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Franz Oppenheimer (1864–1943) - Vandenhoeck & Ruprecht€¦ · Oppenheimer (1864–1943)...

Date post: 16-Jun-2020
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Claudia Willms Franz Oppenheimer ( 1864–1943 ) Liberaler Sozialist, Zionist, Utopist
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Claudia Willms

Franz Oppenheimer (1864–1943)Liberaler Sozialist, Zionist, Utopist

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Franz Oppenheimer war ein Deutschnationaler und bekannte sich öffentlich zu seiner jüdischen Religion. Er war ein früher Zionist, der mit Theodor Herzl Pläne schmiedete. Er war ein theoriefester Liberaler und ein pazifistischer Anarchist. Er war ein genossenschaftlicher Sozialist und kritisierte den Marxismus. Und er hatte eine Utopie, deren ökonomische Umsetzung er zeitlebens anstrebte. So wurde er zu einem der ersten deutschen Soziologen.

Das vorliegende Buch beschäftigt sich mit der deutsch-jüdischen Iden titätskonstruktion dieser schillernden Figur. Mit der dichten bio-graphischen Darstellung gelingt der Autorin eine Würdigung sowohl des eigensinnigen Theoriewerks als auch des öffentlichen Beitrags, den Oppenheimer sowohl für die deutsche Gesellschaft als auch für die jüdische Gemeinschaft geleistet hat.

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Franz Oppenheimer (1864–1943)

ISBN Print: 9783412511401 — ISBN E-Book: 9783412513092© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar

Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Reihe Jüdische ModerneHerausgegeben von Alfred Bodenheimer, Jacques Picard, Monica Rüthers und Daniel Wildmann

Band 19

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Claudia Willms

Franz Oppenheimer (1864–1943)Liberaler Sozialist, Zionist, Utopist

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

ISBN Print: 9783412511401 — ISBN E-Book: 9783412513092© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar

Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Die vorliegende Arbeit wurde im Jahr 2016 unter dem Titel „Liberaler Sozialist, Zionist, Utopist: Deutsch-jüdische Identitätskonstruktionen am Beispiel von Franz Oppenheimer (1864–1943)“ vom Fachbereich Gesellschaftswissenschaften der Goethe-Universität Frankfurt und der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar.

Umschlagabbildung: Franz Oppenheimer auf einem Gartenstuhl im Brandenburger Land (in der Nähe seiner Siedlungsgenossenschaft Lüdersdorf/Wriezen) um 1930, Privatbesitz: Frank Lenart.

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & CieLindenstraße 14, D-50674 Köln

Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig.

Korrektorat: Adina Stern, Berlin

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com

ISBN 978-3-412-51309-2

ISBN Print: 9783412511401 — ISBN E-Book: 9783412513092© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar

Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Inhalt

Dank . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21

1. Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 .1 Annährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 .2 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291 .3 „Irgendwie harmonisch“ oder „doppelt loyal“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 .4 Milieu, Marginalität und Prophetie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 .5 Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 .6 Aufbau der Arbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43

2 TheoretischerRahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 .1 Der Fremde in klassischen Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 .2 Die Emanzipation aus soziologischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 502 .3 Mehrfachzugehörigkeit und Subjektorientierung . . . . . . . . . . . . . . . . 522 .4 Säkularisierungsthese und Messianismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

3 DiebiographischeMethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 .1 Archiv, Geschichte und Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 633 .2 Der historische Mensch im Kontext . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 663 .3 Theorie der Biographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 683 .4 Die Einzelfallanalyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71

BiographischerTeil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78

4 LiberaleErziehungimMilieudesReformjudentums . . . . . . . . . . . . . . 784 .1 Die Memoiren eines greisen Kindes ( Julius Oppenheimer,

1827–1909) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 784 .2 Autobiographie und Familiengedächtnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 824 .3 Das religiöse Koordinatensystem des jungen Julius Oppenheimer . . . 864 .4 Das persönliche Streben Julius Oppenheimers nach Reform . . . . . . . 904 .5 Das Reformjudentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 924 .6 Die religiöse Erziehung Franz Oppenheimers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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6 Inhalt

5 Burschenschaft,Freundschaft,LiebeundKatharsis . . . . . . . . . . . . . 1015 .1 Alte „Burschenherrlichkeit“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1015 .2 Illiberalismus und studentisches Milieu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1035 .3 Die Burschenschaft Hevellia . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1075 .4 Der solidarische Leibfuchs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1135 .5 Exkurs: Die Beziehung von Paula und Richard . . . . . . . . . . . . . . . . . 1185 .6 „Ein Weg zur Liebe“ – innere Reifung in der Krise . . . . . . . . . . . . . . 122

6 Sozialismus:GelobtesLand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1286 .1 Die soziale Frage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1286 .2 Utopische und frühe Sozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1326 .3 Aus der Arztpraxis in die Zeitungsredaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1356 .4 „Freiland in Deutschland“ (1895) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1386 .5 Die Gründung von Siedlungsgenossenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 1416 .6 Utopie und Judentum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146

7 ZionismusfürdieSiedlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1537 .1 Ein deutschnationaler Zionist? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1537 .2 „Jüdische Siedlungen“ (1901/02) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1567 .3 „Die Anfänge des jüdischen Kapitalismus“ (1902) . . . . . . . . . . . . . . . 1597 .4 Bekenntnis zum Zionismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1667 .5 Die Siedlung Merchavia (hybxdm) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1717 .6 Im zionistischen Auftrag unterwegs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

8 DerErsteWeltkriegunddasKomiteefürdenOsten . . . . . . . . . . . . . 1798 .1 Stammesbewusstsein contra Volksbewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . 1798 .2 Machtkämpfe um verschiedene Zionismen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1858 .3 Gründung und Entwicklung des Komitees für den Osten . . . . . . . . . 1958 .4 Exkurs: Aus Studenten werden Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2028 .5 Oppenheimers Einstellung zum Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2058 .6 „Die Judenstatistik des preußischen Kriegsministeriums“ (1922) . . . 209

9 DieFrankfurterZeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2129 .1 Die mögliche Beteiligung an der staatlichen Agrarreform . . . . . . . . . 2129 .2 Professur in Frankfurt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2189 .3 Private Veränderungen und sein Bruder Carl . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2229 .4 München versus Berlin? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2269 .5 Zionismus: eine Wiederannährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2309 .6 „Über meiner Frankfurter Zeit waltete ein schwerer Unstern“ . . . . . 239

