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Fusionen im deutschen gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt

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ZVersWiss (2012) 101:191–208 DOI 10.1007/s12297-011-0186-7 ABHANDLUNG Fusionen im deutschen gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt Julia Tjulenev · Martin Frank Online publiziert: 19. Januar 2012 © Springer-Verlag 2012 Zusammenfassung Im Hinblick auf den seit Einführung des GKV-WSG verstärkten Konsolidierungstrend im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung kann festge- stellt werden, dass hierfür multikausale Motive, insbesondere persönliche, finanzielle und strategische Beweggründe, ausschlaggebend sind. Persönliche Motive sind hier- bei durch individuelles Machtstreben gekennzeichnet, finanzielle Motive durch ge- sundheitspolitische Reformimplikationen bedingt und strategische Motive zeichnen sich durch ein Streben nach größerer Marktmacht aus. Fusionen im Krankenversicherungsbereich können als besonders erfolgsverspre- chend angesehen werden, wenn das zentrale Motiv in einem Generieren von Preis- oder Markenvorteilen besteht, wodurch im Falle kassenartenübergreifender Fusionen eine neue strategische Positionierung ermöglicht wird. Erfolgskritisch ist allerdings die Auswahl des Fusionspartners. Ausgangspunkt hierfür sollte die jeweilige strate- gische Positionierung der potenziellen Fusionskandidaten sein. Nicht selten sind in der Praxis jedoch informelle Beziehungen entscheidend. Für die Zukunft des Kran- kenversicherungsmarktes sind eine Verschärfung des Konsolidierungstrends und eine weiterhin hohe strategische Bedeutung von Fusionen zu erwarten. Abstract With regard to the intensified consolidation trend in the field of German statutory health insurances since the introduction of the GKV-WSG, it can be stated that there are multi-causal motives. Especially personal, financial and strategic rea- sons are decisive. In this context, personal motives are driven by individual power ambitions, while financial motives are primarily caused by implications of health pol- icy reforms and strategic motives are characterized due to the aspiration for greater market power. Mergers in the statutory health sector can be regarded as highly promising, if the central motivation for merging is the creation of price or brand advantages. Merger of J. Tjulenev · M. Frank ( ) Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1, 30167 Hannover, Deutschland e-mail: [email protected]
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Page 1: Fusionen im deutschen gesetzlichen Krankenversicherungsmarkt

ZVersWiss (2012) 101:191–208DOI 10.1007/s12297-011-0186-7

A B H A N D L U N G

Fusionen im deutschen gesetzlichenKrankenversicherungsmarkt

Julia Tjulenev · Martin Frank

Online publiziert: 19. Januar 2012© Springer-Verlag 2012

Zusammenfassung Im Hinblick auf den seit Einführung des GKV-WSG verstärktenKonsolidierungstrend im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung kann festge-stellt werden, dass hierfür multikausale Motive, insbesondere persönliche, finanzielleund strategische Beweggründe, ausschlaggebend sind. Persönliche Motive sind hier-bei durch individuelles Machtstreben gekennzeichnet, finanzielle Motive durch ge-sundheitspolitische Reformimplikationen bedingt und strategische Motive zeichnensich durch ein Streben nach größerer Marktmacht aus.

Fusionen im Krankenversicherungsbereich können als besonders erfolgsverspre-chend angesehen werden, wenn das zentrale Motiv in einem Generieren von Preis-oder Markenvorteilen besteht, wodurch im Falle kassenartenübergreifender Fusioneneine neue strategische Positionierung ermöglicht wird. Erfolgskritisch ist allerdingsdie Auswahl des Fusionspartners. Ausgangspunkt hierfür sollte die jeweilige strate-gische Positionierung der potenziellen Fusionskandidaten sein. Nicht selten sind inder Praxis jedoch informelle Beziehungen entscheidend. Für die Zukunft des Kran-kenversicherungsmarktes sind eine Verschärfung des Konsolidierungstrends und eineweiterhin hohe strategische Bedeutung von Fusionen zu erwarten.

Abstract With regard to the intensified consolidation trend in the field of Germanstatutory health insurances since the introduction of the GKV-WSG, it can be statedthat there are multi-causal motives. Especially personal, financial and strategic rea-sons are decisive. In this context, personal motives are driven by individual powerambitions, while financial motives are primarily caused by implications of health pol-icy reforms and strategic motives are characterized due to the aspiration for greatermarket power.

Mergers in the statutory health sector can be regarded as highly promising, if thecentral motivation for merging is the creation of price or brand advantages. Merger of

J. Tjulenev · M. Frank (�)Forschungsstelle für Gesundheitsökonomie, Leibniz Universität Hannover, Königsworther Platz 1,30167 Hannover, Deutschlande-mail: [email protected]

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different types of insurers in the statutory system enables a new strategic positioningin the market. The choice of the potential partner is critical for success; the respectivestrategic positioning of the merger candidate should be the starting point for mergingconsiderations. However, in business practice, informal relationships are frequentlythe decisive aspect. For the future in the statutory health sector, it is expected, that thepressure of consolidation increases and mergers keep their great strategic importance.

1 Einleitung

Zum 1. April 2007 trat das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzli-chen Krankenversicherung (GKV-WSG) in Kraft. Die hiermit verbundenen Neure-gelungen, bezüglich der Finanzierungssystematik und Organisationsstruktur der ge-setzlichen Krankenversicherung (GKV), führten zu massiven Änderungen bisherigerwettbewerblicher Rahmenbedingungen. Insbesondere durch den Gesundheitsfondswerden neue strategische Ausrichtungen und Geschäftsmodelle im Bereich der GKVnotwendig. In diesem Kontext kann auf die seit Einführung des GKV-WSG zugenom-mene Anzahl von Krankenkassenfusionen verwiesen werden. Da Zusammenschlüssegrundsätzlich Resultate strategischer Entscheidungen sind, stellt sich die Frage, in-wiefern bisherige Fusionen auf die angeführten Reformimplikationen zurückgeführtwerden können.1

Eine verstärkte Fusionsaktivität führt zu einer Reduktion der Krankenkassenan-zahl und einem damit verbundenen Wachstum der verbleibenden Krankenkassen ineinem Konzentrationsprozess. Für die folgenden Jahre wird eine starke Abnahmeder Anzahl von Versicherungsträgern erwartet.2 Dies bewirkt zwangsläufig eine Ver-änderung zentraler Wettbewerbsbedingungen. In diesem Kontext wird „Größe“ alserfolgskritischer Wettbewerbsfaktor unterstellt und die Fortexistenz kleinerer Kran-kenkassen hinterfragt.3 Zudem brechen, durch die Ermöglichung krankenkassenar-tenübergreifender Fusionen durch das GKV-WSG, bisherige Organisationsstrukturenauf. Dementsprechend kann in Bezug auf den gegenwärtigen Konzentrationsprozesseine erhebliche Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der GKV unterstellt wer-den.

