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Freitag, 01. November 2019, 12:00 Uhr Schwerter zu Malerpinseln · Schriftzug „UNSEREN HELDEN“...

Date post: 07-Mar-2021
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Freitag, 01. November 2019, 12:00 Uhr ~8 Minuten Lesezeit Schwerter zu Malerpinseln Ein Künstler protestierte mit kreativen Mitteln gegen ein Heldenmonument aus der Nazizeit — und gegen den wiedererstarkenden Kriegswahn. von Wilfried Porwol Foto: kasyanovart/Shutterstock.com Mit der Installation von Hightech- Kriegsführungsanlagen in Kalkar und Uedem sind die Menschen am Niederrhein zur Zielscheibe russischer Atomwaffen geworden. Daher fand an der NATO- Luftleitzentrale im niederrheinischen Kalkar am 3. Oktober 2019 eine Friedensdemonstration statt, auf der Wilfried Porwol folgende Rede hielt.
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Page 1: Freitag, 01. November 2019, 12:00 Uhr Schwerter zu Malerpinseln · Schriftzug „UNSEREN HELDEN“ das Peace-Zeichen und rechts und links davon der zeitlose Slogan der Antikriegsbewegung

Freitag, 01. November 2019, 12:00 Uhr~8 Minuten Lesezeit

Schwerter zuMalerpinselnEin Künstler protestierte mit kreativen Mitteln gegen ein Heldenmonument aus derNazizeit — und gegen den wiedererstarkenden Kriegswahn.

von Wilfried Porwol Foto: kasyanovart/Shutterstock.com

Mit der Installation von Hightech-Kriegsführungsanlagen in Kalkar und Uedem sind dieMenschen am Niederrhein zur Zielscheibe russischerAtomwaffen geworden. Daher fand an der NATO-Luftleitzentrale im niederrheinischen Kalkar am 3.Oktober 2019 eine Friedensdemonstration statt, auf derWilfried Porwol folgende Rede hielt.

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im Namen der Gruppe Kleve der DFG-VK (das ist die DeutscheFriedensgesellschaft — Vereinigte Kriegsdienstgegner, Anmerkungder Redaktion) begrüße ich euch ganz herzlich an diesem Ort. Fürmich als bildender Künstler hat in meinen Arbeiten die kritischeAuseinandersetzung mit Militär und Rüstung immer eine zentraleRolle gespielt. Ich heiße euch willkommen in der Stadt Kalkar mitihren ganz besonderen Örtlichkeiten.

Fangen wir mal direkt an hier mit dieser Örtlichkeit: In idyllischerLage auf dem Beginenberg, so heißt diese Endmoräne inmitten derschönen niederrheinischen Landschaft, befinden sich seit 50 Jahrendie Kasernenanlagen der Bundeswehr. Dieser Militärstandort wurdeüber Jahre hinweg systematisch ausgebaut zum heutigensogenannten Zentrum Luftoperationen. Zusammen mit denunterirdisch verbunkerten Gefechtsleitstellen auf dem Paulsbergbei Uedem ist hier eine Luftwaffenkommandozentrale von NATOund Bundeswehr entstanden, in der über 1500 Soldaten undZivilangestellte tätig sind.

Von hier aus werden alle NATO-Luftoperationen über dem Baltikumund der Grenze zu Russland gesteuert. Die Leitzentrale für alleKriegseinsätze der deutschen Luftwaffe — wie die in Syrien —befindet sich ebenfalls hier.

Im Rahmen der sogenannten „Nuklearen Teilhabe“ werden jeweils20 US-Atombomben in Büchel in der Eifel, im von hier nur 35Kilometer entfernten Volkel in den Niederlanden und im belgischenOrt Kleine-Brogel bereitgehalten. Diese sollen dann im NATO-Einsatz von deutschen, niederländischen und belgischenKampfflugzeugen ins Ziel geflogen werden. Und wo befindet sich dieLeitzentrale für den Einsatz und die Übungsflüge dieserAtombomber? Ja: hier! In Kalkar und Uedem!

