+ All Categories
Home > Documents > Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der...

Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der...

Date post: 27-Jan-2017
Category:
Upload: zoltan
View: 218 times
Download: 2 times
Share this document with a friend
56
Acta Ant. Hung. 47, 2007, 43–98 DOI: 10.1556/AAnt.47.2007.1.2 0044-5975 / $ 20.00 © 2007 Akadémiai Kiadó, Budapest ZOLTÁN SIMON FRANGE, PUER, CALAMOS… BUKOLISCHE ALLEGORIE, PANEGYRIK UND DIE KRISE DES DICHTERBERUFS IN DER VIERTEN EKLOGE DES T. CALPURNIUS SICULUS Summary: The allegorical conception of the bucolic genre that became general in Nero’s time led to a simplification compared to Vergil’s complex art of creating symbols. Calpurnius overcame the limits of a mere reproductive imitation exactly by making use of the possibilities of pastoral allegory; in Corydon’s figure he painted a bitterly self ironic picture of his own efforts to establish himself, of the controversies of patronage and the miserable situation of poets. In Eclogue IV he does not only reverse the lines of allusions from Vergil, Ovid and other poets but also key concepts of the Augustan age such as rusticitas, paupertas, simplicitas, vates and thus confronts his own age with its deficiency in view of the idealised rule of Augustus. The carmen amoebeum exalts the Golden Age of Nero, which has often been analysed separately from the narrative frame as a document of uninhibited adulatio, can gain its full meaning only in this context. Key words: Calpurnius, Vergil, Ovid, Nero, Seneca, bucolic, allegory, emperor cult, panegyrical, golden age. I. IN VERGILS SCHATTEN: DIE VIERTE EKLOGE DES CALPURNIUS Die in die Mitte der insgesamt sieben Gedichte umfassenden Sammlung des Calpurnius gestellte vierte Ekloge ist fast um zwei Drittel länger als die jeweils drei, um sie spiegelbildlich angeordneten Eklogen. Sie ist zugleich bei weitem das längste bukolische Gedicht in der antiken Literatur überhaupt. Der ungewöhnliche Umfang, die immodica verbositas wurde schon von Scaliger und Wernsdorf beanstandet, 1 die Verfehltheit der Komposition wird auch in der neueren Forschung betont. Nicht 1 Caeterum de hac Ecloga rectissime judicavit Scaliger, qui immodicam dixit, et ad pauciores versus reducendam putavit. (…) Immodica verbositate totum carmen laborat, et quae excellenter dicta fuissent, si brevius, verborum affluentia diluta fiunt et exilia.“ Poetae Latini minores ex recensione Wernsdorfiana. Notis veteribus ac novis illustravit N. LEMAIRE. Parisiis MDCCCXXIV, 450 f.
Transcript
Page 1: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

Acta Ant. Hung. 47, 2007, 43–98 DOI: 10.1556/AAnt.47.2007.1.2

0044-5975 / $ 20.00 © 2007 Akadémiai Kiadó, Budapest

ZOLTÁN SIMON

FRANGE, PUER, CALAMOS… BUKOLISCHE ALLEGORIE, PANEGYRIK UND DIE KRISE DES DICHTERBERUFS

IN DER VIERTEN EKLOGE DES T. CALPURNIUS SICULUS

Summary: The allegorical conception of the bucolic genre that became general in Nero’s time led to a simplification compared to Vergil’s complex art of creating symbols. Calpurnius overcame the limits of a mere reproductive imitation exactly by making use of the possibilities of pastoral allegory; in Corydon’s figure he painted a bitterly self ironic picture of his own efforts to establish himself, of the controversies of patronage and the miserable situation of poets. In Eclogue IV he does not only reverse the lines of allusions from Vergil, Ovid and other poets but also key concepts of the Augustan age such as rusticitas, paupertas, simplicitas, vates and thus confronts his own age with its deficiency in view of the idealised rule of Augustus. The carmen amoebeum exalts the Golden Age of Nero, which has often been analysed separately from the narrative frame as a document of uninhibited adulatio, can gain its full meaning only in this context.

Key words: Calpurnius, Vergil, Ovid, Nero, Seneca, bucolic, allegory, emperor cult, panegyrical, golden age.

I. IN VERGILS SCHATTEN: DIE VIERTE EKLOGE DES CALPURNIUS

Die in die Mitte der insgesamt sieben Gedichte umfassenden Sammlung des Calpurnius gestellte vierte Ekloge ist fast um zwei Drittel länger als die jeweils drei, um sie spiegelbildlich angeordneten Eklogen. Sie ist zugleich bei weitem das längste bukolische Gedicht in der antiken Literatur überhaupt. Der ungewöhnliche Umfang, die immodica verbositas wurde schon von Scaliger und Wernsdorf beanstandet,1 die Verfehltheit der Komposition wird auch in der neueren Forschung betont. Nicht

1 „Caeterum de hac Ecloga rectissime judicavit Scaliger, qui immodicam dixit, et ad pauciores

versus reducendam putavit. (…) Immodica verbositate totum carmen laborat, et quae excellenter dicta fuissent, si brevius, verborum affluentia diluta fiunt et exilia.“ Poetae Latini minores ex recensione Wernsdorfiana. Notis veteribus ac novis illustravit N. LEMAIRE. Parisiis MDCCCXXIV, 450 f.

Page 2: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

44 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

gänzlich ohne eine apologetische Absicht führt J. Amat die angenommene Ober-flächlichkeit des Gedichts darauf zurück, dass es uns unbeendet, nicht in der eigent-lich vom Dichter vorgesehenen Form überliefert worden ist, und betrachtet den schmeichelhaften Ton des langen, den Kaiser preisenden Wettgesanges als einen ver-zeihlichennIrrtumndernJugend.2 In der Tat ist nicht nur die Länge, sondern auch die Komposition der Ekloge außergewöhnlich: Der Wettgesang wird von einer unge-wohnt langen Einleitung von 81 Zeilen und einem ähnlich langen Schluss von 24 Zeilen umrahmt. Die Unbeendetheit wird gerade wegen der relativen, wie bei den anderen Eklogen, so auch hier sehr wohl ausgewogenen Proportion der beiden Text-teile fraglich: Der dialogische Teil umfasst insgesamt 105 Zeilen, während der Wett-gesang, dem der zweiten Ekloge ähnlich, dem konsequent zur Geltung gebrachten kompositionsstiftenden Prinzip der Nummer Sieben entsprechend, aus genau 70 Zei-len besteht.3 All das weist darauf hin, dass durch die drei, an den Anfang, in die Mitte und ans Ende des Bandes gestellten panegyrischen Eklogen die Bindung an die Per-son Neros auch mittels der Zahlensymbolik widerspiegelt wird: Sieben als die Zahl des Apollo in der Prophezeiung der ersten Ekloge und im Wettgesang der vierten, so-wie die genau 50 Zeilen der Beschreibung des Amphitheaters in der siebten Ekloge. Letzteres deutet nach Korzeniewski auch auf Nero hin, da diese Ziffer im griechi-schen Alphabet mit einem N geschrieben wird.4 Das Gedicht selbst fügt sich in die äußerst präzise entworfene Ringkomposition harmonisch ein: Das in der augustei-schen Dichtung üblich gewordene „Mittenprinzip“5 wird auch im Hinblick auf die Proportionen verwirklicht: Obwohl die einzelnen Gedichte jeweils keine Regelmäßig-

2 Die zu lange Einleitung („trop longue introduction“) wird von R. VERDIÈRE kritisiert: La buco-

lique post-virgilienne. Eos 52 (1966) 165. Nach D. GAGLIARDI ist die vierte Ekloge das schwächste Ge-dicht des Calpurnius („la meno felice dell’intero corpus calpurniano“), v.a. wegen der Disharmonie der Komposition: Calpurnio Siculo, un minore di talento. Neapel 1984, 58 ff. Nach J. Amat: „Ainsi donc la composition de cette bucolique, et particulièrement celle des chants amébées, n’est pas toujours très nette. Peut-être est-elle incomplète. Mais l’outrance même de l’adulation resemble à un péché de jeunes-se.“ Calpurnius Siculus: Bucolique, Pseudo-Calpurnius: Éloge de Pison. Texte établi et traduit par J. AMAT. Paris 1991, 35. B. SCHRÖDER argumentiert aber, unserer Meinung nach zu Recht, für die Kohä-renz des Gedichts, siehe das vierte Kapitel seines Kommentars: Die Kohärenz der 4. Ekloge, Carmina non quae nemorale resultent. Ein Kommentar zur 4. Ekloge des Calpurnius Siculus [Studien zur klassi-schen Philologie 61]. Frankfurt am Main 1991, 38 ff.

3 Wenn wir beachten, dass eine Strophe des Wettgesanges verloren gegangen ist, wie dies von L. CASTAGNA überzeugend bewiesen wurde: Il carme amebeo della IV. egloga di Calpurnio Siculo. In Neronia 1977. Actes du 2-e colloque de la Société International d’Études Néroniennes publiés par J.-M. CROISILLE et P.-M. FAUCHÈRE. Adosa 1982, 317. Die Theorie von L. JANSSENS, dass sich nämlich in der vierten Ekloge – in Akrosticha und anderen Buchstabenkombinationen versteckt – der Kult des Abrasax, der geheimen Gottheit synchretischen Ursprungs von Nero äußere, genauso wie bei Lucan und Persius, scheint jedoch weniger begründet zu sein: Abrasax, le dieu de Néron. In Neronia 1977, 207.

4 D. KORZENIEWSKI basiert seine Argumentation auf eine Stelle der Oracula Sibyllina, an der Ne-ros Name mit der Zahl Fünfzig bezeichnet wird: pent»konta d' Ótij kera…hn l£ce, ko…ranoj œstai V. 28. 12. Zur ersten und siebten Ekloge des Calpurnius Siculus. MH 33 (1976) 252; Néron et la Sibylle. La-tomus 33 (1974) 921.

5 Siehe MICHELFEIT, J.: Das augusteische Gedichtbuch. RhM 112 (1969) 347; DUCKWORTH, E.: Structural Patterns and Proportions in Vergil’s Aeneid. A Study in Mathematical Composition. Ann Ar-bor 1962, 45 ff.

Page 3: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 45

Acta Ant. Hung. 47, 2007

keit in Bezug auf die Zeilenzahlen aufweisen,6 sind ihre Gesamtlängen jedoch auffal-lend symmetrisch: Ohne das mittlere, als Achse dienende Gedicht machen Eklogen I bis III bzw. Eklogen V bis VII insgesamt 292 bzw. 297 Zeilen aus.7

Daher überrascht es nicht, dass dem Gedicht eine Schlüsselrolle bei der Inter-pretation des Inhalts wie der ganzen Komposition zukommt: Im Wettgesang entfaltet sich das Bild des mit der Herrschaft Neros wiederkehrenden, in der ersten Ekloge von Faunus prophezeiten goldenen Zeitalters, während der Dichter im dialogischen Teil in der Hauptfigur Corydon sein eigenes Selbstporträt zeichnet. Dank einer in der Geschichte der antiken Bukolik beispiellosen Neuerung werden die drei Eklogen politischen Inhalts durch die wiederholte Anwesenheit Corydons zu einer zusammen-hängenden Geschichte, denn, wie allegorisch oder unvollkommen die Form der Nar-ration auch sein mag, verfolgen wir sein Schicksal von Neros Antritt bis zur Einwei-hung des neuen Amphitheaters, d.h. von 54 bis 57 n. Chr.

Jedoch hat die vierte Ekloge wegen ihres enkomiastischen Tons und ihrer star-ken Rhetorizität eine Schlüsselrolle bei der beispiellos ungünstigen Beurteilung des Calpurnius gespielt, die ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts absolut vorherr-schend wurde. Die entscheidende Wende scheint sich eingesetzt zu haben als M. Haupt in seiner bravourösen Studie die gemeinsam überlieferten Gedichte des Cal-purnius und des Nemesianus voneinander getrennt hat und endgültig bewiesen hat, dass Letzterer gegen Ende des 3. Jahrhunderts n. Chr. tätig war, Ersterer jedoch nicht sein Zeitgenosse war, wie man das früher auf Grund des Auftaktes einiger Kodices angenommen hatte, sondern in der neronischen Zeit lebte.8

Dadurch gelangte das Œuvre des Calpurnius in einen radikal neuen histori-schen Zusammenhang: Davor war er als ein im Vergleich zu seiner Zeit – dem eiser-nen Zeitalter der römischen Literatur – außerordentlich gebildeter, eleganter Dichter betrachtet worden,9 ohne dass sich die Dichter und Leser, besonders der Renaissance oder des ancien régime, über den Ton seiner den Kaiser preisenden Eklogen – ob auf Alexander Severus, Probus, Carus, Numerianus oder aber Diocletian bezogen – ent-rüstet hätten. Die Figur Neros war aber schon in der Antike zum sprichwörtlichen Symbol der Tyrannei geworden, und obwohl seine Herrschaft die seit Augustus un-bekannte Belebung des literarischen Lebens brachte, wurden die Größten, Seneca,

6 I: 94, II: 100, III: 98, IV: 175, V: 121, VI: 92, VII: 84. 7 Ein ähnliches Kompositionsprinzip lässt sich bei Vergil beobachten: Wenn wir die in den Mit-

telpunkt gestellte fünfte bzw. die als Epilog abgetrennte zehnte Ekloge nicht betrachten, enthalten die ersten vier Eklogen 330, die zweiten vier 331 Zeilen. Neben der Zehn kommt der Sieben, dem plenus numerus auch eine sehr wichtige Rolle zu: In den Eklogen, in denen Arcadia, „die Landschaft der Seele“ erwähnt wird, ist die Anzahl der Verse ein Vielfaches von Sieben, und zwar so, dass sie immer um sieben Verse mehr wird: Die vierte Ekloge besteht aus 63, die siebte aus 70, die zehnte aus 77 Zeilen.

8 De carminibus bucolicis Calpurni et Nemesiani (1854). In Mauricii Hauptii Opuscula. Leipzig 1875, I 358. Die mögliche Datierung in die neronische Zeit wurde von G. SARPE schon dreißig Jahre früher angenommen: Quaestiones Philologicae. Rostock 1819.

9 „Videmus eum … ultra modum aetatis suae ingeniosum, facundum, elegantem, numerosum, qui dotes ingenii praeclaras multa arte et imitatione meliorum poetarum perpoliverit.“ WERNSDORF (Anm. 1) 354.

Page 4: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

46 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Lucan, Petronius früher oder später zu seinen Feinden (erklärt) und fielen ihm sogar zum Opfer, so dass auch die wahrhaft revolutionäre Erneuerung der Literatur gegen die von ihm propagierte alexandrische Ästhetik erfolgte.10 Wegen seiner panegyri-schen Gedichte wurde Calpurnius jedoch zwangsläufig als die Verkörperung des dem blutigen Dichter mit seinen schlechten Gedichten dienenden Höflings, des gliscens adulatio den „oppositionellen“ Figuren der Zeit gegenüber gestellt. Zu dieser Zeit erschien die grundlegende Monographie von G. Boissier, die das Bild von den politi-schen Verhältnissen des Prinzipats lange bestimmte und auch die damalige Literatur aus der Perspektive des Oppositionsgeistes behandelte.11 Die neu datierten Eklogen, sowie die zwei bukolischen, u.a. gerade auf Grund der Calpurnius-Reminiszenzen von vornherein auf die neronische Zeit datierten Bruchstücke aus Einsiedeln verspra-chen endlich einen Einblick in die literarische Tätigkeit der berüchtigten aula Nero-nis zu gewähren.12 Wilamowitz, der nach dem Tode seines Lehrers M. Haupt mit den Herausgeberarbeiten begann, kündigte schon in seinen Berliner Jahren ein Seminar zu den Eklogen des Calpurnius an. „Das ist fruchtbar,“ – schreibt er in seinen Erin-nerungen – „da es in den neronischen Kunstbetrieb einen guten Einblick gewähren kann.“13 Diese fruchtbare Annäherungsweise wurde jedoch nicht weitergeführt. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erschienen Abhandlungen über die Dichtung des Calpurnius nur noch vereinzelt.14 Diesem Umstand ist es vielleicht auch zu ver-danken, dass sich die communis opinio gefestigt hat, in der die adulatio als Vorwurf stärker in den Vordergrund rückte als der Epigonismus. Der bündig formulierte Standpunkt von Schanz–Hosius15 wiederholte sich in der späteren Fachliteratur mit wenigen Modifikationen, öfters in einem die wissenschaftliche Objektivität aus-schließenden Ton: „sa flagonnerie ne connaît point de vergogne“, „une servilité sans

10 „The closing irony is that Nero never lived to see the success of the literary movement whose

birth he had encouraged and unwittingly brought to full fruition by his opposition.“ In MORFORD, M.: The Neronian Literary Revolution. CJ 68 (1973) 211.

11 BOISSIER, G.: L’opposition sous les Césars. Paris 18923. Les écrivains de l’opposition: 271 ff. Die lehrreichen Ausführungen von W. DAHLHEIM über dieses klassische Werk: „Boissier hatte von ’opposition’ gesprochen, wobei der praktische Umgang mit diesem Begriff und dem von ihm erfaßten historischen Sachverhalt an den Erfahrungen des 19. Jahrhunderts ausgerichtet war: Dort standen libe-ral-bürgerliche und standisch-konservative Bewegungen politisch und literarisch in Opposition zu Lan-desfürsten und Monarchen, die ihre Macht nicht den Regelungen von Verfassungen unterwerfen lassen wollten.“ Geschichte der Kaiserzeit. München 20033, 194.

12 Diese Bruchstücke wurden zuerst von H. HAGEN herausgegeben: Philologus 28 (1869) 338. Siehe auch BÜCHELER, F.: Zur höfischen Poesie unter Nero. RhM 26 (1871) 235.

13 WILAMOWITZ-MOELLENDORFF, U. VON: Erinnerungen 1848–1914. Leipzig 1928, 176. Nach der Herausgabe von E. BAEHRENS (Poetae Latini minores III. Leipzig 1881) hat Wilamowitz den Plan der Textausgabe aufgegeben.

14 Wir können nur auf ein bedeutenderes Werk hinweisen: CESAREO, E.: La poesia di Calpurnio Siculo. Palermo 1931. Cesareo unternimmt, auf die besser gelungenen Stellen der Eklogen des Calpur-nius hinzuweisen („spunti delicatissimi e momenti di vera bellezza“, 24), aber seine Betrachtungsweise war – besonders was die imitatio angeht – schon zu der Zeit veraltet.

15 „Der dichterische Wert der Eklogen ist kein besonders hoher; die höfischen Gedichte leiden an unerträglicher Schmeichelei, die bukolischen nähren sich zumeist von den Brosamen, die von Vergils Ti-sche fallen.“ Vgl. SCHANZ, M. – HOSIUS, C.: Geschichte der römischen Literatur. München 1935, II 488.

Page 5: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 47

Acta Ant. Hung. 47, 2007

mesure“, „peinliches Herrscherlob“.16 Dass R. Pichon im ausgehenden 19. Jahrhun-dert gerade diese panegyrischen Details als Ausdrücke des „enthousiasme patrioti-que“ hochgeschätzt hatte, spiegelt die Veränderung des Zeitgeistes bezeichnender-weise wider.17

II. SILVAE AMARYLLIDOS: BUKOLIK UND ALLEGORIE

Die künstlerische Qualität des einst so beliebten und oft nachgeahmten Gedichts wurde womöglich noch negativer bewertet. Sogar Wernsdorf, der Calpurnius an-sonsten schätzte, kritisierte die für die Dichtung der frühen Kaiserzeit allgemein cha-rakteristische Rhetorizität und stellte geistreich fest, dass man sich bei der Lektüre einiger hinreißender Stellen eher in einer Rhetorschule als im Kreise von Hirten fühlt.18

Auch wenn das heute anders beurteilt wird,19 springt die im Vergleich zu Ver-gils Bukolik auf mehreren Ebenen des Textes vorhandene Vereinfachung auf jeden Fall ins Auge. Wir meinen, dieses Phänomen sei mit der für die Epoche durchaus charakteristischen Klassizisierung zu erklären. Das gilt für die gleich auffallende Pe-danterie, die das perfektionierte Können unter Beweis stellen soll, nämlich die bei-spiellose Vermeidung der elisio, sowie die starre und gerade deswegen weniger wir-kungsvolle Verwendung der bukolischen Dierese als bei Vergil.20 Das Bestreben, den Dichterahnen in künstlerischem Geschick zu übertreffen manifestiert sich in seiner – offensichtlich bewusst – sparsameren Verwendung der Alliteration: Während sie in 28 Prozent der Verse von Vergil und 29 Prozent der Zeilen von Nemesian vorliegt,

16 VERDIÈRE, R.: La bucolique post-virgilienne. Eos 52 (1966) 181; BARDON, H.: Bucolique et

politique. RhM 115 (1972) 12; BINDER, G.: Hirtenlied und Herrscherlob. Von den Wandlungen der römi-schen Bukolik. Gymnasium 96 (1989) 363.

17 „Cet enthousiasme patriotique relève un peu la monotonie des scènes bucoliques.“ PICHON, R.: Histoire de la littérature latine. Paris 1897, 520.

18 (Über die vierte Ekloge) „Pulchrum esse et magnificum carmen faterer, nisi a pastoribus reci-taretur. Tantum scilicet a brevitate simplicitateque carminis bucolici recedit, tantumque a Tityro Virgilii, quem hic imitari poeta voluit, abest, ut nisi argumentum laudis plerumque a rusticatione et vita pastoritia sumeretur, putares, non pastores rure loquentes, sed rhetorem in schola declamantem audire. (…) Felix et illustre ingenium etiam hoc carmine ostendit Calpurnius, sed declamatoria vanitate et aliis aevi sui vi-tiis corruptum.“ Poetae Latini Minores (Anm. 13) 449 f.

19 WILLIAMS, S. G.: Change and Decline. Roman Literature in the Early Empire. Berkeley 1978; HUTCHINSON, G. O.: Latin Literature from Seneca to Juvenal: A Critical Study. Oxford 1993. M. VON ALBRECHT (Geschichte der römischen Literatur. München 1992) behandelt die Literatur der frühen Kai-serzeit fast im selben Umfang wie die der augusteischen Zeit und bietet auch eine gebührende Betrach-tung der Dichtung des Calpurnius.

20 „Calpurnio muestra una regularización total en el tipo de cesuras que acompañan a la puntua-ción bucólica; mayor variedad y, por tanto, mayores posibilidades rítmicas en Virgilio.“ BAÑOS, J. M.: La puntuación bucólica y el género literario: Calpurnio y las Églogas de Virgilio. Helmantica 54 (1986) 294. Es ist zu bemerken, dass der später wegen seines serbischen Wörterbuchs bekannt gewordene V. GYI-SZÁLOVICS die Metrik des Calpurnius schon früher untersucht hatte, unter besonderer Berücksichtigung der bukolischen Dierese: De carminibus bucolicis Calpurni Siculi. Dissertatio inauguralis. Nagybánya 1897, 5 ff.

Page 6: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

48 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

kommt sie bei Calpurnius nur in 18 Prozent seiner Verse vor.21 Calpurnius bevorzugt nämlich die komplexeren und daher kunstvolleren Figuren ab ab (si laudem victor, si fert opprobria victus, II. 24) und ab ba (perpetuamque regit iuvenili robore pacem, IV. 85). Eine zweiteilige Figur verwendet er meistens nur bei der Verbindung unter-schiedlicher Wortarten (clementia contudit enses, I. 59) und scheint die Alliteration bei derselben Wortart vermeiden zu wollen – diese ergeben bei Vergil 16, bei Cal-purnius aber nur noch 4 Prozent.22 Insofern trifft also die Bemerkung des Pseudo-Longinos für unseren Dichter zu, dass sich nämlich die Werke mittelmäßiger Künst-ler im Allgemeinen durch einwandfreie künstlerische Technik auszeichnen, während die Größe immer mit einer Art großzügiger Nachlässigkeit einhergeht.23

Andererseits übte die erste Blütezeit der Vergil-Philologie eine entscheidende Wirkung auf die Dichter der neronischen Zeit aus.24 Es kam eine interpretative Ge-meinschaft zustande, die nicht nur darüber entschied, welche Werke in den Kanon aufzunehmen sind, sondern auch die Verfahren legitimierte, mit denen die Werke zu interpretieren sind und dadurch auch die ihnen zugewiesene (Be-)Deutung beeinflus-sen konnte.25 Hyginus, Asconius Pedianus, Annaeus Cornutus, Remmius Palaemon, und Valerius Probus haben maßgeblich zu der Verbreitung des Kults um Vergil bei-getragen. Sie spielten aber auch bei der Herausbildung der oft diskutierten klassizie-renden Richtung des 1. Jahrhunderts n. Chr. eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Es wurden zwar wenige literarische Denkmäler aus dieser Zeit überliefert, jedoch gibt es für ihre Blüte genügend mittelbare Beweise;26 in der Figur des Eumolpus zeichnet auch Petronius die Karikatur dieses Dichtertypus nach.27 Nach M. A. Levi fiel ein Großteil dieser Werke der Nero bestrafenden damnatio memoriae zum Op-fer.28 Vertreter dieser Richtung waren möglicherweise Calpurnius Piso und die Lite-

21 DI LORENZO, E.: Strutture alliterative nelle egloghe di Virgilio e nei bucolici latini minori.

Neapel 1988, 37 ff. 22 DI LORENZO (Anm. 21) 55. 23 Peri hypsous XXIII 2. 24 Siehe TIMPANARO, S.: Per la storia della filologia virgiliana antica. Rom 1986; TARRANT, J.

R.: Aspects of Virgil’s Reception in Antiquity. In The Cambridge Companion to Virgil. Ed. CH. MAR-TINDALE. Cambridge 1997, 56 ff.

25 Auch wenn die Meinung von S. FISH, die Bedeutung des Werkes sei nicht vom Text oder vom jeweiligen Leser, sondern von der interpretativen Gemeinschaft herzuleiten, etwas übertrieben erscheint: „it is interpretive communities, rather than either the text or the reader, that produce meanings and are responsible for the emergence of formal features. Interpretive communities are made up those who share interpretive strategies not for reading but for writing texts, for constituting their properties. In other words these strategies exist prior to the act of reading and therefore determine the shape of what is read rather than as is usually assumed, the other way around.“ Is There a Text in This Class? The Authority and Power of Interpretive Communities. Cambridge 1980, 14.

26 Zu dieser Frage siehe CIZEK, E.: À propos de la littérature classique au temps de Néron. Studii Classice 10 (1968) 147; Le classicisme à Rome aux I-iers siècles avant et après J.-C. Entretiens préparés par H. FLASHAR. Genf 1978; MAYER, R.: Neronian Classicism. AJPh 103 (1982) 306.

27 Siehe WALSH, P. G: Eumolpus, the Halosis Troiae and the De Bello Civili. ClPh 63 (1968) 208; BECK, R.: Eumolpus poeta, Eumolpus fabulator: A Study of Characterization in the Satyricon. Phoenix 33 (1979) 239.