Vor diesem Hintergrund wird die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mitgegenwärtigen Fusionsprozessen deutlich. Dabei kann festgestellt werden, dass trotzder aktuellen Konzentrationsbemühungen kaum Untersuchungen zu Krankenkassen-zusammenschlüssen existieren. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher, einen Bei-trag zur Auseinandersetzung mit der Themenstellung Fusionen in der GKV zu leisten.Dabei soll insbesondere geklärt werden, warum und in welcher Form Fusionen ge-genwärtig zustande kommen. Im Hinblick auf das „Warum“ wird die Fragestellungerläutert, welche Faktoren die gegenwärtige Zunahme von Fusionsaktivitäten bedin-gen und es werden dementsprechend zentrale Fusionsmotive identifiziert. Bezüglich

1Vgl. Heiny (2009).2Dies ist das Ergebnis einer Befragung unter deutscher Krankenkassen, vgl. Krummaker et al. (2007),S. 23.3Vgl. z. B. Wille und Koch (2007), S. 292; Krummaker et al. (2007), S. 20 und 22.

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der Frage nach dem „Wie“ wird eine Konzeption eines Fusionsprozesses vorgenom-men und erörtert, welche strategischen Ansätze zielführende Fusionsbestrebungenauslösen. Außerdem besteht in diesem Zusammenhang zusätzlich die Zielsetzungzentrale Erfolgsfaktoren aufzudecken. Zur Beantwortung dieser Fragen wurden qua-litative Experteninterviews durchgeführt.

2 Veränderte Rahmenbedingungen für die GKV und theoretischeFusionsmotive

Haenecke identifiziert in einer empirischen Analyse eine Sicherung des Krankenkas-senfortbestands, ein Erhöhen bzw. Halten der Krankenkassengröße sowie das Senkenbzw. Halten des Beitragssatzes als zentrale strategische Zielsetzungen gesetzlicherKrankenkassen.4 Eine maßgebliche gesetzliche Neuregelung mit großem Einfluss aufdiese Zielstellungen ist die Ermöglichung krankenkassenartenübergreifender Fusio-nen. In der politischen Diskussion wird häufig angeführt, dass Krankenkassen zur op-timalen Erfüllung ihrer Aufgaben eine bestimmte Mindestgröße benötigen, da kleineKrankenkassen nur im beschränkten Umfang steigenden wirtschaftlichen Anforde-rungen gerecht werden könnten.5 Fusionen sollen die Effizienz von Krankenkassenerhöhen und ihre Verhandlungsmacht gegenüber Leistungserbringern und Verbändenstärken.6

Auf Beschluss der Verwaltungsräte können sich gemäß des neu eingefügten § 171aSGB V Allgemeine Ortskrankenkassen, Innungskrankenkassen, Betriebskrankenkas-sen und Ersatzkrankenkassen zusammenschließen. Als Synonym für den Vereini-gungsbegriff werden Krankenkassenzusammenschlüsse in § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IVauch als Fusionen bezeichnet. Für einen Fusionsbeschluss bedarf es der Genehmi-gung der zuständigen Aufsichtsbehörde. Wie auch bei krankenkassenartinternen Fu-sionen gilt für die Rechtsfolgen und das Verfahren der Vereinigung im Übrigen dieRegelung des § 144 Abs. 2 bis 4 SGB V.7 Des Weiteren verabschiedete der Bundestagim Dezember 2008 das Gesetz zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen inder gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-OrgWG). Dieses Gesetz beinhaltet wei-tere Regelungen für die Einführung des Gesundheitsfonds. Beispielsweise wurdenalle Krankenkassen zum 1. Januar 2010 insolvenzfähig.8 Weiter enthält das GesetzMaßnahmen zur Verhinderung der Schließung oder Insolvenz einer Krankenkasse.

In den vergangenen 20 Jahren hat die Anzahl der Krankenkassen stark abgenom-men. Waren im Januar 1991 noch 1209 gesetzliche Krankenkassen tätig, so redu-zierte sich die Anzahl auf 254 im Januar 2006.9 Diese Konsolidierung vollzog sichvor allem durch Fusionen innerhalb derselben Krankenkassenart. Mit Einführung

4Vgl. Haenecke (2001).5Vgl. Wille und Koch (2007), S. 292.6Vgl. Clade (2006), S. 620.7Vgl. Wille und Koch (2007), S. 292.8Vgl. Orlowski und Wasem (2007), S. 160.9Vgl. Bundesministerium für Gesundheit (2008).

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Tab. 1 Beispiele krankenkassenartenübergreifender Fusionen

Fusioniert zum Fusion zwischen Neue Kasse

1. Januar 2008 Handelskrankenkasse(Ersatzkrankenkasse)

IKK Weser-Ems(IKK)

HKK(Ersatzkrankenkasse)

1. Januar 2008 AOK Sachsen-Anhalt(AOK)

BKK Sachsen-Anhalt(BKK)

AOK Sachsen-Anhalt(AOK)

1. Januar 2008 KEH Ersatzkasse(Ersatzkrankenkasse)

BKK Mobil Oil(BKK)

BKK Mobil Oil(BKK)

1. Januar 2009 Techniker Krankenkasse(Ersatzkrankenkasse)

IKK Direkt(IKK)

Techniker Krankenkasse(Ersatzkrankenkasse)

1. Februar 2009 BKK Signal Iduna(BKK)

Vereinigte IKK(IKK)

Signal Iduna IKK(IKK)

1. April 2009 KaufmännischeKrankenkasse(Ersatzkrankenkasse)

Betriebskrankenkasse derAllianz Gesellschaften(BKK)

KKH Allianz(Ersatzkrankenkasse)

1. Juli 2009 KKH Allianz(Ersatzkrankenkasse)

METRO AG KaufhofBKK(BKK)

KKH Allianz(Ersatzkrankenkasse)

1. April 2010 AOK Niedersachsen(AOK)

IKK Niedersachsen(IKK)

AOK – Die Gesundheitskassefür Niedersachsen(AOK)

Quelle: Eigene Darstellung

der krankenkassenartenübergreifenden Fusionen wurde dieser Konsolidierungstrendweiter vorangetrieben. Im Juli 2010 bezifferte der GKV-Spitzenverband die Anzahlgesetzlicher Krankenkassen auf 163.10 Tabelle 1 zeigt ausgewählte krankenkassenar-tenübergreifende Fusionen.

Neben krankenkassenartenübergreifenden Fusionen fanden auch krankenkassen-arteninterne Fusionen statt, bspw. die Fusionen der AOK Sachsen mit der AOK Thü-ringen zur AOK Plus (1. Januar 2008) und die Vereinigung der DAK mit der HamburgMünchener zur DAK (1. Januar 2010). Des Weiteren erfolgte im Jahr 2010 ein Zu-sammenschluss der beiden Ersatzkassen BARMER und GEK (1. Januar 2010) zurderzeit größten deutschen Krankenkasse, eine Fusion der beiden Allgemeinen Orts-krankenkassen Berlin und Brandenburg (1. April 2010) sowie zahlreiche Vereinigun-gen unter Betriebskrankenkassen.

