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Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag 2016 · dächtnis-Vortrag, den Prof. Dr. Jürgen Kocka am 10....

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Jürgen Kocka Hunger, Ungleichheit und Protest. Historische Befunde Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag 2016
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Jürgen Kocka

Hunger, Ungleichheitund Protest.Historische Befunde

Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag

2016

StiftungReichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

Verwaltung: Untere Straße 27 · 69117 HeidelbergMuseum: Pfaffengasse 18 Tel. 06221 9107-0 Fax 06221 9107-10 [email protected] www.ebert-gedenkstaette.de

ISBN 978-3-928880-50-3

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Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag 2016

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StiftungReichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

herausgegeben von Walter Mühlhausen im Auftrag der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vorträge

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Jürgen Kocka

Hunger, Ungleichheit und Protest. Historische Befunde

Heidelberg 2016

Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag 2016

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Prof. Dr. Jürgen Kocka (* 1941), nach dem Studium der Geschichtswissen-schaft, Politikwissenschaft, Germanistik, Soziologie, Philosophie 1969 Promo-tion, 1972 Habilitation, 1973–1988 Professor an der Universität Bielefeld und1988–2009 an der Freien Universität Berlin. Er war u. a. Direktor am BerlinerKolleg für Vergleichende Geschichte Europas (1998–2009) und Präsident desWissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (2001–2007). Derzeit ist erPermanent Fellow des Kollegs „Arbeit und Lebenslauf in globalgeschichtli-chen Perspektiven“ an der Humboldt-Universität zu Berlin. Professor Kocka,dem mehrere Universitäten die Ehrendoktorwürde verliehen haben, istMitglied zahlreicher internationaler Akademien. Für seine herausragendenStudien vor allem im Bereich der Sozialgeschichte wurde er mehrfach aus-gezeichnet, u. a. 1992 mit dem Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preis und 2011mit dem Internationalen Holberg Gedenkpreis.

Bei dem vorliegenden Beitrag handelt es sich um den 9. Friedrich-Ebert-Ge-dächtnis-Vortrag, den Prof. Dr. Jürgen Kocka am 10. Februar 2016 im Fried-rich-Ebert-Haus in der Heidelberger Pfaffengasse gehalten hat.

Fotos: H & B Pressebild Pfeifer, Wiesloch (4), Stiftung (2)

Reihe „Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vorträge“, herausgegeben von WalterMühlhausen im Auftrag der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Ge-denkstätte (Heidelberg).

©2016 Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-GedenkstätteUntere Str. 27D – 69117 HeidelbergTel.: (06221) 91070Fax: (06221) 910710Internet: http://www.ebert-gedenkstaette.deE-Mail: [email protected]: Prof. Dr. Walter MühlhausenRealisation: gschwend_grafik, MannheimDruck: Druckerei Maulbetsch GmbH Logo: © Hühnlein & Hühnlein, Eching am Ammersee

Die Stiftung wird gefördert aus Mitteln der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien.

ISBN 978-3-928880-50-3

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Vorwort

Mit dem jährlichen Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag erinnertdie Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte anLeben und Werk ihres Namensgebers mit Themen, die seiner-zeit den Sozialdemokraten und Staatsmann beschäftigten, dieaber auch heute noch diskutiert werden und von zentraler Be-deutung sind.Mit Blick auf die Zeit des Ersten Weltkrieges stellt die Stiftungihre Arbeit im Jahr 2016 unter das Leitmotiv „Hunger und Pro-test“. Der SPD-Parteivorsitzende Friedrich Ebert übernahm beiKriegsende 1918 im Zeichen des Rufes nach Frieden, Freiheitund Brot politische Verantwortung. So war bei allem Bemühenum die Errichtung einer demokratischen Neuordnung seineHauptsorge in den Revolutionsmonaten 1918/19 und auch alsReichspräsident, die Ernährung der ausgemergelten Bevölke-rung zu sichern.Im Rahmen des Jahresthemas bewegte sich der 9. Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag, den mit Prof. Dr. Jürgen Kocka einerder renommiertesten deutschen Historiker am 10. Februar 2016im Friedrich-Ebert-Haus in Heidelberg gehalten hat. Sein um-fassender Überblick zeigt den Zusammenhang von Hunger undProtest in den letzten Jahrhunderten bis in unsere Tage auf.Dabei beleuchtet er auch, wie die Hungerproteste in den An-fangsjahren der Weimarer Republik die rechtsextreme Kritik ander jungen Demokratie, deren entschiedenster Verteidiger dererste Reichspräsident Friedrich Ebert war, beförderten.Es bleibt Aufgabe unserer Stiftung, über den historischen Dis-kurs die Erinnerung an Friedrich Ebert, den Mitbegründer derersten deutschen Demokratie, wachzuhalten, die Geschichteseiner Zeit zu vermitteln und über eine kritische Auseinander-setzung mit der Vergangenheit unsere Grundwerte zu stärken.

Prof. Dr. Walter Mühlhausen Geschäftsführer

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Hunger ist weit verbreitet. Nach der Definition und den Sta-tistiken der Vereinten Nationen ist es zwar zwischen 1990und 2015 gelungen, den Anteil der Hungernden von 19 auf11 % der Weltbevölkerung zu drücken. Doch handelt es sichimmer noch um fast 800 Millionen Menschen. Davon leben500 Millionen, also mehr als die Hälfte, im subsaharischenAfrika und in Südasien. Die Verringerung der Armut gelangin den letzten 25 Jahren vor allem in Ostasien, Südostasienund Lateinamerika, viel weniger dagegen in Afrika, währendin Westasien, also im Nahen und Mittleren Osten, die Ver-breitung des Hungers im selben Zeitraum deutlich zunahm.Täglich sterben Tausende an Hunger oder unmittelbar damitzusammenhängenden Ursachen.Seit den 1970er Jahren wächst die Ungleichheit wieder, näm-lich die Ungleichheit der Einkommen, Vermögen und Lebens-chancen innerhalb der einzelnen Gesellschaften. Während dieUnterschiede zwischen den Gesellschaften und Weltregionenin puncto Wirtschaftskraft und Wohlstand im Zuge der Globa-lisierung abgenommen haben – nicht zuletzt dank der erfolg-

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Hunger, Ungleichheit und Protest.Historische Befunde

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reichen Aufholjagd Ostasiens seit den achtziger und neunzigerJahren –, blieben große Teile Afrikas weiter zurück.Verbreiteter Hunger und wachsende Ungleichheit, weltweitungleich verteilt – haben sie etwas mit den anschwellendenKonflikten, Kriegen, Flüchtlingsströmen und gefährlichen De-stabilisierungen zu tun, die uns derzeit plagen und die eben-falls in einigen Krisenregionen – darunter der Nahe undMittlere Osten sowie große Teile Afrikas – heftiger auftretenals in anderen Teilen der Welt? Im Folgenden geht es nur umeinen Teilaspekt dieses großen Problems, nämlich um dieFrage, wie Nahrungsmittelknappheit und Hunger zu Unruhen,Protesten und sozialen Bewegungen führen, welche RolleUngleichheit dabei spielt und wie staatliche Instanzen darininvolviert sind. Wenn Sie einen Historiker einladen, zu diesenFragen zu sprechen, müssen Sie damit rechnen, dass er IhnenBlicke über längere Zeiträume hinweg zumutet. Aber ich ver-spreche Ihnen, wir landen in der Gegenwart.

I.