Liebe Friedensfreundinnen und -freunde,

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Der atomare Massenmord wird eingeübt in den unterirdischenGefechtsleitstellen auf dem Paulsberg in Uedem bei dem jetztanstehenden NATO-Atombombenmanöver „Steadfast Noon“ vom 14.bis 18. dieses Monats. Bei diesem Manöver wird derAtombombenabwurf trainiert mit Jagdbombern von NATO-Staatenmit nuklearer Teilhabe.

Die Militäranlagen hier in Kalkar und in Uedem werden zurzeit für150 Millionen Euro weiter ausgebaut. Diese Anlagen sollen fürkünftige Luftoperationen an der Ostgrenze der NATO optimiertwerden. Militärische Planer verfolgen das Ziel, zukünftige Kriegeauch mit dem Ersteinsatz von Atomwaffen, mit Cyberattacken undKampfdrohnen und unter Einbeziehung des Weltraumes führbarund gewinnbar zu machen. Die entsprechende Denkfabrik, das„Joint Air Power Competence Centre“, ist ebenfalls hier in Kalkarhinter diesen Zäunen angesiedelt.

Nach dem Austritt der USA und Russlands aus dem INF-Vertrag sindletzte Beschränkungen für ein atomares Wettrüsten in Europaweggefallen. Die Waffensysteme, die jetzt in den USA und Russlandfür einen neuen atomaren Rüstungswettlauf in Europa entwickeltund produziert werden, erhöhen durch extrem kurzeVorwarnzeiten auch das Risiko eines „versehentlichen“Atomkrieges. Das Risiko der atomaren Vernichtung derZivilbevölkerung steigt weiter und wird dabei billigend in Kaufgenommen.

In nächster Zeit sollen die in Deutschland, Holland und Belgienbereitgehaltenen US-Atombomben ausgemustert werden. Etwa einebegrüßenswerte Abrüstungsmaßnahme? Weit gefehlt! Sie sollendurch neue ersetzt werden, die, ähnlich wie Raketen, zielgenaulenkbar sind.

Die Bundeswehr will dazu neue amerikanische Kampfflugzeuge miteiner Tarnfunktion anschaffen. Diese sollen dann die neuen

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Atombomben unbemerkt durch die gegnerische Luftüberwachungzum Ziel fliegen können. Auch diese neuen Bomber sollen dann vonden Gefechtsleitständen in Uedem aus gesteuert werden.

Mit den Hightech-Kriegsführungsanlagen in Kalkar undUedem sind wir hier am Niederrhein zur Zielscheiberussischer Atomwaffen geworden. Das Leben von unsallen wird durch den militärischen Wahn aufs Spielgesetzt. Für diesen Wahnsinn benötigt die Bundeswehrständig neues Menschenmaterial.

Systematisch werden Schulklassen in die Militäranlagen nach Kalkarund Uedem eingeladen. Praktikumsplätze für 15-jährige Schüler undSchülerinnen werden angeboten. Die Tätigkeit des Soldaten wirdden Kindern und Jugendlichen dann als normalerDienstleistungsberuf verkauft mit faszinierender Technik und einemgehörigen Schuss Abenteuer. Und selbstverständlich dürfen sich dieJugendlichen dann auch in voller Kampfmontur als stolze Soldatenfühlen.

Junge Menschen sollen für einen Beruf geködert werden, der dasTöten anderer Menschen beinhaltet und bei dem man das eigeneLeben aufs Spiel zu setzen hat. Schließlich will die Bundeswehr denerhöhten Bedarf an Soldaten insbesondere für Kriegseinsätze imAusland decken. Es ist ein Skandal, dass die städtische Realschule inKalkar — entgegen jeder pädagogischen Verantwortung — ihreSchülerinnen und Schüler in sogenannten Projektwochen diesemMissbrauch durch die Bundeswehr ausliefert.