In der allgemeinen betriebswirtschaftlichen Praxis existiert eine Vielzahl un-terschiedlicher Fusionsmotive. Häufig wird eine Kategorisierung in persönliche(Managerialismus-Hypothese), finanzielle (Verbesserung des Zugangs zu finanziel-len Ressourcen) und strategische Motive (Realisierung von Synergien, Risikostreu-ung, marktbezogene Ziele) vorgenommen.11 Als Hauptgrund für strategiebedingteUnternehmenszusammenschlüsse wird vielfach das klassische Motiv der Realisie-rung von Synergiepotentialen angeführt.12 Hierbei wird davon ausgegangen, dass der

10Vgl. GKV-Spitzenverband (2010).11Vgl. Wirtz (2003), S. 58.12Vgl. Plöger und Kruse (2001), S. 43.

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Wert des neu entstehenden Unternehmens höher ist als die Summe der beiden ei-genständigen Unternehmen.13 Dabei resultieren Synergieeffekte zum einen aus Ver-bundvorteilen (economies of scope), zum anderen aus Skalenvorteilen (economies ofscale) sowie aus Lerneffekten.14 Im Rahmen der Marktmotive wird davon ausgegan-gen, dass Fusionen eine Sicherung bzw. den Ausbau von Marktmacht, Markterweite-rungsoptionen und Konkurrenzbeschränkung ermöglichen können.15 Dabei wird imBeschaffungsbereich das Ziel verfolgt, durch höhere Abnahmevolumina die eigeneVerhandlungsmacht zu stärken und auf diese Weise bessere Einkaufskonditionen zuerzielen. Ein anderes Marktmotiv bildet die Förderung des Absatzes.16 Abschließendsind noch der Zugang zu neuen Technologien und der Erwerb von Namen, Patentenund Lizenzen als potenzielle Fusionsmotive anzuführen.

3 Empirische Analyse – Erhebungsmethodik

Aufgrund einer geringen Anzahl an vorhandenen Publikationen wurde als zusätzli-che Datenerhebungstechnik eine qualitative Befragung durchgeführt und Expertenaus der Praxis interviewt. Ziel dieser informatorischen Interviews war die Ermittlungvon subjektiven Sichtweisen, Meinungen und Erfahrungen, um diese anschließendinduktiv interpretieren zu können.

Die Stichprobengröße umfasst insgesamt sieben Experten- bzw. Gruppeninter-views, in denen Vertreter von Ersatzkrankenkassen, Betriebskrankenkassen und All-gemeinen Ortkrankenkassen im Jahre 2009 befragt wurden. Zum einen wurden einBereichsleiter und zwei Vorstände von drei unterschiedlichen gesetzlichen Kranken-kassen befragt, die alle an krankenkassenartenübergreifenden Fusionen beteiligt wa-ren. Zum anderen wurden in Form eines Gruppeninterviews ein Vorstand und einBereichsleiter einer Krankenkasse interviewt, die nach einer krankenkassenartenglei-chen Fusion entstanden ist. Damit eine multiperspektivische Betrachtung der Prozes-se und potentieller Erfolgs- und Problemfaktoren möglich ist, wurden zudem zweiUnternehmensberater befragt. Beide sind für Unternehmungen tätig, die in der Ver-gangenheit gesetzliche Krankenkassen bei ihrer Fusion beratend begleitet haben. DesWeiteren wurde auch ein Mitarbeiter aus dem Bereich strategische Unternehmensent-wicklung einer Krankenkasse befragt.

Die Interviews erfolgten in einer wenig standardisierten Form, um so die Explo-ration von Sachverhalten zu ermöglichen. Es wurden zunächst Fragestellungen zumöglichen Fusionsmotiven und Hintergründen sowie zu relevanten Strategien formu-liert und anschließend ein Fokus auf Partnersuche, Beurteilungskriterien desselbenund den Vereinigungsvorgang selbst gelegt. Abschließend erfolgte eine Auseinan-dersetzung mit Erfolgsfaktoren, möglichen zukünftigen Folgen und Aussichten vonFusionen.

13Vgl. Gaughan (1999), S. 117.14Vgl. Plöger und Kruse (2001), S. 43.15Vgl. Ott (1990), S. 30.16Vgl. Wirtz (2003), S. 60–61.

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Abb. 1 Kategorisierung der Fusionsmotive. Quelle: Eigene Darstellung

4 Integrative Betrachtung der Fusionsmotive in der GKV

4.1 Kategorisierung möglicher Fusionsmotive

In der allgemeinen betriebswirtschaftlichen Praxis kann eine Kategorisierung in per-sönliche, finanzielle und strategische Motive vorgenommen werden. Wie Abb. 1zeigt, konnten alle in der empirischen Analyse genannten Fusionsgründe diesen dreiMotivkategorien zugeordnet werden.

Abbildung 1 visualisiert den Umfang und die Vielfältigkeit unterschiedlicher Fu-sionsmotive in der GKV. Bei einem Vergleich der Interviewaussagen bezüglich mög-licher Fusionsgründe und Wettbewerbsstrategien konnte eine bewusste Einteilung inZusammenschlüsse aus strategischen Gesichtspunkten und Fusionen aufgrund einerfinanziellen Notwendigkeit festgestellt werden. Allerdings werden auch persönlicheMotive angeführt und dabei gleichzeitig die Existenz strategischer Motive in Fragegestellt, die in diesem Fall lediglich eine Alibifunktion erfüllen würden.

4.2 Finanzielle Motive

Hinsichtlich der finanziellen Motive von Fusionen werden in der betriebswirtschaft-lichen Literatur in der Regel kapitalmarktbedingte Motive angeführt.17 Da Kranken-kassen als Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht grundsätzlich gewinnorien-tiert handeln, kann hier keine generelle Übertragung auf Fusionsmotive in der GKVerfolgen. Finanzielle Motive beziehen sich hingegen vor allem auf die Finanzierungs-systematik des Gesundheitswesens und in diesem Zusammenhang auf Problemberei-che durch die beschriebenen Gesundheitsreformen. Nach Aussage der Interviewtenverursachen insbesondere die Einführung des morbiditätsorientierten Risikostruktur-ausgleichs und des Gesundheitsfonds eine Verschärfung des Wettbewerbs und eineVerschlechterung der finanziellen Position einiger Krankenkassen, so dass ein indi-rekter Einfluss des GKV-WSG auf dieses Fusionsmotiv vorhanden ist. In den Inter-views war die Differenz zwischen den Einnahmen aus dem Gesundheitsfonds und den

17Vgl. beispielhaft Gaughan (1999).

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Leistungsausgaben einer Krankenkasse ein entscheidendes Fusionskriterium. Beste-he hier ein starkes Defizit, seien Krankenkassen langfristig gezwungen, einen Zu-satzbeitrag zu erheben. Das in diesem Fall vorhandene Sonderkündigungsrecht derVersicherten ermöglicht einen sofortigen Anbieterwechsel. Ein wesentliches Fusi-onsziel ist daher die Vermeidung der Erhebung eines Zusatzbeitrages durch einenZusammenschluss mit finanziell besser aufgestellten Krankenkassen.

