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Fremde Texte 2_Walther

Date post: 26-Jul-2015
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Johann Drumbl Fremde Texte 2. Auflage BELT 1996
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Page 1: Fremde Texte 2_Walther

Johann Drumbl

Fremde Texte

2. Auflage

BELT 1996

Page 2: Fremde Texte 2_Walther

BIBLIOTECA ELETTRONICA DI LINGUA TEDESCA

Comitato direttivo

Johann Drumbl, Università Cattolica, Milano (responsabile)

Marcello Soffritti, Università di Bologna

Giuliano Bernini, Università di Bergamo

Eva-Maria Thüne, Università di Verona

Segreteria di redazione:

Ilsemarie Brandmair, Università Cattolica, Brescia

Federica Missaglia, Università di Brescia

Redazione: http://www.bs.unicatt.it/daf/belt.htm

e-mail: [email protected].

STUDI E RICERCHE

D. Heller, Forschungen zur Fachsprache. Geschichte, Methoden, Anwendungen (1995)

F. Missaglia, Aspetti del bilinguismo scolastico italo-tedesco (1996)

J. Drumbl, M. Soffritti, E.M. Thüne (Hg.), Deutsch in Italien - Didaktik Forschung,

Kommunikation (1996)

J. Drumbl, Fremde Texte. 2. Auflage (1996)

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Page 3: Fremde Texte 2_Walther

Inhalt

Vorwort zur 2. Auflage

Einleitung

Fremde Zeremonien und vertraute Texte

- Liturgische Zeremonien und Tropen

- Tropen in der Rezeption

- Interpretationen des Quem quaeritis

Liturgische Zeremonien und geistliches Spiel

- Die Visitatio sepulchri

- Die Visitatio II

Minnesang - Leseversuche

- Das Kürenberger-Corpus

- Walthers Preislied

- Herzeliebes frowelîn

- Vröidelîn und herzeliebe

- Heinrich von Morungen: Ich bin iemer ander

- Ir reinen wîp, ir werden man

Anhang

Gattungsprobleme des geistlichen Spiels (1986)

Walthers Alterston (1986)

Anmerkungen

Bibliographie

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Johann DrumblFremde TexteUnicopli, Milano 1984(Vergriffen).

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Vorwort zur zweiten Auflage

Die erste Auflage der Fremden Texte erschien 1984 im Mailänder Verlag Unicopli und wird

hier mit Kürzungen und Korrekturen nachgedruckt. Teile aus den ausgeschiedenen Kapiteln

sind zu einer neuen Einleitung zusammengefaßt.

Die Interpretation von Walthers Alterston Ir reinen wîp, ir werden man wird durch einen

unveröffentlichten Text aus dem Jahr 1986 ergänzt. Aus demselben Jahr stammt der Aufsatz

“Gattungsprobleme des geistlichen Spiels”, der im Anhang nachgedruckt wird. Eine erweiterte

Fassung der Studien zum Minnesang erschien 1992 auf italienisch unter dem Titel Vestigia di

una forma antica, eine knappe Zusammenfassung der Arbeiten zum mittelalterlichen Theater

findet sich in der Einleitung zu Il Teatro Medievale, Il Mulino, Bologna 1989 sowie in Spazio

scenico e attori nell'alto medioevo.

Die inzwischen an anderer Stelle erschienen Untersuchungen zu Goethe, zur literarischen

Hermeneutik und zur Übersetzungsproblematik, die zum ursprünglichen Konzept des

Buchprojektes gehörten, gehen zurück auf eine zweijährige Lehrstuhlvertretung für Mazzino

Montinari an der Universität Florenz in den Jahren 1983/85. Die Fremden Texte sind in enger

Bindung an den Florentiner Kreis um Montinari entstanden und gewachsen. Ich verdanke

Mazzino viel mehr als nur die Aufforderung, das Konzept dieser alle Gattungsgrenzen

überschreitenden Arbeit zu verwirklichen.

Diese Internet-Edition der Fremden Texte stellt eine Art Schlußbericht über meine

Forschungen zum mittelalterlichen Theater dar, die vor 30 Jahren — 1966, im Jahr der

Überschwemmung von Florenz — mit meinem ersten Italienaufenthalt ihren Anfang nahmen.

In die ersten Tage in Rom fiel die Begegnung mit Fabrizio Cruciani, aus der eine lebenslange

Freundschaft und intensive kritische Zusammenarbeit wurde, die der frühe Tod von Fabrizio

unterbrochen hat. Ohne seine Ermutigung und seinen Rat wäre keine meiner Arbeiten zum

mittelalterlichen Theater entstanden. Clelia Falletti hatte beinahe ebenso großen Anteil am

Entstehen der italienisch geschriebenen Texte. Ferdinando Taviani war der immer brillante

und universell belesene Gesprächspartner, nein, diese Formulierung ist unpassend: Nando

stellt in seinem Habitus theatralisches Wissen personifiziert dar, und ich hatte das Privileg,

jahrelang aus dieser einzigartigen Quelle schöpfen zu dürfen. In all diesen Jahren war Eugenio

Barba mit den Schauspielern des Odin Teatret die theatralische Instanz im Hintergrund, die

unserem gemeinsamen Bemühen um das Verständnis des Theaters in seinen historischen

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Page 6: Fremde Texte 2_Walther

Erscheinungsformen eine theoretisch wie praktisch fundierte anthropologische Perspektive

gab.

Bergamo, Dezember 1996 Johann Drumbl

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Einleitung

Wir lesen und interpretieren mittelhochdeutsche Lieder, die oft schon den Schreibern fremd

waren, denen wir die überlieferten Texte verdanken. Diese Schreiber kopierten aus

schriftlichen Vorlagen, die ihrerseits bereits auf schriftliche Vorlagen zurückgingen.

Überliefert werden Texte ohne Musik, ohne die Betonung des vorgetragenen Wortes, ohne

Rhythmik der Strophen, ohne Angaben über Akzentuierung, Intonation und Pausen, und was

immer an Details beim Vortrag eines Liedes von Gewicht gewesen sein mochte. Wer diese

Texte heute liest, muß daher versuchen, diese ihm unbekannten Aspekte der Lieder

systematisch zu bedenken und sie ebenso methodisch zu behandeln wie die erhaltenen

Schriftzeichen in den Handschriften. Und der moderne Leser wird erkennen, daß es nur zu

Leseversuchen reicht.

Gegenüber dem Anspruch auf “sichere” Ergebnisse ist der Verzicht auf Sicherheit, der in den

neuen Ausgaben von Moser-Tervooren und Schweikle offenkundig ist, ein großer

Erkenntnisfortschritt. Die kritische Beschäftigung mit den Texten ist noch in Verzug. Sie sucht

immer noch Ergebnisse — und findet sie! — durch Aneignung. Der moderne Interpret, der

von diesen Liedern wenig weiß, ihnen daher auch alles zumuten kann, erprobt die ihm

zugänglichen modernen Kategorien der Wertung, bis er auf eine stößt, die ihn zufrieden stellt.

Es fällt auf, daß auch die verworfene Variante mit viel Einfühlung dargestellt wird,

Hypothesen provoziert und den Interpreten dazu veranlaßt, Meinungen zu äußern, die er

anschließend als nicht akzeptabel zurückweist. Aber wo liegt die Grenze zur akzeptablen

Hypothese oder Meinung desselben Interpreten? Das interpretatorische Verfahren ist in keiner

Weise methodisch abgesichert und soll ausschließlich auf Grund des erbrachten Ergebnisses

diskussionswürdig erscheinen. “

Die Probleme der handschriftlichen Überlieferung werden nicht vor dem Hintergrund der

handschriftlichen Überlieferung und ihren möglichen Problemen beurteilt, sondern in einem

abstrakten Raum der Kritik, wo sich Textvarianten, rekonstruierte Inhalte, literarische

Werturteile, Parallelstellen und Zitate aus anderen Interpretationen begegnen und zu einer

neuen Antwort auf die Problematik des Textes gemischt werden.

Die hier vorgestellten Minnesang-Leseversuche zeigen eine dem Minnesang eigene Poetik der

unterschiedlichen “Stimmen”, der sprachlich determinierten Rolle, auf. Wenn es im frühen

Minnesang eine Differenzierung nach Stimmen gegeben hat, so ist sie in den Handschriften

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Page 8: Fremde Texte 2_Walther

jedenfalls nicht markiert worden. Hat es sie wirklich gegeben und war sie Teil der Ästhetik

dieser Lieder, dann wissen wir, daß dieser Teil verloren gegangen ist.

Vor dem Hintergrund zahlreicher Indizien für “inszenierte” Strophen im frühen Minnesang

und bei Walther stellt sich auch die Frage nach der Verbindung oder der Grenze von Lyrik und

theatralischem Spiel. Es ist keine neue Frage. Aber welcher Begriff von Lyrik ist im Spiel, und

gegen welchen Begriff von “Dramatizität” ist er abgegrenzt, wenn von Walthers Liedern

gesagt wird: “Only rarely as in the perfect gem Under der linden, can he be called, in the strict

sense, a lyrical poet. His strength lies mainly in dramatic presentation and in the bracing

quality of his didactic verse.” (1) Aber auch das genaue Gegenteil dieser interpretierenden

Wertung scheint möglich, und das selbe Lied wird charakterisiert “in the playing out of make-

believe scenarios”. (2)

Wer nun den Inszenierungs-Typus des Liedes mit in die Interpretation einbezieht, wie Ruth

Harvey in ihrer (postum veröffentlichten) souverän skizzierten alternativen Deutung, oder

Hugo Kuhn in seinem postum veröffentlichen Kommentar — oder, schon vor Jahren, Jean

Fourquet (3) — begibt sich auf ein Terrain, wo anerkannte (vom Konsens der Beteiligten

gleichsam mitverantwortete) Kriterien fehlen. “Inszenierung: Sänger-Auftritt als Frauen-Ich-

Rolle; wieweit als Auftritts-Typ hier und sonst gestützt durch Kostüm, Gestik, Tonlage u. a.,

bleibt immer unerwähnt, sogar noch im Fastnachts- und geistlichen Spiel.” (4) Mit diesem

Blick Kuhns über die Gattungsgrenzen hinweg ist der erste Schritt getan, die

Interpretationshalden zur lyrischen Stimmung dieses Liedes abzutragen, die ein Jahrhundert

wissenschaftlicher Bemühungen um Walthers “perfektes Kleinod” herum errichtet haben.

Aber es genügt nicht, nun die These zu diskutieren, ob dieses Lied “inszeniert” sei oder “in

einer imaginären Szene gespielt” (R. Harvey), da die Beweisnot solcher Thesen offensichtlich

ist; zu fragen ist vielmehr, was diese These für das Verständnis des Textes erbringt, und nur in

diesem Punkt ist ihr Erklärungspotential überhaupt von Interesse.

In einer wissenschaftlichen Tradition, in der offensichtlich alle Antworten akzeptabel

scheinen, weil keine auf ernsthaften Widerstand stößt, ist es ungewöhnlich, schon die

Pertinenz der Frage zu überprüfen; aber gerade dies ist der Moment, wo sich kritisches von

antiquarisch-genügsamem Fragen unterscheidet. Was ist gewonnen, wenn wir das Ergebnis

vorlegen, Walther habe sein Lied wahrscheinlich/wahrscheinlich nicht “gestützt durch

Kostüm, Gestik und Tonlage” vorgetragen, oder für einen solchen Vortrag komponiert, und

wir können für die These oder für ihre Zurückweisung keinerlei Argumente im Text selbst

finden?

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Page 9: Fremde Texte 2_Walther

Das Problem der “Dramatizität” mittelalterlicher Lieder ist der Ursprungsfrage des geistlichen

Spiels insofern verwandt, als die ersten Manifestationen des “(Schon-) Dramatischen” vom

modernen Beobachter gefunden werden müssen. Je nach Temperament und hermeneutischer

Besonnenheit des Forschers wird dann das Resultat vorgestellt als “Das ist Drama!” (5) oder

mit der nötigen Vorsicht wie Peter Dronkes Urteil über das Lied Mei amic, das in den Jahren

1069-99 in Saint-Martial niedergeschrieben wurde. “Unter der geistlichen Lyrik sticht dieses

Lied wie eine Perle hervor und möglicherweise ist es auch das erste ganz in der Volkssprache

erhaltene Drama.” (6) Dronke kommt zu dieser Annahme durch Analyse der ersten drei

Strophen:

Mei amic e mei fiel Ihr meine Freunde, meine Treuen,

laisat estar lo gazel laßt bleiben eure Tändeleien

aprendet u so noel und lernt den neuen Gesang

de virgine Maria von der Jungfrau Maria.

“No perdrai virginitat “Nie werd ich ohne Unschuld sein

os temps aurai chastitat für alle Zeiten bleib ich rein,

si cum es profetizat, so wie es sagt die Prophetie,

Pois (er) virgo Maria.” bleib ich Jungfrau Marie.”

“Eu soi l angels Gabriel, “Ich bin der Engel Gabriel,

aport vos salut fiel: getreuen Gruß bring ich euch schnell:

Deus (descen) de sus deu cel Gott steigt vom Himmel ab allhie

in te, virgo Maria.” in Euch, Jungfrau Marie.” (7)

Völlig zu recht betont Dronke: “Die Annahme, daß einige erzählende Übergangsstrophen

verloren gegangen sind, ist gar nicht nötig. Das Lied ist ein lyrischer Dialog, in dem Maria und

Gabriel neben dem Erzähler ihre Rollen haben.” (8) In der Fortführung seiner Analyse hat sich

jedoch mit dem Begriff des “Dialogs” eine unhistorische Kategorie eingeschlichen, die sofort

ihr Potential an plausiblen Ausweitungen und Anwendungen entfaltet: “Ich halte es für

wahrscheinlich, daß diese Rolle gesungen und gespielt wurden, daß ein junger Mann und ein

junges Mädchen die göttliche Werbung szenisch darstellten, wie etwa in vielen Tanzliedern,

die den Liebhaber vorführen, wie er seinem Mädchen den Hof macht.” Zwar sind alle diese

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Page 10: Fremde Texte 2_Walther

Beispiele aus der volkstümlichen Tradition der Tanzlieder nur in jüngeren Dokumenten

bekannt, aber dieses Argument hat noch nie die These von einer “kräftigen

volkstümlich-mündlichen Tradition von dramatischem Spiel” (9) widerlegen können.

Dronkes Annahme, der überlieferte Text des Liedes sei zwar als Text vollständig, enthalte aber

gleichsam eine Lücke, die durch die Interpretation des modernen Lesers geschlossen werden

muß/kann, findet im Wortlaut des Liedes keinerlei Stütze. Im Gegenteil, das vom Sänger als

“neues Lied” dem änigmatischen gazel seines Publikums entgegengestellte Lied, drückt alles,

was zu seiner Aufführung gehört, im Text selbst aus. Mit den ersten Worten zeigt der Sänger,

daß er nicht in einer Rolle auftritt, sondern als Sänger zu seinem Publikum spricht. Nach der

lateinischen Schlußzeile der ersten Strophe, die sprachlich als Titel formuliert ist, folgt die

zweite Strophe in der Rolle Marias, ebenfalls schon im ersten Satz klar erkennbar: No perdrai

virginitat; in der dritten Strophe soll nun Gabriel das Wort erhalten, aber sein Gruß ist als

sprachliche Konvention nicht spezifisch genug, um die Rolle — wie es der “nichtdramatische”

Vortrag durch einen Solisten verlangt — schon von den ersten Worten an klar zu bestimmen,

also stellt sich die Figur ihrem Publikum vor: Eu soi l’angels Gabriel. Alles was das Publikum

über die auftretenden Figuren wissen muß, erfährt es aus dem Text des Liedes selbst, und

gerade diese Vollständigkeit der Angaben im Text spricht dagegen, daß dieses Lied auch

gespielt worden sei — nach welchen Vorbildern auch immer dies um 1100 möglich gewesen

sein mag.

Daß Dronkes Hypothese demnach nicht notwendig ist, heißt zwar nicht, daß seine

Interpretation falsch ist, aber es gibt auch keine Möglichkeit, ihren Anspruch auf Richtigkeit

zu überprüfen. Ein zweiter Umstand, der gegen die Hypothese spricht, ist ihr zu großer

Geltungsbereich. Da sie sich auf keine spezifischen Charakteristiken des Liedes stützt, müßte

sie konsequent auf alle mittelalterlichen Kompositionen angewandt werden, die dem

provenzalischen Rollenlied entsprechen, so auf einen Großteil des frühen Minnesangs, wo

Rollenstrophen und Sängerstrophen abwechseln können. Alle diese Lieder müssen wir uns

dann gespielt vorstellen — oder keines von ihnen. Die von Dronke in diesem Zusammenhang

so stark hervorgehobene Eigenschaft der präsumtiven Dramatizität eines Liedes in der

Volkssprache ist somit jedes Erkenntniswertes beraubt, so daß auch der Aufwand, eine solche

These zu verteidigen, nicht gerechtfertigt ist.

Gegen Dronkes These gibt es noch andere Bedenken. Sollte eine dramatische

Darstellungstechnik tatsächlich mit etablierten lyrischen Gattungen eine so enge Verbindung

eingegangen sein, wie Dronke annimmt, dann muß der moderne Leser der handschriftlich

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Page 11: Fremde Texte 2_Walther

überlieferten Dokumente voll den möglichen Verlust im Moment der Verschriftlichung einer

mündlichen Tradition mitkalkulieren. Mit welchen Schreibstrategien rechnet der Interpret, der

einen zum Gesang komponierten Text “dramatisch” nennt? Wohl damit, daß alles, was zur

Aufführung gehörte, im Moment der Niederschrift einfach verloren ging, ohne Spuren zu

hinterlassen. Bei der Untersuchung der liturgischen Traditionen “fremder” Kompositionen

können wir genau erkennen, daß diese nichtrezepierbaren Zeremonien sehr wohl Spuren

hinterlassen haben, und daß es gerade diese Spuren sind, die uns Aufschluß geben über die

Eigenschaften, die diese Zeremonien in ihrem eigenen historischen Milieu zu fremden machen.

* * *

Als Gegenbeispiel zu den unergiebigen Spekulationen über das erste mittelalterliche Spiel in

der Volkssprache kann die Analyse des ersten “weltlichen” Spiels (10) gelesen werden.

Das sogenannte “Spiel von der Laube”, korrekter vielleicht, “Das Spiel von den Narren”, das

Jeu de la Feuillée von Adam de la Halle, überschreitet nicht nur die Gattungsgrenzen zwischen

Theater und Lyrik, sondern auch die Grenzen zwischen Kunst und Leben. Das Spiel ist fester

Bestand des Maifestes der Stadt Arras, deren Bewohner als Schauspieler agieren, so auch der

Dichter selbst, sein Vater Rikier Auri, sowie die Mitbürger Hane Gillot, Reinelet, Walet und

Walaincourt, die alle mit ihrem echten Namen auftreten und nach dem Auftritt einfach wieder

Bürger der Stadt sind, die weiter an den Festlichkeiten des Tages Anteil haben.

Das Stück beginnt mit einem Monolog des Dichters Adam, der ein Thema aufnimmt, das er

schon einmal in einer lyrischen Komposition, seinem Congé, behandelt hatte, und das hier im

Kontext karnevalistischer Traditionen neues Gewicht erhält: der Dichter verabschiedet sich

von der “Welt”, von seiner Ehefrau und von den Genüssen der Sexualität überhaupt, um sich

fortan in Paris ausschließlich dem Studium zu widmen. Was in der Dynamik des Spiels als

Umkehrung der Werte, als spielerische Verspottung einer “verrückten” Lebensart in

Erscheinung titt, erscheint in den wissenschaftlichen Studien zum Jeu als gelehrte Fußnote:

trotz intensivster Bemühungen seien von einem Aufenthalt des Autors in Paris keine

archivalischen Spuren zu entdecken, so daß die Biographie des Dichters an diesem Punkt mit

einem Fragezeichen versehen werden müsse... Im Fortgang des Spiels wird Adams Torheit

geheilt, wie aus den Worten der bösen Fee Magloire zu entnehmen ist:

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Magloria: Dico: Richieri sia pelato, e non abbia dinanzi capelli. Quanto all'altro, che si

millanta d'andare a studio a Parigi, vo' che s'ingolfi a tal punto nella mala compagnia

d'Arras, e si dimentichi fra le braccia di sua moglie, ch'è morbida e tenera, sì che perda

e aborrisca lo studio, e lasci in asso il suo viaggio. (11)

Im Realismus des Jeu, wo jeder Mitspieler sich selbst darstellt, hat man sich Richeri wohl als

eitlen Mann vorzustellen, der sich wegen seiner spärlichen Haare Sorgen macht, und Adam,

den Dichter und Musiker, als Provinzler, der von einer Karriere in der Weltstadt träumt,

während er nicht imstande ist, sich von seiner kleinen Stadt und seiner Ehefrau zu lösen.

Vergebliche Mühe, in den Pariser Archiven nach Spuren von Adams Aufenthalt zu suchen!

Adam war nie in Paris. Der Wunsch, die Ehefrau zu verlassen und sich nur mehr dem Studium

zu widmen - während liebessüchtige Kandidaten schon für die Nachfolge im Bett bereitstehen

- gehört zur komischen Figur, nicht zum Leben des Dichters, ja, die Diskrepanz zwischen

Wort und Tat schafft überhaupt erst die Rolle des komischen Dichters.

Die einzige vollständige Handschrift des Jeu, der wertvolle cod. fr. 25.566 der Pariser

Nationalbibliothek, überliefert eine Miniatur, die den Schauspieler auf einem als Bühne

erkennbaren Raum darstellt, wie er mit erhobener Hand ins Publikum winkt. Dort ist eine Frau

zu sehen, die lächelnd den Gruß erwidert und mit ihrer erhobenen Hand zur Bühne weist.

Wer anders als die Ehefrau des Dichters Adam sollte diese Frau sein, eine junge schöne Frau,

die im Publikum sitzend den Monolog ihres Mannes mitanhört, in dem er sie als unattraktive

Furie beschreibt, die zu verlassen kein Opfer darstellt.

Adam wird zur komischen Figur - und das hervorragende Ergebnis macht ihn zum Autor des

ersten “weltlichen” Schauspiels des europäischen Mittelalters. Das Anprangern und Verspotten

von Lastern verbindet dieses “Spiel vom Toren” mit den vorliterarischen Traditionen des

Karnevals. Daß der verspottete Protagonist aber ein Dichter ist, sichert seinem Werk den

Eintritt in die Welt der schriftlichen Kultur und somit das Überleben auf dem Pergament.

Um die Logik der Entstehung des ersten weltlichen Schauspiels des Mittelalters zu ergründen,

bedarf es keiner Versuche, gleichsam hinter die erhaltenen Dokumente zurückzugehen auf der

Suche nach verborgenen Ursprüngen und verlorenen Traditionen. Die Aufgabe besteht

vielmehr darin, die tatsächlich erhaltenen Element so zu “ordnen”, daß das ihnen

zugrundeliegende Prinzip erkennbar wird - das Prinzip eines fremden Werkes.

* * *

12

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An der Methode der traditionellen Textkritik irritiert nicht so sehr die Sicherheit, mit welcher

der Herausgeber Lesarten akzeptiert oder verwirft, sondern die völlige Unsicherheit, die das

ganze Verfahren kennzeichnet: überall können im überlieferten Text Fehler versteckt sein,

schon der simple Wunsch, zwei gleiche Wörter einige Zeilen näher beieinander zu sehen,

könnte der Grund dafür gewesen sein, daß die Strophenfolge in einem Lied umgekehrt wurde

— als wäre das Lied keinem anderen thematischen Aufbau verpflichtet als dem, den der eine

oder andere moderne Interpret für den richtigen (oder möglichen) hält.

Der Text, von dem wir auszugehen haben, ist nicht “garantiert”, und er wird es auch nach

erfolgter Interpretation nicht sein. Jeder Eingriff von Herausgebern und Interpreten bedarf der

Rechtfertigung und stellt neue Fragen, wo voreilige Interpreten immer schon Antworten sehen.

Wie H. Moser und H. Tervooren in den Editionsprinzipien der neuen Ausgabe von

“Minnesangs Frühling” anmerken, hat der Philologe, der sich bemüht, die Texte zu verstehen,

so wie sie in den Handschriften überliefert sind, eine besonders schwierige Form der

philologischen Arbeit gewählt; er kann die objektiven Schwierigkeiten von Überlieferung und

Textverständnis nicht einfach mit Hilfe persönlicher Eingriffe lösen. Daher die Entscheidung

der Herausgeber, der Edition das Prinzip der “Leithandschrift” zugrunde zu legen. Von

Strophe zu Strophe entscheiden sich die Herausgeber für die jeweils beste handschriftliche

Quelle, die dann als Grundlage für die Edition dient.