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Inhalt 7

10GroßerBruch–weitesteFerne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24510 .1 Ein ferner „Lichtschimmer“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24510 .2 Der utopische Roman als Intervention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25010 .3 Suche nach Anschlussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25410 .4 Oppenheimer und Buber . Eine lebenslange Freundschaft . . . . . . . . 26010 .5 Emigration . Der Bericht der Tochter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26410 .6 Japan und die letzten Jahre in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268

Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27511 Zusammenfassung des biographischen Teils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27512 Abhandlung der Hypothesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28213 Evaluation und Anschlussmöglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28814 Schlusswort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292

Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295Der Jerusalemer Nachlass von Franz Oppenheimer . . . . . . . . . . . . . . . . . 295

Quellen-undLiteraturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Dank 9

Dank

Allen voran danke ich meinen beiden hervorragenden Betreuern in diesem bi-nationalen Promotions-Verfahren, Prof . Dr . Klaus Lichtblau (Universität Frank-furt am Main) und Prof . Dr . Jacques Picard (Universität Basel): Ich wurde von Euch beiden stets mit viel Respekt behandelt, und mit Eurer breiten und langen Erfahrung konntet ihr mich in den verschiedenen Phasen meines Projekts indi-viduell beraten und mir lösungsorientiert zur Seite stehen . Die Zusammenar-beit war auf ihre jeweils unvergleichliche Art gewinnbringend, denn zu meiner Freude hatte ich mir Betreuer ausgewählt, mit denen es möglich war, über den Tellerrand hinausschauen, eigenständige Perspektiven zu entwickeln und darü-ber hinaus einen gewissen Grad an wissenschaftlicher Freiheit und Unabhän-gigkeit beizubehalten .

Ganz besonders hervorzuheben ist die großzügige Unterstützung der Fritz-Thyssen-Stiftung, ohne die ich wohl niemals diese Doktorarbeit verfasst hätte . Sie haben die Kosten für das Drittmittelprojekt getragen, welches mich zuerst auf Franz Oppenheimers Spuren in die Welt (der Archive) geführt hat . Besonders freue ich mich, dass Sie nun auch die Kosten für die Drucklegung der hier vor-liegenden Arbeit übernommen haben .

Daneben danke ich meinem derzeitigen Arbeitgeber, dem Forschungsschwer-punkt „Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten“ (finanziert vom LOEWE-Programm des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst und angesiedelt an der Goethe-Universität Frankfurt sowie der Justus-Liebig-Universität Gießen) und seinem engagierten Sprecher Prof . Dr . Christian Wiese . In diesem thematisch passenden Rahmen hatte ich sowohl die Möglichkeit, diese Publikation fertig-zustellen als auch in den nächsten Jahren mit ethnographischen Methoden zum Thema „Religiöser Antikapitalismus?“ und somit zu den Fragen von religiös bedingter Ökonomiekritik (weiter) zu forschen .

Des Weiteren danke ich der erweiterten Familie Oppenheimer: Michael Oppenheimer, Frank Lenart, Ruth Oppenheimer-Katz und deren Familien . Nie vergessen werde ich unser Gespräch am Wohnzimmertisch in München (mit dem Oppenheimer-Gemälde im Hintergrund), die gemeinsame Fahrt nach Merchavia oder das leckere Essen mit dem Originalbesteck der Familie Franz Oppenheimer . Danke für eure fortdauernde Herzlichkeit!

Ich danke den Archiven und den dort beschäftigten Menschen, die mir die Arbeit erleichtert haben und sich (unterwegs und in Frankfurt am Main) für meine Arbeit interessierten . Außerdem danke ich meiner stets loyalen Bürokol-legin Dr . Pamela Hess, die jederzeit ein offenes Ohr für mich hatte . Der Ort, an

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10 Dank

dem man so viele Stunden seines Lebens verbringt, er sollte von solch einer Atmosphäre erfüllt sein, wie wir sie hatten .

Viel zu verdanken habe ich der Historikerin Monica Kingreen, die mir wäh-rend unserer gemeinsamen Arbeit (von 2009 bis 2012) an ihrem (Lebens-)Projekt zum jüdischen Alltagsleben in Hessen sehr nah stand . Durch ihre einzigartige und stets am Menschen orientierte Herangehensweise konnte ich eine andere Form der Erinnerungskultur kennen lernen . Ich habe durch die Sammlung und den (kultur-)sensiblen Umgang mit Fotografien die Bedeutung von Familienzu-sammenhängen erstmals in ihrer Tiefe verstanden und konnte zu den Themen Judentum und Alltagsleben viele neue Ansichten entwickeln . Monica war eine wahre Kennerin und Chronistin ihres Feldes .

Ich danke meinem „Lieblingsprofessor“, dem Kulturanthropologen Heinz Schilling, der mir seit unserer ersten gemeinsamen Projektforschung an der Uni-versität (und somit seit 2003) in universitären und persönlichen Angelegenheiten begleitend zur Seite steht .

Und ich danke selbstverständlich meiner Familie und den Menschen, die mich tagtäglich durch ihr (Für-mich) Da-Sein unterstützen: Allen voran meine krea-tive, offenherzige und unerschütterliche Mutter Susanna und mein zu früh verstorbener Vater Christoph, der als Prähistoriker und ökologisch denkender Mensch weiterhin mein großes Vorbild auf der Suche nach Erkenntnis und Gerechtigkeit bleibt, sowie mein willensstarker und witziger Bruder Tobias . Außerdem danke ich meinen umtriebigen und selbstbewussten Freundinnen und Freunden . Es bedeutet so viel, Leute wie Euch um mich zu haben, die es jederzeit vermögen, mich zu inspirieren, und mit denen ich leidenschaftlich diskutieren und offen sprechen kann .

Grenzenlos sind mein Dank und meine Freude, wenn ich an meinen Partner und engsten Vertrauten denke, den Historiker Jean-Daniel Fischer . Du bist derjenige, der jederzeit wusste und es ertragen hat, worum meine Gedanken sich während der Phase meiner Dissertation drehten . Mit dir konnte ich nicht nur sinnentleert auf grüne Rasenflächen starren, sondern, wenn nötig, drängende wissenschaftliche und historische Fragen diskutieren . Es ist ein großes Geschenk, mich mit einem neugierigen Begleiter, wie Du es bist, auf Forschungs- und andere Reisen zu begeben .

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„Nicht nur im Handel und Schacher, nein, auch in allem Ringen um das Ideal

fordern wir heute getrostdie Mitbürger zum friedlichen Wettkampf

um die Bürgerkrone .“1

1 Franz Oppenheimer: Die Anfänge des jüdischen Kapitalismus III . In: Ost und West, Illust-rierte Monatsschrift für modernes Judentum, Jahrgang 2 (07 .1902), Heft 7, S . 444 .

