so universell wieheute vielleicht angeHommen wird. Und wenn wir die Analogienzwischen Europa und Asien noch einen Schritt weiter treiben wollen,so erblicken wir in der unruhigen und abgeschwächten Vorlandfaltungzwischen Pyrenäen und russischer Tafel ein schwaches Ebenbild derasiatischen Zone zwischen Tianschan und sibirischem Scheitel, einAnalogon zu den Gebirgen des Altai.

Dass dabei die I n t e n s i t ä t der europäischen Vorlandfaltunggegenüber den gewaltigen Äusserungen derselben in Asien stark zu-rückbleibt, hat seinen Grund vielleicht darin, dass in Asien der k o n -tinentale Gesamtwiderstand Eurasiens ein viel mächti-gerer war. Europa wurde mehr als Ganzes nach Nordengestossen , es war eben als Ganzes leichter zu bewältigen als derasiatische Koloss. Diesem vermehrten innern Widerstand Asiensaber verdanken wir die ins Riesenhafte gesteigerte gross-artige Vorlandfaltung der zentralasiatischen Ketten und j enemerkwürdige Drehung ganz Eurasiens im Sinne nach Rechts,auf die im „Bau der Alpen" hingewiesen worden ist.

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Die grossen Parallelen zwischen Spanien und Zentralasien abersind von allgemeiner Bedeutung. Sie zeigen, dass das alpine Orogenkeineswegs auf Alpiden- und Dinaridenstamm beschränkt i s t ,sondern dass dazu auch jene mächtige Vor- und Rückland-faltung zu rechnen ist, die das Alpensystem im Norden undim Süden begleitet. Dann erst erkennen wir die ganze Grösse desPhänomens, und dann sehen wir auch, dass in Europa wohl die Zu-sammenhänge der einzelnen Strukturelemente verworrener, zerrissenersind als im geschlossenen Bau Asiens, dass aber das eurasiatischeOrogen in ungeschwächter Kraft der Entwicklung, mit gross-artiger asiatischer Gliederung, wie wir sie bisher in Europanicht vermuteten, bis an den atlantischen Ozean hinüber-zieht. Das Westende Eurasiens auf der iberischen Halbinsel ist eingewaltiger Zeuge dieses unverkümmerten asiatischen Baues.

Am Westende Eurasiens zieht zwischen Pyrenäen undHohem Atlas das alpine Orogen mit asiatischen Dimensionendurch Spanien, Portugal und Marokko in den Ozean hinaus.

Das Strukturbild Spaniens aher ist es, das uHs diesen Bau inseiner ganzen Grösse und Gewalt enthüllt.

Literatur.

1. ARGAND. E., La tectonique de l'Asie, C. R. Congr. géol. Internat. Bruxelles 1924,2. BROUWER, H. A., Zur Geologie der Sierra Nevada. Geol. Rundschau 1926.3. DoUvILLÉ/ R., Handbuch der regionalen Geologie, Espagne, 1911.4. FALLOT, P., Etude géologique de la Sierra de Majorque, Paris, Béranger 1922..5. KOBER, L., Der Bau der Erde, Borntraeger 1921.6. KOSSMAT, F., Die mediterranen Kettengehirge etc., Abh. sächs. Akad. Wissen-

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10. TERRIER, P., Les problèmes de la géologie tectonique dans la Méditerranée oc-cidentale, Revue gén. Sciences 1911.

Karten.

11. Mapa geologico de Espara. 1 : 1.500000, Madrid 1919.12. GENTIL, L., Carte géologique du Maroc, Paris 1922.

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Inhaltsverzeichnis Seite

Einleitung . 196

Die Grossgliederung Spanlens . 199

Der alte Bau der Meseta 201

Gliederung und innerer Bau 202Neue Deutung der spanischen Hercyniden 204

Beziehungen zu Europa und Alpiden . 206

Der Alpidenzug der betischen Kette 208Facielles 209Tektonische Gliederung 211Der Deckenbau der Sierra Nevada 214

Segmentierung 221West- und Ostende, Balearen und Gibraltar 223

Die Vorlandfaltung der Iberiden 229Gliederung 230Pyrenäen und Asturen. 231

Hesperen, Katalanen und Ebrobecken . 237Kastilische Zentralkette und Portugal . 239Montes de Toledo und Sierra Morena . 243Längsprofil . 244

Zur Deutung der iberischen Vorlandfaltung 245Zur Kenntnis der alpinen Leitlinien im westlichen Mittelmeer 251Zusammenfassung . 257


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