Das Prinzip, die Leithandschrift nicht von Lied zu Lied, sondern von Strophe zu Strophe zu

wechseln, wo dies opportun erscheint, ist Gegenstand von Kritik geworden. Auch die

kurzgefaßte Rechtfertigung im Vorwort zur 37. Auflage wird die Gegenposition nicht

entkräften können. Die Herausgeber der Neuauflage betonen nämlich in ihrer Replik nicht die

technischen Aspekte ihrer Entscheidung, sondern führen “poetologische” Gründe an:

Wir meinen nämlich, daß Strophe und Lied auch im Minnesang verschieden gewertet

werden sollten. Auf die Strophe konzentriert sich das Bemühen des Dichters, sie ist

Endziel dichterischer Gestaltung, aber gleichzeitig auch Baustein zu Liedern (nicht aber

des Liedes). Das mehrstrophige Lied ist dagegen in seiner aktuellen Verwirklichung

stärker von den Bedürfnissen der Aufführungssituation bestimmt und darum in seiner

Gestalt weniger fest und eher, leichter dem verändernden Zugriff des Dichters und

anderer Reproduzenten ausgesetzt. (12).

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Das kann richtig beobachtet sein und trifft sicher in einigen Fällen zu, aber gewiß nicht in

allen. Diese Antwort läßt vor allem eine Vorentscheidung erkennen, die im Rahmen der

nachfolgenden “poetologischen” Wertung des Minnesangs nicht mehr fragwürdig scheint, daß

die verändernden Eingriffe nämlich tatsächlich als Folgen der Aufführungspraxis entstanden

seien und nicht etwa im Lauf der schriftlichen Überlieferung von Liedern. Aber die Annahme,

auf der diese Vorentscheidung gründet, ist keineswegs gesichert, ja, sie wurde von den

Vertretern dieser Hypothese überhaupt noch nie systematisch an den handschriftlichen

Zeugnissen überprüft.

In Hinblick auf diese unüberprüfte Hypothese genügt als pars destruens ein einziges

überzeugendes Gegenbeispiel, das einen “motivierten” Eingriff eines mittelalterlichen

Kopisten nachweist. Mehrere solcher Beispiele werden in den Fremden Texten gegeben.

Motivierte Eingriffe entstehen aus dem Bedürfnis, einen unverständlichen Text wieder

verständlich und brauchbar zu machen, und sind in all den Fällen, in denen auch der vom

Bearbeiter rezepierte Text einen Sinn ergibt - einen neuen, von der Vorlage unterscheidbaren

Sinn - Zeichen dafür, daß einige dieser Lieder, oder zumindest ihre Texte, schon relativ bald

nach ihrer ersten Blütezeit, noch im 13. Jahrhundert, zu “fremden” Texten geworden waren.

Ein Beispiel für einen folgenreichen Moment des Nicht-Verstehens einer prägnant

formulierten Pointe ist in Walthers sogenanntem Preislied zu finden. Es zeigt nicht nur einen

kritischen Moment in der Rezeption dieses Liedes, eine Hürde, die dazu hätte führen können,

daß das Lied vom Schreiber nicht in die neue Sammlung aufgenommen wurde. Aber in beiden

Fällen der getrennt verlaufenen Überlieferung des Liedes wurde diese Hürde - jeweils unter

Einsatz anderer Mittel - überwunden, und das Lied “überlebte”, jedoch um den Preis eines

Eingriffs in den Text der Vorlage bzw. des Verlustes einer ganzen Strophe.

Das “Ergebnis” einer systematischen Darstellung aller Elemente der Überlieferung dieses

Liedes kann sich als Versuch darstellen, die Logik der Veränderung zu erkennen, die in beiden

Fällen gerade das Ergebnis erbringt, das in den Handschriften tatsächlich überliefert ist, und

damit ist der Weg eröffnet, der zur Rekonstruktion jenes Archetyps führt, der sich

zurückgewinnen läßt, wenn wir die als motiviert erkannten sekundären Änderungen

rückgängig machen.

Überprüft werden soll mit dieser Fallanalyse, die mit der “Fremdheit” des Textes schon in der

Phase der handschriftlich dokumentierten Rezeption rechnet, ob Rücksichten auf die

kompositorische Einheit des Liedes tatsächlich so geringes Gewicht in der Ästhetik des

Minnesangs haben, wie Moser-Tervooren annehmen.

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Page 15: Fremde Texte 2_Walther

Der Weg zu den Texten wird durch die Erschwernis der Übersetzung erleichtert. Jeden Text

aus didaktischen Gründen übersetzen zu müssen, jeden Satz einer germanistischen

Interpretation vor dem Hintergrund seiner syntaktischen und semantischen Komplexität zu

betrachten, erweist sich als Filter, der vor voreiligem Verstehen und selbstgenügsamem

Weiterlesen schützt. Die Gegenwart einer zweiten Sprache verlangsamt die Aneignung des

Textes und ermöglicht so die Erkenntnis von “Bruchstellen” des Verstehens, die zum Mittel

werden, der unerkannten Fremdheit des Textes auf die Spur zu kommen. Zu ahnen, daß die

vordergründige Fassade des Textes einen noch unerkannten “fremden” Kern verbirgt, ist das

eigentliche Problem, das uns die fremden Texte aufgeben.

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Page 16: Fremde Texte 2_Walther

Minnesang-Leseversuche

Ir sult sprechen willekomen

Das Preislied Ir sult sprechen wilekomen ist jüngst wieder fragwürdig geworden. K. Smits hat

Textbezüge zu Morungen (MF 122, l) aufgezeigt, die Walthers Lied stärker noch, als die

Anspielungen auf Reinmar bisher glauben ließen, als Werk literarischer Polemik

charakterisieren. (34) In einer knappen Anmerkung verwirft H. Rupp dieses Ergebnis mit

einem methodischen Hinweis grundsätzlicher Art, den wir als Ausgangspunkt für diese

Untersuchung akzeptieren wollen: “Ein Lied wie das Preislied muß kommunikativ als Ganzes

verstanden und interpretiert werden, d. h. der Inhalt der einzelnen Strophen ergibt sich nicht

aus der betreffenden Strophe selbst, sondern mit aus dem, was der betreffenden Strophe

vorausgegangen ist. Die Preisstrophe 5 ist nur richtig zu verstehen, wenn man ihren Gehalt aus

dem der Strophen l-4 herauswachsen läßt.” (35)

Wer aber, wie Rupp, den Gehalt einer speziellen Strophe aus dem der vorhergehenden Strophe

“herauswachsen” lassen will, muß Sicherheit (gewonnen) haben über die Reihenfolge der

Strophen im Lied. Und wenn wir selbst auf diese Weise den Sinn des Liedes zu verstehen

suchen, dann werden wir wohl auch den Lesern des 13. Jahrhunderts dasselbe Bedürfnis

zumuten können, einzelne schwierige oder ganz unverständliche Stellen aus dem Ganzen des

Liedes heraus zu “erklären”. Für den Fall eines motivierten Eingriffs heißt das jedoch, daß ein

solcher Eingriff womöglich nicht nur eine Strophe betraf.

Um die handschriftliche Überlieferung ohne Vorurteile beurteilen zu können — es handelt sich

um eines der berühmtesten und meistinterpretierten Lieder Walthers —, soll die Reihenfolge

der Strophen, wie sie die einzige Handschrift zeigt, die alle sechs Strophen überliefert, als

Norm gesetzt werden; dann ergibt sich folgendes Bild der Überlieferung:

C A U E La

1 1 1 1 1 1. Ir sult sprechen

2 2 2 2 2 2. Ich wil

3 4 5 5 4 3. Tiusche man

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Page 17: Fremde Texte 2_Walther

4 5 3 3 5 4. Ich hân lande

5 3 - 4 3 5. Von der Elbe

6 - - - 6 6. Der ich vil

Es ist ein Bild nicht nur der Überlieferung, sondern auch der traditionellen Textkritik und

philologischen Arbeit an mittelalterlichen Texten. Nach ästhetischen Kriterien wird ein

Zeugnis akzeptiert, in diesem Fall die Reihenfolge nach der Handschrift A, und nach dem

vollständigeren Zeugnis ergänzt. Die Textvarianten können, je nach Plausibilität im Einzelfall,

sowohl aus A als auch aus C übernommen werden.

Die Tabelle der nach C geordneten Strophen zeigt ein dem Philologen ganz unvertrautes Bild

der Überlieferung und konfrontiert ihn mit einer verfremdeten Situation, in der keine der

traditionellen Sicherheiten Gültigkeit haben. Nur eines ist klar zu sehen: es hat Eingriffe

gegeben, die sowohl die Reihenfolge als auch die Zahl der Strophen des Liedes betroffen

haben.

Die ursprüngliche Reihenfolge der Strophen zeigt sich erst, wenn man die Logik der

Veränderung erkannt hat, die für die abweichende Reihung in den divergierenden Textzeugen

C und A verantwortlich ist.

Die Plausibilität eines rekonstruierten Archetyps der Überlieferung kann nicht darin liegen,

daß die inhaltliche Folge der vorgetragenen Gedanken überzeugender wäre als in anderen

Folgen der Strophen, denn jede der bisher in der Forschung diskutierten Strophenfolgen hat

noch den Interpreten gefunden, der die von ihm selbst gewählte Lösung als besonders

plausible und akzeptable gepriesen hat. Das einzige Kriterium, das den hypothetischen

Archetyp kennzeichnet und das auch die Hypothese zu stützen hat, daß es sich tatsächlich um

den Archetyp handelt, liegt im Erklärungspotential einer bestimmten Strophenfolge in

Hinblick auf die Logik der Veränderung und auf die tatsächlich erhaltenen handschriftlichen

Zeugnisse.

Um dieses (hypothetische) Ergebnis darzustellen, bedarf es eines zweiten verfremdenden

Eingriffs: die Reihenfolge der Strophen muß nämlich das hypothetische Ergebnis als Norm

setzen, denn nur diese Reihung läßt ableitbare Einsichten erkennen. Die Strophen sind zwar

wiederum durchnumeriert, aber mit 3 und mit 4 werden nun andere Strophen bezeichnet als in

der ersten Tabelle.

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Page 18: Fremde Texte 2_Walther

C w A E U

l l l l l l. Ir sult sprechen

2 2 2 2 2 2, Ich wil tiuschen frowen

4 3 3 5 5 3. Ich hân lande

3 4 5 4 4 4, Tiusche man

5 5 4 3 - 5, Von der Elbe

6 6 - - - 6. Der ich vil

Innerhalb eines festen Strophengefüges zeigt sich die vierte Strophe als mobiles Element, in C

tauscht sie mit der dritten den Platz, in A hingegen mit der fünften. Der verändernde Eingriff

ist damit lokalisiert: beide Eingriffe lassen sich als ein Schritt deuten, dem eine Ursache

zugrunde liegen kann. Und diese Ursache können wir an dem ablesen, was in beiden

veränderten Strophenfolgen hinsichtlich des Archetyps anders geworden ist. Für die Benutzer

des Liedes im 13. Jahrhundert war es anscheinend unmöglich, dem Lied bei der Strophenfolge

3-4 einen kohärenten Sinn abzugewinnen.

Als schon im 13. Jahrhundert fragwürdig gewordene Stelle im rezepierten Text zeigt sich der

nur im ursprünglichen Kontext der literarischen Polemik verständliche Vers was hülfe mich,

ob ich vil rehte strite (A) in der dritten Strophe, dessen Sinn ich mit der interpretierenden

Übersetzung “Was hülfe es schon, wenn ich (um das Lob fremder Sitte zu singen) meine

besten Kunstmittel einsetzte?” wiederzugeben versuche. Die in C überlieferte Lesart was hülfe

mich, ob ich unrehte strite hat hingegen die Bedeutung “Was nützte es mir schon, wenn ich

Falsches behauptete?”; um die Konsequenzen dieses ändernden Eingriffs beurteilen zu

können, müssen wir das ganze Lied lesen.

Ir sult sprechen willekomen:

der iu maere bringet, daz bin ich.

allez daz ir habt vernomen,

daz ist gar ein wint: nû frâget mich.

ich wil aber miete.

wirt min lôn iht guot,

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Page 19: Fremde Texte 2_Walther

ich gesage iu lîhte daz iu sanfte tuot.

seht waz man mir êren biete.

Ich wil tiuschen frowen sagen

solhiu maere daz si deste baz

al der werlte suln behagen,

âne grôze miete tuon ich daz.

waz wold ich ze lône?

si sint mir ze hêr.

sô bin ich gefüege, und bite si nihtes mêr

wan daz si mich grüezen schône.

Ich hân lande vil gesehen

unde nam der besten gerne war.

übel müeze mir geschehen,

kunde ich ie mîn herze bringen dar

daz im wol gevallen

wolde fremeder site.

nu waz hulfe mich, ob ich vil rehte strite?

tiuschiu zuht gât vor in allen.

Tiusche man sint wol gezogen,

rehte als engel sint diu wîp getân.

swer si schildet, derst betrogen.

ich enkan sîn anders niht verstân.

tugent und reine minne,

swer die suochen wil,

der sol komen in unser lant: da ist wünne vil.

lange müeze ich leben dar inne !

Von der Elbe unz an den Rîn

und her wider unz an Ungerlant

mugen wol die besten sîn,

die ich in der werlte hân erkant.

kan ich rehte schouwen

guot gelâz unt lîp,

sem mir got, sô swüere ich wol daz hie diu wîp

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Page 20: Fremde Texte 2_Walther

bezzer sint danne ander frouwen.

Der ich vil gedienet hân

und iemer mêre gerne dienen wil,

diust von mir vil unerlân.

iedoch sô tuot si leides mir sô vil.

si kan mir versêren

herze und den muot.

nu vergebez ir got dazs an mir missetuot,

her nâch mac si sichs bekêren.

Sagt (mir) “Willkommen!”

Der Euch Neuigkeiten bringt, das bin ich.

Alles, was Ihr (bisher) gehört habt,

das ist nur ein Wind. Nun fragt mich.

Ich will aber belohnt werden.

Wird mein Lohn gut,

so sage ich Euch gerne, was Euch angenehm ist.

Seht zu, was Ihr mir an Ehren bieten könnt.

Ich will deutschen Frauen

solche Neuigkeiten sagen, daß sie

vor der ganzen Welt stolz dastehen können.

Das tue ich ohne große Belohnung.

Was könnte ich schon als Lohn verlangen?

Sie sind ja so vornehm!

Daher benehme ich mich korrekt und bitte sie nur,

daß sie mich freundlich grüßen.

Ich habe viele Länder gesehen

und habe überall die besten (Menschen) kennengelernt.

Ein Unglück soll mir geschehen,

könnte ich je mein Herz dazu bewegen,

daß ihm gut gefalle

fremde Sitte.

Was würde es mir schon helfen, wenn ich auch meine besten Kunstmittel einsetzte

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Page 21: Fremde Texte 2_Walther

(um das Lob fremder Sitte zu singen)?

Deutsche Art übertrifft sie alle.

Die deutschen Männer sind wohlerzogen,

und die Frauen sind ganz wie Engel geschaffen.

Wer von ihnen Schlechtes sagt, der ist irre geleitet;

anders kann ich es mir nicht erklären.

Edles Wesen und reine Liebe,

wer immer die sucht,

der komme in unser Land, da wird er viel Freude haben.

Lange möchte ich noch darin leben!

Von der Elbe bis zum Rhein

und bis hierher ans Ungerland

da leben sicher die Besten,

die ich in der Welt gefunden habe.

Wenn ich edles Benehmen und Schönheit

überhaupt beurteilen kann,

o helf mir Gott, dann schwöre ich, daß die Frauen

hier besser sind als anderswo.

(Die Frau), deren Dienst ich mich ganz hingegeben habe

und der ich immer mit Freuden dienen will,

der bin ich noch immer treu.

Sie jedoch fügt mir großen Schmerz zu.

Sie versteht es, mir zu verwunden

das Herz und den Sinn.

Vorerst möge Gott ihr vergeben, was sie an mir sündigt.

Später wird sie es sich vielleicht anders überlegen...

In Hinblick darauf, daß auch die sechste Strophe zur ursprünglichen Komposition gehört, ist

die Strophenfolge inhaltlich völlig kohärent und bedarf keiner einfühlsam nacherzählend-

interpretierenden Rechtfertigung. Der Sänger präsentiert sich seinem Publikum in der Rolle

des professionell tätigen Sängers und Komponisten und spielt gleich zu Beginn auf die

Käuflichkeit dieses Berufsstandes an — eine Spitze gegen den provenzalischen Kollegen Peire

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Page 22: Fremde Texte 2_Walther

Vidal, der als Gast des ungarischen Königs Emmerich Spottlieder gegen die Deutschen verfaßt

hatte? In der dritten Strophe bereitet Walther bereits die pointierte Schlußwendung des Liedes

vor, indem er die Rollen wieder trennt: auf der einen Seite er, der Mann, der persönliche

Folgen auf sich zu nehmen bereit ist: “Ein Unglück soll mir geschehen...”, und auf der anderen

der Sänger: “Meine besten Kunstmittel würden nicht genügen...”.

Die Behauptung “Deutsche Art übertrifft sie alle” wird in den nachfolgenden Strophen im

einzelnen ausgeführt, zuerst allgemein mit dem Lob des Landes in der vierten Strophe und

schließlich speziell in Hinblick auf die Frauen, deren Lob am Ende der fünften Strophe

gesungen wird. Die letzte Strophe bringt die pointierte Wende. Nach soviel Lob wird der

Topos der freudeverweigernden Minne-Dame gegen die Lobesstrophen ausgespielt, der Mann

widerspricht mit seiner Erfahrung dem Sänger. Aber nicht ganz im Ernst, sondern mit Ironie

und spielerisch. Das erlittene Leid braucht ja nicht endgültig zu sein. Vielleicht wird die Dame

von alleine vernünftig werden — Gott braucht sich also nicht mit einem Wunder zu bemühen

(Morungen: got der welle ein wunder sin / vil verre an ir erzeigen, “Gott müßte schon eines

seiner Wunder an ihr vollbringen”) — für den Moment genüge es wohl, daß er der ungefügen

Dame verzeihe...

Ein solch subtiles Spiel mit Erwartungen, mit Zitaten und dem literarischen Hintergrund der

eigenen Produktion hatte kaum eine wirkliche Chance, auf dem Pergament zu überleben. Um

überhaupt rezepierbar zu sein, mußte dem Lied ein “stabilerer” Sinn abgewonnen werden, der

sprachlich genauer fixiert war und “besser reiste”. Durch die Umstellung der zwei zentralen

Strophen und den Texteingriff am Ende der alten dritten, nun vierten Strophe hat die in C

erhaltene Fassung genau dieses Ziel erreicht. Die Strophen folgen aufeinander in einer

oberflächlich gesehen klaren inhaltlichen Entwicklung:

2: Ich wil tiuschen frouwen sagen..

3: Tiusche man sint wol gezogen...

... der sol komen in unser lant

4: Ich hân lande vil gesehen...

zu der nun als Abschluß nur die negierte Wendung passen konnte: ... ob ich unrehte strite,

“Was würde es mir nützen, wenn ich Falsches behauptete?”. An diesem Punkt würde der

Sänger, der Gegenteiliges behauptete, seinen eigenen Worten widersprechen. Der Texteingriff,

den C erhalten hat, ist kohärent und sinnvoll in Zusammenhang mit der Umstellung der dritten

und vierten Strophe zu erklären.

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Page 23: Fremde Texte 2_Walther

Wie jedoch ließe sich der umgekehrte Weg vorstellen, die Änderung einer C nahestehenden

Vorlage zu ob ich vil rehte strite? Aus der Sicht, die negierte Variante sei die ursprüngliche (so

in allen Ausgaben des Liedes), kann sowohl die positive Variante als auch der

Änderungsprozeß, der zu ihr geführt hat, nur als sinnlos erscheinen, eben als “Fehler”.

Dagegen steht der Versuch, Textvarianten, Unterschiede in der Strophenfolge und die “Logik

der Veränderung” im Bereich der handschriftlichen Überlieferung in ein System zu bringen,

dessen Elemente nur “schwach” mit Bedeutung beladen sind, so daß keines isoliert das onus

probandi einer aufwendigen Interpretation zu tragen hat.

Der ändernde Eingriff in A ist anderer Art als der, den C dokumentiert; wiederum werden die

Strophen nach oberflächlichen Motivverknüpfungen neu geordnet, aber der Leser des

rezepierten Textes sieht die thematische Entwicklung anders: auf die dritte Strophe mit Ich hân

lande vil gesehen läßt er die Strophe folgen, die ihm mit der Aufzählung der Länder als direkte

Fortsetzung jener Strophe erscheint: Von der Elbe unz an den Rîn, auf die nun als fünfte die

ehemalige vierte Strophe folgt. In dieser Position im Lied, nach der Nennung aller Länder,

erhält das Lob des eigenen Landes und der Wunsch, “lange dort leben zu können” eine ganz

präzise Bedeutung als Akt der Zusammenfassung der inhaltlich verknüpften Gruppe von drei

Strophen (3-4-5) und markiert die letzte Strophe der Gruppe als “Schluß". Die alte sechste

Strophe paßte nicht mehr in das neue Sinngefüge und ließ sich auch nicht an die fünfte

Strophe, die bereits einen Abschluß markiert, anfügen; der Bearbeiter ließ sie weg.

Die Eingriffe sind also jeweils punktuell und zeigen sich dem Philologen im Fall der

“motivierten” Textvariante isoliert an einer ganz bestimmten Stelle im Text, sie sind aber aus

dem Bestreben der Leser entstanden, dem ganzen Lied, so wie es ihnen die Überlieferung

darbot, einen Sinn abzugewinnen, und nicht im Zweifel über eine isolierte, “schwierige” Stelle

im Text. Das Ergebnis, das nun in der Form von drei verschiedenen, jeweils plausiblen und

akzeptablen Anordnungen der Strophen vorliegt, ist aber gerade kein Beweis für die Freiheit

der Strophen in ihrem Gebrauch, sondern für das Gegenteil — für die Suche nach einer

sinnvollen Ordnung.

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Page 24: Fremde Texte 2_Walther

Herzeliebez frowelîn

Prüfstein jeder alternativen Methode, den Sinn von Walthers Liedern zu erfassen, ist der

postum erschienene Kommentar zu einigen Minneliedern Walthers, den zu vollenden Hugo

Kuhn nicht mehr vergönnt war. Die ausführlichste Kommentierung und Analyse hat Kuhn

dem dritten der kanonischen “Mädchenlieder” gewidmet, Herzeliebez frowelîn. Im Gegensatz

zu den bisher untersuchten Liedern hat dieses Lied weder undeutbar scheinende

Einzelprobleme, noch Problemfälle textkritischer Art; auch die Strophenfolge ist durch A, E

und G gut gesichert.

Herzeliebez frowelîn,

got gebe dir hiute und iemer guot.

kund ich baz gedenken dîn,

des hete ich willeclîchen muot.

waz mac ich dir sagen mê,

wan daz dir nieman holder ist?

Owê, dâ von ist mir vil wê.

Sie verwîzent mir daz ich

sô nidere wende mînen sanc.

daz si niht versinnent sich

waz liebe sî, des haben undanc!

sie getraf diu liebe nie,

die nâch dem guote und nâch der schoene minnent;

wê wie minnent die?

Bî der schoene ist dicke haz:

zer schoene niemen sî ze gach.

liebe tuot dem herzen baz,

liebe gêt diu schoene nâch.

liebe machet schoene wîp:

desn mac diu schoene niht getuon,

sin machet niemer lieben lîp.

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Page 25: Fremde Texte 2_Walther

Ich vertrage als ich vertruoc

und als ich iemer wil vertragen.

du bist schoene und hast genuc:

waz mugen si mir dâ von gesagen?

swaz si sagen, ich bin dir holt,

und nim dîn glesîn vingerlîn

für einer küneginne golt.

Hâst dû triuwe und staetekeit,

sô bin ich dîn an angest gar

daz mir iemer herzeleit

mit dînem willen widervar.

hâst ab dû der zweier niht,

son müezest dû mîn niemer werden.

