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Franz Werfel

Date post: 10-Dec-2015
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Die wahre Geschichte...
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FnaNz 'W'rnrEr Die wahre Geschichte uom wiederhergestellten Kreuz 1 Die Geschichte habe ich von ihm selbst gehort. Er war ein kleiner stlmmiger Rotkopf mit einem grobporigen Gesicht und den schweren Hdnden eines Bauern. Seine Augen, die ins Griinliche spielten, hielt er zumeist niedergeschlagen, manch- mal aber lieB er sie in einem unbeherrschten Feuer auffun- keln, wodurch der vierzigjdhrige, vom Leben umhergestoBene Mann einen knabenhaften und trotzigen Ausdruck gewann. DaB er ein katholischer Geistiicher war, sah man ihm nicht an, Er trug weder Koliar noch schwarzen Rock, sondern einen grauen Touristenanzug mit Kniehosen und Wadenstriimpfen. Als ich ihn das erstemal in Paris sah, war dieser Anzug schon recht abgewetzt. Zwei Jahre spiter in Amerika war er durchaus nicht eleganter geworden. 'Wir waren einander in Paris fliich- tig begegnet. Obwohl mich seine Gestait und sein 'Wesen so- gleich mit ausgesprochener Sympathie erfiillten, kam es doch zwischen uns zu keiner Anndherung. Man hatte mich ndmlich vor Kaplan Ottokar Felix gewarnt. .. Das MiBtrauen ist eine der giftigsten Schattenpflanzen des politischen Exils. Jeder Emigrant mi8traut dem andern, und konnte er's, er wiirde sich selbst verdechtigen, denn seine Seele ist verstort, weil sie nirgendwo hingehort. Wer ist dieser 6sterreichische Kaplan? fragten die Leute. 'Warum hat er sein Land verlassen? Niemand wei8 etwas von ihm. Er ist nicht im Kampf gegen die Nazis gestanden, weder mit Tat noch 'Wort. Der osterreichische Klerus hat nach dem AnschlulJ Frieden mit ihnen gemacht. Kann dieser famose Priester in 'Wadenstriimpfen nicht ein EmissSr der Partei sein, dessen Aufgabe es ist, uns zu bespitzeln? Wie ist er tiber die Grenze gekommen? Jtingst hat man ihn iibrigens in der Rue de Lille 698 gesehen. In der Rue de Liile befindet sich die I)eutsche Botschaft. Ich hielt all dies Gerede ftir baren ljnsinn, dennoch aber ging ich ihm aus dem Wege. Als er aber pldtzlich vor rnir stand in meinem Zimlr'et in Hunters Flotel zu Saint Louis, empfand ich eine unerwartete Freude. Das war jiingst im Spdt* herbst des Jahres r94r. Ich hatte am Abend vorher einen Vor- trag gehalten, in dem ich, iiber die Krise der modemen Menschheit sprechend, die tiefste Ursache unseres Elends im Verlust des Gottesglaubens zu zeigen versuchte. Kaplan Felix, der unter rneinen Zuhdrern gewesen, zollte meinen Ausftih- rungen einiges Lob und meinte, ich sei auf dem richtigen Wege, werde aber auf diesem Wege noch tiefer eindringen in das Geheimrris der modernen Verzweiflung. Er sah blaB aus, mtide, untererndhrt. Als ich mich aber, mit dem Vorsatz, ihm zu helfen, nach seinem Ergehen erkundigte, wehrte er mit ei- ner briisken Handbewegung ab. Er habe alies, was er brauche. Schon wihrend unserer zwei oder drei Begegnungen in Paris hatte er es abgelehnt, iiber sich selbst und seine Verhdltnisse zu sprechen. Die Unterhaltung verlieB also die allgemeinen Gegenstlnde nicht, als mir plotzlich jene Verdlchtigungen einfielen, die damals in Frankreich unter den Refugi6s gegen ihn laut geworden waren. Sie schienen mir jetzt angesichts dieses Mannes abstruser zu sein als je" Ich aber konnte mich nicht iiberwinden. Gegen meinen Willen und den Wider- stand meines Gefiihls fragte ich ihn nach den Eriebnissen, die ihn aus der Heimat vertrieben hatten. Er sah mich voll an mit seinem treuen, verwitterten Ge- sicht, dessen Sommersprossen und grobe Poren beinahe an Blatternarben erinnerten. Das rote Haar wuchs ihrn borstig iiber einer niedrigen, aber schrin zerfurchten Stirn. f)ie wim- perlosen Au65en lagen tief in den H6hien, was ihr Aufleuchten beunruhigend machte. ,,Ich bin Ihnen dankbar", sagte der Kapian, ,,da8 Sie mich gerade danach fragen, was schon so weit zuriickliegt, und nicht etwa nach den Konzentrationslagern in Frankreich, de- nen ich entkommen bin, nach meiner Flucht mitten drrrch die deutschen Iinien, nach den Schleichwegen in den Pyrenden, 6ss
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Page 1: Franz Werfel

FnaNz 'W'rnrEr

Die wahre Geschichteuom wiederhergestellten Kreuz

1

Die Geschichte habe ich von ihm selbst gehort. Er war ein

kleiner stlmmiger Rotkopf mit einem grobporigen Gesicht

und den schweren Hdnden eines Bauern. Seine Augen, die ins

Griinliche spielten, hielt er zumeist niedergeschlagen, manch-mal aber lieB er sie in einem unbeherrschten Feuer auffun-keln, wodurch der vierzigjdhrige, vom Leben umhergestoBeneMann einen knabenhaften und trotzigen Ausdruck gewann.

DaB er ein katholischer Geistiicher war, sah man ihm nicht an,

Er trug weder Koliar noch schwarzen Rock, sondern einen

grauen Touristenanzug mit Kniehosen und Wadenstriimpfen.Als ich ihn das erstemal in Paris sah, war dieser Anzug schonrecht abgewetzt. Zwei Jahre spiter in Amerika war er durchausnicht eleganter geworden. 'Wir waren einander in Paris fliich-tig begegnet. Obwohl mich seine Gestait und sein 'Wesen so-

gleich mit ausgesprochener Sympathie erfiillten, kam es dochzwischen uns zu keiner Anndherung. Man hatte mich ndmlichvor Kaplan Ottokar Felix gewarnt. ..

Das MiBtrauen ist eine der giftigsten Schattenpflanzen des

politischen Exils. Jeder Emigrant mi8traut dem andern, undkonnte er's, er wiirde sich selbst verdechtigen, denn seine

Seele ist verstort, weil sie nirgendwo hingehort. Wer ist dieser

6sterreichische Kaplan? fragten die Leute. 'Warum hat er seinLand verlassen? Niemand wei8 etwas von ihm. Er ist nichtim Kampf gegen die Nazis gestanden, weder mit Tat noch'Wort. Der osterreichische Klerus hat nach dem AnschlulJFrieden mit ihnen gemacht. Kann dieser famose Priester in'Wadenstriimpfen nicht ein EmissSr der Partei sein, dessen

Aufgabe es ist, uns zu bespitzeln? Wie ist er tiber die Grenzegekommen? Jtingst hat man ihn iibrigens in der Rue de Lille

698

gesehen. In der Rue de Liile befindet sich die I)eutscheBotschaft.

Ich hielt all dies Gerede ftir baren ljnsinn, dennoch aberging ich ihm aus dem Wege. Als er aber pldtzlich vor rnirstand in meinem Zimlr'et in Hunters Flotel zu Saint Louis,empfand ich eine unerwartete Freude. Das war jiingst im Spdt*herbst des Jahres r94r. Ich hatte am Abend vorher einen Vor-trag gehalten, in dem ich, iiber die Krise der modemenMenschheit sprechend, die tiefste Ursache unseres Elends imVerlust des Gottesglaubens zu zeigen versuchte. Kaplan Felix,der unter rneinen Zuhdrern gewesen, zollte meinen Ausftih-rungen einiges Lob und meinte, ich sei auf dem richtigenWege, werde aber auf diesem Wege noch tiefer eindringen indas Geheimrris der modernen Verzweiflung. Er sah blaB aus,

mtide, untererndhrt. Als ich mich aber, mit dem Vorsatz, ihmzu helfen, nach seinem Ergehen erkundigte, wehrte er mit ei-ner briisken Handbewegung ab. Er habe alies, was er brauche.Schon wihrend unserer zwei oder drei Begegnungen in Parishatte er es abgelehnt, iiber sich selbst und seine Verhdltnissezu sprechen. Die Unterhaltung verlieB also die allgemeinenGegenstlnde nicht, als mir plotzlich jene Verdlchtigungeneinfielen, die damals in Frankreich unter den Refugi6s gegenihn laut geworden waren. Sie schienen mir jetzt angesichtsdieses Mannes abstruser zu sein als je" Ich aber konnte michnicht iiberwinden. Gegen meinen Willen und den Wider-stand meines Gefiihls fragte ich ihn nach den Eriebnissen,die ihn aus der Heimat vertrieben hatten.

Er sah mich voll an mit seinem treuen, verwitterten Ge-sicht, dessen Sommersprossen und grobe Poren beinahe anBlatternarben erinnerten. Das rote Haar wuchs ihrn borstigiiber einer niedrigen, aber schrin zerfurchten Stirn. f)ie wim-perlosen Au65en lagen tief in den H6hien, was ihr Aufleuchtenbeunruhigend machte.

,,Ich bin Ihnen dankbar", sagte der Kapian, ,,da8 Sie michgerade danach fragen, was schon so weit zuriickliegt, undnicht etwa nach den Konzentrationslagern in Frankreich, de-nen ich entkommen bin, nach meiner Flucht mitten drrrch diedeutschen Iinien, nach den Schleichwegen in den Pyrenden,

6ss

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Fnach all diesen Abenteuern, die schlie8lich jeder von uns be-standenhat."."

,,'Warum sind Sie mir dankbar?"Er schwieg eine Weile, ehe er antwortete, ohne zu antworten:

"Ja, ja, das kommt daher, daB ich den genzen Tag an Aladar

Fiirst denken muBte. Ihr Vortrag ist nicht unschuldigdaran . . ."

Und als er meine verwunderte Miene sah, lechelte er nach-

sichtig: ,,Das war ein feiner Mann, ein guter Mann, der Dok-tor Aladar Ftirst. Und er ist als erster in diesem gro8en Kriegvor dem Feinde gefallen, vor dem Weltfeinde. Und niemandweiB von diesem ersten Gefallenen, der fi.ir seinen Heldentodkeine Medaille empfangen wird. Und dabei hat er mehr ge-tan, als nur im Kriege fallen.. ."

,,Von welchem Kriege reden Sie? Im Jahre r938, als Oster-reich verschluckt wurde, gab es gar keinen Krieg."