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Vorwort 13

Vorwort

WasinteressiertmichamLebenFranzOppenheimers?

Franz Oppenheimer war einer der ersten deutschen Soziologen . Und: Er war ein Liberaler und ein Sozialist . Er kämpfte für eine Gesellschaft der Freien und Gleichen . Er attackierte den Kapitalismus und dessen unmenschliche Aus-wüchse . Der Staat, und damit im engeren Sinne der Klassenstaat, stellte in sei-ner Theorie lediglich eine historische Größe und somit keine ewige Kategorie dar . Zugleich legte er eine praktisch umsetzbare Lösung der sozialen Frage vor, die zu einer gerechten, solidarisch-gemeinschaftlichen und frei gestalteten Welt hinführen sollte . Mich beeindruckt seine tiefe Überzeugung davon, dass es letzt-endlich die Menschen selbst sind, die ihre Umwelt und auch ihre wirtschaft-lichen Bedingungen bestimmen, und dass sie dies auch unbedingt aktiv tun sollten . Oppenheimer hatte die Vision einer verwirklichbaren Utopie . Als natur-wissenschaftlich denkender Theoretiker war er aufgrund von Berechnungen und Gedankenexperimenten zum Problem der Bodensperre zu seiner Schlüsseler-kenntnis gekommen, die er sein Leben lang als die Lösung der Probleme der kapitalistischen Wirtschaftsordnung mit all ihrem produzierten Elend der Ver-städterung und Industrialisierung ansah: der Grundwert und die Grundrente in der Umgebung einer erfolgreichen Siedlung müssten fallen (anstatt, wie die klassische ökonomische Theorie behauptet, dass sie steigen würden)! Seine The-orie, die auf dieser Grundlage basierte, versuchte er, auch praktisch umzusetzen .

Oftmals sind es Hintergrunddispositionen, die uns an ein Thema fesseln . Bei mir war es sicherlich auch die Beschäftigung mit einem Außenseiter der Wis-senschaft, denn ich teile die Position von Pierre Bourdieu, der darauf hingewiesen hat, dass die wirklich interessanten Erkenntnisse meist am Rande der Instituti-onen gewonnen werden und nicht in deren Mitte . Das Thema Sozialismus beglei-tet mich ebenfalls schon seit meiner Jugend, doch niemand hatte mich mit den Kontroversen und der spannenden historischen Genese der Bewegung jenseits von Karl Marx bekannt gemacht . Erst Oppenheimer offenbarte mir die Mög-lichkeit, Sozialismus und Religion in einem säkularisierten und produktiven Sinne auf theoretischer Ebene zusammen zu denken . Somit birgt die Beschäftigung mit Oppenheimer ein Verständnis von gesellschaftlichem Engagement, das sich nicht als strikten Widerspruch zu Religion(en) versteht, sondern ein erweitertes und modernes Verständnis des Umgangs mit den biblischen Quellen und kultu-rellen Traditionen ermöglicht .

Zuletzt ist es das Thema der religiösen Identität und die Auseinandersetzung mit den gemeinsamen Quellen der Christen und Juden, die ein weiteres persön-

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14 Vorwort

liches Motiv meiner Arbeit bilden . Mein Großvater war ein evangelischer Pfar-rer, der der „Bekennenden Kirche“ angehörte – und ich wurde somit zur Besit-zerin einer „Biblia Hebraica“ von 1925, die mit handschriftlichen Anmerkungen versehen ist . Ich möchte deswegen auch vor dem Hintergrund dieser ehemals selbstverständlichen Wechselbeziehung die historischen Zusammenhänge von Christentum, Judentum und „Deutschtum“ besser verstehen . Zugleich bin ich der Meinung, dass eine soziologische, differenziert-tiefgründige Perspektive auf Religion für die aktuellen und zukünftigen Herausforderungen der Gesellschaft von herausragender Bedeutung ist .

LebensreformerischeIdeenwarenzuderZeitjarelativweitverbreitet.WiehebtsichOppenheimerdaheraus?

Oppenheimer nahm die Entwicklung einer kritischen Reformbewegung durchaus als progressiv wahr und suchte auch vereinzelt mit Lebensreformern die Zusammenarbeit . Kooperationen kamen zustande, wenn Oppenheimer die Möglichkeit sah, seine konkreten Vorstellungen in einem bestimmten Rahmen zu verwirklichen, etwa in der Obstbaugenossenschaft Eden (die bis heute exis-tiert) . Viele Ideen, die die Bewegung der Lebensreform bestimmten, hatten sicherlich ähnliche Wurzeln und Ausgangspunkte wie die Oppenheimer‘sche Utopie, so wie die Freiländerbewegung um den Autor Theodor Hertzka, die Gartenstadtbewegung oder auch die literarisch-utopischen Gedankengebäude wie Edward Bellamys „Looking Backward 2000–1887“ . Aber Oppenheimer stellte auch fest, dass sich innerhalb der Lebensreform einige kritisch zu beur-teilende Strömungen zeigten . Oftmals zielten sie seiner Ansicht nach auf die falschen Werte, wollten sie doch nur das Bewusstsein ändern, nicht jedoch die wirtschaftlichen Bedingungen, die seiner Überzeugung nach das alltägliche und lebensweltliche Dasein des Menschen ausmachten . Ob der Mensch nun vegetarisch lebt, auf Alkohol verzichtet oder sich „zurück zur Natur“ orien-tiert, das waren keine Fragestellungen, von denen sich Oppenheimer irgendeine Relevanz in Bezug auf die Veränderung der Welt versprach . Hiervon grenzte er sich klar ab . Vor allem die problematische Nähe mancher Siedlungs-Aktivisten zu Heilsbewegungen und Romantisierungen erkannte er deshalb auch schon früh .

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Vorwort 15

OppenheimerwarjazunächstArzt,versuchtesichdannalsSchriftstellerundhatteerstimAltervon55JahrenseineersteProfessurinFrankfurt.IsterdennimeigentlichenSinneeinWissenschaftler?