Owê danne, ob daz geschiht! (36)

H. Kuhn sieht seine Interpretation als Versuch, das Lied von seinem “pragmatischen”

Gebrauchs-Horizont aus zu verstehen. In seiner Übersetzung ist das angestrebte Ergebnis

jedoch schon in Form von präjudizierenden Entscheidungen, wie der Text im Einzelfall zu

verstehen sei, vorbereitet; besonders deutlich natürlich in der ersten Strophe, der Grundlage für

das Verständnis des ganzen Liedes:

Kleine Herrin der Herzeliebe

Gott begabe dich heute und allezeit mit “Gut”.

Könnte ich dich “besser” grüßen

dazu wäre ich mit ganzem Willen bereit.

Was kann ich dir “mehr” “sagen” als:

daß dir niemand mehr “Hulde” leistet?

O weh, dadurch leide ich sehr. (37)

In der Übersetzung Kuhn’s sind die Schlüsselwörter des Liedes (aber korrekter wäre zu

präzisieren: die Schlüsselwörter der Interpretation des Liedes) durch Anführungszeichen

markiert, des öfteren auch dadurch, daß sie die mhd. Form wiedergeben oder aber einen

Terminus technicus aus mittelalterlichem Geistesleben. Mit diesen genauen Anklängen an

bestimmte Bereiche der mittelalterlichen “Ideologie”, sind die Weichen für die Interpretation

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Page 26: Fremde Texte 2_Walther

des Liedes von allem Anfang an klar gestellt: “Walther zitiert hier eindeutig die, philosophisch

seit Aristoteles traditionelle, Dreiteilung des “Guten” (neben anderen!) als Ziel allen Strebens,

in verschiedenwertige “Güter: Guot = bonum externum, schoene = bonum corporis, womit

dann schon liebe als bonum animi, als herzeliebe (I,1; III, 3), und damit ihre überraschende

Einführung als geforderte Wert-Erkenntnis des Minnens (II, 4), impliziert ist.” (38)

Schon an diesem Punkt, an dem die Hypothese Kuhns noch in keiner Weise abgesichert ist,

muß er das wichtigste Element der vorausgesetzten Triade an Werten, die liebe, als

“impliziert” zum Text hinzudenken, und in einem anderen Moment der Interpretation ist er

gezwungen festzustellen: “Guot = bonum externum (II, 6) wird bis zur Strophe IV fallen

gelassen; es war wohl zunächst nur um der Systematik willen zitiert.” Damit ist das komplexe

Gebäude der Interpretation bereits in höchstem Maß fragwürdig geworden, und der Verdacht

liegt nahe, die von Kuhn im Text gefundene Systematik sei nichts anderes als eine

Konstruktion des modernen Beobachters, der auf ihm bekannte mittelalterliche Daten

zurückgreift, um die “Fremdheit” eines Textes zu überwinden, der ohne solch verfremdenden

Zugriff entweder als banal oder als gefährlich “modern” erschiene.

Daz dir nieman holder ist am Schluß der ersten Strophe übersetzt Kuhn daher nicht, wie es

durchaus angemessen scheint, mit “daß dich niemand mehr liebt als ich”, sondern auf eine

Weise, daß die (mitausgedrückten) Konnotationen des Adjektivs holt zur eigentlichen

Denotation eines Substantivs hulde werden, mit weitreichenden Konsequenzen für die

Deutung des ganzen Liedes: “Als lehensrechtliche Metaphorik für die Minne-Werbung ist es

hier ausschließich die Hulde (=Treueid, fidelitas), die das ganze Lied von nieman holder I, 6

an durchzieht. Die Belehnung aber wird hier zum Paradoxon der niederen Adresse dieser

Hulde (II,2) gesteigert.” (39)

Dem aufmerksamen Leser konnte jedoch nicht entgehen, was den Interpreten eigentlich zur

Vorsicht hätte mahnen müssen, daß sich nämlich dieser Interpretation bereits am Ende der

ersten Strophe eine unüberwindliche Hürde entgegenstellt. Denn was bedeutet die Klage des

Sängers über sein Lied? Kuhn ist gezwungen, diesen Satz aus dem Kontext der Stelle

“wegzuinterpretieren”, indem er ihm nur Verweisfunktion für die Leid-Thematik am Ende der

letzten Strophe zuspricht: “Es liegt nahe, die — wiederum überraschende — Wendung am

Schluß der Strophe im Anschluß an die letztere Komponente der hulde in Sinne der liebe-leit-

Formel zu verstehen. Aber daß dann die letzte Strophe (V) wieder mit owe danne... schließt, ist

kaum ohne Absicht.” (40)

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Page 27: Fremde Texte 2_Walther

Das Lied hat noch zwei Stellen, wo Kuhn gezwungen ist, das “Textverständnis” der

Interpretation zu beugen, und zwar die Klage am Schluß des Liedes und die zentrale Aussage

des Sängers in der Diskussion der Minneproblematik: liebe tuot dem herzen baz, wo der

Komparativ jedem Versuch widerspricht, liebe = bonum animi in einer Triade von abgestuften

Werten zu verankern. Die einzelnen Punkte des Textes sollen aber im Zusammenhang einer

alternativen Interpretation/Übersetzung des Liedes diskutiert werden, und dieser alternative

Ansatz muß schon die Voraussetzungen selbst kritisch überprüfen, auf denen die Interpretation

von Kuhn stillschweigend gründet: sie liegt in der lakonischen Angabe zum Auftrittstyp: “Mit

dem Sänger-Auftritt von Strophe I gibt sich das Lied zunächst als Typ einer traditionellen,

werbend-huldigenden Gruß-Adresse an eine Dame.” (41)

Das Lied ist damit in seiner Sprechhaltung präzise festgelegt, bevor die eigentliche Analyse

des Textes begonnen wurde, denn der Sänger wendet sich nach dieser Bestimmung des

Auftrittstyps an ein in seiner fiktiven Welt anwesend gedachtes Mädchen. Und Kuhns

Übersetzung betont die Anwesenheit des Mädchens gerade an den Stellen, wo der Text,

zwanglos “interpretiert”, eigentlich das Gegenteil sagt, gedenken in I,3, das Kuhn mit “grüßen”

wiedergibt und nicht mit “an dich denken”, sowie die Worte zu Beginn des Liedes, die sehr

wohl als Indiz für Distanz gelten können. Die Worte des Sängers könnten in einer fiktiven

Szene situiert sein, in der der Mann allein, vom geliebten Mädchen getrennt, das Wort ergreift,

ja, der Wortlaut der letzten Strophe legt sogar nahe, daß die beiden, modern ausgedrückt,

überhaupt noch kein Liebespaar sind, sondern daß da ein junger Mann von einem Mädchen

träumt und von seinen Vorstellungen einer idealen Verbindung.

Entscheidend für das Textverständnis und zugleich Anstoß zu einer gegenüber Kuhns Deutung

grundlegend anderen Interpretation des Liedes sind die Klagerufe am Ende der ersten und der

letzten Strophe. In der letzten Strophe stellt der Liebende eine Bedingung für den guten

Ausgang seines Sehnens: das Mädchen muß treu und beständig sein; sollte sie es jedoch nicht

sein, dann kann sich seine Liebe überhaupt nicht verwirklichen — und er wird darunter leiden.

Es ist ein hypothetischer Fall, der mit schmerzlichen Konsequenzen droht: owê danne, ob daz

geschiht!

Am Ende der ersten Strophe hat der Sprecher ganz andere Probleme: das wê als Folge einer

bereits vollbrachten Handlung ist bereits eingetreten: owê, da von ist mir vil wê! Der Grund für

diese Klage steht — dem modernen Leser verborgen — im Kontext der Stelle.

Beim Lesen von “fremden” Texten ist der moderne Leser um sichere Anhaltspunkte besorgt;

die sucht und findet er, unter anderem, indem er textinterne Beziehungen tendentiell eher als

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Page 28: Fremde Texte 2_Walther

anaphorische denn als kataphorische deutet. Der Text wird also in seinem thematischen

Aufbau so rekonstruiert, wie der Leser in seinem Versuch, den Text zu verstehen, fortschreitet

— zögernd, immer mit einem Blick zurück, sich vergewissernd, ob der erspürte

Sinnzusammenhang bis dahin auch “in Ordnung” sei. So beziehen die Interpreten dieses

Liedes den Komparativ baz gedenken aus der dritten Zeile der ersten Strophe ohne zu zögern

auf die vorangegangene Anrede Herzeliebez frowelîn. Nur H. Kuhn ist gezwungen, den

Komparativ, der nicht in sein Interpretationskonzept paßt, wegzuinterpretieren: “Hier nicht als

Überbietung, sondern als Weiterführung des huldigenden Grußes”. (42) Aber auch dieser

Leseversuch setzt einen anaphorisch gedachten Bezugspunkt und läßt den kontinuierlichen

Gedankenablauf mit der vierten Zeile zu Ende gehen.

Die Strophe kann aber ganz anders verstanden werden. Eine Pause ist nach dem ersten Satz zu

denken. Dann eilen die Gedanken des Sprechers in einem Zug voran bis zur Pause vor dem

Klageruf: “Ich möchte” — umschreibend wiedergegeben — “dir in Gedanken verbunden sein,

so gut ich nur kann, nein, besser, als ich vermag, aber wie könnte ich es besser machen, als

dadurch, daß ich sage, daß ich niemanden mehr liebe als dich?” Dem modernen Sprachgefühl

fehlt im mhd. Text nur eine adversative Konjunktion zu Beginn der fünften Zeile, aber im

Mhd. mit seiner geringeren Differenzierung der Beziehungen innerhalb von Satzgefügen

konnte die Abfolge der Ausdrücke im Komparativ baz gedenken, sagen mê und nieman holder

durchaus genügen, um den Sinn der ausgedrückten Gedanken verständlich zu machen.

Der Sprecher blickt also vorwärts — um die semantische Strukturierung seiner Sätze bildlich

zu fassen — und nicht zurück, und im vorwärtsdrängenden Satzgefüge dieser Strophe hat er

eine Pointe versteckt, die den Aufbau und den “Sinn” seines Monologs entschlüsseln hilft. Es

ist der Gegensatz von gedenken und sagen. Im privaten Bereich des Menschen sind die

Gedanken und das gesprochene Wort nur durch eine jederzeit überschreitbare Schwelle

getrennt. Nicht jedoch im Leben des Sängers — denn nur sein Denken ist “privat”, sein

Sprechen ist “öffentlich”.

Thema dieses Liedes ist der dem Sänger auferlegte Verzicht auf privates Sprechen. Dem

Sänger, und nur ihm, ist es nicht gestattet, das Gefühl der Liebe öffentlich auszusprechen, denn

als öffentlich Sprechender ist der Sänger Normen verpflichtet, die seine “Rolle”, und damit

seine Rolle in der Gesellschaft, überhaupt erst konstituieren. “Der Akt des Singens wird zur

Erfüllung der Rolle, die er besingt: Dienst an der Dame als höchstem gesellschaftlichen Wert

und damit Dienst an der Gesellschaft selbst”, (43) faßt R. Warning dieses, auf der

Identifikation von Sänger und seiner Rolle basierende Programm des “hohen Minnesangs”

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Page 29: Fremde Texte 2_Walther

zusammen. Die Sprache des Sängers ist von diesen Normen geregelt, aber es sind soziale

Normen und sie gelten nur im engen Bereich höfischer Hochkultur. Wie alle “Spielregeln”

verpflichten sie nur in Relation zum “Spiel”; wer jedoch die Spielregeln bricht, die seine Rolle

in diesem Spiel konstituieren, hört eben auf, diese Rolle weiter zu spielen. Ist er Sänger, dann

verliert er seine soziale Funktion als Sänger.

Aus der entgegengesetzten Perspektive hat P. Wapnewski dieses Dilemma so beschrieben:

“Mit der öffentlichen Zulassung des persönlichen erotischen Gefühls aber im Minnedienst

wird dieser als gesellschaftskonstituierendes Phänomen zerstört.” (44) Walthers Anteil an

dieser Zerstörung des traditionellen Sinngefüges des hohen Sanges wird von der Forschung

seit über einem Jahrhundert intensivst untersucht, und das Lied Herzeliebez frowelîn dient

gleichsam als Kronzeuge für den vollständig vollzogenen Wandel in der Minneanschauung

Walthers. Auch Hugo Kuhn kommt zu diesem Ergebnis, wenn er den Inhaltstyp kennzeichnet:

“Im Vortrag aber entwickelt es sich als Typ einer Diskussion und Definition der (nideren)

Minne.” (45)

Kuhns Deutung weist dem Lied die Funktion eines öffentlichen Sprechaktes zu, der Sänger

verteidige mit Argumenten aus dem Horizont des ritterlichen Publikums die Würde des

“niederen Sanges”. Aber im Lied wird kein Gegensatz zum “hohen Sang” erwähnt. Der Sänger

spricht in diesem Lied in einer fiktiven Situation, und das ganze Lied hindurch läßt kein

sprachliches Indiz auch nur vermuten, daß diese “Situation” die des öffentlichen Diskurses sei,

die Verteidigung eines Programms oder das Zurückweisen der Ansichten anderer. Vorgestellt

wird ein Mann in der Rolle des Klagenden. Er hat zweifaches Leid zu tragen: den Gedanken

an die mögliche Untreue seiner Geliebten — aber davon wird er erst am Schluß seines Liedes

singen. Das ist sein “privater” Bereich: für ihn als Mann gilt die Forderung nach gegenseitiger

Bindung und er überlegt, daß er nur von seiner eigenen Treue wirklich weiß. Das kann ihm

vielleicht noch Leid bringen.

Aber dieser Mann ist Sänger, und als Sänger hat er gegenwärtiges Leid zu ertragen. Es ist ihm

verboten, von seiner Liebe zu singen.

[...] owê, da von ist mir vil wê:

Sie verwîzent mir daz ich

so nidere wende minen sanc.

Diese Stelle des Textes wird von allen modernen Lesern so verstanden, wie es die Übersetzung

von G. und U. Pörksen ausdrückt: “Man wirft mir vor, daß ich mein Lied an ein einfaches

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Page 30: Fremde Texte 2_Walther

Mädchen richte.” (46) Gute Übersetzungen, wie die eben zitierte, unterscheiden sich von

weniger guten auch dadurch, daß die Übersetzer immer bestrebt sind, einen kohärenten Sinn

wiederzugeben. Bei diesem Beispiel gehört zur Kohärenz der getroffenen Entscheidung, daß

mit der zweiten Strophe ein ganz neuer Sprechakt einsetzt — und die Übersetzer trennen nun

den Beginn der Strophe vom Ende der vorangegangenen, indem sie vil mit “oft” wiedergeben:

“Ach, das tut mir oft weh”, wodurch der Eindruck entsteht, mit der ersten Strophe gehe ein

abgeschlossener Gedankengang zu Ende, der in keiner Beziehung zu den nachfolgenden

“Programmstrophen” steht.

Die zweite Strophe erklärt, um was für ein Leid es sich handelt, das am Ende der ersten

Strophe beklagt wird. Es ist nicht das Leid des Mannes, sondern das des Sängers. Er würde

dem Mädchen gerne öffentlich sagen, daß er keine mehr liebt als sie. Aber er denkt diesen

Gedanken nur für sich, es bleibt ein unerfüllbarer Wunsch: sie verw”zent mir daz ich so nidere

wende minen sanc. In der traditionellen Deutung dieses Satzes wird ein recht kompliziertes

Sinngefüge angenommen. Einerseits gilt das Lied als Ausdruck des “niederen Sanges”,

andererseits aber als Vorwurf wegen des “niederen Singens”. In diesem Kontext kann der

Vorwurf eigentlich nur anderen Liedern der “niederen Minne” desselben Sängers gegolten

haben, und nicht dem Lied, das der Sänger gerade singt — es sei denn, man wollte den Satz als

eine Anspielung auf Protestaktionen im Publikum während des Vortrages des Liedes deuten!

Dieser Satz stellt auf der Ebene des Satzes dasselbe Bedeutungsproblem, das auf der Ebene der

“Gattungen” dann auftritt, wenn der Ursprung einer Gattung gesucht und/oder untersucht

werden soll. Ich möchte es das Problem der erfolgten oder nicht-erfolgten Aktualisierung

nennen. Der moderne Interpret, der es unternimmt, “das erste liturgische Spiel” des

Mittelalters zu untersuchen, setzt immer schon voraus, daß der von ihm untersuchte Text ein

bereits aktualisiertes Ereignis innerhalb des definitorisch bestimmten Rahmens der neuen

“Gattung” darstelle — oder er bestreitet, daß in einem speziellen Fall die Bedingungen erfüllt

seien, die es erlauben, das Ereignis als Beispiel für die neue Gattung zu werten. Aber weder

dem affirmativen noch dem negierenden Akt der Beurteilung gelingt es, hinter die Grenze der

Aktualisierung zurückzublicken — die Voraussetzung für Frage nach dem Ursprung des

Neuen.

In gleicher Weise wurde immer versucht, die einst heftig umstrittene Ursprungsfrage des

Minnesangs einer Lösung näher zu bringen, indem jeweils bereits aktualisierte “Elemente”

(Äußerungen mittelalterlichen Lebens) gleichsam als Versatzstücke hin und her geschoben

wurden, bis sich ein passendes Bild zu ergeben schien, das vom nächsten Forscher dann

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Page 31: Fremde Texte 2_Walther

wiederum als unrichtig verworfen wurde. Es ist das große Verdienst von Hugo Kuhn, diesem

ständig erneuerten, aber immer steriler gewordenen Bild des Minnesangs eine grundsätzlich

alternative Deutung des Phänomens in fieri entgegengestellt zu haben. In Entsprechung zur

Funktion des heiligen Raumes der mittelalterlichen Kathedralen sieht Kuhn auch im

Minnesang das Merkmal “eines wesentlich sakramentalen Vollzugs” und definiert:

“Minnesang ist immer nur Rede zur höfischen Gesellschaft über die höfische Rolle der Liebe,

die in der Form des persönlichen Dienstes dargestellt und vollzogen wird. [...] Das Minnelied

hat ja überhaupt noch keinen Inhalt im eigentlichen Sinn, den es darstellen könnte, hat noch

gar nicht die Liebe, das Gefühl der Liebe, zur Aussage, sondern es baut im Vollzug seiner

gedanklich-syntaktisch-metrisch-musikalischen Formstruktur die Liebe als Minne-Dienst, als

höchste, fast kultische Vollzugsform seiner ständischen Umwelt. Sein Vollzug fällt also mit

seinem Inhalt zusammen, weil dieser Inhalt selbst nichts anderes als Vollzug ist, ritterlich-

höfische Dienst-Form, ständischer Kult, wenn man so will.” (47)

Wir können nun die in diesem Exkurs angeschnittene Problematik auch in der fragwürdigen

Stelle des Liedes erkennen. Mhd. Präsens kann in bestimmten Fällen auch futurische

Bedeutung ausdrücken. Wer diese Texte heute liest, muß den Kontext befragen, ob im

Einzelfall eine solche Deutung wahrscheinlich ist oder nicht. Könnte der Vorwurf in diesem

Kontext also noch gar nicht “aktualisiert” sein, wird er vom Sänger nur als Drohung in

Gedanken erörtert? Etwa wie, “Nun werden sie mir wohl vorwerfen, daß ich mein Lied an ein

so einfaches Mädchen richte...”. Aber er hat an diesem Punkt seines Monologs ja noch gar

keine genauen Angaben über das Mädchen gemacht, dem seine Liebe gilt, die Zuhörer können

also noch gar nicht wissen, daß seine Liebe ihm Leid bringt, weil sie einem einfachen

Mädchen gilt.

Warum aber sollte Liebe zu einem einfachen Mädchen Leid bringen? Natürlich im Fall einer

Zurückweisung oder einer Enttäuschung der Liebe. Davon spricht der Sänger auch in diesem

Lied, aber an einer anderen Stelle. Wo liegt also der Grund für sein Leid, das er in der ersten

Strophe klagt, wenn nicht in der gesellschaftlich sanktionierten Norm, die es ihm verbietet,

von solcher Liebe zu singen? Das verwizen reguliert das Verhalten des Sängers, bevor er die

Grenzen seiner Rolle überschreitet, die Gesellschaft verweist ihm das Singen (nicht

aktualisiert!), nicht jedoch die Lieder (“der niederen Minne”). Der Sänger klagt über ein

Verbot, nicht über eine Rüge.

Das Rollen-Ich dieses Liedes spricht vom Leid des Sängers. Alles, was zu seiner öffentlichen

Rolle und zu seinem Auftreten als Sänger in der Gesellschaft gehört, also auch der “hohe

31

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Sang”, ist in seinem Monolog ausgeklammert und fern von ihm. Er stellt sich seinem

Publikum in der — fiktiven — Rolle des privaten Mannes vor, abgeschminkt und hinter der

Rampe. Und allein für sich klagt er sein Leid: daß er seine Liebe dem geliebten Mädchen nicht

mit den Kunstmitteln künden kann, über die er so souverän verfügt, das ist sein wê als Sänger.

Der regulierende Eingriff der sozialen Instanz hat ihn erreicht vor der Aktualisierung des

Verpönten. Der Sänger hat das Lied für sein herzeliebez frowelîn nicht gesungen.

Darüber singt er nun ein Lied — ein anderes Lied, das auch von diesem nicht-gesungenen

spricht und von den Gründen für das Nichtsingen. Der Sänger klagt sein Leid, aber er klagt

auch an:

daz si niht versinnent sich

waz liebe sî, des haben undanc.

Ziel des höfischen Singens ist die hochgemute Stimmung des Publikums, das, schon durch

festliche Stimmung geeint, den Beginn des Sängerauftritts erwartet hatte. Das Gefühl der

erhöhten Existenz, hoher muot, aber auch der innigere, “private” Ausdruck des Gefühls, als

Freude des Herzens — liebe nach mhd. Sprachgebrauch — sind die Werte, an denen höfisches

Singen sein Gelingen zu messen hat; gelingt es ihm, Freude zu schaffen, hat es erfolgreich

gewirkt. Was soll schon Singen, das nicht der liebe dient, der Freude? “Daß sie sich nicht

darauf besinnen, was Herzensfreude ist, dafür sollen sie (= diejenigen, die ihm das so nidere

gerichtete Singen verboten haben) keinen Dank ernten.”

Der Sänger fährt fort: “Wer in der Liebe (minnen) nach Reichtum und Schönheit sucht, der hat

noch nie Herzensfreude erfahren.” Liebe tuot dem herzen baz. Was kann schon die Schönheit

einer Frau dem Herzen des Mannes geben? Allein die Freude kann ihn beglücken. Schönheit

kommt erst an zweiter Stelle, denn “ein freudiges Herz macht jede Frau schön, aber Schönheit

allein macht niemanden von Herzen froh.”

Nach diesem Plädoyer in Sachen Freude gedenkt der Sänger wieder seines Mädchens und des

innigen Bandes, das ihn mit ihr verbindet: Ich vertrage als ich vertruoc und als ich iemer wil

vertragen. Das absolut gesetzte vertragen ist unübersetzbar, das heißt, seine Bedeutung muß

interpretiert werden. Nur im Kontext eines verbalen Syntagmas mit Akkusativobjekt hat mhd.

vertragen die Bedeutung “erdulden”, “ertragen”, wobei die pejorative Bedeutung des

Syntagmas von der Negativität des im Akkusativ Ausgedrückten mitbestimmt wird. Bei

diesem Gebrauch des Verbums kann daher auch in poetisch verkürzter Sprache das

Akkusativobjekt nicht fehlen. Wohl aber kann ein Dativobjekt fehlen, wenn die im

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Page 33: Fremde Texte 2_Walther

unmittelbaren Kontext angesprochene Person gemeint ist, und die von der Valenz des

Verbums geforderte Nominalgruppe aus dem Kontext eindeutig ergänzt werden kann.

Vertragen mit Dativ hat aber keineswegs negative Konnotationen, sondern kann nhd.

wiedergegeben werden mit “Nachsicht haben”, “Geduld haben”, “jemanden verschonen”, (48)

hat also einen Gebrauchswert, der sich dem nhd. “sich mit jm. vertragen” bereits stark nähert.

Ich übersetze die Stelle daher mit diesem nhd. Ausdruck. Daß der Sprecher an dieser Stelle

einen positiv konnotierten Gedanken ausdrückt, wird durch den Kontext hinreichend bestätigt.

In der letzten Strophe fällt schließlich das Stichwort, das dem Monolog des von seiner

Geliebten getrennten Sängers die thematische Einheit verleiht, herzeleit. Auch die Anrede an

das Mädchen zu Beginn des Liedes erhält dadurch ihre inhaltliche Bestimmung.