Neben der Vermeidung eines Mitgliederrückgangs könnten Krankenkassen mitfinanziellen Problemen auch durch die neu geschaffene Insolvenzfähigkeit zu Zu-sammenschlüssen gezwungen sein. Im Falle von ausgeprägten Liquiditätsproblemenund einer nicht in ausreichender Weise erfolgten Gewährung von Finanzhilfen durchDritte, kann zudem das Bundesversicherungsamt (BVA) als Aufsichtsbehörde inter-venieren und eine Zwangsfusion gem. § 172 Abs. 3 SGB V herbeiführen.

4.3 Persönliche Motive

Ein weiteres entscheidendes Motiv für Fusionen zwischen gesetzlichen Krankenkas-sen ist ein persönliches Machtstreben von Krankenkassenvorständen und Verwal-tungsräten. In den Interviews wurde in diesem Zusammenhang davon ausgegangen,dass der Machtumfang mit der Krankenkassengröße ansteigt. Auch in der Litera-tur wird dargestellt, dass mit zunehmender Krankenkassengröße das Prestige, diepolitische Bedeutung und die Beschäftigtenanzahl einer Krankenkasse zunehmen.18

Daher können Vorstände von Krankenkassen Fusionen als Instrument zur Generie-rung eines Geltungszuwachses in der Öffentlichkeit nutzen. Im Zusammenhang mitdem Aspekt Macht führten die Interviewten auch das Gehalt der Vorstände an. Ver-öffentlichte Gehaltslisten von Krankenkassenvorständen zeigen, dass mit steigenderVersichertenzahl auch höhere Gehälter bezogen werden.19 Nach Ansicht eines Inter-viewpartners hat die Anführung strategischer Motive lediglich eine Alibifunktion, sodass Fusionen aus Effizienzgründen in der Praxis kaum vorzufinden sind. Die vorge-schobenen Fusionsmotive dienten dabei vor allem der Überzeugung des Verwaltungs-rats über die Sinnhaftigkeit des Fusionsvorhabens. Außerdem wurde angeführt, dassFusionsabsichten häufig an Eigeninteressen der Verwaltungsräte scheitern. Verwal-tungsräte würden sich in vielen Fällen auch bei guten Fusionsgründen gegen ihreneigenen Posten entscheiden müssen, da diese häufig fusionsbedingt entfallen wür-den. An dieser Stelle dominiere jedoch nicht selten der Wunsch, aus persönlichenGründen einer Tätigkeit im Verwaltungsrat länger nachzugehen. In Bezug auf dieManagerialismus-Hypothese kann somit eine tendenzielle Übertragbarkeit auf denGKV-Markt unterstellt werden. Außerdem sind in der GKV persönliche Anreize wieEinkommen, Macht und Prestige überwiegend von der Größe der Krankenkasse undnicht von ihrer Profitabilität abhängig.

4.4 Strategische Motive

Im Rahmen strategischer Fusionsmotive wurde der Aspekt der Marktmacht in denInterviews mehrfach angeführt. In diesem Kontext wurde auf eine Notwendigkeit der

18Vgl. Jacobs und Reschke (1992), S. 72; Haenecke (2001), S. 30.19Vgl. dazu Krankenkassen.Deutschland (Hrsg.) (2009).

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Erlangung einer bestimmten Krankenkassengröße verwiesen. Im Zentrum von Fusi-onsprozessen steht somit das Wachstum der eigenen Krankenkasse über einen Zuge-winn von Marktanteilen. Dabei wird der Marktanteil über die bundesweite Anzahl derVersicherten oder eine regionsspezifische Versichertenanzahl bestimmt. Ob eine Er-höhung regionaler oder bundesweiter Marktanteile angestrebt wird, hängt von der je-weiligen Strategie der Krankenkasse ab. Des Weiteren wird von den Interviewten einZusammenhang zwischen der Krankenkassengröße, respektive Marktmacht, und derNachfragemacht gegenüber Leistungserbringern hergestellt. Dabei bezieht sich dasstrategische Ziel, bundesweit über einen hohen Marktanteil zu verfügen, auch auf dieVerhandlungsmacht gegenüber pharmazeutischen Unternehmen. In diesem Bereichkönnten für Krankenkassen, im Rahmen von Rabattverträgen, große Einsparpoten-tiale bestehen. Im Hinblick auf regionale Marktmacht sind insbesondere erweiterteMöglichkeiten zur Schließung von Selektivverträgen mit Ärzten und Krankenhäusernaus einer Region anzuführen, im Rahmen derer ebenso Mengenrabatte ausgehandeltwerden können. In diesem Fall spielt nicht die gesamte Anzahl aller Versichertender Krankenkasse eine Rolle, sondern vielmehr der prozentuale Versichertenanteil ineiner Region.

Im Kontext der Fusionsmotive widmete sich lediglich ein Interviewpartner direktdem Aspekt der Risikominimierung. Ein zentraler Grund für eine Fusion seiner Kran-kenkasse sei eine bessere Beherrschbarkeit von Risiken. Als spezifische Risiken seienunter anderem die Vermeidung von Zusatzbeiträgen und die Verhinderung der Kran-kenkasseninsolvenz zu nennen. Demnach wird mit Fusionen bezweckt, das Fortbe-stehen der Krankenkasse zu sichern und das Risiko einer möglichen Schließung zuminimieren. Insofern ist bei diesem Motiv eine Überschneidung mit finanziellen Be-weggründen vorhanden. Eine Abgrenzung zwischen Krankenkassen mit bereits vor-handenen finanziellen Defiziten und Krankenkassen, die für die Zukunft finanzielleEngpässe erwarten, sollte allerdings vorgenommen werden. Während Erstere aus fi-nanziellen Motiven fusionieren, nehmen Letztere an, dass ihr Geschäftsmodell in dennächsten Jahren nicht praktikabel sein werde und entschließen sich aus strategischenGründen für einen Zusammenschluss. In diesem Zusammenhang spielt ebenfalls ei-ne Risikoreduktion über das „Gesetz der großen Zahl“ bzw. über ein vergrößertesVersicherungskollektiv eine Rolle.

Das Motiv der Markenbildung wurde in den Interviews ebenfalls angeführt. Einzentrales Ziel der Fusion der Krankenkasse eines Befragten bestand in einer Neu-organisation der Zusammenarbeit mit einer privaten Krankenversicherung (PKV) inForm einer strategischen Partnerschaft, um hierdurch eine stärkere Kundenbindungzu erreichen. Durch eine Bündelung des PKV- und GKV-Wissens und die Entwick-lung neuer Versorgungsmodelle sowie innovativer Versicherungsangebote sollte die-ses Ziel erreicht werden. Im Rahmen der Interviews nahmen die Befragten allerdingskaum Bezug auf das klassische Motiv der Generierung von Synergieeffekten. Es wur-de lediglich angeführt, dass eine wachsende Unternehmensgröße in vielen FällenMöglichkeiten zur Kostendegression schaffe. Krankenkassen könnten in Unterneh-mensbereichen, wie Beschaffung, Absatz und Organisation, Kosteneinsparpotentialerealisieren. Insbesondere im Bereich der Beschaffung könnten sich mit zunehmen-der Krankenkassengröße, im Rahmen von Selektivverträgen mit Leistungserbringern,Einsparungen ergeben. Ob Möglichkeiten der Kostendegression auch in der Organi-sation entstehen, ist hingegen fraglich. In einem Vergleich der Verwaltungskosten

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unterschiedlich großer Krankenkassen konnte die Annahme, dass große Kranken-kassen kostengünstiger arbeiten als kleine, nicht belegt werden.20 Im Rahmen derInterviews wurden mögliche Synergieeffekte auch in der Akkumulierung von Ge-schäftserfahrungen gesehen, Kennzeichen hierfür seien potenzielle Lerneffekte undein Know-how-Transfer. Eine Fusion mit einer Krankenkasse, die bspw. bereits Wahl-tarife anbiete und intern über die dafür notwendigen Ressourcen, wie Versicherungs-mathematiker, verfüge, könne das eigene Leistungsspektrum sinnvoll ergänzen.