Es gab für seine verzweigte Laufbahn mehrere ausschlaggebende Gründe . Zum einen musste er als jüdischer Deutscher damit rechnen, dass er nie wirk-lich Chancen haben würde, als Wissenschaftler eine feste Anstellung an einer Universität zu erhalten . Das bewog ihn dazu, eine Laufbahn als Arzt einzu-schlagen – in diesem Feld wurden den jüdischen Deutschen keine allzu großen Steine in den Weg gelegt . Als er jedoch zehn Jahre als Arzt gearbeitet hatte, fühlte er sich zunehmend nicht mehr am richtigen Platz, um gegen die unsäg-lichen Zustände bleibend etwas ausrichten zu können . Es bewegte ihn tief, dass (Kinder-)Krankheiten, die eigentlich heilbar waren, durch Armut und Verelen-dung in den Arbeiterstadtvierteln häufig zum Tod führten . Zum anderen stand er zu dieser Zeit bereits in Austausch mit den Freiländern und war Teil des Friedrichshagener Dichterkreises, in dem hitzig über soziale und auch sozial-räumliche Alternativen debattiert wurde . Zudem eignete er sich mit den Jah-ren die theoretischen ökonomischen Grundlagen (von Adam Smith über Karl Marx bis zu Eugen Dühring) an, die er brauchte, um schließlich seine Idee der Siedlungsgenossenschaft zu entwickeln . Um seine Ideen zu verbreiten, machte er sich selbstständig und arbeitete zunächst als Schriftsteller und Leitartikel-verfasser bei verschiedenen Zeitungen . Seine Arbeiten erregten großes öffent-liches Interesse und waren weithin beliebt . Als er seine ersten Vorlesungen an der Universität Berlin hielt, strömten die Menschen in großer Zahl dorthin, um seine mit festem Willen und Überzeugung vorgetragene Theorie des liberalen Sozialismus, seine Kritik an Marx und seine Interpretationen der frühen Genos-senschaften zu hören und zu diskutieren . Ja, er war durch und durch ein Wis-senschaftler geworden – jedoch ein Wissenschaftler mit einem sozialistischen Antrieb und mit praktischen Plänen .

KonnteOppenheimeralsdeutscherJudeEinflussnehmenaufdiegesamtdeutscheGesellschaft?

Für Oppenheimer galt diese Frage eigentlich seit längerer Zeit als überholt . Er glaubte an die reflexive Entwicklung von Persönlichkeiten, die als Teil ihrer Individuation lernen müssten, bestehende Normen und Imperative zu verwer-fen . Hierbei dachte er an gesellschaftliche Gruppen und Kreise, die sich jenseits von religiösen Bindungen zusammenfinden würden . Bei diesen subjektzent-rierten und liberalen Überlegungen spielt sicherlich auch seine Erziehung als deutschnationaler Jude eine Rolle . Sein Vater war einer der Reformrabbiner der

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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16 Vorwort

Berliner Reformgemeinde ( Johannissynagoge) . Die Mitglieder dieser jüdischen Gemeinde waren so weit reformiert, als dass sie sogar ihren Gottesdienst am Sonntag (und in deutscher Sprache) abhielten . Sie bezogen außerdem eine Orgel in den Gottesdienst mit ein und bezeichneten ihr Gotteshaus bewusst als einen Reformtempel (in Abgrenzung zur Synagoge) . Hier wurde (als Ersatz für die traditionelle Bar Mitzwa) eine „Konfirmation“ für Jungen wie auch für Mädchen eingeführt . Franz Oppenheimer selbst war vor der Entwicklung des modernen Antisemitismus groß geworden – jene kurze progressive Phase im Deutschen Reich, in der der Judenhass nur mehr als veraltete, aus dem Mittelal-ter stammende Feindseligkeit von Reaktionären gegen wirtschaftliche Konkur-renz galt und tatsächlich die Hoffnung bestand, dass der Antijudaismus seinen historischen Niedergang erleben würde .

Aber zurück zu Oppenheimers Einfluss auf die deutsche Gesellschaft, denn dies ist vielleicht das Erstaunliche an der Person Oppenheimer: Er muss unglaub-lich beeindruckend und charismatisch gewesen sein – und er konnte durch seine bürgerliche Stellung, seine intellektuelle Überzeugungskraft und als einer der anerkannten deutschnational eingestellten Juden in der Gesellschaft Wirkung entfalten . Er war ein begnadeter Redner, wie es hieß, und ein sturer, von seiner Idee tief überzeugter Mensch . Er scheute keinen Konflikt, aber auch keine Koa-lition, wenn sie dazu führen konnte, seine Ideen der Verwirklichung näher zu bringen . So sind etwa die Zusammenarbeit mit dem deutschen Kriegsministerium im Ersten Weltkrieg (mit Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff ), die Beratung der SPD für den Aufbau eines Agrarprogramms (für die Zeit nach der Novemberrevolution) oder die Kooperation mit der zionistischen Bewegung für die Ansiedlung von Siedlungsgenossenschaften in Palästina zu nennen . Und nicht nur beratend vertrat er seine Idee: Er scheute nicht einmal den Einsatz des eige-nen Vermögens für die Umsetzung seiner Projekte in Deutschland .

ErfuhrerAntisemitismusundwiegingerdamitum?

Oppenheimer behielt zunächst das nationale, aber auch das kritische Verständ-nis seines religiösen und liberalen Vaters bei, der sich als Jude klar zum deut-schen Staat bekannt hatte . Dieser verstand Deutschland – spätestens seit der rechtlichen Emanzipation der deutschen Juden – als seine selbstverständliche Heimat (er kannte ja auch keine andere) und legte auf seine diasporische Prä-gung keinen großen Wert . Franz Oppenheimer übernahm die Sichtweise seines Vaters zunächst, er wurde jedoch durch persönliche antisemitische Angriffe und schmerzhafte Erfahrungen in dieser Beziehung tief gekränkt .

In besonders prägender Weise hatte er den neuen, politisch motivierten Anti-semitismus, in seiner Burschenschaft Hevellia kennengelernt . Der Burschenschaft

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Vorwort 17

war er als deutschnational eingestellter Medizinstudent und in der (1848er-)Tradition seines Vaters selbstverständlich beigetreten . Der illiberale Wandel der Burschenschaften und ein antisemitischer Vorfall führten aber schließlich zu seinem Ausstieg aus der Verbindung .

Gegen den Antisemitismus kämpfte er in seinen diversen Ausprägungen und unter sich wandelnden Bedingungen, und er mischte sich, soweit möglich, in die öffentlichen Debatten zum Thema ein . Besonders sticht seine Kritik an dem Bericht des preußischen Kriegsministeriums hervor, in dem er statistisch bewei-sen konnte, dass – relativ gesehen – überproportional viele jüdische Deutsche im Ersten Weltkrieg gedient hatten . Zu jener Zeit hatte man aber in der Weimarer Republik bereits damit angefangen, nach Sündenböcken für den verlorenen Krieg zu suchen und diese bei den Juden und Sozialdemokraten gefunden .

