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Gatzanis G:sichtet2, Kunst sammeln — eine (un)heimliche Leidenschaft

Date post: 22-Jul-2016
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In der zweiten Ausgabe der Kunstreihe G:sichtet beschäftigen sich Herausgeberin Holle Nann und Fotokünstler Frank Paul Kistner mit einer besonderen Passion und den Menschen, die ihr nachgehen – dem Sammeln von Kunst. Unter dem Titel „Kunst Sammeln – eine (un)heimliche Leidenschaft“ stellen sie uns 14 SammlerInnen aus Stuttgart und der Region vor. Es geht in den Beiträgen und Interviews besonders um die persönlichen Ambitionen der KunstsammlerInnen. Wie wurde eine Zahnärztin vom Sammelvirus infiziert? Warum wurde der Techniker zum Galeristen? Was bedeutet die Kunst für einen ehemaligen Asylbewerber oder weshalb investiert ein Geschäftsführer Freizeit und privates Vermögen in die Kunst? Wir erfahren von Schlüsselerlebnissen und Lieblingsstücken. Es werden aber auch Themen in den Beiträgen aufgegriffen, wie die Rolle der Kunst in der Gesellschaft oder die Auswirkung des profitorientierten Wertedenkens auf die Kunst.
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KUNST SAMMELN eine (un)heimliche Leidenschaft
Transcript
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KUNST SAMMELNeine (un)heimliche Leidenschaft

Hrsg. Holle Nann mit Fotografien von Frank Paul Kistner

KUNST SAMMELNeine (un)heimliche Leidenschaft

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10Helga Müller

20Elisabeth und Wilfried Thron

26Elisabeth und Dr. Dieter Simpfendörfer

34Anna und Reinhard Fasshauer

4oSalomon Assefaw

46Imke Valentien

54Alfred Pantel und Joseph Zöttler

62Dr. Christel Dauster

70Friedrich Steinke

76Karin Abt-Straubinger

84Frank Wiest

90Mathias Homann

96Frank Molliné

104Doris Nöth

Inhalt

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Helga Müller

Jäger und Sammler –so hat es mit der Menschheit angefangen …

Helga Müller gründete vor über 30 Jahren mit ihrem Mann Hans-Jürgen Müller das Kulturpro-jekt „MARIPOSA“, um einen Wertewandel in der Gesellschaft anzuregen.

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GALERIE UND SCHAU-RAUM A®TLANTIS, VORMALS GALERIE HANS-JÜRGEN MÜLLER, STUTTGART – KÖLN

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ie ersten Begegnungen mit Kunst hatte ich als Zehnjäh-rige. Durch die zweite Ehe meiner Mutter kam ich nach Saarbrücken – gemessen an Neustadt an der Weinstraße

war das eine Großstadt. Und dort gab es ein kleines Museum im Stadtteil St. Johann, an dem mein täglicher Weg ins Gymnasium zwangsläufig vorbeiführte. Neugierig, wie ich schon damals war, fand ich eines schönen Tages den Weg hinein – und damit begann eigentlich alles.

Das Saarland war französisch besetzte Zone und die Franzosen hatten, im Unterschied zum „Reich“, die zeitgenössische Kunst nicht als „entartet“ aus den Museen verbannt, son-dern sie gesammelt. So sah ich meinen ersten Klee, meinen ersten Brancusi und so manch Interessantes mehr, das mich faszinierte. Wieso und warum, konnte ich nicht sagen, aber es verging fast kein Tag, ohne dass ich ins Museum ging und mir die (eigentlich winzige) Sammlung immer wieder ansah. Im Gegensatz zu den in der elterlichen Wohnung hängenden Bildern, gegenständlich und leicht deutbar, waren diese Exemplare geheimnisvoll und wollten enträtselt werden – Antworten hatte ich keine, aber eben drum ging ich ja so oft hin …

Später dann, inzwischen war ich der Schule entwachsen, in Genf, München oder Düs-seldorf, wo ich zeitweilig lebte, ging ich in Galerien und Museen und entdeckte eine faszinierende Welt verschiedenster künstleri-scher Positionen, die mich nicht etwa sicherer machten, eher im Gegenteil. Geld, um Kunst zu kaufen, war in der Jugend ja kaum da, so stellte sich diese Frage lange nicht. Aber es

war eine fremdartige, vielfältige, rätselhafte Welt, diese Welt der Kunst und die der Künst-ler. Die ersten hatte ich schon in Saarbrücken in ihren Ateliers besucht und versucht zu ver-stehen, warum sie machten, was sie machten …