Was wäre Kalkar ohne seinen mittelalterlichen Marktplatz? Einhistorischer Ort für besondere Anlässe. So für den großenZapfenstreich der Bundeswehr am 25. September letzten Jahres.Geehrt wurde in historischer Kulisse ein ganz besonders strammerBursche von rechter „teutscher“ Gesinnung.

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Feierlich als Pensionär verabschiedet wurde der Drei-Sterne-General Joachim Wundrak, langjähriger Kommandeur des ZentrumsLuftoperationen in Kalkar und Uedem, seit Januar 2018 AfD-Mitgliedund nun Spitzenkandidat der AfD für die Oberbürgermeisterwahl inHannover: Ein smarter Vernichtungstechnokrat in Uniform mit derBefehlsgewalt über Atombomber und Aushängeschild einerrassistischen, menschenverachtenden Partei des rechten Randes.Soldatentum und Faschismus sind in ihrer Menschenverachtung engverwoben.

Damit wären wir auch schon bei der dritten Örtlichkeit.

Vom zentralen Kreisverkehr in Kalkar deutlich sichtbar steht sie ineiner öffentlichen Parkanlage: die in Stein gehauene,kriegsverherrlichende Nazipropaganda in Form des 1936 errichtetenKriegerdenkmals für „UNSERE HELDEN“ 1914-1918, Anfang der80er-Jahre erweitert durch die Jahreszahlen 1939-1945. Über einem4 Meter langen und 1,25 Meter hohen Quader hockt einmartialischer deutscher Adler auf einem Schwert. Die Rückseiteziert folgender Text:

„Mögen Jahrtausende vergehen, man wird nie von Heldentum reden

können, ohne des deutschen Soldaten im Weltkrieg zu gedenken.“

Spätestens seit 2014 ist bekannt, dass es sich um ein Zitat ausHitlers „Mein Kampf“ handelt.

Die gefallenen Soldaten des Ersten und des Zweiten Weltkrieges miteinem Hitlerzitat als „Helden“ zu ehren, stellt nicht nur eineungeheure Verhöhnung der Opfer dar, sondern ist auch eineGlorifizierung des verbrecherischen Vernichtungskrieges derdeutschen Wehrmacht.

Die Frage, was denn nun mit diesem unsäglichen Machwerk zu

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geschehen habe, beschäftigte den Kalkarer Stadtrat 2015 und 2016.

Passiert war seitdem … nichts! Das Ding stand weiterhin da alsMonument des Militarismus. Eine nicht weiter hinzunehmende undmeines Erachtens strafbare Duldung nationalsozialistischerKriegsverherrlichung durch die Stadt Kalkar und für mich alsPazifist und Künstler eine Herausforderung an meine Kreativität.

In den Morgenstunden des 27. Juli, einem Samstag, war es dann soweit. Mit mehreren Farbspraydosen bewaffnet begann ich, das Nazi-Monument zu einem Friedensmahnmal umzugestalten. So prangtejetzt vorne auf dem Quader zentral über dem reliefartigenSchriftzug „UNSEREN HELDEN“ das Peace-Zeichen und rechts undlinks davon der zeitlose Slogan der Antikriegsbewegung „MAKELOVE — NOT WAR“.

Auf das Schwert sprayte ich die naheliegende biblische Forderung:„Schwerter zu Pflugscharen“ und darunter die aktuelle Forderung:„Abrüsten statt Aufrüsten“.

Über der Rückseite prangte nun in ganzer Breite: „NIE WIEDERFASCHISMUS — NIE WIEDER KRIEG“. Den Adler begann ich farblichin den Regenbogenfarben umzugestalten.

Doch nach eineinhalb Stunden war erst mal Schluss. Die Polizei kamund machte, was sie wohl für ihre Pflicht hielt: Sie beschlagnahmtemeine Ausrüstung und stellte Anzeige wegen des Verdachtes aufSachbeschädigung. Für mich ein einkalkuliertes Risiko, keineswegsabschreckend. Doch die farbliche Verfremdung des Adlers bliebunvollständig. Von den sieben Regenbogenfarben fehlten noch drei.