Beginnen wir mit einem Blick in die „hungrigen“ 1840erJahre. Das war das Jahrzehnt, in dem der Pauperismus in gro-ßen Teilen des europäischen Kontinents sein höchstes Niveauerreichte. Die Bevölkerung wuchs, die Industrialisierung hattenoch kaum begonnen, der Nahrungsspielraum verengte sich,und 1847 kamen die Auswirkungen einer Erntekrise dazu, diesich zur allgemeinen Wirtschaftskrise steigerte. Die Not wargroß. Ein Jahr später sollte in Europa die Revolution ausbre-chen.Dem Sozialhistoriker Manfred Gailus verdanken wir eine ge-naue Untersuchung der sozialen Proteste dieser Zeit. Von den

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104 Unruhen jedweder Art, die er für Preußen im Jahr 1847feststellen konnte, waren 84, also gut 80 %, Subsistenzun-ruhen, Proteste also, die durch Mangel und Teuerung vonNahrungsmitteln (oder durch die Furcht davor) hervorgeru-fen wurden und darauf gerichtet waren, durch demonstra-tive Akte, Selbsthilfeaktionen oder Einfluss auf die Politik dieVersorgung mit Nahrungsmitteln zu verbessern. Ein Beispiel:

„Als am Morgen des 24. April 1847 Einwohner der kleinen Tuchmacherstadt Schwiebus (Provinz Brandenburg)auf dem Marktplatz wegen der kaum noch erschwing-lichen Nahrungsmittelpreise begannen, Kartoffelsäcke der Bauern auszuschütten, war dies der Auftakt zu einerRevolte von beeindruckender kommunaler Reichweite. Den ganzen Tag über durchzogen größere Gruppen die Stadt und das nähere Umland und ‚beschlagnahmten‘ bei Gutsbesitzern, Händlern und Gastwirten Lebens-mittelvorräte, die großenteils vor das Rathaus ge-schafft wurden, um dort für einen als angemessen er-achteten Preis verkauft zu werden. Mindestens jeder fünfte aller in dieser Stadt von knapp 5000 Einwohnernmöglichen Teilnehmer (Jugendliche und Erwachsene) hatte sich aktiv an dem Aufspüren noch vorhandener Le bensmittelvorräte beteiligt.“ (Gailus 1994, S.

181)Zu solchen Aktionen kam es in großer Zahl an verschiedenenOrten. Die Forschung unterscheidet zwischen (a) price riotsoder taxation populaire, in der sich die Protestierenden dieWaren nahmen und öffentlich verkauften, nachdem sieeinen aus ihrer Sicht gerechten, jedenfalls niedrigeren Preisfestgesetzt hatten; (b) Angriffen auf Läden und Speicher,auch Mühlen und Wirtshäuser mit Plünderung oder der For-derung nach niedrigeren Preisen; schließlich (c) „Exportblo-

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ckaden“, denn als elementare moralische Regel galt: Am Orterzeugtes Getreide hatte am Ort zu bleiben und zunächstden unmittelbaren Bedürfnissen der ortsansässigen Bevöl-kerung zu dienen, bevor eventuell der Überschuss verkauft, ab-transportiert und exportiert werden durfte. Oft traten dieseverschiedenen Protestformen zusammen auf. So begann bei-spielsweise die zweitägige Berliner „Kartoffelrevolution“(21./22. April 1847), während der ca. 300 Personen verhaftetwurden (von denen 107 vor Gericht kamen), als Marktkrawall,weitete sich dann aber zu einem stadtweiten Angriff auf jeneLäden aus, die dem alltäglichen Bedarf an Nahrungsmittelndienten. In Landsberg/Warthe stand zu Beginn der Versucheiner Blockade von Kartoffelwagen an der Warthebrücke, an-schließend zogen Trupps durch die Stadt, um Nahrungsmit-telvorräte zu „beschlagnahmen“, tags darauf folgtenUnruhen auf dem Wochenmarkt. 30 Bäckerläden wurden de-moliert. Es wurde geplündert. Anderswo richteten sich dieAngriffe auch gegen die lokalen Obrigkeiten einschließlichvon Gutsherrschaften, nicht aber gegen den König und alsonicht gegen das politische System insgesamt. Die Unruhentraten in Städten wie in ländlichen Regionen auf: sehr häufigin den ostelbischen Provinzen Preußens, seltener dagegen inRheinland und Westfalen, dem gewerblich fortgeschrittenenWesten des Königreichs.Träger der Unruhen waren kleine Leute, meist unorganisiert,Handwerker und darunter vor allem Gesellen, Arbeitsleute,Arbeitslose, Landarbeiter und ländliche Unterschicht, Ziegelei-arbeiter, Weber – nicht nur Junge, sondern auch viele Ältere(im brandenburgischen Schwiebus betrug das Durchschnitts-alter der identifizierten „Tumultuanten“ knapp 34 Jahre), nichtnur Männer, sondern auch viele Frauen und Kinder.Manfred Gailus schreibt, in Schwiebus protestierten „brave

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Rebellen wider Willen“. Sie verhielten sich unsicher, teils re-bellisch, teils subaltern. Sie holten sich, was sie brauchten,weil ihrer Meinung nach die Obrigkeit ihre Pflicht nicht wahr-nahm, weil sie ihnen in dieser Zeit des Mangels und der Teue-rung – die Nahrungsmittelpreise hatten sich in den letztenJahren verdoppelt bis verdreifacht! – nicht half. Sie nahmenund protestierten guten Gewissens. Andernorts fand sichhärtere Beutementalität, herausforderndes Auftrumpfen inder Öffentlichkeit. „Ob ich heute oder morgen an den Galgen

komme, das ist ganz gleich“ – solche Deklamationen, bissigerSpott, Sarkasmus, überzogene theatralische Verzweiflungs-gesten gehörten zu den Expressionen eines im rebellischenÜberschwang zelebrierten Straßenspektakels (Gailus 1994, S.186). 50 % der in Landsberg verhafteten „Tumultuanten“waren vorbestraft, meist wegen Eigentumsdelikten. Die Ver-hältnisse variierten also sehr stark von Fall zu Fall.Solche food riots traten in Westeuropa vom 17. Jahrhundertbis ins frühe 19. Jahrhundert massenhaft auf, oft in Verbindungmit anderen Protestformen wie Maschinenstürmen oderStreiks. Besonders für Frankreich und England sind sie sehr gut

Bis zum letzten Platz gefüllt: das Atrium des Friedrich-Ebert-Hauses beim 9. Friedrich-Ebert-Gedächtnis-Vortrag.

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untersucht. Sie traten nicht nur, doch gehäuft in Jahren derKrise, der Teuerung und des Mangels auf. Hunger war einwichtiges Motiv, man führte einen Kampf ums tägliche Brot,ums Überleben angesichts von Arbeitslosigkeit, sprunghaftsteigenden Preisen und trotzdem drückenden Abgaben an dieObrigkeit. Ich zitiere einen Tagelöhner aus dem württember-gischen Scheppach, der 1817 in Heilbronn das Schiff bestieg,um nach Holland und von dort nach Amerika zu gelangen:

„Ich habe 15 Tag kein Brod im Haus gehabt, worauf mirmeine Ortsvorsteher drei Simri Frucht auf Abverdienengeliehen. Nun habe ich aber auch kein Holz und kein Geldim Haus gehabt, und in der Not wie meine Kinder mirkeine Ruhe gelassen haben, bin ich morgens vor Tag inden Wald gegangen und habe Holz geholt. Beim Heim-gehen begegnete mir der Jäger Pursch. […] [Es kam zurVerurteilung wegen Waldfrevels – J. K.] Das hat mich be-wogen, mein Vaterland zu verlassen. Man drückt ja dieLeute, daß es nicht mehr zum Aushalten ist. Ich habe imvorigen Spätjahr meine Frucht (d. h. mein Getreide) ver-kaufen müssen, um meine Holzschuldigkeit zu bezahlen,weil der Presser gleich vor der Thüre steht und man ihm20 Bazen bezalen muß, wenn er einen allein presst. Mangeht fort, nur um von dem Elend wegzukommen.“ (Medick 1985, S. 42)

Doch in den food riots drückte sich mehr aus als bloße Not,Hunger und Darben. Oft – nicht immer – glaubten die Pro-testierenden mit ihren Protesten moralische Grundsätze zuverteidigen, die sie durch Händler, Kaufleute, Spediteure,Müller, Spekulanten und manchmal auch durch die Obrigkeitverletzt sahen: z. B. den „gerechten Preis“, das Gebot der ge-genseitigen Hilfe in der Gemeinde, das Recht auf ehrbareNahrung statt sich mit „Rohem“ und „Unreinem“ durchschlagen