,,Oh, Sie werden gleich sehen", nickte der Kaplan, ,,daB der

gro8e Krieg damals begonnen hat . . . Seit gestern hab ichnlmlich den'Wunsch, Ihnen diese verschollene Geschichte an-zuvertrauen, das heiBt, sie in Ihre Hlnde zu legen. VerstehenSie mich?"

,,Was ftr eine Geschichte?" fragte ich.Der Kaplan schiitzte seine empfindlichen Augen mit der

Hand, denn grelle Nachmittagssonne stieB durchs Fenster, das

auf den groBen Park von Saint Louis hinaussah.

,,Es ist die Geschichte von einem Juden, der Gottes Namennicht mi8brauchen wollte", sagte Felix ziemlich leise undfiigte nach einigen Sekunden hinzu:

,,Es ist die wahre Geschichte vom geschlndeten und wie-derhergestellten Kreuz. .."

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Pater Ottokar Felix hatte die Pfarre in dem MarktfleckenParndorf inne, der im nordlichen Burgenlande zwischeneinem waldigen Hrigeizug und dem weitgestreckten Schilfseevon Neusiedl liegt. Das Burgenland, das seinen Namen von

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den zahlreichen mittelalterlichen Burgen herleitet, die imStidwesten seine Hohen krdnen, ist die jOngste, irmlichste undin mancher Beziehung merkwtirdigste Provinz von Oster-reich. Vor dem ersten Weltkriege hatte es zu (Jngarn gehdrt,das es durch den Zwang der Friedensvertrdge an seinen oster-reichischen Nachbarn abtreten muBte. Es ist ein typischesGrenzland, wo (Jngarn, die Siowakei, Jugoslawien undOsterreich einander begegnen. DemgemiB wird es auch voneinem bunten V6lkergemisch bewohnt, von ungarischenGutsbesitzern, dsterreichischen Bauern, slowakischen Erntear-beitern, jridischen Handelsleuten, kroatischen Handwerkern,Zigeunern und schlieBlich von dem undefinierbaren Stammder Kumanen, die durch die ti.irkischen Invasionen des sieb-zehnten Jahrhunderts nach 'Westen gesptilt wurden.

Parndorf selbst ist mit seinem ringfdrmigen Marktplatz,dem Gdnsetiimpel und den niedrigen, von Storchennesternbesiedelten Strohddchern eines der trostlosen Kirchddrfer die-ser Gegend, deren beinah schon asiatische Schwermut inscharfem Gegensatz steht zur Gr6Be und Lieblichkeit derosterreichischen landschaft. A11 diesen Ortschaften wiirde nie-mand die Ndhe Wiens und der edlen Alpenwelt anmerken.Durch sie scheint haarscharf die Grenze zwischen Ost undWest zu schneiden. Die einzige Bedeutung Parndorfs bestehtdarin, da8 es an der Hauptstrecke Wien-Budapest liegt und da8clie strahlenden W'aggons der groBen ExpreBziige, die Orientund Okzident miteinander verbinden, an seinem winzigenIlahnhofsgebdude voriibersausen, welche weltweite Auszeich-nung den Hauptorten der Provinz nicht zuteil geworden ist.

.Warum Ottokar Felix aus der Wiener Arbeitervorstadt Jed-

lesee, wo er Kaplan an der Hauptkirche war, in das gottverlas-sene Parndorf versetzt wurde, ist mir nicht bekannt. Da dieVersetzung aber im Jahre rg34 erfolgte, nach den traurigenSchlachten zwischen den 'Wiener Arbeitern und den Regie-rungstruppen - wer erinnert sich nicht an diese historischeStation auf dem 'Wege zum Absturz -, so nehme ich vermut-lich nicht ohne guten Grund an, da8 sich der Kaplan durchParteinahme ftir die Sozialisten in den Augen seiner Obernkompromittiert haben mochte und nun eine Art strafweise

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"FVerbannung zu erleiden hatte. Er machte dariiber keine An-deutung, und ich empfand eine Scheu, ihn auszufragen.

In Parndorf lebte eine kleine Gemeinde von Juden. Es wa-ren etwa zehn Familien mit drei8ig bis vierzig Kdpfen insgc-samt. In allen Bezirken und Ortschaften des schmalen, aberlanggedehnten Burgenlandes lebten solche Gemeinden, inEisenstadt und Mattersdorf, den groBen Stddten, in Kittsceund Petronell, dem sogenannten Dreilindereck, wo lJngarn,die Tschechoslowakei und Osterreich zusammensto8en, und irrRechnitz, weit unten im Stiden, an der Grenze des siidslawi-schen K6nigreiches. All diese Gemeinden setzten sich zumeistaus einigen alten Familien zusammen, die durchs ganze [arrdhin miteinander verwandt oder verschwigert waren. Marrstie8 tiberall auf dieselben Namen: Kopf, Zopf, Roth, Wolf,Fiirst. Neben der Milliondrsfamiiie Wolf in Eisenstadt warcrrdie Fiirsts die Angesehensten, freilich in einem ganz andercrrSinne als jene. GroBes Vermdgen hatten sie nicht erworben,jedoch schon seit dem siebzehnten Jahrhundert eine Reihcvon Rabbinern und Gelehrten herworgebracht, die in der ab-

sonderlichen Geistesgeschichte des Ghettos eine bedeutendeRolle spielten. Auf zwei Dinge rvaren die burgenldndischt:rr

Juden stolz: auf ihre gelehrten Mdnner und auf ihre Boderr-stlndigkeit. Im Gegensatz zu andernjiidischen Stdmmen nirrrlich hatten sie den Fluch der W'anderschaft und Heimatlosig-keit lingst vergessen. Sie waren weder aus RuBland und Polennoch aus Mihren und lJngarn immigriert, sie rtihmten siclr,von jeher im I-ande gesessen zu haben, und nur ein Teil vorrihnen war wdhrend der Reformationszeit mit den verfolgtorProtestanten aus der benachbarten Steiermark ins frcicrtGrenzgebiet gezogen.

Die mannhafte Famiiie Ftirst stammte aus demselben Parrr

dorf, wohin das ungnldige Schicksal den Kaplan Ottokar Fclixverschlagen hatte. Dort lebte auch Doktor Aladar Ftirst, cirrMann von einigen DreiBig, jung verheiratet, Vater dreier Kinder, von denen das jtingste, ein Kndblein, an dem schwarzt'rrFreitag, da Osterreichs Freiheit gemordet wurde, genau drciWochen alt war. Aladar Frirst rnulJ ein Schwirmer und Abseitsginger gewesen sein, denn als Doktor der Philosoplrir-

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und Rechte, als Absolvent des bertihmten hebrdischen Semi-nars zu Breslau, als 'Weltmann, der in verschiedenen Haupt-stidten Europas gelebt hatte, wuBte er nichts Besseres zu tun,als zu den Strohdechern seines Heimatdorfes zurrickzukehren,sich dort in seiner erlesenen Bibliothek zu vergraben und an-sonsten das Amt eines lindlichen Rabbiners ftir Parndorf undeinige Nachbargemeinden zu versehen. In einem uralten win-zigen Bethaus hielt er Gottesdienst und erteilte in verschiede-nen Schulen der Umgebung Religionsunterricht fiir die israe-litischen Kinder.

Es war in diesem kleinen Orte selbswerstlndlich, daB derKaplan und der junge Rabbi einander beinahe taglich begeg-neten. und nicht minder selbstverstdndlich war's bei der deli-katen Amtsihnlichkeit und Amtsverschiedenheit dieser beidenMlnner, daB sie es bis vor kurzer Zeit beim h6flichen GruBehatten bewenden lassen. Jtingst erst, bei Gelegenheit einesHochzeitsfestes, zu dem auch Doktor Aladar Frirst zugezogenwar, ergab sich zum erstenmal ein lSngeres Gesprich zwischenihnen. Daraufhin machte Frirst im Pfarrhause einen Besuch,

der sofort erwidert wurde. Der Rabbi lud den Geistlichen zueiner Mahlzeit ein. Es entwickelte sich ein regelmdBiger,wenn auch gemessener und fcirmlicher Verkehr. Zwischen Fe-1ix und Fiirst stand vermutlich nicht nur die Verschiedenheitdes Glaubens als hemmende Macht, sondern die jahrhundert-tiefe Fremdheit und ein uralt gegenseitiges MiBtrauen, das

sich auch unter hoheren Seelen nur schwer tiberbriicken ldBt.

Dennoch faBte, wie er mir gestand, der christliche Priestereine rasche Zuneigung zu dem jiidischen Rabbi. Mehr als dieBelesenheit und der Geist des Intellektuellen, den er als Mannder Praxis weniger schdtzte, erfiillte ihn ein anderer Umstandmit hohem Erstaunen. Sooft er bisher mit einem Sohne Ja-kobs zu tun hatte, muBte er in dessen Augen eine dunkleAbwehr, ja ein mrihsam verhehltes Grauen bemerken, das

dem geweihten Priester der einst so feindseligen Kirche galtund jedem Gesprlch eine enge Grenze setzte. Fiirst unter-schied sich von dieser Art sehr aufflillig. Er war in allen F5-

chern der katholischen Theologie unheimlich gut beschlagenund schien ein gro8es Vergniigen zu empfinden, wenn er sein

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Licht leuchten lle6; er zitierte Paulqs, Thornas, Bonaventura,

Newman kenntnisreicher, als oin geplagter Dorfkaplan dazu

imstande gewesen wire. Der Geistlichp glaubte zu erkennen,

daB Aladar Forst weit iiber dieses vielleicht noch eitle Wissen

hinaus in sich die ebenso alte wie durch unendliches Leid be-

greifliche Christusscheu seiner Viter iiberwunden hatte, ohnpfreilich sich von seinem eigenen Glauben auch nur einen

Schritt zu entfemen. Felix erzdhlte mir, da8 eine gewisse Be-

merkung des Rabbiners auf ihn einen bewegenden Eindruck

gemacht habe. Sie fiel wdhrend eines Gesprlches iiber die Ju-denkommission, welch heikles Thema nicht er, sondern Fiirst

erschreckend freimiitig aufs Tapet brachte.

,,Ich weiB nicht, Hochworden", so lautete jene Bemerkuntr;

des Rabbi, ,,warum die Kirche solchen Wert darauf legt, die

Juden zu taufen. Kann es ihr geniigen, unter hundert streberi-

schen oder schwlchlichen Renegaten vielleicht zwei oder drei

echte Gleubige zu gewinnen? (Jnd dann, was wiirde gesche-

hen, wenn sich alle Juden der 'Welt taufen lie8en? Israel

wiirde verschwinden. Damit verschwdnde aber auch der ein-zige rcale fleischliche Zeuge dt gottlichen Offenbarung aus

der Welt. Die heiligen Schriften nicht nur des Alten, sondenr

auch des Neuen Testaments w0rden damit zu einer leeren undkraftlosen Sage herabsinken wie irgendein Mythos der alten

Agypter und Griechen. Sieht die Kirche diese tiidliche Gefahrnicht ein? Und gar in diesem Augenblick der totalen Aufl5-sung? . . . Wir geh6ren zusammen, Hochwiirden, aber wir sind

keine Einheit. Im Rdmerbrief steht geschrieben, wie Sie wohlbesser wissen als ich: ,Die Gemeinde des Christus fuBt auf Is-

rael.'Ich bin iiberzeugt davon, daB, solange die Kirche besteht,

Israel bestehen wird, doch auch, da8 die Kirche fallen muf],wenn Israel fbllt..."

