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FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK - ub.unibas.ch · Indonesien, Iran, Mexico, Nigeria, Pakistan,...

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FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK Freiburg, Dezember 2012 Dominique de Buman Nationalrat
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FÜR EINE SCHWEIZER

INDUSTRIEPOLITIK

Freiburg, Dezember 2012

Dominique de Buman

Nationalrat

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DIE FAKTEN Europas Niedergang

Die Notwendigkeit einer Industriestruktur

Die neue Bedrohung

Nach der Produktionsverlagerung

… die Verlagerung von Innovation und Forschung

Zukunftsperspektiven

DIE STÄRKEN DER SCHWEIZ Die Wettbewerbsfähigkeit

Forschung und Innovation

Ein dichtes Netz von KMU

Export von Industrieprodukten

ZIELE Ambivalente Einstellungen zur Industriepolitik

Gute Gründe zu handeln

Massnahmen

Rahmenbedingungen

• Währungspolitik

• Steuerpolitik

• Gesetzgebungspolitik

• Investitionspolitik

Industriepolitik

• Innovationsförderung

• Unterstützung der zukunftsfähigen Industriesektoren

• Weitere Massnahmen

Ausgewogene Massnahmen

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DIE FAKTEN

EUROPAS NIEDERGANG

Allmählich verschwindet Europa von den Radarschirmen: Seine geostrategische Lage verliert an

Bedeutung. Sein demographisches Gewicht nimmt ab. Die Staaten sind ausgelaugt. Die europäi-

schen Handelsbilanzen sind rückläufig und seine Industrie ist gefährdet.

In den Jahren 2000 bis 2008, vor dem Ausbruch der letzten Krise, ist der Anteil des verarbeiten-

den Gewerbes am Mehrwert der gewerblichen Wirtschaft in der Eurozone um 3 Prozentpunkte

von 25,5% auf 22,4% gesunken. Die einzige Ausnahme innerhalb der Europäischen Union bildet

Deutschland: Dort ist der Anteil der Industrie am Bruttoinlandsprodukt (BIP) gleichgeblieben und

es werden weiterhin Exporterfolge erzielt.

Die wahren Gewinner der Jahre 2000–2010 sind die neuen aufstrebenden Wirtschaftsmächte. China

hat Deutschland 2009 als Exportweltmeister überholt. Bei einer durchschnittlichen Wachstumsrate

von 10% pro Jahr innerhalb dieser Zeit liegt Chinas BIP über dem Japans. Somit ist das Land nun

die zweitgrösste Volkswirtschaft der Welt. Der Erfolg lässt sich auf die Entwicklung von Chinas

herstellendem Gewerbe zurückführen, das zwar zu Niedrigkosten produzieren lässt, dessen Pro-

duktpalette sich jedoch auch rasch vergrößert. China liegt seitdem bei Investitionen in Forschung

und Entwicklung (F&E) an dritter Stelle. Die Exportleistungen Chinas wurden zudem aufgrund einer

starken Unterbewertung des Yuan begünstigt.

«Niemand kann glauben, dass die Kommission oder der Gerichts­

hof (der Europäischen Gemeinschaft) ausländische Interessen för­

dern oder unabhängigen Handelsbestrebungen entgegenwirken

könnten. Doch die von ihnen so hoch gelobte Handelsfreiheit kann

nichts anderes sein als ein Werkzeug unseres Wohlstands. Wenn sie

zu einem Dogma wird, so droht die Handelsfreiheit den gemeinsa­

men Entwicklungszielen entgegenzuwirken. Die grössten Verfech­

ter des Liberalismus, die USA und Japan, haben dies verstanden:

Dort gibt es keine Aussenhandelspolitik ohne eine solide Industrie­

politik. Dieses Prinzip setzt sich auch in Europa durch: Durch den

Handel allein kann die aktuelle Wirtschaftskrise nicht bewältigt

werden.»

Michel Jobert, Vive l’Europe libre ! 1984

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Die Krise von 2008 hat diesen Trend zusätzlich verstärkt. China gelang es als erstes Land, sein

Wachstum erneut rasch anzukurbeln, wohingegen Europa in dieser Hinsicht weiterhin lahmt. Das

positive Wirtschaftswachstum ermöglichte es dem Land ausserdem, finanzielle Vorräte anzulegen.

China verfügt mittlerweile über beträchtliche Finanzreserven und ist dadurch in der Lage, westliche

Konzerne zu günstigen Bedingungen aufzukaufen und seine Machtposition nicht nur in wirtschaft-

licher, sondern auch in technologischer Hinsicht weiter auszubauen.

Dieser Wirtschaftsaufschwung führte in den aufstrebenden Ländern zur Entstehung einer neuen Mittel ­

schicht. Allein in China dürfte diese Bevölkerungsschicht in den kommenden Jahren um mindesten

300 Millionen Menschen ansteigen, was natürlich auch Auswirkungen auf den Konsum haben wird. In

etwa 15 Jahren wird der Verkauf von mehr als der Hälfte aller Kühlschränke, Hi-Fi-Anlagen, Computer,

Nahrungsmittel, Kleider und Autos wahrscheinlich in diesen boomenden Regionen stattfinden.

Dieser Trend wird sich wahrscheinlich durch die sogenannten «Next 11» verstärken. Jim O’Neill,

der 2003 bereits das «BRIC»­Konzept ins Leben rief, zeichnete sich 2005 auch für die Bezeichnung

dieser sehr heterogenen Gruppe verantwortlich. Zu ihr gehören: Bangladesch, Südkorea, Ägypten,

Indonesien, Iran, Mexico, Nigeria, Pakistan, die Philippinen, die Türkei und Vietnam. Aufgrund ihrer

hohen Bevölkerungszahlen und des starken demographischen Wachstums werden sie als poten-

zielle aufstrebende Länder gehandelt.

Konsequenz dieser beträchtlichen Veränderungen: Die Exportwirtschaft der Schweiz hat sich geo-

graphisch umorientiert, v.a. in Richtung der BRIC­Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China),

in denen der Anteil der Exporte seit 1990 stark angestiegen ist.

- Der Anteil der Exporte nach China (einschliesslich Hong-Kong) hat sich seitdem verdoppelt

und ist innerhalb dieser Zeit um 8,5% jährlich angestiegen. Das Total der Schweizer Exporte

hingegen ist im Durchschnitt «lediglich» um 4,5% pro Jahr angestiegen.

- 2011 sind die Exporte nach China und Hong-Kong sogar um 19%, nach Indien um 15%

und nach Russland um 13% gewachsen.

Sollten sich die Zahlen in diesem Tempo weiterentwickeln, wird Westeuropa stark an Bedeutung

verlieren. Die Länder in Osteuropa, Südostasien, die Gruppe der Next 11 und vor allem die BRIC­

Staaten werden für die Schweizer Exporte eine immer wichtigere Rolle spielen. Schätzungen von

Crédit Suisse zufolge werden bis zum Jahr 2030 nahezu 45% der Schweizer Exporte in die BRIC­

Staaten gehen. Der Anteil der Exporte in die Golfstaaten wird sich verdoppeln und von aktuell

3,5% auf etwas mehr als 7% ansteigen. Die Exporte nach Südostasien dürften von derzeit 2,5% auf

mehr als 8% ansteigen. Bis dahin wird wahrscheinlich nur mehr ein Viertel der Schweizer Exporte

nach Westeuropa gehen. Im Vergleich zu derzeit 60% ist dies wenig («Exportindustrie Schweiz –

Erfolgsfaktoren und Ausblick» – Créditsuisse, April 2011).

Die aufstrebenden Volkswirtschaften mit ihren Hunderten von Millionen von Verbrauchern bieten

den Schweizer Unternehmen grosse Absatzmärkte. Die Erschliessung dieser neuen Märkte wird

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5FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK - DIE FAKTEN

den Unternehmen aber nur dann möglich sein, wenn sie von einer erfolgsförderden Industriepolitik

profitieren können.

DIE NOTWENDIGKEIT EINER INDUSTRIESTRUKTUR

Im Februar 2002 schrieb der Wirtschaftsexperte Elie Cohen, Forschungsleiter am CNRS und Pro­

fessor an der Pariser Eliteuniversität Sciences Po, in der französischen Tageszeitung Les Echos unter

dem Titel «Que reste-t-il de la politique industrielle ?» (dt.: Was bleibt noch von der Industrie-

politik?): «Die Aufholjagd zwischen Deutschland und Frankreich hat ein Ende. Frankreich hat

Deutschland im Industriesektor nie einholen können und das ist eine gute Sache. Auch heute noch

wiegt die deutsche Industrie doppelt so schwer wie die französische. Frankreich konnte Deutsch-

lands Machtposition bisher weder in der Werkzeugmaschinenindustrie, noch in der Industrie- und

Spezialchemie, noch im Bereich der Investitionsgüter erreichen. Heutzutage wird dieses Handicap

als Vorteil gesehen, tut sich Deutschland doch schwer damit, seine Industrie und die Menschen im

Land auf die neuen Gegebenheiten einzustellen.»