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zu müssen, etwa mit gesammelten Kräutern, Wurzeln undWildgemüse oder Pferde-, Hunde- und Katzenfleisch. HansMedick, der über den Scheppacher Fall berichtet, schließt diefolgende Interpretation an: „Letztenendes ging es mit der Be-hauptung dieses Rechts auch um die Erhaltung eines her-kömmlichen Zusammenhangs von Arbeit, Nahrung und zube-reitetem Essen, um die Verteidigung der Autonomie, dessozialen Status und der Ehre im lokalen Zusammenhang, umFreiheit von der Schande, als arm zu gelten.“ (Medick 1985,S. 44) Der englische Sozialhistoriker Edward P. Thompson hatdie „moralische Ökonomie“ der kleinen Leute im England des18. Jahrhunderts analysiert, deren Verteidigung gegen sichdurchsetzende Kommerzialisierung einerseits und gegen zu-nehmend zentralisierende Regeln der staatlichen Behördenandererseits die volkskulturelle Widerstandshaltung prägte,die in den food riots zu Tage traten. Eric Hobsbawm hat vom „collective bargaining by riot“ gespro-chen, frei übersetzt: von Tarifverhandlungen durch Tumulte.Tatsächlich führten solche Unruhen nicht nur, wie so häufig,zu Verhaftungen und Gefängnisstrafen, sondern auch zurLinderung akuter Not, zu punktueller Umverteilung und be-hördlichen Konzessionen. Vor allem wirkten crowd riots alsWarnungen an die Mächtigen, den Bogen mit Steuern undAbgaben nicht zu überspannen, sondern eher in öffentlichenSpeichern und Depots für Krisenjahre vorzusorgen und imErnstfall mit öffentlichen Mitteln zusätzliches Getreide einzu-führen, um den Volkszorn zu besänftigen, akut oder antizi-pierend. Nahrungskonflikte, Hungerrevolten, Subsistenzun-ruhen dieser Art – die Begriffe im Deutschen schwanken, imEnglischen hat sich food riots durchgesetzt – dienten alsTreibsatz, manchmal als Auslöser und Beschleuniger, oft alsunterschwellige Strömung in den Umstürzen der Zeit, auch

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auf den Straßen von Paris, Wien und Berlin 1789 und 1848/49,also in Revolutionen, die auf viel mehr und anderes zieltenals auf die Stillung von Hunger und die Linderung von Not.Bargaining by riot blieb also nicht folgenlos. Aber die einzel-nen Tumulte und Ausbrüche fielen nach kurzer Zeit wiederin sich zusammen oder wurden unterdrückt. Die sozial meistsehr heterogenen protestierenden Mengen (crowds) gingenin der Regel bald wieder auseinander oder wurden auseinan-der getrieben. Nachhaltige soziale Bewegungen gingen ausihnen nicht hervor, Organisationen erst recht nicht.

II.

Im Ganzen handelte es sich um ein frühneuzeitliches Phä-nomen. Doch seine Ausläufer reichten bis über die Mitte des19. Jahrhunderts hinaus, dies jedenfalls im deutschen Be-reich, in dem food riots nie die große und dominante Rollegespielt haben wie in Westeuropa, vielleicht weil hier inLandwirtschaft und Gewerbe herkömmliche (nämlich stän-dische und feudale) Strukturen länger überlebten und dieKommerzialisierung des Landes sich später durchsetzte als inWesteuropa – was andere Protestformen begünstigte; viel-leicht auch weil sich im hochgradig dezentralisierten deut-schen Bereich Herrschaften und Regierungen öfter für denSchutz der kleinen Leute engagierten. Vielleicht fehlt es auchnur an gründlicheren Untersuchungen. Doch die Forschungist sich darüber einig, dass Hungerproteste und Subsisten-zunruhen seit dem zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts inEuropa – jedenfalls im Westen und in der Mitte Europas –erkennbar in den Hintergrund traten, und zwar nicht nur inder Wahrnehmung der Zeitgenossen (und der Historiker),

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sondern wohl auch in der historischen Realität.Denn einerseits beobachten wir – mit der sich durchsetzendenIndustrialisierung und dem mit ihr verbundenen Wirtschafts-wachstum – die allmähliche Überwindung des Pauperismus,also der tiefsten Armut der vorangehenden Jahrzehnte undeinen allmählichen Zuwachs an Kaufkraft und Lebensstan-dard, der sehr ungleich verteilt war, aber auch das Leben dergroßen Masse der arbeitenden Bevölkerung in Stadt undLand verbesserte. Die landwirtschaftliche Produktion wurdeeffektiver und wuchs, ihre Unregelmäßigkeiten konnten dankverbesserter Verkehrsverhältnisse nun leichter ausgeglichenwerden, ihre Krisenhaftigkeit ließ nach. Allmählich wurde,seit der Mitte des 19. Jahrhunderts, im größten Teil Europasder Hunger als Massenphänomen überwunden. Zum anderen traten mit der Industrialisierung, dem Aufstiegvon Lohnarbeit und der Arbeiterklassenbildung andere Pro-testformen wie Streiks in den Vordergrund – Protestformen,die viel stärker mit der Produktions- als mit der Konsumpti-onssphäre verbunden waren und zunehmend verfassungs-mäßige Kanäle der Einflussnahme fanden, die früher gefehlthatten. Die sozialen Proteste wurden organisierter, von Or-ganisationen wie Vereinen, Gewerkschaften und Parteien ge-tragen. Sie wurden geplanter, und zwar über den Augenblickund den lokalen Bereich hinaus, in dem die meisten food riotsstattgefunden hatten. Hobsbawm spitzt es zu: die Protestedes „klassischen Mobs“ seien durch die Aktionen der Arbei-terklasse ersetzt worden (Hobsbawm 1959, S. 124). Die Sorgeund der Kampf ums Überleben, um die Ernährung und Ver-sorgung dauerten zwar fort, aber sie wurden nunmehr in dieumfassenderen und anders akzentuierten Protestziele der so-zialen Bewegungen und insbesondere der Arbeiterbewegun-gen einbezogen. Hungerrevolten wurden nach 1870 auch im

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deutschsprachigen Bereich unzeitgemäß. Thomas Lindenber-ger hat die „Straßenpolitik“ in Berlin zwischen 1900 und 1914untersucht und dabei ein sample von 405 Unruhen zusam-mengestellt. Unter diesen 405 Unruhen fand er lediglich eineveritable food riot-Aktion.Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich nun – inDeutsch- land war dies die Epoche des Kaiserreichs – derMarkt und der Anstaltsstaat mit seinen Regeln und Diszipli-nierungsmöglichkeiten durchsetzten und im Kern von einerwachsenden Zahl akzeptiert wurden. Damit hörte das auf,zentraler Stein des Anstoßes zu sein, woran sich in der Über-gangszeit des 17. und 18. Jahrhunderts die Hungerprotesteund Subsistenzunruhen vor allem entzündet und geriebenhatten.Die deutsche Arbeiterbewegung entstand nicht aus der Tradi-tion der Hungerproteste und Subsistenzunruhen, sie entstandnicht als Konsumenten-, sondern eben als Arbeiterbewegung.Als kontinuierlich-nachhaltige Massenbewegung in Form vonGewerkschaften, Vereinen, Genossenschaften, kulturellen Mi-lieus und Parteien bildete sie sich seit den 1860er Jahren her-aus. Sie entstand erst, als die schlimmste Armut überwundenwurde, zunächst allmählich, dann auf 1914 zu immer schneller.Sie war nicht eine Bewegung der Ärmsten und Hungernden,sondern der aufstrebenden Arbeiter, die zwar ebenfalls nichtwohlhabend waren und vor allem nicht gesichert, sondernin fortdauernder Verarmungsgefahr lebten, aber meist nichtzu den Allerärmsten gehörten. Die Armut ihrer Klientel gei-ßelten zwar auch Bebel und Liebknecht, später Ebert undScheidemann. Aber sie taten es als Teil ihres Angriffs auf dieverbreitete ökonomische, soziale und politische Ungleichheitund mit der Forderung nach Selbstbestimmung und Mitbe-stimmung, nach zukunftsgerichteter Emanzipation, auf be-

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ruflich-klassenspezifischer Basis, organisiert und mit lang-fristig angelegten Programmen. Damit unterschied sich dieArbeiterbewegung grundsätzlich von der alten Bewegung dercrowds und der riots. Was die Bürger und die Herrschenden am Ende des 19. Jahr-hunderts fürchteten, war jedenfalls in Deutschland nichtmehr der spontane Aufstand der hungrigen Armenbevölke-

rung, sondern das organisierte Proletariat und sein Klassen-kampf. Die neuen Sozialversicherungsgesetze, mit denennoch unter Bismarck der Aufstieg des Sozialstaats begann,wendeten sich dann auch nicht an die Armen, sondern andie Arbeiter – und die beiden Kategorien traten immer deut-licher auseinander.