28 „Modeste voci, invero, queste: sono quanto si è salvato dal naufragio di una tradizione di cultu-ra scomparsa insieme agli scritti di Nerone, distrutti in seguito alla sua damnatio memoriae.“ Vgl. LEVI, M. A.: Nerone e i suoi tempi. Mailand 1949, 77.

Page 7: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 49

Acta Ant. Hung. 47, 2007

raten seines Kreises, und obwohl sich die Dichtung des Calpurnius Siculus nicht vollständig als ein Dokument des neronischen Klassizismus interpretieren lässt,29 war er sicherlich mit diesem Kreis und seinen poetischen Prinzipien verbunden.

Noch wichtiger ist aber die Wirkung des interpretativen Verfahrens, das sich zu jener Zeit verbreitete und sich bis zum 20. Jahrhundert gehalten hat, nämlich der allegorischen Textinterpretation.30 Wie von V. Langholf aufgezeigt31 weisen viele Stellen bei Calpurnius überraschende Parallelen mit den in spätantiken Kommentaren mal bejahend, mal kritisch zitierten Deutungen auf, nicht nur hinsichtlich der Gleich-setzung der bukolischen Figuren mit historischen Persönlichkeiten, sondern fast je-den Aspekt der Eklogen Vergils betreffend. So wurde Zeile 71 der dritten Ekloge (aurea mala decem misi, cras altera mittam) auf die zehn Eklogen bezogen, die der Dichter dem Augustus geschickt hatte, obwohl das auf Grund des Textes selbst nicht untermauert werden kann.32 Es fällt aber auf, dass Idas – in Zeile 7 der zweiten Eklo-ge des Calpurnius – seinem Gegner vor dem Wettgesang sieben Lammfelle anbietet, wodurch er möglicherweise nach dem Vergil-Kommentar auf seine eigenen sieben Eklogen hinweist.33 Ähnlicherweise hat sich, der allegorischen Interpretation entspre-chend, die Gleichsetzung des Namen Amaryllis mit Rom in Zeile 5 der ersten Ekloge (formosam resonare doces Amaryllida silvas) verbreitet, im Gegensatz zu Galatea, die als Symbol für Mantua oder Gallia galt.34 Auf die Popularität dieser Erklärung weist auch hin, dass sich die Parallele bei Calpurnius kaum anders interpretieren lässt als eine Allegorie mit der Bedeutung ‘Rom’ oder ‘Vaterland’ – umso mehr als es in seinen Eklogen kein Mädchen namens Amaryllis erscheint und die Geliebte des Co-rydon Leuce heißt.35 In der vierten Ekloge stellt nämlich der von der Verbannung ge-rettete Corydon die Wälder der Amaryllis den barbarischen Gegenden Hispaniens ge-genüber:

29 Wie u.a. CIZEK: „Calpurnius respecte les normes fondamentales de la poésie bucolique tradi-

tionelle, son style, le nom de ces héros, ses thèmes, tels qu’ils avaient été créés par Théocrite et Virgile.” (Anm. 26) 149.

30 Siehe STROUX, J.: Zur allegorischen Deutung Vergils. Philologus 86 (1931) 363; DELLA COR-TE, F. – COLEIRO, E. in Enciclopedia Virgiliana I (1984) 105 s. v. allegoria. Über die politischen Bezüge der Methode siehe ROCCA-SERRA, G.: Exegèse allégorique et idéologie impériale: l’Abrégé de Cornutus. Neronia 1977 (Anm. 3) 61.

31 LANGHOLF, V.: Vergil-Allegorese in den Bucolica des Calpurnius Siculus. RhM 133 (1991) 355. T. SCHNIT-NEUERBURG hat die äußerst starke Wirkung der Homer-Kommentare in Vergils Aeneis aufgezeigt: Vergils Aeneis und die antike Homerexegese. Untersuchungen zum Einfluß ethischer und kri-tischer Homerrezeption auf imitatio und aemulatio Vergils. Berlin–New York 1999.

32 et volunt quidam hoc loco allegoriam esse ad Augustum de decem eclogis. quod superfluum est: quae enim necessitas hoc loco allegoriae? Servius ad loc.

33 pignoribusque parant: placet hic ut vellera septem, / ille sui victus ne messem vindicet horti (II. 7–8).

34 allegoricos autem hoc dicit, postquam relicta Mantua Romam me contuli: nam Galateam Man-tuam vult esse, Romam Amaryllida. Servius ad I. 29. Ähnlich in der Scholia Bernensia ad I. 31: quidam dicunt ut allegorice Galatea sit Gallia, Amaryllis autem Roma. Die Überlegungen des Macrobius sind auch lehrreich, dass die Landschaften Vergils seinen Stilschichten entsprechen: Nam qualiter eloquentia Maronis ad omnium mores integra est, nunc brevis nunc copiosa nunc sicca nunc florida nunc simul om-nia, interdum lenis aut torrens: sic terra ipsa hic laeta segetibus et pratis ibi silvis et rupibus hispida, hic sicca arenis hic irrigua fontibus … Saturnalia II. 387.

35 Vgl. ThLL I (1924) 20.

Page 8: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

50 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

per te secura saturi recubamus in umbra, et fruimur silvis Amaryllidos, ultima nuper litora terrarum, nisi tu, Meliboee, fuisses, ultima visuri, trucibusque obnoxia Mauris pascua Geryonis … (37–41)

Aufschlussreich ist auch die Stelle in der vierten Ekloge, wo Meliboeus – wie-derum allegorisch – des vates aus Mantua gedenkt. Der Text ist eng verbunden mit der Einleitung der sechsten Ekloge Vergils, die die Auswirkung des kosmologischen Liedes des Silenus auf die Natur beschreibt. Die Allusion spiegelt möglicherweise den Einfluss der Deutung wider, die Silenus mit Vergil, den ihn fangenden Chromis und Mnasyllus mit Varus und Tucca gleichsetzte:

magna petis, Corydon, si Tityrus esse laboras. ille fuit vates sacer et qui posset avena praesonuisse chelyn, blandae cui saepe canenti adlusere ferae, cui substitit advena quercus, quem modo cantantem rutilo spargebat acantho Nais et implicitos comebat pectine crines. (65–69)36

Diese Textstelle beweist nicht nur die Wirkung der schulischen Bildung und der philologischen Ausführungen über den klassisch gewordenen Autor auf die Dichter der Zeit, sondern auch die nahezu religiöse Verehrung von Vergil, nicht zuletzt als Folge solcher Interpretationen. Es kam nämlich vor, dass die Figuren in den Eklogen mit historischen Persönlichkeiten aus späteren Zeiten identifiziert wur-den, um auf diese Weise die Weissagungsvermögen des Dichters zu beweisen. Ein parodiehaftes Beispiel dafür ist der als omnium poetarum iudex bekannt gewordene Remmius Palaemon, der in der Figur des ähnlich genannten Schiedsrichters in der dritten Ekloge die Prophezeiung seiner eigenen literarischen Tätigkeit sah.37 Obwohl die Annahme Langholfs, dass die vierte Ekloge als eine Weissagung über Neros Geburt und Herrschaft interpretiert worden sei und dass sich in den panegyrischen Eklogen des Calpurnius gerade diese „divinatorische“ Deutung niedergeschlagen ha-be,38 nicht nachgewiesen werden kann, so steht es doch außer Zweifel, dass Cal-purnius die Vergöttlichung des Daphnis in der fünften Ekloge auf Iulius Caesar be-zogen und deswegen zahlreiche Motive in seinen Nero feiernden Gedichten herange-

36 Vgl. Verg. ecl. VI 20–30: Aegle Naiadum pulcherrima, iamque videnti / sanguineis frontem

moris et tempora pingit. (…) tum vero in numerum Faunosque ferasque videres / ludere, tum rigidas motare cacumina quercus; / nec tantum Phoebo gaudet Parnasia rupes / nec tantum Rhodope miratur et Ismarus Orphea. Schol. Bern. ad ecl. VI: in hac ecloga Virgilius se Silenum fingit, qui canebat. Chromis et Mnasyllus: Silenorum et Satyrorum nomina; hos pro condiscipulis Virgilii accipere debemus, Varo scilicet et Tucca, qui poetam quasi Silenum petierunt scribere bucolica.

37 adrogantia fuit tanta, ut (…) secum et natas et morituras litteras iactaret, nomen suum in Bu-colicis non temere positum sed praesagente Vergilio fore quandoque omnium poetarum ac Palaemonem iudicem. Suetonius, De gramm. XXIII 4.

38 „Vielleicht geht man nicht zu weit mit der Vermutung, daß Calpurnius und seine Zeitgenossen, die die neronische Vergil-Allegorese aufbrachten, im Rahmen ihrer Panegyrik voraussetzten, daß Vergil in verhüllter, prophetischer Weise auf Nero hingewiesen habe.“ LANGHOLF (Anm. 31) 366.

Page 9: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 51

Acta Ant. Hung. 47, 2007

zogen hat. Wahrscheinlich wurde das rätselhafte Kind in der vierten Ekloge von den zeitgenössischen Lesern mit Augustus identifiziert – darauf ist jedenfalls aus den darauf alludierenden, den Einfluss der kaiserlichen Propaganda widerspiegelnden Werken, so auch aus der ersten Ekloge des Calpurnius zu schließen.39

Dass die Bukolik zum Träger (aktuell)politischen Aussagen werden konnte, wurde gerade durch die allegorische Interpretation, durch die Auffassung, dass die Hirtenszenen verschlüsselte und mit Hilfe von biographischen Daten mit Sicherheit auflösbare, auf alltägliche Ereignisse reduzierbare Nachrichten seien, ermöglicht: Treffend hat G. Binder diesen Prozess als „Funktionalisierung“ betrachtet.40 Jedoch sind die von der Allegorisierung gebotenen dichterischen Möglichkeiten viel einge-schränkter als die komplexen, symbolschaffenden poetischen Verfahren, die der Hirtendichtung Vergils eine besondere künstlerische Wirkung verleihen, denn sie basieren – im Gegensatz zu der dichterischen Technik Vergils – auf einer engen, unmittelbaren und eindeutigen Beziehung zwischen Bezeichnendem und Bezeichne-tem.41 Der dadurch bestimmte Lesemodus, der sich aus der Natur der Gattung selbst zu ergeben schien, hat die Aufmerksamkeit möglicherweise von zahlreichen Schich-ten der dichterischen Welt der Bucolica abgelenkt: In dieser Hinsicht erscheint der Gedankengang von S. Fish über die deutende „Macht“ der interpretativen Gemein-schaften begründet. Viel sagend ist, dass bei Calpurnius kein einziger Hinweis auf Arkadien zu finden ist. Auch seine symbolschaffenden Verfahren sind viel einseiti-ger als die bei Vergil nachvollziehbaren, so dass G. Binder zu Recht meint, dass die multidimensionale Welt Vergils bei Calpurnius durch eine eindimensionale abgelöst wird.42 Dies wird auch dadurch bestätigt, dass einige, in den Eklogen des Vergil beispiellos gesättigte Metaphern bei ihm bloß als ihrer Bedeutungshaltigkeit mehr oder weniger beraubte rhetorische Zierde wiederkehrt.

Obwohl die Hirtenfiguren bei Vergil schon viel konventioneller sind als die Fi-guren in den Idyllen des Theokrits, wird die Welt der Hirten bei Calpurnius wegen der Allegorisierung und der starken Rhetorizität des Textes noch schematischer, beinahe zeichenhaft. Der Gebrauch der Hirtenfigur als Maske setzt zumindest in den panegyrischen Eklogen eine deutlich einfachere Relation zwischen Fiktion und Rea-lität voraus als in der Dichtung Vergils. Nicht zufällig haben in diesen drei Eklogen nur Corydon-Calpurnius und Meliboeus-Seneca einen relativ wohl nachvollziehbaren Charakter, während die anderen Hirten nur anwesend sind, um die Dialogizität zu ermöglichen.

39 „la cuarta égloga de Virgilio es el punto de referencía explícito y ineludibile de una cierta

tradición – que se muestra principalmente en dos momentos bien delimitados en la historia de Roma – según la cual se asocia el advenimiento de los saecula aurea míticos con la presencia del princeps y, lo que es más importante, una tradición que se esfuerza en mostrarse lo más claramente posible como la versión actual de aquel prototipo en el que la Edad de Oro romana aparecía de la mano del optimus princeps por excelencia.” ARZALLUZ, I. R.: Augusto, Nerón y el puer de la cuarta égloga. Aevum 69 (1995) 123 f.

40 EFFE, B. – BINDER, G.: Die antike Bukolik. Zürich 1989, 141. 41 Die Monographie von W. ISER ist lehrreich zur Frage der Fiktionalität der Eklogen Vergils: Das

Fiktive und das Imaginäre. Perspektiven literarischer Anthropologie. Frankfurt am Main 1993. 42 EFFE–BINDER (Anm. 40) 141.

Page 10: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

52 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Es liegt also auf der Hand, im Folgenden darauf zu konzentrieren, wie es dem Dichter gelungen ist, inmitten der Bestrebung, dem unübertrefflichen Ahnen, dem vates sacer zu folgen, der Betrachtung der Allegorie und der Verschlüsselung der politischen Aussage als gattungsspezifisches Merkmal sowie der Verpflichtungen der für die frühe Kaiserzeit so charakteristischen rhetorischen Textgestaltungsmechanis-men jedoch solche poetische Verfahren einzusetzen, durch die sein Werk die be-scheidenen Rahmen der Gelegenheitsdichtung, der „zweckorientierten Bukolik“43 überwunden hat und die zur Schaffung einer von der des Vergil so unterschiedlichen dichterischen Welt führten, die lange Jahrhunderte hindurch in vielerlei Erwartungs-horizonten neu gelesen werden und eine außerordentliche künstlerische Wirkung ausüben konnte.

III. CORVUS POETA: DICHTERKARRIERE IN DER NERONISCHEN ZEIT

Auf dem ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht auf der Vereinigung zweier Eklogen Vergils basiert: Der Wettgesang auf der fünften, das lange Gespräch zwi-schen Corydon und Meliboeus auf der ersten Ekloge. Die Verweise auf die Figuren bei Vergil tragen auch zum Verständnis der Beziehung der Figuren untereinander bei. Die Hauptfiguren der Eklogen des Calpurnius erhalten meistens Namen, die bei Vergil gar nicht vorkommen oder nur eine unbedeutende Nebenfigur benennen.44 Umso stärker sind die mit vergilischen Namen benannten Figuren der vierten Ekloge in ihrem Charakter und ihrer Situation an die unvergesslichen Hirtenfiguren Vergils gebunden. Die Bearbeitung der Gedichte Vergils in der ersten und vierten Ekloge spiegelt die geistreichen Imitationsverfahren des Calpurnius wider. Die öffnende Szene der ersten Ekloge folgt der der fünften, während die Prophezeiung des Faunus die Weissagung in der vierten Ekloge mit der Grundsituation der sechsten vereinigt, wo Silenus dem ihn in seinem Schlaf fesselnden jungen Hirten die Geschichte der Menschheit in einem kosmischen Rahmen erzählt. Doch kommt es zum Wettgesang, der den neuen Kaiser nach dem Vorbild der als die Apotheose des Iulius Caesar in-terpretierten Lieder von Mopsus und Menalcas über Daphnis preist, jedoch erst in der vierten Ekloge, auf die Ermunterung des die Hirtenwelt besuchenden Meliboeus.

In dem einleitenden Gespräch bedankt sich Corydon lange bei Meliboeus, der ihn dank seines Einflusses vor der Verbannung ans Ende der Welt gerettet hat, davor, in den wilden Gegenden des nur vom Hörensagen bekannten Hispaniens, am Ufer der Baetis, die Diebstähle der schrecklichen Mauren und Iberer befürchtend seine Herde zu hüten:

per te secura saturi recubamus in umbra et fruimur silvis Amaryllidos, ultima nuper

43 EFFE–BINDER (Anm. 40) 115. 44 „He imitates Vergil’s maneuver in foregrounding the secondary Theocritean character of Tity-

rus. Each pastoralist in turn focuses on the characters slighted by his predecessor.” HUBBARD, TH.: Cal-purnius Siculus and the Unbearable Weight of Tradition. Helios 23 (1996) 80.

Page 11: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 53

Acta Ant. Hung. 47, 2007

litora, terrarum, nisi tu, Meliboee, fuisses, ultima visuri, trucibusque obnoxia Mauris pascua Geryonis, liquidis ubi cursibus ingens dicitur occiduas impellere Baetis harenas. scilicet extremo nunc vilis in orbe iacerem, a dolor! et pecudes inter conductus Hiberas irrita septena modularer sibila canna; nec quisquam nostras inter dumeta Camenas respiceret; non ipse daret mihi forsitan aurem ipse deus vacuam, longeque sonantia vota scilicet extremo non exaudiret in orbe. (37–49)

Die dunklen Töne der Beschreibung beweisen, dass Calpurnius keineswegs von seiner Heimat redet.45 Dafür spricht nicht nur die Verwendung von dicitur, son-dern auch, dass die Darstellung nicht auf persönlichen Erlebnissen sondern auf litera-rischen Gemeinplätzen (wie etwa der sprichwörtlichen Neigung der Iberer zum Rin-derdiebstahl und der mythischen Figur des Geryon) beruht.46 Darüber hinaus wirken die Hinweise auf den entsetzlichen Geryon, auf die legendäre Ferne und Wüste der Gegend und die wilde Natur der Ureinwohner stark verzerrend, denn Baetica, das Tal des heutigen Guadalquivir eines der am frühesten romanisierten und am zivilisier-testen Gebiete Hispaniens war.47 Bezeichnend ist auch, dass die für die Römer tat-sächlich barbarische Gegend Bilbilis bei Martial als Ort der nostalgischen Fernweh erscheint und mit Motiven der idyllischen Hirtenwelt gezeichnet wird. Die Heimat-landschaft und die unerträgliche Metropole werden von Martial nach dem traditio-nellen Schema des locus amoenus und des locus horridus verglichen, und diese all-gemein verbreitete Art der Gegenüberstellung, der Darstellung der Heimat und der Verbannung wird zum wichtigsten Kompositionsprinzip des zehnten Buches der Epi-

45 E. CIZEK setzt Meliboeus mit Calpurnius Piso gleich: L’époque de Néron et ses controverses

idéologiques. Leiden 1973, 372; VERDIÈRE, R.: Qui est le Mélibée de Calpurnius? REL 51 (1977) 15. Für die Identifikation mit Seneca argumentiert B. LUISELLI: L’Apocolocyntosis senecana e la prima bucolica di Calpurnio. Atene e Roma 7 (1963) 44. BARDON, H.: Les empereurs et les letres latines. Paris 1968, 222; AHL, F.: The Rider and the Horse. Politics and Power in Roman Poetry. ANRW 32. I. (1984) 66. D. Korzeniewski hält die Frage für unentscheidbar: Hirtengedichte aus neronischer Zeit. Titus Calpurnius Siculus und die Einsiedler Gedichte. Herausgegeben und übersetzt von D. KORZENIEWSKI [Texte zur Forschung 1]. Darmstadt 1971, 97; und neulich auch M. A. Vinchesi, obwohl sie die Identifizierung mit Seneca für eher begründet hält: Calpurnio Siculo: Ecloghe. Introduzione, traduzione e note di M. A. VINCHESI. Milano 1996, 12.

46 Wie schon WERNSDORF bemerkt hat (Anm. 1) 42: dicitur, aptum pastori, qui remota et longin-qua per se ignorat, ad loc. Nach Korzeniewski weist Calpurnius auf ein historisches Ereignis hin: Im Jah-re 40 wurde der König von Mauretanien, Ptolemaios in Rom ermordert, worauf die Mauren in Hispanien einbrachen. Die Textstelle hat aber auch ein literarisches Vorbild: Die Iberer waren notorische Rinderdie-be, wie auch von Vergil erwähnt werden: numquam custodibus illis (sc. canibus) / nocturnum stabulis furem incursusque luporum / aut impacatos a tergo horrebis Hiberos. Georg. III 406–408. Vgl. Servius ad loc: HIBEROS abactores; fere enim Hispani omnes acerrimi abactores sunt. et aliter: Hiberi gens in Ponto: sed magis de Hispanis intelligendum, quorum in latrociniis fama praeponderat.

47 ALFÖLDY, G.: Römische Sozialgeschichte. Wiesbaden 1984, 120. Über die Romanisierung von Baetica siehe VELILLA, L.: Gobierno y administración de los territorios conquistades. In Historia general de España I. 2. Madrid 1987, 524 ff.

Page 12: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

54 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

gramme.48 So ist es unwahrscheinlich, dass der ansonsten so selbstbewusste Calpur-nius seine eigene Heimat viel schlimmer als in der Wahrheit darstellen wollte. Ande-rerseits haben wir gesehen, dass der Ausdruck silvae Amaryllidos bei Calpurnius unter dem Einfluss der allegorischen Vergil-Interpretationen im Sinne von ‘Rom, Heimat’ verwendet wird, wodurch bei ihm dieselbe Gegenüberstellung zur Geltung kommt wie bei Martial.

Wenn aber Meliboeus, wie schon vor zweihundert Jahren von Sarpe vorge-schlagen, mit Seneca identisch ist, so erhalten die Übertreibungen ihren Sinn: Cal-purnius weist mit nicht wenig Ironie auf seine engere Heimat hin, und zwar vielleicht mit dem kaum verhehlten Stolz eines gebürtigen Italiers oder zumindest Sizilianers. Die Meinung von F. Ahl scheint also etwas übertrieben, nach der sich der charakteristi-sche und nicht allzu spannungsfreie gesellschaftliche Vorgang des 1. Jahrhunderts n. Chr. in dieser Textstelle niedergeschlagen habe, dass nämlich die aus den Provinzen in die Stadt strömenden und immer wichtigere Positionen innehabenden Römer die bodenständigen Italier allmählich in den Hintergrund drängten.49 Die Ironie des Hin-weises ist jedoch kaum zu leugnen: In der Apocolocyntosis spottete noch Seneca selbst über Claudius, der jeden Gallier, Britannier und Hispanier in Togen kleiden wollte.50

Die ovidischen Allusionen in der Darstellung der bitteren Verbannung wurden schon von Wernsdorf aufgezeigt.51 Unbeachtet ist aber die Tatsache geblieben, dass sich die in seiner Verbannung auf Korsika entstandenen Epigramme von Seneca ähn-licherweise durch Allusionen auf die Beschreibungen in Tristia und Ex Ponto aus-zeichnen, und dass die Wirkung der Elegien auch in der Consolatio ad Polybium zu beobachten ist,52 so dass die vierte Ekloge zugleich auf den späten Ovid und auf die

48 et quod inhumanae cancro fervente cicadae /non novere nemus, flumineosque lacus /dum colui,

doctas tecum celebrare vacabat /Pieridas, nunc nos maxima Roma terit (X 58. 2–5). Siehe dazu SPISAK, A.: The Pastoral Ideal in Martial, Book 10. CW 95 (2002) 127.

49 „Considering how many Spaniards were prominent in the first and second centuries, Calpur-nius could be slyly jesting about Romans being replaced by provincials. Such a jest gains additional aci-dity, if we identify, as some have done, Meliboeus with Seneca, who had returned form exile to serve as Nero’s tutor.” AHL, F.: The Rider and the Horse. Politics and Power in Roman Poetry. ANRW 32. I. (1984) 67.

50 sed Clotho ‘ego mehercules’ inquit ‘pusillum temporis adicere volebam, dum hos pauculos qui supersunt civitate donaret – constituerat enim omnes Graecos, Gallos, Hispanos, Britannos togatos vide-re.’ III 3.

51 Lassus in extremis iaceo populisque locisque, Trist. III 3. 13; Orbis in extremi iaceo desertus harenis, / fert ubi perpetuas obruta terra nives. / non ager hic pomum, non dulces educat herbas,/ non sa-lices ripa, robora monte virent. Ex Ponto I 3. 49–52; Ecquis in extremo positus iacet orbe tuorum, me tamen excepto, qui precor esse tuus? Ex Ponto I 7. 5–6.

52 Corsica terribilis, cum primum incanduit aestas, / saevior, ostendit cum ferus ora canis: / parce relegatis, hoc est, iam parce solutis: / vivorum cineri sit tua terra levis. AL 228. 5–8. Barbara praeruptis inclusa est Corsica saxis, / horrida, desertis undique vasta locis. / non poma autumnus, segetes non edu-cat aestas, / canaque Palladio munere bruma caret. 229, 1–4. Epigramme 228 und 229 der Anthologia Latina (Nummerierung der Ausgabe von D. SHACKLETON BAILEY, Stuttgart 1982) sind mit Sicherheit Werke von Seneca; siehe dazu DINGEL, J.: Corsica terribilis. Über zwei Epigrammen Senecas. RhM 137 (1995) 346; bzw. DEGL’INNOCENTI PIERINI, R.: Studi sugli epigrammi attributi a Seneca. In Tra filosofia e poesia. Studi su Seneca e dintorni. Bologna 1999, 109. Wie Pierini in einem anderen Aufsatz schreibt: „tutte le osservazioni relative alla terra d’esilio in Seneca trovano una precisa corrispondenza nelle descrizioni ovidiane e in tutti casi si presentano come topoi negativi in un implicito confronto con la

Page 13: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 55

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Gedichte des seine Rolle einnehmenden Seneca hinweist.53 Der Hinweis ist raffiniert mehrdeutig: Seneca hat das Elend der Verbannung erlebt und musste daher die Ängste des Corydon verstehen, dem aber gerade seine Heimat als eine genauso barbarische Gegend erscheint, wie unlängst seinem Patron die trostlose Landschaft der Corsica terribilis. Der Name Meliboeus passt perfekt dazu, denn er verweist auf den um sei-nen Besitz geprellten und von seinem Land vertriebenen Hirten in der ersten Ekloge Vergils, der sich auf den Weg macht ohne zu ahnen, in welcher schrecklichen Ge-gend der Welt er landen wird, ob in Afrika, Scythia oder Britannia.54

Auch Corydon, der Alterego des Calpurnius ist mit betonten und nicht weniger raffinierten vergilischen Allusionen verbunden. Der junge Hirt erzählt Meliboeus äußerst selbstbewusst, dass er vom doctus Iollas unlängst die magische, sogar wilde Bullen bannende Pfeife geerbt hat, die einst Eigentum des mit den Zügen des Orpheus versehenen Vergils war. Es handelt sich hier um den Topos der dichterischen Ein-weihung, der in der programmatischen siebten Idylle des Theokrit und in der fünften, in die Mitte des Bandes gestellten Ekloge des Vergil vorkommt. Iollas, der vielleicht mit dem in der dritten Ekloge als weiser Ratgeber, in der sechsten als Schiedsrichter auftretenden Hirten identisch ist, ohne einen Hinweis darauf, dass er „die Maske“ eines zeitgenössischen Dichters wäre, erinnert sich an Vergil als denjenigen, der zum ersten Mal in den lateinischen Bergen ein hybläisches Lied gesungen hatte:

Tityrus hanc habuit, cecinit qui primus in istis montibus Hyblaea modulabile carmen avena. (62–63)

Das aus dem Namen Hybla gebildete Attribut wurde von Vergil geschöpft und weist gleichzeitig wegen des von Syrakus nur wenige Meilen entfernten Bergs auf die Heimat Theokrits, sowie – als Metapher der Gemütlichkeit der Hirtendichtung – auf die weit und breit bekannte Süße des hybläischen Honigs hin.55 Die Textstelle zeugt also von der ununterbrochenen bukolischen Tradition seit Theokrit, dessen Hüter nun Calpurnius ist. Die dichterische Einweihung verbindet sich sowohl bei Theokrit als auch bei Vergil mit einer außerordentlichen dichterischen Leistung, und obwohl der seinem Patron gegenüber mal hochmütige, mal peinlich bescheidene Corydon auf so etwas nicht hinweist, gilt dies auch in seinem Falle als selbstver-ständlich. Der angenehme Stil, die Süße seiner Lieder wird nicht einmal von dem

———— patria, sfruttando con movenza anaforica negativa tutti i motivi adottate nelle laudes Italiae.“ DEGL’IN-NOCENTI PIERINI, R.: Seneca, Ovidio e l’esilio. In Tra Ovidio e Seneca. Bologna 1990, 132. Über die Thematik der Verbannung und die Wirkung Ovids in den Tragödien: L’esilio nelle tragedie di Seneca. Autobiografia, meditazione filosofica, modelli letterari. Tra filosofia e poesia 23.