Mädchen, Freude meines Herzens,

Gott gebe dir heute und alle Tage nur Gutes.

Ich würde wirklich gerne

noch viel besser deiner gedenken —

aber was könnte ich mehr tun, als dir zu sagen

daß dich niemand mehr liebt als ich?

Oh weh, dadurch habe ich großes Leid !

Sie verbieten mir,

meinen Gesang an ein so einfaches Mädchen zu richten.

Aber die verstehen ja nichts von Herzensfreude.

Dafür soll ihnen niemand Dank sagen!

Der hat die Herzensfreude noch nie erfahren,

der in der Liebe nach Reichtum und Schönheit sucht.

Was für eine Liebe ist das schon!

Hinter äußerer Schönheit verbirgt sich oft ein böses Herz.

Die Schönheit suche man daher nicht zu eilfertig.

Freude ist besser für das Herz.

Schönheit kommt nach der Freude:

Herzensfreude macht eine Frau schön,

das vermag die Schönheit nicht —

sie macht niemals jemanden von Herzen froh.

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Page 34: Fremde Texte 2_Walther

(Mit dir) vertrage ich (mich), habe ich (mich) vertragen,

und will (mich) immer vertragen.

Für mich bist du schön und reich.

Was können die anderen schon dagegen sagen.

Was immer sie sagen: ich liebe dich —

Und nehme dein gläsernes Ringlein lieber

als den goldenen Ring einer Prinzessin.

Hast du Treue und Beständigkeit,

so habe ich keine Angst,

daß du mir je willentlich Herzeleid

zufügen wirst.

Hast du die beiden aber nicht,

so kannst du niemals mein werden.

O weh, falls dies geschieht!

Der mit der Rollendifferenzierung Liebender/Dichter erreichte Erkenntnisgewinn ist ein

zweifacher: erstens lassen sich bestimmte Lieder überhaupt nur mit ihrer Hilfe als sinnvoll

geordnete Werke verstehen: das ist von Fall zu Fall interpretativ nachzuweisen, wobei zu den

Ergebnissen in Form von Textverständnis und literarischer Analyse auch die Einsichten über

die handschriftliche Überlieferung hinzukommen.

Zweitens jedoch ist die als notwendig erkannte Differenzierung nach sprachlich genau

gestalteten Rollen auch in solchen Fällen von Interesse, wo sie innerhalb eines Liedes nicht

vorgenommen wird. Diese Lieder müssen ihren Sinn und ihre poetische Struktur dem

modernen Beobachter eben vor dem Hintergrund ihres einheitlichen “Tons” zeigen.

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Page 35: Fremde Texte 2_Walther

Vröidelîn und herzeliebe

In Walthers Werk findet sich ein anscheinend einzigartiges Lied, dessen Verständnis allein,

nach dem Urteil C. von Kraus, die innere Chronologie von Walthers Schaffen zu klären

imstande ist. Ebenso sagt P. Wapnewski in seiner Ausgabe: “Die grundsätzlichen Erörterungen

dieses Liedes geben ihm eine wichtige Stellung in Walthers Werk und könnten unser

Verständnis seiner Liebesauffassung und ihrer gesellschaftlichen Relevanz wesentlich

erhellen, wenn es uns gelänge, es klar zu verstehen.” (49) Einem unverstandenen Lied wird

also zugemutet, was die verständlichen Lieder nicht zu geben vermochten: ein klares Bild der

Entwicklung von Walthers Einstellung zur Liebe. Im Bändchen der Sammlung Metzler zieht

Halbach die Summe dieser Bemühungen: “Die Deutung der Strophen hat bis heute, ja gerade

in neuester Zeit, vor ganz großen Interpretationsschwierigkeiten gestanden”, (50) womit er

wohl sagen wollte, die neueren Deutungen hätten mehr Verwirrung als Klärung gebracht.

Unbeirrt von solcher Unsicherheit bieten die Interpreten aber bis in kleinste Nuancen

detailreich gezeichnete Ergebnisse.

Aus diesen mit dem Erfolg ihrer Deutungen immer zufriedenen Kollegen ragt Hugo Kuhn mit

seinem lebenslangen Bemühen um das Verständnis mittelalterlicher Dichtung wie ein

erratischer Block hervor. Kuhns Methode war, bei aller Meisterschaft der philologischen

Arbeit im einzelnen, der Zweifel. Walthers von der jüngsten Forschung so gewaltsam

gedeutetes “Programmlied” Aller werdekeit ein füegerinne schien Kuhn klarer verständlich zu

sein, wenn man es zusammen mit den drei Strophen, die ihm in der hs. Überlieferung

unmittelbar vorangehen, als einheitliches Lied verstand. Daß in der deutlich durch innovative

Textvarianten gekennzeichneten Überlieferung von C und E die letzte Strophe der ersten

Gruppe von drei Liedern ans Ende einer Gruppe von fünf Strophen gerückt ist — also ans

Ende eines “Liedes”, in dem tatsächlich die von Kuhn angenommene Einheit aller fünf

Strophen verwirklicht ist —, spricht aber eher gegen diese These. Die schwer verständlichen

theoretischen Strophen könnten nach erfolgter Rezeption mit bedeutungsändernden Eingriffen

in den Text als zu wenig konsistent angesehen und somit zusammen mit ursprünglich getrennt

überlieferten Strophen in ein größeres Sinngefüge gebracht worden sein.

Kuhns Ansicht hat daher, ebenso wie die entgegengesetzte Ansicht, die seit der Ausgabe von

Lachmann mit zwei getrennten Liedern rechnet, keine vorab und extern fixierte Plausibilität

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Page 36: Fremde Texte 2_Walther

für sich. Die Argumente müssen im Text der Lieder selbst gesucht werden. Kuhn meinte, den

Schlüssel für die von ihm erkannte Einheit der fünf Strophen im Wortspiel am Ende der dritten

Strophe gefunden zu haben: “Alle Versuche, es als Adynaton, als Unmöglichkeits-Topos zu

verstehen, blieben und bleiben pointelos.” (51) Nur in Zusammenhang mit der nachfolgenden

Begriffsdiskussion lasse der Schluß der dritten Strophe “in witziger Pointe” seinen

eigentlichen Sinn erkennen, der zugleich die Brücke schlage zu den beiden nachfolgenden

Strophen und damit die Einheit des Liedes erweise.

Diese Argumentationsreihe hat einen schwachen Punkt im Verständnis des Wortspiels am

Ende der dritten Strophe, dessen Pointe gerade das Gegenteil von dem beweist, was Kuhn

nachzuweisen sich bemüht — die thematische Einheit der ersten drei Strophen; eine Einheit,

die gegenüber den nachfolgenden Strophen eine Grenze markiert.

Sô di bluomen ûz dem grase dringent,

same si lachen gegen der spilden sunnen,

in einem meien an dem morgen fruo,

und diu kleinen vogellîn wol singent

in ir besten wîse die si kunnen,

waz wünne mac sich dâ gelîchen zuo?

ez ist wol halb ein himelrîche.

suln wir sprechen waz sich deme gelîche,

sô sage ich waz mir dicke baz

in mînen ougen hât getân,

und taete ouch noch, gesaehe ich daz.

Swâ ein edeliu schoene froze reine,

wol gekleidet unde wol gebunden,

dur kurzewîle zuo vil liuten gât,

hovelîchen hôhemuot, niht eine,

umbe sehende ein wênic under stunden,

alsam der sunne gegen den sternen stât, —

der meie bringe uns al sîn wunder,

waz ist dâ sô wünneclîches under,

als ir vil minneclîcher lîp?

wir lâzen alle bluomen stân,

und kapfen an daz werde wîp.

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Page 37: Fremde Texte 2_Walther

Nû wol dan, welt ir die wârheit schouwen!

gên wir zuo des meien hôhgezîte!

der ist mit aller sîner krefte komen.

seht an in und seht an schoene frouwen,

wederz dâ daz ander überstrîte:

daz bezzer spil, ob ich daz hân genomen.

owê der mich dâ welen lieze,

wie rehte schiere ich danne kür!

hêr Meie, ir müeset merze sîn,

ê ich mîn frowen dâ verlür. (52)

In der ersten Strophe evoziert Walther in vielgerühmten Versen die Schönheit und die Wonne

des Frühlings — in der zweiten Strophe stellt er der natürlichen Schönheit die Dame als

Sinnbild höfischer Schönheit gegenüber. Fazit: “wir lassen die Blumen Blumen sein und

schauen die schöne Frau an.”

Wollte jemand diese Entscheidung als falsch zurückweisen, er überzeuge sich selbst — fährt in

pointierter Form die dritte Strophe fort — er soll vergleichen und sich selbst überzeugen, ob

er, der Sänger, in diesem Wettstreit die richtige Partei ergriffen habe (daz bezzer spil, ob ich

daz han genomen). Die Aufforderung ist rhetorisch, wie auch die Aufforderung, sich zwischen

den Freuden des Mai und denen der edlen Dame zu entscheiden, spielerisch ist. Aber im

abgesteckten Raum des Spieles verteidigt der Sänger die von ihm getroffene Wahl: “O weh,

wenn ich gezwungen wäre zu wählen, und das eine dem andern opfern müßte, wie rasch ich da

meine Wahl getroffen hätte! Herr Mai, ich nähme lieber in Kauf, statt deiner einen zweiten

Monat März zu erleben (hêr Meie, ir müeset merze sîn), als daß ich statt dessen auf meine

Dame verzichtete.”

Mit dieser Schlußpointe, die dem Lied, dessen beide ersten Strophen deutlich auf diese Pointe

hin gestaltet sind, thematische Einheit verleiht, ist das Lied zu Ende. In seiner Interpretation

mißt Kuhn den einzelnen Elementen, die an diesem “Spiel” beteiligt sind, zu schweres

Gewicht zu und verändert so die thematische Struktur des ganzen Liedes, denn die

übergewichtigen Elemente lenken den Blick ab von der Bedeutung der Relationen im Text.

Walthers Lieder, die oft auf dem Spiel der Relationen aufbauen, verlieren in dieser Sicht ihren

spielerischen Ton und werden zu schwerfälligen Spekulationen über die Liebe und die Welt.

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Page 38: Fremde Texte 2_Walther

In Walthers berühmten Mailied, Muget ir schouwen, waz dem meien wunders ist beschert, das

auf ganz ähnliche Weise das Motiv der Frühlingsfreude mit dem der Liebe vermengt, führte

Kuhns Interpretation seinerzeit zu einem analogen, “schwerwiegenden” Ergebnis, für das es

im Text keine Stütze gibt. Das Lied ist ganz pointiert auf der Opposition von

freudevoll/freudelos aufgebaut: die ganze Welt ist von den Freuden des Mai erfüllt, alle fühlen

sich wie neugeboren und strahlen in neuer Blüte und Lebenskraft: Uns wil schiere wol

gelingen, wir suln sîn gemeit, tanzen lachen unde singen âne dörperheit. “Uns wird es bald gut

gehen, wir werden fröhlich sein, tanzen, lachen und singen ohne Zuchtlosigkeit.” (53)

Die Modalverben bringen erste Zeichen eines Bruchs in dieses Bild: es ist von Glück und

Freude die Rede, doch stehen sie noch aus: Wê wer waere unvrô? “Ach, wer möchte da unfroh

sein?” Und die suggestiv vorausgesetzte Antwort, daß niemand freiwillig auf Freuden

verzichten wollte, wo alle Welt sich ergötzt, weist bereits auf den thematischen Gegenpol des

Liedes voraus, auf das Fehlen der Freude. Denn ein im Lied Genannter ist von dieser Freude

ausgenommen, das Rollen-Ich selbst: Daz mich, frowe, an fröiden irret, daz ist iuwer lîp. “Was

mich, Herrin, am Frohsein hindert, das seid Ihr. Ihr allein macht mir Kummer, grausame

Frau!” (ungenaedic wîp). Er, der Sänger, muß in dieser allen günstigen Jahreszeit beiseite

stehen, er allein erfährt von minneclîchem munde nichts als unminne (Strophe 4).

Walther hat diese Wende im Lied raffiniert vorausgeplant. Er führt das Beispiel des Sängers

selbst in der zweiten Strophe in signifikantem Kontext erstmalig ein: wê wer waere unvrô? / sît

die vogele alsô schône / singent in ir besten dône / tuon wir ouch alsô! “Ach, wer möchte da

unfroh sein? — Da die Vögel so herrlich singen in ihrer schönsten Melodie — machen wir es

ebenso.” (54)

Der Sänger wird zum Singen ermuntert, gleich, ob ihm danach zumute ist oder nicht. Die uns

heute eigentlich unverständliche dritte Strophe (man beachte die unterschiedlichen Deutungen,

die Kuhn in seinen zwei Übersetzungen gegeben hat!) (55) will mir im Ton, in der Wortwahl

(scheiden, haz, strîten), in Thema und Ausführung das Lied eines nicht zum Singen in

fröhlicher Runde gestimmten Sängers scheinen. Der Sänger wird dem Publikum gleich seine

eigene Lage darstellen, daz mich, frowe, an fröiden irret..., und wird in der Schlußstrophe sein

Verlangen noch deutlicher vorbringen:

Scheidet, frowe, mich von sorgen,

liebet mir die zît:

oder ich muoz an fröiden borgen,

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Page 39: Fremde Texte 2_Walther

daz ir saelic sît.

muget ir umbe sehen?

sich froit al diu welt gemeine:

möhte mir von iu ein kleine

fröidelîn geschehen!

Es ist der Sänger, der von sich sagen muß, daz mich an fröiden irret. Um hochgestimmt zu

werden, wie es sein Gesang erfordert, den er nun anstimmen soll, daz ir saelic sît — also zum

Vergnügen der Dame —, soll die Dame ihm das Leid nehmen, oder — pointiert auf die Rolle

des Sängers anspielend, ich muoz fröiden borgen, “ich muß Freude borgen (um singen zu

können)”. Keine andere kann ihm Freude geben, als sie und von ihr verlangt er auch nicht viel,

nur ein kleine fröidelîn...

Walthers Lieder lassen sich also “enträtseln”, oder zeigen dem modernen Leser überhaupt erst,

daß sie ein Rätsel enthalten — wie das eben zitierte Lied — wenn wir die uns fremden

Elemente im Text (meist mhd. Wörter mit sehr großem Bedeutungsumfang, der nur durch den

Kontext eingeschränkt werden kann, in dem aber wiederum Elemente auftauchen, die selbst

der Begrenzung ihrer Bedeutung bedürfen) nicht schon im ersten Leseversuch sofort mit

Bedeutung “aufladen” d. h., eindeutig in ihrer präsumtiven Bedeutungsgrenze bestimmen,

sondern zuerst die Semantik der Relationen zu bestimmen suchen, durch die diese uns so

schwer deutbaren “Elemente” miteinander verknüpft sind.

Mit diesem methodischen Bewußtsein läßt sich auch das schwer zu deutende Lied Aller

werdekeit ein füegerinne lesen:

Aller werdekeit ein füegerinne

daz sît ir zewâre, frowe Mâze.

er saelic man, der iuwer lêre hât.

der endarf sich iuwer niender inne

weder ze hove schamen noch an der strâze.

dur daz (sô) suoche ich, frouwe, iuwern rât,

daz ir mich ebene werben lêret:

wirb ich nider, wirb ich hôhe — ich bin versêret.

ich was vil nâch ze nidere tôt,

nû bin ich aber ze hôhe siech.

unmâze enlât mich âne nôt.

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Page 40: Fremde Texte 2_Walther

Nideriu minne heizet diu sô swachet,

daz der muot nâch kranker liebe ringet:

diu minne tuot unlobelîche wê.

hôhiu minne reizet unde machet,

daz der muot nâch hôher wirde ûf swinget:

diu winket mir nû, daz ich mit ir gê.

mich wundert, wes diu mâze beitet!

kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet:

min ougen hânt ein wîp ersehen,

swie minneclich ir rede sî,

mir mac doch schade von ir geschehen. (56)

Mit Hilfe ausführlicher textsemantischer Analysen ließe sich nachweisen, daß die Interpreten

dieses Liedes meist schon mit dem ersten Satz ihrer Inhaltswiedergabe den Grundstein für das

Mißverständnis des ganzen Liedes legen. In krassem Widerspruch zur erklärten oder

stillschweigend vorausgesetzten Absicht der Interpreten, mit der Paraphrase noch keine

Interpretation zu geben, ist jeder Versuch, den “Inhalt” dieses Liedes mit anderen Worten zu

referieren, bereits ein entscheidender Schritt auf dem Weg der Interpretation, denn die

Paraphrase ändert in allen Fällen die Thema-Rhema-Struktur des Sprechaktes im Lied.

Der bisher nur als alternativer methodischer Vorschlag präsentierte Versuch, das Sinngefüge

der Texte mit Hilfe von “schwach” determinierten Elementen zu rekonstruieren, erweist sich

bei diesem Text als notwendiger methodischer Schritt. So betrachtet, offenbart dieses trotz

aller Deutungsversuche bisher unverstanden gebliebene Lied eindeutig und klar seinen Sinn,

im Spiel von Oppositionen, das den ganzen Text durchzieht wie ein Gerüst, an das die

einzelnen hochsignifikanten Elemente mit ihrer klaren Zeichenfunktion geheftet werden

können, ohne daß der Sänger zu befürchten hätte, sein Publikum könnte ihn etwa mißverstehen

— denn sein Publikum kannte den Wert der Zeichen im jeweils evozierten System der

Oppositionen.

Der moderne Leser hingegen muß dieses System erst rekonstruieren. Erst wenn verschiedene

Einzeltexte, auf diese Weise rekonstruiert, erkennen lassen, vor welchem Horizont die

bedeutungstragende Elemente im Text funktionieren, können die Ergebnisse verglichen und

für Aussagen über Teilbereiche oder größere Traditionen innerhalb der mhd. Lyrik verwendet

werden. Die eilig gesuchten Parallelstellen zu “Schlüsselwörtern” eines schwer zu

verstehenden Textes haben bisher nur Verwirrung gestiftet und die Unsicherheiten der

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Page 41: Fremde Texte 2_Walther

Interpreten vermehrt. Bei all den Unsicherheiten, die eine genaue Inhaltsanalyse eines uns so

fremden Liedes mit sich bringt, ist es erstaunlich, mit welcher Sicherheit ganz klare

sprachliche Indizien einfach aus dem Text entfernt wurden, nur weil sie nicht in das Bild

passen, das der Interpret sich von diesem Text gemacht hatte. Walthers Text wurde immer mit

dem vor-entschiedenen Wissen gelesen, herzeliebe in Vers 19 komme in diesem Kontext die

Funktion eines terminus technicus der Minnediskussion zu. Damit war für das Verständnis des

Textes an einer entscheidenden Stelle eine Barriere errichtet, die sich bis heute als

unüberwindbar gezeigt hat.

Diese Barriere besteht nicht einfach darin, daß einem Lexem eine “falsche” Bedeutung

zugeordnet wird, denn dieser Typus von “Fehler” kann beim notorisch weiten

Bedeutungsumfang mhd. Lexeme kaum allzu großen Schaden stiften; ein einzelner Fehler

verhindert aber dann das Verständnis des Textes, wenn er den Blick auf die

Bedeutungsstrukturen eines größeren Textsegments verstellt, wie die traditionelle

Interpretation von herzeliebe in diesem Lied. Das Substantiv herzeliebe findet sich in der

zweiten Strophe in stark pejorativ konnotiertem Kontext, in dem es, durch die adversative

Konjunktion jedoch in Opposition gerückt, unvermittelt erscheint. Zuvor war ein einheitlich

negatives Bild von den Wirkungen der Minne gegeben worden, das im Schlußsatz der Strophe

noch ergänzt wird und folgende Elemente des Textes umfaßt: nideriu minne bewirkt kranke

liebe, (“niedrige Sinneslust”) und bereitet wê, ohne daß man dafür irgend ein Lob verdiente:

diu minne tuot unlobelîche wê. Damit ist die Opposition zu einer minne erklärt, die lobelîche

wê tuot — es ist die hôhiu minne, die den Mann dazu bringt, daz der muot nach hôher wirde ûf

swinget, ihm aber schade “Leid” zufügen wird.

Das Oppositionsgefüge ist im letzten Satz deutlich zu erkennen: wie minneclîch die edle Dame

auch sprechen mag, dem Rollen-lch mac doch schade von ir geschehen, “wird dennoch Leid

von ihr zugefügt werden.” C. von Kraus hatte seinerzeit beide adversativen Konjunktionen aus

dem Text entfernt, indem er iedoch in Vers 19 iterativ deutete, und an Stelle von doch in Vers

22 die Variante wol aus BCE in den Text einsetzte. (57) Es kommt noch hinzu, daß der

Schlußsatz mit dem Modalverb mac in den beiden verbreitetsten Übersetzungen nicht in

futurischer Bedeutung wiedergegeben wird, wodurch ein weiteres sprachliches Element im

Sinngefüge des Textes verloren geht. Es dürfte wenige poetisch streng strukturierte Texte

geben, die drei solche Eingriffe in ihre vom Autor konzipierte semantische Strukturierung des

Textes heil überstehen würden. Walthers Lied wurde von diesen groben Versuchen, es zu

deuten, in seinem Kern zerstört.

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Page 42: Fremde Texte 2_Walther

Die Opposition von minneclicher rede der Frau, die dem Mann schade (“Unglück”) zufügt,

entspricht der Klage des Sängers im “Mailied”, von minneclîchem munde nichts als unminne

zu erhalten. Beide Klagen des Mannes setzen als Hintergrund voraus, daß seine offenkundige

Absicht der vröide gilt. Dem höfischen Publikum mußte das nicht in jedem Lied erneut gesagt

werden, die in Freude erlebte Hochstimmung des Herzens war von je der “Sitz im Leben”

höfischen Singens. Wer aber, wie der besitzlose Sänger verholne sorge in seinem Inneren

trägt, ist um so stärker darauf angewiesen, im Moment der sozialen Interaktion den Grund für

jene Stimmung des Herzens zu suchen, die ihn im Wertgefühl des hôhen muot seinem

höfischen Publikum gleichstellt.

Dieses Vorverständnis des Sängers wird in anderen Liedern in strenger Kasuistik aller am

Erreichen des hohen muot beteiligten Schritte, von der Gunst der Umstände über die innere

Herzensregung und den öffentlichen Ausdruck dieses Fühlens als letztem Akt ausgesprochen;

im Lied Aller werdekeit ein füegerinne ist es vom gattungsspezifischen Horizont des

Minneliedes in seinem sozialen Kontext aus am Aufbau des Liedes immer mitbeteiligt und

kann daher im Oppositionsgefüge des negativ markierten Kontextes als positiv markiertes

“Stichwort” in einer Weise auftauchen, die nur den modernen Leser als unvermittelt anmutet:

Kumet diu herzeliebe, ich bin iedoch verleitet. Dieses das Herz mit Freude erfüllende Gefühl

kann den Sänger nicht erreichen, denn er hat sich bereits abgewandt, ungeleitet, wie er sagt,

von den Ratschlägen derjenigen Instanz, die ihm hilfreich zur Seite stehen könnte — die ihm

in diesem Moment aber nicht hilft.

Vor dem Hintergrund dieser pointierten und vielleicht unerwarteten Wende, daß die

angerufene Helferin nicht eingreift, erhalten die Worte des Sängers in der ersten Strophe einen

auch dem modernen Leser nachvollziehbaren Effekt der Verfremdung. Ich versuche, ihn mit

Hilfe einer Übersetzung wiederzugeben, die nach Walthers Sprachgebrauch wirde als

öffentlich erfahrbaren Aspekt des erreichten höfischen Lebensziels versteht, fröide dagegen als

ihren Ausdruck im privaten Bereich:

swer wirde und fröide erwerben wil,

der diene guotes wîbes gruoz.

swen si mit willen grüezen muoz,

der hât mit fröiden wirde vil. (58)

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Entscheiden für das Erreichen beider Ziele ist das gute Gelingen des Werbens. Gerade daran

fehlt es dem Rollen-Ich des anderen Liedes:

In allen Bereichen höfischen Lebens

entscheidet Ihr, Frau Maze, über den Erfolg.

Glücklich der Mann, der Eure Lehre besitzt.

Der wird damit immer gut fahren,

sowohl bei Hofe als auch unterwegs.

Ich suche daher Euren Beistand,

daß ihr mich lehrt, erfolgreich zu werben.

Werbe ich niedrig, werbe ich hoch — es bringt mir Leid.

An der niederen bin ich beinahe zugrunde gegangen,

nun kranke ich an der hohen.