III.

Doch dies war kein unaufhaltsamer Trend. Ich springe insJahr 1917, also ins dritte Jahr des Großen Krieges und leseIhnen ein längeres Zitat aus einem internen, nicht für dieVeröffentlichung bestimmten Bericht der militärisch geführ-

Neben der Büste von Friedrich Ebert: Festredner Prof. Dr. Jürgen Kocka.

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ten Kriegsamtsstelle Danzig an ihre vorgesetzte Behörde inBerlin vor:

„Kartoffeln alter Ernte sind seit über Monatsfrist nichtmehr zu haben und die Ersatzlieferungen von Brot undMehl sind insbesondere für die arbeitende Bevölkerungdurchaus unzureichend. Daher ist die Nachfrage nachFrühkartoffeln und Gemüse ungemein stark. Die ganz ge-ringen Anfuhren, die auf den Markt kommen, werden vonden erregten Hausfrauen überstürmt. Falls nicht gleichein ausreichender polizeilicher Schutz vorhanden ist, wirdden Landleuten und Wiederverkäufern in brutalster Weiseihre Ware entrissen. Um sich einer derartigen Behand-lung nicht erneut auszusetzen, bleiben die Landleute mitihren Erzeugnissen dem Markte fern und verkaufen diesebereits daheim auf ihrer Scholle. Zu Hunderten pilgerndaher die Stadtbewohner aufs Land, um sich mit Kartof-feln und Gemüse zu versorgen. Abgesehen davon, dassbei diesen Massenwanderungen unmittelbar auf denKartoffel- und Gemüsefeldern recht erhebliche Verwüs-tungen der angebauten Flächen vorkommen und dieLandleute von ihrer z. Z. sehr drängenden Arbeit abge-halten werden, schrecken diese Kartoffel- und Gemüse-pilger auch nicht vor Felddiebstählen zurück. Sowohl hier-bei wie auf den Märkten spielen sich daher sehr hässlicheSzenen ab. Die erregten Frauen tragen die erbitterteStimmung heim und übertragen diese in aufreizenderWeise auf ihre von der Arbeit heimkehrenden Familienmit-glieder, die sie wieder in die Fabrikbetriebe weitertragen.“(Kocka 1973, S. 41 f.)

Solche Berichte hörten im Laufe des Krieges nicht mehr auf.Der Erste Weltkrieg führte in Deutschland zu einer enormenVerarmung der breiten Bevölkerung. Das mittlerweile auf

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ausgiebige Nahrungsmitteleinfuhr angewiesene Land littunter dem Wirtschaftskrieg und der Blockadepolitik der geg-nerischen Mächte. Die Produktion wurde auf die Herstellungvon Waffen, Munition und anderen kriegswichtigen Güternumgestellt. Die Landwirtschaft und die Konsumgüterindus-trien litten – trotz des massiven Einsatzes von Frauen undFremden – an fehlenden Arbeitskräften und zu kurz kom-menden Instandsetzungsinvestitionen. Der bis 1913 kräftig

verbesserte Lebensstandard der breiten Massen erlitt einentiefen Rückschlag und fiel zurück auf frühindustrielles Niveau.Im „Kohlrübenwinter“ 1916/17 erreichte die Aufgebrachtheitüber den schieren Mangel an Lebensmitteln, insbesondere anFett und Kartoffeln sowie in zweiter Linie über die Knappheitan Brennstoffen ihren Höhepunkt. Die Kürzung der Brotra-tion auch für Schwerarbeiter im April 1917 trug entscheidendzum Ausbruch des Aprilstreiks bei, an dem allein in Berlin ca.

Traditionelle Kranzniederlegung am Grab von Friedrich Ebert auf dem Bergfriedhof von Heidelberg am 11. Februar 2016: Kuratoriumsmitglied Dr. Joachim Gerner, Bürgermeister der Stadt Heidelberg, spricht (Mitte). Es folgen Gedenkworte von Dr. Anja Kruke für die Friedrich-Ebert-Stiftung(5.v.r.) und von Dr. Hanspeter Blatt (3.v.r.), Vorsitzender des Vorstands, für die Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte.

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200.000 Arbeiter in ungefähr 300 Betrieben (besonders Mu-nitionsbetrieben) beteiligt gewesen sind. Die zunehmende Verbitterung über wirtschaftliche Not ver-band sich einerseits mit zunehmender Kriegsmüdigkeit undFriedenssehnsucht, zum anderen aber mit Ressentiments gegendie Privilegierten, mit Enttäuschung über ausbleibende poli-tische Reformen (des in Preußen gültigen Dreiklassenwahl-rechts zum Beispiel) und besonders mit sozialer Kritik an derausgeprägten Ungleichheit der Lebenschancen. Das Leidenan Not und Hunger verband sich nun noch stärker als in frü-heren Jahrzehnten mit dem Protest gegen die als ungerechtwahrgenommene Ungleichheit, und dies nicht von ungefähr. Denn zum einen nahm die ökonomische und soziale Un-gleichheit im Krieg tatsächlich zu, es gab Kriegsgewinnlerunter Produzenten und Händlern, und es gab den Schwarz-markt, über den man sich weiterhin mit allem ausstattenkonnte, was das Herz begehrte, sofern man die nötigen Mittelbesaß. Zum anderen aber hatte in den letzten Jahrzehntenund erst recht in den Jahren des Kriegs eine Demokratisie-rung der Erwartungen stattgefunden und zu gesteigerterSensibilität gegenüber beobachtbaren, aber als ungerecht-fertigt beurteilten ökonomischen und sozialen Unterschiedengeführt. Im Juli 1918 gab das Magdeburger Generalkommando fol-genden internen Bericht nach Berlin weiter:

„Der frühere große Riss zwischen arm und reich, den dieKriegsbegeisterung der ersten Zeit ziemlich geschlossenhatte, klafft je länger desto mehr wieder auseinander. Inden ärmeren Bevölkerungsschichten hat sich gegen dieReichen und namentlich gegen die sogenannten Kriegs-gewinnler ein geradezu schädlicher Hass aufgestapelt,von dem man nur wünschen kann, dass er nicht doch

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einmal zu einer furchtbaren Entladung kommt. Veranlasstist dieser Hass weniger durch den Besitz des Reichtumsan sich, sondern weil die einzelnen Kreise der Bevölke-rung bei fast unbeschränkt zur Verfügung stehendenGeldmitteln es sich ermöglichen können, sich nicht alleinauskömmlich, sondern sogar gut zu ernähren und sichmit fast jedem Luxus zu umgeben, während der größteTeil der Bevölkerung tatsächlich darben und hungernmuss. Fast alle Verfügungen der Obrigkeit werden jetztunter dem Gesichtswinkel zu kritisieren versucht, dass sienur den Reichen nutzen und die Armen schädigen.“ (Kocka 1973, S. 45)