,,(Jnd woher kommen Ihnen diese Gedanken", fragte der

Kaplan.

,,Aus unserem Irid bis auf den heutigen Tag", versetzte dcr

Rabbi, ,,denn glauben Sie vielleicht, daB Gott uns so vielc:

Jahrhunderte hette zwecklos erdulden und iiberstehen lassen?"

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An jenern schwarzen Freitag Osterreichs, dem plften Tage des

Mirz, da das UnfaBbare geschah, sa8 der Kaplan Ottokar Felixin seiner Stube. Er war sieben Uhr abends. Er hatte vor einer

Stunde im Radio die Abschiedsworte des Kanzlers Schusch-

nigg vernommen, eine dumpfe Stimme, ,,wir mossen der Ge-waltweichen" und dann ,,Gott schotze Osterreich" und dann ein

gro8es Verstummen und dann eine Musik von Haydn, feier-lich und herzzerreiBend. Felix saB noch immer vor dem Radio,

das er abgestellt hatte, und riihrte sich nicht. Ohne zu einer Klar-heit zu kornmen, ,iiberlegten seine lahmen, eingerosteten Ge-

danken, wie er sich wtirde zu verhalten haben in dieser Katastro-

phe, die so pldtzlich tiber das arrne Land hereingebrochen war.

Da ging die Tiir auf, und Doktor Aladar Fiirst stand in der

Pfarrersstube. Er hatte die Anmeldung durch die Wirtschafte-rin gar nicht abgewartet. Ftirst trug einen langen, feierlichenSchluBrock. Es war ja der Sabbat schon angebrochen. Sein

schmales Gesicht mit den dunkeln iangwirnperigen Augen und

dem d0nnen schwarzen Backenbirtchen war um einige Schat-

ten blasser als sonst.

,,Verzeihen Sie mir, F{ochwiirden", hob er ziemlich atern-

los an, ,,daB ich so ohne alle Umstinde bei trhnen ein-dringe . . . W'ir hatten die Feier schon begonnen, und so habe

ich erst jetzt...",,Ich denke wohl, daB die Ereignisse den Sabbat brechen",

bemerkte der Geistliche, als wolle er ihm zu l{ilfe kommen,

und schob den Lehnstuhl fiir den unerwarteten Gast heran,

der aber niederzusitzen ablehnte.

,,Ich brauche Ihren Rat, Hochwtirdcn. .. Denn wissen Sie,

ich selbst habe das nicht erwartet, ich war so sehr vertrauens-

voll, und jetzt... Haben Sie geh6rt, dafJ der junge Schoch inder Gegend sich aufhdlt, seit einer 'W'oche bereits" alles wariSngst abgekartet. Schoch ist Sturmfiihrer der hiesigen SA. Er

hat die ganze Bande zusamtrengetromrnelt, die Bauernbur-schen, die Hilfsarbeiter der Kapselfab'rik, die Arbeitslosen, sie

sitzen alle besoffen im Wirtshaus und drohen, sie werden alle

Juden in heutiger Nacht noch umbringen . . ."

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Page 5: Franz Werfel

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,,Ich will sofoft zum alten Schoch gehen", sagte der Kaplan,

,,der t ausbub hat noch immer Angst vor dem Vater . . ."Das war nicht wahr, und Felix wu8te selbst sehr genau, daB

nicht der Sohn vor dem Vater, sondern der Vater vor dem

Sohn heute zitternde Angst hatte. Er hatte nur so gesprochen,

weil ihm nichts eingefallen war, um Fiirst zu beruhigen.Der alte Schoch war der reichste 'W'einbauer des Bezirkes

und ein guter Katholik. Mit seinem Jiingsten, dem Peterl,

hatte er ausgesprochenes Pech gehabt. Bisher wenigstens. DieBiographie Peter Schochs hat ihre Reize. Nachdem der auffal-lend htibsche Bursche mit siebzehn Jahren einer Magd des

vlterlichen Flauses ein Kind gemacht hatte - was nach land-lichen Begriffen noch lange keine Siinde ist -, hatte er das MI-del mitsamt dem Kinde titlich bedroht, den Koffer der Ver-dngstigten aufgebrochen und ihre ganzen Ersparnisse geraubt.

Der alte Schoch, an seinen Jringsten durch bedenkliche Affen-liebe gebunden, geriet diesmal im Gegensatz zu frtiherenStreichen in die heftigste'W'ut, vor allem deshalb, weil die ge-meine Geschichte unter die Leute geraten war. Er verpriigeltemit Hilfe seiner ilteren Sohne den Peter erst einmal gr0ndlichund schickte ihn dann auf die Forstschule in die Stadt Leoben.

(Neben den Weingirten besaBen die Schochs auch Waldun-gen.) Da aber der wohlgewachsene Tunichtgut ganze sechs

Jahre lang in der untersten Volksschulklasse sitzengebliebenwar und noch immer kaum Lesen und Schreiben gelernt hatte,

rasselte er in Leoben schon bei der Aufnahmepr0fung durch,

die dortjeder bessere Holzknecht leicht bestand. Peter berich-tete seine Niederlage keineswegs nach Hause, sondern bliebin der lebhaften Stadt, wo es ihm weit besser gefiel als da-

heim in dem traurigen Parndorf, und verjuxte eine MengeGeld, das er zu vorgeblichen Studienzwecken seinem Aiten zu

entlocken verstand.Peter Schochs ganz erstaunliche Laufbahn hltte in ruhiger

Zeit zuteifellos schlimm geendet. In unsern so denkwtirdigenTagen aber kam ihm die vom dritten Reiche in allen Nach-barlSndem wohlbezahlte ,,Bewegung" rettend zu Hilfe. DieBewegung pflegte sich mit weitblickender 'Weisheit solcherTaugenichtse zu versichern. Sie wuBte aus alter Erfahrung, daB

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die Abneigung gegen Alphabet und regelmlBige Beschiifti-gung die Eignung f0r rticksichtsloses Gewalttetertum zur fast

ausnahmslosen Foige habe. Ftir jenen ersten StoB aber, derden Widerstand des dsterreichischen Volkes brechen sollte,brauchte man nichts dringlicher als eine Garde entschlossener

Gewalttlter. Nicht unwesentlich fiir das W'ohlwollen, das ge-wisse Parteihduptlinge fiir Peter hegten, war sein goldblondesHaar, sein schlanker Wuchs, sein kleines stumpfes Gesicht. Erwirkte im Gegensatz zs den Kahlkopfen, Schmerbluchen undHinkebeinen der Fiihrer wie eine strahlende Illustration zu

den Lehren der Rassentheorie und ihrer Verkldrung des nordi-schen Modellmenschen. Man erwies ihm tliglich photographi-sche Ehren, und sein Bild zierte in vieien Exemplaren dieKarthotheken der deutschen Rassendmter. So geschah es also,

daB der Sohn des reichen Weinbauern von Parndorf ein ,,Ille-galer" wurde. Er bezog von der Miinchner Parteikasse eine

LJnterstiitzung von solcher Hdhe, daB er unter seinesgleichen

die Rotrle eines imposanten Krdsus spielte. Ein paar toilk6pfigeMissetaten fiir die Partei machten seinen Namen beriihmt,und als er schlieBlich als Saboteur und Bombenwerfer fiireinige Monate ins Gefdngnis wandern mu8te, da war er endlichin die Reihe jener Mirryrer emporgerockt, die nach der Be-gegnung von Berchtesgaden und dem Zusammenbruch derdsterreichischen R.egierung aus ,,Schmach und Not erlost wur-den". Dies ist in aller Ktirze die Geschichte des jungen Peter

Schoch, dessen bloBer Name schon dem Doktor Aladar Ftirst

bieiches Entsetzen einfl6Bte, und nicht nur ihm.

Jetzt hatte sich der Rabbi endlich doch niedergesetzt. DerKaplan reichte ihm ein Gidschen Schnaps.

,,Man muB nicht gleich an das Allerirgste denken", meinte er.

,,Wieso mulJ man nicht", fragte Fiirst, den Kopf mit einemRuck hebend, ,,vielieicht miiBte man... Hdren Sie, Hoch-wrirden", fuhr er nach einer Weile gepreBt fort, ,,in einerStunde geht ein Zug an die ungarische Grenze . . . Sollten wirnicht, ich meine die ganze Familie . . . Freilich meine arme

Frau ist erst vor drei Tagen aus dem Wochenbett aufgestan-

den . . . was soll ich tun. Hochwiirden, raten Sie mir . . . Ichbrauche einen Rat . . ."

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FT

Und jetzt tat Pater Ottokar etwas, was er sich nie verziehn

hat. Anstatt die Achseln zu zucken, anstatt zu sagen, ich weiB

nicht, was das richtige ist, gab er einen Rat, einen bestimmten

Rat, einen schlechten Rat. - Doch wer kann in solcher lageahnen, ob er gut oder schlecht rit?

,,Wollen Sie wirklich alles so schnell im Stich lassen, lieber

Doktor F0rst?" sagte also der Kaplan, der verhlngnisvoller-weise seine eigene t age mit der des andern verglich, ,,wirkennen noch nicht einmal die neue Regierung, wer weiB'

vielleicht kommt in Osterreich alles anders, als man denkt . . '

W'arten Sie doch die nichsten Tage abl"Aladar Ftirst atmete bei diesen Worten erleichtert auf:

,,Ich danke Ihnen fiir diesen Rat. .. Sie haben gewiB recht'

die Osterreicher sind keine Deutschen, und ich bin ein guter

Patriot... Es w$rde mir schrecklich schwerfailen, unser Haus

zu verlassen.. . Meine Familie lebt seit Menschengedenken

hier, unsre Grabsteine auf dem Friedhof reichen bis ins Mittel-alter zur0ck, und ich bin eigens aus der 'Welt nach Parndorf

zurockgekommen.. . Vielleicht..."Der Kaplan begleitete ihn in die sternhelle Nacht hinaus.