Daß ich ohne den Beistand der Maze bin, bringt mir nichts als Not.

Das Rollen-Ich wendet sich direkt an die in der Szene anwesend gedachte Personifikation der

Maze. Da sie für alle Bereiche des Lebens zuständig sei, solle sie auch ihm beistehen, der nie

âne nôt ist. Der letzte Satz der Strophe ist in anderer Sprechhaltung gesprochen, nicht mehr der

Maze zugewandt, sondern kommentierend, in ihrer Abwesenheit, und diese Haltung ist auch in

der zweiten Strophe beibehalten. Es ist üblich, in den nhd. Übersetzungen minne mit “Minne”

wiederzugeben, und auch dieses, Verständnis nur suggerierende Wort muß einer eindeutigen

Entscheidung über die Bedeutung des Wortes im Kontext, die das Risiko einer Fehldeutung

nicht scheut, weichen. Wenn wir mhd. werben durch nh. “werben” wiedergeben, dann

entspricht dem mhd. minne das nhd. “Liebe”.

Niedere Liebe heißt die, die den Sinn so sehr hinabzieht,

daß er nur nach erbärmlicher Lust strebt.

Diese Liebe tut weh, und bringt kein Lob.

Hohe Liebe spornt den Sinn an und bringt ihn dazu,

sich zu hohem Wert aufzuschwingen.

Die winkt mir nun, daß ich ihr folge.

Mich wundert, warum die Maze zögert!

Kommt jetzt die Herzensfreude, so bin ich doch wieder irregeleitet:

Ich habe eine Frau gesehen,

die mir, wie liebevoll sie auch sprechen mag,

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Page 44: Fremde Texte 2_Walther

doch Unglück bringen wird.

In der ersten Strophe hatte der Sänger an die Instanz das Wort gerichtet, der die

Verfügungsgewalt über die soziale Anerkennung individuellen Handelns zugesprochen wird;

gelingt dieses Handeln, so erhöht es die werdekeit des Menschen und bringt “Lob”, dieses

ebenfalls nicht als privater Akt des Lobens verstanden, sondern als öffentliche Anerkennung

durch eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Das vom Einzelnen dafür erbrachte Zeichen,

das zugleich das Gefühl der Zusammengehörigkeit ausdrückt, ist der hôhe muot. Daran hat der

Sänger teil.

Der Sänger in diesem Lied beklagt jedoch seine Rolle. Er empfindet sein Handeln nicht als

erfolgreich, denn sein Ziel — wie das jedes anderen Teilnehmers der höfischen Gemeinschaft

— sollte es sein, mit fröiden wirde vil zu gewinnen; nicht aber will er, wie der Sänger hier

klagt, um der wirde willen den persönlichen Anspruch auf Freude aufgeben müssen. Seine

Hilferufe an die Mâze sind von Anfang an entweder durch Ironie oder durch das Wissen um

den Mißerfolg gebrochen. Der Sänger ruft die Mâze in der ihr zugewiesenen Rolle überhaupt

nur an, um öffentlich aussprechen zu können, was ihn bedrückt, daß er von dem von ihr

Verfügten ausgeschlossen bleibt!

Denn der Sänger erfährt nun — in der Fiktion des Liedes — das Paradox des höfischen

Sängers gleichsam am eigenen Leib, das heißt im eigenen Herzen. Er, der den hôhen muot der

höfischen Welt öffentlich darstellt, müßte seinen hôhen muot verlieren, wie auch die Lust,

Lieder zu singen, denn es fehlt ihm die Freude im Herzen (liebe), die Voraussetzung dafür im

Inneren des Menschen. Diese in seinem Innern gefühlte Bereitschaft zum Ausdruck der Freude

nennt der Sänger mit dem Wort herzeliebe; es ist nicht “Freude”, wenn wir als Freude bereits

den Ausdruck des Gefühlten meinen, sondern von diesem Ausdruck getrennt, eine

Disponibilität des Herzens, anders als wenn es in Trägheit verstummt oder in herzeleit sich

verschließt.

Walther verteidigt in diesem Lied also keineswegs eine inhaltliche oder stilistische

Entscheidung im Bereich seiner Kunst, (59) sondern gibt — dem “Mann” im “Sänger” das

Wort, der nun die in der Fiktion des höfischen Minnesangs vorausgesetzte Einheit von Sänger

und Mann nicht mehr stillschweigend voraussetzt und akzeptiert, sondern sie mit fordernder

Geste verlangt. Mit seiner unverzichtbaren Forderung nach privater liebe im Herzen des

Mannes war der Sänger an Frau Mâze herangetreten und hatte sie gebeten, ihm ein Maß an

werdekeit zuteil werden zu lassen, das vereinbar wäre mit seinem Anspruch auf fröide,

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“Freude” — Ausdruck jener inneren Macht, die nun immer stärker den Menschen ergreift und

formt und für die erst die höfische Literatur und der Minnesang den sprachlichen Ausdruck

geschaffen haben.

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Heinrich von Morungen, Ich bin iemer ander

In einer mutigen Stellungnahme, zu einer Zeit, als der von ihr diagnostizierte Zustand noch

keineswegs überwunden war, bekannte Ingeborg Schröbler: “Zu der Größe der Forschung des

19. Jahrhunderts und des beginnenden zwanzigsten gehörte die Ungebrochenheit auch des

Glaubens an die Gültigkeit der eigenen Logik für entlegene Bereiche und Zeiten. Wir verfügen

nicht mehr über diese Ungebrochenheit. Vielleicht sollte dafür unser Bewußtsein für die

eigenen Grenzen um so empfindlicher sein.” (60) Sie bringt als Beispiel für die Grenzen

unseres Verstehens Walthers Lied Ir sult sprechen willekomen, und läßt erkennen, daß sie der

Überlieferung von A zu folgen geneigt ist.

Es stellt sich somit die Frage, was es mit der nur in C überlieferten sechsten Strophe auf sich

habe. Wie sollte sie gelöst werden? Statt nun den üblichen Weg zu gehen, die eigene Meinung

wortgewaltig als Ergebnis vorzutragen, entscheidet sich I. Schröbler für eine theoretische

Überlegung, die zwar nicht imstande ist, das Problem zu lösen, aber auch den Zugang zu

einem nicht weiter befragbaren fremden Text nicht mit der Fülle moderner Argumente

verschüttet: “Die Textkritik kennt den Begriff der lectio difficilior. Ich bin ein wenig geneigt,

die Existenz dieser Strophe in der Handschrift C als eine Art lectio difficilior anzusehen. Man

pflegt aber der lectio difficilior den Vorzug zu geben vor anderen Lesarten.” (61)

Und durch diesen Verzicht auf manifeste Ergebnisse erreicht sie den entscheidenden

Erkenntnisgewinn, eine von diesen Liedern gestellte Frage zu sehen, die zuvor unsichtbar

geblieben war, “die Problematik der letzten Strophe”.

In einer brillanten Analyse desselben Problems, nun noch pointierter als “Nichtverstehen

mittelhochdeutscher Literatur” angesprochen, kommt Peter Ganz zu einem ganz ähnlichen

Ergebnis. Der von ihm untersuchte Text, das sogenannte Kindheitslied des Wilden Alexander,

war ihm auch nach der Analyse geblieben, was er zuvor gewesen war, “ein Beispiel für einen

Text, dessen Intention und historischer Sinngehalt verloren sind.” (62) Statt den

unverstandenen Schluß nun einfach mit der Hypothese wegzuinterpretieren, das Lied sei eben

nicht vollständig erhalten, gelingt seinem hermeneutisch verunsicherten Fragen der Sprung

von der offensichtlich dunklen Stelle zur versteckten: “Konnte der Schluß als Signal dafür

aufgefaßt werden, das ganze Gedicht rückwärts allegorisch zu entschlüsseln? Was bezeichnen

dann die Rinder, die da jetzt grasen?” Zum Problem wird damit ein Satz am Ende der ersten

Strophe, der zuvor noch nie als problematisch erkannt worden war.

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Die kritische Fundierung der Wissenschaft von Sprache und Literatur, die auch Ganz fordert,

gibt keine Garantie für richtige Antworten, aber sie soll den modernen Interpreten in die Lage

versetzen, die richtigen Fragen an den Text zu stellen.

Das unreflektierte (Nicht-)Verstehen der modernen Leser fällt mit allen Konsequenzen auf die

Texte selbst zurück. Wo der Interpret keine Ordnung erkennen kann, erkennt er die

Unordnung, den Mangel an gewollter Norm und projiziert nun diese Erkenntnis als stabile

Kategorie seines Wissens von diesen Texten in die Texte selbst hinein. Da der Interpret

erkennen mußte, daß jede Anordnung der Strophen eines nicht homogen überlieferten Liedes,

die nur nach der Plausibilität der durch diese Anordnung erreichten Inhaltsparaphrase

vorgenommen wird, durch eine ebenso plausible, oder noch plausiblere ersetzt werden kann,

findet er — anscheinend weiser geworden — in solchen Texten das Prinzip der “wechselnden

Ordnung”. Und jeder Leser kommt zu seinem Recht. Er hat ein mögliches Lied interpretiert.

Auch im Mittelalter gab es unterschiedliche Situationen, in denen das Lied seinen Sinn zu

entfalten hatte, warum sollte der Sänger nicht bei solchen Anlässen selbst die Strophenfolge

geändert, ja in einigen Fällen auch Textvarianten erfunden habe, die dann irgendwie auf das

Pergament gelangt sind und nun den modernen Herausgebern so großes Kopfzerbrechen

bereiten?

Im Konflikt mit der Meinung anderer Interpreten, wird nicht die Meinung aufgegeben, sondern

der Text. Statt kritisch zu fragen, wie dieser Prozeß der Meinungsbildung zu mittelalterlichen

Texten überhaupt vor sich geht und nach welchen Urteilskriterien sich einige Meinungen als

gemeinsamer Besitz einer Gruppe moderner Leser stabilisieren, während andere wieder

aufgegeben werden, statt Kritik am Verfahren anderer zu üben, die auf den Kritiker selbst

zurückfallen würde, bekennt sich der moderne Interpret zum Agnostizismus, den er aber gleich

— seiner ganzen wissenschaftlichen Haltung entsprechend — ontologisch im Text selbst

verankert. Die unerkannte Schlußstrophe wird zur wechselnden “Gleitstrophe” stilisiert, die

unterschiedliche Strophenzahl in einigen Handschriften als Nachweis jüngerer Zusätze des

Sängers zu erfolgreichen Liedern gewertet, und alles, was irgendwie unerklärlich scheint oder

trotz aller Anstrengungen der Philologen unerklärt geblieben ist, der “wechselnden

Aufführungssituation” zugeschrieben. (63)

Die heute von Herausgebern mittelalterlicher Texte geforderte Rückkehr zu den Handschriften

ist ein weiterer Aspekt dieser Situation. Anläßlich eines (wie aus der beigefügten Übersetzung

ersichtlich) unverstandenen Liedes Heinrichs von Morungen hat H. Tervooren diese nun

geltenden Prinzipien erneut verteidigt: “Dieses Lied ist in den Handschriften in so

47

Page 48: Fremde Texte 2_Walther

verschiedenen Strophenfolgen und so stark differierenden Lesarten überliefert, daß eine

Herstellung im Sinne der herkömmlichen Textkritik, d. h. die Rekonstruktion einer dem

Original möglichst nahekommenden Fassung, der Überlieferung schwerlich gerecht wird. Die

in dieser Ausgabe gebotenen Texte (Doppelabdruck des Liedes nach A und B (C) und ein

dreifacher Abdruck der Programmstrophe Sît si herzeliebe nach A, B und C gewährleistet dem

Benützer einen besseren Einblick in die Eigentümlichkeit der Überlieferung und bieten ihm

immerhin mittelalterliche Existenzformen des Liedes.” (64)

Aber die “Eigentümlichkeit” der Überlieferung ist dem modernen Leser ja gerade verborgen!

Welche Art “Einblick” sollte also der Benutzer einer solchen Ausgabe schon gewinnen

können? Und können wir Strophenfolgen, die keinen erkennbaren Sinn aufweisen oder deren

Sinn wir nur vermuten können, wirklich als “Existenzformen” eines Liedes ansehen? Der von

Tervooren ausgesprochene Erkenntnisverzicht stellt also mehr Probleme, als er zu lösen

imstande ist und verschleiert die notwendige Folgerung aus den eigenen Prämissen, daß wir

nämlich eine andere Textkritik brauchen, eine Textkritik, die ihren hypothetischen Charakter

nicht verleugnet, sondern gerade ihn zu ihrem kritischen Fundament macht.

Die wissenschaftliche Arbeit an mittelalterlichen Liedern, die in variabler Strophenfolge oder

mit Lücken überliefert sind, beginnt meist damit, die Strophen in Form einer Tabelle

übersichtlich darzustellen, wobei die als richtig erkannte Reihenfolge bereits als Maßstab der

Anordnung zugrundeliegt. Die in den Handschriften überlieferten Strophenfolgen sind damit

schon als “falsch geordnet” markiert. Natürlich ist es im Prinzip gleichgültig, nach welcher

Norm wir die Strophen numerieren und wo wir die Lücken ansetzen, aber das Bild der

Überlieferung, das wir aus solchen Tabellen gewinnen können und das unser kritisches

Interesse in der Folge stark beeinflußt, wird dadurch bereits vorgeprägt.

Die Anschauung der handschriftlichen Überlieferung führt den Interpreten zur Anschauung

des Liedes. Wer in den überlieferten Strophenfolgen nur Chaos sieht, wird sich aufgerufen

fühlen, nach eigenem Maß Ordnung zu schaffen, wer jedoch bereits geordnete Einheiten

entdeckt, wird seine Bemühungen um die äußere Anordnung der Strophen innerhalb der

Grenzen entfalten, die ihm von den Textzeugen gegeben werden. Wer nichts sieht, ist frei und

kann alles finden — je mehr der moderne Leser im handschriftlich überlieferten Text erkennt,

desto engere Grenzen sind seiner Willkür gesetzt.

Vor diesem Hintergrund zeigt das Editionsverfahren der Neuausgabe von Minnesangs

Frühling erst seine Problematik. Natürlich stellt es gegenüber der vorangegangenen Ausgabe

einen Gewinn dar, eine Art propädeutischen Schritt weg von der Hybris des allwissenden

48

Page 49: Fremde Texte 2_Walther

Interpreten, aber es eröffnet auch neue Wege ungelenkter Spekulationen und stellt somit noch

keinen Schritt zum poetischen Werk dar, das ebenso unerkannt und unerreichbar bleibt wie

zuvor.

Die Alternative kann darin bestehen, alle Elemente eines Textes in ein System zu bringen, wo

alle Elemente miteinander verknüpft erscheinen. Dieser Zustand ist nur eine Fiktion, so wie die

Kategorien, die der Systematisierung der Elemente dienen, nur Erkenntnisinstrument des

beobachtenden Subjekts sind und keine ontologisch im Objekt verankerten Eigenschaften. Wir

können in dieser Hinsicht das poetische Werk wie jede sprachliche Äußerung systematisch auf

die Funktion der Elemente befragen. Es ist eine einzige, ungeteilte Frage, die nur aus Gründen

der besseren Organisation und der übersichtlicheren Darstellung an zwei Teilbereiche der

“Äußerung” getrennt gestellt wird, an den Bereich, der alle äußeren Fakten umfaßt, also im

Fall des handschriftlich überlieferten Liedes auch alle Daten der Textüberlieferung, und an den

Bereich der inhaltlichen Aspekte.

Diese von de Saussure getroffene Differenzierung in signifiant und signifié wurde in der

Literaturwissenschaft, vor allem in Nachfolge Jakobsons, benutzt, um charakteristische

Eigenschaften der modernen Poesie deutlicher zu fassen, als dies mit anderen Methoden

möglich schien. (65) Man spricht da von einem “Signifikanten” des poetischen Werkes, als ob

es sich um einen in der Realität existierenden Teilaspekt eines Objekts handelte, und vom

“Signifikat”, als sei die Bedeutung ablösbar von dem zu ihrem Ausdruck eingesetzten

Produktionsmittel. Mit einem Wort, an die Stelle eines hochdifferenzierten

Erkenntnisinstruments, dessen hermeneutisches Potential bei de Saussure zwar angedeutet,

aber keineswegs erschöpfend genutzt war, ist der blinde Nominalismus der erstarrten

Kategorien getreten. (66)

Die Germanistik, die zu de Saussure nur spät einen Zugang gefunden hatte, war mit der

nominalistischen Variante dieses Erbes in Berührung gekommen. Von einer auf dem

Denkansatz des Strukturalismus basierenden Erneuerung konnte dabei natürlich nicht mehr die

Rede sein. Und es ist kein Verlust, daß dieser Strukturalismus genauso rasch, wie er

aufgekommen ist, auch wieder aus der wissenschaftlichen Diskussion verschwand.

Verloren ging damit aber auch das Erkenntnispotential eines Instruments, das dem modernen

Leser gerade das nicht gibt, was er unbewußt immer sucht, nämlich Sicherheiten.

Wie de Saussure es für die Analyse der Zeichenfunktion vorgeschlagen hat, können wir nun

bei unserer Suche nach dem hypothetischen Sinn des poetischen Textes alle Elemente der

handschriftlichen Überlieferung (Textvarianten, Strophenzahl, Strophenfolge) in ein System

49

Page 50: Fremde Texte 2_Walther

zusammenfassen und den Elementen der Inhaltsseite so zuordnen, daß jeder Schritt immer in

Hinblick auf seine Folgen transparent gemacht wird. Das soll nun an zwei Beispielen,

Morungens Lied Ich bin iemer ander und Walthers Alterston Ir reinen wîp, ir werden man

erprobt werden, an zwei Liedern also, deren Sinn mit den traditionellen Methoden der

Philologie und der Literaturwissenschaft bisher noch nicht gefunden werden konnte.

Morungens Lied ist vom ersten Satz an problematisch. Dem Satz ist kein plausibler Sinn

abzugewinnen. Tervooren übersetzt: “Stets bin ich zu zweit, denn ich bin nie ohne die starke

Liebe, die mich noch niemals freiließ.” (67) Ganz abgesehen vom hohen Redundanzgrad

dieser Aussage, die schlecht in den Rahmen eines kunstvoll konstruierten Liedtextes paßt, ist

dieser dem Satz zugeordnete Sinn inkompatibel mit einem Satz der letzten Strophe, wo der

Sänger sagt, daß er nicht mehr wisse, wie er die liebe benennen solle (von Tervooren

wiederum als “Liebe” übersetzt). Tervoorens Verständnis des ersten Satzes stellt demnach

bereits eine definitive Barriere dar für den Versuch, dem ganzen Lied einen kohärenten Sinn

zu geben. Und es ergibt sich die minimale Forderung an den Interpreten/Übersetzer, innerhalb

des Systems des signifié (d.h. der möglichen Bedeutungen) eine widerspruchsfreie, kohärente

Bedeutungsstruktur zu rekonstruieren.

Daß diese minimale Forderung oft nicht erfüllt wird, ist verständlich, denn sie widerspricht der

Mentalität des modernen Lesers, der, ungeübt in der Kunst, die einzelnen Elemente eines

Textes als nur “schwach” mit Bedeutung beladene zu verstehen und die Bedeutungen erst in

einem größeren Zusammenhang zu fixieren, schon mit dem ersten Blick die Elemente des

Textes isoliert, sie mit Bedeutung stark auflädt, also tendenziell überinterpretiert.

Es ist also sinnvoll (und wohl auch der einfachere Weg), die Analyse nicht bei der Inhaltsseite

zu beginnen, sondern beim signifiant, und zu versuchen, dessen Elemente in einen

systematischen, widerspruchsfreien und kohärenten Zusammenhang zu bringen, mit anderen

Worten, eine hypothetische Ordnung zu schaffen, die sich sodann in der Gegenüberstellung

mit der hypothetischen Ordnung des Inhalts zu bewähren haben wird.

Wie Tervooren richtig bemerkt, ist Morungens Lied in zwei verschiedenen Redaktionen

überliefert. Da in A, also in der Handschrift, die in vielen Fällen als der hervorragendste

Textzeuge des Minnesangs bekannt ist, nur drei Strophen erhalten sind, während B und C fünf

Strophen überliefern, müssen wir als erste Hypothese überprüfen, ob A eine Reduktionsform

von drei Strophen eines ursprünglich fünf-strophigen Liedes erhalten hat, und welche zwei

Strophen vielleicht ausgeschieden wurden. Da A und BC mit derselben Strophe beginnen, aber

50

Page 51: Fremde Texte 2_Walther

eine andere Schlußstrophe haben, erscheint die Hypothese, A habe die alte erste Strophe an

ihrem ursprünglichen Platz erhalten, wahrscheinlicher.

Wenn also (1 . . . . ) gegeben ist, können die restlichen zwei Strophen von A einen der

folgenden Fälle eines fünf-strophigen Liedes wiedergeben:

l 2 3 . .

1 2 . 4 .

1 2 . . 5

1 . 3 4 .

1 . 3 . 5

1 . . 4 5

Da A und BC nicht dieselbe Strophe als letzte verzeichnen, müssen wir in unserer

hypothetischen Rekonstruktion weiter gehen. Wenn die “Logik der Veränderung” des

Archetyps darin zu suchen ist, daß es im Lied eine schon im 13. Jahrhundert nicht mehr

verständliche Stelle gab, dann sind die “Antworten” auf dieses Problem (im Falle von A die

Reduktion, im Falle von BC jedoch verändernde “motivierte” Eingriffe in den rezepierten

Text) als gleichwertige Versuche zu bewerten, ein Problem zu lösen. A würde die Tendenz

zeigen, das Unverstandene auszuscheiden, während in BC eine Umordnung stattgefunden

hätte. Also ist es wahrscheinlicher, daß A die ursprünglich letzte Strophe an ihrem alten Platz

bewahrt hat, als daß die letzte Strophe von BC die ursprünglich letzte Strophe des Liedes war.

Zu diesen rein theoretischen Überlegungen kommt aber ein anderes Problem, das ich nun als

“Problematik der letzten Strophe” bezeichnen möchte. Es gibt eine Fülle von Indizien sowohl

im Bereich der geistlichen Poesie als auch in verschiedenen Bereichen der weltlichen Dichtung

des Mittelalters, die darauf hinweisen, daß die letzte Strophe eines mehrstrophigen Liedes in

ihrer Funktion als Schlußstrophe dem zeitgenössischen Publikum erkannt wurde. Wir können

nicht ausschließen, daß diesen Strophen eine Charakteristik gemeinsam war, die uns heute

nicht mehr faßbar ist und die dem mittelalterlichen Publikum die Botschaft vermittelte: das ist

der Schluß! Viele dieser Werke sind auf den Schluß hin komponiert. Das Motiv am Ende des

Liedes gibt dem Werk Einheit und strukturiert oft von hinten den Aufbau der ganzen

Komposition.

Wir können aus diesen Beobachtungen den folgenden Schluß ziehen: wenn wir, wie im Fall

des Liedes von Morungen, drei Strophen überliefert finden, von denen die erste wahrscheinlich

51

Page 52: Fremde Texte 2_Walther

die ursprünglich erste ist, dann liegt es näher, daß die letzte auch in der Vorlage die letzte

Strophe war, als daß die Strophenfolge völlig arbiträr ist. Warum sollte eine mittelalterliche

Handschrift eine völlig unverständliche Strophenfolge aufgezeichnet haben?

Da die tatsächliche Überlieferung einen entscheidenden Tatbestand darstellt, muß jeder

Versuch, die ursprüngliche Strophenfolge zu rekonstruieren, bei den erhaltenen Strophen in

ihrer Anordnung ansetzen. Wir müssen daher entscheiden, welcher der drei folgenden Fälle bei

der Überlieferung von A wahrscheinlicher ist: (1 2 . . 5), (1 . 3 . 5) oder (1 . . 4 5). Diese

Entscheidung kann nur nach inhaltlichen Kriterien erfolgen. Aber die Frage nach dem Inhalt

— die erste Frage inhaltlicher Art in diesem Argumentationsgang! — betrifft einen ganz eng

umrissenen Bereich und stellt sich nur als Frage nach inhaltlichen Bindungen zwischen der

ersten und der zweiten oder zwischen der zweiten und der dritten Strophe.

Sind überhaupt keine Bindungen nachweisbar, dann ist die Reihung (1 . 3 . 5)

wahrscheinlich; besteht eine Verknüpfung zwischen 1 und 2, dann ist es die Reihung (1 2 . .