Heute weiss man, was von dieser Art der Selbstbeweihräucherung zu halten ist.

Schon seit den 80er Jahren wurde der Dienstleistungssektor als der einzig wahre Zukunftsbranche-

dargestellt. Die neuen Informations- und Kommunikationstechnologien (NTIC) haben diesen Trend

seit den 90er Jahren noch verstärkt. Man hörte nicht auf, das Aufkommen einer «postindustriellen»,

«immateriellen» Wirtschaft ohne Fabriken zu rühmen. Die vorherrschende Meinung läutete das

Zeitalter der New Economy ein: das Ende der Industrieära zu Gunsten des Informationszeitalters.

Das Bild der Industrie litt auch in den Augen der jungen Ingenieure, die gleichzeitig die besonders

guten Erwerbsmöglichkeiten im Finanzdienstleistungssektor für sich entdeckten.

Vor allem das verarbeitende Gewerbe bekam die Konsequenzen dieses Mythos zu spüren. Da die

Industrie in den Ländern mit hohen Lohnkosten als ein Sektor ohne Zukunft betrachtet wurde, wan-

derte sie in die mittlerweile aufstrebenden Länder ab.

Dienstleistungen begleiten die Industrie, sie ersetzen sie nicht. Zwar ermöglicht der Dienstleis-

tungssektor eine Stärkung des Wachstums im Innern, dennoch sind es die Industriegüter, die die

Handelsbilanz beeinflussen. Und alle Länder, die eine stark positive Handelsbilanz aufweisen – wie

Deutschland, Japan oder China –gehören zu den grossen Industrieproduzenten.

Die Hälfte der Arbeitsplätze im tertiären Sektor ist direkt an die Tätigkeiten im herstellenden Ge-

werbe gekoppelt, da der starke Ausbau des tertiären Sektors grösstenteils durch die Dynamik in

der Industrie erzeugt wird. In einer Mitteilung vom 17. Oktober 2010 schätzt die Europäische Kom-

mission, dass «das verarbeitende Gewerbe ein Viertel der Arbeitsplätze stellt, und mindestens ein

weiteres Viertel der Arbeitsplätze in den zugehörigen Dienstleistungen angesiedelt ist, die von der

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Industrie als Lieferant oder Kunde abhängen.» Die Rolle der Industrie im Bereich der Innovation ist

ebenfalls nicht zu leugnen, da sie «80% aller privaten Investitionen in Forschung und Entwicklung

durchführt». Die Kommission ist also der Meinung: «Jetzt mehr denn je braucht Europa seine Indus-

trie und braucht die Industrie Europa.»

Die Industrie ist das Zugpferd für Innovation, Exporte und Dienstleistungen.

DIE NEUE BEDROHUNG

Nach der Produktionsverlagerung

Die Schweiz konnte sich dem Phänomen der Produktionsverlagerung nicht entziehen, auch wenn

ihre Industrie, genau wie die deutsche, besser standhalten konnte als die anderer europäischer

Staaten. Derzeit beschäftigen beispielsweise mehr als 300 Schweizer Unternehmen insgesamt

mehr als 125.000 Menschen in China. Allein ABB hat mehr als 18.000 Mitarbeiter in etwa 30 Pro-

duktionsstätten.

Die Zahl der Sektoren, einschliesslich der Sektoren mit einem hohen Mehrwert, sowie der Stellen,

die ins Ausland verlagert werden können, steigt weiter an. Ähnlich verhält es sich mit der Zahl der

Länder, die über eine hohe Anzahl an relativ gut ausgebildeten und günstigen Arbeitskräften ver-

fügen. Die Verlagerung der Produktionsstätten dürfte also in den nächsten Jahren weiter anhalten.

Zwar steigen die Löhne der Arbeiter in den aufstrebenden Ländern, ihre Kompetenzen allerdings

ebenso. Das vorteilhafte Verhältnis zwischen Arbeitskosten und Kompetenz dürfte also in den auf-

strebenden Ländern bestehen bleiben.

Die Unternehmen, die ihre Produktion wieder zurückverlagert haben, bleiben die Ausnahme, da sie

sich einer grossen Hürde stellen müssen: nämlich dem Neuaufbau ganzer Glieder in der Produk tions-

kette, was einen hohen Kostenfaktor darstellt.

Die Globalisierung hat zudem Auswirkungen auf die Unternehmensleitung. Bereits im Jahr 2002

stammten 40% der Vorstandsmitglieder aus dem Ausland, vor allem aus Deutschland, Grossbritan-

nien oder Frankreich. Diese Internationalisierung gilt vor allem für grosse Konzerne. Ihr Einfluss

wird bei der Entscheidungsfindung deutlich, was sich in den letzten Monaten insbesondere bei

Merck­Serono in Genf beobachten liess.

Durch den starken Franken erhöht sich das Risiko der teilweisen oder vollständigen Abwanderung

von Schweizer Unternehmen (oder ausländischer Firmen mit Standort in der Schweiz) ins Ausland.

Dies gilt selbst für die Nahrungsmittelbranche, wie sich bei Emmi zeigte, wo die Unternehmensfüh-

rung in Erwägung zog, eine Greyerzer­Kopie unter der AOC­geschützten Bezeichnung «Gruyère»

in den USA zu produzieren!

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7FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK - DIE FAKTEN

Die Schweizer Unternehmen sollten vielmehr eine feste Bindung zu ihrem Land, zu den hier

lebenden Arbeitnehmern und zu der hier ausgebauten Zuliefererkette beibehalten. Sie tragen

hier Verantwortung. Denn, so wie es keine Wirtschaft ohne Industrie gibt, so gibt es auch kein

Unternehmen, das nicht in irgendeiner Form einer bestimmten Nationalität angehört und seine

Wurzeln hat.

… die Verlagerung von Innovation und Forschung

2007 wurden 80% der Ausgaben für F&E in vier großen Wirtschaftsregionen getätigt: 36,2% in

den USA, 24,1% in der Europäischen Union,13,5% in Japan sowie 9,1% in China. Der weitere Ver-

lauf der Investitionssummen gestaltet sich allerdings recht unterschiedlich: Zwischen 2002 und

2007 stiegen sie in der EU um 33%, in den asiatischen Ländern um 75%. 2010 kamen in China auf

eine Million Menschen 2.000 Ingenieure, in den USA 6.500.

2007 befanden sich von 6,6 Millionen Forschern weltweit 43% in Asien, 24,3% in Europa, 14% in

Nordamerika und 10% in Zentral­ und Südamerika. All diese Zahlen zeigen auf, dass Asien dank

seiner neuen, starken Machtposition begonnen hat, die wissenschaftliche und technische Vorherr-

schaft der alten Triade des Wissens und des Mehrwerts, sprich USA, Europa und Japan, anzugrei-

fen.

In naher Zukunft werden auch Indien und Brasilien über technologische Kapazitäten verfügen, die

mit denen der Industrienationen Schritt halten können. In diesen Ländern werden bereits jetzt

und auch künftig immer mehr Ingenieure ausgebildet, die nicht weniger innovativ sind als unse-

re Ingenieure. Die aufstrebenden Länder, die bisher als die Fabriken der westlichen Wirtschaft

wahrgenommen wurden, werden nun zu Laboratorien, indem sie Sektoren mit hohem Mehrwert

schaffen und uns einen Teil der qualifizierten Arbeitsplätze nehmen. In den letzten Jahren gewann

der Gedanke, das Wissen dort zu suchen, wo es ist, anstatt die Kosten für F&E zu senken, immer

mehr an Boden. («Recherche et innovation: la nouvelle donne mondiale», Futuribles, Juni 2011).

Mitte der 80er Jahre gingen 38% der von der Schweizer Wirtschaft vorgesehenen Ausgaben für

Investitionen in F&E ins Ausland. 2008 lag dieser Anteil bei einem gleichzeitigen starken Anstieg

der F&E-Ausgaben bei 57%.

Die Investitionen in F&E im Ausland wirken sich natürlich auch positiv auf die Schweizer Unterneh-

men aus, da sie dadurch ihre Leistungen im Bereich der Innovation verbessern und Kostensenkun-

gen vornehmen können. Von diesen positiven Ergebnissen der jeweiligen Unternehmen kann auch

die restliche Schweizer Wirtschaft profitieren. Tatsache ist jedoch auch, dass durch diese Investitio-

nen im Ausland keine qualifizierten Arbeitsplätze in unserem Land entstehen («Internationalisierung

von Forschung und Entwicklung – Auswirkungen auf die Schweizer Wirtschaft»; Die Volkswirtschaft, Das Magazin für Wirtschaftspolitik, 10-2010).