53 Auf die Epigramme von Seneca weist unter den literarischen Vorbildern SCHRÖDER in seinem umfangreichen Kommentar (Anm. 2) auch nicht hin; er hinterfragt aber auch die Identifizierung von Me-liboeus mit einer historischen Persönlichkeit.

54 At nos hinc alii sitientis ibimus Afros, / pars Scythiam et rapidum cretae veniemus Oaxen / et penitus toto divisos orbe Britannos (64–66).

55 Vgl. ecl. VII 37: thymo mihi dulcior Hyblae, bzw. Varro, De re rustica III 16. 14: Sed ut hoc aptissimum ad sanitatem apium, sic ad mellificium thymum. Propter hoc Siculum mel fert palmam, quod ibi thymum bonum et frequens est. Nach Strabon: tÕ dł tÁj `/Ublhj Ônoma summšnei di¦ t¾n ¢ret¾n toà `Ubla…ou mšlitoj. VI 2. 2.

Page 14: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

56 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Literaturkenner Meliboeus hinterfragt, im Gegenteil, am Ende des Wettgesanges ver-gleicht Meliboeus seine Qualitäten mit denen Ovids. In diesem Kontext ruft der Name Corydon notwendigerweise den gleichnamigen Helden der siebten Ekloge Vergils wach, der mit der fast alexandrinischen Geschliffenheit und dem Erhobensein seiner Dichtung den sarkastischen, die Hirtenwelt karikierend darstellenden Thyrsis besiegt, und zwar so, dass Daphnis selbst darüber urteilt. Ex illo Corydon Corydon est tempo-re nobis (VII. 70) – sagt der zuhörende Meliboeus am Ende der Ekloge. Aus unserer Perspektive ist es wichtig, dass zumindest ein Teil der Interpretationen in der neroni-schen Zeit Corydon mit Vergil identifizierte, Thyrsis mit einem der zeitgenössischen pessimi poetae gleichsetzte und in der Figur des Daphnis Iulius Caesar sah, der die Palme zum Schluss Vergil zuerkennt.56 Wahrscheinlich wurde auch die Erneuerung der Gattung durch Calpurnius, die ansonsten vorbildlose Grundsituation des in der Anwesenheit des einflussreichen Patrons abgehaltenen Wettgesanges von dieser Inter-pretation inspiriert – dafür spricht auch die Gleichheit der Namen.

Der wegen seiner Kunst Anerkennung findende Corydon ist jedoch nur eines der Vorbilder bei Calpurnius. In der Einweihungsszene der fünften Ekloge überreicht Me-nalcas dem Daphnis beweinenden Mopsus seine Pfeife mit den folgenden Worten:

Hac te nos fragili donabimus ante cicuta, haec nos ‚formosum Corydon ardebat Alexin‘, haec eadem docuit ‚cuium pecus? an Meliboei?‘ (85–87)

Meliboeus verweist wohl auf diese Stelle bei Vergil als er seinen ambitiösen Klienten vor dem Wettgesang – mit einem Hauch überlegener Ironie – folgender-weise ermutigt:

incipe, nam faveo; sed prospice, ne tibi forte tinnula tam fragili respiret fistula buxo, quam resonare solet, si quando laudat Alexin. (73–75)

Dadurch weist der Text unverkennbar auch auf die zweite Ekloge Vergils, auf den in die Einsamkeit des Waldes fliehenden Corydon hin, der die hübsche Sklavin des städtischen Herrn in improvisierten (incondita) Gedichten beweint. Auch bei die-ser Textstelle ist mit dem Einfluss der damaligen allegorischen Interpretationen zu rechnen: Alexis in der zweiten Ekloge Vergils wurde – neben verschiedenen biogra-phischen Überlegungen – auf den mächtigen, seinen Klienten jedoch im Stich lassen-den Octavian bezogen.57 Dies ist auf jeden Fall das erste bukolische Gedicht, das auf der scharfen Gegenüberstellung der ländlichen und der städtischen Lebensweise ba-siert, und mit der Bearbeitung der komischen Geschichte des Polyphamos die unüber-windbare Kluft zwischen Hirten und Stadtbewohnern darstellt: Die in den Augen des Corydon das goldene Zeitalter verkörpernde Hirtenidylle erscheint aus dem Gesichts-

56 et multi volunt in hac ecloga esse allegoriam, ut Daphnis sit Caesar, Corydon Vergilius, Thyr-

sis vero, qui vincitur, Vergilii obtrectator, scilicet Bavius aut Anser aut Maevius, pessimi poetae. Servius ad 21.

57 et volunt quidam hoc loco allegoriam esse antiquam in Augustum, ut intelligamus, invenies ali-um imperatorem, si te Augustus contemnit pro agris rogantem. Servius ad loc.

Page 15: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 57

Acta Ant. Hung. 47, 2007

punkt des Alexis ärmlich und ihre Dichtung lächerlich.58 Ein ähnlicher Gegensatz ist in dem extrem unterschiedliche Perspektiven gegenüberstellenden und daher nicht ganz reibungslosen Gespräch zwischen Corydon und Meliboeus zu beobachten. Dem in der vierten Ekloge die Grenzen der Gattung überschreitenden und feierlichen ge-nethliacon, dem einem Konsul würdige Wälder besingenden Vergil folgend expe-rimentiert Corydon mit solchen Liedern, die den eng geschnittenen Ton und das Stil-ideal des humilis character der Bukolik überwindend (non quae nemorale resultent, 5) geeignet sind, das goldene Zeitalter, den über die Völker und die Städte herrschenden Gott zu feiern. Ihm schwebt offenbar der gehobene Stil der unlängst gefundenen Pro-phezeiung des Faunus (nihil armentale resultat, I 29) vor Augen. Meliboeus aber verweist den Jugendlichen mit ironischem Zweifel auf die Grenzen der Gattung:

C. Carmina iam dudum, non quae nemorale resultent, volvimus, o Meliboee; sed haec, quibus aurea possint saecula cantari, quibus et deus ipse canatur, qui populos urbesque regit pacemque togatam. M. Dulce quidem resonas, nec te diversus Apollo despicit, o iuvenis, sed magnae numina Romae non ita cantari debent, ut ovile Menalcae. (5–11)

Die Worte des Meliboeus erinnern an den Anfang der sechsten Ekloge Vergils, der auf dem Topos der die Großepik abweisenden recusatio bei Kallimachos basiert:

cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem vellit et admonuit: ‚pastorem, Tityre, pinguis pascere oportet ovis, deductum dicere carmen.‘ (3–5)59

Die Kontrastimitation hebt jedoch die im Vergleich zu Vergil prosaischere und vor allem ausgeliefertere Situation des Corydon hervor: An die Stelle des Gottes der Dichtung tritt hier der Patron, der die Dichtung seines Klienten nach dem eigenen li-terarischen Geschmack beurteilt, und Apollo bedeutet – durch den Hinweis auf die siebte Ekloge auch dem am Ufer des Mincius einen Wettgesang veranstaltenden und mit Caesar identifizierten Daphnis gegenübergestellt – nur noch den sich zwar für die Poesie begeisternden, aber für den Dichter unerreichbaren Kaiser, zu dessen heiligen Gemächern höchstens Meliboeus Zutritt hat.60 Während des Gesprächs wird auch klar, dass diese einleitende Szene die Grundsituation der ersten Ekloge Vergils nicht nur wachruft, sondern zugleich ins Gegenteil verkehrt:

M. Quid tacitus, Corydon, vultuque subinde minaci, quidve sub hac platano, quam garrulus astrepit umor,

58 despectus tibi sum, nec qui sim, quaeris, Alexi, / quam dives pecoris, nivei quam lactis abun-

dans …, 19–20. 59 kaˆ g¦r Óte prètiston ™mo‹j ™pˆ dšlton œqhka / goÚnasin, 'ApÒllwn e‡pe Ð moi

LÚkioj: / … ] … ¢oidš, tÕ młn qÚoj Ótti p£ciston / qršyai, t¾n Moàsan d' çgaqš leptalšhn. Aitia fr. 1. 21–24 Pfeiffer.

60 nam tibi fas est / sacra Palatini penetralia visere Phoebi, 158–159.

Page 16: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

58 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

insueta statione sedes? iuvat umida forsan ripa levatque diem vicini spiritus amnis? (1–4)

In der bündigen Beschreibung treten die grundsätzlichen Motive des locus amoenus auf: der Schatten spendende große Baum und der nebenan plätschernde, die Hitze mildernde Fluss. P. Vozza und später Th. Hubbard haben dafür argumentiert, dass die Platane, die in Vergils Eklogen fehlt, ein Bild mit negativem Sinn sei und die Fruchtlosigkeit der dichterischen Versuche des Corydon symbolisiere.61 Diese Erklärung ist zwar nicht ganz unbegründet, jedoch einseitig: Die Platane ist tatsäch-lich „nutzlos“, denn man kann daran den Wein nicht hochranken lassen, weshalb das Wort oft mit dem Attribut caelebs verwendet wird. In diesem Sinne kommt es auch bei Horaz vor, jedoch gerade in dem Zusammenhang, dass immer größere Felder unbebaut bleiben, weil da luxuriöse und idyllische Lustgärten angelegt werden.62 Bei der Beschreibung einer Luxusvilla erwähnt auch Seneca einen Platanenwald.63 Die Eklogen Vergils spielen sich in typischen norditalischen, sorgfältig kultivierten Gegenden – desto besser passen aber Platanen in die süditalischen Landschaften des Calpurnius. Andererseits erscheinen Platanen als häufiges Element des locus amoe-nus auch in der literarischen Tradition als Orte der angenehmen Ruhe, der musischen Meditation, wie etwa in der bekannten Szene in Phaidros.64 Ein unmittelbares, bukolisches Vorbild für die Beschreibung des Calpurnius lässt sich, wie von P. Espo-sito aufgezeigt,65 in einem Bruchstück des Moschos identifizieren:

aÙt¦r ™moˆ glukÝj Ûpnoj ØpÕ plat£nJ baqufÚllJ, kaˆ pag©j filšoimi tÕn ™ggÚqen «con ¢koÚein, § tšrpei yofšoisa tÕn ¥grupnon, oÙcˆ tar£ssei (fr. 1. 11–13, Gow)

Der unbenannte Hirt stellt das gefährliche Los der Fischer auf dem Meer der sog. epikureischen Ruhe seines eigenen Lebens gegenüber. Einen ähnlichen Gegen-satz gibt es zwischen Meliboeus, der verzweifelt aus dem von Bürgerkriegen heimge-suchten Italien flieht und Tityrus, der unter dem Baum bei der plätschernden Quelle von hybläischen Bienen eingeschläfert wird:

fortunate senex, hic inter flumina nota et fontis sacros frigus captabis opacum, hinc tibi, quae semper, vicino ab limite saepes Hyblaeis apibus florem depasta salicti saepe levi somnum suadebit inire susurro. (51–55)66

61 VOZZA, P.: L’ars poetica di Calpurnio-Coridone ed il giudizio sull’età neroniana. Bolletino di

Studi Latini 23 (1993) 84; HUBBARD (Anm. 44) 78. 62 Iam pauca aratro iugera regiae / moles relinquent, undique latius / extenta visentur Lucrino /

stagna lacu, platanusque caelebs / evincet ulmos. Hor. carm. II 15. 4. 63 Seneca, Epist. LV 6. 64 Plat. Phaidr. 229a. Siehe noch den Aufsatz von H. GOSSEN: Platanus. PWRE XX/2 (1950) 2337. 65 ESPOSITO, P.: Per la storia della ricezione di Virgilio bucolico. Orpheus 18 (1996) 17. 66 Die bukolische Meditation wird bald zum Symbol des augusteischen otium und tritt so im ano-

nymen Gedicht Elegia ad Maecenatem auf: Maluit umbrosam quercum lymphasque cadentes / paucaque

Page 17: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 59

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Der Anfang der vierten Ekloge zeichnet sich jedoch nicht nur durch den äuße-ren Gegensatz zwischen dem städtischen Herrn und seinem rustikalen Klienten aus, sondern eher durch den inneren: durch Corydons Konflikt mit seiner eigenen Welt. Nicht einmal der angenehme locus amoenus kann ihn einschläfern oder in eine musi-sche Meditation versetzen, stattdessen quält er sich, in unheilvollem Schweigen ver-hüllt, mit einer drollig finsteren Miene, neuartige, zum neuen goldenen Zeitalter passende Lieder zu erfinden.67 Dadurch hat Calpurnius aus der abgedroschenen Kon-vention ein sehr wirkungsvolles Bild geschaffen, das bald vom unbekannten Verfas-ser der zweiten Ekloge aus Einsiedeln nachgeahmt wurde.68 Das öffnende Bild mit dem unter einem schattigen Baum sich grämenden Hirt wurde in der Bukolik der Renaissance zu einem Wandermotiv, nicht zuletzt weil es Calpurnius gelungen ist, die bei Theokrit und Vergil wichtige, in der Figur des Hirten vorhandene Zweiseitig-keit, die Ambivalenz von Komik und Gehobenheit, von Verstecktheit und Ausgelie-fertsein auf eine originale, den prinzipiellen Widerspruch des literarischen Lebens der Zeit darstellende Weise neu zu formulieren, und zwar so, dass sie aufgrund der bukolischen Allegorie auch in anderen Epochen leicht zu aktualisieren war.

In seiner eigenen Welt ist Corydon der beste, eingeweihte Dichter, der Erbe des vates sacer, dessen magische Pfeife er besitzt, und wie aus der Schlussszene der ersten Ekloge ersichtlich, selber ein von der Gottheit ergriffener vates, der Bote der neuen goldenen Zeit. Aus dem Gesichtspunkt des Meliboeus ist er aber eine rustikal einfache, der finanziellen Unterstützung bedürftige Figur, der nichts von der großen Welt und der hohen Poesie ahnt und sich lächerlich macht, indem er sich aus Über-heblichkeit über seine dichterische Begabung hinaus anstrengt. Während er davon träumt, als der Vergil seiner Zeit berühmt zu werden, erreichen seine Worte den Kai-ser nicht und er wird nicht nur vor der Verbannung, aber auch vor dem Hungertod von seinem Patron gerettet. So kehrt sich die Grundsituation der ersten Ekloge Ver-gils ins Gegenteil um: Dort findet der mit seiner Herde fliehende Meliboeus – auch wenn zeitweilig – Zuflucht in der idyllischen Ruhe des Guts von Tityrus, letztendlich gesichert von dem mit einem neuen Altar geehrten iuvenis deus (6 und 42). Durch die Kontrastimitation, das komplexe Netz der Allusionen auf die Eklogen des Vergil wird noch stärker hervorgehoben, dass die bukolische Landschaft in den panegyri-schen Eklogen keine im Wirrwarr der Welt ruhige Insel mehr ist, und auch nicht die goldene Heimat der Dichtung. Corydon wird durch sein Ausgeliefertsein und vor allem durch die ironische Darstellung seines Dichtertums zum Kontrastbild des Tity-rus und des den Frieden der goldenen Zeit symbolisierenden Hirten-Dichters über-

———— pomosi iugera certa soli: / Pieridas Phoebumque colens in mollibus hortis / sederat argutas garrulus inter aquas. I 33–36.

67 Das Attribut minax bezieht sich natürlich nicht auf das melancholische Wesen des Corydon, wie von C. MESSINA angenommen („che sempre amava appartarsi come desiderioso di solitudine“, vgl. T. Calpurnio Siculo. Padova 1975, 76), sondern auf die Konzentration bei der dichterischen Schöpfung, vgl. Hor. sat. II 3. 7–9: Culpantur frustra calami, inmeritusque laborat / iratis natus paries dis atque poetis. / Atqui voltus erat multa et praeclara minantis … Für eine eingehende Analyse der Textstelle siehe VOZZA, P.: Un silenzio eloquente. Bolletino di Studi Latini 24 (1994) 74 f.

68 Glyceranus: Quid tacitus, Mystes? Mystes: Curae mea gaudia turbant, / cura dapes sequitur, magis inter pocula surgit / et gravis anxietas laetis incumbere gaudet (1–3).

Page 18: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

60 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

haupt, wie auch der früher verbannte aber als Vertrauter des Kaisers schon hochmü-tige Meliboeus-Seneca der genaue Gegensatz zur tragischen Figur des vergilischen Meliboeus ist.

Die vierte Ekloge ist in mehreren Hinsichten das Gegenstück zur zweiten, die – gleichermaßen in 70 Zeilen – den magischen Wettgesang zwischen dem Hirten Idas und dem Gärtner Astacus erzählt. Das zeigt sich auch in der sehr unterschiedlichen Darstellung der Hirtenwelt: Dort entzücken die Lieder der zwei Jugendlichen, die die Landschaften der durch die Arbeit der Menschen paradiesisch gewordenen Saturnia tellus beschreiben, sogar die ganze Natur und auch die Feldgötter, während Idas und Astacus durch die Dichtung, die Liebe zu ihrem Gewerbe und die mitfühlende Auf-merksamkeit der Hirtengemeinschaft sogar vor Liebeskummer bewahrt werden. In der vierten Ekloge ist aber der zu Besuch gekommene Meliboeus offensichtlich verblüfft, Corydon im Schatten der Platane (insueta statio) in seine dichterische Tätigkeit ver-tieft zu sehen. Die Welt des Corydon zeichnet sich nämlich durch Arbeit und Arm-seligkeit aus, wo statt die Gegend bevölkernder Götter die invida Paupertas (156) herrscht. Die Hirten leben auf unfruchtbarem Boden (tellus iners, 109), in elenden Katen und an verlassenen Orten aufgestellten Hütten (sordida tecta, sola mapalia, VII 40), ihre Kleidung ist abgetragen (VII 79) und sie haben weder geschleuderten Honig (II 65) noch in Gärten angebaute, außergewöhnliche Früchte (non genitalia poma, II 41), sondern Kornelkirsche, Erdbeere, sogar geweichte Eicheln und Malven-blätter (32 und 35). Meliboeus erinnert sich wie Corydon seinem jüngeren Bruder die Stirn faltend (fronte paterna, 21) oft von der Dichtung abgeraten und sogar ermutigt hat, die Panflöte zu zerbrechen und lieber Milch in der Stadt zu verkaufen:

dicentem, Corydon, te non semel ista notavi: „frange, puer, calamos et inanes desere Musas; i, potius glandes rubicundaque collige corna, duc ad mulctra greges et lac venale per urbem non tacitus porta. quid enim tibi fistula reddet, quo tutere famem? certe mea carmina nemo praeter ab his scopulis ventosa remurmurat echo.“ (22–28)69

69 Das komische Bild des in der Stadt Milch verkaufenden Hirten wurde auch zu einem Wander-

motiv der Bukolik der Renaissance; es taucht das erste Mal in der Ekloge Mirilta von Leonardo Dati auf: portaram pressum tum lac venale per urbem, 65. Vgl. Baptista Mantuanus VI 157: cum lac vociferans ibam venale per urbem, Fausto Andrelini IX 43–44: aut asinum lana venali ducit onustum / non tacita exclamans emptricem voce per urbem. Die Darstellung der elenden Seite des Hirtenlebens wurde nach Calpurnius zur Metapher des bitteren Dichterschicksals, so in der ersten, dem König adressierten Ekloge von Antoine de Baïf: Charle, j’auoy joué sus ma basse musette / de nos gentils bergers en mainte chan-sonette / le jeux & les debats, quand en songe voicy / la maigre Pauvreté, qui me reprend ainsi: / Brise tes chalumeaux, creve ta cornemuse: / au malheureux mestiers des Muse te ne t’amuse. / Pauvre homme, adonne toy plustost à besogner / a quelque oeuvre de main du tu puisse gaigner. / Fay fiscelles de jonc à cailler des laitages, / Fay des formes d’osier pour faire de formages: / va les vandre en la ville & et rap-rot du gain / dont tu puisses chasser la miserable faime. (1–12) Vgl. die Januar-Ekloge (Aegloga prima) von Edmund Spenser 67–72: Wherefore, my pype, albee rude Pan thou please, / Yet for thou pleasest not where most I would, / And thou, unlucky Muse, that wontst to ease / My musing mynds, yet canst not, when thou should, / Both pype and Muse shall sore the while abye, / So broke his oaten pype, and down did lye.

Page 19: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 61

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Corydon versucht sich herauszureden: All das von den bitteren Erinnerungen Wachgerufene ist schon vergangen, jetzt sind andere Zeiten, es herrscht ein anderer Gott, und die Unterstützung des Patrons hat ihn vom Elend befreit. Dadurch wird jedoch seine Abhängigkeit von der äußeren Macht noch betonter. Im Gegensatz zu der in sich schließenden, zeitlosen Welt der rein bukolischen Eklogen, wo die alles veredelnde ars den goldenen Zustand erhält und die Hirten jede Zeit dem Gegensätze überbrückenden Schutz der Gemeinschaft trauen können, und ihre Dichtung von einem dankbaren Publikum aufgenommen wird, ist Corydons einzige Hoffnung die Unter-stützung und Interesse des Meliboeus. Auch wenn der Topos des Echos keine so sorg-fältig aufgebaute Rolle bei der Komposition spielt wie in den Eklogen Vergils, spie-gelt er doch die Einsamkeit des Hirten-Dichters wider, die er nicht aus Liebeskummer und freiwillig auf sich nimmt, sondern die aus dem Desinteresse für seine Dichtung hervorgeht. Dies ist wiederum ein anti-bukolischer Zug, denn eines der grundlegen-den Motive der Gattung – das in den rein bukolischen Eklogen des Calpurnius je-weils betont wird – ist gerade die auf die Gemeinschaft zurückgehende und Gemein-schaft schaffende Rolle der Dichtung.70 So entbehrt die Dankbarkeit des Corydon der Bitterkeit nicht:

Haec ego confiteor, dixi, Meliboee, sed olim: non eadem nobis sunt tempora, non deus idem. spes magis arridet: certe ne fraga rubosque colligerem viridique famem solarer hibisco, tu facis et tua nos alit indulgentia farre; tu nostras miseratus opes docilemque iuventam hiberna prohibes ieiunia solvere fago. ecce nihil querulum per te, Meliboee, sonamus, per te secura saturi recubamus in umbra. (29–37)

Die Gegenüberstellung der zwei Epochen ist natürlich parallel zu der in der ersten Ekloge, und kann nach M. Vinchesi als ein Vergleich zwischen der Zeit des sich für Dichter nicht interessierenden Claudius und des neuen Princeps gedeutet werden.71 Diese Interpretation wird aber dadurch etwas abgetönt, dass es nicht die Rede von der persönlichen Förderung durch den Princeps ist: Wie in der ersten Ekloge, so hofft Corydon auch hier, dass der sich über seine Kunst mit Vorbehalt äußernde Meliboeus seine Gedichte in den kaiserlichen Palast bringt.72 Andererseits

70 Bei Theokrit und in den Eklogen Vergils: ALPERS, P.: What Is Pastoral? Chicago–London

1996, 91; bzw. PERKELL, CHR.: The Poet’s Truth. A Study on the Poet in Virgil’s Georgics. Berkeley 1989, 24 ff.

71 „In questi versi, certo, Coridone vuol anche recriminare le privazioni e l’oscurità patita in un passato recente (sotto il regime di Claudio) prima dell’avvento nuovo dio e prima che il suo protettore gli assicurasse un’esistenza meno precaria.” VINCHESI, M.: Calpurnio Siculo e i nuovi percorsi della bucolica. In Pervertere. Ästhetik der Verkehrung. Literatur und Kultur neronischer Zeit und ihre Rezep-tion. Hrsg. von L. CASTAGNA und G. VOGT-SPIRA [Beiträge zur Altertumskunde 151]. München–Leipzig 2002, 148.

72 Wie P. VOZZA über die Kontrastimitation im öffnenden Bild festhält: „Il confronto fa emergere analogie e contrasti tra le due raffigurazioni, corrispondenti alle differenti tipologie di poeti quello sereno

Page 20: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

62 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

halten wir es für viel wesentlicher, dass die Beschreibung unverkennbar auf Ovids berühmte Darstellung der goldenen Zeit im ersten Buch der Metamorphoses hin-weist,73 indem auch dieser Text, ähnlich der Bearbeitung der ersten Ekloge Vergils, ins Gegenteil verkehrt wird. Das Sammeln von Eichel, Erdbeere und Kornelkirsche ist, gemäß der Narration des goldenen Zeitalters, die die Primitivität der Urzeiten mit dem glücklichen Zustand paradiesischer Unschuld gleichsetzte, auch bei Ovid die Metapher des sich aus der unverdorbenen Einfachheit ergebenden Zufriedenseins:

Ipsa quoque immunis rastroque intacta nec ullis saucia vomeribus per se dabat omnia tellus, contentique cibis nullo cogente creatis arbuteos fetus montanaque fraga legebant cornaque et in duris haerentia mora rubetis et, quae deciderant patula Iovis arbore, glandes. (101–106)

Diese Auffassung der goldenen Zeit geht natürlicherweise mit der Ablehnung der Errungenschaften der Entwicklung einher. Die aus einer Reihe von Verneinungen aufgebaute Beschreibung bei Ovid (vindice nullo, sine lege, 89–90) deutet die Ent-wicklung der Menschheit auch als allgemeinen Verfall und nimmt gegen die Zivilisa-tion, letztendlich gegen die Propaganda der goldenen Zeit des Augustus Stellung.74 Bei Calpurnius ist gerade das Gegenteil davon zu beobachten: Das goldene Zeitalter wird im Raum der Zivilisation durch die Wiederherstellung der rechtlichen Ordnung verwirklicht, und überraschenderweise bleibt gerade die Welt der Hirten aus diesem Prozess ausgeklammert, mehr noch, sie selbst wird zum negativen Spiegelbild des neuen goldenen Zeitalters, eine Art Anti-Arkadien. Das Ideal der goldenen Zeit ist nämlich, wie D. Singleton bemerkt, jeweils von der Auffassung über die Zivilisation abhängig: Aus einer positiven Betrachtung ergibt sich logisch die Verwerfung der ur-alten, naturnahen Lebensform als primitiv.75 Für Corydon ist Vergils magische Ar-kadien keine erlebte Realität, sondern teil der legendären Vergangenheit, der der va-tes sacer selbst auch gehört.76 Seine Danksagung (per te secura saturi recubamus in

———— dell’età augustea e quello penoso e sero dell’età neroniana, pur nello stesso quadretto ameno.“ (Anm. 67) 89.