Die Kriegsgewinne, die Schwarzmarkterfolge, die sichtbarenVergnügungen der Reichen zeigten es sehr deutlich: Diesehatten nicht teil an der allgemeinen Not, ja, sie nützten siefür sich aus und vergrößerten sie dadurch. Im Krieg wild insKraut schießende Gerüchte übertrieben bald diesen durchausrealen Zusammenhang, etwa wenn im Winter 1916/17 in derArbeiterschaft eines Berliner AEG-Betriebes die Mär umging,die Kronprinzessin bade in Milch, während Kleinkinder keineMilch erhielten. Teils in berechtigter, teils in unberechtigterWeise wurde so von vielen Knappheit als Übervorteilung undNot, nicht als kriegsbedingtes Unglück, sondern als angetanesUnrecht empfunden. Die Privilegierten, die Herrschenden er-schienen dafür verantwortlich. Die Unzufriedenheit mit wirt-schaftlichem Mangel verschmolz so mit sozialem Ressenti-ment und Protest. Erst so wurde sie politisierbar und zu einerwichtigen Bedingung der Revolution von 1918/19. Ähnlicheslässt sich für den Ausbruch der russischen Oktoberrevolutionvon 1917 zeigen.In den folgenden Jahren der in Deutschland fortbestehendenMangelwirtschaft, der sich überschlagenden Inflation, des

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Bürgerkriegs und der sozialen Verwahrlosung vertieften sichdiese Erfahrungen noch: Die verbreitete Not und die Erbit-terung über die als ungerecht gedeutete Ungleichheit ent-luden sich immer wieder in spontanen und oft auchgewalttätigen Protesten gegen „Wucherer“, „Schieber“ und„Inflationsgewinnler“, jetzt häufig verbunden mit antisemi-tischen Verleumdungen und Ausschreitungen. Subsistenzfra-gen ließen 1920 selbst gemäßigte Gewerkschaftskreise zumGeneralstreik drängen und gar an bewaffnete Aufständedenken. Die Bekämpfung von Inflation und „Wucher“ rückteins Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Dazu solltendie Preisfestsetzung durch die Behörden, aber auch die Etab-lierung von Standgerichten ohne Revisionsmöglichkeit wiedie Zurschaustellung von vermeintlichen Tätern am „Pranger“und die Veröffentlichung der Namen in Zeitungen dienen. Esfinden sich zahlreiche Berichte über Geschäftsplünderungen.Ich folge der Schilderung Martin Geyers: „Anfang November1923 raubten aufgebrachte, wohl auch aufgehetzte BerlinerArbeitslose jüdisch aussehende Passanten auf offener Straßeaus und plünderten im jüdischen Scheunenviertel in pogrom-artigen Aktionen Bäcker-, Fahrrad- und Kleidergeschäfte.Nicht nur in Berlin randalierten Frauen in den Geschäftenund Markthallen, warfen Stände um und holten sich, was mitPapiermark oft nicht bezahlbar war. [...] In größeren Städtenversuchte die preußische Regierung mit ‚fliegenden Markt-gerichten‘ zur schnelleren Aburteilung von ‚Preistreibern‘ dieKontrollausschüsse wütender Konsumenten in Schranken zuhalten.“ Selbsthilfegruppen bildeten sich, um nach eigenemUrteil und aufgrund eigener, gesetzlich nicht gedeckter Ent-scheidung an Ordnungsfunktionen wahrzunehmen, was diestaatlichen Instanzen – angeblich? – versäumten. Es drohteder Bürgerkrieg.

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Anti-kapitalistische und anti-demokratische Rhetorik ver-banden sich in diesem erneuten „Kampf um das täglicheBrot“. Letztlich wurde der Staat, und das hieß: die Republikfür Mangel und Ungerechtigkeit verantwortlich gehalten,und damit der Boden bereitet für Forderungen nach einemanderen Staat mit einem starken Führer. Bei Anderen verbrei-tete sich Apathie, Hoffnungslosigkeit und ein Gefühl derOhnmacht. Wie die Kommunistin Larissa Reissner enttäuschtkommentierte, verhielt sich die Mehrheit der Berliner Arbeiter-schaft passiv und abwartend. Sie klammerten sich „gierig anihr Stück Brot, an ihr gemütliches Heim, an ein Pfund Mar-garine“, auch wenn sie für diese Margarine noch so vieleStunden arbeiten mussten. Die „Magenfrage“ war von zen-traler Bedeutung, und sie verhinderte die von links erhoffteSolidarisierung breiter Bevölkerungsschichten (Geyer 1994,S. 344). Die Einführung der Rentenmark seit November 1923 leitetedie Währungsstabilisierung, eine schmerzhafte Deflations-politik und den Übergang zu einigermaßen geordneten Ver-hältnissen ein – bis die Weltwirtschaftskrise, die Verwüs-tungen durch den Nationalsozialismus und der Zweite Welt-krieg erneut die Zivilisation ins Wanken brachten. MartinGeyer schließt seine Darstellung „Teuerungsprotest und Teue-rungsunruhen 1914–1923“ mit einer grundsätzlichen Reflexionab: Er fragt, ob nicht die „eigentümlich vormodern anmutendenProtestformen“ jener Jahre zeigen, dass das Industriezeitalter„eben keine Einbahnstraße in die ‚Moderne‘ darstellt“. Und ermerkt an, „wie ungesichert letztlich das ist, was wir gemein-hin als ‚modernes’ Verhalten betrachten, und wie sehr diesessoziale Handeln im Grunde durch Rahmenbedingungen de-terminiert ist, die wir in der Regel nicht hinterfragen und dieder einzelne nicht gestalten kann“. (Geyer 1994, S. 345)

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IV.

Die food riots – Subsistenzunruhen – waren nicht auf Europabeschränkt. Über die Jahrhunderte fanden sie etwa auch inChina statt. Dort wandten sie sich im 17., 18. und 19. Jahr-hundert nicht so sehr gegen die Marktprozesse und Kaufleuteals vielmehr gegen staatliche Behörden, die ihren Auftrag zurSicherung der Versorgung ernst nahmen, aber Hungersnötenicht verhinderten oder nicht verhindern konnten. Chinesi-sche Behörden legten eine Vielzahl von Getreidespeichern an,verteilt übers Land. Besonders häufig waren food riots lokalerBauern und Konsumenten, die den staatlich organisiertenAbtransport von Reis und anderen Nahrungsmitteln aus derjeweiligen Lokalität in andere, nach Meinung der Behördennoch bedürftigere Regionen gewaltsam verhinderten, ganzähnlich den Blockaden von Schiffen und Fuhrwerken imfrühneuzeitlichen und früh-industriellen Europa.Hungersnöte waren in China endemisch, die Proteste dage-gen konnten weitreichend sein und Dynastien destabilisieren.Unterdrückt wurden alle Formen von Widerstand in der kom-munistischen Volksrepublik, als Mao herrschte und seinePolitik des „Großen Sprungs nach vorn“ in den 1950er und60er Jahren zu einer riesenhaften Hungersnot mit vielen Mil-lionen – Schätzungen belaufen sich auf 45 Millionen – Opfernführte. Hungerproteste fanden trotzdem statt als Angriffeauf Speicher und Getreidezüge, als Brandstiftung und alsGewalt gegen Bauern mit tödlichem Ausgang. Eine volleÜbersicht fehlt. Seit den 1980er Jahren hat die zunehmendkapitalistisch wirtschaftende Volksrepublik den massenhaftenHunger, so scheint es, nachhaltig überwunden. Hungerkrisen sind über die Jahrhunderte weltweit aufgetre-ten. Sie waren im 19. und 20. Jahrhundert unter dem Einfluss