5 Konzeption eines Fusionsprozesses für die GKV

5.1 Abbildung eines Fusionsprozesses für die GKV

Anhand der empirischen Analyse kann eine Systematisierung der Aktivitäten einesFusionsprozesses für die GKV vorgenommen werden. Abbildung 2 verdeutlicht die-sen Prozess.

Dieser idealtypische Fusionsprozess kann in die beiden Phasen „Strategische Ana-lyse und Konzeption“ sowie „Transaktion“ untergliedert werden. Die Hauptaktivitä-ten in der „Transaktionsphase“ können weiterhin in die drei Teilphasen „Identifikati-on potentieller Fusionspartner“, „Verhandlung“ sowie „Entwurf und Genehmigung“aufgegliedert werden, zu denen parallel eine Analyse und Beurteilung des Fusions-partners erfolgt. Die Teilaktivitäten der einzelnen Phasen werden im Folgenden dar-gestellt.

5.2 Strategische Analyse und Konzeptionsphase

Die Entwicklung einer Unternehmensstrategie dient der Realisation zentraler Un-ternehmensziele. Das Unternehmensumfeld von Krankenkassen ist sehr stark durchVeränderungen im politisch-rechtlichen Bereich geprägt. Ausgehend von den bei-den zentralen Krankenkassenzielen „Sicherung des Krankenkassenfortbestands“ so-wie „Halten oder Erhöhen der Krankenkassengröße“ sollten daher geeignete Wettbe-werbsstrategien identifiziert und entwickelt werden. Das Fortbestehen einer Kranken-kasse kann grundsätzlich nur sichergestellt werden, wenn langfristig positive Finanz-ergebnisse erwirtschaftet und Marktanteile gehalten bzw. vergrößert werden können.Da der Marktanteil über die Versichertenanzahl gemessen wird, sollten möglichstzusätzliche Versicherte gewonnen werden. Viele Krankenkassen gehen davon aus,dass ein Großteil der Versicherten bei Erhebung eines Zusatzbeitrags die Kranken-kasse wechseln könnten.21 Dementsprechend sollten Zusatzbeiträge vermieden wer-den. Hierfür müssen positive Deckungsbeiträge erwirtschaftet und Kosten gesenktwerden.

Sofern Zusatzbeiträge vermieden werden können, jedoch keine Prämie ausge-schüttet werden kann, können zwar viele Versicherte gehalten, jedoch nicht zwangs-weise auch neue Mitglieder gewonnen werden. Daher ist eine andersartige Differen-zierung gegenüber Konkurrenten sinnvoll. Dies geschieht indem den Versicherten ein

20Vgl. Rürup (2006).21Vgl. Heiny (2009).

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Abb. 2 Konzept eines idealtypischen Fusionsprozesses für die GKV. Quelle: Eigene Darstellung

„Mehrwert“ geboten und in Folge dessen Kundenbindung erzeugt wird. Ein mögli-cher Ansatz zur Erzeugung von Kundenbindung ist der Aufbau einer Marke.

Ausgehend von den eigenen Wettbewerbsstärken obliegt es somit den Kranken-kassen Strategien mit einer Fokussierung auf Preis- oder Markenvorteile zu wählen.22

Dabei können strategische Vorteile, wie Abb. 3 zeigt, mittels unterschiedlicher An-satzpunkte generiert werden.

Hinsichtlich der Etablierung eines strategischen Preisvorteils durch eine günstige-re Versichertenstruktur muss zunächst geklärt werden, wie eine anzustrebende Ver-sichertenstruktur definiert werden kann. Seit Einführung des morbiditätsorientiertenRisikostrukturausgleichs erhalten Krankenkassen zur Finanzierung der eigenen Aus-gaben für jeden Versicherten eine pauschale Zuweisung aus dem Gesundheitsfonds,die nach Alter, Geschlecht und bestimmten Krankheitsfaktoren modifiziert wird.23

Im Hinblick auf die Krankheitsfaktoren erhalten Krankenkassen Zuschläge für 80ausgewählte chronische Krankheiten. Findet ein gutes Versorgungsmanagement vonPatienten statt, die an diesen ausgewählten Krankheiten leiden, können bei entspre-chenden Zuschlägen positive Deckungsbeiträge erwirtschaftet werden. Hiermit voll-zieht sich ein Paradigmenwechsel, da nicht mehr ausschließlich junge und gesun-de Menschen, sondern auch kranke Versicherte eine attraktive Zielgruppe darstellenkönnen. Durch die Selektion bestimmter Versicherter können somit Preisvorteile ge-neriert werden. Sinnvoll erscheint demzufolge die Fusion mit einem Partner, der übereine günstige Versichertenstruktur verfügt.

22Vgl. Schmitz (2008), S. 12–13. Grundsätzlich besteht die Möglichkeit auch mehrere Strategien zu ver-folgen.23Vgl. Rebscher (2008), S. 329.

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Abb. 3 Strategische Ansatzmöglichkeiten. Quelle: Eigene Darstellung

Eine Fokussierung auf Markenvorteile kann eine Differenzierung gegenüber Kon-kurrenten und eine stärkere Kundenbindung erzeugen. Diese Strategie kann auf allepotentiellen Versicherten ausgerichtet sein. Ein Beispiel hierfür sind Krankenkassenmit einem besonderen Markenauftritt bzw. einer speziellen Corporate Identity, dieauch als Image wahrnehmbar ist. Zum Anderen besteht für Krankenkassen die Mög-lichkeit zielgruppenspezifische Strategien zu verfolgen. Spezielle Behandlungspro-gramme für chronisch Kranke oder der Aufbau eines effizienten Versorgungsmana-gements können die Kontrahierungsrate spezieller Kundengruppen erhöhen. Außer-dem könnten durch spezielle Wahltarife und Bonusprogramme insbesondere junge,gesunde und einkommensstarke Versicherte von einem Wechsel in die private Kran-kenversicherung abgehalten und für längere Zeit gebunden werden.24 Beide Strate-gieansätze implizieren Kundenbindung als wesentliches Ziel und dahingehend dieMöglichkeit, den jeweiligen Marktanteil zu halten oder auszubauen. Fusionen kön-nen in diesem Kontext auch einen Know-how-Transfer und Lerneffekte auslösen.Beispielsweise können kleine Betriebskrankenkassen, die nicht über ausreichendekonzeptionelle und administrative Kapazitäten verfügen, mit größeren Krankenkas-sen fusionieren, um neue Versorgungsformen anbieten zu können.25

5.3 Transaktionsphase

5.3.1 Identifikation potentieller Fusionspartner

Wenn im Rahmen der Strategieentwicklung eine Fusion angestrebt wird, muss eingeeigneter Fusionspartner gefunden werden. Die Aussagen der Interviewpartner hin-sichtlich des operativen Vorgehens verdeutlichen, dass in der Regel Kandidatenlisten

24Vgl. Rebscher (2008), S. 345–347; Sahmer (2008), S. 100.25Vgl. Gerlinger et al. (2007), S. 24.