Obwohl Oppenheimer sich als deutschnationalen Juden verstand, war er ein entschiedener Gegner des Nationalismus (und auch des Kriegs) und vertrat die Ansicht, dass sich diese aggressiven und expansiven Tendenzen im Zuge der wirtschaftlichen Umgestaltung der Gesellschaft von selbst erledigen würden . Neben seinem lebenslangen Kampf gegen jegliche Form der Diskriminierung von Minderheiten fällt übrigens bei Oppenheimer ein weiteres Leitmotiv auf, nämlich jenes der Harmonisierung, das sich ebenfalls wie ein roter Faden durch sein Leben zieht, wie sich noch zeigen wird .

WiereagierteOppenheimeraufdasErstarkenderNationalsozialisten?

Oppenheimer war seit 1929 im Ruhestand und hatte damit gerechnet, seinen Lebensabend sowohl in Berlin als auch in seiner nahegelegenen Siedlungsge-nossenschaft in Lüdersdorf zu verbringen . Er schrieb in der Abgeschiedenheit seiner Siedlung zunächst seine Autobiographie . Zudem äußerte er sich weiter-hin kritisch über die politische Lage in Deutschland . Als die Nationalsozialis-ten 1933 an die Macht kamen, schrieb er unter Pseudonym seinen utopischen Roman „Sprung über ein Jahrhundert“ (1934), ein konkreter Entwurf für die Zukunft Deutschlands, der aber zu jener Zeit kaum Bedeutung erlangte . Diese Utopie, die bildhaft auch die typischen Motive jener Zeit wie die Heroisierung von Führerschaft und die Tendenzen zur Europäisierung und Regionalisierung aufgriff, sollte im letzten Moment eine Lösung jenseits von Kommunismus und Kapitalismus, „Der dritte Weg“ (1933), greifbar werden lassen . Er beteiligte sich darüber hinaus an der Hochschule für die Wissenschaft des Judentums in Berlin und reiste gemeinsam mit seiner Tochter Renata so oft wie möglich ins Ausland: nach Teneriffa, nach Frankreich, Palästina, Italien und in die USA .

Oppenheimer konnte mit seiner Tochter 1938 aus Deutschland flüchten und gelangte über abenteuerliche Emigrationswege nach Tokio, Shanghai und schließ-

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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18 Vorwort

lich zu seiner jüngeren Schwester nach Los Angeles . Er verstarb dort im Jahr 1943 im Alter von 79 Jahren . Seine beiden Söhne und seine Enkelkinder wusste er zu diesem Zeitpunkt in Palästina in Sicherheit .

DieOppenheimer’scheUtopiegaltdamalsals„gescheitert“.WiestelltsichdaseigentlichimRückblickdar?

Das ist eine sehr interessante Frage, denn was ist das in einem kulturellen Sinne überhaupt, das Scheitern? Oppenheimer selbst hatte diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen, da er von seiner Theorie tief überzeugt war und somit das Scheitern immer an einzelnen Aspekten festmachte: dem schlechten Boden, den schlechten Erntejahren, den schlechten Bedingungen . Und dies könnte tatsächlich eine berechtigte Art der Beurteilung des eigenen Scheiterns darstellen, die mir in gewissem Sinne tiefgründiger erscheint als die bloße öffentliche Behauptung des Scheiterns von Seiten politischer Gegner oder wissenschaftlicher Kontrahenten .

Jedoch wird auch an der Lebensweise der Person Oppenheimer ein Problem manifest, das sich bis heute bei der Auseinandersetzung mit seiner Theorie stellt . So scheint die Angst zu bestehen, etwas von dem heutigen Reichtum, den Kon-sumgütern, den fortschrittlichen Entwicklungen und den geschaffenen Struktu-ren und Institutionen verlieren zu können . Und daher scheint eine große Abwehr zu bestehen, wenn es darum geht, eine Vorstellung davon zu entwickeln, selbst in Siedlungsgenossenschaften zu leben . Auch Oppenheimer, der stets nach intel-lektuellem Austausch strebte, brauchte die Stadt Berlin für seine Entwicklung, und er hätte wohl selber nicht (ausschließlich) in einer agrarisch organisierten Siedlungsgenossenschaft leben wollen (hierbei handelt es sich selbstverständlich um eine Frage der Interpretation, denn Oppenheimer wollte die fortschrittlichen und künstlerischen Entwicklungen der Menschheit in seine ökonomisch egalitäre und liberale Konzeption integrieren) . Doch die Bedeutung des städtischen Kon-textes (die Stadt mit ihren vielen spezifischen Qualitäten und Beziehungsmög-lichkeiten) war wohl trotzdem etwas, womit sich Oppenheimer nur am Rande auseinandersetzte, da er sich auf den Kampf gegen die Verelendung der Massen konzentrierte . Er verstand die urbanen Bedürfnisse der Menschen als gleicher-maßen (und abzüglich der destruktiven Momente) im Privaten und in den genos-senschaftlichen Strukturen verwirklichbar . Somit bleibt eines der Probleme seiner Theorie, dass einzig und allein die wirtschaftliche Gleichheit als die notwendige Grundlage von moderner und freier Existenz zugrunde gelegt wurde und somit andere Aspekte und Themen, die ihm bekannte Soziologen, wie beispielsweise Georg Simmel, zu jener Zeit beschäftigten, kaum thematisiert wurden . Als großer Vorteil muss aber im Umkehrschluss konstatiert werden, dass sich durch diese

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Vorwort 19

offenen Gestaltungsmöglichkeiten tatsächlich utopische Potenziale eröffneten, Oppenheimer also keinen totalitären Gesellschaftsentwurf vorlegte, da die Prin-zipien der kleinen Einheit und der freien Gefolgschaft dem widersprachen .

SindOppenheimersIdeenalsonochaktuell?