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ZUKUNFTSPERSPEKTIVEN

Die fossilen Energiereserven verknappen weiterhin. In zahlreichen Ländern, darunter auch in der

Schweiz, besteht der Wille, auf Nuklearenergie zu verzichten. Momentan stellt daher der gesamte

Sektor der erneuerbaren Energien eine gute Möglichkeit dar, die industrielle Entwicklung voranzu-

treiben.

Allerdings müssen auch die weltweiten demographischen Veränderungen bei dieser Analyse be-

rücksichtigt werden. Zurzeit leben etwa 7 Milliarden Menschen auf der Erde. Laut Schätzungen

der Vereinten Nationen werden es im Jahr 2050 wohl mehr als 9 Milliarden sein. In den nächsten

Jahrzehnten wird die Bevölkerungszahl der Industrienationen hinter die der aufstrebenden Länder

sowie hinter die der Entwicklungsländer zurücktreten, denn deren Bevölkerungen werden weiter

stark ansteigen.

In Zukunft werden sich zwei weitere Phänomene herauskristallisieren: die Überalterung der Be-

völkerung sowie die Verstädterung. Beides dürfte zu Veränderungen im Konsumverhalten führen.

Exportunternehmen sollten die möglichen Effekte dieser Entwicklungen in ihren Tätigkeiten be-

rücksichtigen.

Ältere Menschen beispielsweise stellen eine immer bedeutendere Gruppe von Verbrauchern dar.

Dank medizinischer Fortschritte bleiben sie immer häufiger aktiv, verändern aber auch mit steigen-

dem Alter ihr Konsumverhalten. Ältere Menschen tendieren dazu, proportional mehr als andere

Altersklassen für Wohnung, Energie und Gesundheit auszugeben.

Jedes Unternehmen, das es schafft, seine Produkte an die Erwartungen und Bedürfnisse einer

alternden Gesellschaft anzupassen, indem es sie benutzerfreundlicher, praktischer oder auch siche-

rer gestaltet, dürfte von den weltweiten Alterungstendenzen profitieren. Von diesen Veränderungen

können alle Lebensbereiche betroffen sein: von der Telekommunikationstechnologie bis hin zur

Automobilindustrie.

Darüber hinaus wird die steigende Verstädterung sämtlicher Länder, insbesondere der aufstreben-

den Länder, vor allem denjenigen Sektoren zugute kommen, die in der Lage sind, in Bereichen der

Verkehrsinfrastruktur, der Kommunikation, der Energieversorgung als auch der Automobilherstel-

lung oder der Elektrotechnik neue Lösungen anzubieten. Umweltfreundliche Unternehmen dürften

ebenfalls hiervon profitieren. Vor allem für Unternehmen, die auf die Entwicklung ökologischer und

nachhaltiger Produkte spezialisiert sind (Cleantech), besteht grosses Potenzial. Für ein innovatives

Land, das Spitzenforschung betreibt, wie die Schweiz, ist dies ein ganz besonders vielverspre-

chender Markt. Die Exportplattform «Cleantech Switzerland», die von der OSEC (Office suisse

d‘expansion commerciale) auf Anfrage des Bundes ins Leben gerufen wurde, bietet den Unterneh-

men in diesem Bereich gezielte Hilfen bei der Markterkundung. Aber Bund und Kantone müssen

noch mehr unternehmen, um die Zukunftssektoren direkt zu unterstützen.

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9FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ DIE STÄRKEN DER SCHWEIZ

DIE STÄRKEN DER SCHWEIZ

Ein leistungsstarker Industriesektor hängt von einer Vielzahl von Faktoren ab: von verfügbarem

Kapital, Ausbildung der Arbeitskräfte, Innovationskapazitäten, angemessener Besteuerung und

Anreizen von Seiten der öffentlichen Hand, vom Unternehmergeist innerhalb der Bevölkerung,

dem Willen sich an einen Markt mit immer mehr Wettbewerb anzupassen und vielem mehr. Die

Stärken der Schweiz hinsichtlich dieser Faktoren sind bekannt.

DIE WETTBEWERBSFÄHIGKEIT

Laut dem letzten Jahresbericht des Weltwirtschaftsforums (WEF) ist die Schweiz erneut die wett-

bewerbsfähigste Volkswirtschaft der Welt, vor Singapur und den nordeuropäischen Ländern wie

Finnland, Schweden und den Niederlanden. Vier Jahr nacheinander konnte sich unser Land auf der

Basis einer Bewertung von Hunderten von Kriterien unter den ersten der Welt platzieren. Vor allem

in den Bereichen Innovation, technologische Kapazitäten und Effizienz des Arbeitsmarktes steht

die Schweiz an der Spitze.

Die Schweiz ist voll und ganz in den Prozess der Globalisierung integriert. Bereits in einer Studie

des amerikanischen Magazins Foreign Policy aus dem Jahr 2004 rangierte die Schweiz auf dem

dritten Platz der am stärksten globalisierten Länder. Dabei wurden Faktoren wie der Aussenhandel

in der nationalen Wirtschaft, das ausländische Investitionsvolumen in das jeweilige Land sowie die

Nutzungsrate der internationalen Telekommunikationsdienstleistungen und des Internets im Ver-

hältnis zur Einwohnerzahl berücksichtigt.

FORSCHUNG UND INNOVATION

Die Schweiz geniesst einen ausgezeichneten Ruf in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und

Technologie. Jedes Jahr werden beträchtliche Mittel investiert, um die Wettbewerbsfähigkeit der

Schweiz zu bewahren und zu fördern. Zwei Drittel der Forschung werden von privater Hand finan-

ziert. Die wichtigsten Forschungsbereiche sind die Chemische Industrie, die Pharmaindustrie, der

Elektroniksektor und die Metallindustrie.

Auch im Bereich der Innovation steht die Schweiz laut einer jährlichen Klassifikation von 141 Ländern,

die von der international führenden Business School INSEAD (Institut européen d‘administration

des affaires) und von der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Juli 2012 veröffentlich

wurde, an erster Stelle. Bereits im letzten Jahr belegte die Schweiz den ersten Platz, vor Schweden,

Singapur, Finnland usw. Allerdings wurden auch die Schwächen unserer Institutionen in dem

Bericht aufgezeigt: Bei der Schaffung von Unternehmen oder bei der Regelung im Bankrottfall

beispielsweise bestehen noch Schwierigkeiten.

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Andere europäische Länder liegen auf folgenden Plätzen: Norwegen Platz 14, Deutschland 15,

Frankreich 24, Spanien 29, Italien 36 und Griechenland 66. In dem Bericht wird festgestellt, dass es

ein «Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten» gibt, d.h. zwischen den Ländern in Nord­ und

Westeuropa und in Süd­ und Osteuropa, die weniger gute Ergebnisse aufweisen.

Francis Gurry, Generaldirektor der WIPO, kommentierte diese Ergebnisse, indem er an die essen-

tielle Rolle der Politik für die Innovation erinnerte und dazu aufrief, «dem Druck, der durch die

derzeitige Krise auf die Investitionsrate ausgeübt wird, nicht nachzugeben».

Jedes Jahr gibt das Beratungsunternehmen Booz & Company einen Bericht über die Unterneh-

men heraus, die am meisten in F&E investieren. Die Schweizer Unternehmen sind hier nicht nur

überrepräsentiert, sondern nehmen zudem die obersten Plätze innerhalb der Rangfolge ein. 2011

hat das Pharmaunternehmen Roche erneut die weltweit höchste Summe für Investitionen in F&E

freigegeben.

EIN DICHTES NETZ VON KMU

Laut der «Global 500»­Liste für das Jahr 2010, die vom amerikanischen Wirtschaftsmagazin Fortune

herausgegeben wird, gehören 15 Schweizer Unternehmen zu den 500 umsatzstärksten börsenno-

tierten Weltkonzernen. Der Lebensmittelgigant Nestlé ist (mit mehr als 278.000 Mitarbeitern im

Jahr 2009, darunter 97% im Ausland)das grösste dieser Unternehmen.

Aber die Stärke des Schweizer Wirtschaftsgefüges liegt in einem dichten Netz von zahlreichen

kleinen und mittelständischen Unternehmen (KMU). Den Zahlen der Betriebszählung aus dem

Jahr 2008 zufolge hatten mehr als 99% der Unternehmen weniger als 250 Vollzeitbeschäftigte.

Sie nahmen etwa zwei Drittel der Arbeitsplätze ein. Die meisten dieser KMU sind familiengeführte

Betriebe und bei vielen kommt es immer dann zu Schwierigkeiten, wenn es um die Frage der

Nachfolge geht.

EXPORT VON INDUSTRIEPRODUKTEN

Die Schweiz gehört zu den Ländern mit den höchsten Anteilen des Aussenhandels am Bruttoin-

landsprodukt. 2011 fiel die Handelsbilanz durchweg positiv aus: Der Saldo beträgt 24 Milliarden

Franken. Die Exportquote der Schweiz liegt bei 35% des BIP. In einigen Sektoren werden mehr als

90% der Güter und Dienstleistungen exportiert (Offizielle Statistik zum Aussenhandel des Eidge-

nössischen Finanzdepartements).