73 Merkwürdigerweise werden diese klaren Entsprechungen in keiner uns bekannten Analyse be-achtet.

74 Über die Darstellung der goldenen Zeit bei Ovid siehe SCHMITZER, U.: Zeitgeschichte in Ovids Metamorphoses. Stuttgart 1990, 40 ff; bzw. LUNDSTRÖM, S.: Ovids Metamorphosen und die Politik des Kaisers. Uppsala 1980, 105 ff.

75 „the attitude to the Golden Age depends on the attitude to civilization. A positive evaluation of civilization involves an adverse evaluation of the Golden Age and vice versa.“ SINGLETON, D.: Juvenal VI 1–20 and Some Attitudes to the Golden Age. G&R 19 (1972) 164. „Such contrasts permeate the pas-toral tradition from Theocritus to the eighteenth century and create similar tensive structures in pasto-rals with less definite conventions thereafter.“ – so TOLIVER, H. A.: Pastoral Forms and Attitudes. Berkeley-London 1971, 3.

76 Eine ähnliche Betrachtungsweise lässt sich auch im Hirtenroman Arcadia von Sannazaro be-obachten: „Arkadien ist (…) ein historisches Traumbild, eine ferne Welt, die seit dem Altertum versunken ist und nun als gegenwärtige Erinnerung beschworen werden kann.“ MÄHL, H-J.: Die Idee des goldenen

Page 21: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 63

Acta Ant. Hung. 47, 2007

umbra) ist nichts mehr als der Dank für die die schöpferische Arbeit ermöglichende finanzielle Unterstützung,77 aber auch das scheint im Lichte des Gesprächs nach dem Wettgesang bloß eine Floskel zu sein. Nun äußert sich Meliboeus endlich lobend über den ovidischen Stil der den Kaiser hemmungslos preisenden Lieder, Corydon aber beginnt sich gleich über die seine künstlerische Entfaltung hemmende Not zu beklagen: Um wahrhaft schöne Gedichte zu schreiben hätte er ein kleineres Gut mit einer Villa, und nebenbei auch Fürsprache beim Kaiser nötig:

Olim quam tereti decurrent carmina versu <………………………………………………….> nunc Meliboee, sonant, si quando montibus istis dicar habere Larem, si quando nostra videre pascua contingat! vellit nam saepius aurem invida Paupertas et dicit: „ovilia cura!” at tu, si qua tamen non aspernenda putabis, fer, Meliboee, deo mea carmina: nam tibi fas est sacra Palatini penetralia visere Phoebi. (152–159)

IV. QUOD SI DOLOSI SPES REFULSERIT NUMMI: DIE KRISE DER DICHTERROLLE

Somit ist also der Erbe Vergils, der Entdecker der Prophezeiung des Faunus nicht mehr durch die göttliche Ergriffenheit angeregt, den Kaiser zu preisen, sondern durch die Armut, den Wunsch nach finanzieller Sicherheit und die aufschimmernde Möglichkeit einer literarischen Karriere. An die Stelle des für den augusteischen Klas-sizismus typischen vates sacer tritt somit die charakteristische Figur der frühkaiser-zeitlichen Bildung, der „intellektuelle Proletarier“, der versucht, sein Brot mit seiner literarischen Tätigkeit zu verdienen,78 den Petronius in der Figur des Eumolpus nach-zeichnet und dessen Habitus am treffendsten im berühmten Choliambus des Persius dargestellt wird:

quis expedivit psittaco suum chaere picamque docuit nostra verba conari? magister artis ingenique largitor venter, negatas artifex sequi voces;

———— Zeitalters im Werk des Novalis. Studien zur Wesensbestimmung der frühromantischer Utopie und zu ihren ideengeschichtlichen Voraussetzungen. Heidelberg 1965, 118.

77 Vgl. die Empörung des Iuvenalis in der siebten Satire, die eindeutig die Wirkung der vierten Ekloge des Calpurnius zeigt: … neque enim cantare sub antro / Pierio thyrsumque potest contingere maesta / paupertas atque aeris inops, quo nocte dieque / corpus eget: satur est, cum dicit Horatius „euhoe!“ (127–130)

78 Siehe dazu die umfassende Studie von LA PENNA, A.: L’intellettuale emarginato nell’antichita. Maia 42 (1990) 3. Der ausgezeichnete italienische Philologe behandelt die Satyricon und die flavische Zeit, ohne jedoch Calpurnius zu erwähnen.

Page 22: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

64 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

quod si dolosi spes refulserit nummi, corvos poetas et poetridas picas cantare credas Pegaseium nectar. (8–14)

A. Bartalucci hat darauf aufmerksam gemacht, dass das nächstliegende literari-sche Vorbild der viel diskutierten letzten Zeile des Choliambus die vierte Ekloge des Calpurnius ist:79 Nachdem die von der Anwesenheit des reichen Patrons begeisterten Corydon und Amyntas den Wettgesang beenden, werden sie von Meliboeus mit den folgenden, eindeutig auf Ovid hinweisenden Worten gelobt:

verum, quae paribus modo concinuistis avenis, tam liquidum, tam dulce canunt, ut non ego malim quod Peligna solent examina lambere nectar. (149–151)

Aus der Probus-Biographie wissen wir, dass Persius die zeitgenössischen Dich-ter und Rhetoren, nach dem Vorbild des Lucilius, gnadenlos angriff.80 Auch wenn die auf Sarpe zurückgehende Idee von E. Winsor Leach unbegründet ist, nach der unser Auctor mit Calpurnius Statura identisch sei,81 besteht kein Zweifel darüber, dass Persius, wie Lucan und die Autoren der Einsiedler Eklogen, mit den Eklogen des Calpurnius vertraut war. Bartalucci vermutet an zahlreichen Textstellen der Sati-ren Allusionen auf Calpurnius, und auch wenn nicht all seine Aussagen überzeugen, so fällt doch die Ähnlichkeit der Figur der zweiten Satire, die beim Hacken von ver-grabenen Silbermünzen träumt, zu dem im Wettgesang der vierten Ekloge auftreten-den schatzsuchenden Ackerbauer auf.82 Diese Entsprechungen weisen darauf hin, dass Persius gar nicht, wie von Bartalucci angenommen, angreifend und parodierend auf das Gedicht des Calpurnius verwies, sondern dessen ironischen Ton sehr gut ver-stand.

In der vierten Ekloge wird also die für die Dichtung des Calpurnius durchaus charakteristische anti-bukolische Richtung nicht nur verstärkt, sondern zum Mittel der Ironie. Die allegorische Auffassung der Gattung ermöglichte es nämlich, ein bit-teres, selbstironisches Bild seines eigenen Schicksals, seiner Durchsetzungsversuche zu zeichnen. Sie ermöglichte zugleich, im Spiegel der idealisierten augusteischen Zeit seine eigene Zeit mit ihren Mängeln zu konfrontieren, und zwar ohne jegliche oppositionelle Stimmung gegenüber Nero. Es ist ausnahmsweise keine Übertreibung,

79 BARTALUCCI, A.: Persio e i poeti bucolici di età neroniana. Miscellanea di studi in memoria di

Marino Barchiesi. Pubbl. su Rivista di cultura classica e medioevale. Anni 1976–77–78, 99. 80 cuius libri principium imitatus est, sibi primo, mox omnibus detrectaturus cum tanta recentium

poetarum et oratorum insectatione, ut etiam Neronem illius temporis principem inculpaverit. Vita Persi XV.

81 WINSOR LEACH, E.: Corydon Revisited. An Interpretation of the Political Eclogues of Calpur-nius Siculus. Ramus 2 (1973) 88.

82 BARTALUCCI (Anm. 79) 93. o si / sub rastro crepet argenti mihi seria dextro / Hercule! 10–11; vgl. Calpurnius IV 117–120: iam neque damnatos metuit iactare ligones / fossor et invento si fors dedit utitur auro; / nec timet, ut nuper, dum iugera versat arator, ne sonet offenso contraria vomere massa. Beide Texte gehen zwar auf ein horazisches Vorbild zurück, bei Persius ist aber auch der Verweis auf Calpurnius offensichtlich: o si urnam argenti fors quae mihi monstret, ut illi /thesauro invento qui mer-cennarius agrum / illum ipsum mercatus aravit, dives amico / Hercule! sat. II 6. 10–13.

Page 23: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 65

Acta Ant. Hung. 47, 2007

den heute so modischen Terminus Verkehrung (subversion, rovesciamento) auf die panegyrischen Eklogen zu beziehen: In der vierten Ekloge werden nicht nur die durch Allusionen wachgerufenen klassischen Texte ins Gegenteil verkehrt, sondern – mit überraschender Konsequenz – auch Schlüsselbegriffe der augusteischen golde-nen Zeit, wie etwa vates, paupertas, rusticitas und recusatio.

In der ersten Ekloge schien Calpurnius die traditionelle vates-Rolle zu erneu-ern, indem er die alten, sakralen Bezüge mit der augusteischen Auffassung mischt, nach der der Dichter nicht nur Lehrer und Vermittler zwischen dem göttlichen Willen und der menschlichen Welt ist, sondern auch die Taten der Großen verewigt.83 Der Begriff erhielt aber schon bei den Elegikern einen ironischen Ton: Ovid möchte nicht behaupten, dass er von Apollo oder den am Berg Ascra erscheinenden Musen zum Dichten inspiriert wäre: Er ist durch seine Praxis ein vates peritus geworden.84 Ähn-licherweise betrachtet sich auch Properz als vates der Liebesgeschichten.85 All das markiert den Anfang eines Prozesses, durch den der Dichter den Glauben an seine gesellschaftliche Sendung und an die göttliche Inspiration seiner Kunst verliert, ob-wohl er mit Nostalgie daran denkt, was ihn wegen seiner unsicheren Situation manch-mal zu aggressiven Forderungen bewegt.86 Die Charakterisierung der Dichter des 1. Jahrhunderts n. Chr. bei G. B. Conte passt perfekt auch zur gleichzeitig hochmüti-gen und unschlüssigen Figur des Corydon. Bezeichnenderweise distanziert sich Per-sius programmatisch von der vates-Rolle,87 für Iuvenal ist das Wort schon eindeutig auf die in Rom wimmelnden (von Horaz noch cantores genannten) geldgierigen Dichterlinge bezogen.88 Mit ähnlicher Ironie wird der Anachronismus der Sendung des vates im Gespräch der vierten Ekloge dargestellt, denn es zeigt gerade, dass die zeitgenössische Situation des Dichters die Annahme einer solchen Rolle ausschließt.

83 So bei Horaz: nec magis expressi vultus per aenea signa / quam per vatis opus mores animique

virorum / clarorum apparet … epist. II 1. 248–250. J. K. NEWMAN macht auf die Verschmelzung beider Auffassungen aufmerksam: „this wavering between two different senses of vates, the strictly Augustan sense of the leader of the people, and the Hellenistic sense of the eulogist of the great …“ The Concept of Vates in Augustan Poetry [Coll. Latomus 89]. Brüssel 1967, 73.

84 non ego, Phoebe, datas a te mihi mentiar artes, / nec nos aeriae voce monemur avis, / nec mihi sunt visae Clio Cliusque sorores, / servanti pecudes vallibus, Ascra tuis; / usus opus movet hoc, vati pa-rete perito! ars I 25–29.

85 mentiri noctem, promissis ducere amantem / hoc erit infectas sanguine habere manus / horum ego sum vates, quotiens desertus amaras / explicui noctes, fractus utroque tuo. II 17. 3–6.

86 „Der Dichter verliert die positive Rolle eines Sehers, der die Werte seiner Gemeinschaft ver-breitet, und indem er dem Pessimismus der alten, entmachteten Aristokratie nachgibt, leidet er zugleich an Nostalgie und an Aggressivität. Seine Stimme wird deklamatorisch und immer lauter, je mehr er sich von Mißtrauen bedrängt fühlt, er genießt es beinahe, sich als isoliertes und ungehörtes Opfer darzustel-len, und der Titanismus seiner Unternehmungen erscheint als Kompensation der Frustrationen eines Dichters, dessen Rolle unklar geworden ist.“ CONTE, G. B.: Die Literatur der Kaiserzeit. In Einleitung in die lateinische Philologie. Hrsg. von F. GRAF. Leipzig 1997, 228.

87 Und zwar gleich in dem die Satiren einleitenden Prolog: Nec fonte labra prolui caballino / nec in bicipiti somniasse Parnaso / memini, ut repente sic poeta prodirem. / Heliconidasque pallidamque Pi-renen / illis remitto quorum imagines lambunt / hederae sequaces; ipse semipaganus / ad sacra vatum carmen adfero nostrum. (1–7) „When we turn to Persius, we find dim memories of the concept, but they are faded to the vague notion that a vates is a poet on his high horse, rather than a poet with anything Roman to say.“ – schreibt NEWMAN (Anm. 83) 125.

88 Stulta est clementia, cum tot ubique / vatibus occurras, periturae parcere chartae. I 17–18.

Page 24: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

66 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Dieser Problemkreis tritt zu der flavischen Zeit hervor, und in der Forschung ist es bislang kaum erwähnt worden, dass zahlreiche Gedichte von Martial und Iuvenal zu diesem Thema von der eindeutigen Wirkung des Calpurnius zeugen: Das Motiv frange, puer, calamos taucht bei beiden auf:89

At me litterulas stulti docuere parentes, quid cum grammaticis rhetoribusque mihi? Frange leves calamos et scinde, Thalia, libellos, si dare sutori calceus ista potest. (Martial IX 73)

Vgl. Iuvenal:

frange, miser, calamos vigilataque proelia dele, qui facis in parva sublimia carmina cella, ut dignus venias hederis et imagine macra … (VII. 20–29)90

Damit eng verbunden ist die Re-Interpretation von paupertas, die bei den augus-teischen Dichtern die finanzielle Situation bezeichnet hatte, die ein ruhiges Leben und ungestörte schöpferische Arbeit ermöglicht. Die Autoren, bei denen der Begriff vor-kommt, waren alle ausnahmslos relativ wohlhabend, hatten ein eigenes Haus und Gut: Sowohl Tibull, als auch Ovid, aber auch Martial waren stolz auf ihre ehrwür-dige Armut.91 Diese Überlegung erscheint quasi notwendigerweise auch in der bu-kolischen Dichtung, bei Vergil, Theokrit und in den rein bukolischen Eklogen des Calpurnius: Die einfachen Güter und die Herde bedeuten den bescheidenen Wohl-stand, der nicht dazu dient, weitere Vermögen zu verdienen, sondern die Quelle der glücklichen Zufriedenheit ist und dadurch die selbstvergessene Beschäftigung mit der Dichtung ermöglicht. Vielleicht die einzige Ausnahme ist die Idylle mit dem Titel Die Fischer, die aber nicht die Bukolik, sondern die Tradition des mimus und der kynischen diatribe fortsetzt.92 Nach der allgemeinen Auffassung schließen sich bukolische Umwelt und Ehrgeiz gegenseitig aus; ein gutes Beispiel dafür ist der bukolisch angehauchte große Monolog des Hippolytus bei Seneca:

89 So rufen einige Epigramme des Martial die Klagen des Corydon über die Vergeblichkeit der

Dichtung wach: Pierios differ cantusque chorosque sororum / aes dabit ex istis nulla puella tibi. / Quid petis a Phoebo? Nummos habet arca Minervae / haec sapit, haec omnes fenerat una deos. / Quid possunt hederae Bacchi dare? Palladis arbor / inclinat varias pondere nigra comas. / Praeter aquas Helicon et serta lyrasque dearum / nil habet et magnum, sed perinane sophos. I 76. 2–7.

90 Der Satz ließ sich gerade wegen der Doppeldeutigkeit des Wortes calamus leicht aus dem bu-kolischen Kontext lösen. Die Annahme von Chr. Henriksén, dass Martial und Iuvenal den calamus-Topos aus einer unüberlieferten, gemeinsamen Quelle übernommen hätten, erscheint nicht allzu wahr-scheinlich. Und auch wenn es ein gemeinsames Vorbild gegeben hatte, so zeugt doch die Dichtung der beiden von einer tiefgehenden Kenntnis und Wirkung unseres Auctors, nicht bloß von der Übernahme einiger gut gelungener Wendungen, sondern von deren geistreichen „Weiterentführung“: HENRIKSÉN, CHR.: Martial, Book IX. A Commentary 1–2. Uppsala 1999, ad loc.

91 Typisch ist Ovids Bekenntnis: sit quoque nostra domus vel censu parva vel ortu, / ingenio certe non latet illa meo. trist. II 115–116. Siehe dazu MRATSCHEK-HALFMANN, S.: Divites et praepotentes. Reichtum und soziale Stellung in der Literatur der Prinzipatszeit [Historia Einzelschriften 70]. Stuttgart 1993, 25 ff.

92 Siehe dazu GIL, L.: Commentario a pseudo-Teocrito, Idil 21. Emerita 30 (1962) 241.

Page 25: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 67

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Non alia magis est libera et vitio carens ritusque melius vita quae priscos colat quam quae relictis moenibus silvas amat. non illum avarae mentis inflammat furor qui se dicavit montium insontem iugis … (Phaedra, 483–487)

Deswegen ist Corydons Wunsch nach einer großzügigen Belohnung seiner Dichtung ein absolut anti-bukolischer Zug. Bei Vergil war Tityrus vom Schutz des jungen Gottes beruhigt, während Corydon keineswegs frei von der spes nummi ist, obwohl Meliboeus ähnlicher Weise für ihn sorgt. Die oben zitierte Klage (vellit nam saepius aurem / invida Paupertas et dicit: „ovilia cura!“) geht auf die Kontamina-tion zweier klassischer Textstellen zurück: Sie verbindet den Anfang der sechsten Ekloge Vergils (cum canerem reges et proelia, Cynthius aurem / vellit)93 mit einem aus der berühmten Bekenntnis des Horaz übernommenen Motiv:

unde simul primum me dimittere Philippi, decisis humilem pinnis inopemque paterni et laris et fundi paupertas impulit audax ut versus facerem. (epist. II 2. 49–52)

Dies ist also wiederum die Verkehrung eines allgemein bekannten Zitats: Wie Horaz von der Entbehrung dazu bewegt war, wagemutig Gedichte zu verfassen, so ist Corydon auch durch die Not angeregt, den Kaiser zu preisen und zugleich dadurch verhindert, ein größeres Unterfangen als die bukolische Dichtung anzustreben: Die ovilia cura! weist auf die mühsame Arbeit wie auf das Bestehen auf die Gattung der Bukolik hin. Obwohl sich das prädikativische Attribut audax eher auf Horaz bezieht, ist es möglich, dass Calpurnius es mit der paupertas verband, um es durch das Attri-but invida zu ersetzen. Und wie W. Wimmel in seinem grundlegenden Aufsatz über den paupertas-Topos zeigt, ruft der Austausch der Attribute die traditionell Apollo gegenübergestellten Figuren von Livor, Phthonos, Momos wach.94

Auf dem ersten Blick mögen die Aussagen des Corydon widersprüchlich sein, denn er beruft sich mal auf die Unterstützung des Patrons, mal auf die quälende Ar-mut. Dieser Widerspruch lässt sich aber in Kenntnis der gesellschaftlichen Position der Klienten-Dichter auflösen. Die Klienten waren nämlich (nach der knappen For-mulierung des Tacitus: pars populi integra et magnis domibus adnexa) im Gegensatz zu der armseligen städtischen Masse (sordida plebs),95 die überhaupt keine Chancen auf das Klientendasein hatte, keineswegs arm im wortwörtlichen Sinne. Die Schu-lung, die Aneignung der literarischen Bildung setzte von vornherein ein kleines Ver-

93 Vgl. Propertius IV 1. 133–136: tum tibi pauca suo de carmine dictat Apollo / et vetat insano ver-

ba tonare Foro. / at tu finge elegos, fallax opus (haec tua castra!), / scribat ut exemplo cetera turba tuo. 94 WIMMEL, W.: Apollo-Paupertas. Zur Symbolik von Berufungsvorgängen bei Properz, Horaz

und Calpurnius. In Forschungen zur römischen Literatur. Wiesbaden 1970, 294. 95 Historiae I 4. Wie D. CLOUD feststellt: „In fact, there is a sufficient evidence to show that Rome

was no different from many other societies in excluding the very poor from the patron-client relation-ship.“ The client-patron relationship: emblem and reality in Juvenal’s first book. In Patronage in Ancient Society. Ed. by A. WALLACE-HADRILL. London–New York 1990, 210.

Page 26: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

68 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

mögen und Unabhängigkeit voraus,96 und es ist auch bei Calpurnius eindeutig, dass er trotz seines jungen Alters über außerordentliche Kenntnisse der römischen und auch der griechischen Literatur verfügte und alle Schliche und Kniffe des Dichter-handwerks kannte. Wie R. Marache festhält, waren die Klienten zu vornehm, an ir-gendeine Arbeit zu denken, aber nicht genug wohlhabend, ihre Lebensweise prob-lemlos aufrechtzuerhalten.97 All das stimmt mit der Vorstellung am Ende der Laus Pisonis überein,98 mit der sich der Dichter Piso empfiehlt:

Tu nanti protende manum, tu, Piso latentem exere. Nos humilis domus et sincera, parentum sed tenuis fortuna sua caligine celat. Possumus impositis caput exonerare tenebris et lucem sperare novam, si quid modo laetus annuis et nostris subscribis, candide, votis. (253–255)

Bei Calpurnius müssen wir also auch mit der von Iuvenal erwähnten ambitiosa paupertas99 rechnen: Das Anrufen des Patrons diente weniger der Milderung der finanziellen Schwierigkeiten, vielmehr bedeutete es die Möglichkeit des gesellschaft-lichen Fortkommens und der literarischen Karriere, was für einen Sohn der humilis domus anderswie unmöglich gewesen wäre. Am Anfang ihrer Karriere konnten sie nämlich mangels Verbindungen nur dank eines Patrons in die obersten, literaturkun-digen Kreise der Gesellschaft gelingen, an Lesungen teilnehmen, ihre Werke verbrei-ten, Bekanntschaften schließen, Empfehlungen erhalten – wir nehmen an, dass auch Calpurnius Seneca über Piso kennen lernte –, und das Ansehen des Patrons schützte sie einigermaßen auch vor literarischen oder andersartigen Angriffen. Es war also der Wunsch nach Fortkommen (mit dem treffenden Wort von P. White: nach visibility),100 der die jungen Dichter in den Kreis eines der principes civitatis zog. Auch der Ver-fasser der Laus erwartet von Piso, ihn aus dem Schatten der Unbekanntheit zu führen und beteuert, dass er nicht vom Habgier (auri imperiosa fames), sondern von der Lie-be des Ruhmes bewegt wird.101 Es wäre ahistorisch, Charakterschwäche und prinzi-

196 „Even the participation by poets in the many social activities of their hosts and friends points

to a measure of financial independence: since their time was evidently free for them to dispose of, they cannot have been tied to other employments.“ WHITE, P.: Amicitia and the Profession of Poetry in Early Imperial Rome. JRS 68 (1978) 88.

197 MARACHE, R.: Juvénal et le client pauvre. REL 59 (1981) 367. 198 Dass Calpurnius der Verfasser dieses Gedichts war, ist zwar nicht mit absoluter Sicherheit zu

beweisen, jedoch sehr wahrscheinlich, siehe die gründliche Monographie von VERDIÈRE, R.: Étude pro-sodique et métrique du De laude Pisonis et des Bucolica de T. Calpurnius Siculus. Rom 1971.

199 Hic ultra vires habitus nitor, hic aliquid plus / quam satis est interdum aliena sumitur arca. / Commune id vitium est: hic vivimus ambitiosa / paupertate omnes. III 180–182.

100 „In addition to personal endowments, one needed the chrism of approbation by a superior with prestige to lend. Poets knew that in order to ply their art effectively they had to be taken up to this milieu, and that what launched their reputation in it was the reputation of their sponsors. Naturally the writers who most frankly convey their need of a piggyback are young beginners.“ WHITE, P.: Promised Verse. Poets in the Society of Augustan Rome. Harvard 1993, 18.

101 nec enim me divitis auri / imperiosa fames et habendi saeva libido / impulerint, sed laudis amor. Iuvat, optime, tecum / degere cumque tuis virtutibus omne per aevum / carminibus certare meis. 218–223.

Page 27: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 69

Acta Ant. Hung. 47, 2007

pienlosen Karrierismus in dieser Bestrebung zu sehen. J. Amat zieht eine geistreiche, aber etwas verzerrende Parallele zwischen dem Karrierismus von Calpurnius und Rastignac, dem Helden des Balzac,102 denn die römische Gesellschaft basierte ja auf solchen persönlichen Beziehungen. Principibus placuisse viris non ultima laus est – schreibt auch der sich wegen seiner Herkunft oft quälenden Horaz,103 und vor den Dichtern der frühen Kaiserzeit schwebte verständlicherweise sein und Vergils Vor-bild. Nicht zufällig wird Maecenas gerade im 1. Jahrhundert n. Chr. zum Symbol, mit dem Ausdruck von F. Bellandi, kanonisiert.104 Das erste Dokument davon ist eben die Laus Pisonis, in dem – auf eine der Grundsituation und den relevanten Textstel-len der vierten Ekloge überraschend ähnliche Weise – der Patron mit Maecenas, sein Klient mit Vergil verglichen wird:

Ipse per Ausonias Aeneia carmina gentes qui sonat, ingenti qui nomine pulsat Olympum Maeoniumque senem Romano provocat ore, forsitan illius nemoris latuisset in umbra quod canit, et sterili tantum cantasset avena ignotus populis, si Maecenate careret … (…) Quod si quis nostris precibus locus, et mea vota si mentem subiere tuam, memorabilis olim tu mihi Maecenas tereti cantabere versu. (230–235, 246–248)

Auffallend ist auch die ähnliche Terminologie für die Bezeichnung der Förde-rung der Dichter: In der vierten Ekloge führt Maecenas Tityrus aus dem Wald in die Stadt (e silvis dominam deduxit in urbem, 161) und stellt ihn „den Göttern“ vor (ostenditque deos, 162). In der Laus Maecenas evexit Varium, (…) alta tonantis / eruit et populis ostendit nomina Grais, (239–240), Ausoniamque chelyn gracilis pate-fecit Horati (242).