5); sind jedoch die Strophen 2 und 3 miteinander verbunden, dann sind die drei Strophen in A

als (1 . . 4 5) geordnet. Mit der Antwort auf diese Frage ist zugleich der Schlüssel gefunden für

die Rekonstruktion des Liedes.

Zwischen der ersten und der zweiten Strophe besteht keine irgendwie ersichtliche semantische

Solidarität. Aber am Ende der zweiten Strophe verwendet der Sänger einen ungewöhnlichen

Ausdruck, um die freudige Erregung des Herzens zu bezeichnen, die er in der ersten Strophe

liebe genannt hatte: mir si von herzen wol. Warum verwendet er nicht auch an dieser Stelle den

allgemein üblichen Ausdruck liebe? Warum er dies nicht tut, das sagt der Sänger in der dritten

Strophe, die damit als der zweiten eng verbunden erwiesen ist. Wir haben also als erstes

Ergebnis — ein hypothetisches Ergebnis jedenfalls! — die Anordnung der Strophen in A als

(1 . . 4 5) der fünfstrophigen Originalkomposition rekonstruiert.

In BC sind die in A nicht überlieferten Strophen in den Positionen 2 und 3 überliefert. Wir

erhalten also einen hypothetischen Text des Liedes mit den Strophen 1-4-5 nach A und 2-3

nach BC:

Ich bin iemer ander und niht eine

der grôzen liebe, der ich nie wart vrî.

waeren nû die huotaere alle gemeine

toup unde blint, swenne ich ir waere bî,

sô mohte ich mîn leit

52

Page 53: Fremde Texte 2_Walther

eteswenne mit sange ir wol künden.

mohte ich mich mit rede zuo ir gevründen,

so wurde wunders vil von mir geseit.

Mîner ougen tougenlîchez sehen,

daz ich ze boten an si senden muoz,

daz neme durch got von mir vür ein vlêhen,

und obe si lache, daz sî mîn gruoz.

Ich enweiz, wer dâ sanc:

ein sittich unde ein star âne sinne

wol gelerneten, daz siu sprâchen ‘minne.’

wol, sprich daz unde habe des iemer danc.

Wolte sî mîn denken vür daz sprechen

und mîn trûren vür die klage verstân,

sô müese in der niuwen rede gebrechen.

owê, daz iemen sol vür vuoge hân,

daz er sêre klage,

daz er doch von herzen niht meinet,

alse einer trûret unde weinet

unde er sîn niemen kan gesagen.

Sî ensol niht allen liuten lachen

also von herzen, same si lachet mir,

und ir ane sehen sô minneclîch niht machen.

waz (hât) aber ieman ze schouwen daz an ir,

Der ich leben sol

unde an der ist mîn wunne behalten?

ja enwil ich niemer des eralten,

swenne ich si sîhe, mir sî von herzen wol.

Sît si herzeliebe heizent minne,

so enweiz ich, wie diu liebe heizen sol.

liebe won mir dicke in mînen sinnen.

liep haet ich gerne, leides enbaere ich wol.

Liebe diu gît mir

hôhen muot, dar zuo vröide unde wunne.

53

Page 54: Fremde Texte 2_Walther

sô enweiz ich, waz diu leide kunne,

wan daz ich iemer trûren muoz von ir. (68)

Dieser Text soll nun seinen Sinn zeigen. Das Stichwort liebe im ersten Satz setzt das Thema,

das auch in anderen Liedern Heinrichs von Morungen aufscheint: nach der liebe sent mîn

herze sich, “mein Herz sehnt sich nach Freude” (MF 137,33). Die Rollenproblematik des

Sängers ist auch bei Heinrich Thema von Liedern, und der Anspruch der Gesellschaft, an ihm,

der seine Tage mit ungemüete verbringt, gewin zu haben, ist Anlaß für Kritik. Der Sänger hat

eine alte nôt im Herzen, die sich immerfort erneuert. Man spottet seiner, wenn er zur Freude

der Gesellschaft seine Leiden klagt. “Seht, wie der singt! Wäre er wirklich voll Leid, würde er

sich wohl anders verhalten!” (XIII,2). Die nôt des Sängers ist es, daß er immer fröhlich sein

muß, ganz gleich wie es in seinem Inneren aussieht, “denn Kummer hat dort keinen Wert, wo

die Leute fröhlich sind.”

In diesem Lied tragen die Seele des Sängers und die des Mannes im Sänger ihren Konflikt

offen aus. Der Mann ergreift das Wort und klagt, daß er immer nur in seiner Rolle als Sänger

Gehör findet, nie jedoch als er selbst. Das ganze Lied ist von dieser Argumentation des

gespaltenen “Ich” durchzogen, bis schließlich der Sänger selbst — die anscheinend

privilegierte Seite des sprechenden “Ich” — Anlaß zur Klage findet. Die Sänger-Konkurrenten

hindern ihn durch ihre modernisierende Wortwahl an der Ausübung seiner eigenen Kunst! Sie

nennen die Minne — von der jedermann weiß, daß sie Freude und Leid bringt, mit dem Wort,

das wie kein anderes dazu bestimmt ist, die private Freude des Menschen auszudrücken,

herzeliebe. Wie sollte er, der Sänger der Freude, nun die “Freude” benennen?

Die große Freude, die ich nie verloren habe,

erlebe ich immer als ein anderer, nie als ich selbst.

Wären doch die Aufpasser alle taub und blind,

so könnte ich, wenn ich bei ihr bin,

ihr mein Leid in einem Lied verkünden.

O könnte ich doch in freundlichem Umgang (mit ihr)

zu ihr sprechen!

Ich würde ihr wer weiß was sagen!

Die versteckten Blicke meiner Augen,

die ich ihr als Boten senden muß,

54

Page 55: Fremde Texte 2_Walther

die möge sie um Gottes willen wie bittende Worte

von mir aufnehmen,

und wenn sie dann lächelt, so soll es ein Gruß für mich sein.

Ich weiß nicht, wer gesungen hat:

“Obwohl sie ohne Verstand sind, haben ein Sittich und ein Star gut gelernt,

Minne zu sagen.”

Sag’s auch du und ich werde dir immerfort dafür dankbar sein.

Könnte sie das, was ich denke, wie ein gesprochenes Wort

und mein Trauern wie eine laute Klage vernehmen,

so müßten sie auf dieses neue Lied hier verzichten.

O weh, daß es jemandem hoch angerechnet wird,

daß er bitter beklagt,

was er doch im Herzen gar nicht meint,

während ein anderer voller Leid ist und weint,

und niemandem etwas davon sagen kann.

Sie soll nicht allen Leuten so herzlich

zulächeln wie mir,

und nicht so liebevoll aussehen.

Warum sollte sich jemand weiden an ihr,

für die ich lebe,

und die meine ganze Glückseligkeit ist?

Fürwahr, ich will nicht so alt werden,

daß mir nicht jedesmal, sooft ich sie sehe,

von Herzen wohl ist.

Seit man Minne auch Herzensfreude (herzeliebe) nennt,

weiß ich nicht mehr, wie ich die Freude benennen soll!

Freude soll mich oft erfüllen.

Was mich erfreut, habe ich gern, was Leid bringt,

darauf kann ich verzichten!

Freude, die bringt mir

Hochstimmung, Glück und Seligkeit.

Aber wozu das Leid gut sein soll, weiß ich nicht,

außer dazu, daß es mich immer traurig stimmt.

55

Page 56: Fremde Texte 2_Walther

Die Aufstellung der überlieferten Strophen ergibt folgendes Bild:

A B C

Ich bin 15 17 38

Mine ougen 18 39

Wolte si 19 40

Si ensol 16 21 42

S”t si 17 20 41

Da in B die Strophen 17 und 20 (und analog hierzu C) gegenüber A mit sehr stark

innovierenden Textvarianten überliefert sind, wozu noch die Umstellung der Strophen am

Ende des Liedes kommt, läßt sich deutlich die Inkompatibilität zwischen dem Strophenpaar 2-

3 und der Gruppe 1-4-5 erkennen, die ja in der Tat in zwei getrennten Überlieferungssträngen

erhalten sind.

Welcher Art diese Unvereinbarkeit der beiden Strophengruppen war, zeigt die interpretierende

Neuformung von BC, die schon in der ersten Strophe den Inhalt des Liedes entscheidend

verändert; die Pointe, daß sich ein Sänger wünscht, seiner Geliebten ein Lied singen zu dürfen,

war unverständlich. Sie ist es bis heute geblieben, denn verständlich ist sie nur, wenn wir sie

im Kontext der ganzen Strophe und des ganzen Liedes als Aussage des getrennten

“wirklichen” Ich des Sängers verstehen. Nur sein “anderes” Ich darf in der Öffentlichkeit das

Wort ergreifen, “er selbst”, d. h. der Mann mit seinen echten Gefühlen, muß schweigen. In BC

wird aus dieser komplexen Diskussion der Rollenproblematik die Erzählung einer im Herzen

verborgen gehaltenen Liebe: “Ach! Wären nur die Aufpasser alle taub und blind, so könnte

ich, wenn ich bei ihr bin, ihr mein Leid zuweilen durch Gebärden anzeigen und mich ihr mit

Worten zum Freund machen.” (69) Es sind nicht, wie in A, zwei getrennte Sätze, die jeder für

sich das Thema antithetisch bestimmen, sondern es wird ein zusammenhängender Vorgang

erzählt.

Als “Erzählung” sind auch die dunklen Stellen der zweiten und dritten Strophe entschärft und

die Strophen rezipierbar. Die Pointe in der dritten Strophe, daß der Mann seinen echten

Schmerz und seine Tränen dem kunstvoll gestalteten Leid des Sängers entgegenhält (ich

übersetze die Stelle in Anlehnung an die Formulierung in der ersten Strophe “während ein

anderer voller Leid ist... ”, ein anderer, das ist, er selbst in seiner Rolle als Mann, wird

umgedeutet zu einem Vergleich: “... wie wenn einer still leidet.” (70)

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Page 57: Fremde Texte 2_Walther

In diesen neuen Kontext paßte keine theoretische Strophe als Schluß, das Spiel mit der

Bedeutung von minne, herzeliebe und liebe war dem Schreiber ohnedies nicht mehr

verständlich, da mhd. liebe in der Zwischenzeit die Bedeutung von nhd. “Liebe” angenommen

hatte. Es war aber möglich, der überlieferten Strophe mit kleinen Textänderungen einen Sinn

abzugewinnen, wenn man die Strophe als Einleitung zur Strophe Si ensol auffaßte und die

darin angesprochene Frau schon in der nun vorletzten Strophe einführte: diu guote diu mir gît

hôhen muot, dar zuo vröide unde wunne, “die Gute, die mir Hochstimmung, Glück und

Seligkeit gibt”. Das ist die Version des Liedes, die B und C erhalten haben.

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Page 58: Fremde Texte 2_Walther

Ir reinen wîp, ir werden man

Morungens Lied mußte den modernen Lesern ein unlösbares Rätsel bleiben, solange sie die

ungelösten Probleme jedes für sich isoliert zu lösen versuchten: ein unverständlicher Beginn,

ein unklarer Schluß, die ungewöhnliche Überlieferung, die tief in das Verständnis des Textes

eingreifenden Varianten, alle diese Elemente lassen sich jedoch als zusammengehörige

Schwierigkeiten eines Textes erkennen und auch verstehen. Dazu bedarf es eines anderen

Blicks, einer anderen Anschauung sowohl der Überlieferung als auch der Art und Weise, wie

sich in einem poetischen Text Bedeutung und Sinn konstituieren.

Die empirischen Daten, die vom Interpreten immer schon als geordnete Daten erfahren

werden, auch wenn er sich über die von ihm zugrundegelegten Ordnungsprinzipien keine

Rechenschaft ablegt, können nur mit einem Blick auf die Möglichkeiten innerhalb eines

systematischen Zusammenhangs in ihrer jeweils spezifischen Gegebenheit erkannt werden. De

Saussures Metapher vom système, où tout se tient hat sich somit als Instrument der Erkenntnis

sowie der Korrektur jenes platten Positivismus erwiesen, der in den Daten der Überlieferung

so wenig erkennt, daß er dem Interpreten freie Bahn lassen muß für jede beliebige Deutung des

Textes — empirische Arbeit am Text zugleich entgründend.

Die philologische Tradition der letzten hundert Jahre hat ein immer stärkeres Mißtrauen

gegenüber dem überlieferten Text entwickelt, das in den Neudichtungen C. von Kraus’ (wie

der von Morungens Lied!) und D. v. Kraliks ihren ruhmlosen Höhepunkt fand. (71) Es war ein

italienischer Germanist, Carlo Grünanger, der als einer der ersten gegen diese Methode und

nicht nur gegen ihre Auswüchse entschieden das Wort ergriff. (72) Die Wende der letzten

Jahre ist eine Abkehr von diesen Auswüchsen, genügt aber in dieser, einer pars destruens

verpflichteten Einsicht, noch keineswegs, um dem wissenschaftlichen Umgang mit Sprache

und Literatur ein neues Fundament zu geben.

Während der neue Trend, die handschriftliche Überlieferung beinahe im Rohzustand zu

präsentieren, die Bahn für neue Interpretationen bereitet, überleben die alten Interpretationen

sowie die Kunst der Interpretation, der sie ihre Entstehung verdanken. Walthers Lied Ir reinen

wîp, ir werden man, wohl eines der schönsten Gedichte des deutschen Mittelalters, ist ihr

denkwürdigstes Opfer. Dieses Lied hat erst in den letzten 50 Jahren Leser gefunden, die es

überhaupt als einheitliches Lied mit geordneter Strophenfolge anerkannten; aber jeder dieser

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Page 59: Fremde Texte 2_Walther

Leser hat eine andere Reihenfolge der Strophen rekonstruiert, jeder hat dem Lied einen neuen

Inhalt gegeben, und jeder war davon überzeugt, die allein richtige Lösung gefunden zu haben.

(73)

Walthers Lied stellt aber gar nicht die Aufgabe, die zu lösen in all diesen Interpretationen mit

so großem Aufwand versucht wurde. Die Überlieferung ist überhaupt nicht das Trümmerfeld

isolierter Strophen, zu welchem eine falsche Anschauung es gemacht hat. Im Gegensatz zur

Analyse von Morungens Lied, die einen motivierten verändernden Eingriff in seiner Logik

erkennen und danach rückgängig machen mußte, um zum verlorenen Lied in seiner

ursprünglichen Gestalt zu gelangen, bedarf es zum Verständnis von Walthers Lied nur (?)

eines Eingriffs in die überlieferten Meinungen, die den Blick auf das Lied und seine

Überlieferung völlig verstellt haben.

Wenn es gelingt, diese Barriere wieder zu entfernen, die von der Forschung um das Lied

errichtet wurde, dann zeigt sich, daß Walthers Lied in den Fragmenten von w in der

ursprünglichen Reihenfolge erhalten ist. Bisher war es tatsächlich einfacher, eine neue

plausible Anordnung der Strophen selbst zu konstruieren, als die authentische, die tatsächlich

überliefert ist — und die kein Interpret als plausible Reihung rekonstruiert hatte — zu

erkennen.

Die in drei Gruppen getrennte Überlieferung stellt sich, wenn wir die Strophen in der in w

erhaltenen Reihenfolge anordnen, folgendermaßen dar:

A BC w

3 1 1

4 2 2

1 5 3

2 3 4

5 4 5

Die Einsichten, die dieses Bild der Überlieferung vermittelt, sind ganz klar: aus einem

ursprünglich fünfstrophigen Lied wurden die dritte und die vierte Strophe eliminiert, so daß

der Block 1-2-5 als neues Lied von drei Strophen blieb; die ausgeschiedenen Strophen standen

aber als Nachtrag oder aus einer zweiten Vorlage auch später noch zur Verfügung und wurden

als Block der neugeschaffenen Dreiergruppe entweder voran- (A) oder nachgestellt (BC).

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Page 60: Fremde Texte 2_Walther

Das Ausscheiden dieser zwei Strophen aus dem ursprünglichen Gefüge ist motiviert durch die

auf dem Pergament unverständlich gewordene vierte Strophe, die einer anderen “Stimme”

gehört als die restlichen Strophen des Liedes. Starke thematische Bindungen zwischen der

dritten und der vierten Strophe verlangten, daß beide Strophen aus dem ursprünglichen

Sinngefüge entfernt wurden, als eine unverständlich geworden war.

Soweit das Ergebnis. Aber auch ohne auf ein präzises Ergebnis zielen zu wollen, ist dem

ersten Leseversuch die in w erhaltene Strophenfolge zugrunde zu legen, und nur im Falle, daß

diese Folge als völlig sinnlose Reihung erwiesen werden kann, sind arbiträre Eingriffe in die

Überlieferung notwendig, also textkritisch legitimiert.

Dieser erste Leseversuch von Walthers berühmtem Lied kann an einem Text unternommen

werden, an dem sich zeigen läßt, daß man ohne Konjekturen der handschriftlichen

Überlieferung auskommt: (74)

Ir reinen wîp, ir werden man,

ez stêt also daz man mir muoz

êr unde minneclîchen gruoz

nû volleclîcher bieten an.

des habet ir von schulden groezer reht dan ê.

welt irz vernemen, ich sage iu wes:

wol vierzec jâr hab ich gesungen oder mê

von minnen und als iemen sol.

dô was ichs mit den andern geil.

nune wirts mir niht, ez wirt iu gar.

min minnesanc der diene iu dar,

und iuwer hulde sî mîn teil.

Lât mich an eime stabe gân

und werben umbe werdekeit

mit unverzageter arebeit,

als ich von kinde habe getân.

swie nider ich sî, sô bin ich doch der werden ein.

genuoc in mîner mâze hô.

muet daz die nideren, ob mich daz iht swache? nein.

die biderben hânt mich deste baz.

der werden wirde ist sô guot,

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Page 61: Fremde Texte 2_Walther

daz man irz hoehste lop sol geben.

ezn wart nie hovelîcher leben,

swer sô dem ende tuot.

Mîn sêle müeze wol gevarn!

ich hân zer welte manegen lîp

gemachet frô, man unde wîp.

künd ich dar under mich bewarn!

lobe ich des lîbes minne, deis der sêle leit.

si giht, ez sî ein lüge, ich tobe.

der wâren minne giht si ganzer staetekeit,

wie guot si sî, wies iemer wer.

lîp, lâ die minne diu dich lât,

und habe die staeten minne wert.

mich dunket, der dû hâst gegert,

diu ensî niht visch unz an den grât.

Ich hât ein schoenez bilde erkorn.

Owê daz ichz ie gesach!

unt ie sô vil mit im gesprach!

ez hât schoen unde rede verlorn.

dâ wonte ein wunder inne; daz fuor ine weiz war.

dâ von gesweic daz bilde iesâ.

sîn rôserot, sin liljewîz wart kachelvar,

daz ez verlôs smac unde schîn.

mîn bilde, ob ich bekerkelt bin

in dir, sô lâ mich ûz alsô

daz wir ein ander vinden frô,

wan ich musz aber wider in.

Welt, ich hân dînen lôn ersehen.

swaz dû mir gîst, daz nimest dû mir.

wir gescheiden alle blôz von dir.

scham dich, sol mir alsô geschehen.

lîp unde sele hân ich (des was gar ze vil)

gewâget tûsentstunt dur dich.

nû bin ich alt und hast mit mir dîn gampelspil.

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Page 62: Fremde Texte 2_Walther

und zürn ich daz, sô lachest dû.

nû lache uns eine wîle noch

dîn jâmertac wil schiere komen,

und nimet dir swaz du uns hâst benomen,

und brennet dich dar umbe noch! (75)

Auch Walthers Lied hat die zwei Seelen im Inneren des Sängers zum Thema, aber im

Gegensatz zu Morungen ist es keine spielerisch pointierte Diskussion, die in einer ironischen

Klage endet, sondern Ausdruck einer Anschauung von sich selbst, die im Ernst und nicht nur

in der Fiktion einer Rolle ausgesprochen wird. Wie so oft in seinen Liedern entfaltet Walther

sein Thema in einer starken Spannung gegenüber dem Publikum, das in das Lied

hineingenommen wird oder zu dem der Sänger aus seinem Lied heraus spricht. Der Hinweis

auf das Altern des Sängers in Morungens Lied war konventionell. Für die Rolle des Sängers ist

das Alter kein pertinentes Merkmal. In Walthers Lied aber spricht ein alter Mann; sein Alter ist

nicht nur charakteristisch für die Rolle, sondern sie ist dem Lied zugleich Thema und Anlaß.

Das Lied setzt mit einer stark strukturierten Eingangssequenz ein, die das Interesse auf die

sechste Zeile hindrängt: “wollt ihr es hören, so sage ich euch weshalb...”; das höfische

Publikum der reinen wîp und werden man wird an eine Pflicht erinnert: es schulde dem Sänger

“nun” in noch höherem Maße ehrenvolle Anerkennung (das ist Aufgabe der Männer) und

liebenswürdigen Gruß (von Seiten der Damen) als je zuvor.

Die Textvarianten von w haben gegenüber A einen deutlich höheren Grad semantischer

Solidarität im Kontext: nû volleclîcher (statt noch vollecl”chen, “immer noch großen Dank")

und nû in Vers 5 in Opposition zu groezer reht dan ê, geben dem Anfang eine markante

Ausrichtung nach vorne, auf eine Antwort hin, welche die nicht gegebene Begründung des von

schulden nachholt.

Vierzig Jahre oder noch länger, habe er — so erklärt der Sänger seinen Anspruch — im

festlichen Rahmen, mit den anderen freudig gestimmt (geil), seine Pflicht als Sänger erfüllt.

Nun hat er an der freudigen Erregung keinen Anteil mehr. Aber sein Minnesang soll weiter

seine Aufgabe erfüllen: mîn minnesanc der diene dar, in w ohne iu - also die anspruchsvollere

Lesart: der Satz hat drei schwer betonte Glieder, nicht vier: mîn minnesanc - diene - iuwer

hulde. (76) Das zu Beginn gesetzte Thema ist damit bekräftigt. Der Sänger verkündet seinen

wohlverdienten Anspruch auf hulde, da heißt, seinen Anspruch auf Anerkennung seines

Dienstes nach den Konventionen höfischen Lebens.

62

Page 63: Fremde Texte 2_Walther

Zu einer Zeit, als die durchschnittliche Lebenserwartung der Männer dreißig Jahre betrug, war

ein Sänger, der auf über vierzig Jahre professioneller Tätigkeit zurückblicken konnte,

sicherlich ein “alter Mann”. Walthers “altes” Rollen-Ich ist jedoch weder senil, noch blickt es

mit Wehmut zurück auf ein erfülltes Leben. Dieses Ich tritt im Vollbesitz seiner Kräfte und im

vollen Bewußtsein des eigenen Wertes auf. “Sollte ich auch an einem Stock gehen (d. h. in

Zukunft, nicht jetzt!), so will ich noch um edle Würde mich bemühen, in unverdrossener

Mühe, wie ich es von Jugend auf getan habe.” Selbst dann, wenn er — noch älter geworden —

einen Stock nötig haben wird, wird er sich weiterhin so verhalten wie in der Gegenwart, der

sein Lied gilt und in der Vergangenheit, die er darin evoziert. Der Sänger berichtet von seinem

Lebensprogramm, das er bis an sein Ende weiter erfüllen wird. Im Abgesang erklingt die

Folgerung: “Wie niedrig (geboren) ich auch sein mag, so bin ich doch der werden ein. Dazu

ein Nachsatz: “Wenn das auch die niedrig Gesinnten ärgert, erniedrigt mich das? — Nein; die

recht Denkenden schätzen mich um so höher ein.” Hier wird ein Gegensatz zwischen nideren

und biderben ausgesprochen, der die Urteilskraft zum Gegenstand hat, nicht die Teilhabe an

der werdekeit höfisch gesinnter Menschen. Gegenüber der Lesart von BC in Vers 8 die

werden, die unverständlicherweise von den meisten Herausgebern und Interpreten der Lesart

von A vorgezogen wird, ist dies eindeutig die ausdrucksstärkere Variante, zugleich auch lectio

difficilior, da werden im unmittelbaren Kontext zweimal erwähnt wird, also Perseverations-

oder Antizipationsfehler sein kann.

Der werden wirde ist sô guot, fährt der Text nach A fort: der Sänger nimmt das Thema des

durch höfisches Leben erreichten Ansehens aus Vers 5 wieder auf — es verdiene das höchste

Lob, mit anderen Worten, es stellt das höchste dem Menschen erreichbare Ziel dar. Er selbst

hat es angestrebt, “es hat nie ein höfischeres Leben gegeben, als wenn einer sô (also ein

textinterner Verweis auf zuvor Gesagtes) dem ende tuot.