,,Ich werde mich morgen nach Ihnen umschauen", sagte er

zum Abschied.Aladar Fiirst aber meinte zuletzt, als er Felix bekiimmert dic

Hand driickte:,,Ich ftirchte nur eins, Flerr Pfarrer . . . Ich fiirchte, daB unser-

eins schon zu sehr verweichlicht ist und die alte Kraft und

Haltung unsrer Viter in der Verfolgung verloren hat . . . Gutc

Nacht . . ."

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um neun Uhr am ndchsten Morgen - Kaplan Ottokar Felix

Oberlegte grade, wie weit er sich am Sonntag in seiner Predigt

nach dem Evangelium im Kampf gegen die Sieger vorwagen

diirfe - wurde er durch Geschrei und wachsenden Uirm auf-

gestort, der dumpf durch das geschlossene Fenster drang. Dr

stiirzte sofort aus dem Hause, wie er war, ohne Hut und

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Uberrock. Der Ringplatz war von einer Menge angefiillt, so

zahlreich, wie sie sich nicht einmal zu Wochenmlrkten undKirchweihfesten zusammenzufinden pflegte. Aus den Ort-schaften der oden Parndorfer Heide, ja aus den entferntenUferd6rfern des groBen Schilfsees war sie in Erwartung inter-essanter Ereignisse herangestrdmt, Bauern, Bauernknechteund M1gde, Arbeiter aus den Kapsel- und Zuckerfabriken derGegend und ein Haufen von Arbeitslosen zumal, die keinestaatliche (Jnterst0tzung mehr empfingen und sich als das

unruhigste Element im Volke zu jedem Krawall zu drlngenpflegten. Den Kern dieser Menge bildete eine Abteilung vonBraunhemden in Reih und Glied, die bereits alie die Bindemit dem Hakenkreuz tiberm linken Arm trugen. Die Reihestand mit der Front dem ansehnlichsten Gebeude zugewandt,das Parndorf tiberhaupt besa8. Es ist wahrscheinlich ungebiihr-lich, daB gerade die Familie Frirst dieses stattlichen GebeudesEigenttimerin war, eines der wenigen im Orte, das zweiStockwerke und riberdies noch eine Mansarde hatte. Kannman aber Aladar Ftirst dafrir veranf,wortlich machen, daB seinGroBvater in der gliicklichen Zeit vor fi.infzig Jahren so un-vorsichtig oder so iiberheblich gewesen, in einer

.W'elt von

armseligen Strohhritten dieses groBstddtische Haus zu errich-ten? Im Erdgescho8, zu beiden Seiten der Toreinfahrt, befan-den sich zwei groBe Kaufliden, das ,,Biirgerliche Backhaus"von David Kopf und die ,,Gemischt- und Kolonialwaren-handlung" von Samuel Roths Sohn. Die Inhaber dieser Ge-schifte, ihre Ehefrauen, Sohne, Tcichter, Verwandten, Hilfs-krifte standen in einer dichten Gruppe vor dem Haustor undin ihrer Mitte der junge Rabbi Aladar, der einzige, der denKopf ziemlich hoch trug und im Gegensatz zLtrrr gestrigenAbend keinen gebrochenen Eindruck machte. Dem beschatte-ten Hduflein gegentiber hatte Peter Schoch Posto gefaBt, derKommandant dieser militdrischen Aktion. Er trug mit sichtba-rem Herzensvergniigen ein automatisches Gewehr im Arm,dessen Iauf auf Aladar Frirst deutete. Neben ihm stand einkleiner drirftiger Mann mit einem verzwickten Hexengesicht,das aussah, als kdnne man es nach Bedarf auseinanderziehenwie eine Zehharmonika. Auf der Nase saB dem Mann eine

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#

Stahlbrille und auf dem Schldel eine rote Dienstkappe, denrr

es war der Bahnhofsvorstand von Parndorf, Herr Ignaz Inbich-

ler in Person. Als Kaplan Felix hinzutrat, vollendete Petcr

Schoch gerade eine markige Ansprache, deren zugleich tiefge*

krinkten und hohnpeitschenden Tonfall er den Radioreden

der groBen Parteig6tter recht trefflich abgelauscht hatte:

,,Deutsche Mdnner und Frauen! Es ist untragbar fiir deut-

sche Volksgenossen, unser tlgliches Brot aus den HSnden

einerj0dischen Backstube zu empfangen. Das wiirde dem inter-nationalen Juden so Passen, unsere unschuldigen Kinder mitseinen Mazzes weiter zu vergiften. Diese Zeiten sind voriiber,

weil das ein historischer Moment ist. Im Namen der deut-

schen Volksgemeinschaft erkldre ich das Backhaus Kopf fur

arisiert. An seine Stelle tritt der deutsche Volksgenosse Ladis*

laus Tschitschevitzky in Kraft . . . Sieg Heil!"Peter Schoch sprach in einer angestrengten Schriftsprachc,

durch deren laute iiberall der nackte ordinire Dialekt hin-

durchlugte. Die Braunhemden briillten ihm das Sieg Heil imTakt nach. Die Menge aber blieb seltsam still, voll unbeteilig-ter Neugier, wie es schien. Jetz't abet nahm der Mann mit dcr

roten Kappe das Wort. In diesem Grenznest waren nicht anders

wie in Berlin die beiden Grundcharaktere der nationalsozialisti*

schen Partei am'Werke. Schoch reprlsentierte den unbedingterr

Fleroismus, Inbichler hingegen die augenzwinkernde Diploma-

tie, die dem Opfer treuherzig auf die Schulter klopft, dieweil ihnr

der Heroismus den Bauch aufschlitzt. Also sprach Inbichler, der

Bahnhofsvorstand, zu dem Hhuflein vor dem Haustor:

,,Meine Herrschaften! Es geht alles in Ordnung. Es gibt

keine wilde Aktion. Alles verl5uft befehlsgemllJ. Deutschtunr

heiBt Organisation. Keinern von Ihnen wird ein Haar gekriimmt

werden. Sie haben nur einen Revers zu unterschreiben,

daB Sie uns in voller Freiwilligkeit Ihren Krernpel uber-

geben und den deutschen Grund und Boden sofbrt verlas-

sen . " . Wenn nach fiinf Uhr nachmitfags ein Bewohner diescs

Flauses hier noch angetroffen werden sollte, dann wird er sicJr

die unangenehmen, aber schon sehr unangenehmen Folgcn

selbst zuzuschreiben haben! Auch ich werde ihm dann nicht

mehr helfen kdnnen.. . Es gibt nur zwei Wege, die Juden-

710

frage zu losen. In seiner unendlichen Herzensgiite wlhlt unser

Fohrer den zweiten W.g..."Der Kaplan erkannte, da8 er durch seine Einmischung hier

nicht nur nichts erreichen, sondern sich selbst unntitz gePihr-

den wiirde. Er rannte daher spornstreichs nach Hause und

setzte sich erregt mit der Gendarmerie, mit der Bezirksbe-hdrde und schlieBlich mit der Provinzialregierung in Eisen-stadt in telefonische Verbindung. Uberall erhielt er densel-ben ausweichenden Bescheid. Man konne beim besten Willennichts gegen jene zweifeihaften Elemente unternehmen, dieim Augenblick die Stra8en beherrschen. Sie seien Mitgliederder Partei, und die Partei erhalte ihre Befehle unmittelbar aus

Berlin. Die Stimmen am Telefon vibrierten in peinlicher Ver-legenheit. Gewi8 waren die Leitungen alle bespitzelt, und dieBeamten wagten kein offenes W'ort. Kurz entschlossen lief Pa-

ter Felix zu einem bekannten Gutsbesitzer in der Nihe, indessen Auto er eine halbe Stunde splter nach Eisenstadt sauste.

Dort in der Hauptstadt,eilte er von Pontius zu Pilatus, umendlich beim apostolischen Administrator des Burgenlandes

zu landen, dem Vorstand der Kirchenprovinz, einem Monsi-gnore Soundso. Der bequeme Pr5lat empfing ihn mit salbungs-

voll dosterem Argwohn. Da es der hdchsten kirchlichen Stelle,

Seiner Eminenz dem Kardinal-Erzbischof von 'W'ien, gefalle,der neuen Obrigkeit, die ja der Lehre gembB auch von Gottsein miisse, mit Vertrauen entgegenzukommen, so kdnne er

selber den Flerren Seelsorgern im Lande nur die gehorsame

Nachahmung dieser Haltung anempfehlen. Er wisse genau,

was in den Ortschaften dieses Landes heute im Gange sei,

spreche aber den dringlichen Wunsch aus, jede Einmengungzugunsten der vertriebenen Juden zu unterlassen. Diese Vor-kommnisse seien gewiB verurteilenswert, fallen aber nicht immindesten in den Aufgabenkreis der Herren Pfarrer. Und dieHinde faltend schloB der Prllat:

,,Wir wollen fiir die Juden beten, sonst aber noch einmalund immer wieder uns die Wahrheit vor Augen halten, daB

jede Obrigkeit von Gott ist . . ."

,,Auch wenn der Herrgott den Satan zur Obrigkeit einsetzt,

Monsignore?" fragte der Kaplan ein wenig aufriihrerisch.

711

Page 8: Franz Werfel

r'f,,Auch dann", sagte Monsignore, zq jedem KompromiB

entschlossen.Auf der Heimfahrt neigten die Gedanken des Kaplans im*

mer mehr dazu, die Entscheidung des Kardinals und des Prlla-ten for weise zu halten. Es gab Wichtigeres zu schiitzen als einpaar ausgeraubte und verjagte Juden. Die Kirche selbst war inGefahr. War's nicht am besten, sich in den nichsten Tagen imPfarrhaus zu verkriechen, das Sonntagsamt ohne Predigt zu

halten und jegliche Reibung zu vermeiden? Er hdtte vermut-lich dieser Anwandlung nachgegeben, rviren ihm jene 'W'orte

Aladar Frirsts nicht immer wieder durch den Kopf gegangen:

,,Ich bin tiberzeugt davon, da8, solange die Kirche besteht, Is*rael bestehen wird, doch auch, da8 die l(irche failen muB,wenn Israel frillt . . ""

5

Als der Kaplan Felix auf dem Ringplatz von Parndorf eintraf ,

schlug die Kirchuhr gerade drei. Vor dem Hause Ftirst standendie beiden Lastkraftwagen der Fuhrunternehmung MoritzZopf. Aus der ts5ckerei, dem Kaufladen und dem Haustorwurden Einrichtungsgegenstlnde, Betten, Schrdnke, Tische,Sttihie geschleppt und auf einem der beiden Lastwagen verla-den. Der Bahnhofsvorstand Inbichler untersuchte jedes ein-zelne Stiick mit kurzsichtiger Eindringiichkeit und der gewis-senhaften Inbrunst eines guten Zollbeamten, denn ohne seincEinwiiligung wurde den Vertriebenen kein Aschenbecher unt{keine Ziindholzschachtel freigegeben. Er lieB auch jeglichenGegenstand, der ihm einigerma8en gefiei, sogleich fiir siclr

abseits steilen, wobei er die Besitznahme durch ein dumpf'gemurmeltes Zauberwort verschleierte, das rrngePihr klangwie: ,,f)eutsches Nationaigut". Die Braunhemden hatten ihrcKarabiner in Pyramiden aufgebaut und rauchten und lunger-ten herum. Schoch und sein Stab sa8en im'Wirtshaus, wo Pc*

ter seit mehreren Stunden schon einer iippigen Festtafel prdsi-dierte, zu der sich der Biirgermeister und andere Notabelnvon Parndorf mit kriecherischer Eile gedrdngt hatten. Es war