Die Schweiz brilliert im Bereich unsichtbarer Exporte, d.h. bei Dienstleistungen wie Unternehmens-

beratung, Versicherungen oder Tourismus, selbst wenn letzterer besonders sensibel auf die Kon-

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11FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ DIE STÄRKEN DER SCHWEIZ

junktur reagiert. Aber Mechanik, Elektrotechnik und Chemie machen an sich schon mehr als die

Hälfte der Schweizer Exporteinnahmen aus. Die Schweiz ist einer der wichtigsten Exporteure von

Produkten wie Textilmaschinen, Papiermaschinen, Druckmaschinen, hochpräzisen Werkzeugma-

schinen, Aufzügen und Rolltreppen, Verpackungsmaterial und Zahnradbahnen.

Mit einem Anteil von etwa 28% am gesamten Exportvolumen ist die Pharmaindustrie heute die

Hauptexportbranche der Schweiz, gefolgt von der Maschinenindustrie (12%), der Chemischen

Industrie (10%) und der Uhrmacherei (8%). Diese Bereiche sind jedoch raschen Veränderungen

unterworfen. Die Maschinenindustrie (hierzu gehören Maschinenbau, Metallindustrie und Feinme-

chanik, Elektrotechnik, Elektronik und Fahrzeugbau) ist wichtigster Industriearbeitgeber im Land.

2009 entfielen auf die Maschinenindustrie 330.000 Arbeitsplätze. Sie ist aufgrund unseres extrem

kleinen Binnenmarktes die Exportindustrie schlechthin. Seit 1990 ist ihr Anteil am Export allerdings

stark gesunken. Bis dahin war sie mit einem Anteil von 23% die bei Weitem wichtigste Exportbran-

che, weit vor der Chemischen Industrie.

Um mit der internationalen Konkurrenz Schritt halten zu können, müssen unbedingt Massnahmen

zur Produktverbesserung und zur Kosteneinsparung ergriffen werden. Qualität allein führt nicht

automatisch zu mehr Wettbewerbsfähigkeit. Das Verhältnis von Preis und Qualität ist für Erfolge

auf dem Markt entscheidend.

Die Schweiz hat die letzte Krise sicherlich überstanden, aber aufgrund ihres sehr kleinen Binnen-

marktes reagiert ihre Wirtschaft weiterhin sensibel auf Probleme im Ausland. Um diesen Problemen

so gut wie möglich begegnen zu können, muss die Schweiz mit so vielen Ländern wie möglich Han-

delsbeziehungen unterhalten. Es gilt also, die Exportziele unserer Produkte vielfältiger zu gestalten

und für mehr Präsenz auf den wachsenden Märkten zu sorgen.

Als Mitglied der OSEC (eine staatliche Organisation, die den Schweizer Unternehmen dabei hilft,

ausländische Märkte zu erschliessen) ermahnt Patrick Djizmedjiandie Exporteure und empfiehlt

ihnen, ihre Risiken möglichst gut zu verteilen und ihre Absatzmärkte zu diversifizieren, ohne jedoch

den nach wie vor wichtigen traditionellen Märkten gänzlich den Rücken zu kehren. «Eine gute

Handelsstrategie besteht darin, nicht zu viel in der Euro- und Dollarzone auszugeben», erklärt er.

«In Südostasien gibt es 600 Millionen Konsumenten. Die Unternehmen müssen also flexibler sein,

wenn sie ihre Exportstrategien anpassen wollen. Wenn z.B. 80% der Ausfuhren einer Firma für

die Eurozone bestimmt sind, ist es sicherlich schwierig für dieses Unternehmen, seine Strategie in

wenigen Monaten auch auf andere Märkte wie die aufstrebenden Länder auszurichten.»

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ZIELE

Die Lage der Schweiz ist heute sehr positiv und ich bin der Erste, der sich darüber freut. Unser

Land hat – wie auch Deutschland – der Desindustrialisierung bestmöglich standhalten können. Wir

befinden uns nicht in der gleichen Situation wie das Grossbritannien oder Frankreich, wo die Indus-

triestrukturen zerstört wurden. Wir konnten uns unsere hochwertige Nischenproduktion bewahren.

Dazu gehören Feinmechanik, Pharmaprodukte und Uhren, um nur die bekanntesten Branchen zu

nennen. Aber wir dürfen uns nicht auf unseren Lorbeeren ausruhen. Der Anteil des herstellenden

Gewerbes am Mehrwert ist in den letzten 50 Jahren um die Hälfte zurückgegangen: 1960 lag

der Anteil bei 40%, heute bei 20%. Gleichzeitig ist der Anteil der Arbeitsplätze von 50% auf 22%

gesunken. Insbesondere durch die Effekte der Krise und der Globalisierung werden die Verände-

rungen beschleunigt. Vor etwa 10 Jahren lachten die Banken noch höhnisch, als man ihnen das

Ende des Bankengeheimnisses voraussagte…

Die in der Bundesregierung vorherrschende Mentalität muss angepasst werden. Es ist vielleicht

nicht notwendig, über ein Eidgenössisches Volkswirtschaftsdepartement zu verfügen, dem es nur

darum geht, gar nicht oder so diskret wie möglich zu handeln. Die direkte Entwicklungshilfe der

Unternehmen ist ein Instrument, das nicht mehr tabuisiert werden darf. Einige Kantone, darunter

der Kanton Waadt, haben dies endlich verstanden. Sie unterstützen Unternehmen wie Bobst oder

Novartis direkt, wobei diese Hilfe an Zukunftsprojekte gekoppelt ist. Die Eidgenossenschaft muss

endlich aufwachen, bevor es zu spät ist.

AMBIVALENTE EINSTELLUNGEN ZUR INDUSTRIEPOLITIK

Am 4. April 2012 schrieb Claudine Amstein, Direktorin der Waadtländer Industrie-und Handels-

kammer (Chambre vaudoise du commerce et de l‘industrie, CVCI), in 24 heures: «Die Schweizer

Industrie ist von Produktionsverlagerungen ins Ausland bedroht, was einen Verlust an Know-

how bedeutet, das innerhalb von Jahrzehnten nach und nach entwickelt wurde. Die Waadtlän-

der Industrie­ und Handelskammer (CVCI) kann sich dieser Behauptung[…], die am Samstag

durch die Schweizer Sozialisten während einer Delegiertenversammlung erhoben wurde, vor-

behaltlos anschliessen. Die Partei von Christian Levrat ruft den Bundesrat dazu auf, «endlich

zuzugeben, dass die Notwendigkeit besteht, eine glaubhafte Industriepolitik auf den Weg zu

bringen».

Dennoch geht es hier nicht um dieselbe Industriepolitik, von der Claudine Amstein und die Sozia-

listen sprechen. Die Direktorin der CVCI spricht lediglich von einer Verbesserung der Rahmenbe-

dingungen der Wirtschaft im Allgemeinen. Die Sozialisten sprechen von Interventionen des Staa-

tes, um den Industriesektor zu unterstützen und zu fördern. Claudine Amstein nennt als nötige

Massnahmen lediglich den Kampf gegen den Franken, die Senkung der Steuerabgaben bzw. den

Verzicht auf die Erhöhung der Lohnnebenkosten für die Unternehmen, die Investitionen in die Inf-

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13FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ ZIELE

rastruktur, das Verkehrswesen sowie die Bildung. Diese Massnahmen sind zwar notwendig, um die

Industrie zu festigen, ausreichend sind sie allerdings nicht.

Die Mehrheit der Wirtschaftskreise, allen voran die Schweizer Wirtschaft zusammen mit dem Bun-

desrat, vertreten eine liberale politische Linie. Diese Haltung wird in der Antwort der Regierung

auf die Motion «Industriepolitik für die Schweiz», die im Juni 2004 von Nationalrätin Susanne Leu-

tenegger Oberholzer eingereicht wurde, ganz klar deutlich. Es lohnt sich, einen längeren Auszug

daraus zu zitieren:

«Die jüngste Wirtschaftsgeschichte unseres Landes ist in der Tat durch eine Desindustrialisierung

geprägt, wenn man diese an der Zahl der Erwerbstätigen in den einzelnen Sektoren misst. Dieser

Trend wird als Folge der Globalisierung mit hoher Wahrscheinlichkeit weiter gehen. Auch die in

unserem Lande verbleibenden Teile des Industriesektors werden immer weniger im Produktions-

bereich angesiedelt sein, jedenfalls soweit es um Produktionen geht, bei welchen der einzelne

Mitarbeiter nicht individuell auf Produktgestaltung und Produktqualität einwirkt. Denn die Standar-

disierung der industriellen Produktion gekoppelt mit Informationstechnologien ermöglicht solche

Produktionen an beliebigen Standorten. Der Standort Schweiz hat seine komparativen Vorteile in

den Bereichen Management, Forschung und Entwicklung, Marketing und Kommunikation sowie in

hochentwickelten oder kundenspezifischen Fertigungsaktivitäten. Diese Aktivitäten werden auch

in der Zukunft in der Schweiz verbleiben oder sogar zusätzlich bei uns angesiedelt werden. Sie

werden aber teilweise dem Tertiärsektor zugerechnet, obwohl sie im Dienste des Industriesektors

verrichtet werden.»