Die Laus Pisonis zeigt aber auch die eingeschränkten Möglichkeiten und die Krise des Senatorenstandes. Die traditionellen Möglichkeiten, seine Größe unter Be-weis zu stellen, sind Piso verschlossen, und der Autor sieht es als seine wichtigs- te Aufgabe zu beweisen, dass die virtus auch in Zeiten des otium bewahrt und ver-wirklicht werden kann: Er kann den auf großartige Ahnen zurückblickenden jungen Mann mangels Heldentaten nur für seine Arbeit als Anwalt und seine Geschicklich-keit in den Spielen in seiner Freizeit loben. Das langatmige Lob seiner Gewandtheit im ludus latrunculorum wirkt komisch und zugleich betrübend. Kein Wunder, dass der Begriff des otium während des 1. Jahrhunderts immer negativer konnotiert

102 „Le taxer pour autant de «bassesse» et de «flagonnerie», comme l’ont faits maints critiques,

c’est témoigner d’une véritable méconnaissance de la passion «sicilienne» et de l’orgueilleuse ambition de ce Rastignac latin.“ AMAT (Anm. 2) XVI.

103 Epist. I 17. 35. 104 BELLANDI, F.: L’immagine di Mecenate protettore delle lettere nella poesia fra I. e II. sec. d.

C. A&R n. s. 40 (1995) 78.

Page 28: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

70 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

wird.105 Die Krise der Senatorenaristokratie fiel aber mit der beispiellosen Zunahme der literarisch Tätigen zusammen, was notgedrungen zu Stockungen des Patronen-systems, des Mäzenatentums führte.106 Das letzte epische Werk, das von seinem Verfasser nicht einem Mitglied der kaiserlichen Familie gewidmet wurde, war das L. Calpurnius Frugi gewidmete Gedicht des Antipatros von Thessalonike aus dem Jahre 11 v. Chr.107 In der z.B. im Corpus Tibullianum überlieferten Klientendichtung108 war es üblich, auf die menschliche Größe des Patrons als Inspirationsquelle zu ver-weisen. Dadurch trat der Patron an die Stelle von Apollo und den Musen und wurde notwendigerweise mit halbgöttlichen Zügen versehen.109 Den Kaisern aber, die ihre Macht gerade nach der Logik der Patron-Klient-Beziehung ausgebaut hatten und so zum höchsten Patron wurden, missfiel diese Verherrlichung ihrer Untertanen: Die Dichter nach Augustus baten fast ausnahmslos um die inspirierende Hilfe des Kaisers für die Beendigung ihrer Werke.110 Dieser Prozess ist demjenigen ähnlich, in dem die ihren Wert rasch einbüßende Auszeichnung ornamenta triumphalia an die Stelle des nur dem Princeps vorbehaltenen triumphus trat.111 In diesem Sinne ist es verständ-lich, dass das höchste Ziel der mit dem treffenden Wort von Bracher von Ruhmsucht angetriebenen Dichter112 war, die Gnade des Kaisers zu erlangen, und wie schon im

105 Zur damaligen Auffassung über die schädlichen Wirkungen des otium, vor allem bei Seneca:

HUTTNER, U.: Zur Zivilisationskritik in der frühen Kaiserzeit: Die Diskreditierung der Pax Romana. Historia 49 (2000) 447.

106 Die Krise des Patron-Systems wird von Martial treffend charakterisiert: Si nihil hinc veniet, pangentur carmina nobis: / audieris, dices esse Maronis opus. / Insanis: omnes gelidis quicumque lacer-nis / sunt ibi, Nasones Vergiliosque vides. / Atria magna colam. Vix tres aut quattuor ista / res aluit, pal-let cetera turba fame. / Quid faciam? Suade: nam certum est vivere Romae, / si bonus es, casu vivere, Sexte, potes. III 38. 7–14. Zum Thema siehe CITRONI, M.: Produzione letteraria e forme del potere. Gli scrittori latini nel sec. I. dell’impero. In Storia di Roma II. 3: La cultura e l’impero. Progetto di A. MO-MIGLIANO e A. SCHIAVONE. Torino 1992, 405. Über den Relativismus in der Argumentation der Laus Pisonis: LA PENNA, A.: Mobilità dei modelli etici e relativismo dei valori: da Cornelio Nepote a Valerio Massimo e alla Laus Pisonis. In Società Romana e produzione schiavistica III: Modelli etici, diritto e trasformazioni sociali. A cura di A. GIARDINO e A. SCHIAVONE. Roma–Bari 1981, 205.

107 Siehe HARDIE, A.: Statius and the Silvae. Poets, Patrons and Epideixis in the Graeco-Roman World. Liverpool 1983, 43.

108 Zum Panegyricus Messallae siehe DURET, L.: Dans l’ombre des plus grands. Poètes et prosa-teurs mal connus de l’époque augustéenne. ANRW II. 30. 3. 1453 ff.

109 Ein typisches Beispiel dafür ist die Elegie des Tibull (I 7) zum Geburtstag von Messalla. Der Patron taucht als Quelle der Inspiration auch in dem Maecenas gewidmeten Gedicht des Properz auf: te duce vel Iovis arma canam caeloque minantem / Coeum et Phlegraeis Eurymedonta iugis; / celsaque Ro-manis decerpta Palatia tauris / ordiar et caeso moenia firma Remo, / eductosque pares silvestri ex ubere reges, / crescet et ingenium sub tua iussa meum. III 9. 47–52. Zum Letzteren siehe BENNETT, A. W.: The Patron and Poetical Inspiration: Propertius 3. 9. Hermes 96 (1968) 319.

110 Neulich zum Thema: ROSATI, G.: Muse and Power in the Poetry of Statius. In Cultivating the Muse. Struggles for Power and Inspiration in Classical Literature. Ed. by E. SPENTZOU and D. FOWLER. Oxford 2002, 229 ff.

111 Die Verleihung von leeren Titeln wurde nach ägyptischem Vorbild von Iulius Caesar einge-führt, aber unter Augustus haben noch zahlreiche Heeresführer einen Triumphzug gehalten. Unter Tibe-rius konnten Titel sogar durch Anzeigen erworben werden. Siehe I. BORZSÁK s. v. ornamenta in PWRE XVIII (1939) 1110.

112 BRACHER, K. D.: Verfall und Fortschritt im Denken der frühen römischen Kaiserzeit. (Diss. 1948.) Wien 1987, 126.

Page 29: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 71

Acta Ant. Hung. 47, 2007

klassischen Aufsatz von A. Momigliano betont, war die Problematik des Mäzenaten-tums eines der wichtigsten Charakteristika der neronischen Literatur.113 Und weil sich Tiberius, Caligula und Claudius gerade den auf Latein schaffenden Dichtern ge-genüber gleichgültig zeigten, versteht sich die Begeisterung für den literaturkundigen und großzügigen Patron Nero von selbst, nicht nur bei Calpurnius, sondern auch bei dem zeitgenössischen, auf Griechisch schreibenden Lukillios:

Moàsai 'Olumpi£dej, koàrai DiÒj, oÙk ¥n ™sèqhn, e„ m» moi Ka‹sar calkÕn œdwke Nšrwn. (AP IX 572)

Wie aus der Organisierung der aula Neronis ersichtlich ist, strebte auch Nero die Zentralisierung und die Kontrolle des aufblühenden literarischen Lebens an, und seine Patron-Rolle führte zu dessen vollkommenen Durchpolitisierung. Und obwohl die von der anti-neronischen Historiographie übermittelte Tradition, dass seine Be-ziehung zu seinen Dichterkollegen, so etwa zu Lucan von Eifersucht bestimmt wäre, wahrscheinlich übertrieben und verzerrend ist,114 so war doch der Kaiser von den Zeilen unseres Dichters über das Leierspiel des Calpurnius Piso – falls er sie zu lesen bekam – sicherlich nicht allzu begeistert:

Si carmina forte nectere ludenti iuvit fluitantia versu, Aonium facilis deducit pagina carmen; sive chelyn digitis et eburno verbere pulsas, dulcis Apollinea sequitur testudine cantus et te credibile est Phoebo didicisse magistro. (Laus, 163–168)

Auf die Zentralisierung des Mäzenatentums deutet auch hin, dass viele Litera-ten der Zeit es nicht versäumten, ihr Werk Nero zu widmen, oder seiner Person in schmeichelhaften Worten zu gedenken.115 Diese zwiespältige Situation wird später im humorvollen, an die vierte Ekloge des Calpurnius alludierenden Wettgesang der ersten Ekloge aus Einsiedeln parodiert, wo der aggressive Thamyras sich im Voraus zum Sieger erklärt, denn er wird ja den Ruhm des Nero besingen und wer würde da schon wagen, ihm die Palme abzustreiten:

Praeda mea est, quia Caesareas me dicere laudes mens iuvat: huic semper debetur palma labori. (15–16)116

113 MOMIGLIANO, A.: Literary Chronology of the Neronian Age. CQ 38 (1944) 459. 114 Die literaturfördernde Tätigkeit Neros wird von M. MORFORD ausführlich behandelt: Nero’s

Patronage and Participation in Literature and Arts. ANRW II. 32. 3. 2003. 115 So widmete C. Caesius Bassus, der vielleicht beste Lyriker der Zeit dem Princeps sein Werk

über die Metrik (De metris). 116 Es überrascht nicht, dass die ältere Forschung die Figuren mit historischen Persönlichkeiten

identifizierte: Thamyras mal mit Lucan, mal mit Calpurnius: für Ersteres argumentiert A. MACIEJCZYK: De carminum Einsiedlensium tempore et auctore. Greifswald 1907, für Letzteres L. HERRMANN: Sur les Bucoliques d’Einsiedeln. In Mélanges Paul Thomas: Recueil des mémoires concernant la philologie classique. Bruges 1930, 430.

Page 30: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

72 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Ob ironisch oder nicht, so enthält doch auch die oben schon zitierte, von der starken Wirkung des Calpurnius zeugende siebte Satire des Iuvenal eine Analyse der Abhängigkeit vom Kaiser: Die Camoenae haben in Rom kein besseres Los als die zitternd bettelnden Chariten im Syrakus von II. Hieron bei Theokrit,117 und namhafte Dichter sehen sich gezwungen, ihr Brot als Marktausrufer zu verdienen. Für sie gibt es einen einzigen Hoffnungsschimmer: Die gutmütige Aufmerksamkeit des Kaisers, denn einen Patron ist – außer ihm – nicht mehr zu finden:

Et spes et ratio studiorum in Caesare tantum: solus enim tristes hac tempestate Camoenas respexit, cum iam celebres notique poetae balneolum Gabiis, Romae conducere furnos temptarent, nec foedum alii nec turpe putarent praecones fieri, cum desertis Aganippes vallibus esuriens migraret in atria Clio. (VII 1–7)118

All das hängt mit einem anderen Aspekt der paupertas eng zusammen. Seit der Zeit des Hellenismus, als man angefangen hat, die verschiedensten Mächtigen loben-den Enkomien und Epen massenweise zu verfassen, ist Armut toposartig mit dem Bild der Freiheit des Dichters verbunden: Der gute Dichter leidet notwendigerweise Not, denn er schreibt nach seiner Inspiration, dafür wird er aber von niemandem be-zahlt. Diese Auffassung findet sich auch bei Kallimachos: In einem Bruchstück stellt er, Pindar zitierend, die Muse des bekanntlich sehr materialistisch eingestellten (™r-g£tij) Simonides seiner eigenen gegenüber.119 Nach W. Bulloch verdammt er die

117 E. COURTNEY hat möglicherweise als Erster auf die Ähnlichkeit zwischen den „tristes Camoe-

nae“ und den traurigen Chariten bei Theokrit aufmerksam gemacht: A Commentary on the Satires of Ju-venal. London 1980, 350. Zum Mäzenatentum siehe TANDOI, V.: Giovenale e il mecenatismo a Roma fra il I. e II secolo. A&R n. s. 13 (1968) 140.

118 Die Datierung der siebten Satire steht nicht fest: G. Highet, H. Bardon und andere – neulich S. Fein – setzen sie auf die Zeit des die literarischen Studien fördernden Hadrian, siehe HIGHET, G.: Juvenal the Satirist. Oxford 1954, 154 ff; BARDON, H.: Les empereurs et les lettres latines. Paris 1968; RAMAGE, E.: Juvenal and the Establishment. ANRW II. 33. 1, 640 ff; FEIN, S.: Die Beziehungen der Kaiser Trajan und Hadrian zu den litterati. Stuttgart 1994. Über die Datierung der Satire: 97 ff. Andere verwerfen sie und argumentieren, dass sich der philhellene Kaiser ausschließlich mit griechischen Literaten umgeben hatte und die auf Lateinisch dichtenden völlig außer Acht ließ, was den Fremden gegenüber ansonsten generell distanzierten Iuvenal kaum zu lobenden Worten bewegt hätte. Nach W. HEMBOLD und E. O’NEILL ist das Werk auf die Zeit des Domitian entstand: In ihrem Aufsatz haben sie versucht, die Figu-ren der Satire mit den Zeitgenossen zu identifizieren: The Form and Purpose of Juvenal’s Seventh Satire. CPh 54 (1959) 100. In diesem Fall liege natürlich kein Elogium, sondern dessen bittere Parodie vor, wo-für auch G. TOWNEND argumentiert, wobei er sich unter anderen gerade auf die Calpurnius-Reminiszen-zen im Text beruft: The Literary Substrata to Juvenal’s Satires. JRS 63 (1979) 143. Eine gute Zusammen-fassung der Diskussion um die Datierung ist A. ROMANO: Irony in Juvenal. Hildesheim–New York 1979, 131 ff. Welche Datierung man auch annimmt, so steht es außer Zweifel, dass eines der entscheidenden „Substrate“ der Satire – hinsichtlich der Konzeption sowie einzelner Details – die vierte Ekloge des Calpurnius ist.

119 oÙ g¦r ™rg£tin tršfw / t¾n Moàsan, æj Ð Ke‹oj `Ul…cou nšpouj fr. 222. Pfeiffer. „La vé-ritable pauvreté et ses conditions objectives intéressent assez peu les écrivains qui en ont le plus souvent une conception idéalisée. Mais il s’agit du projet délibérée de trouver une solution morale par le re-

Page 31: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 73

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Telchines im berühmten Prolog der Aitia unter anderen, weil die über Könige und Helden geschriebene Großepik fast gleichbedeutend war mit einem auf Bestellung verfassten Werk.120 Die Tätigkeit dieser Dichter wurde später sprichwörtlich, auch Horaz erinnert sich an Choirilos, der viele Philippos-Goldmünzen für seine erbärm-lichen, Alexander den Großen preisenden Gedichte eingesteckt hat.121

Eine noch heiklere Frage war die finanzielle Unterstützung der Dichter in Rom. Die Patron-Klienten-Beziehung, die wie bekannt mit dem euphemistischen Terminus amicitia bezeichnet wurde, basierte theoretisch auf Gegenseitigkeit und Gleichran-gigkeit.122 Daher empfand man die finanzielle Honorierung einer literarischen Leis-tung als demütigend, sie war eher selten und wurde von beiden Parteien vertraulich behandelt, und die Bestellung eines lobenden Gedichts für Geld kam nur vereinzelt vor.123 Im Allgemeinen versuchte der Patron, seinen Klienten mit andersartigen Ge-schenken zu unterstützen: Mit einer Wohnung in seinem Haus, mit einem Kredit ohne Zinsen, mit Hilfe bei der Zuweisung einer Arbeitsstelle, sogar, wie im Falle Ovids, mit der Förderung einer vorteilhaften Eheschließung.124 Über Martial wissen wir, dass er von seinen Patronen unter anderen eine silberne Tischplatte, Maultiere, eine Kutsche und sogar Togen bekam.125 Die Unverfrorenheit des Helden von Cal-purnius zeigt sich auch darin, dass die Verschenkung eines Hauses oder Gutes als eine außerordentliche Auszeichnung galt.126 Dementsprechend erfüllte die in der augusteischen Literatur so häufige recusatio eine doppelte Rolle: Sie drückte die Dankbarkeit gegenüber dem Patron aus, zugleich zeigte sie die Unabhängigkeit des Dichters, indem er die Verewigung der Taten seines Patrons in einer epischen Form mit der Begründung zurückwies, dass so eine Aufgabe über seine Begabung hinaus-gehen würde; so eine Ausrede galt übrigens auch als ein nahezu obligatorischer rhe-torischer Griff.127 Statt einer laudatio wurde also die Dankbarkeit des Verfassers

———— noncement aux richesses: la pauvreté est ainsi valorisée.“ MEILLIER, C.: Callimaque et son temps. Re-cherches sur la carrière et la condition d’un écrivain à l’époque des premières Lagides. Lille 1979, 167.

120 BULLOCH, W.: A New Interpretation of a Fragment of Callimachus’ Aetia. CQ 20 (1970) 269. 121 gratus Alexandro regi magnus fuit ille / Choerilus, incultis qui versibus et male natis / rettulit

acceptos, regale nomisma, Philippos. epist. II 1. 232–234. 122 Die Terminologie der Patron-Klienten-Beziehung wird von R. SALLER detailliert analysiert:

Personal Patronage under the Early Empire. Cambridge 2002, 7–41. 123 „the Romans were embarrased by the connection of payment with a service rendered; any

placement of precise value on a service devaluated it. Thus, a stigma was attached to payment by a pa-tron to a writer. (…) The recusatio, or complimentary rejection of a patron’s desire, must have developed partly in response to this ambiguous situation.“ GOLD, B. K.: Literary Patronage in Greece and Rome. The North Carolina University Press 1987, 65.

124 Siehe WHITE (Anm. 96) 89 f. Übrigens stellt auch die Elegie Ovids an Fabius Maximus die „Freundschaft“ zwischen Patron und Klient dar: Ille ego sum, qui te colui, quem festa solebat / inter con-vivas mensa videre tuos: / ille ego, qui duxi vestros Hymenaeon ad ignes, / et cecini fausto carmina digna toro: / cuius te solitum memini laudare libellos / exceptis, domino qui nocuere suo: / cui tua nonnum-quam miranti scripta legebas, / ille ego de vestra cui data nupta domo est. ex Ponto I 2. 131–138.

125 VII 53; IX 49; XI 79. XII 24. 126 WHITE (Anm. 96) 89 f. 127 Ab eius persona, de quo loquemur, si laudabimus: vereri nos, ut illius facta verbis consequi

possimus. Rhetorica ad Herennium III 6. 11. Vgl. Hor. epist. II 1. 257–259: si quantum cuperem possem quoque; sed neque parvum / carmen maiestas recipit tua nec meus audet / rem temptare pudor, quam vires ferre recusent; bzw. Propertius II 1. 17–26: quod mihi si tantum, Maecenas, fata dedissent, / ut pos-

Page 32: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

74 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

durch eine oft als recusatio formulierte Widmung im Werk zum Ausdruck gebracht, was keineswegs als demütigend empfunden war, vielmehr verlangten die römischen Leser solche persönlichen Verweise, da die literarische Tätigkeit auf der unmittelba-ren Beziehung zwischen dem Verfasser und seinem engen Publikum beruhte.128 Ein typisches Beispiel dafür ist die Kallimachos-Paraphrase an Varus in der sechsten Ek-loge Vergils, auf die Calpurnius, wie wir gesehen haben, sogar zweimal hinweist, den Topos der recusatio gleichsam ins Gegenteil verkehrend: Statt Apollo wird Cory-don vom Patron an die Unverträglichkeit der bukolischen Gattung und der epischen Themenwahl erinnert, er bietet sich aber, auf seine Unabhängigkeit demonstrativ ver-zichtend – und eine reichliche Belohnung fordernd – freiwillig für die Rolle des epi-schen Dichters an:

tu mihi talis eris, qualis qui dulce sonantem Tityron e silvis dominam deduxit in urbem ostenditque deos et „spreto“ dixit „ovili Tityre, rura prius, sed post cantabimus arma.“ (160–163)129

Der bukolische Ton und die textuellen Entsprechungen in den Epigrammen des Martial zeigen, welche grundsätzliche Wirkung Calpurnius auf die Dichter der flavi-schen Zeit ausübte hinsichtlich der Darstellung der gesellschaftlichen Stellung des Dichters, der Verkehrung der Begriffe der paupertas und des vates und der symboli-schen Gestaltung der Figur des Maecenas und des Werdegangs Vergils:

sint Maecenates, non deerunt, Flacce, Marones, (…) iugera perdiderat miserae vicina Cremonae, flebat et abductas Tityrus aeger oves, risit Tuscus eques paupertatemque malignam reppulit et celeri iussit abire fuga. Accipe divitias et vatum maximus esto, tu licet et nostrum, dixit, Alexin ames. (VIII 55. 5–12)

Da Corydon nicht nur das Werk, sondern auch die Karriere Vergils nachahmen möchte, ist die bukolische Dichtung als ein dem jungen Alter entsprechendes genus humile nur die erste Stufe der erhofften glänzenden Karriere, auf die dann die höhe-

———— sem heroas ducere in arma manus, / non ego Titanas canerem, non Ossan Olympo / impositam, ut caeli Pelion esset iter (…) bellaque resque tui memorarem Caesaris et tu / Caesare sub magno cura secunda fores.

128 „Roman readers had always enjoyed and needed literature which induced named individuals in praise or denigration, and which, by setting out the writer’s relations with a variety of adressees, built up a picture of his way of life and the life of his acquaintances.“ HARDIE (Anm. 107) 37.

129 Diese Textstelle von Calpurnius wurde auch zu einem Wandermotiv und erscheint sogar in dem langen Hirtenroman des zur Zeit des dreißigjährigen Kriegs tätigen Daniel von Czepko: Andrer Fer-dinand, ich wil / Seyn ein anderer VIRGIL, / Ich wil singen Mann und Waffen: / Sieht uns Gott genadig an, / Daß ich ruhig leben kan, / Werd ich nicht dein Lob verschlaffen. // Ob ich hinten Schaafen geh, / Umb die Garb und umb den Klee, / Dennoch wil ich höher klettern: / Weise Schriften wil ich ban, / Und dein Lob in Pfeiler haun, / Die kein Sturm nicht sol zuschmettern (I Strophe 268–269).

Page 33: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 75

Acta Ant. Hung. 47, 2007

ren Lehrgedichte, und als Krönung des Œuvres, das Epos folgen sollen.130 Durch die biographische Allegorie wird also die bukolische Welt zum Hindernis der Durchset-zung und der dichterischen Entfaltung. Dementsprechend erscheinen auch die in der augusteischen Ideologie idealisierten, für das goldene Zeitalter und das alte Rom charakteristischen, in der Bukolik als prinzipielle Werte gegenwärtigen simplicitas und rusticitas als sehr nachteilig, denn sie verhindern die Anerkennung der die Gren-zen der Gattung bereits überschreitenden, durch eine epische Themenwahl ausge-zeichneten bukolischen Dichtung Corydons auch in Rom, im Hof des Kaisers.131 Aus der Allegorisierung, der Darstellung der Patron-Klienten-Beziehung folgt, dass die charakteristischsten Züge der bukolischen Gattung ins Gegenteil verkehrt werden. Die Feststellung von M. Citroni, dass der Auftritt einer historischen Persönlichkeit die fragilen Rahmen der bukolischen Fiktion brutal durchbricht,132 mag etwas über-trieben sein bezogen auf die Widmungen in den Eklogen Vergils, trifft aber für Cal-purnius zweifellos zu.

Wie sehr sich der Corydon der zweiten Ekloge Vergils nach der feinen Sklavin des städtischen Herrn auch sehnt, kann er sich sein Leben nur innerhalb der Hirten-welt vorstellen und erlebt die Stadt als eine Quelle der Gefahr für seine eigenen Wer-te, ja seine Identität selbst.133 Der Held des Calpurnius will aber aus dem engen Raum der Bukolik ausbrechen und wird genau deshalb, wegen seiner Naivität lächer-lich, denn er stellt sich den Hof des Kaisers im Sinne seines auf die Hirtenwelt be-grenzten Horizonts vor (magnae numina Romae) und wähnt, er könnte mit seinen

130 Die außerordentliche Blüte der Bukolik in der Renaissance hängt eben damit zusammen, dass

man seine Dichterkarriere mit Hirtengedichten begann. Auch die obige Textstelle des Calpurnius wurde immer wieder nachgeahmt, so z.B. von Baptista Mantuanus: Tityrus – ut fama est – sub Maecenate ve-tusto / rura, boves et agros et Martia bella canebat / altius et magno pulsabat sidera cantu. / Eloquium fortuna dabat; nos debile vulgus / pannosos macie affectos, farragine pastos / Aoniae fugiunt Musae, contemnit Apollo. V 86–91. Die Wirkung von Mantuanus und Calpurnius zeigt auch die neunte Ekloge des Erfurter Euricius Cordus: Audio quod quidam Mantous Tityrus olim / Obtinuit blandis amissum can-tibus agrum. / Si potes & quid habes, Augustas carmen ad aures / Concine, composita supplex meditare cicutas./Forsitan hae poterint aliquam tibi ferre salutem. 118–122. Vgl. die Oktober-Ekloge (Aegloga decima) von Spenser: Indeede the Romish Tityrus, I heare, / Through his Maecenas left his Oaten reede, / Whereon he earst had taught his flocks to feed, / And laboured lands to yield the timely eare, / And eft did sing of warres and deadly drede, / So as the heavens did quake his verse to here. 55–60.

131 Eine ähnliche Bestrebung charakterisiert auch die bukolische Dichtung der Renaissance. Die Feststellung von P. CULLEN gilt genauso für Calpurnius: „As much as the Renaissance admired pastoral poetry, as much as it praised its naturalness and simplicity, it was at the same time aware that the aspiring poet, like the great men celebrated in and by pastoral, deserved and required a higher style, a greater argument. Pastoral is, then, repeatedly aiming at something greater, at ascending the scale of generic progression: from pastoral Petrarca goes on to the Africa, Boiardo to Orlando furioso, Ariosto to Orlando furioso, Sannazaro to De partu virginis, Spenser to the Fairie Queen.“ Spenser, Marvell and Renaissance Pastoral. Cambridge 1970, 10.

132 CITRONI, M.: „Ma per Alfeno Varo e Pollione si aprono brevi spazi anche all’interno del mon-do bucolico, spazi in cui la fragile compatezza della finzione pastorale si interrompe bruscamente.“ Poe-sia e lettori in Roma antica. Forme della communicazione letteraria. Roma–Bari 1995, 223.