712

windstill, und ein merkwiirdiger milchiger f)unst lagerte iiberder Ortschaft. Die Gruppe der Verjagten hatte sich betrdchtlichvermehrt und zlhlte schon mehr als dreiBig Seelen. Der Ka-plan Felix wunderte sich dariiber, da8 all diese Menschen em-sig und kopflos hin und her schossen, hunderterlei unsinnigeGinge machten und mehr durch eine insektenhafte LJnruheals durch verniinftige Planung gelenkt zu sein schienen. DieKinder unter ihnen starrten keineswegs mit erschreckter, son-dern mit gieriger Erregtheit auf das Getriebe. Alle jedoch sa-

hen hdchst iibernlchtig aus und glichen welken Schatten, dievon einem wiihlenden Schicksalswind bewegt wurden, derfiir Christen nicht wahrnehmbar war, obwohl er in heftigenSto8en iiber den Platz wehte"

Felix betrat die Wohnung des Rabbi Aladar. Die kaum ge-nesene 'W'6chnerin, eine zarte, heilSugige Frau, die aus demRheinland stammte, wirtschaftete atemlos herum. Ihre weiBeStirn unterm gescheitelten braunen Haar war von obermiBi-ger Anstrengung tief gerunzelt. Sie stand inmitten eines Eler-ges von Bett-, Tisch- und Leibwische, die sie in einem schoniiberftillten Reisekorbe vergeblich noch unterzubringensuchte. Manchmai hob sie die Augen. Sie waren feucht glen-zend von Schwiche und Verstindnislosigkeit. Vom Neben-zimmer her hdrte man friedliches Kindergeplapper und dannund wann das aufbegehrende Greinen eines S?iuglings.

Der Kaplan fand Aladar F0rst vor seinen Biicherschrlnken,die alle vier W'Inde des gro8en 'Wohnraumes bis zur Deckethllten. Ein paar hundert Binde, die er unter den vielen Tau-senden ausgesucht hatte, wuchsen zu seinen Fiifien in schwan-kenden Ti.irmen. Er aber hielt ein Buch in der Hand und las,

las tief versunken mit dem Schimmer eines L,ichelns um sei-nen Mund. Er schien [ber der Seite, die er angeblIttert hatte,die ganze Wirklichkeit vergessen zu haben. Der Anblick die-ses hingebungsvoli lesenden Juden mitten im Zusammenbru-che seiner Welt machte einen starken Eindruck auf den Ka-plan, wie er mir ausdriicklich gestand.

,,Ehrwiirden Doktor Fiirst", sagte er nun, ,,ich habe Ihnenleider einen schlechten Rat gegeben... DaB dieser schlechteRat mein Gewissen sehr quilt, hilft Ihnen nicht und mir

713

Page 9: Franz Werfel

FJ

nicht . . . Glticklicherweise besitzen Sie aber einen ungarischenPaB... Vielleicht meint es der Herrgott mit Ihnen und den

Ihrigen besser als mit uns . . . Es wire nicht das erstemal, da8

er das Volk, in dem er sich offenbart hat, in Sicherheitbrachte, als er es zu strafen schien. . ."

Doktor Aladar Fiirst sah den Priester mit einem langen ver-lorenen Blick an, der diesen so sehr bewegte und beunruhigte,daB er selbst mit Hand anlegte und die zur Mitnahme ausge-

wlhlten Lieblingsbiicher hinabtragen half.Eine Stunde spiter war man reisefertig. Inbichler hatte das

beste Gut der Vertriebenen zuriickbehalten, die wertvollerenMobel, alles Silber, den ganzen Schmuck der Frauen, die Ef-fekten und Geldbetrige, deren er habhaft geworden war, dennjeder der Ausgewiesenen, auch Ftirst, wurde bis aufs Hemdausgezogen und einer peinlichen Durchsuchung unterworfen.Der Rabbi nahm diese erniedrigende, durch hohnische Be-merkungen der Braunhemden verschdrfte Prozedur mit dergleichmiitigsten Geistesabwesenheit hin, so da8 Felix sich bei-nahe tiber ihn irgerte. Ich wtirde um mich schlagen, dachte er.

Das einzige, was Inbichler ohne Kontrolle und mit einer weg-werfenden Handbewegung passieren lie8, waren die B0cher.

Da aber nach Inbichlers 'Worten ,,alles in Ordnung gehn"

muBte und ,,Deutschtum Organisation" war, stellte er tiber je-den der zuriickgehaltenen Gegenstlnde eine genaue Beschei-nigung aus, wodurch der nackte Raub gleichsam auf die Hohedes Gesetzes und einer staatspolitischen MaBnahme gehobenwurde, um so siiL8er dadurch fiir den Rduber.

Peter Schoch, der sich jetzt neben den Lenker des ersten'Wagens gesetzt hatte, gab wiitende Signale. Es war vier (Jhr.

In spitestens zwei Stunden brach die Nacht an.

Die Braunhemden stie8en ihre Opfer mit Puffen und Trit-ten auf den ersten Kamion, wo sie zuerst durcheinanderkollerten und dann auf dem Boden Platz nehmen muBten.

Jetzt erst wurde es den kleineren Kindern unbehaglich, undeinige begannen zu zetern. Die dichte Menge der Zuschauerblieb totenstill, und ihren neugierigen Blicken war nicht zu

entnehmen, ob sie diese Geschehnisse billigten oder ver-dammten. Schon machten Schochs Leute ihre Motorrdder be-

714

reit. Da trat der Kaplan Ottokar Felix scharf auf lgnaz Inbichlerzl1.

,,Chefl, sagte er und richtete sich mit einem Ruck auf, ,,ichwei8 nicht, ob und in wessen amtlichem Befehl Sie han-dein.. . Aber ich mache Sie darauf aufmerksam. soltrten Sieauf eigenen Befehl handeln, daB man Sie zur Verantwortungziehn wird, morgen, iibermorgen, einmal, so oder so . . . DieseLeute da leben erwiesenermaBen seit Jahrhunderten hier, unddas Volk hat niemals zu klagen gehabt iiber sie... In Wienund in den Gro8stidten mag das anders sein, hier aber ist es

so... Sie haben ihnen jetzt einen gewaltigen Schreck einge-jagt, Chef, das ist Strafe und Rache genug, mein ich. l.assen

Sie's dabei bleiben, und warten wir alle die gesetzliche Rege-lung der Judenfrage ab!"

Der Verzwickte mit dem Ziehharmonikagesicht sog wollii-sti€i an seiner Zigarette und blies dem Geistlichen eine Rauch-schwade ins Gesicht.

,,Nur nicht dringein, Euer Hochwijrden", siuselte er lie-bensu'tirdig. ,,es kommt ein jeder dran. Die Herren Pfaffenkonnten ganz gut die ndchsten sein. Den Einfail hab ich schongehabt . . . W'enn Sie aber die Saujuden so gern haben, kdnnenSie ihnen gleich Gesellschaft leisten..."

,,Das wili ich auch", sagte der Kaplan und sprang mit einemSatz auf das Lastauto, ohne zu wissen, wie dieser lebensge-f;ihrliche Entschlu8 iiber ihn gekommen war. Es war auch garkein EntschluB. Es war eine Handlung, die nicht aus seinemeigenen Willen zu stammen schien. Die Juden starrten ihnunglSubig an. Frau Ftirst saB als einzige auf einem Stuhl, denman ftir sie in den W'agen gehoben hatte. Sie hielt den Sdug-ling im Arm, wShrend der Vater gerade das zweite Kind, einwinziges Mddchen, zu beruhigen suchte. Da nahm der Kaplanden Altesten des Rabbi, einen vierjihrigen Jungen, auf, denSchoB und begann mit ihm zu scherzen. ".

Der Motor spran€i an. Der mlchtige Wagen setzte sich miteinem HolperstoB in Bewegung, denn die StraBe war voll vontiefen L6chern. Der zweite Wagen folgte. Die Motorrdder derBraunhernden ratterten hinterdrein.

715

Page 10: Franz Werfel

6

Die Fahrt holperte die schlechte BezirksstraBe am groBen

Schilfsee entlang, der sich aber von hier aus nicht blicken l?iBt.

Diese StraBe fiihrt zu einer gottverlassenen Ubergangsstellt:

der ungarischen Grenze. 'Warum nicht die Hauptstrecke zu

dem wichtigen Grenzort Hegyeshalom gewlhlt wurde, bliet-r

ein t0ckisches Geheimnis Peter Schochs. In dem ersten der

Lastautos, vollgepfropft mit durcheinandergeschtittelten Men-schen, sprach niemand ein 'W'ort. Wenn Kaplan Ottokar Felix

versuchte, den AusgestoBenen Mut zuzusprechen, hdrten ihmalle mit den angestrengten und wlBrigen Augen von Taub-

stummen zu. Man muBte schon den mlchtigen Steinbruchvon Rust im Rticken haben, als zugleich mit der Dlmmerungvom Schilfsee her einer der dicken erstickenden Nebel ein-brach, die das Volk dieses Landstriches so abergllubischftirchtet.

Schoch lieB die ganze Kolonne halten. Die Braunhemden

stiegen von den Motorrddern. Ein kurzer Befehl:

,,Alles aussteigen! Abladen! Die'Wagen zurtick!"Im hexenhaften Dampf, darin das Tageslicht versickert war,

warfen sich die Sturmleute auf das zweite Lastauto. Kommo-den, Kredenzen, Schrdnke, wohlbehrlteter Hausrat, Kisten mitTisch- und Ktichengeschirr jeglicher Art krachten unterHohngelSchter von Turmeshohe in den Stra8endreck und zer-schellten. Ein wehleidiger Aufschrei der Frauen! AuBer sich,

packte der Kaplan den Schoch beim Handgelenk:

,,Was so1l das?. .. Sind Sie verrtickt?"Schoch versetzte dem Priester einen Faustschlag vor dic

Brust, da8 dieser zuriicktaumelte:

,,Dich kauf ich mir noch vor dem Nachtmahl, Pfaff elendi-ger", lachte er.