Mit ein paar neuen Spraydosen wollte ich dann meine Arbeit an derFarbgestaltung des Adlers im Morgengrauen des nächsten Tages zuEnde führen. Ich traute meinen Augen kaum. Das Nazi-Denkmal warnoch am Samstag „gereinigt“ worden. Auf Anweisung der

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Bürgermeisterin wurden weder Kosten noch Mühen gespart, umnoch am gleichen Tag — trotz Wochenendes — das unsäglicheMonstrum wieder in seinen ursprünglichen Zustand zu versetzen.Diese erneuerte Glorifizierung soldatischen Heldentums warallerdings nur von kurzer Dauer.

Unbekannte Menschen hatten erfreulicherweise meineGestaltungsanregungen aufgenommen und spontan noch amSonntagvormittag das Nazi-Kriegerdenkmal wieder mitFriedensbotschaften versehen. Das Presseecho war groß undüberwiegend positiv, der WDR berichtete in der Aktuellen Stundedarüber. Die Stadt Kalkar kam in Erklärungsnot, weswegen sie dasNazi-Monument ohne sichtbare Distanzierung unverändertjahrelang stehen ließ.

Erst vor vier Wochen wurde das Ding wieder gereinigt, doch am 26.September wurde das kriegsverherrlichende Monstrum nach Jahrenwieder zum Thema in der Stadtratssitzung in Kalkar. Es sollen, soder Beschluss, möglichst bald erklärende Tafeln angebracht werden.Wir werden sehen — und falls notwendig, gibt es sicherlich kreativeMenschen ...

Beim Kalkarer Nazi-Monument des soldatischen Heldentumsreichten zur Umgestaltung ein paar Spraydosen und etwasKreativität. Gegen die Gefahr eines neuen Krieges, gegen diedrohende atomare Vernichtung müssen wir schon etwas mehr tun.Sicherheit lässt sich nur durch Abrüstung, vertrauensbildendeMaßnahmen und gewaltfreie Konfliktlösungen erreichen. Druck istnotwendig, damit Deutschland den UN-Verbotsvertrag fürAtomwaffen unterzeichnet. Bereits 123 Staaten haben das schon bisjetzt getan. Die Kriegsführungsanlagen in Kalkar und Uedem müssengeschlossen werden.

Statt weiter Unsummen in die Rüstung zu pumpen, wirddas Geld dringend benötigt für Maßnahmen zur

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Bekämpfung des Klimawandels, zur Beseitigung vonFluchtursachen und des Hungers in der Welt, um nur diewichtigsten zu nennen.

Lasst uns zusammen diesen Ort des militärischen Wahnsinns,diesen Ort der Vorbereitung eines atomaren Massenmordes zueinem Ort des Lebens machen, zu einem Ort des kreativenWiderstandes gegen Militär und Rüstung.

Abschließend möchte ich euch noch die Broschüre „WAR GAMES“empfehlen. Wir, die DFG-VK-Gruppen am Niederrhein, haben darindie militärischen Anlagen in unserer Region in den Fokusgenommen. Noch wesentlich ausführlicher als ich das in meinerRede konnte, wird darin auch die Bedeutung des StandortesKalkar/Uedem beschrieben. Diese Broschüre ist kostenlos zu habenam DFG-VK-Stand auf dem Kalkarer Marktplatz.

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Wilfried Porwol, Jahrgang 1952, studierte Kunst für‘sLehramt. Seit Mitte der 1970er Jahre ist er nebendiversen Lehrerjobs als Maler, Zeichner und Grafiker tätigund aktives Mitglied der DFG-VK Gruppe Kleve. Erveröffentlichte zahlreiche Druckgrafiken, Zeichnungenals Plakate und Illustrationen.

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