Im Text nach A ist hier, aus der Sicht metrischer Einheitlichkeit der Versfügung gesehen, eine

Lücke. Wird sie nicht geschlossen, erhält jedes Wort in diesem Vers Schwere und zusätzliche

Bedeutung durch die nun notwendigen Pausen. Es ist der zentrale Satz des Liedes, der auf

diese Weise hervorgehoben wird, der Satz, der die Werte des höfischen Lebens als die

höchsten im Leben eines Menschen deklariert, den Sprecher mit seinem berechtigten Anspruch

vorstellt, an diesen Werten teilzuhaben, und zugleich mit dem Thema des “Endes” den

nachfolgenden Einwand gegen dieses Weltbild vorbereitet.

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Page 64: Fremde Texte 2_Walther

Die Textvarianten von A zeigen gegenüber den Varianten von B C eine alle Varianten gleich

betreffende Kohärenz, die nun beide Texte als sinnvoll geordneten Ausdruck einer jeweils

anders verstandenen Vorlage ausweist.

A

der werden wirde ist sô guot,

daz man irz hoehste lop sol geben.

ezn wart nie hovelîcher leben,

swer sô dem ende tuot.

BC

diu werde wirde diu ist sô guot,

daz man ir das beste lop sol geben.

ez wart nie lobelîcher leben,

denne swa man dem ende rehte tuot.

In BC ist eine starke semantische Solidarität erreicht, die im Gegensatz zur höfischen und

damit als “weltlich” konnotierten Sprache in A das Lob in der Sprache der Moral wiedergibt

und damit dem Ethos der Welt entzieht. Es folgte danach die Strophe, die mit den Worten

einsetzt: Welt, ich hân dînen lôn ersehen! Die in A erhaltene Fassung des zweiten Stollens

zeigt hingegen nicht nur eine stark ausgeprägte semantische Solidarität innerhalb des

Strophenpaars, an dessen Ende diese Worte gesungen werden, sondern auch zum Beginn der

ursprünglichen dritten Strophe, die das eben erst neu eingeführte Thema des Lebensendes

explizit aufnimmt, Mîn sêle müeze wol gevarn!, andererseits jedoch das Thema der ersten zwei

Strophen, das Sichbemühen um höfische werdekeit zum Abschluß bringt: “Meiner Seele möge

es wohl ergehen! Ich habe im weltlichen Leben vielen Menschen, Männern und Frauen, zur

Freude verholfen. Hoffentlich gereicht mir das nicht zum Verderben!”

Es ist der wohlbekannteste Anspruch der “Seele”. Selbst der Traktat des Andreas Capellanus

von der höfischen Liebe, De arte honeste amandi, kann sein Thema nur ausführen unter der

Bedingung, daß der religiöse Aspekt des Problems für eine Weile beiseitegelassen wird: sed

divinarum rerum ad praesens disputatione omissa. Das kunstvoll erstellte Gerüst der

Liebeskasuistik ist in jedem Moment bedroht von der Einsicht: Ergo, si servire Deo tantum

vultis eligere, mundana vos oportet cuncta relinquere. (77)

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Page 65: Fremde Texte 2_Walther

Davon spricht jetzt auch der Sänger in Walthers Lied. Er referiert Worte der Seele: “sie sagt,

ich lüge, ich sei von Sinnen, und sie spricht von der Standhaftigkeit der echten Liebe, wie

wertvoll die sei und daß sie immerfort währe.” Dann zieht er das Resumé für sich selbst, aber

es ist keine harte Entscheidung, die hier erklingt. Im belehrenden Ton volkstümlicher Weisheit

spricht da einer mich dunket, der dû hâst gegert, diu ensî niht visch unz an den grât — nicht

nur ein Kontrast zu den schwerwiegenden Folgen, die der Sänger kurz zuvor in Erwägung

gezogen hatte, sondern auch ein “Bruch” in der sprachlichen Haltung der Rolle. “Leib, laß die

Liebe, die dich läßt, und halte die beständige Liebe hoch”, übersetzt Maurer den Beginn dieses

Stollens. Warum sollte aber gerade der Leib die Aufgabe erhalten, die wahre Liebe zu pflegen?

Und von wem erhält er diesen Rat? Vom selben Sänger, der gerade sein lebenslanges Werben

um Ansehen in der Welt verkündet hat, das heißt vom “Mann” im Rollen-Ich des Liedes? Wer

den Satz so versteht, legt dem Sänger den Gedanken an eine radikale Umkehr in den Mund.

Das Rollen-Ich beugt sich dem Diktat der Seele und wendet sich mahnend an den eigenen

Leib.

Es soll gar nicht darüber geurteilt werden, ob eine solche Wende im thematischen Aufbau des

Liedes sinnvoll ist, und ob es ein poetisch gelungenes Bild ist, das der Dichter da zeichnet: das

kurz zuvor noch so selbstsichere Ich, das nun in sinnierender Haltung zu seinem Körper

spricht. Zu fragen ist allein, ob diese Deutung aus dem Text ohne Alternativen hervorgeht,

gleichsam ohne den interpretierenden Eingriff des modernen Lesers, den eine solche Abkehr

von den unsicheren Werten der Welt im Gedanken an den nahen Tod von seinem eigenen

Weltbild her plausibel scheint und der daher zufrieden zur Kenntnis nimmt, daß selbst ein

lebenslang weltlich Gesinnter noch im letzten Moment, in dramatischer Zuspitzung gleichsam,

eben die Wendung zu den religiösen Werten akzeptiert, die er noch wenige Sätze zuvor aus

seinem Weltbild ganz ausgeklammert hatte. Es gibt für solche Zweifelsfälle, wo der Sinn eines

ganzen Werkes in einem einzigen Wort kondensiert scheint und wo sich die Interpretation an

der Deutung dieses Worte oder eines winzigen Textsegmentes zu entscheiden hat, nur ein

sinnvolles Verfahren, das hier schon wegen der sprachlichen Ambivalenz des Wortes lip, das

“Leib” bedeuten kann, aber auch “Mensch” oder einfach an Stelle eines Pronomens verwendet

wurde, ohnedies naheliegt: die zweifelhafte Stelle soll unbelastet bleiben vom onus probandi,

das sie zum Kronzeugen der Interpretation werden läßt.

Die Strophe besteht aus drei deutlich getrennten Sprechakten: im ersten weist der Sprecher mit

hoher Frequenz auf sich selbst, mîn sêle und das dreimal gesetzte Pronomen der ersten Person

in nur vier Versen! Es folgen drei Verse mit den in indirekter Rede wiedergegebenen Worten

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Page 66: Fremde Texte 2_Walther

der Seele und, neu ansetzend mit lîp und nachfolgendem Imperativ, die Aufforderung, der

echten Liebe zu folgen:

Laß die vergängliche Liebe

und halte die beständige in Ehren.

Mir scheint, die Liebe, der dein Sehnen galt,

die ist nicht Fisch bis hin zu den Gräten.

Es ist ein Rat, der hier erteilt wird, und das sprechende Ich hat die sprachlichen

Charakteristiken, die wir in Analogie zu anderen Fällen als Merkmale der “Spruchdichter-

Rolle” bezeichnen können. Die Sentenz ist nicht das letzte Wort des Sängers, der hier in der

Fiktion dieses Disputs sich selber einen Rat gegeben hat.

Der Wechsel der “Stimme” kommt an dieser Stelle nicht unbedacht und zufällig. Er ist durch

das lange Zitat in indirekter Rede vom bis dahin homogenen Sprechakt des Sänger-Ich klar

getrennt. Und nach dem Rat, den der Sänger in der Rolle dessen vorbringt, der Anteil hat an

der anonymen Weisheit der Sprüche und Sentenzen des Volkes, erteilt er in der nun folgenden

Strophe der Seele selbst das Wort. Da das von der Seele verwendete Wort für den Menschen

bilde auch bei Walther an anderen Stellen mit stark religiösen Konnotationen auf den

Schöpfungsakt Gottes verweist, übersetze ich es mit “Geschöpf”; das nicht ganz klare

kachelvar (A) in Vers 7, das den Gegensatz zur farbigen Blüte des Lebens ausdrückt, (78)

übersetze ich mit dem nhd. Adjektiv, das dieselben Konnotationen ausdrückt, “aschfahl”.

Ich hatte mir ein schönes Geschöpf erkoren.

O weh, daß ich es je erblickt habe,

und daß ich so viel mit ihm gesprochen habe!

Es hat nun seine Schönheit und seine Sprache verloren.

Ein Wunder war in ihm, das ist wer weiß wohin entflohen,

das Geschöpf ist darob verstummt

und sein (lebendiges) Rot und Weiß wurde aschfahl,

sodaß es allen Duft und Glanz verlor.

Mein Geschöpf, bin ich eingekerkert

in dir, so laß mich frei,

daß wir einander voller Freude (einst) wiederfinden,

denn ich werde in dich zurückkehren!”

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Page 67: Fremde Texte 2_Walther

In der letzten Strophe spricht wieder das Rollen-Ich vom Anfang des Liedes. Dieses Ich

antwortet nun auf die von den verschiedenen Stimmen vorgetragenen Ratschläge und Lehren.

Und in dieser Antwort ist keine Spur von Widerruf oder Resignation. Gut, die Welt wird ihren

Sieg erringen und dem Menschen nehmen, was sie ihm gegeben hat. Aber Walther blickt auch

in diesem Moment unbeirrt vorwärts und nutzt die Chance seines christlichen Weltbildes, ohne

sich ihm auszuliefern. Er läßt das Lied mit einem grimmigen Blick nach vorne enden, zum

Jüngsten Gericht, wenn die Welt in Asche versinken wird, er aber wiedererstehen wird in

seiner vollen Integrität.

So verlache uns noch eine Weile.

Wir werden bald deinen Jammertag erleben.

Der nimmt dir, was du uns genommen hast

und verbrennt dich noch dafür!

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Page 68: Fremde Texte 2_Walther

Walthers Alterston: Ir reinen wîp, ir werden man (1986)

Bei Walthers Lied ir reinen wîp, ir werden man beeinflußt der Gedanke an die möglichen

Interpretationen bereits die Haltung der modernen Interpreten gegenüber den handschriftlichen

Zeugnissen. Da in den Handschriften drei unterschiedliche Strophenfolgen überliefert sind,

scheint dieses Lied der textkritischen Ratio weitgehend entzogen und in besonderem Maße der

interpretatorischen Aneignung überantwortet. Jede Deutung des Liedes bringt einen eigenen

Text hervor, dem allein, streng genommen, das interpretierende Bemühen des modernen

Lesers jeweils gilt.

Daß der Interpret den Text erst schafft, ist hier keine Metapher; Lachmann hatte nur die beiden

ersten von fünf überlieferten Strophen als zusammengehörig ediert, Wackernagel gar jede

Strophe einzeln gedruckt. Bis in die Gegenwart reichen die Zweifel, und ein obligatorisches

Fragezeichen eröffnet auch die jüngsten wissenschaftlichen Arbeiten zu die Lied. Diese

Zweifel stechen ab von einer Gegenposition, die seit dem ersten Versuch, die Einheit des

Liedes nachzuweisen (C. von Kraus 1925), an ihrem sprachlichen Duktus sich zu erkennen

gibt: “Die richtige Reihung ergibt sich aus einer eindringlichen Interpretation; sie zeigt

zugleich, daß ein unteilbares, von einem einheitlichen Gedanken durchzogenes Lied vorliegt.”

(1) Diesem “einheitlichen Gedanken” gilt seitdem das Bemühen der Interpreten. Bei Carl von

Kraus ist es die Formel am ende rehte tuon, der sich Deutung wie Textherstellung beugen

müssen:

Mit der wernden wirde, mit dem Begriff guot und mit dem Gedanken, daß beides nur

dem zuerkannt werden kann, was sich bis zum Ende bewährt, ist das Thema für alles

Folgende gegeben: von der Welt gilt alles das nicht (III); vom lîbe auch nicht (IV); und

von des lîbes minne gleichfalls nicht (V). (2)

In den nachfolgenden Versuchen von G. Jungbluth und W. Mohr sind es die Motive der

“inneren Umkehr” bzw. der “Resignation”:

Von ernstlichen Mahnungen der Seele beunruhigt und eigener Erfahrung eingedenk

willens, ihnen Gehör zu leisten, tritt der Dichter vor sein höfisches Publikum, vor dem

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Page 69: Fremde Texte 2_Walther

er vierzig Jahre lang vergänglich-irdischer Schönheit in seinem Sang gehuldigt hat, tut

seine Absicht dar, fürder diesem Gesang zu entsagen, vertraut sein Werk der Obhut der

Gesellschaft an und kündigt an, was er nun zu tun sich entschlossen hat: nämlich sein

lebenslanges strebendes Bemühen durch einen Akt zu krönen, der auf ein

unvergängliches und himmlisches Ziel ausgerichtet sein wird - durch eine Pilgerfahrt.

(2)

Dieses Bild der schönen Welt verlischt in Todesnähe, aber der Dichter findet in letzter

Stunde die Worte, schmerzlich davon Abschied zu nehmen. Diesen Moment

festzuhalten ist der Dichtung selten gelungen; Fausts Erblinden ist wohl das einzige,

was man vergleichen könnte. (3)

Diese drei Interpretationen, die unter dem Thema der Absage an die Welt stehen, gelten drei

unterschiedlichen Strophenfolgen, das heißt, drei verschiedenen Texten. Die von der je

individuellen Ansicht über Mögliches und Plausibles bestimmte Interpretation stößt — wie es

scheint — bei den nachkommenden Lesern leicht auf Unglauben, und an ihrer Kritik entzündet

sich der Gedanke an eine bessere, d.h. eine noch plausiblere Lösung.

Umso erstaunlicher muß es daher scheinen, daß es möglich ist, wie Peter Dronkes Deutung des

Liedes nahelegt, der von Mohr interpretierten Strophenfolge einen geradzu entgegengesetzten

Sinn abzugewinnen. Auch Dronkes Interesse gilt dem “schönen Bild” in der letzten Strophe,

nun aber “als Bild seines Ideals” gesehen,

der ganzen Schönheit und Liebe, nach der er in Dichtung und Leben gestrebt hatte. [...]

Jetzt weiß er, daß das Bild, selbst wenn er seiner müde geworden ist und es

vernachlässigt hat, sein Bild ist, das Ende, dem sein Leben gerecht werden muß. Wenn

seine Seele ihn versucht, sein Bild zu verleugnen, ein anderes, fremdes dafür

einzusetzen, dann ist sie im Unrecht. Für einen Dichter der menschlichen Liebe und

Ehre liegt die endgültige Vollendung, die Erlösung in seinem Dasein als Dichter der

menschlichen Liebe und Ehre. Er muß die Freiheit haben, “das, was er immer war”, zu

finden und schließlich wieder darin einzutreten, und zwar nicht, als ob er in ein

Gefängnis zurückkehrte, sondern zu der Bestimmung, die er frei gewählt und ein Leben

lang zu erreichen gesucht hat. [...] Es geht nicht um den Sieg für Seele oder Körper,

sondern für den Menschen Walther, wenn er angesichts der Zweifel, die ihn gequält

haben, erkennt, daß es nicht der Verrat an seinen lebenslangen Idealen als Mensch und

Dichter, sondern das freudige endgültige Bekenntnis zu ihnen ist, worauf sein Wert in

der Ewigkeit beruht. (4)

69

Page 70: Fremde Texte 2_Walther

Diese Interpretation ist nicht nur als “Antwort” auf einen Text entstanden, sondern zu gleich

als Widerspruch gegen das Vorurteil, auf dem die bis dahin vorgetragenen Deutungen so

offensichtlich gründeten. Es ist schwierig, sich der Faszination von Dronkes alternativer

Deutung zu entziehen, spricht sie doch für Walther — und gegen seine Interpreten. Aber

Dronkes Deutung von Walthers bilde ist kaum mehr als eine intuitive Verteidigung des

Dichters, die den Blick schärfen hilft für den Hintergrund, vor dem auch diese alternative

Deutung vor sich geht.

Den Nachkommenden ist nun eine Entscheidung abverlangt, die neu ist, eine ideologische

Vorentscheidung gleichsam darüber, was der Interpret diesem Text oder seinem Autor

zumutet. Dronkes salopper Gegenentwurf, der — wie noch zu zeigen ist — philologisch

unhaltbar ist, bringt den großen Erkenntnisgewinn, den jede Überwindung eines “Vorurteils”

darstellt: mittels der unerwarteten Alternative zu zeigen, daß die alten Versuche veränderbar

sind, daß sie nicht in einem natürlich vorbestimmten Raum der Deutung erfolgen, sondern

ebenso einem Vorurteil verpflichtet sind, wie der neue Versuch es offensichtlich ist.

Ist somit der Blick für den Hintergrund geschärft, so stellen sich auch die jeweiligen

“Korrekturen” in einem neuen Lichte dar. Sie erscheinen nun ebensowenig “natürlich”, wie

schon der erste Versuch, dem ihr Bemühen gilt, auf natürliche Weise entstand. Es sind

philologische Korrekturen, aber sie korrigieren ein “Bild”, das nicht mit philologischen Mitteln

gewonnen wurde, in Hinblick auf ein anderes Bild, dessen Ursprung ebenfalls nicht

philologischer Natur ist. Es sind kleine Abweichungen von einem vorgezeichneten Weg. Der

Nachkommende findet einen Rahmen, den er aber nicht als solchen wahrnimmt; was er sieht,

sind Details. Jeder verbessernde Eingriff, der immer nur einem Detail gilt, stützt diesen

Rahmen, indem er ihn unberührt läßt. So versuchen die Carl von Kraus nachfolgenden

Interpreten jeweils bessere Hypothesen über die Strophenfolge aufzustellen, bei

gleichbleibender Tendenz der Interpretation. Wer die Grundentscheidung von Dronkes

Interpretation teilt, sich aber um ein strengeres philologisches Verfahren bemüht, wird eine

Korrektur von Dronkes Analyse des Wortes bilde anstreben. So bestimmen Interpretationen

den thematischen Schwerpunkt von nachfolgenden Interpretationen.

So wie Dronkes weitreichende Neubewertung an der Deutung eines einzelnen Wortes ansetzt,

haben auch die älteren Interpretationen dieses Liedes ein übergewichtiges Zentrum: in seinem

Bemühen, die Strophen mit einem Blick auf den Anfang, wie auf den Schluß sinnvoll zu

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Page 71: Fremde Texte 2_Walther

ordnen, ging Carl von Kraus so weit, in der Schlußstrophe eine Wendung Walthers zur

“Gottesminne” zu postulieren, ein Leseakt, in dem ihm niemand gefolgt ist. Die Interpretation

von Günther Jungbluth hat ihr Zentrum in der Deutung des Satzes zu Beginn der zweiten

Strophe, lât mich an eime stabe gân, der, mit Sinn überfrachtet, zum Wunsch nach einer

Pilgerreise wird — was die Leser dieser Interpretation nicht zu überzeugen vermochte. In der

“letzten” Strophe hat hingegen die Interpretation von Wolfgang Mohr ihr übergewichtiges

Zentrum, wo Mohr — gegen die sprachliche Evidenz — einen Dialog zwischen dem

Menschen und seiner Seele rekonstruiert, dessen Funktion eigentlich nur darin besteht, das

unverstande Wort bilde deutbar zu machen.

In der jüngsten wissenschaftlichen Arbeit zu Walthers Lied erscheint das in der Forschung

fragwürdig gewordene Einzelwort des Textes bereits im Titel: “Walthers bilde”. Der Autor,

der englische Germanist Timothy McFarland, gibt eine differenzierte Darstellung mit

umfangreichen philologischen Begründungen, die im Ergebnis, oft sogar in wörtlichen

Anklängen, mit der Interpretation von P. Dronke übereinstimmt:

When Walther does treat the conflict of body and soul, we see that he appears to remain

slightly detached from it; his main concern is with the survival of his own self, which is

threatened by this dichotomy. [...] The eschatological goal on which his attention is

fixed is not the souls salvation, but the resurrection of the body, seen in terms which

suggest a view of man made in the image of God. [...] We may go further than this,

because of the way in which this poem sums up and revalues the themes of much of

Walther’s poetry in the light of old age; and say that the ich of L 68,7 will carry with

him the whole of Walther’s poetry. (5)

Mohr, Dronke und McFarland interpretieren Walthers Lied in derselben, in den Handschriften

B und C tatsächlich überlieferten, Strophenfolge. Während jedoch Mohr und Dronke die in der

Folge gewonnene Einheit betonen, kommt McFarland zur entgegengesetzen Anschauung: “the

strophes exist independently of each other”, verbindend sei jedoch der gemeinsame

Standpunkt, unter dem die einzelnen Themen behandelt werden; B und C überliefern di

Strophen in einer so sinnvollen Anordnung, daß wir diese Reihenfolge als die richtige

anerkennen sollten.

Die “richtige” Reihung der Strophen bleibt somit ein entscheidender Faktor der Interpretation,

obwohl der Autor die Autonomie der Einzelstrophen hervorhebt. An der Stelle seiner Arbeit,

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Page 72: Fremde Texte 2_Walther

wo er von der handschriftlichen Überlieferung handelt, läßt McFarland jedoch deutlich

erkennen, wie das unterschwellige Interesse an der Ordnung schon sehr früh — und von

diesem unbemerkt — die Schritte des Interpreten zu lenken beginnt. Wenn wir die Strophen,

B/C als Norm folgend, numerieren, zeigt die Überlieferung folgendes Bild:

A B/C w

4 1 1

5 2 2

1 3 4

2 4 5

3 5 3

McFarland sieht die beiden relativ stabil überlieferten Strophenpaare, 1/2 und 4/5; zu Strophe

drei merkt er an: “The remaining strophe follows L 66,21 ff. and L 66,33 ff. in MSS A, B and

C, although it is thematically more closely related to L 67,20 ff. and 67,32 ff., which follow it

in B and C”, mit anderen Worten, die Reststrophe 3 folge dem Strophenpaar 1/2, obwohl sie

thematisch besser in Anschluß an 4/5 passe. Diese “passendere” Reihenfolge ist aber im

Fragment w tatsächlich überliefert. Wird der thematischen Folge großes Gewicht beigemessen,

so müßte eigentlich das Textzeugnis w besonderes Interesse verdienen; ist dieses Kriterium

hingegen für die philologische Rekonstruktion des Liedes ohne Bedeutung, so sollte es

überhaupt nicht ins Spiel gebracht werden.

Diese Inkohärenz methodischer Natur läßt erkennen, daß auch hier die “philologische”

Erkenntnis vor dem Hintergrund vorbestimmter Urteile vor sich geht, die den Ergebnissen der

wissenschaftlichen Arbeit im konkreten Fall sogar widersprechen können. So betont

McFarland als Ergebnis seiner Untersuchung die Autonomie der Strophen, die Position einer

bestimmten Strophe wird von ihm jedoch in Hinblick auf die vorhergehenden Strophen

festgelegt. Die kritische Arbeit an Text und Überlieferung geht also mit Hilfe einer

“Anschauung” vor sich, die es — ihrer tatsächlichen Bedeutung gemäß — nicht nur vom

Makel des Vorurteils zu befreien gilt, sondern die es verdiente, selbst als Ergebnis der

philologisch-kritischen Arbeit am Text anerkannt zu werden.

Die Geschichte der Interpretationen dieses Liedes zeigt, daß die thematische Bindung

zwischen zwei (oder mehreren) Strophen dem modernen Leser auf ganz unterschiedliche

72

Page 73: Fremde Texte 2_Walther

Weise evident werden kann; und jeder Interpret war überzeugt, gerade ihm sei es gelungen,

mit seiner Rekonstruktion die richtige Lösung zu finden.

Es muß auffallen, daß bei all diesen Versuchen, die unterschiedlichsten Reihungen jeweils als

allein plausible zu erklären, die in w tatsächlich überlieferte Folge noch nie als “plausible”

Anordnung erklärt worden ist. Diese Grenze der Plausibilität gilt es ins Auge zu fassen. Um

sie zu überwinden, bedarf es eines theoretischen Gerüstes, das nicht vom Inhalt des Liedes her

(vor-)bestimmt ist, und das auch nicht erst in dem Moment zur Verfügung steht, in dem der

Interpret es “braucht”, nämlich im Moment des “Verstehens”. Ein mittelalterliches Lied, das

mit sinnändernden Textvarianten und mit unterschiedlicher Strophenreihung überliefert ist,

stellt nicht nur die Frage nach seinem Gehalt, sondern auch die nach der Logik seiner

Überlieferung, die dem Philologen zum Problem wird als Logik der verändernden Eingriffe im

Moment der Rezeption.