Es wird deutlich, dass die Produktion als solche von der Regierung nicht als Sektor von besonderer

Bedeutung betrachtet wird. Das Zitat endet mit klaren Worten: «Der Bundesrat lehnt deshalb eine

staatliche Lenkung des Industriesektors – und genau dies ist eine Industriepolitik – grundsätzlich

ab.» Management, Forschung, Marketing und Kommunikation sowie führende Produktionsverfah-

ren, im Wesentlichen also der tertiäre Sektor, darin sieht man 2004 die Zukunft. Doch die Dinge

ändern sich mit rasanter Geschwindigkeit. Auch die aufstrebenden Volkswirtschaften können be-

trächtliche Fortschritte verzeichnen, in Bereichen, die jedoch ihrerseits von Standortverlagerung

bedroht sind. Durch die massiven Angriffe auf unser Steuersystem von Seiten der Vereinigten Staa-

ten und unserer Nachbarn wird nicht nur der Finanzplatz Schweiz in Frage gestellt, sondern auch

die Attraktivität unseres Landes für ausländische Unternehmen. Die Stabilität unseres Systems, die

traditionell eine der grossen Stärken der Schweiz darstellt, scheint heute ein wenig ins Wanken zu

geraten, da sie davon abzuhängen scheint, ob man im Ausland guten Willen zeigt.

Tatsächlich wird in allen Ländern Staatsinterventionismus zu Gunsten einiger Sektoren, unter an-

derem des verarbeitenden Gewerbes, betrieben – auch in jenen Ländern, die nur scheinbar eine

Freihandelspolitik führen. Wenn Wettbewerb auch unerlässlich für das Funktionieren der Wirtschaft

ist, so darf er doch nicht als solcher zum Ziel werden. Wenn das Wettbewerbsprinzip allzu fun-

damentalistisch vorangetrieben wird, wird damit nur erreicht, dass die anderen Industrieländer,

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die eine Interventionspolitik betreiben und ihre Unternehmen gegen den Wettbewerb aus dem

Ausland stärken, davon profitieren. Und auch die aufstrebenden Länder ziehen daraus Vorteile.

Deren billige Arbeitskräfte bedrohen unseren Lebensstandard, stehen aber ihrerseits ohne jeg-

lichen Arbeitnehmerschutz da. Zu dieser Situation kommen die grossen Herausforderungen der

Energiefrage und der verheerenden demographischen Entwicklung in Europa; sie stellen eine mas-

sive Bedrohung dar.

Leider schliesst der Bundesrat seine Augen vor diesen Problemen und weigert sich, sie zu sehen.

Im September 2011 stellte er sich noch gegen das Postulat des Nationalrats des CVP Pirmin Bi-

schof, der eine Reihe von Fragen zur Industriepolitik der Schweiz stellte. Die Antwort auf die Frage

«Welche Formen einer (impliziten oder offiziellen) Industriepolitik anderer Industriestaaten werden

praktiziert?» ist so inhaltsleer wie wortreich. Nachdem daran erinnert wurde, dass die Europäische

Union und die EFTA mit einem Regelwerk zu staatlichen Hilfen der Mitgliedsstaaten ausgestattet

sind, ohne deren Ausmass und Wirkung näher zu betrachten, lautete die Schlussfolgerung des

Bundesrates: «Die Regelungen der WTO sind in ihrem Umfang nicht mit jenen der EU vergleichbar;

demnach verfügen die USA, die Länder des Fernen Ostens, die EU sowie die Schweiz im Bereich

der Staatshilfen über mehr Spielraum als die WTO.» Wenn man diese Worthülsen liest, würde man

sich wünschen, dass unsere Regierung endlich Übersetzer einstellt, die uns diese Phrasen verständ-

lich machen.

GUTE GRÜNDE ZU HANDELN

Aus einem globalen Blickwinkel, der weder ultraliberal noch kollektivistisch gefärbt ist, hat der

Staat die Rolle eines Wächters über den Wettbewerb inne, sowie die eines Garanten des sozia-

len Gleichgewichts. Der Markt bleibt der wichtigste Regulierungsmechanismus, doch der Staat

kann und muss unterstützend eingreifen, wenn die nationalen Interessen durch die Gesetze des

Marktes bedroht werden und die Volkswirtschaft in ihrer Substanz gefährdet wird. Der Staat muss

eine umfassende konjunkturelle und strukturelle Steuerung gewährleisten, um die Entstehung und

Entwicklung von Unternehmen zu fördern, angefangen bei den produzierenden Sektoren, die eine

Schlüsselrolle für die gesamte Wirtschaft spielen.

Es geht nicht darum, Industriezweige ohne Zukunft zu unterstützen, wie es in Europa vergeblich im

Bereich der Kohle­, Eisen­ und Stahlindustrie geschehen, ist sondern darum, in die Erhaltung und

Entwicklung zukunftsträchtiger Branchen zu investieren, in denen dank unseres Know-hows unser

gesamtes Potenzial liegt.

Blicken wir der Realität ins Auge. Von der Standortverlagerung sind mittlerweile auch die Bio-

technologie und die Glasfaserindustrie betroffen. Photovoltaikbetriebe haben massive Schwierig-

keiten. Einige Pharmakonzerne wie Novartis bauen nicht nur Produktionsstätten, sondern auch

Forschungszentren im Ausland. Logitech und Kudelski haben mit Gegenwind zu kämpfen. Wenn

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15FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ ZIELE

unsere Startup­Unternehmen erfolgreich sind, so sind sie meist schnell in ausländischer Hand. Nicht

die «veralteten» Branchen stehen auf dem Spiel, sondern unsere Spitzenbereiche. Mit der noch

herrschenden Mentalität in Bern kann der Realität nicht länger die Stirn geboten werden.

Denn es gibt keine Urzeugung, weder in der Wirtschaft noch in der Biologie. Staatsinvestitionen

sind notwendig und gerechtfertigt, um Ziele zu erreichen, die der Markt nicht in befriedigendem

Ausmass bewältigen kann.

1. Staatsinvestitionen sind gerechtfertigt zur Finanzierung von Projekten ohne direkte und unmit-

telbare finanzielle Rentabilität, die jedoch einen unleugbaren sozioökonomischen Mehrwert haben.

Einige Investitionen lohnen sich nicht direkt, sie haben daher auf dem Markt keine Chance. Diese

Investitionen rentieren sich jedoch indirekt, denn sie wirken sich positiv auf das Wachstumspoten-

zial des Landes aus, indem sie günstige Bedingungen schaffen.

Dies ist beim Hochschulwesen der Fall und bei der Grundlagenforschung: In diesen Bereichen wird

kein unmittelbarer Mehrwert gebildet, doch sie sind die Stützpfeiler für eine Wissensgesellschaft,

die Innovationen möglich macht, die in der Folge in den Unternehmen entstehen können.

Dies ist bei Langzeitinvestitionen der Fall oder bei Projekten, die ein hohes Startkapital erfordern.

Durch Staatsintervention kann das horrende finanzielle Risiko für die Märkte aufgefangen werden,

zumindest am Anfang. Ein Grossteil der für die ökologische Wende nötigen Investitionen fällt unter

diese Kategorie. Diese aufstrebenden Sparten können durch Staatsinvestitionen angekurbelt wer-

den. Die Wind­ und Solarenergie zum Beispiel ist heute noch zu teuer im Vergleich zum herkömmli-

chen Strom, doch in Zukunft wird sie wahrscheinlich rentabel sein, durch technologische Fortschrit-

te und die vorhersehbare Preissteigerung der Energiepreise aus nicht-erneuerbaren Energien.

Dies ist auch der Fall bei manchen Investitionen ohne ausreichende Rentabilität, die jedoch einen

wesentlichen sozioökonomischen Mehrwert aufweisen. Projekte, die sich auf mikroökonomischer

Ebene nicht lohnen, können sich für die makroökonomische Entwicklung des Landes oder einer

Region als sehr gewinnbringend, ja sogar unabdingbar erweisen. Der Betrieb kleiner Bahnlinien

rentiert sich zum Beispiel nicht. Doch darin steckt ein höherer sozioökonomischer Mehrwert als

der direkte finanzielle Nutzen: Durch diese Bahnlinien werden die betroffenen Gegenden an die

Aussenwelt angebunden, dadurch wird ihr Wachstumspotenzial gesteigert und das Risiko der Ent-

völkerung gemindert, das in der Regel mit sehr hohen Kosten einhergeht.