133 „diese Vorstellung verbindet nun Corydon mit Rom, dem Ziel seines Geliebten, das somit zum strikten Gegensatz zu seiner ländlichen Existenz, zur Gefahr für seine Identität wird. (Städtisches) Rom begegnet hier als Feind (ländlichen) Roms.“ EIGLER, U.: Urbanität und Ländlichkeit als Thema und Problem der augusteischen Literatur. Hermes 130 (2002) 291.

Page 34: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

76 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

ungeschliffenen bukolischen Gedichten die Gnade des palatinischen Apollo erlangen. Bezeichnenderweise weicht Meliboeus nach diesen fast fordernden Worten im Schluss der Ekloge, der mit der vergilischen Technik der „Aufhebung“ operiert, der Frage aus und erinnert die beiden jungen Männer, mit dem treffenden Ausdruck von Verdière „sehr unfreundlich“ (tout refroidi)134 an ihre vernachlässigten Hirtenver-richtungen:

Nunc ad flumen oves deducite: iam fremit aestas, iam sol contractas pedibus magis admovet umbras. (168–169)

Die Eklogen des Vergil enden mit dem beruhigenden abendlichen Bild der still werdenden Natur. Die Allusion auf den Schluss der ersten Ekloge (maioresque ca-dunt altis de montibus umbrae, 83) hebt die Ungewöhnlichkeit der wiederum anti-bukolischen Situation hervor: Meliboeus drängt die Hirten zur Arbeit in der Mittags-hitze, zur Zeit der Ruhe, der Beschäftigung mit Poesie in den Schatten. Aus dem Kommentar von Servius geht hervor, dass die allegorische Interpretation der bukoli-schen Schlussszenen verbreitet war,135 wie das wahrscheinlich auch hier der Fall ist: Die Worte des Patrons stimmen mit der Mahnung der invida Paupertas (ovilia cura!) überein, und auch das Verb deducite weist auf das vergilische Vorbild (‚pastorem, Tityre, pinguis / pascere oportet ovis, deductum dicere carmen‘, 3–5) hin. Dem Dichter, der seine Begabung nunmehr auch in höheren Gattungen beweisen möchte, stutzt also sein eigener Patron die Flügel. Charakteristisch ist auch, dass nach den abwertenden Worten des Meliboeus am Anfang der Ekloge sogar Corydon beginnt, sich wegen der eingeschränkten Geltung und der störenden rusticitas seiner Dichtung zu rechtfertigen:

Quidquid id est, silvestre licet videatur acutis auribus et nostro tantum memorabile pago, nunc mea rusticitas, si non valet arte polita, carminis, at certe valeat pietate probari. (12–15)

Wie wir gesehen haben ist die pietas eines der charakteristischsten Züge der Hirtenwelt der rein bukolischen Eklogen. Ihr kommt in der zweiten Ekloge eine be-sonders wichtige Rolle zu, wo sie sich jedoch kaum auf die religiöse Haltung der einfachen Völker der Welt bezieht, wie B. Schröder in seinem Kommentar behaup-tet,136 sondern auf die Loyalität dem Princeps gegenüber. Die nach dem Vorbild der Vater-Sohn-Beziehung gestaltete Idee der pietas erga Caesarem, die den Begriff der die Patron-Klienten-Beziehung bezeichnenden fides ablöst, geht auf die Zeit des Iulius

134 VERDIÈRE (Anm. 16) 165. 135 Zur letzten Zeile der dritten Ekloge fügt er folgende Erklärung hinzu: SAT PRATA BIBE-

RUNT aut intellegimus hunc exisse, ut iuberet pueris suis ut arva inrigarent, quod illis cantantibus fac-tum est, et re vera dicit ‘rivos claudite’: aut certe allegoricos hoc dicit: iam cantare desinite, satiati enim audiendo sumus.

136 „pietas zeichnet die Landbevölkerung in besonderer Weise aus, und kann daher von Corydon als sicherer Vorzug seiner Lieder geltend gemacht werden.“ SCHRÖDER (Anm. 2) 85.

Page 35: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 77

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Caesar zurück,137 und da die Lieder des Corydon den Princeps und nicht die Schön-heiten des Hirtenlebens besingen, passt nur diese Deutung in seinen Gedankengang. Auch wenn seine Gedichte dem feinen städtischen Geschmack nicht entsprechen, so kann doch an seiner Loyalität dem Kaiser gegenüber nicht gezweifelt werden.

Unseres Erachtens übertreibt E. Winsor Leach als sie eine Parallele zieht zwi-schen Corydon und Senecas Hippolytus und seine Geschichte als Exempel der nai-ven, der Macht zum Opfer fallenden Unschuldigkeit interpretiert.138 Im Gegensatz zum bukolischen Monolog der Phaedra wird hier nämlich die Hirtenwelt selbst ne-gativ, zu einem perfekten Gegenbild des vergilischen Arkadiens, und die Darstel-lungsweise steht auch den stark vom mimus beeinflussten Idyllen des Theokrit und vor allem den ironisch beschriebenen Hirtenlandschaften des Ovid viel näher. Es gibt keine Spuren der von Leach angenommenen sad dignity, umso deutlicher ist aber der für den mimus charakteristische satirische Ton: Der von Faunus inspirierte Dichter muss sich gerade wegen der rusticitas seiner Lieder rechtfertigen und sich von der nutzlosen Hirtenmuse verabschiedend hoffentlich die Gnade und die finanzielle För-derung des Kaisers erlangen.139 Corydon wird aber gerade wegen der Beteuerung der für sich selbst erwählten vates-Rolle in den Augen seines Patrons lächerlich.

Der Umfang der als Rahmen des Wettgesangs dienenden bukolischen Szene ist also keineswegs übertrieben. Das lange Gespräch, die doppeldeutigen Wörter, die Unschlüssigkeit Corydons und das Drucksen des Meliboeus140 gewähren gerade in die immer erbärmlichere gesellschaftliche Stellung der Klienten-Dichter der frühen Kaiserzeit einen guten Einblick. Und das ist womöglich das eigentliche Thema des Herzstücks des Gedichtbuchs, des in den Mittelpunkt des Bandes gestellten, den Kaiser preisenden Gedichts.

Auch der Wettgesang, der allzu oft vom bukolischen Rahmen getrennt behan-delt wird und im Vergleich zu der die offizielle Propaganda vermittelnden Prophe-zeiung der früher verfassten ersten Ekloge tatsächlich sehr schmeichlerisch ist, kann erst in diesem Kontext dem Vorhaben des Dichters entsprechend gedeutet werden. Das Lob Neros ist Fiktion in der Fiktion, das Werk von Hirtendichtern, die aus der Armut und der Unbekanntheit ausbrechen wollen und ihre Lieder als eine Art Vor-stellung meinen in der Hoffnung auf die Förderung des literarisch engagierten Kai-sers. Die überhitzte Atmosphäre der die neue goldene Zeit feiernden Lieder sowie

137 „It had its roots in the relationship of the client, Roman or foreign, an individual or a commu-

nity, to the patron, for which in origin fides was the term, not pietas. This was a new form of relationship which apparently transfered to a stranger to whom one owed one’s life or something as valuable as life the affection and reverence due to one’s father.“ WEINSTOCK, S.: Divus Iulius. Oxford 1971, 256.

138 „Naive innocence is inherently weak. This failing links Seneca’s Hippolytus and Calpurnius’ Corydon both unfortified by philosophical reflection, as each in his way falls victim to the world of power. (…) The futility of Corydon and Hippolytus gives to their versions of pastoral a sad dignity that strengthens our aesthetic longings for the mythical lost world.“ WINSOR LEACH (Anm. 81) 226.

139 Ähnlich auch P. VOZZA: „Non rimane, dunque, che il conformismo della cortigianeria che rende docili, che soffoca la libera poesia civilizzatrice, ma che almeno «da pane».“ (Anm. 61) 295.

140 „Per multas ambages et inanes excusationes dubitationesque tum Corydonis, tum Meliboei, circumducta vix tandem se explicat oratio, et ad laudes Caesaris decantandas defertur, in quibus ipsis et multum redundat.“ WERNSDORF (Anm. 1) 450.

Page 36: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

78 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

der dargestellten goldenen Landschaften wird aber durch das erbärmliche Los und die Selbstironie der sich karrieristisch als Hofdichter anbietenden Dichter sowie durch die wüste und schutzlose, als Hintergrund fungierende Hirtenwelt ausgeglichen.

V. … CANTARE CREDAS PEGASEIUM NECTAR: DER WETTGESANG IN DER VIERTEN EKLOGE

Obwohl der schmeichlerische Ton des die goldene Zeit feiernden Wettgesan-ges entscheidend dazu beigetragen hat, dass Calpurnius in den literaturgeschichtli-chen Handbüchern vor allem als typischer Vertreter der neronischen Hofdichtung be-handelt und folglich auch seine Dichtung als solche negativ beurteilt wurde, waren diese negativen Ansichten fast ausnahmslos moralisierender Natur. In den letzten an-derthalb Jahrhunderten betrachteten die Philologen den Wettgesang der vierten Eklo-ge als Dokument des von der Atmosphäre der Kaiserzeit ausgelösten moralischen Verfalls, dessen Verfasser sich nicht scheute, die von Vergil gesegnete Gattung für Zwecke der politischen Propaganda einzusetzen.141 Viel weniger wurde die literari-sche Ausformulierung dieses carmen amoebaeum untersucht. Wernsdorf hat zwar die Langatmigkeit des Wettgesanges und ihre für die Dichtung der frühen Kaiserzeit im Allgemeinen charakteristische Rhetorizität stark kritisiert, zugleich aber betonte er, dass sich das für Calpurnius charakteristische felix et illustre ingenium auch in die-sem Gedicht manifestiert.142 Es ist keineswegs überraschend, dass dieser Hirtenwett-kampf zum bedeutendsten Vorbild der frühneuzeitlichen Hofdichtung, der quasi industriell verfassten, kleinere oder größere Potentaten routinemäßig feiernden Eklo-gen wurde – unter den oft nichtssagenden Gedichten finden sich aber auch solche Perlen wie z.B. die April-Ekloge von Spenser über Königin Elisabeth. Die Lebendig-keit und Frische der Bilder, mit denen die Hirten des Calpurnius die Wirkungen des göttlichen, die Wälder und die Felder mit Blumen bestreuenden numen von Nero darstellen, widersprechen an sich der Feststellung von D. Gagliardi, dass sich der Ton des Wettgesanges durch eine Art Stumpfheit und Ideenlosigkeit auszeichne.143

Die historische Perspektive fehlt auch bei solchen Auffassungen, die im Wett-gesang ein bis dahin beispielloses Maß an adulatio sehen. Calpurnius folgte in diesem Fall nämlich einer Jahrhunderte alten rhetorischen-poetischen Tradition, und es gibt kaum eine Zeile im Wettgesang, der nicht gleichzeitig auch auf ein thematisch ähnli-ches Werk eines augusteischen Dichters hinweisen würde. Gerade aus dieser unun-terbrochenen Kette der Allusionen folgt, dass die panegyrischen Wendungen die Formen des Herrscherlobs in keiner Hinsicht überschreiten, die in der augusteischen

141 Nach R. VERDIÈRE: „un alléluia de joyeuse entrée dans lequel il chant la déification de Néron

avec une flagonnerie si révoltant qu’on n’a pu l’en excuser.“ (Anm. 16) 164. 142 „Felix et illustre ingenium etiam hoc carmine ostendit Calpurnius, sed declamatoria vanitate

et aliis aevi sui vitiis corruptum.“ WERNSDORF (Anm. 1) 450. 143 „un sostanziale vacuum d’identità, vale a dire il fallimento d’ispirazione adeguata.“ GAGLI-

ARDI (Anm. 2) 62.

Page 37: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 79

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Zeit verbreitet waren und auf klassische Vorbilder bei Vergil, vor allem aber in den Oden des Horaz und in den Elegien von Properz und Ovid zurückgehen.

Die epische Gehobenheit des die traditionellen Formen des Hirtenwettkampfes bewahrenden Wettgesanges ist nicht nur darauf zurückzuführen, dass hier die fast vorschriftlichen zwei- bzw. vierzeiligen Strophen in der antiken Geschichte der Gat-tung einmalig durch fünfzeilige ersetzt werden, sondern vor allem auf die Nebenein-anderstellung der rhetorischen Topoi der Hymne und des Herrscherlobs und der Mo-tive der Bukolik.144 Die Verwendung von fünfzeiligen Strophen mildert auch die Langatmigkeit des Textes, denn sie ermöglicht die detaillierte Beschreibung von wenigeren Gegenständen und liefert dadurch einen besser nachvollziehbaren Gedan-kengang und eine geschlossenere und übersichtlichere Struktur. Auch hier arbeitet Calpurnius mit einer sehr sorgfältig aufgebauten, symmetrischen Struktur: Die fünf Strophenpaare (50 Zeilen) der Beschreibung sind von jeweils einem Strophenpaar (10-10 Zeilen) umrahmt. Das carmen amoebaeum fängt mit einer in den höheren Gattungen üblichen Invokation an Nero an (82–91) und endet mit einem in Hymnen üblichen Stoßgebet mit dem Wunsch, dass die Herrschaft Neros bis in die Ewigkeit dauere (137–146). Das erzählende Teil besteht, wie die Beschreibung in der siebten Ekloge mit der verlorenen Strophe aus dem Lied des Amyntas,145 aus genau fünfzig Zeilen (92–136). Somit verweist der Text in der Sprache der Zahlensymbolik, wenn die Annahme von Korzeniewski über die mit dem Buchstaben N bezeichnete Zahl fünfzig stimmt, sogar doppelt auf Nero (50 und 70).

In den panegyrischen Liedern gibt es aber auch viel Komik, was nicht nur aus der vorher detailliert beschriebenen Not der die goldene Zeit eifrig preisenden Sän- ger und Corydons Betteln am Ende der Ekloge folgt, sondern vorwiegend daraus,

144 Auf eine ähnliche Schlussfolgerung gelangt auch G. LA BUA in seiner ausführlichen Monogra-

phie über die Geschichte des Hymnus: „Calpurnio sembra costituire una tappa forse conclusiva nel lun-go processo di divinizzazione della figura imperiale, attestando per la piena fusione di inno e panegirico nelle composizioni celebrative.“ L’inno nella letteratura poetica latina. San Severo 1999, 296.

145 Das beweist die ungerade Zahl der Strophen, was im Falle eines carmen amoebaeum schwer zu erklären wäre, und darauf weist die in den Handschriften unterschiedliche Zuweisung der Namen zu den einzelnen Strophen hin. Wie schon von C. GIARRATANO aufgezeigt, folgte die lacuna möglicherwei-se auf die dritte Strophe, auf Zeile 96: Hier zeigt sich nämlich ein sowohl thematischer als auch logischer Bruch (Calpurnii et Nemesiani Bucolica, Einsiedlensia Carmina. Torino 1924). Die lacuna wurde ledig-lich von J. AMAT in Frage gestellt, mit einer nicht überzeugenden Argumentierung: (Anm. 2) 33. Sie hat aber Recht, dass die Eingriffe in die von der handschriftlichen Tradition vermittelte Reihenfolge zu unnö-tiger Unsicherheit und Verwirrung („bouleversements arbitraires“) führen. Die Herausgeber des Textes versuchten, die Strophen unterschiedlich zu ordnen, umzustellen, manchmal auch die ihnen zugeordneten Namen zu verändern, wodurch sie die natürliche Logik des Wettgesanges auflösten. Diese Frage wie auch die einzelnen Lösungen der Herausgeber werden im Kommentar von B. SCHRÖDER ausführlich behandelt: (Anm. 2) 139 ff. So ging auch D. Korzeniewski vor, der die Strophe zwischen den Zeilen 132–136 nach Zeile 96 eingefügt hat und die fünfzeilige lacuna nach Zeile 116 annimmt. Seine Lösung wird nach langer Überlegung auch von Schröder akzeptiert, obwohl sie schon von H. PETERSMANN in seiner Rezension über die Textausgabe (Gymnasium 80 [1973] 473) und von L. CASTAGNA im Band der Neronia aus dem Jahre 1977 kritisiert wurde: (Anm. 3) 139 ff. Wir akzeptieren seine überzeugende Argu-mentation und weichen an diesem Punkt von Korzeniewskis Text ab und rechnen mit Giarratano, Cas-tagna und neulich M. Vinchesi mit einer fünfzeiligen lacuna ab Zeile 96. In unserer Analyse versuchen wir aufzuzeigen, dass der Wettgesang wohl durchdacht und konsequent aufgebaut ist, so dass es unbe-gründet wäre, von der handschriftlichen Tradition abzuweichen.

Page 38: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

80 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

dass sich Corydon und Amyntas streng an die Regeln des Hirtenwettkampfes halten und um jeden Preis versuchen, den Gegner bei dem Lob des Princeps zu übertreffen. Die von modernen Kritikern als empörend empfundenen Übertreibungen resultieren auch zu einem großen Teil daraus: Am Anfang des Wettgesanges ist Nero ein von den Göttern geschützter junger Mann (comitatus Apolline Caesar, 87), dann der dem Iuppiter am nächsten stehende (cui tu iam … proximus abes, 93) Mensch, und schließ-lich der Vater der Götter selbst, der sich als Menschenfigur auf der Erde offenbart (mutata … Iuppiter ipse figura, 142). Am Anfang des Wettgesanges vergleicht ihn der eine Hirt mit Iuppiter, der andere mit Apollo, und da sie ihren Gedankengang konsequent zu Ende führen, zeichnen sie notwendigerweise zwei gegensätzliche Herrscherbilder nach.

Die zwei, die Lieder einführenden Invokationen rufen die ähnlichen Auftakte in der dritten Ekloge Vergils wach, wobei auch hier der Gegensatz hervorgehoben wird: Während Damoetas und Mopsus um die Hilfe von Apollo und Iuppiter bitten, werden die Helden bei Calpurnius einzig und alleine vom Kaiser inspiriert, der Iup-piter und Apollo in sich verkörpert:

C. Ab Iove principium, si quis canit aethera, sumat, si quis Atlantiaci pondus molitur Olympi. At mihi, qui nostras praesenti numine terras perpetuamque regit iuvenili robore pacem, laetus et augusto felix arrideat ore. A. Me quoque facundo comitatus Apolline Caesar respiciat, montes neu dedignetur adire, quos et Phoebus amat, quos Iuppiter ipse tuetur, in quibus augustos visuraque saepe triumphos laurus fructificat vicinaque nascitur arbos. (82–91)146

Somit wird die alte Formel Ab Iove principium147 zum Mittel der Gegenüber-stellung der Gottheit und des Kaisers, indem sie mit der typisch augusteischen Idee des praesens deus verbunden ist. Augustus war schon bei Horaz und Ovid das Eben-bild von Iuppiter auf Erden und sein Stellvertreter. Wer über himmlische Erschei-nungen schreiben möchte, der soll Iuppiter zu Hilfe aufrufen, wer aber die irdische Welt besingen möchte, soll sich an den auf Erden gegenwärtigen Gott wenden. Wie wir gesehen haben wurde die aus der Klientendichtung stammende Wendung unter den Dichtern der frühen Kaiserzeit verbreitet, nach der das Werk nicht von der Muse oder von Apollo, sondern vom Patron bzw. vom Herrscher inspiriert wurde: Das wir-kungsvollste, auch Lucan inspirierende Beispiel dafür ist das Proömium der Geor-

146 D. Ab Iove principium, Musae: Iovis omnia plena: / ille colit terras, illi mea carmina curae.

M. Et me Phoebus amat; Phoebo sua semper apud me / munera sunt, lauri et suave rubens hyacinthus (60–64).

147 Aratos, Phainomena I 1: 'Ek DiÕj ¢rcèmesqa, Theokritos XVII 1: 'Ek DiÕj ¢rcèmesqa kaˆ ™j D…a l»gete, Mo‹sai.

Page 39: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 81

Acta Ant. Hung. 47, 2007

gica.148 Eine in diesem Geiste verfasste Invokation findet man bei Valerius Maxi-mus, später auch in den Gedichten des Manilius und des Germanicus, wobei Letzte-rer womöglich eines der unmittelbaren Vorbilder des Calpurnius war:

Ab Iove principium magno deduxit Aratus carminis, at nobis genitor, tu maximus auctor, te veneror, tibi sacra fero, doctique laboris primitias. Probat ipse deum rectorque satorque. (1–4)149

Die Abgrenzung der Zuständigkeitsbereiche der Gottheit und des Herrschers sowie ihre Parallelstellung (und die Wahl, von den beiden den Herrscher zu besingen) war schon in der hellenistischen Dichtung üblich. Am Anfang seiner sechzehnten Idylle zieht Theokrit eine ungewöhnlich scharfe Linie zwischen den Unsterblichen und den Sterblichen: Die Hymnen über die Götter und der Ruhm von hervorragenden Männern (¢gaqîn klša ¢ndrîn) stehen den Töchtern des Zeus, die Verewigung der Sterblichen aber den Sterblichen zu.150 Einer ähnlichen Logik folgt auch der Auf-takt der nunmehr Ptolemaios Philadelphos gewidmeten siebzehnten Ekloge. Und ob-wohl es kaum möglich ist, die Hypothese von Korzeniewski zu beweisen, dass Cal-purnius seine panegyrischen Eklogen nach der Inspiration dieser Textstelle an den Anfang, in die Mitte und ans Ende der Sammlung gestellt hat, so ist die unmittelbare Wirkung der Idylle auf den Gedankengang der Einleitung umso wahrscheinlicher:

'Ek DiÕj ¢rcèmesqa kaˆ ™j D…a l»gete, Mo‹sai, ¢qan£twn tÕn ¥riston ™p¾n kle…wmen ¢oida‹j: ¢ndrîn d' aâ Ptolema‹oj ™nˆ prètoisi legšsqw, kaˆ pÚmatoj kaˆ mšssoj: Ö g¦r proferšstatoj ¢ndrîn. ¼rwej, toˆ prÒsqen ¢f' ¹miqšwn ™gšnonto, ·šxantej kal¦ œrga sofîn ™kÚrhsan ¢oidîn: aÙt¦r ™gë Ptolema‹on ™pist£menoj kal¦ e„pe‹n Ømn»saim': Ûmnoi dł kaˆ ¢qan£twn gšraj aÙtîn. (1–8)

Jedoch zeugen nicht nur die Übereinstimmungen in den einleitenden Zeilen von der Wirkung der siebzehnten Ekloge oder dass die großzügige Belohnung der Dichter auch hier angesprochen wird,151 sondern vor allem die Mischung der Motive

148 da facilem cursum, atque audacibus adnue coeptis, / ignarosque viae mecum miseratus agres-

tis / ingredere et votis iam nunc adsuesce vocari (40–42). 149 Vgl. Manilius, Astronomicon I 7–10: hunc mihi tu, Caesar, patriae princepsque paterque, / qui

regis augustis parentem legibus orbem / concessumque patri mundum deus ipse mereris, / das animum viresque facis ad tanta canenda; Valerius Maximus, Prooemium: nam prisci oratores ab Iove optimo ma-ximo bene orsi sunt (…) mea parvitas eo iustius ad favorem tuum decucurrerit, quo cetera divinitas opinione colligitur. Über die Wirkung des Proömiums der Georgica auf Manilius und Germanicus und in diesem Zusammenhang über die Entwicklung des Herrscherkultes siehe R. MONTANARI CALDINI: Virgi-lio, Manilio e Germanico. Memoria poetica e ideologia imperiale. In L. BALDINI MOSCADI ET AL.: Cul-tura e ideologia da Cicerone a Seneca. Firenze 1981, 71.

150 A„eˆ toàto DiÕj koÚraij mšlei, a„łn ¢oido‹j, / Ømne‹n ¢qan£touj, Ømne‹n ¢gaqîn klša ¢ndrîn. / Mo‹sai młn qeaˆ ™nt…, qeoÝj qeaˆ ¢e…donti: / ¥mmej dł brotoˆ o†de, brotoÝj brotoˆ ¢e…dwmen (1–4).

151 111–113.

Page 40: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

82 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

der Hymne und des Prosaenkomions.152 Während es ausgezeichnete Analysen zu diesem Aspekt der Idylle des Theokrit gibt, ist diese Frage im Falle des Calpurnius nicht angesprochen worden, obwohl es zahlreiche Parallelen zu einzelnen Motiven des Wettgesangs zu finden sind, nicht nur in der augusteischen Dichtung, sondern auch in den vorbildlich verfassten Reden der Panegyrici Latini.

Die zwei auf die Invokation folgenden Strophen – von denen nur Corydons in den Handschriften überliefert wurde – berufen sich, auf die zweite Ekloge Vergils und die thematisch ähnliche Ode von Horaz verweisend darauf, dass auch Iuppiter und Apollo der Hirtenwelt eng verbunden sind, so dass auch der Kaiser die bukolischen Lieder nicht verachten soll:

ipse polos etiam qui temperat igne geluque, Iuppiter ipse parens, cui tu iam proximus, ecce, Caesar, abes, posito paulisper fulmine saepe Cresia rura petit viridique reclinis in antro carmina Dictaeis audit Curetica silvis. (92–96)153

Die betonte Präsenz des Iuppiter neben Apollo ist eine Verschiebung im Ver-gleich zu der sich in der ersten Ekloge widerspiegelnden kaiserlichen Propaganda. Wie schon erwähnt konzentrierte sich die kaiserliche Propaganda im letzten Drittel der Herrschaft des Augustus zunehmend auf Iuppiter Stator. Davon zeugen nicht nur die Oden des Horaz vom Anfang der 20er Jahre; hier soll lediglich darauf hingewie-sen werden, dass der zeitgenössische Philippos Augustus in einem Epigramm ZeÝj A„ne£dhj nennt.154 Seit Augustus war die Figur des Hauptgottes in der kaiserlichen Ideologie – abgesehen von der kurzen Herrschaft des Caligula – ziemlich stark in den Hintergrund gerückt, unter Nero nahm aber seine Bedeutung allmählich zu. Er erschien in der Ideologie zunehmend als die unmittelbare Quelle der kaiserlichen Macht und sein Kult erreichte seinen Höhepunkt in den letzten Jahren seiner Herr-schaft.155 Die gegen 55–56 geschriebene Ekloge des Calpurnius scheint also den An-fang dieses Prozesses zu markieren. Und da der junge Princeps in der Apocolocynto-sis das Ebenbild Apollos ist, lässt sich die Annahme von L. Castagna kaum aufrecht erhalten, dass die zwei, prinzipiell gegensätzlichen Herrscherbilder darauf zurückzu-führen seien, dass die Ekloge eigentlich zwei Adressaten habe und Calpurnius mit den Hinweisen auf Apollo Nero schmeicheln und durch die Nebenstellung von Iuppi-ter dem Herrscherideal von Seneca entsprechen wollte.156 Die Wirkung von De cle-mentia ist jedoch wahrscheinlich: Mit der Figur des Iuppiter verbindet sich die Beto-nung der Teilhabe an der göttlichen Macht, der inneren Beziehung zwischen der

152 „A hybrid of rhetorical prose encomium and Homeric hymn.“ GRIFFITHS, F.: Theocritus at

Court [Mnemosyne Suppl. 55]. Leiden 1970, 71. 153 Vgl. Hor. carm. III 4. 37–40: Vos Caesarem altum, militia simul / fessas cohortes abdidit oppi-

dis / finire quaerentem labores / Pierio recreatis antro. 154 Am bekanntesten ist vielleicht die Ode III 5, die auf 27–26 datiert werden kann. Das Epi-

gramm des Philippos: AP IX 307. The Garland of Philip and Some Contemporary Epigrams. Ed. by A. S. F. GOW & D. L. PAGE. Cambridge 1968, I 310.