Jetzt folgten die Biicher des Rabbi dem ermordeten Haus-rate nach. Aladar Fiirst lief mit weit ausgebreiteten Armenhinzu. Als sich Felix aber biickte, um wenigstens eins oder das

andere der Biicher aufzulesen, machte Rabbi Aladar, so schien

es dem Kaplan, eine bis zum Grotesken jiidische Geste der

Resignation.

716

,,'W'as verloren ist, soll verioren sein", sang er vor sich hin,und der schmale Kopf lag ihm dabei auf der rechten Schulter.

,,Direktion links von der StraBe", kommandierte Peter

Schoch gellend.,,Vorwerts marsch!"Und die Zogernden, alt und jung, wurden von den Braun-

hemden ins freie Feld getrietren. Niemand durfte zurtickblei-ben. Auf die Greise wurde keine Riicksicht genommen undauf die Kinder auch nicht. Wenn eines oder mehrere von denjudenbiigen auf dem Gewaltmarsch verendete, um so besser!

l-Iier waren vollig Vogeifreie, hier waren Menschen auBerhalb

des Gesetzes, Menschen die keine staatliche Macht der Weltrnehr schi.itzte, hatten sich doch die Regierungen Englands,

Frankreichs und Amerikas nicht nur nicht zu einem entschei-clenden Protest aufgenfft, sondern die eilige Versicherung ab-

gegeben, sie wiirden sich jeder Einmischung in innerpoliti-sche Geschehnisse weise enthalten. Es war nicht nur in den

leitenden Kreisen der Partei, sondern hinab bis zum einfach-sten Partisanen bekannt, daB der englische Premier, Mr.Chamberlain, samt seiner Anhingerschaft ein augenzwin-kernder Freund sei und den Kampf gegen den jiidischen Bol-schewismus (in Parndorf von Aiadar Fdrst vertreten) mit ver-schwiegenem Wohlwollen betrachte. 'Wann anders also als

jetzt und hier kam man mitten in Europa und einer weichenZeit zu dem urtiimlich heldischen und dazu noch erlaubtenVergn0gen einer regelrechten, einer patentierten Menschen-jagdl Das ging ins Blut mit frisch frdhlichem Halali! Dielusterregten Jlger schtittelten sich vor Lachen iiber die jiidi-schen Schatten, die im Nebel vor ihnen einherkeuchten.

Der Nebel verftrbte sich immer dunkler. Pl6tzlich fiihlteder Kaplan, daB er bis zu den Kndcheln und dann bis unter-halb der Knie durch eiskaltes 'Wasser watete. Man war in dieschmatzenden Siimpfe geraten, die bei Morbisch dem See

vorgeiagert sind. Ottokar Felix ri8 den Vierjihrigen hoch, den

er bisher an der Hand geftihrt hatte. .. Nun trug er ihn aufdem linken Arm, wihrend er mit der freien Hand die jungeMutter stitzte, die ihren Siugling und sich selbst mechanisch

weiterschleppte . . .

Ich erinnere mich, da8 Felix bei dieser Stelle der ErzShlung

717

Page 11: Franz Werfel

innehielt. Die grauen Augen in dem grobporigen Gesit:lrt

starrten mich an. Ich benutzte die Pause und fragte:

,,Was haben Sie sich damals in den Stimpfen von Morbisclr

gedacht, Herr Kaplan?"

,,Ich weiB nicht, was ich mir damals gedacht habe", erwi'

derte er, ,,vermutlich gar nichts ... Ietzt aber denke ich: DicMenschheit mu8 sich ununterbrochen selbst bestrafen. Und

zwar sehr logisch, fiir die Siinde der Lietrlosigkeit, aus der un'ser ganzer Jammer entsteht und sich Glied um Glied weiter-entwickelt . . ."

7

Es war wie ein Wunder, daB man nach dieser ,,Abkiirzungdes Weges" innerhalb verhiltnismiBig rascher Zeit den Siimp-

fen entkam, um die StraBe wieder zu erreichen. Und es war

ein noch grdBeres Wunder, daB niemand Schaden genommen

oder in Verlust geraten war. Mit Einbruch der Nacht wurde cs

schneidend kalt, und der Nebei zerriB' Dort, das waren schotl

die Lichter von Miirbisch. Alles geriet ins laufen. Hinter dcrt

letzten Hiusern von Mdrbisch lag die ersehnte Grenze. Schon

war die Heimat, gestem noch die selbstverstdndliche Stdtttr

des trauten Lebens von Anfang an, z:t einer fremden Hdllt:geworden, nach der man sich nur mit Grauen umblickt'

Die Nacht war sehr dunkel. Ein eisiger Wind kam ange-

sprungen. Vom osterreichischen Zollhaus flatterte schon dic

Fahne des Eroberers. Als aber die alte Grenzwache, die noch

nicht abgelost war, Peter Schoch mit seinen Braunhemderr

und ihren Opfern erblickte, verschwand sie so schnell von dcr

BildflSche, als hltte der Sumpf sie verschiuckt. Der Weg zum

ungarischen Grenzhaus hintiber, keine hundert Schritte weit'lag frei. Aladar Fiirst sammelte die Pdsse der Vertriebenen' L)ie

meisten davon, darunter auch der seine, waren ungarische Pa-

piere, hatte doch ein groBer Teil der Burgenlender, ungeachtet

der Friedensschliisse von St. Germain und Trianon, die ur-spriingliche ungarische Staatsb'iirgerschaft aus verschiedenen(lriinden beibehaiten. Es konnte kein Zweifel herrschen, da8

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sich die magyarische Grenzschranke zumindest all jenen, dieordnungsgemiBe Dokumente vorweisen konnten, wider-standslos offnen werde. Das war ja Gesetz und Recht! RabbiAladar wanderte mit dem StoB von Fissen in der Hand nach

dem ungarischen Zollhaus hintiber. Der Kaplan begleitete ihnschweigend. Peter Schoch folgte ihnen, vergniigt schlenkerndund pfeifend. Der Beamte driiben in der Kanzlei warf nichteinmal einen Blick auf die Pdsse:

,,Haben die Herren bitte die Permission vom KoniglichUngarischen Generalkonsulat in Wien?" fragte er mit groBterH6flichkeit.

Die Lippen des Aladar Fiirst wurden wei8:

,,Was fiir eine Permission um Gottes willen?",,Gem5B Verordnung von heute zehn Uhr vormittag ist der

Grenztibertritt nur mit Permission des Generalkonsulats ge-

stattet . . ."

,,Aber das ist ja ganz unmoglich", stammelte Fiirst, ,,wir ha-ben davon nichts gewuBt und hetten uns diese Permission gar

nicht verschaffen diirfen. Man hat uns doch unter Todesdro-hung nur sechs Stunden Frist gegeben..."

,,Bedaure sehr", zuckte der Grenzbeamte die Achseln, ,,aber

da kann ich nichts machen. Die Herren miissen die Permissiondes Generalkonsulats vorweisen. .."

Peter Schoch trat vor und knallte die ,,Reverse" auf denTisch, in welchen die Verjagten mit ihrer eigenhandigen (Jn-terschrift bekrlftigten, daB sie ihre Heimat freiwillig undohne Zwang zu verlassen gesonnen waren.

,,Holen Sie Ihren Kommandanten her", sagte der Kaplan,

und er sagte es so, daB der junge Beamte aufstand und ohneWiderrede gehorchte. Nach zehn Minuten etwa kehrte er miteinem schlanken graumelierten Offizier zuriick, dem man es

ansah, daB er noch in der aiten glorreichen Armee gedienthatte. Er nahm die Pdsse in die Hand wie ein Kartenspiel undblStterte sie nervos an, wihrend ihn der Kapian scharf anging:

,,Ich bin Zeuge, Herr Major, daB man diese Leute vor we-nigen Stunden bis auf die Haut ausgeraubt und durch den

Sumpf an die Grenze gejagt hat, schlimmer als Tiere . . . Dok-tor Ftirst ist ungarischer Staatsbi.irger und viele andere auch,

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Page 12: Franz Werfel

wwie Sie an den Pissen sehen konnen . . . Es gibt unter zivili-sierten Menschen keine Verordnung, die diesen schutzsuchctl-

den Staatsbi.irgern die Aufnahme verweigern konnte. .

"',,Na. .. na. .. Herr Plarrer", sagte der Offizier und sah Fc-

lix mit dunklen bittern Augen an, ,,es gibt unter zivilisiertcrrMenschen so mancherlei . . ." Und er ftigte kalt hinzu: ,,lch

habe nach Vorschrift zu handeln...",,Wir sind doch nur wenige", bat Aladar Fiirst. ,,Die meistctr

von uns haben in LJngarn Verwandte. 'W'ir werden dem Staat

nicht zur Last fallen.. ."

Der Major schob das Kartenspiei der Pisse mit angeekelter

Hand von sich. Er wtirdigte keinen der Anwesenden eincs

Blickes, weder Fiirst, noch Felix, noch Schoch. Nach eincrWeile gerunzelten Nachdenkens sagte er ziemlich grob:

,,Gehen Sie jetzt iiber die Grenze zuriick und warten Sic

ab!"Erst als der Kaplan ihn entsetzt anschaute, murmeite er:

,,Ich werde nach Sopron telefonieren, an den Herrn Ober-gespan . . ."

I

Vor dem osterreichischen Zollhaus lag ein freier Platz. Linksftihrte der Weg zu den Schilfufern des Sees, rechts verlor er

sich im dichten Rebengeldnde. Auf dem Platz hatten dicBraunhemden mit den Scheinwerfern ihrer Motorrdder eincArt von belichteter Biihne geschaffen. Sie trieben in diesen

Lichtkreis die alten Mlnner zusammen und vergniigten sich

nach dem Muster der deutschen Konzentrationslager damit,diese Hinftiiligen in raschem Tempo Kniebeugen und andre

gyrnnastische Ubungen vollftihren zu lassen: ,,Auf - niederl

Eins - zweit" Nach einer Weiie brach der achtzrgtrdthrige Da*vid Kopf, der Vater des Bdckers, mit Herzkrdmpfen zusam-

men. L)er Kaplan war nahe daran, in die Reihe der Gemarter-ten zu treten und sich mit ihnen erniedrigen zu lasSen. Er

wu8te aber zu gut, da8 er damit nichts andres hervorgerufenhltte als das lffische HohngelSchter der Siegestrunkenen. Ein

720

Gedanke durchdrang immer wieder seinen Sinn: DieseGliicklichen miissen sondigen, diese Unglticklichen dtirfenbti8en. 'Wer also sind die Gliicklichen und wer die Ungltick-lichen? - Zuschauer hatten sich ringsum versammelt, Leuteaus M6rbisch und die Soldaten der ungarischen Grenzwache.Diese verbargen nicht ihren Abscheu und Zorn. Felix sah, wieein lJnteroffizier ausspuckte und empdrt zu seinem Neben*mann knurrte:

,,Wenn ich so was erleben mtiBte, ich wiirde mich umbrin-gen, mich und meine ganze Familie, auf der Stelle."