Die somit als Ziel der Untersuchung geforderte Hypothese zur handschriftlichen Überlieferung

ist kein Versuch, des geschichtlichen Moments habhaft zu werden, in welchem eine bestimmte

Handschrift oder ihre Vorlage tatsächlich enstanden ist; eine solche Hypothese versucht allein,

die empirisch verfügbaren Daten der Überlieferung so zu “ordnen”, daß die Erklärung der

einzelnen Phänomene sich zu einem widerspruchsfreien Ganzen fügt, zu einem système où

tout se tient, das — wie in der strukturalistischen Tradition — nach seiner Funktion

bestimmbar wird.

Wenn wir, auf dem Weg zu einer solchen alternativen Anschauung der handschriftlichen

Überlieferung, die Strophen nicht nach dem Vorbild von B/C, sondern nach w durchgehend

numerieren, dann erscheint die Überlieferung in einem ganz anderen Bild:

A B/C w

3 1 1

4 2 2

1 5 3

2 3 4

5 4 5

Obwohl gegenüber der ersten Anordnung nichts verändert ist, gibt dieses Bild mehr als eine

bloße Übersicht über die erhaltenen Strophen; es suggeriert nämlich zugleich eine Hypothese,

indem es eine Anschauung von jenem Prinzip vermittelt, das den verändernden Eingriffen

73

Page 74: Fremde Texte 2_Walther

zugrunde liegen könnte. Aus einem ursprünglich fünfstrophigen Lied — so die Hypothese —

seien die dritte und die vierte Strophe ausgeschieden worden, so daß der Block 1-2-5 als neues

Lied von drei Strophen verblieb; die ausgeschiedenen Strophen standen aber auch später noch

zur Verfügung und wurden der neugeschaffenen Dreiergruppe entweder vorangestellt, wie in

A, oder nachgestellt, wie in B/C.

Diese Hypothese wurzelt in einer Anschauung der handschriftlichen Überlieferung, der alle

Elemente als potentiell gleichwertige Akteure eines Spiels von Beziehungen anerkannt

werden, so daß es nötig ist, in einem weiteren Schritt dieses Potential einzuschränken. In

diesem Bild ist kein Raum für Kategorien wie der “übriggebliebenen” Strophe, die wir in den

traditionellen Analysen als “Rest” vorfinden, nachdem der moderne Beobachter das ihm

vorliegende Material mit “seinen Augen” angesehen hat.

Es gibt, wenn wir von unserem Vorwissen einmal absehen, nur zwei Arten von besonders

markierten Strophen: die jeweils erste einer Reihe und die jeweils letzte. Unter diesem

Gesichtspunkt betrachtet, sticht w unter den Textzeugen dadurch hervor, daß w ( und nur w!)

mit BC die erste Strophe gemein hat, mit A jedoch die letzte. Dieser Befund kann, bei

umgekehrter Perspektive, so gelesen werden, daß A den (hypothetischen) Nachtrag auf eine

Weise zur älteren Dreiergruppe gefügt hätte, daß die letzte Strophe tatsächlich die letzte blieb,

während B/C, umgekehrt verfahrend, die erste Strophe des reduzierten Liedes 1-2-5 als erste

der fünfstrophigen Komposition bewahrt hätte. Die beiden Verfahrensweisen sind

gleichermaßen plausibel, und ihre Plausibilität trägt nun in der Form eines

Erklärungspotentials der handschriftlichen Überlieferung dazu bei, daß auch die zuerst

formulierte Hypothese an Plausibilität gewinnt.

Die Plausibilität der Hypothese hängt also nicht vom Urteil dessen ab, der sie gerade

aufgestellt hat, sondern von den mit ihrer Hilfe gewonnenen Einsichten. Dieser indirekte Weg

der Kontrolle ist ein erster, entscheidender Damm gegenüber der Bereitschaft des modernen

Lesers, die Texte mit Sinn aufzuladen, noch bevor er diese Texte “angehört”, sie zum

Sprechen gebracht hat.

Seit über einem Jahrhundert bemühen sich Forscher um dieses Lied, seit mehr als fünzig

Jahren im Bewußtsein seiner thematischen Einheit. Als Ergebnis dieser Arbeit steht ein

unverständlicher Satz, Ich hât ein schoenes bilde erkorn, dessen “Verständnis” weitreichende

Folgen hat: versteht man bilde, wie C. v. Kraus es tut, als Hinweis auf Walthers Minnesang, ist

die Stelle freilich entschärft, zugleich wird dabei die Strophe inhaltlich so stark entleert, daß

sie an einer beliebigen anderen Stelle des Liedes zu stehen kommen kann. In der Interpretation

74

Page 75: Fremde Texte 2_Walther

von G. Jungbluth wird das Gewicht einseitig auf das Motiv des Stabes gelegt, sodaß die

Strophe, in der vom schoenen bilde gesprochen wird — an eine andere Stelle des Liedes

gerückt —, ebenfalls an Bedeutung verliert. Wird das Wort hingegen nicht vom Interpreten in

den Hintergrund gedrängt, dann zeigen sich erstaunliche Folgen: Mohr ist gezwungen, die

Strophe in Rede und Gegenrede zu teilen; Dronke entzieht sich der philologischen Problematik

im hohen Flug seiner alternativen ideologischen Deutung, und McFarland, der die

philologischen Probleme gelöst hat, kommt dadurch zur Überzeugung, Walthers Lied bestehe

aus selbstständigen Einzelstrophen — ein Ergebnis, das die Forschung eigentlich wiederum an

den Punkt zurückführt, von dem sie vor einem halben Jahrhundert ausgegangen war.

Könnten Eingriffe der modernen Leser überhaupt drastischer gedacht werden, als diese vier

Versuche, auf ein von der Überlieferung gestelltes Problem zu antworten? Es scheint nicht

ganz abwegig, daraus den Schluß zu ziehen, diese Strophe sei eigentlich — trotz aller

gelehrten Versuche — bis heute unverständlich geblieben.

Ist es zu kühn, zu vermuten, diese Strophe habe schon den Schreibern im 13. Jahrhundert

dieselben Schwierigkeiten bereitet? Und verbirgt sich die Lösung vielleicht gerade in der

Erkenntnis des Problems selbst, daß sich die handschriftliche Überlieferung gerade an dieser

Stelle aufspaltet, und damit ein empirisch überprüfbares Indiz gibt für ein sehr altes

Verständnisproblem?

Die Grenze zwischen “normaler” und problematischer Rezeption liegt bei diesem Lied am

Ende der zweiten Strophe, das ist aber nicht gleichbedeutend mit dem Beginn der dritten

Strophe, denn nach dem Eingriff wird nicht mehr die alte dritte, sondern die letzte Strophe an

dritter Stelle stehen. Von dieser neuen Anordnung aus betrachtet, findet sich demnach eine

zweite “Bruchstelle” zwischen der ursprünglich vorletzten und der letzten Strophe.

An der zweiten Grenze finden wir nun gerade die Strophe mit dem noch heute

problematischen Wort bilde, dessen Verständnis nur mit Hilfe des Kontextes möglich ist; wird

dieses Verständnis jedoch nicht erreicht, so hat dies Folgen, die auf denselben Kontext

zurückwirken.

Am Ende der zweiten Strophe hingegen überliefern A und B/C zwei unterschiedlich gestaltete

Redaktionen, die, beide mit großer inhaltlicher Kohärenz, auf zwei verschiedene Kontexte

“antworten” — und zwar eine von ihnen auf den neuen Kontext, der nach der Ausgliederung

der Strophen drei und vier entstanden war.

A B/C

75

Page 76: Fremde Texte 2_Walther

der werden wirde ist sô guot, Diu werde wirde diu ist sô guot,

daz man in daz hoehste lop sol geben. daz man ir das beste lop sol geben.

ezn wart nie hovelîcher leben, Es wart nie lobelîcher leben,

swer sô dem ende tuot. Danne swa man dem ende rehte tuot.

Die Würde der edlen Menschen ist so wertvoll, Die dauernde würdige Haltung ist so wertvoll,

daß man ihnen das höchste Lob zollen muß. daß man ihr das höchste Lob zollen muß.

es gab nie ein höfischeres Leben, Es hat nie ein preisenswerteres Leben gegeben

als wenn einer so am Ende handelt. als wenn einer dem Ende gerecht wird.

In der Fassung A wird den Menschen höfischer Lebensart das höchste Lob zugesprochen, in

BC hingegen wird eine abstrakte Eigenschaft gelobt, die wirde. In B/C ist eine starke

semantische Solidarität erreicht, die im Gegensatz zur höfischen und damit als weltlich

konnotierten Sprache von A das Lob in der Sprache der Moral wiedergibt und damit dem

Ethos der Welt entzieht. Derjenige sei zu loben, der so lebe, daß er seinem Ende gerecht

werde: es ist eine allgemeine Aussage, die hier erklingt, und nicht die Selbsteinschätzung eines

sprechenden Ich, wie in A. Mit dem Hinweis auf die werden und mit sô werden in A zwei

anaphorische Bezüge zum Kontext geschaffen, die dem Schluß der zweiten Strophe den

Charakter eines abschließenden Gedankenganges verleihen. Dazu paßt die Betonung der

höfischen Werte, denen auch der Anfang des Liedes gewidmet ist, an gerade dieser Stelle:

hovelîcher ist, textkritisch gesehen, die lectio difficilior gegenüber lobelîcher in B/C.

In der Fassung von B/C, die sich durch diese Indizien bereits als Bearbeitung einer Vorlage

erwiesen hat, sind auch die für A so charakteristischen anaphorischen Bezüge eliminiert; die

Strophe gewinnt dadurch an Freiheit gegenüber ihrem Kontext, und kann nun, von ihrem

eigenen thematischen Zentrum aus — der Betonung moralischer Werte — mit der neuen

Folgestrophe auf ganz neue Art inhaltlich verbunden werden.

In der (ursprünglichen) Fassung, deren Textvarianten offensichtlich in A erhalten sind, nimmt

das Lied, nachdem das Stichwort vom Lebensende gefallen ist, mit dem Gedanken an die

eigene Seele des sprechenden Ich eine Wende.

Der nachweisbare Eingriff in den Text der Vorlage am Ende der zweiten Strophe und das

Ausscheiden der alten Strophen drei und vier sind bei dieser hypothetischen Rekonstruktion

nicht nur als gemeinsam motiviert, sondern auch als gleichzeitig entstanden zu denken. Der

innovierenden Textfassung am Ende der zweiten Strophe käme die Aufgabe zu, die Strophe

76

Page 77: Fremde Texte 2_Walther

mit der unmittelbar nachfolgenden neuen Schlußstrophe zu einem kohärenten Ganzen zu

verbinden.

Beim Versuch, diese Hypothese dem modernen Leser erfahrbar zu machen, kann an die Stelle

des mittelhochdeutschen Textes eine Übersetzung treten. In diesem ersten Schritt kann die

Hypothese nur an der Evidenz bewertet werden, die das Ergebnis für den Leser hat. Auch

gegenüber der Evidenz ist jedoch kritisches Bemühen des Beobachters vonnöten. Jede

Übersetzung verändert den Text, wie auch jeder Akt des Lesens. Übersetzungen unterscheiden

sich daher nicht qualitativ von Originaltexten: in ihnen ist die Problematik des Verstehens

gleichsam verdoppelt. Rechnet der Leser jedoch mit einem “Verlust”, den er der Übersetzung

zuschreibt, dann wird sein Blick vielleicht an Qualität gewinnen, indem er nämlich auch in

jenen Bereich vorzudringen versucht, wo er das Verlorene beheimatet wähnt.

Alterston synoptisch: w — B/C

Ihr reinen Frauen, edlen Männer,

es steht nun so, daß man mir

Ehre und liebreichen Gruß

noch stets in vollem Maß erweisen muß.

Ihr habt dafür mit Recht noch mehr Anlaß als je:

Wollt ihr hören, sag ich euch, weshalb.

Wohl vierzig Jahre oder mehr habe ich gesungen

von Liebe, und zwar, wie man es soll.

Da war ich mit den andern fröhlich:

jetzt hab ich nichts mehr davon, es ist ganz für euch.

Mein Minnesang, der diene fortan euch,

und eure Zuneigung sei mir zuteil.

Selbst wenn ich an einem Stab gehen werde,

werde ich unverzagt

um Ehre mich bemühen.

Wie ich es von Kind auf getan habe —

so bin ich doch, wie niedrig ich auch sei,

nach meinem Maße hoch genug.

Das verdrießt die Neider. Ob mich das kränkt? Nein.

Die rechten Leute schätzen mich um so mehr.

Die Würde der edlen Menschen ist so wertvoll, Bewährte Würde ist es, die verdient,

77

Page 78: Fremde Texte 2_Walther

daß man ihnen das höchste Lob zollen muß. daß man das höchste Lob ihr gebe.

Es hat nie ein höfischeres Leben gegeben, Es gab nie löblicheres Leben,

als wenn einer so am Ende handelt. als wer dem Ende gerecht wird.

Meine Seele fahre wohl! Welt, ich habe deinen Lohn erkannt:

Ich habe manchen auf der Welt was du mir gibst, das nimmst du mir.

froh gemacht, Mann und Frau: Wir scheiden alle bloß von dir.

Hätt ich mich dabei bewahren können! Schäm dich, soll mir auch so geschehen.

Lob ich des Leibes Liebe, ist’s der Seele leid: Ich habe Leib und Seele (dies war allzuviel!)

und sagt, ich lüge und ich sei von Sinnen. tausendmal für dich gewagt. Nun bin ich alt,

Nur wahre Liebe nennt sie ganz beständig du hast mit mir dein Possenspiel:

und sagt, wie gut sie sei und wie sie immer währe. und bin ich drüber zornig, so lachst du.

Leib, laß die Liebe, die dich läßt, So lache uns noch eine Weile:

und halte die bleibende Liebe hoch: dein Jammertag wird bald kommen und

mich dünkt, die du begehrt hast, nimmt dir alles, was du uns genommen hast

sei nicht bis auf die Gräte Fisch. und wird dich trotzdem brennen.

Ich hatte mir ein schönes Bild erwählt: Meine Seele fahre wohl!

o weh, daß ich es je erblickte Ich habe manchen auf der Welt

und immer so viel mit ihm sprach! froh gemacht, Mann und Frau:

Es hat Schönheit und Sprache verloren. Hätt ich mich dabei bewahren können! Lob

Da wohnte ein Wunder drin: das ist, ich des Leibes Liebe, ist’s der Seele leid

weiß nicht wohin, gefahren. und sagt, ich lüge und ich sei von Sinnen.

Davon ist das Bild sogleich verstummt. Nur wahre Liebe nennt sie ganz beständig

Seine Lilienrosenfarbe ward so kerkerfarbig und sagt, wie gut sie sei und wie sie immer

daß es Duft und Glanz verlor. währe.

Mein Bild, wenn ich gekerkert bin Leib, laß die Liebe, die dich läßt,

in dir, so laß mich denn heraus, und halte die bleibende Liebe hoch:

daß wir einander fröhlich finden: mich dünkt, die du begehrt hast,

denn ich muß wieder einst hinein. sei nicht bis auf die Gräte Fisch.

Welt, ich habe deinen Lohn erkannt: Ich hatte mir ein schönes Bild erwählt:

was du mir gibst, das nimmst du mir. o weh, daß ich es je erblickte

Wir scheiden alle bloß von dir. und immer so viel mit ihm sprach!

Schäm dich, soll mir auch so geschehen. Es hat Schönheit und Sprache verloren.

Ich habe Leib und Seele (dies war allzuviel!) Da wohnte ein Wunder drin: das ist,

tausendmal für dich gewagt. ich weiß nicht wohin, gefahren.

Nun bin ich alt, du hast mit mir dein Possenspiel Davon ist das Bild sogleich verstummt.

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Page 79: Fremde Texte 2_Walther

und bin ich drüber zornig, so lachst du. Seine Lilienrosenfarbe ward so kerkerfarbig

So lache uns noch eine Weile: daß es Duft und Glanz verlor.

dein Jammertag wird bald kommen Mein Bild, wenn ich gekerkert bin

und nimmt dir alles, was du uns genommen hast, in dir, so laß mich denn heraus,

und verbrennt dich noch dafür. daß wir einander fröhlich finden:

denn ich muß wieder einst hinein.

79

Page 80: Fremde Texte 2_Walther

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81

Page 82: Fremde Texte 2_Walther

ANMERKUNGEN

EINLEITUNG

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3 J. FOURQUET, Thèses sur le Minnesang, in Etudes Gérmaniques IX, 1954, 300.

4 H. KUHN, Minnelieder, S. 10 f.

5 W. F. MICHAEL, Drama, S. 19.

6 P. DRONKE; Lyrik des Mittelalters, S. 42 f.

7 Text und Übersetzung nach Dronke, cit. S. 41 f.

8 P. DRONKE, cit. S. 42.

9 P. DRONKE, Lyrik, cit. S. 35.

10 Der Abschnitt über das Jeu de la Feuillée ist ein Zusatz gegenüber dem Text von 1984 und

geht auf die italienisch geschriebene Untersuchung von 1989 zurück. Die Übersetzung lehnt

sich stark an den 1996 entstandenen Aufsatz Spazio scenico e attori nell’alto medioevo an.

Vgl. J. Drumbl, Il Teatro Medievale, Il Mulino, Bologna 1989, S. 53-61.

11 R. Brugesan, La Pergola, ovvero il gioco della follia, Marsilio, Venezia 1986; K. H.

Schroeder, Das Laubenspiel, Fink, München 1972.

12 MF, S. 7.

MINNESANG

31 MF, S. 26.

32 Übersetzung von G. Schweikle, cit. S. 123.

33 MF, S. 25; Übersetzung von H. BRACKERT, Minnesang, S. 7

34 K. SMITS, Preislied, passim.

35 H. RUPP, Preislied, S. 31, Anm. 9.

36 Text nach Maurer.

37 H. KUHN, Minnelieder, S. 70f.

38 H. KUHN, cit., S. 73.

82

Page 83: Fremde Texte 2_Walther

39 H. KUHN, cit., S. 76.

40 H. KUHN, cit., S. 71.

41 H. KUHN, cit., S. 79.

42 H. KUHN, cit., S. 71.

43 R. WARNING, Lyrisches Ich, S. 121.

44 P. WAPNEWSKI, Dt. Literatur des Mittelalters, S. 93.

45 H. KUHN, Minnelieder, S. 79.

46 G. u. U. Pörksen, Nemt, frouwe, S. 117.

47 H. Kuhn, Zur inneren Form.

48 Lexer, s. v.

Vröidelîn und herzeliebe

49 WAPNEWSKI, Walther, S. 247.

50 K.H. HALBACH, Walther, S. 77.

51 H. KUHN, Minnelieder, S. 51.

52 KW, S. 63.

53 Übersetzung nach Maurer, 189

54 Übersetzung nach Maurer.

55 In: H. KUHN, Text und Theorie, S.191-98 und in: H. KUHN, Minnelieder, S. 92 ff.

56 Text nach Maurer.

57 KWU, S. 161.

58 L 96, 15-18.

59 So der jüngste Trend der Interpretationen: vgl. G. MEISSBURGER, Wes Brot ich esse, S.

32 ff. Zur Bedeutung von herzeliebe vgl. die Arbeit von T. EHLERT, Konvention, deren

methodische Ansprüche einen neuen Standard in der germanistischen Mediävistik setzen.

HEINRICH VON MORUNGEN

60 I. SCHRÖBLER, Von den Grenzen des Verstehens, S. 2f.

61 I. SCHRÖBLER, cit., S. 6.

62 P. GANZ, Vom Nichtverstehen, S. 150.

83

Page 84: Fremde Texte 2_Walther

63 W. MOHR, Vortragsform, S. 136, Anm. 18 u. ö.

64 H. TERVOOREN, Heinrich von Morungen, S. 159.

65 Vgl. zu Jakobson, die m. E. begründete Kritik bei G. KURZ, Relevanz, S. 162-169 mit

Bibliographie.

66 Vgl. L. JÄGER, Rekonstruktion, passim, und L. JÄGER (Hg.), Erkenntnistheoretische

Grundfragen.

67 H. TERVOOREN, Heinrich v. Morungen, S. 69.

68 MF, S. 253 ff. Ich übernehme die Strophen aus den Editionen von XI a, bzw. XI b nach

dem Prinzip der “Leithandschrift".

69 Übersetzung von Tervooren (a.a.O.).

70 Übersetzung von Tervooren (a.a.O.).

WALTHERS ALTERSTON

71 Kraliks Interpretation der Elegie ist wohl das extremste Beispiel für die Arroganz eines

modernen Wissenschaftlers gegenüber dem poetischen Text.

72 C. GRÜNANGER, Heinrich von Morungen, cap. III La ricostituzione critica del testo e il

problema centrale del Minnesang.

73 C. v. KRAUS; Ir reinen wîp aus dem Jahr 1925 setzt den Maßstab; G. JUNGBLUT,

Walthers Abschied (1958) läßt das Unbehagen am Krausschen Erbe erkernen und dazu die

engen Grenzen für eine alternative Deutung. Vgl. gegenüber diesem und anderen Versuchen

germanistischer Tradition, den weitaus souveräneren Versuch von P. DRONKE, Lyrik des

Mittelalters, S. 253-256 dem ich zwar auch nicht zustimmen kann, der jedoch der einmal

erkannten poetischen Qualität des Werkes gerecht zu werden versucht.

Wie stark sich Dronke darin von den typisch germanistischen Arbeiten unterscheidet, kann

man an der jüngst erschienen Arbeit von Th. Bungarten ersehen, deren Ergebnisse für sich

selbst sprechen, ebenso der Stil: “Die Seele bittet um Freilassung [...] sie betont dieses frô, da

die Vereinigung nach christlicher Lehre sowieso (!) notwendig erfolgt.” (S. 140). Vgl. dagegen

die im kritischen Urteil besonnene und philologisch fundierte Arbeit von T. McFARLAND,

Walthers bilde.

74 Ich lasse alle metrisch problematischen Stellen im Text, da ich über die stilistischen

Möglichkeiten, innerhalb eines festen metrischen Schemas unterfüllte oder überfüllte Verse

einzusetzen, in diesem Zusammenhang keine Spekulationen anstellen machte. Die Problematik

metrischer Deutungen wird, ebenso wie die Problematik der Interpretation im allgemeinen, nur

84

Page 85: Fremde Texte 2_Walther

dann bewußt, wenn die eigene Deutung auf Widerspruch stößt. So merkt W. Mohr in einer

Arbeit zu Morungen an: “Mit Bestürzung bemerke ich, daß Friedrich Maurer die rhythmisch-

syntaktische Gliederung der Strophe erheblich anders hört als ich. Auch solcherart

Beobachtungen bringen also keine objektiven Ergebnisse ein!” (W. MOHR, Vortragsform, S.

133, Anm. 13).

75 Ich gebe nur die Abweichungen gegenüber der Ausgabe von Lachmann-Kraus-Kuhn: S. 95

ff.: 1, 4: nu / noch; 5 ir nu von / ir von; 6 irz / ir; 10 nune wirts / nu enwirt; 11 diene dar / dien

iu dar; 2, 1 La / Lat; 5 swie nider ich si; so bin ich doch / so bin ich doch, swie nider ich sie; 7

müet daz / daz müet; 8 biderben / werden; 9 der werden wirde ist / diu wernde wirde diust; 11

hovelicher / lobelicher; 12 ende tuot / ende rehte tuot. 3, 12 ensi / sî; 4, 3 unt / ald, mit im /

zuoz ime; 4 daz hat nu schoen / ez hat schoen; 7 roserot, sin liljewiz wart kachelvar /

liljerosevarwe wart so karkelvar; 5, 5 lip unde sele han ich ich han lip unde sele; 9 unser / uns,

10 schier uns / schiere; 11 dazt / zwazt; 12 noch / jedoch.

76 So T. Mc FARLAND, Walthers bilde, S. 190.

77 Andreas Capellanus, De arte honeste amandie, (ed. TROJEL), S. 147 u. 161. Die Zitate

finden sich auch bei C. S. LEWIS, The Allegory of Love, S. 41.

78 Ich übernehme diese Deutung von T. Mc FARLAND, cit. S. 205. Anm.44. Auf S.195- 199

die Parallelstellen zu bilde.

85

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