155 Siehe J. R. FEARS: Jupiter and Roman Imperial Ideology. ANRW II. 17. 1, 70 ff. 156 CASTAGNA (Anm. 3) 169.

Page 41: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 83

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Gottheit und des von ihr erkorenen Herrschers, zwischen dem Herrscher und seinem Volk, der aus der stoischen politischen Philosophie stammenden koinwn…a; aus ei-nem Brief von Horaz wissen wir, dass dies bereits in den Augustus lobenden Panegy-riken als übliche Wendung galt:

Scilicet omnis enim tellus, gens omnis adorat, diligiturque deis … (107–108)

Vgl. Horaz:

„Tene magis salvum populus velit an populum tu servet in ambiguo qui consulit et tibi et urbi Iuppiter.” – Augusti laudes agnoscere possis; (I 16. 27–29)157

Aus dem Ideal der koinwn…a folgt, dass Nero in Corydons Lied der von der himmlischen Macht erwählte Sterbliche ist, der die Götter auf Erden verkörpern soll, wie das auch von Seneca in De clementia formuliert wird: Egone ex omnibus morta-libus placui electusque sum, qui in terris deorum vice fungerer? (I 2).158 Auf dieses Ideal weist Corydons – mit einem Akrostichon geschmückte – Stoßgebet am Schluss des Wettgesanges hin.159 Dies versucht Amyntas zu überbieten indem er Nero nicht nur als den Iuppiter imitierenden Sterblichen anredet, der aus dem Himmel herunter-gestiegen ist und eines Tages zu den Göttern zurückkehren wird,160 sondern beteuert, dass sich in der menschlichen Gestalt Neros Iuppiter selbst versteckt. So verweist auch die Anrede pater auf den in der Invokation erwähnten Vater der Götter und der Menschen (Iuppiter parens, 93) zurück:

C. Di, precor, hunc iuvenem, quem vos – neque fallor – ab ipso aethere misistis, post longa reducite vitae tempora vel potius mortale resolvite pensum et date perpetuo caelestia fila metallo:

157 Nach Porphyrio sind diese Zeilen notissimo ex panegyrico Augusti. Das Ideal der koinwn…a

wird von E. DOBLHOFER folgenderweise charakterisiert: „Augustus herrscht und erlöst Kraft der Macht und des Schutzes, den ihm der höchste Gott verleiht, und erst diese Schutzherrschaft, die Iuppiter über ihn und sein Volk zugleich ausübt, bekleidet den Herrscher mit jener religiöser Weihe, die seine Herr-schaft im Herzen seines Volkes verankert. (…) Horazens Augustusgedichte preisen (…) einen Herrscher, der im eigentlichen Sinne des Wortes ‘von Gottes Gnaden’ ist.“ Die Augustuspanegyrik des Horaz in formalhistorischer Sicht. Heidelberg 1966, 62.

158 Wie auch Germanicus im Proömium der Astronomica, siehe MONTANARI CALDINI (Anm. 149) 109. Derselbe Gedanke hallt auch im Panegyricus von Plinius wider: non enim occulta potestate fatorum, sed ab Iove ipso coram ac palam repertus, electus est; quippe inter aras et altaria eodemque loco, quem deus ille tam manifestus ac praesens quam caelum ac sidera insedit. I 5.

159 Früher war die Meinung verbreitet, dass der Gebrauch des Akrostichons in der klassischen Pe-riode der römischen Literatur stark in den Hintergrund gedrängt wurde, neulich hat G. DAUSCHEN jedoch genau das Gegenteil bewiesen, ohne auf diesen Fall bei Calpurnius hinzuweisen: Das lateinische Akrosti-chon. Neue Funde bei Ovid sowie Vergil, Grattius, Manilius und Silius Italicus. Philologus 148 (2004) 88.

160 Vgl. Cicero, De re publica XIII: nihil est enim illi principi deo, qui omnem mundum regit, quod quidem in terris fiat, acceptius, quam concilia coetusque hominum iure sociati, quae civitates appel-lantur; harum rectores et conservatores hinc profecti huc revertuntur. Manilius I 799–800: descendit caelo caelumque replebit / quod regit, Augustus.

Page 42: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

84 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

sit deus et nolit pensare palatia caelo. A. Tu quoque mutata seu Iuppiter ipse figura, Caesar, ades seu quis superum sub imagine falsa mortalique lates – es enim deus –, hunc, precor, orbem hos, precor, aeternus populos rege! Sit tibi caeli vilis amor, coeptamque, pater, ne desere pacem! (137–146)

Die in die Mitte der letzten Zeile des Wettgesanges gestellte Anrede pater galt wahrscheinlich auch deswegen als wirkungsvolle Schmeichelei, weil Nero diesen Titel am ersten Tag seiner Herrschaft mit gut kalkulierter Bescheidenheit wegen seines jungen Alters zurückgewiesen hat, ihn aber im Jahre 56, als er ihm zum zwei-ten Mal angeboten wurde, glücklich annahm.161 Der Titel pater patriae betonte einer-seits die Kontinuität der alten republikanischen Traditionen und war ein ständiges Element der dem Kaiser gewidmeten Panegyriken,162 andererseits wurde er schon früh Bestandteil des Topos der Gegenüberstellung von tyrannus und rex: In diesem Sinne kommt er schon bei Cicero vor und in diesem Sinne verwendet ihn auch Se-neca in De clementia bei der Schaffung seines absolutistischen Herrscherideals.163 Wegen der universalen Herrschaft des Kaisers kam diesem alten politischen Begriff eine kosmische Geltung zu: Bezeichnend ist, dass ihn die Griechen als mit dem Aus-druck ZeÝj patrùoj gleichwertig betrachteten.164

Der Wettgesang endet also mit dem in Panegyriken obligatorischen Wunsch nach der langen, sogar ewigen Herrschaft des Kaisers. Nicht zufällig erwähnt Calpur-nius in dieser vom Akrostichon umrahmten Strophe den goldenen Faden des Lebens von Nero. Damit erweist er nicht nur der Person Neros, sondern auch dem literari-schen Werk von Seneca seine Ehrerbietung, denn er weist auf die Szene der Apoco-locyntosis hin, in der Apollo selbst die Parzen ermutigt und ihre Aufmerksamkeit mit seinem Lied ablenkt, damit sie den Faden des Lebens von Nero viel länger als ge-wöhnlich spinnen:

161 Suetonius, Nero VIII. Über den Titel parens publicus siehe SCHRÖDER (Anm. 2) ad loc.,

SMALLWOOD, E.: Documents Illustrating the Principates of Gaius, Claudius and Nero. Cambridge 1967, 17. Vgl. die ähnliche Schmeichelei bei Ovid: sancte pater patriae, tibi plebs, tibi curia nomen / hoc dedit, hoc dedimus nos tibi nomen eques, / res tamen ante dedit. Fasti II 127–129.

162 Plinius, Panegyricus II 3: nusquam ut deo, nusquam ut numini blandiamur: non enim de tyran-no, sed de cive, non de domino, sed de parente loquimur.

163 hic est enim dominus populi quam Graeci tyrannum vocant; nam regem illum volunt esse, qui consulit ut parens populo. De re publica I 64. adpellavimus patrem patriae … ut sciret datam sibi potes-tatem patriam, quae est temperantissima liberis consulens suaque post illos reponens. De clementia I 14. Wie A. LA PENNA schreibt: „Benché la serie dei padri della patria si facesse incominciare da Romolo, il titolo non aveva di per sé un colorito monarchico e indicava, tutt’al più, l’aspetto paternalistico della monarchia contrapposto a quello tirannico.“ Orazio e l’ideologia del principato. Torino 1963, 86.

164 „In absoluter Ausschließlichkeit auf den regierenden Augustus verwendet, umschrieb er dessen monarchische Position in einer Weise, die dem römische Empfinden entgegenkam, die aber als pater or-bis, parens orbis, magnus parens mundi aufgefaßt, die Vaterschaft des Herrschers in kosmische Dimen-sionen erweiterte, auch an den Vaternamen der Stadtgründer-Heroen anklang, und von den Griechen einfach als ZeÝj patrùoj verstanden wurde.“ ALFÖLDI, A.: Die monarchische Repräsentation im römi-schen Kaiserreiche. Darmstadt 1970, 205.

Page 43: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 85

Acta Ant. Hung. 47, 2007

mirantur pensa sorores: mutatur vilis pretioso lana metallo, aurea formoso descendunt saecula filo. (…) dumque nimis citharam fraternaque carmina laudant, plus solito nevere manus humanaque fata laudatum transcendit opus. ‚ne demite, Parcae‘, Phoebus ait, ‚vincat mortalis tempora vitae.‘ (IV 7–21)

Das Stoßgebet ruft aber sicherlich auch einen anderen Text wach, nämlich den Schluss des vor die Oden gestellten Gedichts von Horaz, das ähnlich wie bei Calpur-nius die traditionellen Wendungen des Gebets und der hellenistischen Hofdichtung heranzieht und die Figur des zwischen der göttlichen und der menschlichen Welt ver-mittelnden Octavian nachzeichnet; Calpurnius verwendet fast alle Motive dieses Gebets:

sive mutata iuvenem figura ales in terris imitaris, almae filius Maiae, patiens vocari Caesaris ultor:

serus in caelum redeas diuque laetus intersis populo Quirini, neve te nostris vitiis iniquum ocior aura

tollat; hic magnos potius triumphos, hic ames dici pater atque princeps… (I 2. 41–50)

Bei Horaz aber auch bei Ovid, der im Stoßgebet im fünfzehnten Buch der Metamorphoses ähnliche Formeln verwendet,165 fehlt jedoch die Betonung dessen, dass die Apotheose mit der Ewigkeit des Herrschers zusammenhängt. Die östlich-hellenistische Idee der mit Aion identifizierten Aeternitas erschien zwar in der Dich-tung bereits in den späten Jahren des Augustus,166 wurde aber erst in der neronischen Zeit zum organischen Bestandteil des Herrscherkultes und erst ab Ende des 1. Jahr-hunderts allgemein verbreitet.167 Der junge Kaiser veranstaltete Festspiele pro aeter-nitate imperii,168 im Jahre 55 brachten die Gesandten aus Rhodos im Tempel des

165 tarda sit illa dies et nostro serior aevo, / quae caput Augustum, quem temperat, orbe relicto /

accedat caelo faveatque precantibus absens. (868–870) Zum Gebrauch der Gebetsformel siehe Corpus de prières grecques et romaines. Textes réunis, traduits et commentés par F. CHAPOT et B. LAUROT. Brepols 2001, 321.

166 nunc tua pro lassis nitatur gratia rebus / principis aeterni quam tibi praestat amor. Ex Ponto II 2. 49–50.

167 Siehe dazu GRADEL, I.: Emperor Worship and Roman Religion. Oxford 2002, 305 ff., R. MELLOR datiert die Erscheinung des persönlichen Bezugs der aeternitas in die Zeit des Domitian: „by Domitian even Latin phrases (aeternitas Augusti) convey a sense of personal eternity, and the person of the emperor assures the eternal duration of the entire Empire.“ The Goddess Rome. ANRW II 17. 2, 1021.

168 ludis, quos pro aeternitate imperii susceptos appellari maximos voluit… Suetonius XI. 2. Øpłr dł d¾ tÁj swthr…aj tÁj te diamonÁj toà kr£touj aÙtoà (oÛtw g¦r pou prošgrayen) ¢gîna pentaethrikÕn katest»sato, Nerèneia aÙtÕn Ñnom£saj. Cassius Dio LXI 21. 1.

Page 44: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

86 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Iuppiter ein Opfer für den diamon» des Herrschers dar und als er aus Hellas zurück-kehrte, wurde er während der acclamatio unter anderen mit dem Ruf eŒj ¢p' ¢iînoj begrüßt.169 Durch Allusionen auf thematisch ähnliche Werke von Seneca, Ovid und Horaz verband also Calpurnius die Person von Nero wiederum mit Augustus; zu-gleich gestaltete er die auf den Epilog bezogene Vorschrift der panegyrischen Reden in Form eines Gedichtes und aktualisierte sie durch die Verwendung der neuen Ele-mente des Kaiserkults:

™pˆ toÚtoij eÙc¾n ™re‹j a„tîn par¦ qeoà e„j m»kiston crÒnon proelqe‹n t¾n basile…an, diadoqÁnai e„j pa‹daj, paradoqÁnai tù gšnei. (Menandros Rhetor, II 377)170

Das erzählende Teil des Wettgesanges basiert auf der Entwicklung eines einzi-gen Klischees der Begrüßungsreden an den Herrscher, der Epiphanie oder des adven-tus.171 Auch in diesem Fall hat Calpurnius mit Fingerspitzengefühl einen hervorragend in die bukolische Dichtung passenden Topos ausgewählt. Das Motiv des adventus ist auch in der augusteischen Dichtung häufig vorzufinden: In einer bukolisch ange-hauchten Ode des Horaz (III 18) schafft die Ankunft des durch das Gebet des vates aufgerufenen Faunus die goldene Harmonie des Dorffestes; ähnlich blühen die Pflan-zen der Haine beim Advent des Phyllis (Phyllidis adventu, 59) in der siebten Ekloge Vergils auf und die trockenen Wiesen werden durch einen reichlichen Schauer er-frischt. In den den Kaiser feiernden Panegyriken – so auch in der sechzehnten Idylle des Theokrit – verbindet sich dies mit der uralten Idee, dass die Blüte des Staates, die Fruchtbarkeit der Erde und der Tiere, sogar das günstige Wetter von der hervorragen-den Person des Königs und seiner gerechten Herrschaft abhängt:172 Darauf weisen die bei den Dichtern der flavischen Zeit immer wieder auftauchenden Floskeln (re-rum certa salus, rerum felix tutela salusque, rerum prima salus et una) hin,173 und sogar das Rhetorenhandbuch des Menandros empfiehlt die Schilderung dieses Zu-sammenhangs:

t… dł me‹zon a„te‹n par¦ tîn qeîn À basilša sèzesqai; Ômbroi g¦r kat¦ kairÕn kaˆ qal£sshj foraˆ kaˆ karpîn eÙfor…ai di¦ t¾n basilšwj dikaiosÚnhn ¹m‹n eÙtucoàntai: (II 377)174

169 Cassius Dio LXIII 20. 5. Die Inskription wird von BRACHER (Anm. 112) 327 zitiert. 170 Die maßgebende Ausgabe des Menandros: Menander Rhetor. Ed. with a Commentary by

D. A. RUSSEL and N. G. WILSON. Oxford 1981. 171 Der – vor allem spätantiken – Ideologie, den Ritualen und literarischen Denkmälern des ad-

ventus widmete P. DUFRAIGNE eine sehr gründliche Monographie: Adventus Augusti, adventus Christi. Recherches sur l’exploitation idéologique et littéraire d’un cérémonial dans l’antiquité tardive. Paris 1994.

172 Wie J. GRIFFIN über die Blüte bringende Herrschaft des Augustus in Horazens Ode IV 15 fest-hält: „At the level of common sense, that meant that it had brought the peace which allowed agriculture to flourish again, but perhaps it is right to hear an echo of more magical, or more religious, beliefs: that with a righteous ruler the earth is more fertile.“ Look Your Last on Lyric: Horace, Odes 4. 15. In Clas-sics in Progress. Essays on Ancient Greece and Rome. Ed. by T. P. WISEMAN. Oxford 2002, 325.

173 Martialis II 91. 1, V 1. 7, VIII 66. 6. 174 Das 1779 von Sigmund von Birken in Nürnberg herausgegebene Lehrbuch zeigt das zähe Fort-

leben dieses rhetorischen Topos: „Wann man von hohen Personen redet / so erwehnet man / wie unter

Page 45: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 87

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Von Tacitus wissen wir, dass in diesem Geiste verfasste Reden bei den Feier-lichkeiten der Neronia vorgetragen wurden: Die Rhetoren priesen die beispiellose, wunderbare Fruchtbarkeit der Erde mit großer Beredsamkeit und nicht weniger Schmeichelei (summa facundia nec minore adulatione).175 Diese Reden waren sicher-lich nicht allzu unterschiedlich von den am Ende des 3. Jahrhunderts von Mamer-tinus vorbildlich nach den Vorschriften der Lehrbücher verfassten: Die erste Rede feiert die Herrschaft von Diocletian und Maximianus, die zweite wurde zum Geburts-tag des Maximianus geschrieben:

Ita, quamvis maiestatem regiam geminato numine augeatis, utilita-tem imperii singularis consentiendo retinetis. Quare, si non frustra Graeci poetae hominibus iustitiam colentibus repromittunt binos gregum fetus et duplices arborum fructus, nunc omnia gentibus uni-versis gemina debentur, quarum vos domini tam sancte iustitiam et concordiam colitis. (X 11. 3)

Ut vero lucem gentibus extulistis, exinde salutares spiritus iugiter manant. Nullus ager fallit agricolam, nisi quod spem ubertate supe-rat. Hominum aetates et numerus augetur. Rumpunt horrea condi-tae messes et tamen cultura duplicatur. Ubi silvae fuere, iam seges est: metendo et vindemiando deficimus. (XI 15. 3–4)176

Bei Calpurnius fängt das erzählende Teil damit an, dass sowohl Iuppiter als auch Apollo gerne die erfrischende Welt der Hirten besuchen, darauf folgt die Beschreibung des sich in der Phantasie der beiden Hirten abspielenden adventus des Kaisers. Wie die Rede von Mamertinus, so stellt auch der Gesang des Amyntas die der Ankunft des Gottes (des in der siebten Ekloge schon erwähnten pastoralis Apol-lo) entspringende Fülle, den goldenen Reichtum, die märchenhafte Fruchtbarkeit der Herde dar:

Aspicis ut teneros subitus vigor excitet agnos? utque superfuso magis ubera lacte graventur et nuper tonsis exundent vellera fetis? hoc ego iam, memini, semel hac in valle notavi, et venisse Palen pecoris dixisse magistros. (102–106)177

———— ihrem Schutz der Feldman in Sicherheit und Segen lebe / fröhlich weide und auf seiner Schalmei spiele: und wird hierauf Heil gewünschet / und abgeredet / wie man sie / zum Dank / vor der Heerde und den Feldfrüchten / wieder beschenken wolle.“ Teutsche Rede-bind und Dichtkunst. Zitiert in C. WIEDEMANN: Heroisch – Schäferisch – Geistlich. Zu einem möglichen Systemzusammenhang barocker Rollenhaltung. In Schäferdichtung. Hrsg. von W. VOSSKAMP. Hamburg 1977, 96.

175 Annales XVI 2. 176 Zu den Reden des Mamertinus siehe PORTMANN, W.: Geschichte in der spätantiken Panegy-

rik. Frankfurt am Main 1988, sowie neulich REES, R.: Layers of Loyalty in Latin Panegyric AD 289–307. Oxford 2002, 65 ff.

177 Vgl. den religiös angehauchten Wettgesang der vierten Ekloge des Eobanus Hessus: Tityrus: O pia caelesti virgo praelata coronae! / huc ades et nostrum fecunda floribus arvum! / omnia namque potes nati pietate volentis / omnia te propter, miseris quaecumque vagaris. / eia age, sic numquam te fis-

Page 46: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

88 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Apollo tritt hier also im Gegensatz zur ersten Ekloge nicht als Sonnengott auf, sondern als Hüter der Hirtenwelt und der Herde, als Gott des goldenen Überflusses. An dieser Stelle ist die Wirkung des Apollo-Hymnus des Kallimachos offenbar;178 umso mehr als Apollo zwar in der Mythologie oft als Hirt vorkommt, die Schilde-rung seines den Zuwachs vermehrenden, Blüte und Fülle bringenden Aspekts (NÒ-mioj, Po…mnioj) ist jedoch in der griechisch-römischen Literatur relativ selten, ob-wohl auch Vergil im Proömium des dritten Buches der Georgica darauf hinweist:179

`Re‹a ke boubÒisin telšqoi plšon, oÙdš ken aŁgej deÚointo brefšwn ™pimhl£dej Îsin 'ApÒllwn boskomšnhs' ÑfqalmÕn ™p»gagen: oÙd' ¢g£laktej o‡iej oÙd' ¥kuqoi, p©sai dš ken eŁen Ûparnoi: ¹ dš ke mounotÒkoj didumhtÒkoj aŁya gšnoito. (II 50–54)

In der nächsten Strophe wächst nicht nur die früher sehr schwache Saat dank der segensreichen Gegenwart des numen wunderbar zu.180 Auch kommt ein uraltes, die vierte und vor allem die fünfte Ekloge Vergils wachrufendes Element der Erzählun-gen über das goldene Zeitalter vor: der vollkommene Schwund des giftigen Unkrauts:

Illius ut primum senserunt numina terrae, coepit et uberior, sulcis fallentibus olim, luxuriare seges tandemque legumina plenis vix resonant siliquis; nec praefocata malignum messis habet lolium nec inertibus albet avenis. (112–116)181

———— tula nostra silebit. Battus: O pie rex, solo qui dirigis omnia nutu! / huc ades et nostri custodi saepta pe-culi, / ne lupus et rapidi turbent armenta latrones! / omnia namque potes propria virtute facisque / solus et auxilio tua vis non indiget ullo! (102–111).

178 Zur Wirkung des Kallimachos siehe HUBAUX, J.: Les thèmes bucoliques dans la poésie latine [Mémoires de l’Académie Royal Belgique XXIX]. Brüssel 1930, 200, obwohl er die Wirkung einiger-maßen überschätzt: so z.B. im Falle des Zeus-Hymnus; er leitet sogar den Namen des Astacus in der zweiten Ekloge vom Epigramm XXII des Kallimachos her.

179 Te quoque, magna Pales, et te memorande canemus / pastor ab Amphryso, vos, silvae amnes-que Lycaei. (1–2). Zur Betonung des Hirtentums des Apollo im Hymnus des Kallimachos siehe DEPEW, M.: Mimesis and Aetology in Callimachus’ Hymns. In Callimachus. Ed. by M. A. HARDER – R. F. REG-TUIT – G. C. WAKKER [Hellenistica Groningiana 1]. Groningen 1993, 45. Über die Blüte bringenden Rol-le des Herrschers siehe VIGOURT, A.: Les présages impériaux d’Auguste à Domitien. Paris 2001, beson-ders das Kapitel La prospérité: 281 ff.

180 All das bedeutet nicht, dass Nero als wirklicher, lebender Gott erscheint; auch für diese Be-schreibung gilt die Feststellung von W. PÖTSCHER: „Es ist richtig, daß sich zumindest vorerst die leben-den Kaiser als Menschen und nicht als Götter verstanden haben, aber ein numen zu haben, bedeutet ja eben noch nicht, ein numen zu sein.“ Numen und numen Augusti. ANRW II 16. 1, 391.

181 Vgl. die sechste Ekloge des Naldo Naldi, die das goldene Zeitalter von Lorenzo de’ Medici be-singt: Alpheus: Tu bone Tyrrhenos saltus silvasque tueris, / per te maturis flavescit campus aristis, / Liber et ipse pater tibi se debere fatetur, / plurima quod per te turgescat vitibus uva. Corydon: Hoc duce pastores audent per prata iuvencos ducere securi pastum simasque capellas; / nec pecori insidiasque graves lupus ipse parabit / amplius, iste deus quoniam bonus otia curat. (99–107) Es ist anzumerken, dass Naldi elf Eklogen verfasst hat; sein Vorbild war offenbar die zusammen tradierte Sammlung von Cal-purnius und Nemesian. Naldi Naldii Florentini Bucolica Volaterrais Hastiludium Carmina Varia. Ed. W. L. GRANT, Florentiae MCMLXXIV.

Page 47: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 89

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Die Allusion auf das Daphnis beweinende Lied des Mopsus ist in der fünften Ekloge Vergils klar zu sehen: Als der Hirtenheld stirbt, verlassen auch Pales und Apollo die Erde, und statt der gesäten Gerste wächst, wie bei Calpurnius, wilder und unfruchtbarer Hafer in den Furchen:

postquam te fata tulerunt, ipsa Pales agros atque ipse reliquit Apollo, grandia saepe quibus mandavimus hordea sulcis, infelix lolium et steriles nascuntur avenae. (34–37)

Da Daphnis allgemein mit Iulius Caesar identifiziert wurde, liegt es auf der Hand, dass es sich hier um die Palinodie dieses Trauerliedes handelt: In Nero ist der Gründer der Dynastie wiedergeboren. Andererseits dient die Allusion auch dazu, die historische Person des Kaisers durch Verweise auf mythische Figuren der märchen-haften Welt der Bukolik anzupassen: Daphnis selbst ist zu den Hirten gekommen, Apollo selbst ist auf die Erde zurückgekehrt. Wie in der ersten Ekloge, so ist die Dar-stellungsweise auch hier absolut unpersönlich, der Princeps als praesens deus ver-schwindet hinter den aufgerufenen Helden der Mythologie, sein göttliches Wesen manifestiert sich nur in seinen Wirkungen, in dieser Form ist er aber allgegenwärtig und gestaltet die ganze Welt um. Das alles waren übliche Verfahren sowohl in der Redekunst,182 als auch in der Hofdichtung, ein gutes Beispiel dafür ist Theokrits Ge-dicht über Hieron oder Horazens Ode Divis orte bonis… (IV 5).

In Corydons Gesang wird die Epiphanie zuerst von der Verstummung der vom göttlichen numen bezauberten Natur signalisiert:

Aspicis ut virides audito Caesare silvae conticeant? Memini, quamvis urgente procella sic nemus immotis subito requiescere ramis, et dixi: „Deus hinc, certe deus expulit Euros.“ Nec mora, Pharsaliae solverunt sibila cannae. (97–101)183

Die Beruhigung der Winde erscheint als allgemeines Begleitphänomen der göttlichen Offenbarung in den östlichen wie in den westlichen Literaturen, und wie R. Verdière festgestellt hat, bedeutete sie bezogen auf den als soter erwarteten Herr-scher auch die Beendigung der politischen Stürme, des Bürgerkrieges (tempestas,

182 So in der Rede des Mamertinus: neque enim pars ulla terrarum maiestatis vestrae praesentia

caret, etiam cum ipsi abesse videamini. XI 13. 5. 183 Die Epiphanie-Szene der siebzehnten Ekloge von Baïf folgt Calpurnius fast wörtlich: Au nom

de Charles ouy / voyez, voyez, comment tout s’en est éjouy. / La venteuse forest sans bransler se tient coye, / la fleuve arresté court plus lentement ondoyé (149–142). Sannazaro verkehrt aber bei der Beschrei-bung des tobenden Sturms auf dem Meer genau diese Strophe von Calpurnius ins Gegenteil: Aspicis iratae feriant ut saxa procellae, / ut validis imae Coris turbentur harenae? / Iam scopulis furit unda, tremit iam terra tumultu / fallor, an haec ipsa est Nisae indignantis imago? (III 58–61) Interessanter-weise begegnet eine ähnlich unheilverkündende Paraphrase im zehnten Buch der Arcadia: Non vedete la luna ineclissata? / La fera stella armata di Orïone? / Mutata è la stagione e ’l tempo è duro e già s’attuf-fa Arcturo in mezzo l’onde / e van per l’aria i venti mormorando, né so pur come o quando torne estate (83–89).