Nach einer Stunde traf ein Automobil ein, in dem derObergespan (so lautet der Titel eines ungarischen Provinzgou-vemeurs) hochst personlich saB. Sopron, die Hauptstadt des

Komitats, lag nur wenige Meilen von der Grenze entfernt.Der Bezirksgewaltige war ein freundlicher dicker Herr, vonjener federnden Elegance, wie sie korpulente 'Wiirdentrdger

oft zu beweisen lieben. Er hatte ein puterrotes Gesicht, einenschneeweiBen Schnurrbart und schwitzte sichtbar trotz derBlrenkilte. Nachdem er mit sicherer Nonchalance in denLichtknoten der Scheinwerfer getreten war und alle jovial zusich herangewinkt hatte, stemmte er die Fluste in die Hiiften,um dadurch seine iiberqueltrende Gestalt vorteilhafter heraus-zumodellieren, und wippte reitermsBig auf den Zehenspitzen:

,,Kinder, was macht ihr mir da fi.ir Geschichten", begann ervdterlich, wobei er sich ausschlieBlich an die Vertriebenenwandte. ,,Ich kann gesetzliche Verordnungen nicht umstoBen.Ich bin nur ein ausfuhrendes Organ" Ich hafte dem Ministe-rium des Innern in Budapest. lJngarn ist ein Rechtsstaat, undwir haben den christlichen Kurs, gewiB... Aber ultra posse

nemo teneatur . . . Ich darf keinen Prdzedenzfall schaffen.Denn warum? -W'enn ich euch heute iiber die Grenze lasse,

kommen morgen andere und berufen sich darauf, morgenund iibermorgen und vielleicht viele Monate lang. Das wireso was, das mtiBt ihr ja selbst einsehen . . . LJngarn ist einLand, dem man Arme und Beine abgeschnitten hat, und es hatbeinahe eine Million israelitischer Staatsbiirger, und es hat Ar-beitslose ohne Zahl, das wire noch besser. . . Ihr habt michverstanden, nicht wahr? Na alsol Dann geht jetzt schon nach

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FT'

Haus, alie miteinander, und macht mir keine Schwierigkci-ten ... Mir personlich tut es leid, da8 ich nichts for euch turr

kann.. ."Der Obergespan hatte wie ein giitiger alter Herr gespro-

chen, der ungezogene Kinder dazu bewegen will, von einetttdummen Streich abzusehen und brav heimzukehren. Er hattcseine Rede an die Falschen gerichtet, die bewaffneten Braun-hemden nur dann und wann mit einem verlegenen Blickstreifend. Da sagte Peter Schoch in die tiefe Stille hinein:

,,Ehe da8 die hier nach Hause gehn, schieBen wir sie allciiber den Haufen . . ."

Und jeder wu8te, daB diese 'W'orte des Sturmfiihrers keincleere Drohung waren. Zrerst versuchte Aladar Fiirst demObergespan mit ruhiger Stimme darzulegen, da8 es tiefcNacht und doch v611ig ausgeschlossen sei, Siuglinge, kleincKinder, eine Frau knapp nach den Wochen und eine Anzahlkranker aiter Leute im Freien (was hei8t im Freien?), imNichts ndchtigen zu lassen, denn hier, wo weder das eincnoch das andere Land ist, hier sei doch wahrhaftig das Nichts.Seine Stimme flehte nicht, sondern klang mtide, wie dicStimme eines Mannes, der wei8, daB keine Bitte und kein Rr"rf

zur Vernunft fruchten wird. Die Stimme des Kaplans abcrklang flehend jetzt. Er beschwor den hohen Beamten in Chri-sti Namen, die AusgestoBenen wenigstens in dieser Nachtjenseits der Grenze zu beherbergen, denn sie wtirden ja wedcrin Morbisch noch in einer anderen osterreichischen OrtschaftAufnahme finden, und die Morddrohung der Bewaffneten sci

bitter ernst zu nehmen. Der Obergespan wippte eifrig auf sei-nen FuBspitzen und wischte sich den SchweiB.

,,Aber hochwiirdiger Herr", klagte er beinahe gekrinkt,,,warum machen Sie mir meine Situation noch schwerer, gc-rade Sie? . . . Glauben Sie, ich bin kein Mensch? . . . Ein ftir al-lemal! Die Regierung hat die Grenze gesperrt. Ich bedaurclebhaft . . ."

Zum Trost lieB daraufhin der Obergespan von seinenr

Chauffeur an die Frauen und Kinder einige Lebensmittel ver-teilen, die er aus Sopron mitgebracht hatte. Vielleicht war'sein Zufall, vielleicht lag es in seinem Charakter, daB diese Le-

bensmittel zumeist aus den klebrigen Zuckerwaren bestanden,wie sie an StraBenecken feilgeboten werden. Der graumelierteMajor stand wortlos die ganze Zeit dabei und betrachteteseine Stiefelspitzen. Da bat der Obergespan ihn und den Ka-plan abseits. Sie gingen auf der StraBe zwischen den beidenGrenzhdusern auf und ab.

(Jnd nun entwickelte er sein-en Plan.

,,Mir ist da etwas eingefallen", begann der Obergespan,

,,vielleicht ist das ein Ausweg, der dem Flerrn PFarrer gefallenwird... Ich darf aber von der ganzen Sache nichts wissen,verstehen Sie, Herr Major?"

Der Major moge ,,die Gesellschaft" zum Schein die Grenzeiibertreten lassen, sie aber im leufe der Nacht wieder nachOsterreich zuriickschmuggeln, am besten auf einer der plattenBarken" die den See befahren. Damit sei zugleich dem Gesetzund der Menschlichkeit Gen0ge getan...

Der Major blieb stehen und straffte sich.

,,Herr Obergespan brauchen nur zu zwinkern, und ichwerde in diesem Fall das Gesetz umgehen. .. Aber ich binseltrst Familienvater, und dazu gebe ich mich nicht her, Frauenund Kinder massakrieren zu lassen, und sie werden massa-kriert werden, wenn wir sie zuerst aufnehmen und dann wie-der ausliefern."

,,Bitte sehr, mein Deber, es war ja nur so eine Idee", 15-

chelte der Obergespan sehr empfindlich und bestieg seinen'W'agen, ohne auf die erhobenen Hlnde des Kaplans zu achten.

9

Die Nacht hatte sich ein wenig erhellt. Ein sehr wei8er Vier-telmond war aufgestiegen, der die Kiilte zu verschirfen schien.Im nahen Rebengehnde zeichnete sich eine W'inzerhttte ab,die wdhrend der Weinlese als Schutzdach fiir Wind und Wet-ter diente. Dorthin brachte Aladar Fiirst die erschiipfte Frauund seine Kleinen. Der Kaplan trug den Vierjdhrigen, der inseinen Armen eingeschlafen war, in die Htitte. Indessen hatteder Major aus der ungarischen Grenzkaserne Strohsdcke und

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Decken bringen und Brot und Kaffee verteilen lassen. Auclr

befahl er seinen Leuten, zwer Zelte ftir die Vertriebenen aut-*

zustellen, eines fiir die Mdnner, eines frir die Frauen. Dit:Braunhemden betrachteten diese Zurtstungen hdchst miBgi.in-stig, wagten aber nicht, sie zu verhindern, da sie von eincrfremden bewaffneten Macht getroffen wurden, deren Freund-schaft und Wohlwollen man im Augenblick noch bedurftc.Der Kaplan widerstand der Versuchung, sich nach Mdrbischzu begeben und dort im Pfarrhaus ein Nachtlager zu erbitten.Aladar Fiirst hatte ihn selbst dazu bewegen wollen. Bis zumMorgen konne sich ja nichts mehr ereignen, sagte der Rabbi.Felix aber war ein abgeherteter Mann, und eine unbequemcNacht wog leicht fiir ihn. Er hatte vom Major eine gro8e Fla-sche mit Milch fiir die Kinder von Fiirst erbeten und erhalten.Als er aber mit dieser Gabe sich der'Winzerhiitte ndherte, er-scholl vom Platz her ein kurzes Hornsignal und ein scharfes

Kommando der schneidenden Stimme Schochs:

,,Vergatterungl Aile Mdnner antreten!"Die Schatten, die sich in und vor den Zelten soeben zum

Schlaf hingestreckt hatten, taumelten auf und versammeltensich hohl5ugig und grell angestrahlt im Licht der Motorrdder.Zuletzt kam Aladar Fiirst heran und hinter ihm Felix. Wih-rend manche der alten Mdnner stohnten wie aus einernschweren Schlaf'heraus, biickte Rabbi Aiadar jetzt sanft undvertreumt drein. Peter Schoch stapfte gravit5tisch auf ihn zu,

sehr langsam, die kleinen Augen wolli.istig zugekniffen undeinen schiefen vielversprechenden Zug tm den Mund. DicBraunhemden lachten aile aus vollem Halse. Jetzt kam gewiBdas Hauptvergnrigen, wofiir es sich hoch lohnte, im Sieges-

rausch mehrere lriSchte um die Ohren zu schiagen. Peterl, derSturmfrihrer, war ja weitbertihmt f0r seine trefflichen undwitzigen Einf;ille. Jetzt stand er blond und rank vor Fiirst, diekleine Gestalt des Rabbi hoch iiberragend. Er hielt in seinerRechten ein holzernes Hakenkreuz, das er als schlichtes Ar-mengrabkreuz vom Morbischer Friedhof entwendet unddurch fliichtig angenagelte Querbrettchen in das Symbol des

Sieges verwandeit hatte, und zwar eigens ftir den SpaB, den er

im Sinne trug. Noch gab es keine Hakenkreuze im Lande, und

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so war Schoch in der Not auf den Gedanken verfallen, den

eingesunkenen Grabhtigel eines Vergessenen seines Christen-schmucks zu berauben. Er hob diese seltsame makabre Swa-

stika hoch iiber den Kopf wie ein Kreuzritter.

,,Saujud und Knoblauchfresser", rief er, und man horte sei-

ner Stimme an, wie er sich selbst am0sierte. 'Du bist der Rab-

biner, he? Bist du der Rabbiner?"Keine Antwort.,,Als Rabbiner mit Peikes und Rokelores springst du her-

um am Schabbes vor der Bundeslade, wie, Mojschehamazze,Schojrehascheisse . . ."

Die Motormlnner briillten, beseligt von dieser Parodie des

Hebrdischen. Fiirst stand schweigend da, beinahe unaufmerk-sam.

,,Als Rabbiner ktiBt du am Schabbes deine Bundeslade, he?"

Keine Antwort.Da versetzte Schoch mit der Linken Aladar F0rst einen kur-

zen Faustschlag gegen den Magen, da8 er in die Knie brach.