Gerade heute und immer wieder von neuem sollten meines Erachtens seine Ideen überdacht, aktualisiert und rekontextualisiert werden . Es geht dabei weni-ger um eine wirtschaftswissenschaftliche Überprüfung seiner Theorie (obwohl auch die Volkswirtschaftslehre ihre Grundlagen und Annahmen noch einmal überdenken sollte), sondern zunächst um die Essenz der Möglichkeit und der Hoffnung auf eine gewaltfreie Umgestaltung der Gesellschaft . Hierfür bedarf es auch heute einzelner „Versuchssiedlungen“: Manchmal lese ich begeistert von solchen Projekten, die sich zum Beispiel gegenwärtig in Spanien und Portugal bilden, die sich aus einer Notwendigkeit heraus bilden! Hier werden ganze Dörfer im Sinne einer lokalen Subsidiarität wiederbelebt – eine Kombi-nation aus Solidarität, eigenem Gemüseanbau, Inklusion und Entschleunigung . Aber: Nur der Aufbau kleiner, abgekapselter Siedlungen kann die Probleme selbstverständlich nicht lösen . Oppenheimers Ideen zielten daher stets darauf, dass sich das gute Beispiel fortsetzt, nicht gewaltsam, sondern aufgrund eines menschlichen Bedürfnisses und in Folge einer wirtschaftswissenschaftlichen Gesetzmäßigkeit . Er wollte durch die sich entfaltende Umwälzung des Wirt-schaftssystems allen Menschen die Möglichkeit zur Teilhabe, zur Kreativität und Persönlichkeitsentwicklung schaffen . Insbesondere sollten die (zur dama-ligen und heutigen Zeit) Benachteiligten die Chance erhalten, als Menschen unabhängiger und freier zu leben . In einer Genossenschaft zu leben bedeutet nämlich, selbstbestimmt zu arbeiten, und zwar nicht für den Mehrwert anderer, sondern für sich selbst und dabei zugleich der Gemeinschaft zu dienen . Oppen-heimer steht für die utopische Vision, dass sich jeder in seiner ausgedehnten Freizeit (es wären ja weniger Arbeitsstunden vonnöten) je nach Neigung mit Bildung und Künsten beschäftigen könnte . Er steht auch für den Ausgleich von liberalen und sozialistischen Ideen, in dem er (im Sinne des Gerechtigkeits-empfindens) dafür plädiert hatte, das Leistungsprinzip auch in Genossenschaf-ten aufrecht zu erhalten .

Man muss auch verstehen, und dies gilt es ebenfalls zu tradieren, dass die Ökonomie nach Oppenheimer immer als ein Teil der Soziologie betrachtet wurde, also als etwas, das von der Gesellschaft beherrschbar gemacht werden kann und sogar muss . Und auch diese Frage bleibt aktuell, denn der Widerspruch von Fortschritt und Konsum einerseits und dem Markt ausgelieferten und daher unfreien Menschen andererseits bleibt ungelöst .

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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20 Vorwort

GibtessonstnochPunkte,dieesunbedingtwertsind,erzähltzuwerden?

Es geht hier um die Biographie eines Menschen, der um die Jahrhundertwende lebte . Es sollte danach gestrebt werden, über das Individuum hinaus auch die historischen Diskurse und die Argumentations-, Legitimations- und Wissens-praktiken in den Blick zu bekommen . Es geht dabei um komplexe Phänomene wie Säkularisierung, Mehrfachzugehörigkeit und Historisierung . Vom Ein-zelfall ausgehend wäre es möglich, die mit diesen Konzepten einhergehenden gesellschaftlichen Wandlungen der Moderne, die ja bis heute von fundamentaler Bedeutung sind, besser zu verstehen .

Trotzdem sind es zuvorderst die kleinen Alltagsgeschichten, die mich an Oppenheimers Lebensgeschichte und seinem Umfeld begeistern: die Hochzeit seines Studienkollegen mit seiner Schwester (und der damit verbundene Konflikt, da er als Mittler in die Beziehung einbezogen wurde), sein Verhältnis zu seinen Schülern in Soziologie und Volkswirtschaft, sein liebevolles Verhältnis zu seinen Söhnen und seiner Tochter, seine klaren Positionen in Bezug auf den Zionismus und seine Vorstellungen von einem friedlichen Zusammenleben aller ethischen Gruppen in Palästina, sein Verhältnis zu Berlin und zu Frankfurt, die vielen freundschaftlichen und intellektuellen Kontakte, die er pflegte, und sein vielsei-tiges Engagement, das man aus seinen Briefwechseln herauslesen kann . Man erkennt in den Quellen nicht nur den großen Gelehrten Oppenheimer, sondern auch einen großen Menschen . Mich interessiert in hohem Maße der Vorbildcha-rakter, den Oppenheimer in Bezug auf sportliche Aktivität, Umgang mit Schick-salsschlägen, leidenschaftliche Hingabe an seine Arbeit und die Konsequenz in der Vertretung von antidiskriminierender Theorie und Praxis darstellt . Er war trotz aller Widrigkeiten stets ein nach vorne schauender und hoffnungsvoller Mensch – es hat mich zutiefst beeindruckt und geprägt, dass ich durch meine Einzelfallanalyse eine derart robuste, willensstarke und integre Person kennen-lernen konnte; eine historische Figur, die für mich auch zukünftig den Mittelpunkt und die ideale Ausgangsbasis zum Verständnis der Geschichte, der (familiären) Beziehungen, der Mentalität, der Entwicklung des deutschen Judentums, der Hoffnungen und der Enttäuschungen des späten 19 . und der ersten Hälfte des 20 . Jahrhunderts ausmachen wird .

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Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)

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Annäherung 21

Einleitung

1. Fragestellung

„His image […] as a great Jew […] has faded .“ 1

1.1Annährung

Im Frühjahr 2012 traf eine Arbeitsgruppe bestehend aus dem Soziologen Klaus Lichtblau (Universität Frankfurt am Main), dem Volkswirtschaftler Volker Cas-pari (Universität Darmstadt), der Referentin für Wissenschaftskommunikation Ulrike Jaspers (Universität Frankfurt am Main) und mir als wissenschaftlicher Mitarbeiterin in einem von der Fritz Thyssen Stiftung geförderten Forschungs-projekt über das Leben und Werk von Franz Oppenheimer (1864–1943) zum ersten Mal zusammen . Es ging um die Planung einer Franz-Oppenheimer-Bio-graphie für die Buchreihe „Gründer, Gönner und Gelehrte“, die vom Frankfurter Societätsverlag zum 100-jährigen Bestehen der Frankfurter Universität gemein-sam mit der Abteilung Marketing und Kommunikation der Goethe-Universi-tät Frankfurt in Angriff genommen wurde .2 Da ich für die umfassenden inter-nationalen Archivrecherchen und die Auswahl der Fotografien für den Band verantwortlich sein sollte, hatte mich Herr Professor Lichtblau zu dem Treffen hinzugebeten . Während des Gesprächs berichtete er, nachdem er von den außer-gewöhnlichen, charakteristischen und teils witzigen bis kuriosen Entdeckungen seiner Beschäftigung mit Franz Oppenheimers Leben und Werk erzählt hatte, von dessen neutralem Verständnis von Religion und konfessioneller Zugehörig-keit . Wie bitte? – fragte ich und erhob Einspruch: War hier die Rede von dem selben Mann, dessen Autobiographie ich gerade gelesen hatte; eine Autobiogra-phie, die in all ihren Gegenständen, Erzählstrategien und Erkundungen von den deutsch-jüdischen Fragestellungen seiner Zeit durchdrungen war? Es handelte sich dabei eindeutig um das Leben eines deutschen Juden3, der sich auch als sol-