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von ökonomischer Rückständigkeit, Kolonialisierung und Im-perialismus in Asien – vor allem auf dem indischen Subkon-tinent! –, in Afrika und Lateinamerika viel häufiger, ver-breiteter und bedrückender als in Europa, wo akuter Hungerals Massenphänomen in einigen Regionen zwar kriegsbe-dingt 1945–1947 einen letzten Höhepunkt erlebte, aber inden Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg stark reduziertund weitgehend überwunden wurde. Entsprechend fandensich Beispiele für Nahrungsunruhen und Hungerproteste, oftmit anderen Protestformen und Protestzielen verknüpft, inden unterschiedlichsten Teilen der Welt, und zwar nicht erstin den letzten Jahrzehnten. Sie wurden von unterschiedlichenkulturellen Traditionen und institutionellen Kontexten ge-prägt und unterschieden sich sehr, aber Grundformen derfood riots, wie oben analysiert, traten immer wieder auf. Doch erst seit der globalen Ernährungskrise 1972–1975, diedie Preise für international gehandeltes Getreide in knappzwei Jahren mehr als verdoppelte und besonders im sub-saharischen Afrika wie in Südasien zu großer Knappheit, ver-breitetem Hunger und zahlreichen Todesopfern führte,begann eine lang anhaltende Welle von nahrungs- und sub-sistenzbezogenen Unruhen und Protesten, die durchwegpunktuell und jeweils nur für kurze Zeit auftraten und ihreSchwerpunkte in Asien, Afrika und Lateinamerika hatten,aber auch in einigen europäischen, vor allem osteuropäischenLändern (Polen, Ungarn, Rumänien, Albanien) stattfanden. Die Sozialwissenschaftler John Walton und David Seddonhaben für den Zeitraum von 1976–1992 146 Fälle in 39 Län-dern gezählt. Sie sprechen von „austerity protests“, die sichgegen schlechte Versorgung mit dem Nötigsten und stei-gende Preise wandten und sich sehr oft an vorausgehendenEinschränkungen staatlicher Leistungen entzündeten. Dazu

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gehörten etwa regierungsseitige Kürzungen von Renten, So-zialleistungen und Subventionen für Güter des alltäglichenBedarfs (Nahrungsmittel, Benzin, Benutzung öffentlicherVerkehrsmittel), aber auch die Erhöhung von Steuern, Abgabenund Gebühren. Zu solchen Sparmaßnahmen wurden Regie-rungen häufig von Weltbank und Internationalem Währungs-fonds (IMF) gezwungen, wenn sie insolvent geworden waren,internationale Kredite zur finanziellen Rettung brauchtenund im Gegenzug die auf Einsparungen, Reformen und neuesWirtschaftswachstum setzenden Auflagen der Kreditgeberzu erfüllen hatten. Deshalb sprechen manche Sozialwissen-schaftler auch von „IMF riots“. Neben Behörden, Parlamentenund Politikern der jeweiligen Staaten wurden auch Super-märkte, Bekleidungs- und Nahrungsmittelgeschäfte, Luxus-hotels oder Tankstellen zu Angriffszielen von Massen-protesten. Unterschiedliche Formen traten auf und mischtensich: Streiks, Demonstrationsmärsche, Tumulte, Plünderungenund gewaltsame Auseinandersetzungen mit Polizei und Mi-litär – Aktionen, die aus der Geschichte der klassischen foodriots bekannt sind, einschließlich der Forderung nach gerech-ten Preisen, moralischer Ökonomie und menschenwürdigemLeben. Zumeist wurden solche Proteste von einem bunten, unorga-nisierten Querschnitt städtischer Unterschicht-Existenzengetragen (Frauen und Männer, Slumbewohner, Arbeitsleute,Arbeitslose, Straßenverkäufer etc.), in wechselnden Allianzenmit Studenten und Lehrern, Angestellten des öffentlichenDiensts, Ladenbesitzern, Gewerkschaften, Vereinen und kirch-lichen Gruppen verbunden. Die meisten Unruhen und Pro-teste dieser Art fanden die Sozialwissenschaftler in Peru,Chile, Bolivien, Tunesien, Marokko, Ägypten, Brasilien, der Do-minikanischen Republik, Argentinien und Sambia. Durchweg

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fanden sie in ausgesprochenen Knappheitsregionen statt, woArmut verbreitet war. Eine strikte Korrelation zwischen derTiefe der Not und der Häufigkeit der Proteste bestand jedochnicht, viel hing von den institutionellen, kulturellen und po-litischen Kontexten ab. Die Proteste waren in der Regel nicht wirkungslos. Nach-drücklich führten sie die soziale Asymmetrie der Wirkungender üblichen Sparpolitik vor, die die kleinen Leute viel tiefertraf als die Wohlhabenden. Sie erhöhten die politischen Kostensolcher Reformpolitik. Sie führten oft zur Abmilderung oderauch zum temporären Abbruch des Sparkurses, bisweilenauch in politische Krisen, in deren Verlauf Regierungen zu-rücktraten oder gestürzt wurden, so im Sudan und in der Tür-kei, den Philippinen, Haiti und Polen – wobei durchweg auchandere Faktoren eine Rolle spielten.Als „Arabischen Frühling“ oder „Arabellion“ bezeichnet mandie Serie von Protesten, Aufständen und Revolutionen, dieseit Dezember 2010 die Staatenwelt Nordafrikas und des Vor-deren Orients erschütterten, tiefgreifend veränderten und inihren Ausläufern auch heute noch wirken, wie zum Beispiel imsyrischen Bürgerkrieg, der mittlerweile zum Ort weltpolitischerAuseinandersetzungen geworden ist und auch angrenzendeRegionen destabilisiert. Diese Umbrüche hatten mehrere Ur-sachen. Meistens erinnern wir uns ihrer nicht als Hungerauf-stände, sondern als politischer Umwälzungen, die dieerhoffte Demokratisierung zumeist verfehlt und die politi-schen Spannungen in der Region erheblich verschärft haben. Aber vorbereitet wurde die „Arabellion“ durch soziale Bewe-gungen, in denen Proteste gegen steigende Nahrungsmittel-preise und schlechte Versorgung mit Grundnahrungsmittelneine sehr große Rolle spielten. Man muss wissen, dass dieStaaten des Vorderen Orients und des nördlichen Afrika mehr

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als die meisten anderen von importierten Nahrungsmittelnleben. Die meisten arabischen Länder kauften zwischen 2007und 2010 mehr als die Hälfte ihres Nahrungsmittelverbrauchsim Ausland. Hinzu kam, dass in den Jahren ab 2007 die Welt-marktpreise für Nahrungsmittel erheblich anzogen. In Ägyp-ten stiegen die Preise für Massennahrungsmittel zwischen2008 und 2010 um 30 bis 40 %. Für alle ärmeren Haushalte,die weit mehr als die Hälfte ihres Einkommens ausschließlichfür Zwecke der Ernährung verwenden müssen, bedeutetedies eine katastrophale Verarmung und sehr häufig Hunger,wofür sie ihre Regierungen verantwortlich machten, wie ausMeinungsumfragen bekannt ist. Man muss schließlich wis-sen, dass diese Preissteigerungen eine Welle von Subsisten-zunruhen und Hungerprotesten auslösten, beispielsweise inBahrain, Jemen, Jordanien, Ägypten und Marokko im Jahr2008. In all diesen Ländern brachen drei Jahre später Unru-hen und Aufstände aus, die sich gegen die autokratischenHerrscher wendeten und auf politischen Umsturz zielten. Zweifellos, in den Kämpfen des „Arabischen Frühlings“ ginges um sehr viel mehr als um knappe Nahrungsmittel und zuhohe Preise. Die losbrechenden Massenbewegungen atta-ckierten verbreitete Arbeits- und Perspektivlosigkeit, ausge-prägte Ungleichheit und eine Politik, die nicht mehr lieferte,was man von ihr erwartete und die geforderte Reformen indie eine oder andere Richtung verweigerte. Religiöse Moti-vationen spielten beim Aufstand gegen säkulare Potentateneine große Rolle. Konflikte resultierten aus konkurrierendenregionalen und Stammesloyalitäten. Die repressiven Metho-den in Frage gestellter staatlicher Herrschaft führten zur In-tensivierung der Proteste und Aufstände. Aber der Protestgegen hohe Preise, Nahrungsmittelknappheit und Hunger wardurchaus präsent, er fiel ins Gewicht, er wirkte als Grund-

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strömung und Verstärker mit. Es lässt sich im Einzelnen ver-folgen, wie hunger-, nahrungs- und versorgungsbezogeneProteste allmählich in Bewegungen übergingen, die dannbreitere Forderungen nach politischen und sozialen Verän-derungen stellten. Food riots blieben ein wichtiger Strang imkomplexen und sich wandelnden Gemisch der Protestformenund -ziele. „Brot, Freiheit und soziale Gerechtigkeit“ – das seider hauptsächliche Kampfruf der Revolution, schrieb ein un-abhängiger ägyptischer Journalist mit guter Kenntnis der Be-wegungen im Jahr 2011. Die sozialwissenschaftliche Analysebestätigt ihn (Bohstedt 2014, S. 20; Berazneva/Lee 2013).Wenn sich Hungerproteste und Subsistenzunruhen sehr oftnicht primär gegen den Mangel an Nahrung, sondern gegenExklusion und Ungleichheit beim Zugang zur Nahrung undgegen die dem zugrunde liegenden gesellschaftlich-politi-schen Machtverhältnisse wandten, so geschah dies nichtohne tieferen Grund. Wie Amartya Sen auf dem Hintergrundhistorischer Erfahrungen mit Hunger in Indien schrieb: „Star-vation is the characteristic of some people not havingenough food to eat. It is not the characteristic of there beingnot enough food to eat.“ (Sen 1983, S. 1) Angesichts der im-mensen Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivität inden letzten Jahrzehnten hat die These jedenfalls viel für sich,dass der fortdauernde Hunger in der Welt sehr viel mehr ausder defizitären Verteilung von Nahrungsmitteln als aus derenabsolutem Mangel resultiert.