Der Staat muss auch in strategischen Bereichen über die nationalen Interessen wachen. Ein Prob-

lem besteht heute beispielsweise beim Cloud Computing. Dabei handelt es sich um riesige Server-

zentren, in denen Daten in der Ferne gespeichert werden, anstatt auf der Festplatte des eigenen

Computers, dessen Rolle auf die eines «Terminals» reduziert wird. Wie bei den Standortverlagerun-

gen ist der wirtschaftliche Nutzen der Motor dieser Entwicklung. Doch bis zu welchem Grad kön-

nen wir akzeptieren, dass die Daten unserer Computer auf Dauer auf ausländischen Servern liegen?

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2. Staatsinvestitionen sind gerechtfertigt, um die Industrie und ihr wirtschaftliches Potenzial im

Krisenfall aufzufangen. Nach Ausbruch der US­Immobilienkrise gab es in vielen Staaten beachtli-

che Staatsinterventionen. In Frankreich flossen 7,8 Milliarden Euro an Hilfsmitteln an die Automo-

bilindustrie, vor allem in Form von Darlehen (dazu kamen erst kürzlich weitere 1,8 Milliarden für

die Entwicklung von Autos mit alternativen Treibstoffen). In den USA wurden 17 Milliarden Dollar

bewilligt (zu dieser Summe kommen weitere 25 Milliarden Dollar aus einem Programm des Ener-

gieministeriums zur Entwicklung von Elektroautos). So machte US­Präsident Obama die Rettung

der Automobilindustrie während seiner Amtszeit zu einem seiner grössten Erfolge in seinem Wahl-

kampf zur Wiederwahl.

Solche Interventionen sind nicht nur aus gesellschaftlicher Hinsicht legitim, sondern auch aus wirt-

schaftlicher, da es um die Stützung einer Zukunftsbranche geht, die Krise zu überstehen und sich

gleichzeitig den neuen Zeiten anzupassen. Wenn Toyota ein neues Werk in Frankreich baut, wes-

halb sollten Peugeot und Renault aus Prinzip nicht diese Möglichkeit haben?

Die Schweizer Regierung hat keinen Finger gerührt, um Swissair zu retten, doch sie hat zu Gunsten

von UBS eingegriffen. Man kann diese Direkthilfe der Eidgenossenschaft für die Bank auf min-

destens dreierlei Weise interpretieren: Eine zeitlich begrenzte staatliche Unterstützung kann ein

zukunftsfähiges Unternehmen, das in einer schwierigen Phase steckt, vor dem Bankrott bewahren.

Diese Unterstützung hat sich als gutes Geschäft für den Staat selbst entpuppt, da am Ende der

Finanzierung ein deutlicher Gewinn heraussprang. Und schliesslich waren es die Bankiers selbst,

die um Staatshilfen ersuchten, deren Prinzip ihnen selbst so widerstrebt hatte.

Für eine moderne Industriepolitik sind deshalb neue Lenkungsformen für Staat und Interventionen

in diesem Bereich notwendig.

MASSNAHMEN

Rahmenbedingungen

• Währungspolitik

Zentral ist die Umsetzung einer Währungspolitik, die darauf ausgerichtet ist, den negativen Ein-

fluss des starken Frankens auf unsere Exporte abzuschwächen. Die SNB muss weiterhin eingreifen,

um den Wert des Schweizer Frankens in einem gewissen Verhältnis zum Euro zu halten. Diese Po-

litik muss durch eine gemeinsame Massnahme auf internationaler Ebene gestärkt werden, damit

die drei Hauptwirtschaftszonen der Welt, Dollar, Euro und Yuan, in einer weniger irrealen Parität

zueinander stehen. Die chinesische Währung wird absichtlich abgewertet, um den chinesischen

Produkten leichteren Zugang zum Markt zu verschaffen. So findet eine massive Wettbewerbsver-

zerrung statt.

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17FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ ZIELE

• Steuerpolitik

Unsere Wettbewerbsfähigkeit muss stärker auf Faktoren gründen, mit Hilfe derer die Produktions-

kosten kompensiert werden können: auf Qualität und Innovation. Dazu gilt es, eine Steigerung der

Lohnkosten zu vermeiden, durch Steuererhöhungen und höhere Abgaben für Unternehmen oder

durch eine Senkung der Arbeitszeit. Stattdessen sollten Steuererleichterungen für Unternehmen

angestrebt werden, auf eine gezielte Art und Weise, beispielsweise mittels niedrigerer Steuersätze

für Unternehmen, die in Forschung und Entwicklung investieren. Genau dies geschieht bereits in

den USA sowie in mehreren Ländern in Europa und Asien.

Eine neue Studie von KPMG, der Universität St. Gallen und der Schweizerisch­Amerikanischen Han-

delskammer, die im August 2012 veröffentlicht wurde, zeigt, dass immer mehr Schweizer Unterneh-

men ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ins Ausland verlagern. Ausserdem geht man

in über der Hälfte der befragten Unternehmen davon aus, dass in den kommenden fünf bis zehn

Jahren Standortverlagerungen stattfinden werden. Angesichts dieser Ergebnisse schlägt KPMG

ein abgestuftes Besteuerungssystem für Unternehmen vor, je nach Höhe der Ausgaben im Bereich

Forschung und Entwicklung.

• Gesetzgebungspolitik

Die Gesetzgebung muss vereinfacht werden, um eine Benachteiligung der Unternehmen, vor allem

der KMU, zu vermeiden. Wie man sich in der Politik auch dazu äussern mag – die Unternehmen

sind auf allen Ebenen mit einer extrem langsamen und komplizierten Verwaltungsmaschinerie kon-

frontiert. In den Unternehmen, vor allem den KMU, wartet man seit Jahren auf eine Vereinfachung

der Verwaltungsformalitäten, die schon oft versprochen, jedoch nie umgesetzt wurde. Die Vereinfa-

chung der Bürokratie muss vorangetrieben werden, damit die vielen Unternehmer nicht entmutigt

werden.

Die Übernahme von Familienunternehmen muss vereinfacht werden. Die Zahlen der Familienun-

ternehmen, die vom Vater an den Sohn weitergegeben werden, sind in der Schweiz wie in vielen

anderen europäischen Ländern weiter rückläufig. Das zeigt, dass diese Unternehmen stark an At-

traktivität verloren haben. Aus einer Studie aus dem Jahr 2009 ging hervor, dass 77.000 Schweizer

Unternehmen auf der Suche nach einem Nachfolger waren, und dass bei 40% von ihnen die Schlies-

sung nicht mehr aufzuhalten war – mit all ihren Folgen für die Beschäftigten und dem damit einher-

gehenden Wissensverlust. 2008 wurde eine Beratungsplattform für Nachwuchs-Kleinunternehmer

ins Leben gerufen, doch bisher konnte keine Trendwende verzeichnet werden. Weitere Massnah-

men sind notwendig: Wo Unternehmen von der nächsten Generation einer Familie übernommen

werden, muss die Erwerbssteuer für Nachwuchsunternehmer erheblich gesenkt werden.

Die KMU müssen in ihrer Investitionstätigkeit unterstützt werden. Viele Unternehmer klagen darü-

ber, nicht über genug finanziellen Spielraum zu verfügen, um sich den Schwankungen der Konjunk-

tur anpassen zu können. Es müssen einfachere Finanzierungsmöglichkeiten geschaffen werden,

insbesondere in der Form rückzahlbarer staatlicher Kredite zu günstigen Konditionen.

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Durch die Schaffung einer staatlichen Investitionsbank nach deutschem Modell könnten diese Ziele

in greifbare Nähe rücken. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) besteht seit mehr als 60 Jahren.

Sie wurde 1948 gegründet mit dem wesentlichen Ziel, die KMU zu unterstützen und die Entstehung

neuer Unternehmen zu fördern. Wieso sollte die Schweiz sich nicht von diesem Modell inspirie-

ren lassen und es an unsere Dimensionen und Bedürfnisse anpassen? Wenn man unseren grossen

Nachbarn heute betrachtet, scheint die KfW weder dem deutschen Wirtschaftswachstum noch

seiner Wettbewerbsfähigkeit geschadet zu haben. Die in Bern fest verankerte Überzeugung, durch

Staatsinterventionen schade man der Wettbewerbsfähigkeit, mündet vor allem in der Konsequenz,

dass die Entstehung neuer Unternehmen in Zukunftsbranchen verhindert wird.

• Investitionspolitik

Wer nur im Hier und Jetzt lebt, der bekommt später seine Quittung – zu einem sehr viel höheren

Preis. Anfang Februar 2011 wurden in einer Studie des Nationalfonds zur Förderung der wissen-

schaftlichen Forschung die jährlichen Kosten für Wartung und Ausbau der Wohnungsinfrastruktur,

des Transportwesens (Bahngleise und Strassenverkehr), des Stromnetzes und der Wasseraufbe-

reitung in den kommenden 20 Jahren auf rund 65 Milliarden Franken, d.h. 12% des BIP, beziffert.