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Abb. 4 Ableitung und Strukturierung der Auswahlkriterien. Quelle: Eigene Darstellung

gebildet werden und eine Bewertung anhand vorab definierter Kriterien erfolgt. DieAussagen der Interviewpartner bezogen sich dabei auf Fusionen im eigenen Hause.Teilweise wurden aber, neben diesen strategischen Abwägungen, auch primär per-sönliche bzw. finanzielle Interessen als Ausgangpunkt für Fusionen beschrieben.

Die Anwendung von Auswahlkriterien kommt vor allem vor dem Hintergrundstrategisch motivierter Fusionen zum Tragen. Im Idealfall sollten Auswahlkriterienan die jeweilige Wettbewerbsstrategie geknüpft bzw. anhand der verfolgten Zielstel-lungen abgeleitet werden. Die wesentlichen, in den Interviews genannten, Fusions-ziele waren Gewinnung zusätzlicher Marktanteile, Kostenoptimierung, Risikomini-mierung, Verbesserung der Versorgungsangebote und Schaffung finanzieller Stabili-tät durch positive Jahresergebnisse. Abbildung 4 zeigt eine entsprechende Systema-tisierung.

5.3.2 Prüfung und Beurteilung

Es wurden bereits im Rahmen der Auswahlkriterien Analyse- und Bewertungsansätzeaufgezeigt. Deren Ergänzung und erweiterte Kategorisierung verdeutlicht Abb. 5.

Unabhängig von der jeweiligen Fusionsmotivation erfolgt grundsätzlich eine Be-wertung der Finanzstruktur. Im Rahmen einer detaillierten Analyse werden Kennzif-fern wie Deckungsbeiträge, Normkostendifferenz und Verwaltungskostenquote be-trachtet. Außerdem wurden in den Interviews als wichtige Analyseobjekte Mel-derückstände sowie die Risikostrukturausgleichsentwicklung angeführt. Im Rahmender finanziellen Kennzahlen werden ebenfalls ganz allgemein das Vermögen und dieVerbindlichkeiten der Krankenkassen betrachtet. Weiterhin wird in der Regel einePrognose der zukünftigen Finanzergebnisse und eine Analyse der Versichertenstruk-tur erstellt. Die Finanzanalyse wird aufgrund von Datenschutzbestimmungen undder wettbewerbskritischen Datenrelevanz erst nach Aufnahme der Verhandlungenmit dem potentiellen Fusionspartner vollzogen. Dabei erfolgt ein gegenseitiger Aus-tausch des Informationsmaterials.

Bei der Bewertung der Versichertenstruktur ist eine Betrachtung der regionalenMarktanteile von Bedeutung, die eine Erhöhung der Verhandlungsmacht gegenüberLeistungserbringern ermöglichen kann. Der Ausbau der Marktstellung kann bspw. in

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Abb. 5 Analyse- und Bewertungsobjekte. Quelle: Eigene Darstellung

bestimmten Regionen erfolgen, wenn der Fusionspartner ebenfalls über einen relativhohen Versichertenanteil in eben dieser verfügt. Zudem können auch Marktanteile inbisher weniger fokussierten Regionen erlangt und die bestehenden Kapazitäten desPartners, z. B. ein dichtes Geschäftsstellennetz, zur Erschließung dieser Regionengenutzt werden. Außerdem ist die gemeinsame Zielgruppenausrichtung im Hinblickauf marktstrategische Aspekte von Bedeutung. Der Versichertenbestand spielt auchdahingehend eine Rolle, dass Betreuungs-, Versorgungs- und Informationskonzeptehierauf ausgerichtet werden müssen. Aus Effizienzgründen kann somit eine mög-lichst homogene Versichertenstruktur vorteilhaft sein. Wird in der strategischen Aus-richtung die Generierung eines Markenvorteils in Bezug auf bestimmte Zielgruppenangestrebt, ist es zudem wichtig, vorhandene Kompetenzen und Ressourcen hinsicht-lich des für diese Zielgruppe relevanten Leistungsangebots zu analysieren. Nebenangebotenen Wahltarifen und Bonusprogrammen kann hier auch eine Betrachtungintegrierter Versorgungskonzepte zielführend sein.

Auf die Frage nach relevanten Bewertungskriterien gingen nur einige Interview-partner auf Aspekte der Personal- und Organisationsstruktur ein, was auf eine unter-geordnete Relevanz schließen lässt. Bei der Bewertung des Personalaspekts könntenallerdings die Beschäftigungsstruktur und tariflichen Bindungen relevant sein. Einenweiteren Analysegegenstand stellen Markenauftritt und Image dar. Die Bewertungbeider Aspekte basiert in der Regel auf Marktforschungsergebnissen. In den Inter-views wurde ebenso aufgeführt, dass bei der Betrachtung des Markenauftritts zwi-schen versorgungsmanagementorientierten und zielgruppenorientierten Krankenkas-sen differenziert werden müsse.

5.3.3 Verhandlung

Nach einer ersten Identifikation und Sondierung möglicher Fusionspartner erfolgt dieKontaktaufnahme mit den jeweiligen Krankenkassen. Hierfür können auf der einenSeite Unternehmensberater beauftragt werden, die, wie von einem Interviewpartnerbeschrieben, potentielle Partner, ohne den Namen des Auftraggebers zu nennen, ana-lysieren und kontaktierten, ob generelles Fusionsinteresse vorliegt. Auf der anderenSeite besteht für Vorstände die Möglichkeit, Foren, wie Verbandssitzungen, bewusstfür den Kontaktaufbau zu nutzen bzw. bei bereits bestehenden persönlichen Kon-takten zu anderen Vorständen deren Fusionsbereitschaft zu analysieren. Erfolgt eineVerständigung auf Vorstandsebene über die generelle Möglichkeit einer Fusion, be-ginnt nach einer Unterzeichnung von Vertraulichkeitserklärungen und der Formulie-rung eines „Letter of Intent“ der Verhandlungsprozess. Gesetzt den Fall, dass mehre-re potentielle Fusionspartner identifiziert werden und seitens dieser Fusionsinteres-sen bestehen, ist dabei die Existenz von Parallelprozessen möglich. Hinsichtlich der

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Abb. 6 Inhalte des Verhandlungsprozesses. Quelle: Eigene Darstellung

Verhandlungsdauer gibt ein Interviewpartner an, dass mindestens ein Zeitraum vondrei Monaten notwendig sei. Dieses Zeitfenster ist auch von der Dauer der Due Di-ligence abhängig, die nach Angabe eines Interviewpartners bis zu eineinhalb Jahrein Anspruch nehmen kann. Die Aufgabe des Initiierens eines Verhandlungsprozessesobliegt meist dem Vorstand. Idealerweise sollten vor Beginn der Verhandlungen Zieleund Anforderungen des Verwaltungsrats bezüglich des neuen Fusionspartners geklärtwerden und zusammen mit den allgemein definierten Fusionszielen als Grundlage füralle Entscheidungen fungieren. Mögliche Inhalte des Verhandlungsprozesses werdenin Abb. 6 dargestellt.