Ich war ca. 30 Jahre alt, als ich meine aller-erste Grafik erstand, einen Sieb-/Präge-Druck eines Künstlers, dessen Namen ich nicht ein-mal mehr weiß. Was ich noch weiß: dass dies ein Geschenk für meinen Mann sein sollte. Ich wählte es nach wochenlangen Überlegungen in einer Ausstellung aus, die mich in meinem Arbeitsumfeld monatelang umgeben hatte. Und es war ein Blatt, das ich zunächst nicht wirklich wahrgenommen hatte. Ein interessan-tes Phänomen, das ich später als ein grund-sätzliches zu begreifen begann: man sieht erst einmal nur das, was man kennt … Gereizt hat mich jedoch mehr und mehr das, wo ich die Antworten auf die Fragen schuldig blieb, die mir die Kunstwerke stellten …

Ab Mitte der 60er Jahre, ich lebte damals in NRW, war ich oft in der Galerie von Denise René in Düsseldorf, begeisterte mich für Albers und Vasarely und kaufte die ersten Arbeiten. 1976/77 kam ich nach Stuttgart und erwarb dort eine Wohnung; und zwar im selben Haus, in dem ein gewisser Hans-Jürgen Müller ein Jahr vorher eingezogen war. Walter Döcker, Architekt und späterer Freund, der mich beim Kauf der Wohnung beraten hatte, fragte mich nach der Besichtigung, ob es mich interes-siere, wie sein Freund, ein Galerist, seine Etage ausgebaut habe. Natürlich interessierte mich das – und so klingelte er …

Die Begegnung mit Hans-Jürgen Müller krem-pelte mein gesamtes Leben um. Hatte ich

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„Der ‚echte‘ Kunst-Sammler ist eigentlich ein Jäger – oder, besser gesagt, hat er erst einmal die Leidenschaft für Kunst in sich entdeckt, die Fährte aufgenommen, beginnt ein langer Weg …“

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Elisabeth und Dr. Dieter Simpfendörfer

Eine Ordnung fürs Leben

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Elisabeth und Dr. Dieter Simpfendörfer in ihrer Wohnung in der Wiesbadener City. Die mathe-matisch-geometrische Strenge in der Kunst empfinden beide als besonders ästhetisch.Werke von Vera Leutloff, Manuel Ros, Matti Kujasalo

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WERKE VON NIKOLA DIMITROV, GÜNTER FRUHTRUNK, JOHN CARTER, STEFFEN SCHLICHTER

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m vierten Stock eines gepflegten, stuckverzier-ten Jugendstilhauses aus der Gründerzeit in bester Wiesbadener City-Lage empfängt der Hausherr

seine Gäste an einer Sicherheitstüre. Dies ist nichts Ungewöhnliches, denn an drei von vier Wochenenden begrüßt das Sammlerehepaar Simpfendörfer Gäste – nicht selten aus dem Stuttgarter Raum, wo der promovierte Ingeni-eur unter der Woche als Geschäftsführer ein traditionsreiches Maschinenbauunternehmen auf Erfolgskurs hält. Künstler, Galeristen, Museumsleute und allgemein der Kunst zugewandte Menschen pilgern in großer Anzahl nach Wiesbaden, um die eigenwillige Sammlung konkreter Kunst von Elisabeth und Dr. Dieter Simpfendörfer persönlich in Augen-schein zu nehmen. Ausflüge in angrenzende Stilgattungen wie Op-Art, Farbfeldmalerei oder Minimal-Art sind laut Aussage des in früherer Zeit namhaften Wissenschaftlers gemäß Sammlungsstatut zulässig; sie ver-leihen der Kollektion eine ganz individuelle, lebendige Note.