65 Milliarden pro Jahr! Um die Auswirkungen einer solchen Summe ein wenig klarer zu machen:

Sie entspricht der Höhe des Schweizer Jahreshaushalts. Und diese Kalkulation geschah noch, be-

vor nach der Nuklearkatastrophe von Fukushima der Atomausstieg beschlossen wurde, der auch

seinen Preis haben wird. Es wurde versäumt, frühzeitig auf die demographische Entwicklung und

die Veränderungen in der Gesellschaft zu reagieren, und nun wissen wir nicht mehr, wie wir diese

Versäumnisse noch kompensieren können, die in zahlreichen Bereichen entstanden sind. Diese

Situation ist der Grund für die Blockaden, die bei Volksinitiativen immer häufiger werden: Bauland

wird nicht freigegeben und das Bevölkerungswachstum nicht berücksichtigt, in Erwartung besse-

rer Zeiten.

Deshalb dürfen die Sparmassnahmen bei den Ausgaben, die für das Funktionieren des Staates

durchaus sinnvoll sind, keine Anwendung im Bereich der Investitionen finden. Diese Massnahme

stellt ein Hindernis für die Investitionen dar, die notwendig sind, um unsere Zukunft aufzubauen.

Diese Investitionen werden als blosse Ausgaben betrachtet, und daher nach den gleichen Kriteri-

en beurteilt wie die Ausgaben für «Konsum».

Durch die Kompetenzzersplitterung auf Verwaltungsebene gibt es ausserdem kein Gesamtbild

unserer Wirtschafts- und Handelspolitik. Das neue Departement für Wirtschaft, Bildung und For-

schung (WBF), das am ersten Januar 2013 das ehemalige Volkswirtschaftsdepartement ablösen

und neben der wirtschaftlichen Ebene auch den Aussenhandel abdecken wird, stellt in dieser

Hinsicht einen Fortschritt dar – unter der Bedingung, dass es sich nicht Bürokratie, sondern Wett-

bewerb auf die Fahnen schreibt.

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19FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ ZIELE

Industriepolitik

• Innovationsförderung

Es war schon immer so, dass Innovation dort geschieht, wo sich finanzielle Mittel und Kompetenz

auf einem Gebiet konzentrieren. Nun gilt es, die Investitionen in grossangelegten Mobilisations-

programmen zu Gunsten industrieller Innovation zu bündeln (in den Bereichen der Nanotechno-

logie, der Biotechnologie und der erneuerbaren Energien) und private und staatliche Investoren

für ein gemeinsames Projekt um einen Tisch zu versammeln. Der geplante Atomausstieg ist eine

einzigartige Gelegenheit für innovative Neuerungen in diesem Bereich.

Dieses Ziel kann durch die Schaffung spezifischer Kompetenzzentren erreicht werden. Dabei wer-

den an einem Ort öffentliche und private Institutionen angesiedelt mit einer Ko­finanzierung von

Mitarbeitern aus Industrie und Forschung, und mit Unternehmen, die sich gegenseitig ergänzen,

sowohl in ihrer Rolle auf dem Markt (Kunden und Anbieter) als auch in ihren Geschäftsfeldern. Das

Ziel besteht darin, Klumpen-effekte und Netzwerke rund um die Innovationsprojekte zu schaffen,

die wiederum zu Vorteilen im internationalen Wettbewerb führen. Heute kann Innovation nicht

mehr nur durch Spezialisierung auf einem Gebiet geschaffen werden, sondern durch die Bündelung

von Kompetenzen aus verschiedenen Richtungen.

In verschiedenen Kantonen – Waadt im Technologiebereich und Genf im spezifischeren Bereich

«Cleantech» – wurden bereits vergleichbare staatlich-private Kooperationsplattformen mit ver-

schiedenen Beteiligten gegründet: Bildungseinrichtungen, Forschungszentren, Firmen, Startup­

Unternehmen, etc.

Von Seiten der Bundesbehörden selbst wurde bereits die Einrichtung eines Nanotechnologiezent-

rums angekündigt. Laut dem im Frühjahr 2012 erschienenen Bericht «Swiss Nanotech Report» bietet

die Schweiz zahlreiche Vorteile für die 600 Schweizer Unternehmen, die mehr oder weniger direkt in

dieser Branche tätig sind. Die Nanotechnologie arbeitet im Bereich der Herstellung oder Verarbei-

tung kleinster Teilchen, in Dimensionen zwischen einem Tausendstel bis zu einem Millionstel Millime-

ter. In zahlreichen Branchen wird mit dieser Technologie gearbeitet, beispielsweise in der Pharmain-

dustrie, der Chemiebranche, der Textilindustrie, im Bereich der Halbleiter und der Solarenergie.

All dies sind Schritte in die richtige Richtung. Doch in der Schweiz verharrt man weiterhin in dem

Glauben, dass es ausreiche, Expertenteams in die Unternehmen zu schicken, so dass diese von de-

ren Ratschlägen profitieren und Entwicklungsprojekte umsetzen können. So ist man der Meinung,

man benötige keine finanziellen Direkthilfen.

Für Investitionen, die potenziell rentabel, doch zu teuer und risikobehaftet für die Unternehmen

sind, gibt es bereits eine einfache Möglichkeit: rückzahlbare Kredite. Das heisst, dass der Kredit im

Falle eines eintretenden Erfolges zurückgezahlt werden muss. Zur Wahrung des Wettbewerbsprin-

zips zwischen den Unternehmen darf die Verteilung der Investitionsbeträge nicht durch den Staat

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erfolgen, sondern durch sachkundige Gremien mit Experten des jeweiligen Fachbereichs und Unter-

nehmensleitern, die damit betraut sind, Projekte auf Grundlage einer Ausschreibung auszuwählen.

Doch Vorsicht. Für eine effiziente Arbeit ohne Missbrauch muss eine transparente Industriepolitik

realisiert werden, die auf einfachen Kriterien basiert. Laut Jean­Pascal Bobst, Geschäftsführer der

Bobst Group, ist der Bürokratieapparat der Schweiz im Bereich der Innovationsförderung heute viel

zu komplex: «Die Kommission für Technologie und Innovation verfügt über einen jährlichen Fonds

in Höhe von 100 Millionen, der jedoch auf Grund der komplexen Zuerkennungskriterien nie ausge-

schöpft wird. Diese Massnahme funktioniert im Falle der Hochschulen, doch sie ist nicht geeignet

für angewandte Forschung in Unternehmen, im Rahmen derer Projekte mit Kosten zwischen 20 und

50 Millionen durchgeführt werden. Wir erwarten keine Gratis­Subventionen, aber eine Unterstüt-

zung, die mit der unserer Konkurrenz in anderen Ländern, in Europa und darüber hinaus, vergleich-

bar ist.» (24 heures, 9. November 2011).

• Unterstützung der zukunftsfähigen Industriesektoren

Es muss eine Massnahme geschaffen werden, die es möglich macht, dass ausländische Investitio-

nen in strategische Unternehmen der Genehmigung durch den Staat unterliegen. Ausserdem gilt

es zu vermeiden, dass Startup­Unternehmen von ausländischen Firmen aufgekauft werden sobald

ihre Innovationen für den Markt interessant werden. Im Bereich der Medizin muss auf die Ent-

wicklung translationaler Forschung gesetzt werden, damit die Patienten schnellstmöglich von den

Ergebnissen der Grundlagenforschung profitieren können. Darüber hinaus müssen neue Mechanis-

men geschaffen werden, damit die Innovationen unserer Unternehmen in der Schweiz produziert

werden können und nicht im Ausland. Mit einem geeigneten Mechanismus hätte der Smart in der

Schweiz gebaut werden können, anstatt ihn an einen deutschen Konzern abzutreten.

Erst vor kurzem wurde im Wallis mit Stolz die leistungsstärkste Windkraftanlage der Schweiz in Be-

trieb genommen. Und wo wurde sie gebaut? In Deutschland. Hat die Schweiz nicht das Potenzial,

ein solches Windkraftwerk selbst zu bauen? Sind die Bedingungen hierzulande so viel erschwerter

als in Deutschland? Weshalb ist die Schweiz zu einem hohen Mass zu Innovation in der Lage, aber

nicht dazu, diese innerhalb der eigenen Landesgrenzen zu produzieren? Die Gründe für diese Fra-

gen liegen an unserer Industriepolitik – oder vielmehr an ihrem Nichtvorhandensein.

Ein Sakrileg? Im Sinne des liberalen Dogmas dürfte die Schweiz nicht direkt unterstützend in ihre

Wirtschaft eingreifen. Sie muss sich darauf beschränken, günstige Rahmenbedingungen für die

Entwicklung der Unternehmen zu schaffen. Es hat den Anschein, dass unsere Wirtschaftsexperten,

die uns so gerne die Vereinigten Staaten als Beispiel anführen, taub für die Geschehnisse im Be-

reich der nationalen Wirtschaftsförderung sind.