1 Adolph Lowe: In Memoriam Franz Oppenheimer . In: Leo Baeck Institute Year Book, Jahrgang 10 (1965), Heft 1, S . 137 .

2 Volker Caspari; Klaus Lichtblau: Franz Oppenheimer. Ökonom und Soziologe der ersten Stunde, Frankfurt 2014 .

3 Die Begriffe zur Beschreibung des Felds der jüdischen Identität sind umstritten . Der Histo-riker Egmont Zechlin konstatierte, dass „[s]chon die allgemeine Bezeichnung ‚die deutschen Juden‘ […] fragwürdig“ sei (Egmont Zechlin: Die deutsche Politik und die Juden im Ersten Weltkrieg, Göttingen 1969, S . 1) . Zechlin warf mit seiner präzisen Darstellung und den von

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22 Fragestellung

cher verstanden hatte, ein deutscher Jude, dessen Vater überdies Prediger in der jüdischen Reformgemeinde in Berlin gewesen war, und der in dessen Nachfolge ein Autodidakt der Soziologie und Volkswirtschaftslehre und ein utopischer Vordenker einer kommenden Gesellschaft der Freien und Glei-

ihm präsentierten unterschiedlichen Akteuren von den Kaiserjuden bis hin zu den jüdischen Sozialisten und Künstlern die Frage auf, „welche Gemeinsamkeiten ihre einheitliche Be-nennung als Juden eigentlich rechtfertigen und ob nicht vielleicht dieser Allgemeinbegriff Bestandteile subsumiert, deren Heterogenität einer Zusammenfassung wiederstrebt, und er daher nur noch mit jeweils hinreichend differenzierenden Attributen verwendbar ist“ (ebd .) . Ich schließe mich grundsätzlich diesem kritischen Verständnis an und möchte keine der beiden Zugehörigkeiten (Staats- bzw . Religionszugehörigkeit) in den Vordergrund stellen . Begriffe sind als heuristische Werkzeuge zu verstehen und werden hier sämtlich nur be-schreibend, nicht zuschreibend benutzt . In diesem Sinne werde ich in meiner Arbeit den gängigen Begriff „deutsche Juden“ verwenden (die verschiedenen Bedeutungsebenen des Be-griffs sind nachzulesen bei Tobias Brinkmann: Migration und Transnationalität, Paderborn 2012, S . 44 ff .) .

Abb.1 PorträtvonFranzOppenheimer,um1934.

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Annäherung 23

chen wurde . Er war darüberhinaus Zionist und hatte im Ersten Weltkrieg das Komitee für den Osten zur Verbesserung der Lage der osteuropäischen Juden gegründet, und in Palästina eine Siedlungsgenossenschaft im Auftrag der zio-nistischen Bewegung umgesetzt . Schließlich war er einer der vielen jüdischen Emigranten, die während des Nationalsozialismus ihre ehemalige deutsche Heimat verlassen mussten – Franz Oppenheimer wanderte über Japan und Shanghai in die USA aus . Wie konnte ein solcher Jude von sich behaupten, „konfessionell völlig neutral“ zu sein?

In seiner Autobiographie trifft Oppenheimer diese für meine Arbeit zentrale Aussage in folgendem Zusammenhang:

„War doch das alte Testament auch den Christen ein heiliges Buch, und lockte doch mächtig gerade die im Sinne jener Zeit religiösen Gemüter der ewig unverlierbare Gehalt des Urchristentums an menschlicher Güte und Liebe! Heute, und schon für die Generation, der ich angehöre, liegt und lag das ganz anders . Heute soll man einem Drucke weichen, den der Edle als unmoralisch empfinden muss; soll man eine Gemein-schaft verlassen, während sie im Kampfe steht, soll von der Schanze desertieren, auf die geschossen wird; das ist für solche, die wie z . B . ich selbst, konfessionell völlig neutral sind, eine unmögliche Zumutung .“4

Oppenheimer war ein bekennender Jude, der bereit war, für seine Freiheitsrechte (darunter das Recht auf Religionsfreiheit) zu kämpfen . Um diese spezifische Position plausibel zu machen, muss die wertneutrale Positionierung Oppenhei-mers in Bezug auf die Religion bei gleichzeitiger Zugehörigkeit zum Judentum näher untersucht werden . Die Ambivalenz zwischen der (behaupteten) Kon-fessionsneutralität einerseits und der eindeutigen sozio-kulturellen Zugehörig-keit zu einer „Stammesgemeinschaft“ andererseits verwies meines Erachtens auf eine bedeutsame historische wie individuelle Konstellation .5 Mir wurde zudem klar, dass es präziser und behutsamer Begriffe und Definitionen bedurfte, um das

4 Oppenheimer: Erlebtes, Erstrebtes, Erreichtes, S . 39 f . Das Zitat zeigt damit zugleich die Richtung an, die eine Antwort auf das Problem bereithalten könnte: Es scheint sich um eine politische Reaktion zu handeln, die mit der Minderheitenposition der Juden in der deutschen Gesellschaft zu tun hat . Dabei geht es jedoch nicht darum, eine Religion einer an-deren vorzuziehen oder diese gegeneinander auszuspielen, sondern um Minderheitenrechte . Es deutet einen Standpunkt an, der soziokulturell und intellektuell über die Konstruktion der unterschiedlichen Religionen "hinaus zu denken" und zu wirken beabsichtigt .

5 Dieser Aspekt ist von zentraler Bedeutung für die vorliegende Untersuchung: So geht es im Folgenden darum, wie sich die jüdische Religion (und die Zugehörigkeit zur jüdischen Reli-gionsgemeinschaft) unter dem Assimilierungsdruck der Neuzeit veränderte und individuell ausgestaltete . Franz Oppenheimer kann als Beispiel der individuellen Aushandlung jener gesellschaftlichen Prozesse betrachtet werden .