Zu Beginn des Verhandlungsprozesses erfolgt in der Praxis häufig eine Einigungüber die zukünftige Besetzung der Vorstandsposten. Diesen Vorgang betrachten dieInterviewpartner als zentrale Voraussetzung für den weiteren Verlauf der Verhand-lungen. Viele, unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten zielführende, Fusionen wür-den an einer mangelnden Bereitschaft, den eigenen Vorstandsposten im Rahmender Fusion aufzugeben, scheitern. In einer zweiten Phase erfolgt die Durchführungeiner Due Diligence. Hierbei werden unterschiedliche finanzielle, organisatorischeund wettbewerbsrelevante Parameter analysiert und bewertet. Im Falle positiver Due-Diligence-Ergebnisse werden im weiteren Verlauf Marktpositionierung, Geschäfts-modell, Krankenkassenname und bei krankenkassenartenübergreifenden Fusionen,die neue Krankenkassenart diskutiert und bestimmt. Die Festlegung auf eine Kran-kenkassenart impliziert auch die Klärung der zukünftigen Verbandszugehörigkeit.Außerdem muss eine Einigung über die Organisation und Standorterhaltung sowiedie Stellenbesetzung im Verwaltungsrat erzielt werden. Abschließend sollte die Be-setzung relevanter Führungspositionen beschlossen werden. In diesem Kontext wur-den die Interviewpartner gebeten, relevante Faktoren für die Verhandlungspositionanzugeben. Grundsätzlich kann davon ausgegangen werden, dass finanzstarke ge-genüber finanzschwachen und große gegenüber kleinen Krankenkassen eine überle-gene Verhandlungsposition einnehmen. Gleichzeitig ist jedoch zu berücksichtigen,dass eine Fusion, trotz einer gewissen Überlegenheit, stets auf „Augenhöhe“ erfol-gen müsse, da dem kleineren Partner die Möglichkeit obliegt, sich gegen die Fusionzu entscheiden.

5.3.4 Entwurfs- und Genehmigungsphase

Wenn im Rahmen der Verhandlungen eine Fusionsübereinkunft erzielt wird, beginntdas eigentliche Vereinigungsverfahren. Eine Fusion kann grundsätzlich nur durch

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Beschluss der Verwaltungsräte der beteiligten Krankenkasse und unter der Voraus-setzung der Genehmigung durch die zuständige Aufsichtsbehörde erfolgen.26 Einewichtige Rolle wird in Zukunft auch das Kartellrecht bzw. die Wettbewerbskontrollespielen. Dem Antrag auf Genehmigung müssen dabei gem. § 144 Abs. 2 SGB V einVorschlag zur Berufung der Mitglieder der Selbstverwaltungsorgane, ein Beschlussüber die neue Satzung, ein Konzept zur Organisations-, Personal- und Finanzstruk-tur der neuen Krankenkasse, inklusive Verteilung und Zahl der Geschäftsstellen undeine Vereinbarung über die Rechtsbeziehungen zu Dritten beigefügt werden. Außer-dem gilt im Hinblick auf krankenkassenartenübergreifende Fusionen § 144 Abs. 2bis 4 SGB V entsprechend mit der Maßgabe, dass dem Antrag auf Genehmigungauch eine Erklärung beizufügen ist, welche Krankenkassenartzugehörigkeit aufrecht-erhalten werden soll. Zu klären ist ebenfalls, welchem der beiden vorher zuständigenVerbände die neue Krankenkasse angehört. Zur Vermeidung von finanziellen Lastenbesteht für den Verband, dem vorher die Krankenkasse mit der kleineren Mitglie-derzahl angehörte, gem. § 171a Abs. 1 SGB V die Möglichkeit, die Mitgliedschaftder fusionierten Krankenkasse abzulehnen. Eine Ablehnung darf nur erfolgen, wenndurch die Aufsichtsbehörde des Verbands in einer Prüfung eine Gefährdung der fi-nanziellen Grundlagen festgestellt wird. Falls vor der Vereinigung gegenüber einerKrankenkasse Zahlungsansprüche seitens der bisher beteiligten Verbände bestanden,bleiben diese gem. § 171a Abs. 2 SGB V für die Dauer von fünf Jahren nach demWirksamwerden der Fusion gegen die neue Krankenkasse begründet.

Die Genehmigung muss im weiteren Prozess bei der zuständigen Aufsichtsbehör-de eingereicht werden. Nach § 90 Abs. 1 SGB IV ist das BVA für die Versicherungs-träger zuständig, deren Zuständigkeitsgebiet sich über das Gebiet eines Bundeslandeshinaus erstreckt. Bei regional tätigen Versicherungsträgern obliegt gem. § 90 Abs. 2SGB IV die Aufsicht den für die Sozialversicherung zuständigen obersten Verwal-tungsbehörden der Länder oder den von den Landesregierungen durch Rechtsverord-nung bestimmten Behörden. Gegenstand der Genehmigung sind die Satzung (ein-schließlich Name der neuen Krankenkasse) und die Vereinbarung über Rechtsbezie-hungen zu Dritten. Außerdem beruft gem. § 144 Abs. 3 SGB V die Aufsichtsbehör-de die Mitglieder der Organe und bestimmt den Zeitpunkt des Wirksamwerdens derVereinigung. Zu diesem Zeitpunkt tritt gem. § 144 Abs. 4 SGB V die Schließung derbisherigen Krankenkassen ein, in deren Rechte und Pflichten die neue Krankenkasseeintritt.

6 Diskussion

Fusionen ermöglichen Krankenkassen eine Revision ihrer strategischen Positionie-rung. Eine Konzentration auf regionale Durchdringung oder Erhöhung der bundes-weiten Mitgliederanzahl sind bedeutsame strategische Optionen. Insbesondere ers-terer Ansatz bietet kleineren, regional agierenden Krankenkassen die Möglichkeit,durch die Schaffung lokaler Marktmacht, erhebliche Wettbewerbsvorteile gegenüber

26Vgl. Vogt (2009), S. 171.

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bundesweit agierenden Krankenkassen zu realisieren.27 Somit ist die politische An-nahme, dass nur größere Krankenkassen erhöhten wirtschaftlichen Anforderungengerecht werden können, teilweise in Frage zu stellen. Zwar verfügen größere Kran-kenkassen in Rabattverhandlungen mit pharmazeutischen Herstellern über eine bes-sere Verhandlungsposition und können folglich Kosteneinsparungen erzielen. Durcheinen Zusammenschluss von kleineren und regional agierenden Krankenkassen zuEinkaufsgemeinschaften können diese Vorteile aber in gewissen Grenzen ebenfallsgeschaffen werden. Daher weisen auch Fusionen mit dem Ziel einer Stärkung derregionalen Markt- und Nachfragemacht ein hohes Potential auf.