Der erste Eindruck ist überwältigend. Jeder Quadratzentimeter der Vierzimmerwohnung nimmt die meist großformatigen Arbeiten in nicht selten kräftigen Farben auf. Berüh-rungsängste gibt es keine, und so führt der erste Weg für die Gäste direkt ins Schlaf-zimmer. Die einzig freie Flächenparzelle in diesem Raum scheint das Bett zu sein. Wer ob dieser Beschreibung jedoch Chaos und Unordnung vermutet, realisiert schnell, dass an diesem Wohnort nichts dem Zufall überlassen ist. Die Bilder selbst basieren auf klaren geometrischen Kompositionsregeln und auch die Art ihrer Präsentation gehorcht einem ausgeklügelten und wohldurchdachten System innerhalb der Grenzen des verfügba-ren Wohnraums.

Ich versuche, den Code des Systems zu entschlüsseln: Ein großes Bild der Schweizer Malerin Rita Ernst mit sattgelber ins Rötliche

gehender Grundierung und einer Vertikal-struktur, bestehend aus sieben verschieden-farbigen Rechteckflächen sowie zahllosen Farbstäbchen, hängt dem Betrachter en face gegenüber. Links davon wird es von einer dominanten Arbeit von Bim Koehler über-schnitten, die mit einer Hälfte an einen Klei-derschrank gelehnt ist. Freihändig gezogene, sternförmig in alle Richtungen verlaufende Farbbahnen mit lasierender Anmutung schei-nen einander ohne erkennbare Ordnung zu überlagern. Das Auge sucht unwillkürlich nach dem letzten aufgebrachten Streifenelement. Rechts an die Wand gelehnt sind sechs blau eingepackte, vermutlich sehr empfindliche und deshalb geschützte Serienbilder von Ste-fan Lausch hintereinander platziert. Darüber hängt eine großformatige Arbeit von Anton Stankowski, deren blaue und rote Schrägele-mente eine farbliche Korrespondenz mit den anderen Arbeiten suchen. Alle viereckigen Bilder finden ihr Pendant in einem auf dem Boden liegenden Tondo, appliziert auf einem Holzkörper und geschützt durch eine Scheibe aus Museumsglas – ein Werk von Helmut Dirnaichner. Da die kreisförmige, in lodern-dem Gold gehaltene Arbeit aus natürlichem Auripigment besteht, das sich wegen der unvergleichlichen Farbintensität jeglicher Konkurrenz mit anderen Werken entzieht, überwiegt in diesem Fall der formale Gegen-satz hinsichtlich der äußeren Bildkontur.

Rund – eckig, senkrecht – waagerecht, leuch-tend – opak, komplementär – uni, großflä-chig – strukturiert. Es ließen sich noch weitere gegensätzliche Attributpaare aufzählen, die aber allesamt darauf ausgerichtet sind, den Dialog der Bilder untereinander herzustellen.Musikalische Parallelen bieten sich an. Die Kunstwerke und deren Anordnung erscheinen wie eine Komposition, eine Sinfonie. Durch die jeweiligen Akkorde und die Korrespondenz von Formrhythmen und Farbklängen wird nicht weniger als ein Orchesterwerk wiederge-geben. Die Künstler stehen für den Kompo-nisten, die Bilder ergeben Klangwelten und Dr. Dieter Simpfendörfer ist der Dirigent.

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„Das Sammeln von Kunst ist eine Leidenschaft, die mit kühlem Kopf und heißem Herzen ausgelebt sein will.“

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Alfred Pantel und Joseph Zöttler

Die Kunst ist unser

Lebenselixier

Alfred Pantel und Joseph Zöttler genießen ganz besonders gemeinsame Ausflüge und Beutezüge in Sachen Kunst. Ihre tiefe Seelen-verwandtschaft sorgt auch dafür, dass sie sich beim Kauf neuer Werke meist sofort einig sind.