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V.

Heutige Proteste gegen Nahrungsmangel, steigende Preiseund schlechte Versorgung werden von sehr viel umfangrei-cheren crowds getragen als die europäischen food riots des18. und frühen 19. Jahrhunderts. Während damals oft derverzweifelte Protest gegen den schieren Mangel an Nahrungim Vordergrund stand, konzentriert sich die Wut der Aufstän-dischen in heutigen Knappheits- und Hungerregionen vorallem auf nicht erschwingliche Preise. Es geht nun eher umVerteilung als um Mangel. Während im 18. und 19. Jahrhun-dert eindeutig um den Zugang zu Nahrungsmitteln gekämpftwurde, beziehen heutige Subsistenz-Proteste die Knappheitund die steigenden Preise anderer Waren mit ein, zum Bei-spiel Benzinpreise, die Kosten der Benutzung öffentlicherTransportmittel, erhöhtes Schulgeld etc. Die Erstreckung vonfood riots war im 18. und 19. Jahrhundert meist lokal begrenzt,heute erreichen sie rasch umfangreichere Dimensionen auf dernationalen Ebene und mit transnationalen Verflechtungen. DieInformationsdichte und -geschwindigkeit haben enorm zu-genommen, und mit ihr die alles durchdringende Medialisie-rung aller Vorgänge, die den Charakter der Proteste verändertund ihre symbolische, expressive und theatralische Dimensionaufwertet – und den Zusammenhang zwischen ihnen überregionale Distanzen hinweg verstärkt. Zwar forcierte auchfrüher der Protest gegen Knappheit und Unerschwinglichkeitdie Empörung auf die als verantwortlich geltenden Herr-schenden, aber in der Gegenwart hat der Protest gegen po-litische Instanzen und politisches Personal eindeutig denVorrang gewonnen. Die Verflechtung der sozialen Ökonomieund der Politik ist gegenwärtig ungleich dichter, evidenterals früher; das spiegelt sich auch in den Erwartungen der Be-

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völkerung und ihren Protesten. Die Politisierung der riots istleichter und wahrscheinlicher geworden, ihre Isolierbarkeitgeringer. Noch rascher als früher verbinden sich nahrungs- undhungerbezogene Proteste mit Protesten gegen andere Miss-stände, verknüpfen sich Forderungen nach niedrigeren Prei-sen mit solchen nach höheren Löhnen und führt das Strebennach besserer Versorgung zu Forderungen nach sozialen undpolitischen Veränderungen anderer Art. Hungerproteste undNahrungsunruhen treten oft eingebettet auf, eingebettet inkomplexere Forderungskataloge und multidimensionale so-ziale Bewegungen.Dieser Vortrag ist dem Zusammenhang von Hunger und Pro-test im Wandel der Zeit an ausgewählten Beispielen nach-gegangen. Es wurde gezeigt, dass dieser Zusammenhangunter unterschiedlichen Bedingungen unterschiedliche Quali-tät besaß und besitzt, aber andererseits über die Jahrhun-derte wirksam gewesen ist und wirksam bleibt. Hunger ist dieVerletzung eines menschlichen Grundbedürfnisses. Er hatteund hat eine existenzielle Dimension. Zugleich stellt er, fallsmassenhaft auftretend, eine dringende gesellschaftliche He-rausforderung dar, die leicht zum politischen Problem wirdund bis heute zur Auslösung und Dynamik kleinerer und grö-ßerer Umbrüche beitragen kann. Doch sei abschließend betont, dass Hunger häufig nicht zuProtest geführt hat und führt. In großen Hungerkrisen rea-gierten und reagieren die Betroffenen meist eher mit Abwan-derung statt mit gemeinsamem Protest vor Ort, wie sichparadigmatisch an der großen irischen Hungersnot 1845–1847 und der aus ihr hervorgehenden Massenauswanderungnach Nordamerika zeigte. Dieser Zusammenhang zwischenmassenhaftem Hunger und „exit“ statt „voice“ – um AlbertHirschmans Vokabular zu benutzen – zeigt sich auch an den

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Flüchtlingsströmen der Gegenwart, die aus Gebieten desMangels, des Hungers und der Zerstörung in Afrika und Asienin Richtung Europa unterwegs sind. Überdies: Hunger mobi-lisiert häufig nicht, sondern schwächt und macht apathisch.Er trägt per se nicht zur Solidarisierung der Hungernden bei,sondern oftmals zu ihrer Vereinzelung, was beispielsweise anden Leiden der Häftlinge von nationalsozialistischen Konzen-trationslagern untersucht worden ist, wo Hunger wie so oftin der Geschichte als Waffe der Unterdrückung und Vernich-tung eingesetzt worden ist.Das Leiden der Vielen an Hunger, Unterversorgung und Man-gel führte vor allem dann zum Protest, wenn es mit Zorn überbeobachtete Ungleichheit Hand in Hand ging, wie am Bei-spiel des Ersten Weltkriegs besonders deutlich geworden ist.Zunehmende sichtbare Ungleichheit der Einkommen, Versor-gungs- und Lebenschancen macht es wahrscheinlicher, dassaus Hunger Protest entsteht. Das Leiden der Vielen an Hun-ger, Unterversorgung und Mangel führte zum anderen amehesten dann zum kollektiven Protest, wenn es als Ergebnisder Verletzung politischer Verantwortung und moralischerGrundsätze erfahren und dargestellt werden konnte. Darausergab sich das so oft bezeugte gute Gewissen der Teilnehmervon Nahrungsprotesten, auch wenn diese Recht brachen undGewalt anwendeten. Und damit hing schließlich zusammen,dass Hunger- und Nahrungsproteste immer wieder rasch zuProtesten gegen politische Instanzen – Herrschaften, Magis-trate, Regierungen, Staaten – geworden sind. Wenn ausMangel und Hunger Proteste wurden, ging es aus beidenGründen – Ungleichheit und politische Verantwortung – sehroft zugleich um grundsätzliche Fragen der Gerechtigkeit.Aus sich selbst heraus bewegt das Leiden an Hunger undMangel wenig, so bedrückend und vernichtend es auch oft-

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mals war und ist. Per se führt es nicht zu Protesten, erst rechtnicht zu nachhaltigen sozialen Bewegungen und schon garnicht zu oppositionellen Organisationen der Reform und Re-volution. Es braucht vielmehr andere Gemeinsamkeiten sozia-ler, politischer, religiöser und ideologischer Art, aus anderenQuellen gespeiste Zusammengehörigkeit sowie entschiedenepolitische Gestaltung, um aus der massenhaften Erfahrungvon Hunger und Mangel kollektiven Protest hervorgehen zulassen. So wird auch verständlich, dass Proteste gegen Hunger,Unterversorgung und Mangel sehr verschiedenen politischenZwecken dienstbar gemacht werden können und aus sich her-aus nicht bestimmen, was sie auf welches Ziel hin bewegen.Hungerproteste sind politisch polyvalent: Sie konnten inEuropa lange vorwiegend unter linkem Vorzeichen politisiertwerden; 1919–1923 speisten sie rechtsextreme Kritik an derjungen Weimarer Demokratie; sie können heute in der isla-mischen Welt mit politisch-religiösen Bewegungen verknüpftwerden. Als eingebettete Elemente, Grundströmungen undTriebkräfte unterschiedlichster Unruhen, Bewegungen undUmstürze sind sie weiterhin mächtig.