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24 Fragestellung

komplexe Thema der jüdischen Identität angemessen diskutieren zu können . Und es schien sich dabei um Themenbereiche, Begriffe und Definitionen zu handeln, die mir trotz eines Studiums der Kulturanthropologie, Soziologie und Ethno-logie sowie eingehender Auseinandersetzung mit Prozessen des „Othering“, der Ethnizität und mit Selbst- und Fremdwahrnehmung für die entsprechende prä-zise Argumentation zunächst fehlten . Zwar hatte ich mich auch schon mit dem Themenfeld Zionismus auseinandergesetzt und das Verhältnis zwischen Zionis-mus, Nation und Religion war mir dabei an vielen Punkten begegnet, es wurde mir jedoch im Hinblick auf die spezifische Biographie Franz Oppenheimers nicht unmittelbar plausibel . Es schien sich offenkundig um eine sehr eigenwil-lige Identitätskonstruktion zu handeln .

Ein Jahr später, im Jubiläumsjahr der Universität, hielt ich auf dem von der Martin-Buber-Professur ausgerichteten Symposium „Mäzene, Gelehrte, Bür-ger: Jüdisches Engagement und jüdische Gelehrsamkeit in der Frankfurter Universitätsgeschichte“ einen Vortrag über Franz Oppenheimers Zeit als Pro-fessor in Frankfurt am Main (wo er von 1919 bis 1929 als Professor für Sozio-logie und Theoretische Nationalökonomie lehrte) . Während ich gemeinsam mit Professor Christian Wiese meine Präsentation einrichtete, merkte ich während unserer kurzen Unterhaltung an, dass ich mich sehr freue, dass Oppen-heimer in diesem Rahmen vertreten sei; doch mit einem Augenzwinkern fügte ich hinzu, dass er es wohl nicht so gern gesehen hätte, wenn er unter dem Stichwort der „jüdischen Gelehrsamkeit“ „einsortiert“ worden wäre . Denn, so war meine damalige Überzeugung, Oppenheimer hätte lieber die allgemeine soziologische und nationalökonomische Geschichte geprägt und repräsentiert . Sein sozialistischer und universalistischer Ansatz zur Reform der Gesellschaft durch die Gründung von Siedlungsgenossenschaften schien mir davon in eindeutiger Weise zu zeugen .

Doch selbst wenn Oppenheimer es sich damals vielleicht anders gewünscht hätte, so ist die Welt eine andere geworden, und daher bezweifelte ich abermals meine zuvor getroffene Aussage und fing an zu recherchieren: Doch meine Suche in den bisher erschienenen Texten zu Oppenheimers Leben und Werk nach Antworten auf die Fragen zum Verhältnis von Identität und Religion, Deutschnationalismus und Zionismus war wenig erfolgreich, und mir wurde klar, dass eine überzeugende und tiefgründige Studie zu Oppenheimers religi-öser Identität noch nicht vorlag und demzufolge eine wissenschaftliche Unter-suchung zum Juden und Zionisten Franz Oppenheimer noch ausstand . Ferner wäre eine solche Einzelfallbetrachtung der deutsch-jüdischen Identitätskons-truktionen Oppenheimers gleichzeitig ein notwendiger Schritt hin zu einer tiefgründigen Analyse der hier aufgeworfenen Fragestellungen im historischen und sozio-kulturellen Zusammenhang, und nicht zuletzt ein notwendiger Schritt auf der Suche nach der Person und der einmaligen Biographie Oppenheimers .

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Annäherung 25

Der Judaist Christian Buckard, der Biographien zu Arthur Koestler und Moshé Feldenkrais (zwei europäische Juden, die kurz nach der Jahrhundertwende gebo-ren waren) verfasst hat, schreibt zur Notwendigkeit, einen spezifischen Aspekt einer Biographie als Hauptthema zu fokussieren: „Der ideale Koestler-Biograf müsste über ein derart breites Wissen verfügen – angefangen bei der Geschichte des Zionismus, über die der kommunistischen Bewegung, der modernen Litera-tur, Philosophie, Psychologie, Neurologie, Biologie, bis hin zur Parapsychologie – dass es sich bei ihm fast um eine Art ‚zweiten Koestler‘ handeln müsste .“6 Die notwendige Auswahl des Fokus finde daher erstens aufgrund „der spezifischen Interessenlage“ des Autors oder der Autorin, zweitens durch die wissenschafts-geschichtlich unzureichende Bearbeitung eines Aspekts und drittens durch die im Leben und Werk selbst zutage tretende Signifikanz des Themas statt .7 Ähnlich stellte es sich in meinem Fall und im Zusammenhang mit der historischen Per-son Oppenheimer dar: Klar war, dass ich nicht alle Aspekte seines Lebens bear-beiten konnte, auch wenn sie unumstritten stets mit in meine Perspektive hin-einspielten, die sich auf den Juden und Zionisten konzentrieren sollte . Die Ein-grenzung auf dieses Feld war aus mehreren Gründen sinnvoll: Erstens war die deutsch-jüdische Identität in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg bereits seit geraumer Zeit mein Interessengebiet, zweitens war der Aspekt im Falle Oppen-heimer bislang unzureichend bearbeitet und drittens stellte die Identitätsfrage in seinem Leben anscheinend den signifikanten und beständigen Reibungspunkt überhaupt dar .

Doch: Inwieweit konnte mich als Kulturwissenschaftlerin und Soziologin ein mit dem Feld der Religion verbundener Gegenstand überhaupt interessieren? Sollte ich religionssoziologisch daran herantreten oder gar mit ethnographischen Methoden? In meiner ersten Recherchephase stieß ich auf einen Text des Sozio-logen René König, der in erkenntnistheoretischer Richtung eine gewinnbringende – jedoch sehr offene – Frage aufwirft . Er formuliert in seinem Aufsatz über „Die Juden und die Soziologie“ nämlich folgendes Prinzip: „[U]ns [interessiert] das Glaubensphänomen nur insofern, als es für den Soziologen relevant ist .“8 Dieses prägnante Zitat verdeutlichte mir noch einmal: Es sollte nicht der individuell gelebte Glaube in Oppenheimers Leben sein, auf dessen Suche ich mich machte . Aber inwieweit sollte die über den Glauben hinausgehende Zugehörigkeit zu einer Religions- oder Stammesgemeinschaft für die Gesellschaftswissenschaften

6 Christian Buckard: Über biographisches Schreiben . In: Birgit Klein; Christiane E . Müller (Hg .): Memoria. Wege jüdischen Erinnerns . Festschrift für Michael Brocke zum 65 . Geburts-tag, Berlin 2005, S . 535 .

7 Ebd ., S . 535 f .8 René König: Die Juden und die Soziologie . In: Ders ., Studien zur Soziologie. Thema mit Vari-

ationen, Frankfurt am Main und Hamburg 1971, S . 125 .

ISBN Print: 9783412511401 — ISBN E-Book: 9783412513092© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar

Claudia Willms, Franz Oppenheimer (1864–1943)


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