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ALFRED PANTEL

HANS THOMANN, TISCHSKULPTUR, 1994HANS THOMANN, SPIRALE, 1989

IM HINTERGRUND LINKS: MAGDALENA JETELOVA, HANNOVER 92, 1992

IM HINTERGRUND RECHTS: ROBERT SCHAD, SKULPTUR O.T., 1986

MADELEINE DIETZ, (VON OBEN NACH UNTEN):O.T., 2011O.T., 2003DREI ZU EINS, 1999O.T., 2009

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m Herzen von Stuttgarts Kulturmeile betrete ich das neu renovierte Trep-penhaus eines gepflegten Mehrfamilienhauses aus der Jahrhundertwende. Das

Haus liegt an einem der „Stuttgarter Stäf-fele“ und auf seiner Rückseite lassen mehrere hochgewachsene Bäume und der Blick ins Grüne die zentrale Lage mitten in der Stadt vergessen. Die freundlichen Stimmen meiner Gastgeber lotsen mich per Sprechanlage in den Windfang und bitten mich, den zweiten Stock anzusteuern. Doch ich werde bereits im Windfang von Kunst willkommen geheißen und gebannt. Ich erhasche im Vorbeigehen einige Blicke auf hochkarätige Arbeiten, bei-spielsweise von Christofer Kochs. Seine figür-lichen, abstrahierten Arbeiten in freundlichen Gelbtönen begleiten mich zum Treppenhaus. Je näher ich der zweiten Etage komme, desto dichter wird der Bilderteppich, der die Wände schmückt. Hier würde ich auch gerne wohnen! Käme ich so doch täglich in den Genuss der Kunstwerke aus dem Besitz von Alfred Pantel und Joseph Zöttler. Dieser erste Eindruck wird bestärkt, als ich mit großer Offenheit und Freundlichkeit persönlich begrüßt und an bezaubernd zarten Arbeiten auf Papier und ausgewählten Skulpturen vorbei zum liebevoll gedeckten Tisch im Esszimmer der Wohnung geführt werde. Auf den ersten Blick wird offenbar, wie sorgfältig und einfühlsam die Besitzer ihre Kostbarkeiten an den Wänden und im Raum arrangiert haben. Auch der Esszimmertisch selbst ist künstlerisch von Hans Thomann aus St. Gallen gestaltet. Hier wartet bereits die Galeristin Angelika Harthan auf uns. Als sie 1986 ihre Galerie in Stuttgart eröffnete, kam es zur Begegnung mit den beiden Sammlern. Seither verbindet die drei eine tiefe Freundschaft. Überhaupt ist der

persönliche Kontakt, das Gespräch, der Aus-tausch sehr wichtig für die beiden Sammler, die seit vier Jahrzehnten ein Paar sind. In ihrer Gastfreundschaft haben sie sogar einmal ihre Wohnung für die Lesung einer Gruppe kulturbegeisterter, aber bis dato unbekannter Menschen geöffnet.

1974 lernten sich Alfred Pantel und Joseph Zöttler kennen. Keines der beiden Elternhäu-ser war besonders kunstsinnig. Die Begeiste-rung für Kunst kam erst im Erwachsenenalter. Joseph Zöttler, der bis zu seiner Pensionie-rung als Sozialarbeiter beim Jugendamt tätig war, erzählt mir stolz von seinen ersten Kunstwerken: Stiche von van Gogh. Alfred Pantel – bis zum Ruhestand als Vertriebs-kaufmann angestellt – hingegen erinnert sich an eine klassische, dekorative Landschaft als sein erstes Kunstwerk. Gemeinsam ent-deckten und vertieften beide ihre Liebe zur modernen, zeitgenössischen Kunst, besuchen Messen, Ausstellungen, Galerien und wurden vom Sammlervirus infiziert. „Das ist wie eine Droge, man sieht eine Arbeit, irgendwas springt einen an und man möchte das Kunst-werk einfach haben. Aber die Kaufentschei-dungen werden nicht im Rausch getroffen. Da setzen wir uns in Ruhe zusammen, trinken ein Glas Wein und überlegen. Wenn ein Ankauf nicht funktioniert, dann leidet man. Das geht bis zu physischen Schmerzen, Bauch-weh und Herzrasen. Wobei der Verzicht auch etwas Gutes haben kann. Was nicht jederzeit verfügbar ist, wird umso kostbarer, und man weiß den Wert viel mehr zu schätzen“, führt Alfred Pantel aus. „Die Kunst spiegelt unser Leben wider. Dabei spüren wir eine tiefe Seelenverwandtschaft. Wir haben noch nie über einen Ankauf lange diskutieren müssen. In einer Ausstellung ist es stets dasselbe, das uns begeistert und das wir avisieren.“

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JOSEPH ZÖTTLER

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Frank Molliné

In der Kunst darf auch gelacht werden!