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Benutzte und weiterführende Literatur:

Zum 18. und 19. Jahrhundert: Wilhelm Abel, Massenarmut und Hungerkrisen im vor-industriellen Europa, Hamburg 1974; Eric J. Hobsbawm, Primitive Rebels: studies inarchaic forms of social movements in the 19th and 20th centuries, New York 1959;Edward P. Thompson, Plebejische Kultur und Moralische Ökonomie. Aufsätze zur eng-lischen Sozialgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 1980. – Grund-legend für Deutschland: Manfred Gailus/Heinrich Volkmann (Hg.), Der Kampf um dastägliche Brot. Nahrungsmangel, Versorgungspolitik und Protest 1770–1990, Opladen1994, darin neben der Einleitung der Herausgeber vor allem: John Bohstedt, Morali-sche Ökonomie und historischer Kontext (S. 27–51: Kritik an Thompson); ManfredGailus, Hungerunruhen in Preußen (S. 176–199); Martin H. Geyer, Teuerungsprotestund Teuerungsunruhen 1914–1923. Selbsthilfegesellschaft und Geldentwertung (S.319–345); Herbert Obenaus, Hunger und Überleben in den nationalsozialistischenKonzentrationslagern (1938–1945) (S. 361–376); Hans Medick, Teuerung, Hunger und„Moralische Ökonomie von oben“. Die Hungerkrise der Jahre 1816–17 in Württemberg,in: Beiträge zur historischen Sozialkunde 2/1985, S. 39–44; zur allmählichen Über-windung von Armut und Hunger in Europa während der zweiten Hälfte des 19. Jahr-hunderts: Jürgen Kocka, Arbeiterleben und Arbeiterkultur. Die Entstehung einersozialen Klasse, Bonn 2015, Kap. 2; Thomas Lindenberger, Straßenpolitik. Zur Sozial-geschichte der öffentlichen Ordnung in Berlin 1900 bis 1914, Bonn 1995. – Zu Weltkriegund Weimarer Republik: Neben dem genannten Aufsatz von Martin H. Geyer auchJürgen Kocka, Klassengesellschaft im Krieg 1914–1918, Göttingen 1973, bes. S. 12–57. – Mit globaler Reichweite: John Walton/ David Seddon, Free Markets & Food Riots.The Politics of Global Adjustment, Oxford 1994; Roy Bin Wong, Les émeutes de sub-sistence en Chine et en Europe occidentale, in: Annales E.S.C 38/1983, S. 221–258;Yang Jisheng, Tombstone. The Great Chinese Famine, 1958–1962, New York 2008;Matthias Middell/Felix Wemheuer (Hg.), Hunger and Scarcity under State-Socialism,Leipzig 2012; Manfred Gailus, Contentious Food Politics: Sozialer Protest, Märkte undZivilgesellschaft (18.–20. Jahrhundert). WZB Discussion Paper Nr. SP IV 2004-504,Berlin 2004; John Bohstedt, Food Riots and the Politics of Provisions (= IDS WorkingPaper 444), 2014; Julia Berazneva/David R. Lee, Explaining the African food riots of2007–2008: An empirical analysis, in: Food Policy 39/2013, S. 28–39. – Allgemein zusozialen Protesten und Bewegungen: Manfred Gailus, Artikel „Crowds in History”, in:International Encyclopedia of the Social and Behavioral Sciences, 2. Aufl., Amsterdam2015, Bd. 5, S. 361–366; Abby Peterson, Artikel „Social Protest“, in: ebd., Bd. 22, S.506–511. – Zur Verbreitung des Hungers und seinen Ursachen: Michael Brüntrup,Welthunger und Welternährung, in: Aus Politik und Zeitgeschichte 49/2015, S. 6–19.In diesem Heft, das dem Thema „Hunger“ gewidmet ist, finden sich weitere einfüh-rende Beiträge, u. a.: Christian Gerlach, Hunger in der Geschichte des 20. Jahrhunderts(S. 20–26); Amartya Sen, Poverty and Famines, Oxford (1981) 1983; James Vernon,Hunger. A Modern History, Cambridge 2007; Stephen Devereux (Hg.), The New Famines.Why famines persist in an era of globalization, London 2007.

Ich danke Manfred Gailus, Hans Medick und Jürgen Schmidt für wichtige Anregungen,Lilly Kempf für Hilfe bei der Recherche.

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Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte

Die Stiftung zu Ehren des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert(1871–1925) wurde am 19. Dezember 1986 durch Bundesgesetz errich-tet. Die bundesunmittelbare Stiftung öffentlichen Rechts mit Sitz inHeidelberg hat nach dem Gründungsgesetz die Aufgabe, „das Andenkenan den ersten deutschen Reichspräsidenten Friedrich Ebert zu wahrenund einen Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte seiner Zeitzu leisten“. Die von der Stiftung unterhaltene Gedenkstätte, das Friedrich-Ebert-Haus in Heidelberg, wurde am 11. Februar 1989, dem 70. Jahrestag derWahl Eberts zum Reichspräsidenten, eröffnet. Herzstück ist als authen-tischer Ort der Geschichte die kleine Wohnung, in der Friedrich Ebertam 4. Februar 1871 als siebtes von neun Kindern eines Schneidermeistersgeboren wurde. Daneben zeichnet die 2007 eröffnete neue Daueraus-stellung „Vom Arbeiterführer zum Reichspräsidenten – Friedrich Ebert(1871–1925)“ den Weg des sozialdemokratischen Parteiführers an dieSpitze der ersten deutschen Demokratie nach. Der ungewöhnlicheLebensweg vom Sattler zum Staatsoberhaupt wird in die Geschichteseiner von Umbrüchen gekennzeichneten Zeit eingebettet: vom Kaiser-reich über den Ersten Weltkrieg bis in die Anfangsjahre der von ihmmitbegründeten Weimarer Republik. Die Stiftung betreibt eigene For-

Blick in Raum 1 der Dauerausstellung.

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schungen über Friedrich Ebert und zu zentralen Fragen seiner Zeit undregt hierzu wissenschaftliche Untersuchungen an.Mit einem vielschichtigen Veranstaltungsangebot hat sich das Friedrich-Ebert-Haus in der Heidelberger Pfaffengasse 18 als ein lebendiger Lern-ort deutscher Demokratiegeschichte etabliert. Das zeigt sich in einerstetig wachsenden Zahl von Besuchern, in der anerkannten Forschungs-und Publikationstätigkeit sowie in der Vielzahl und in der Bandbreiteihrer politisch-historischen Bildungsaktivitäten, vor allem mit Schüle-rinnen und Schülern. Die Besucherzahlen der Gedenkstätte haben sichmit rund 65.000 pro Jahr auf hohem Niveau eingependelt. Die Stiftungunterhält weiterhin drei durch die Republik reisende Wanderausstellun-gen: über Friedrich Ebert und seine Zeit, über die Weimarer Reichskanzlerund über den Reichspräsidenten in der Karikatur.Die Stiftung trägt auf diese vielfältige Weise dazu bei, die Erinnerungan den großen Sozialdemokraten und Staatsmann wachzuhalten, derals Gründer und Garant der Weimarer Republik einer der Wegbereiterder modernen deutschen Demokratie ist.

Friedrich-Ebert-Haus, Pfaffengasse 18, HeidelbergÖffnungszeiten: Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Donnerstag 10–20Uhr. Der Eintritt ist frei. Kostenlose Führungen für Gruppen durch dieständige Ausstellung und Sonderausstellungen nach Vereinbarung. DasHaus ist barrierefrei.

Friedrich-Ebert-Haus in der Pfaffengasse mit Aufgang zur Geburtswohnung.


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