Des Weiteren wurde die Versichertenstruktur als potentieller Faktor im Rahmenwettbewerbsrelevanter strategischer Einflussgrößen beschrieben. Fusionen könnenunter dieser Prämisse zweckmäßig sein, wenn eine größere mit einer kleineren Kran-kenkasse fusioniert, die zwar über einen gewissen Anteil an chronisch kranken Ver-sicherten, nicht aber über die zur Steuerung notwendigen Versorgungsangebote ver-fügt. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass im Vorfeld eine genaue Berechnungmöglicher Deckungsbeiträge der einzelnen Versichertengruppen erfolgt, was gegen-wärtig nur begrenzt möglich ist. Da Krankenkassen derzeit um den Aufbau einersoliden Deckungsbeitragsrechnung bemüht sind, ist anzunehmen, dass zukünftig dieAnzahl von Fusionen mit der Zielsetzung einer Risikoselektion steigen wird.

Sowohl eine Verbesserung der Versichertenstruktur als auch eine Erhöhung derNachfragemacht gegenüber Leistungserbringern kann Wettbewerbsvorteile bedin-gen. Die Vermeidung eines Zusatzbeitrages ist hierbei eine primäre Zielstellung. Esstellt sich allerdings die Frage, in welchem Umfang hochwertige Versorgungsan-gebote und eine damit verbundene höhere Kundenbindung, einen Mitgliederverlustdurch die Erhebung eines Zusatzbeitrags verhindern könnten. Josenhans stellt diesbe-züglich fest, dass Zusatzbeiträge und Prämien nur kurzfristige Leitmotive für einenKassenwechsel darstellen und Marke, Leistungsfähigkeit und Image langfristig be-deutsamer sind.28 In diesem Kontext kann auf die aufgezeigten markenorientiertenStrategieansätze Bezug genommen werden. So besteht im Rahmen strategischer Fu-sionsentscheidungen die Möglichkeit einer Neupositionierung durch die Etablierungeiner neuen Marke bzw. eines neuen Markenauftritts. Zu hinterfragen bleibt dabeijedoch, inwiefern eine Neuausrichtung und Abkehr vom bisherigen Markenimage inder GKV möglich ist.

Das Zustandekommen und der Erfolg von Fusionen sind von mehreren GKV spe-zifischen Faktoren abhängig. Professionalität in Bezug auf die Steuerung des Fusi-onsprozesses kann als eine besonders relevante Einflussgröße vorangestellt werden.Zum einen sollten möglichst früh konkrete Ziele definiert und ein Konzept entwi-ckelt, zum anderen verantwortliche Personen für die jeweiligen Anforderungsberei-che frühzeitig benannt und Teams mit konkreten Aufgabenstellungen gebildet wer-den. Klare Zielvorgaben und deutlich definierte Strategien sind speziell für die De-finition von Auswahlkriterien unerlässlich. Weitere erfolgskritische Voraussetzungensind ein langfristiger Planungszeitraum und ausreichende personelle Ressourcen in

27Vgl. hierzu auch Josenhans (2008), S. 31, 44.28Vgl. Josenhans (2008), S. 39.

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der Due-Diligence-Phase. Hierbei sollte, unabhängig von der strategischen Zielset-zung, eine genaue Finanzanalyse durchgeführt werden. Um die potenzielle Fusionim Sinne einer Kosten-Nutzen-Relation bewerten zu können, sollten im Vorfeld In-vestitionskosten ermittelt und Synergiepotentiale eingeschätzt werden.

Im Rahmen der Auseinandersetzung mit möglichen Erfolgsfaktoren und Problem-feldern spielen das Vertrauensverhältnis zwischen den Vorständen und informelle Be-ziehungsnetzwerke eine wichtige Rolle, ebenso wie die Besetzung von Vorstands-und Verwaltungsposten. Personelle Faktoren sind daher bei Fusionen in der GKVvon hoher Relevanz.

Zusammenfassend konnten Anhaltspunkte gefunden werden, dass Fusionengrundsätzlich einen Beitrag zur Kostensenkung und Stärkung der Wettbewerbspo-sition von Krankenkassen leisten können. Inwiefern jedoch die Realisation aller re-levanter Zielstellungen de facto erfolgt, muss hinterfragt werden. So schätzten zwardie meisten Interviewpartner den Verlauf der eigenen Krankenkassenfusionen alserfolgreich ein, ein Interviewpartner unterstellte in diesem Zusammenhang jedoch,dass eine Kommunikation von Misserfolgen im Nachhinein nicht mehr erfolgt. Einemögliche spezifische Ursache hierfür ist möglicherweise, dass Fusionen in der GKVnicht nachträglich rückgängig gemacht werden können. Ebenfalls zu berücksichtigenist, dass durch Fusionsvorhaben Kosten verursacht, Unternehmensprozesse temporärblockiert und Personal auf längere Zeit gebunden wird. Somit erscheint eine Aus-einandersetzung mit möglichen Fusionsalternativen notwendig. Einen potentiellenAnsatzpunkt stellen diesbezüglich Kooperationen dar. So wurde bereits angeführt,dass bspw. bundesweite Nachfragemacht gegenüber Leistungserbringern durch einZusammenschließen zu Einkaufsgemeinschaften erzeugt werden könnte, wobei dasKartellrecht zukünftig zu beachten sein wird.

Im Hinblick auf weitergehende Entwicklungen kann ein Fortschreiten des Konso-lidierungsprozesses in der GKV erwartet werden. Bezüglich der Reduktion der Kran-kenkassenanzahl prognostiziert ein Interviewpartner eine zukünftige Größenordnungvon 30 bis 40 Krankenkassen.

Im Falle eines Zusammenschlusses zweier sehr großer Krankenkassen, wie derBarmer GEK und der DAK, würde ein Versichertenbestand von acht bis zehn Mil-lionen den Fusionsdruck bei den verbleibenden Krankenkassen erhöhen, um ihrenlangfristigen Fortbestand zu sichern. Die Möglichkeit einer Fusion dieser Größen-ordnung verdeutlicht zudem, dass zukünftig eine kartellrechtliche Fusionskontrollenotwendig sein könnte. Vor diesem Hintergrund wird das Wettbewerbsrecht an Be-deutung gewinnen.

Abschließend kann festgestellt werden, dass insbesondere krankenkassenarten-übergreifende Fusionen neue strategische Optionen eröffnen und zu einer Abwen-dung vom bisher nach Krankenkassenarten gegliederten System führen könnten.29

Vor diesem Hintergrund und in Anbetracht der gegenwärtigen Konzentrationsbemü-hungen sollten weitere Untersuchungen über Krankenkassenfusionen stattfinden. Ne-ben der Betrachtung betriebswirtschaftlicher Fragestellungen sollte auch eine Aus-einandersetzung mit ordnungspolitischen Fragen im Rahmen einer volkswirtschaftli-chen Analyse erfolgen.

29Vgl. hierzu auch Cassel und Jacobs (2008), S. 9.

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