Dann wandte er sich an die Braunhemden: ,,Niemand soll sa-

gen, da8 wir euch schlecht behandeln.. . Ich gebe dir dieEhre, Saujud, das Hoheitszeichen der germanischen Rasse mitdeinem dreckigen Maul zu ktissen . . . Und der Pfaff dort soilKyrie eleison singen dazu . . ."

Aiadar Fiirst, noch immer auf seinen Knien, nahm ruhig das

Hakenkreuz, das ihm Schoch, der jetzt einen Schritt zuriick-trat, entgegengehaiten hatte. Er hielt es zuerst unschltissig inder Hand, dieses grobe morsche Grabkreuz eines unbekanntenToten, das nach nasser Frtihlingserde roch. Ottokar Felix be-tete wdhrend dieser gespannten Sekunden, Ftirst m6ge nichtsUnvorsichtiges tun, sondern das Hakenkreuz kiissen. Es ge-

schah aber etwas v6llig unerwartetes.Der Kaplan sagte wortlich zu mir, seine Erzdhiung unter-

brechend:

,,Ein jiidischer Rabbi hat das getan, was ich, der Priester

Christi, hltte tun miissen . . . Er stellte das geschandete Kreuzwiederher..."

Aladar Fiirst handelte mit halbgeschlossenen Augen, wie ineinem fernen Traum verloren und durchaus nicht mit raschen,

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Page 15: Franz Werfel

sondern mit nachdenklichen Bewegungen' Er knickte eins

nach dem andern die nur lose angenagelten Seitenbrettchen

ab, die aus dem Kreuz ein Hakenkreuz machten. Da aber das

Kreuz schon sehr von Wind und Wetter zermiirbt war, brach

bei dem Knicken das eine Ende des verfaulten Querholzes mitab, wodurch es sich zeigte, da8 das riickverwandelte Kreuz

Schaden genommen hatte und nicht mehr dasselbe war wic

friiher. Totenstille herrschte. Niemand hinderte den Verlore-

nen an der langsamen Vernichtung des triumphierenden Sym-

bols. Peter Schoch und die Seinen schienen nicht zu verste-

hen, was diese Tat bedeute. Sie standen mehr als eine Minutchitrflos da und wu8ten nicht, was sie tun sollten. Ein schwe-

bendes L.icheln Iag auf dem Gesicht Rabbi Aladars, das sich

vol1 dem Kaplan zuwandte, der neben ihm stand. Und er

reichte dem Priester das Kreuz hin wie etwas, das diesem ge-

horte und nicht ihm. Kaplan Felix nahm es mit der rechten

Hand. In der Linken hielt er noch immer die Milchflasche . . .

Da rief jemand aus der Reihe der Braunhemden:

,,Saujud, hdrst du nicht, da8 der Ungar dort dich haben

wili... Lauf, Saujud, lauf ..."Und wirklich. Aladar Fiirst taumelte auf, blickte um sich,

atmete schwer, sah fern unter den Lichtern des anderen Zoll-hauses die Gruppe ungarischer Soldaten, die sich dorthin zu-

riickgezogen hatten. Er zogerte noch einen Augenblick, dann

begann er in wilden Spriingen in die Richtung lJngarns zu

laufen, in die fuchtung des Lebens. Zu spat' Der erste SchuB

fiel. Und dann noch einer. [Jnd jetzt das Geknatter automati-

scher Gewehre. Fiirst war keine zwanztg Schritt weit gekom-men. Die Braunhemden warfen sich Ober den Gestiirzten und

trampelten mit ihren genagelten Stiefeln auf ihm herum, als

wollten sie ihn in die Erde stampfen.

Dr0ben erschollen peitschend magyarische Kommando-worte. Mit gefalltem Bajonett ging die ungarische Grenzwa-

che gegen die Mdrder vor, von Wut und Kampflust bebend,

allen voran der Major, die Pistole in der Faust'

Bei diesem Anblick lieBen Schoch und seine Leute ihr Op-fer liegen, machten kehrt, schwangen sich auf die Motorrlderund verdufteten mit Benzingestank. Es gehdrte nlmlich nicht

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nur zum Genie ihrer Parteipolitik, sondern ebenso zu derEigenart ihres M6rdermutes, immer auf das Genaueste zuwissen, wie weit man gehen dtirfe, ohne die groBe Sache zu

gefthrden.Der Verwundete wurde ins ungarische Grenzhaus getragen

und dort auf eine der Pritschen gebettet. Er war bewuBtlos.tsald kam der vom Major herbeigerufene Arzt. Er stellte eineVerletzung des Riickenmarks und zwei Lungenschiisse fest.Au8erdem waren dem Mi8handelten mehrere Rippen gebro-chen und schwere Quetschungen zugeftigt worden. Der Ka-plan bemiihte sich um Frau Fiirst, die durch das SchrecklicheStimme und Sprache verloren hatte. Mit weit aufgerissenenAugen hockte sie neben dem Gatten und bewegte verzweifeltund tonlos die Lippen. Das dtinne scharfe Schreien des SIug-lings durchschnitt den Raum. Die Mutter konnte ihm dieBrust nicht reichen.

Gegen Morgen starb Aladar Forst, der Rabbi von Parndorf.Bevor es zu Ende ging, schlug er die dunklen Augen auf,groB... Sie suchten die Augen des Kaplans von Parndorf. IhrAusdruck war gelassen, weit entfernt und nicht unzufrieden.

Durch seinen Tod rettete Aladar Ftrst seine Gemeinde. DerMajor verging sich gegen den Regierungsbefehl und setzte

seine eigene Existenz aufs Spiel, indem er den Frauen, Kin-dern und Greisen den Grenziibertritt gestattete. Diese wurdennach Sopron gebracht. Neun Mlnner in der Vollkraft ihrer

Jahre blieben zuriick. Ihnen riet der Major, sich nordwlrts zuwenden. Er habe Nachricht, daB die tschechoslowakischeGrenze fiir Fliichtlinge geoffnet worden sei. Sie m6gen aufGott vertrauen und jenseits des Schilfsees eine Fahrgelegen-heit suchen...

,,Und Sie, Herr Kaplan?" fragte ich.

,,Und ich", wiederholte Ottokar Felix geistesabwesend.Dann nahm er seinen Hut: ,,Um mich ging es ja gar nicht indieser Geschichte, die Ihnen nun anvertraut ist. Da es Sie aber

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Page 16: Franz Werfel

interessiert, nach Parndorf konnte ich nicht mehr zuriickkeh-ren, das war ja klar. So bin ich denn mit den neun Mlnnernals der zehnte an einem unbewachten Punkt riber die slowaki-sche Grenze entkommen. 'W'ir schwammen fber einen FluB.

Seitdem wandere ich mit den Kindern Israels von I'and zu

Land."'W'ir traten aus dem Portal von Hunters Hotel auf die

StraBe. Die Sonne ging glorreich unter hinter dem riesigen

Park. Es war Freitag abend und eine linde Stunde. Die Men-schen kehrten heim. Dichter Verkehr herrschte. Vier Reihen

von Autos kamen nicht vorwirts auf der StraBe' bi. F ttt.nwaren sehr schon mit ihrem nackten leuchtenden Haar. Ihre

lachenden Stimmen durchwirkten den Lirm. Frieden und

Frohlichkeit lag iiber Amerika.

,,Sehn Sie", blinzelte Felix in das Treiben hinaus, ,,sehen

Sie doch diese freundlichen Menschen, a1les wohlgekleidet,satt und guten Willens. Diese Unschuldigen ahnen noch

nicht, daB sie hngst in den Krieg verwickeit sind, in den er-

sten Krieg ihrer Geschichte, in dem es wirklich um Sein und

Nichtsein geht. Sie ahnen noch nicht, daB Peter Schoch iiberihnen ist und vielleicht auch unter ihnen. Viele von diesen

Mlnnern werden fallen. Sie werden ausziehen, um das ansten*

dige Leben und die Freiheit ihres Volkes zu verteidigen. Aberviel mehr steht auf dem Spiel als Freiheit und anstlndiges Le-

ben, das geschindete Kreuz nimlich, ohne das wir in Nacht

versinken m0ssen. Und Gott allein wei8, ob eine ganze Weltwird tun diirfen, was der kleine Jude Aladar Fiirst getan hat

mit seinen schwachen Hinden."

HaNs HENNv JaHNNEin Herr whhlt ,seinen Diener

Manshard hat mir den Dienst aufgesagt. Ich hatte ihm, weilich verdrieBlich war, ein hartes 'W'ort gegeben, ein ungerech-tes. Er antwortete mir sogleich ungewdhnlich heftig, unbe-dacht, wie mir schien. Er schrie fast, er habe es satt, sich vonmir ausnutzen zu lassen, fiir einen Hungerlohn ineine keines-wegs vorteilhaften Eigenheiten zu pflegen. - Ich bin mirnicht bewuBt, daB ich je Ungebiihrliches von ihm gefordert,seine Arbeitskraft mi8braucht hette. Die Behauptung, daB icheinen Hungerlohn bezahle, scheint mir dadurch widerlegt,da8 er mit dem gleichen Atem erkllrte, er werde ein Kaffee-haus eroffnen; das Geld dafiir habe er sich erspart.

Ein Geftihl des Unglticklichseins. Wir haben manche Jahremiteinander verbracht. Wahrscheinlich waren sie fiir ihn ent-tiuschend; ich glaube, er hat sich gelangweilt, denn ich verab-scheute die Abwechslung. Sein Gesicht ist allmlhlich leer,

schwer verstlndlich, fremdartig geworden. Es fiillte sich frei-lich zuweilen, wenn ich ihm, und sei es splt am Abend gewe-sen, mitteilte, er miisse mich noch mit dem Auto in die Stadt

bringen. Er war geradezu darauf versessen, mich umherzufah-ren, forderte mich oft auf, mir ftir den Sonntag irgendein Zielzu wihlen, mdglichst weit fort - in einer anmutigen Gegend.

Er ermutigte mich auch zu nichtlichen Abenteuern. - Undjetzt kam der Vorr,vurf, ich hitte ihn oft nicht einmal an den

Sonntagen unbeschiftigt gehalten und seine Bettruhe nichtgeachtet.

Nun, er will ein Kaffeehaus er6ffnen. Diesen W'unsch hat

er wahrscheinlich seit jeher gehabt. Die Zert ist nun dafiir reifgeworden. Der Dienst bei mir war eine Strecke W'eges zumZieI. lch allein bin es, der von (Jnbehagen befallen ist, vonUngewiBheit, ja von Angst, weil ich nicht weiB, welcher ArtMensch zukiinftig in meiner Nihe sein wird.

Ich mu8 meine Besttirzung zigeln, das versteht sich. Ich

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