Frank Molliné: Kunst gehört zu einem positiven Leben einfach dazu, besonders die von zeitge-nössischen Künstlerinnen und Künstlern. Im Hintergrund: Selene States, The Stewardess Seduced by Frigidaire, 2011

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ie Sache mit dem Kunst-sammeln begann, sobald ich eigenes Geld verdiente. Zu Hause waren wir acht Kinder, die aus Sicht meiner Eltern wohl für nicht gerade

wenig Trubel in dem kleinen Haus auf dem Stuttgarter Killesberg sorgten. Mein Vater war Hobbymaler und entspannte sich, indem er neben eigenen Kompositionen bekannte Gemälde aus Kunstbüchern abmalte. An den Wänden hingen dann seine Kopien bzw. Interpretationen von Picasso oder Matisse. Die Kunstbücher, die als Vorlage dienten, sah ich mir gerne an, allerdings wiesen Abbildun-gen, die mein Vater für seine Malerei verwen-det hatte, lästige Orthogonal-Raster auf, die er zum Übertragen auf seine Leinwände darübergezeichnet hatte. Echte Malerei von bekannten Künstlern konnten sich meine Eltern nicht leisten. Aber von meinem Vater nahm ich mit, dass Kunst etwas unheimlich Positives und Schönes ist das zu einem guten Leben dazugehört.

Später, in der Pubertät, störten die Raster mich dann doch so sehr, dass ich anfing, Kunstbücher und vor allem Postkarten selbst zu sammeln. Ich begann, mit dem Rucksack und Interrail in halb Europa herumzureisen, wobei eines der Ziele war, die bekannten Werke endlich einmal im Original zu sehen: Paris, Amsterdam, Wien, Barcelona, Madrid, London, oft mehrfach, vor allem Paris und immer wieder Amsterdam hinterließen starke Eindrücke bei mir. Oft verließ ich die Museen

völlig begeistert und mit dem Gefühl, dass sich die Reise allein wegen diesem Picasso, diesem Matisse, Duchamp oder van Gogh gelohnt hatte.

Ein damaliger Schulfreund ließ sich von meiner Sammelleidenschaft für Postkarten anstecken. Während ich schon Geld verdiente, begann er sogar Kunst an der Akademie der Bildenden Künste Stuttgart zu studieren. 1984 kaufte ich bei ihm mein erstes Original. Das Postkartensammeln war kurz darauf zu Ende, denn ich merkte bald, dass es ungleich sinn-voller, prickelnder, überzeugender, anregender war, das Unikat eines lebenden und noch preiswerten Künstlers zu Hause aufzuhängen statt den zigtausendsten Plakatabdruck eines bekannten Meisters, bei dem der Rahmen genauso viel kostete wie das kleine Original eines jungen Künstlers.

Das Sammelvirus ließ mich nicht mehr los. Mehr und mehr kam ich in Kontakt mit der Kunstszene, tingelte durch die wichtigen kleinen Ausstellungen in alternativen Räumen und Galerien in Stuttgart, merkte, dass diese eine wichtige Alternative zu den Muse-umsausstellungen mit abgesegneten Künst-lern darstellten, lernte Künstlerinnen und Künstler, ihre Probleme beim Verkauf oder bei der Suche nach bezahlbaren Atelierräumen kennen oder war Gast bei den legendären früheren Festen der Kunstakademie. Schon damals dachte ich, man müsste eigentlich eine Galerie gründen, um die Künstler besser zu unterstützen.

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ANNA LENA STRAUBE, ROTES UND BLAUES BLUT, 2009

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„Kunst spiegelt nicht nur die Persönlichkeit wider, sondern auch etwas von unserer Zeit und unserer Gesellschaft. Ohne das Sammeln wäre mein Leben wesentlich ärmer.“

LINKS IM VORDERGRUND: MARC FROMM, JUNGE DAME MIT HAUSTIER II, 2013LINKS IM HINTERGRUND: SUSANNE ACKERMANN, O.T., 2012GANZ RECHTS: ELENA STEINER, NUMMER 12, 2011


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