Die US­Regierung ist bei Weitem der grösste Investor für Risikokapital im eigenen Land. Bei der

Entstehung des Silicon Valley und der Einführung des Internets in den USA spielten Verträge mit

dem Verteidigungsministerium eine zentrale Rolle. Diese rasante Entwicklung wäre ohne das Start-

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21FÜR EINE SCHWEIZER INDUSTRIEPOLITIK ­ ZIELE

kapital des Pentagons nicht möglich gewesen: Seit 1966 finanzierte das US­Verteidigungsministe-

rium das Projekt ARPANET und verschaffte den USA dadurch beträchtliche strategische Vorteile in

der Informationstechnologie.

Der Präsident der USA kann die Übernahme eines amerikanischen Unternehmens durch einen aus-

ländischen Investor im Namen des Schutzes nationaler Interessen verhindern. Laut Gesetz kann

eine Untersuchung zu jeder Fusions- oder Übernahmeerklärung eingeleitet werden, aus der sich

die ausländische Kontrolle über ein international agierendes Unternehmen ableiten könnte. Diese

Untersuchung wird vom Finanzministerium durchgeführt, dem alle Entscheidungsfreiheit in der Be-

urteilung strategischer Interessen obliegt.

Im Small Business Act ist festgelegt, dass ein «angemessener Anteil» der öffentlichen Aufträge in

den USA an die KMU gehen muss. Dabei sind Jahreszielbeträge festgesetzt. Im Augenblick müssen

23% der direkten öffentlichen Auftrage an KMU vergeben werden und 40% an Zulieferunterneh-

men. Jedes Jahr wird von den Ministerien ein Ergebnisbericht verfasst, der dem Verwaltungsvorsit-

zenden des Small Business Act und dann dem US­Präsidenten vorgelegt wird.

Auch in einigen deutschen Bundesländern wie Baden­Württemberg und Bayern wurde eine Politik

zur industriellen Modernisierung umgesetzt und die Bereiche Kredit, Bildung und Forschung auf-

einander ausgerichtet. Die öffentliche Hand investierte massiv und direkt in Startup­Unternehmen,

vor allem im Bereich der Biotechnologie. Hier ist Bayern ein sehr gutes Beispiel: Risikokapitalin-

vestitionen in Höhe von einer Million Euro ermöglichten den Zuschuss weiterer vier Millionen Euro

öffentlicher Gelder.

Ich würde gerne eine Erklärung hören, weshalb all dies in den USA mit dem liberalen System

kompatibel ist, während man sich in der Schweiz dagegen sträubt. Ausserdem frage ich mich,

wozu Investitionen in Innovation dienen, wenn die Produktion daraufhin in China stattfindet und

die Produkte unseren Markt zu konkurrenzlos günstigen Preisen überschwemmen, was durch die

chinesischen Billiglöhne und Staatshilfen aus Peking und von chinesischen Banken möglich ist. Das

Beispiel Solarenergie spricht für sich: Solarzellenbetriebe, die aus in Europa oder der Schweiz fi-

nanzierter Forschung hervorgegangen sind, z.B. Q-Cells in Deutschland, werden von Chinesen

aufgekauft. Danach werden die chinesischen Produkte nach Europa zurückgekauft, mit Geldern zur

Förderung der Solarenergie. Mit anderen Worten: Unser Geld fliesst gleich doppelt in die chinesi-

sche Wirtschaft. Wir ersparen den Chinesen die Kosten für die Forschung und erteilen ihnen dann

die Aufträge, die unseren Unternehmen entgehen.

Freihandelsabkommen sind eine gute Sache, unter der Bedingung, dass sie sich durch gegenseiti-

ge Zugeständnisse ausgleichen. Steuerfreie Importe von Produkten, bei deren Herstellung die öko-

logischen und sozialen Mindeststandards missachtet werden, ist weder ein Fortschritt für unseren

Planeten, noch für unsere Wirtschaft. Wenn ich für Umweltverschmutzung in der Schweiz Steuern

bezahlen muss, weshalb sollte ich nicht bezahlen müssen, wenn ich Produkte, die in Asien oder

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anderswo für Verschmutzung sorgen, importiere? Europa und die Schweiz werden ihren Unterneh-

men nicht mehr lange ökologische und soziale Standards auferlegen können, denen importierte

Produkte nicht unterliegen. Ohne in einen Protektionismus aus Grossvaters Zeiten zu verfallen, sind

doch Regeln nötig, die heute nicht oder nur in unzureichendem Ausmass bestehen.

• Weitere Massnahmen

Unsere Abhängigkeit von der Eurozone muss gemindert werden. In einem Interview mit der Tages-

zeitung Le Temps vom 11. August 2012 fordert der Geschäftsführer der OSEC die Schweizer Un-

ternehmer dazu auf, nach Absatzmöglichkeiten ausserhalb der Eurozone zu suchen. «Wenn die Un-

ternehmen darauf warten, dass der Schweizer Franken unter die Schwelle von 1,20 CHF pro Euro

sinkt, wird es für sie zu spät sein.» Dieser Aufruf ist umso stärker gerechtfertigt, als die Wirtschaft

vieler europäischer Länder seit vielen Monaten, wenn nicht gar noch länger, stark schwächelt. Doch

die Unternehmen, vor allem die KMU, müssen bei dieser Suche nach neuen Absatzmärkten mit

konkreten Massnahmen unterstützt werden. Die OSEC muss mit Mitteln ausgestattet werden, die

es ihr erlauben, diese Rolle zu übernehmen, ohne noch lange auf die erhofften Ergebnisse der Frei-

handelsabkommen zu warten, die mit China, Indien und Russland in Verhandlung sind.

Es sollte ein Schweizer Label eingeführt werden, das, soweit möglich, für die Qualität und die Pro-

duktion in der Schweiz von Produkten aller Sparten steht. Diese Massnahme ist umso wichtiger, als

es durch die Globalisierung für Verbraucher wie Behörden immer schwieriger wird, festzustellen,

woher die einzelnen Bestandteile eines Produktes kommen.

Der Ruf des verarbeitenden Gewerbes und die Ausbildung in Ingenieursberufen müssen aufge-

wertet werden. Es wurde bereits ein Moratorium für die Eröffnung neuer Arztpraxen eingeführt

– meines Erachtens keine besonders liberale Massnahme – um den hohen Kosten im Gesundheits-

bereich entgegenzuwirken. Der Schweizer Staat und die Kantone finanzieren auch Kampagnen zur

Krankheitsprävention. Doch ist die Gesundheit unserer Wirtschaft es nicht auch wert, sich dafür

einzusetzen, dass man sich der Bedeutung der verarbeitenden Industrie für unseren Wohlstand

bewusst wird und eine ausreichende Anzahl an Ingenieuren in unserem Land ausbildet?

Ausgewogene Massnahmen

Der Erfolg einer Industriepolitik kann nicht nur von einer einzigen oder von vereinzelten, unzusam-

menhängenden Massnahmen abhängig gemacht werden, ohne beträchtliche finanzielle Mittel zur

Verfügung zu stellen.

Alle Massnahmen zur Schaffung verbesserter Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft und zur

Förderung der Zukunftsindustriebereiche müssen innerhalb kürzester Zeit auf den Weg gebracht

werden, gut koordiniert und mit starker Finanzierung. Der Staat sollte besser investieren, um Ar-

beitsplätze zu schaffen, anstelle Massnahmen für Arbeitslose zutreffen. Heute ist Handeln in der

Schweiz noch möglich – wir sollten die Chance ergreifen, bevor es zu spät ist.

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IHREN BEITRAG

Dominique de Buman, fax 026 322 66 01, [email protected]

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Dies ist ein Manifest!

Ein Plädoyer des Nationalrates Do minique de Buman zur

Rettung der Schweizer Industrie.

Es gibt kein wohlhabendes Land ohne starke Produktions­

und Exportkapazitäten, dies um bei harter Konkurrenz auf

Weltebene wettbewerbsfähig zu bleiben. Zahlreiche euro­

päische Länder haben diese Tatsache vergessen und be­

finden sich heute in grossen Schwierigkeiten. Die Schweiz

hatte bisher, wie auch Deutschland, diese Trümpfe in der

Hand. Durch Weiterbildung, Produktivität, Innovation.

Doch es droht Gefahr, nicht nur wegen des starken Franken

oder der neuen Situation, die seit der Krise 2008 besteht.

Dominique de Buman zieht ganz klar die Alarmglocke und

zeigt einen Weg. Heute noch – solange wir (noch) diese

Möglichkeit haben – sollten wir eine Industriepolitik in die

Wege leiten, vor allem in den zukunftsträchtigen Sektoren.

Die Vereinigten Staaten, Deutschland, deren Liberalismus

nicht bestritten werden kann, verfolgen diese Politik seit lan­

gem erfolgreich. Die Schweiz sollte diesem Beispiel folgen.


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