Page 48: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

90 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

turbido).184 Im Weiteren wärmt sich die unfruchtbare (iners) Erde auf und fängt an zu blühen, die bezauberten Bäume knospen, bekommen wieder Laub und duften. Ähnlich wie der endlose Sommer in der ersten Ekloge kippt die natürliche Ordnung der Jahreszeiten auch hier und das vom Mythos der goldenen Zeit untrennbare Bild des ewigen Frühlings185 wird lebendig:

quem sic taciturna verentur arbuta, cuius iners audito nomine tellus incaluit floremque dedit, cui silva vocato densat odore comas, stupefacta regerminat arbos. (108–111)186

Wiederum finden sich schöne Parallelen in den Reden des Mamertinus: Als sich Maximianus im Winter 287 gegen den nach Britannien fliehenden rebellischen Carausius an den Ufern von Gallien rüstet, kehrt der Frühling wegen der göttlichen Anwesenheit sogar im düsteren Norden ein, und wie bei Calpurnius, so steht auch hier der gewöhnliche Terminus für die Erfahrung des Göttlichen, das Verb sentio:

Hiems ipsa temperiem veris imitata est. Iam non septentrioni nos putavimus subiacere, sed quasi translatis sideribus aut terris meri-diani caeli clementiam sensimus. (X 12. 4)187

Ähnlicherweise werden die vom Schnee und Frost versperrten Straßen dank der Kraft der göttlichen maiestas vom Frühlingshauch und von den durch die sich auf-lösenden Wolken brechenden Sonnenstrahlen freigemacht als die zwei Kaiser auf ihrem Weg zurück nach Italien die Alpen überqueren, und bei ihrer Ankunft breitet sich ein strahlender Glanz über ganz Italien aus, als wären die Götter selbst vom Himmel gestiegen:

Adeo, ut res est, adversus inclementiam locorum ac siderum vestrae vos maiestatis potentia tuebatur et ceteris hominibus atque regioni-bus vi frigorum adstrictis et oppressis vos solos aurae lenes verni-que flatus et diductis nubibus ad itinera vestra solis radii sequeban-tur (XI 9. 2). ut primum ex utrisque Alpium iugis vestrum numen affulsit, tota Italia clarior lux diffusa est, omnibus qui suspexerant aeque admiratio atque dubitatio iniecta est quinam dei illis monti-bus orirentur, an his gradibus in terras caelo descenderent (10. 4).

184 VERDIÈRE, R.: Sur un point de messianisme dans les Synoptiques et chez Calpurnius. Revue de

l’Université de Bruxelles 9 (1956) 40. 185 Siehe dazu REYNEN, H.: Ewiger Frühling und goldene Zeit. Hermes 72 (1965) 415. 186 Vgl. Boccaccio XIV 33–39: Sic natura vices variat, noctemque diemque / explicuit mixtos ter-

ris; nec lumina Phebe / nec solis radios cerno! Non sentis odores / insolitos silvis, nemus hoc si forte sa-beum / fecisset natura parens? Quos inde recentes / nox peperit flores? quos insuper audio cantus? / Hec superos ambire locos et pascua signant. Ähnlicherweise ist der goldene Pomp in der dritten Ekloge des Lotichius Secundus auch eine Folge der Epiphanie: O decus, o requies adflictis unica rebus! / Ecce tibi ad patrii vada fluminis aurea surgunt / citria, odoratis pendent mala aurea ramis. / Ecce tibi roseis se Punica floribus arbor / induit, & virides densant umbracula lauri (64–68).

187 Das Verb sentio in einer ähnlichen Bedeutung: Tristia I 81: me quoque quae sensi, fateor Iovis arma timere; Martialis IX 61. 9: auctorem dominumque nemus sentire videtur.

Page 49: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 91

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Die Darstellung des Einzugs des Frühlings lässt sich wiederum auf ein uraltes Motiv zurückführen, das den Herrscher mit dem Sonnengott identifiziert. Das Sym-bol des Sonnenscheins ist obligatorischer Bestandteil der die segnende Tätigkeit des soter schildernden Beschreibungen: In seiner Ode Divis orte bonis… vergleicht Ho-raz das Gesicht des nach langer Abwesenheit heimkehrenden Augustus mit dem Glanz der erwärmenden Frühlingssonne.188 Jedoch wissen wir gerade von Horaz, der aus den Topoi der rhetorischen Handbücher wunderbare Gedichte gestalten konnte, wie abgedroschen dieser Vergleich bereits zu seiner Zeit war.189 Calpurnius wich diesen Stolpersteinen mit einer geglückten Lösung aus:190 Die Lichtsymbolik, der Frühlings-sonnenschein und die Blüte der Natur verbinden sich nicht, wie man erwarten würde, mit Apollo sondern mit Iuppiter, dem Gott des Wetters. Im Proömium der Georgica schreibt Vergil noch, dass man nicht wissen könne, die Rolle welches Gottes Augus-tus nach seinem Tod übernehmen möchte: Vielleicht wird er der Hüter der Städte oder der Meere, oder eher der Hüter der Erde, der Saat oder der Herr des Wetters.191 Nero ist aber bereits zu seinen Lebzeiten auctor frugum, potens tempestatum,192 und wie aus der siebten Ekloge hervorgeht, auch Herr der Städte. Zugleich ist er der Stif-ter des Friedens: Durch ihn sind die von Hirten bewohnten Berge ruhig, und wie die Beruhigung der Winde auch bei Calpurnius einen politischen Bezug hat – im Ein-klang mit dem Bürgerkrieg-Topos der ersten Ekloge –, so wird nicht nur in Zeile 101 (Pharsaliae solverunt sibila cannae), sondern auch in dieser Strophe betont: Es ist Iuppiter-Nero zu verdanken, dass die Stimme der Hirtenpfeifen nicht vom aufwüh-lenden (turbida!) Lärm der Kriegstrompeten verdrängt wird:

Ille meis pacem dat montibus, ecce per illum, seu cantare iuvat seu ter pede lenta ferire gramina, nullus obest: licet et cantare choreis et cantus viridante licet mihi condere libro, turbida nec calamos iam surdant classica nostros. (127–131)

188 lucem redde tuae, dux bone, patriae, / instar veris enim voltus ubi tuus / adfulsit populo, gra-

tior it dies / et soles melius nitent. IV 5 5–8. Vgl. die von Menandros vorgeschlagenen Floskeln: nàn ¹l…ou fîj faidrÒteron: nàn ésper œk tinoj zÒfou prosblšpein dokoàmen leuk¾n ¹mšran (381). Der gewöhnlichste Topos: EŁta ™p£xeij Óti ésper nuktÕj kaˆ zÒfou t¦ p£nta kateilhfÒtoj aÙtÕj kaq£per ¼lioj Ñfqeˆj p£nta ¢qÒowj t¦ duscerÁ dišlusaj (378).

189 Persius exponit causam; ridetur ab omni / conventu; laudat Brutum laudatque cohortem / so-lem Asiae Brutum appellat stellasque colubres / appellat comites. Sat. I 7. 22–24.

190 Wie auch Horaz in seiner Ode IV 5. die Verwendung solcher Gemeinplätze geschickt vermied, siehe G. PASQUALI: „Anche questo è un vecchio topos orientale, ma si osservi con quanta finezza il poeta evita di comparare direttamente il viso dell’amato sovrano con il sole. Non Augusto è il nuovo sole, ma il sole brilla più lucido, la luce del giorno è più cara agli uomini, quando Augusto è presente.“ Orazio liri-co. Firenze 1920, 195.

191 tuque adeo, quem mox quae sint habitura deorum / concilia incertum est, urbesne invisere, Caesar, / terrarumque velis curam, et te maximus orbis / auctorem frugum tempestatumque potentem / accipiat cingens materna tempora myrto… (I 24–28).

192 Nach CASTAGNA deutet schon die Beruhigung der Winde auf den Wettergott Iuppiter hin: „un dio atmosferico che sa frenare la procella già in corso e far tacere i venti.“ (Anm. 3) 165. Wir haben aber gesehen, dass dies ein allgemeines Motiv der Epiphanie-Beschreibungen war, obwohl sie offensicht-lich auch auf Iuppiter zutrifft.

Page 50: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

92 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Zur Figur des als Hirtengott auftretenden, die Tierzucht wunderbar aufleben lassenden Apollo passen die stark dionysischen Züge, die er auf sich nimmt:193 Seine Epiphanie wird vom festlichen Tanz der Völker der Wiesen und der Fröhlichkeit der Weinlese begleitet:

Ille dat ut primas Cereri dare cultor aristas possit et intacto Bromium perfundere vino, ut nudus ruptas saliat calcator in uvas utque bono plaudat paganica turba magistro qui facit egregios ad pervia compita ludos. (122–126)

Das erzählende Teil des Gesanges von Corydon wie auch von Amyntas endet also mit dem Lärm der sorgenlosen Fröhlichkeit des Volkes, des Dorffestes, wiede-rum den Vorschriften des Epilogs der Panegyriken entsprechend.194 Es lohnt sich je-doch, dieses Bild mit dem thematisch ähnlichen Schluss der zitierten Ode des Horaz zu vergleichen, wo – wie oft bei Vergil und Tibull, und besonders in den rein bukoli-schen Gedichten des Calpurnius – die stille Ruhe der goldenen italischen Landschaft, der abendliche Frieden dargestellt wird:

Condit quisque diem collibus in suis et vitem viduas ducit in arbores, hinc ad vina redit laetus et alteris te mensis adhibet deum.

Te multa prece, te prosequitur mero defuso pateris, et Laribus tuum miscet numen, uti Graecia Castoris et magni memor Herculis. (IV 5. 29–36)

Mit der ekstatischen, dionysischen Schilderung des Weinlesefests – die genaue Parallele zum öffnenden Bild der ersten Ekloge – wollte Calpurnius möglicherweise der in der Familie des Nero zäh fortlebenden, viele östliche Ideen aufweisenden antonianischen Tradition195 entsprechen, die während der Herrschaft des Princeps zunehmend in den Vordergrund trat: Das die Figur des Dionysos und des Apollo ver-einende numen mixtum wurde später zu einem der vorherrschenden Motive der Wand-malerei der Domus Aurea.196 Schon A. Deissmann hat darauf aufmerksam gemacht,

193 Der von Calpurnius dargestellte Apollo wird von E. CIZEK treffend charakterisiert: „un Phébus

irrationel et passioné, la divinité de l’enthousiasme sacré, bref un Apollo apparenté à Bacchus.“ L’époque de Néron et ses controverses idéologiques. Leiden 1973, 246.

194 So auch bei Mamertinus: ut vero propiusque coepti estis agnosci, omnes agri oppleti non ho-minibus modo ad visendum procurrentibus, sed etiam pecudum gregibus remota pascua et nemora lin-quentibus, concursare inter se agricolae, nuntiare totis visa, arae incendi, tura poni, vina libari, victimae caedi, cuncta gaudio calere, cuncta plausibus tripudiare, dis immortalibus laudes gratesque cantari, non opinione traditus, sed conspicuus et praesens Iuppiter cominus invocari, non advena, sed imperator Hercules adorari (XI 10. 5).

195 Siehe dazu CIZEK, E.: Néron. Paris 1982, 77 ff. 196 „ce ne sont pas les thèmes apolliniens qui dominent dans la décoration intérieure de la Domus

Aurea, mais les renvois au fils de Sémélé. L’héritage antonien aussi bien que la tradition mythique qui

Page 51: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 93

Acta Ant. Hung. 47, 2007

dass sich die Einbürgerung der soter-Idee und überhaupt von östlichen Elementen im offiziellen, institutionellen Herrscherkult unter Nero vollzieht: Dafür spricht unter anderen die Verbreitung des Titels swsikÒsmoj auf den Inskriptionen.197 Neulich hat O. Montevecchi die Namen der alexandrischen Bezirke (phyle) gründlich unter-sucht,198 die aus der neronischen Zeit stammen und je einem Schlüsselbegriff der offiziellen Ideologie entsprechen: Neben einigen typisch römischen Adjektiven (Fi-loklaÚdioj, AÙxim»twr) finden wir vorwiegend hellenistisch und ägyptisch inspi-rierte, die fast durchgehend mit den lobenden Motiven der ersten und vor allem der vierten Ekloge des Calpurnius übereinstimmen: Nero ist nicht nur der Wohltäter (eÙergšthj), sondern auch Quelle und Spender aller Güter (¢rc¾ p£ntwn ¢gaqîn, ¢gaqodÒthj), der Schutzgott des Universums (¢gaqÕj da…mwn tÁj o„koumšnhj), der Retter der Welt (swsikÒsmoj) und ihr Erneuerer (neokÒsmoj), der Hüter des Friedens (e„rhnofÚlax), der Stifter der reichlichen Ernte (eÙqhnodÒthj), der „Saat-Sprießer“ (aÙx…sporoj) und, wenn Montevecchis Deutung stimmt, sogar der Heber des Wasserspiegels des Nil (Neilanab£thj).

Mit dieser hellenistische und östliche panegyrische Topoi verwendenden Dar-stellung ist zu erklären, dass das Bild des goldenen Zeitalters in der ersten und vierten Ekloge so stark von dem der rein bukolischen Eklogen abweicht. Der augenfälligste Unterschied zwischen den Bildern des goldenen Zeitalters dieser beiden Gruppen von Gedichten ist nämlich, dass das automaton-Motiv in den rein bukolischen Ge-dichten fehlt, während es den Keim der Erzählung im Wettgesang der vierten Ekloge bildet, auf dem die ganze Darstellung der goldenen Zeit beruht. Dort ergibt sich der paradiesische Zustand aus den außerordentlichen Gegebenheiten des gesegneten Ita-liens, der Saturnia tellus und der Tätigkeit seiner von pietas erfüllten Bewohner, hier sind die Hirten aber bloß passive Betrachter des vom irdischen Ebenbild der Götter verwirklichten goldenen Zeitalters, das ihre Welt auf einmal aufblühen lässt, die aber mangels des – sich in ihrer Phantasie abspielenden – Wunders des adventus die Hei-mat der mühsamen Arbeit und der Armut ist. Deswegen lassen sich die – jeweils aus siebzig Zeilen bestehenden – Wettgesänge der die Arbeit der Menschen auf den Fel-dern darstellenden zweiten Ekloge bzw. der die von der Epiphanie des Herrschers geblendeten Hirten zu Wort kommen lassenden vierten Ekloge als Gegenbilder betrachten: Beide Gedichte beschreiben den beispiellosen Pomp und Reichtum der Pflanzen- und Tierwelt, aber dort schafft die die Natur veredelnde ars den unwahr-scheinlich paradiesischen Zustand, hier aber sind dieselben wunderbaren Natur-erscheinungen und die märchenhafte Fülle Auswirkungen des göttlichen numen. Die Landschaften der zweiten Ekloge sind von mit dem Lande, der Herde und dem Acker-

———— associait Dionysos à l’abondance paisible d’un âge d’or où les aliments jaillissent de la terre et où cou-laient le vin et le miel, les désignaient à la préférence du Prince.“ FABRE-SERRIS, J.: Mythologie et litté-rature à Rome. La réécriture des mythes aux I-ers siècles avant et après J.-C. Lausanne 1998, 143.

197 Wie DEISSMAN über den Terminus swsikÒsmoj schreibt: „…nicht eine vereinzelte adulatori-sche Verstiegenheit war, sondern auf kultische Institution hinweist.“ Licht vom Osten. Das neue Testa-ment und die neuentdeckten Texte der hellenistisch-römischen Welt. Vierte, völlig neubearbeitete Aufla-ge. Tübingen 1923, 311.

198 L’ascesa al trono di Nerone e le tribù alessandrine. In I canali della propaganda nel mondo antico. A cura di M. SORDI. Mailand 1976, 200.

Page 52: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

94 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

bau verbundenen halbgöttlichen Wesen bevölkert, in glücklicher Gemeinschaft mit den sie andächtig ehrenden Menschen; in der vierten Ekloge drängt der Kaiser alle anderen Götter in den Hintergrund, denn er verkörpert nicht nur die übermensch-lichen Eigenschaften des Iuppiter und des Apollo, sondern sogar die Wunderkraft des Pales. In der zweiten Ekloge schöpft die Dichtung ihren Gegenstand aus ihrer eige-nen Welt, die beiden Jugendlichen besingen in magisch wirkenden Gedichten ihre eigene Vortrefflichkeit und die Freude an der zufrieden stellenden Arbeit, in der vier-ten Ekloge kann der einzige Gegenstand der Dichtung der neue Gott sein, der es den Hirten überhaupt ermöglicht, sich anstelle der mühsamen Arbeit mit der Dichtung zu beschäftigen. In der zweiten Ekloge hört sich ein großes Publikum von Göttern und Menschen die Lieder der Jugendlichen atemlos an und ergötzt sich an der Schönheit der eigenen Welt, in der vierten Ekloge ist der Patron aus der Stadt der einzige Zuhö-rer beim Wettkampf, der den Hirtengesang wenig schätzt. In der zweiten Ekloge ist die Dichtung die Quelle des Genusses, in der vierten Ekloge ist sie das Mittel der Durch-setzung und des finanziellen Fortkommens. Die Welt der zweiten Ekloge ist vollkom-men in sich geschlossen, das harmonische Zusammenleben der Menschen und Götter wird durch keine äußere Kraft gestört und folglich ist die rusticitas positiv zu bewer-ten; die Welt der vierten Ekloge ist vom Raum der Geschichte, von der städtischen Zivilisation nicht getrennt, dementsprechend verfügt hier die rusticitas über einen ne-gativen Sinn.

Und gerade aus der Berührung mit der Zivilisation folgt, dass sich das im Wettgesang dargestellte goldene Zeitalter so grundsätzlich von den zur Zeit des Cal-purnius schon klassischen Beschreibungen unterscheidet, die sich auch aus dem Motiv des automaton entwickeln: In der vierten Ekloge Vergils wie in Ovids Metamorpho-ses begegnet der langsame Rückgang der Zivilisation bzw. ihre radikale Verneinung. In diesen Erzählungen ist die goldene Zeit identisch mit dem uralten, primitiven aber unschuldigen paradiesischen Zustand, und ihre Auflösung wird von den antiken Autoren konsequent auf dieselben Ursachen zurückgeführt: auf den Ackerbau, die Erschließung der Edelmetalle und den daraus resultierenden Handel bzw. die Kriege, sowie auf die Verbreitung des Luxus: Die Beschreibung der Metamorphoses ist ein klassisches Beispiel dafür.199 In der Darstellung des goldenen Zeitalters bei Calpur-nius finden sich jedoch all diese Verfallmotive: Am Anfang des Wettgesanges ruft Amyntas den neuen Gott in die bukolische Welt mit dem Hinweis, dass dort das Symbol des kriegerischen Ruhmes, der Lorbeer bereits sprosst:

in quibus augustos visuraque saepe triumphos laurus fructificat vicinaque nascitur arbos. (90–91)

Die Textstelle deutet klar auf die Szene der zweiten Ekloge Vergils hin, in der Corydon einen Strauß Wiesenblumen für den hübschen Alexis pflückt:

199 Nec tantum segetes alimentaque debita dives / poscebatur humus, sed itum est in viscera ter-

rae, / quasque recondiderat Stygiisque admoverat umbris, / effodiuntur opes, inritamenta malorum; / iam-que nocens ferrum ferroque nocentius aurum / prodierat: prodit bellum, quod pugnat utroque, sangui-neaque manu crepitantia concutit arma (137–143). Siehe dazu GATZ, B.: Weltalter, goldene Zeit und sinnverwandte Vorstellungen. Hildesheim 1967, 133.

Page 53: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 95

Acta Ant. Hung. 47, 2007

et vos, o lauri, carpam et te, proxima myrte, sic positae quoniam suavis miscetis odores. (54–55)

Die zahlreichen Parallelen beweisen, dass der Ausdruck vicina arbos bei Cal-purnius für die Myrte steht.200 Während dieser verbreitete alte Gemeinplatz anderswo keinen kriegerischen Bezug hat, verweist bei Calpurnius der Lorbeer auf den Sieges-zug und die vicina arbos auf die bei der ovatio verwendete Myrte.201 Die allegorische Interpretation von Vergil dürfte auch hier als Ausgangspunkt gedient haben, denn die Person des Alexis wurde von vielen als Hinweis auf Octavian interpretiert und folg-lich der ganzen Ekloge eine politische Aussage zugewiesen. Der plötzlich sprossende Lorbeer wurde auch zu einem häufig verwendeten Bestandteil des Herrscherlobs: In einem Epigramm des oben erwähnten Philippos treibt ein Lorbeerzweig auf dem Altar des Augustus aus einem Stein aus, weil Daphne endlich statt Apollo in der Per-son des Zeus, dem Nachkommen des Aeneas einen würdigen Gott gefunden hat.202 An sich passt der Lorbeer in die bukolische Welt, denn er ist eines der Attribute des Mars und nach der alten römischen Auffassung ist auch der Kriegsgott ein Hüter des Ackerbaus. Dementsprechend war der Lorbeer eine apotropäische Pflanze und er-scheint als solche auch auf dem Relief der Ara Pacis.203 Bei Calpurnius dominiert aber der Bezug auf den Krieg, und falls das Gedicht um 55 entstand, so verweist auch die Myrte an ein konkretes Ereignis: Im Februar 55 hat Gn. Domitius Corbulo die Parther aus Armenien verdrängt, und im Senat wurde für eine ovatio an Nero ab-gestimmt, denn er willigte, wie Tacitus sagt, in die Ernennung des Corbulo ein und ließ dadurch die alte römische Virtus zur Geltung kommen.204

Im Wettgesang gibt es einen anderen, dem bukolischen Ideal gleichermaßen fremden, dem Mythos der goldenen Zeit noch krasser widersprechenden historischen Hinweis: Unter Neros Herrschaft fängt trotz des automaton-Motivs der Ackerbau an zu blühen, aber die Begeisterung der früher fluchenden Bauer geht nicht aus ihrer Liebe zur Erde, aus den georgischen Tugenden hervor, sondern – dem dichterischen Eifer des Corydon ähnlich – aus der dem goldenen Zeitalter fremden Tugend der spes nummi:

200 Wie auch aus dem Kommentar von Servius hervorgeht: PROXIMA MYRTE vel vicina lauro,

vel ad odorem proxima; potest enim utrumqe intellegi. 201 Vgl. Plinius, Nat. Hist. XV 125: quoniam rem leniter sine cruore gesserat, myrto Veneris

victricis coronatus incessit. All das entspricht dem Hintergrund der für Nero abgestimmten ovatio: Im Februar 55 hat Corbulo die Parther bloß durch den Aufzug seiner Soldaten zur Kapitulation gebracht.

202 Fo‹bon ¢nhnamšnh D£fnh potł nàn ¢nšteilen / Ka…saroj ™k bwmoà klîna melampš-talon. / ™k dł qeoà qeÕn eáren ¢me…nona, Lhto…dhn g¦r / ™cq»sasa qšlei Z»na tÕn A„ne£dhn. / ·…zan d' oÙk ¢pÕ gÁj m»troj b£len ¢ll' ¢pÕ pštrhj: / Ka…sari m¾ t…ktein oÙdł l…qoj dÚnatai. AP IX 307, GOW-PAGE I 300. Eine ähnliche Geschichte wird auch von Suetonius über eine vor dem Haus des Kaisers aus den Steinen wachsende Palme erzählt: Divus Augustus, 82.

203 „This connection of the laurel with Mars in the relief involved more than the notion of success in war since its apotropaic association fit perfectly with longstanding tradition of Mars as protector of Roman agriculture.“ CASTRIOTA, D.: The Ara Pacis Augustae and the Imagery of Abundance in Later Greek and Early Roman Imperial Art. Princeton 1995, 159.

204 Annales XIII 8.

Page 54: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

96 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

Iam neque damnatos metuit iactare ligones fossor et invento, si fors dedit, utitur auro; nec timet, ut nuper, dum iugera versat arator, ne sonet offenso contraria vomere massa, iamque palam presso magis et magis instat aratro. (117–121)

Wahrscheinlich verweist hier Calpurnius auf ein von Nero verabschiedetes Ge-setz, das den Besitzer den auf seinem Landstück gefundenen Schatz behalten ließ.205 Die übertriebene Schmeichelei kehrt aber ins eigene Gegenteil um: Die Strophe ruft die ironischen Sätze der berühmten Satire des Horaz (Hoc erat in votis) wach, und wie wir gesehen haben, verweisen die ähnlichen Zeilen des Persius gleichzeitig auf Horaz und Calpurnius. Noch wichtiger ist, dass die Suche nach Schätzen vielleicht der wichtigste Topos des dem goldenen Zeitalter ein Ende setzenden Verfalls war und es ist kaum anzunehmen, dass Calpurnius die thematisch ähnlichen Stellen sei-nes Lieblingsautors außer Acht gelassen hätte. Unwahrscheinlich ist auch, dass diese Strophe die zeitgenössischen Leser nicht an die Gedichte von Ovid und Tibull erin-nert hätte, die die geldgierige Gegenwart mithilfe dieses Gemeinplatzes der Zufrie-denheit im goldenen Zeitalter gegenüberstellen. Das beste Beispiel dafür ist die Elegie im dritten Buch der Amores, die die alle anderen Werte in den Hintergrund drängen-de Rolle des Gelds verdammt:

At cum regna senex caeli Saturnus habebat, omne lucrum tenebris alta premebat humus: aeraque et argentum cumque auro pondera ferri manibus admorat, nullaque massa fuit; at meliora dabat: curvo sine vomere fruges pomaque et in quercu mella reperta cava. (8. 35–40)206

Durch die zwei gegensätzlichen Pole seines Bedeutungsfeldes war also die goldene Zeit zugleich Symbol des ersten und höchstrangigen Weltalters, durch ihre materielle Form aber der die Harmonie der alten Zeit auflösenden Ursünde, der Hab-gier. Das Spiel mit der Zweiseitigkeit des Symbols verbreitete sich in breiten Kreisen in der Zeit des Augustus, was gerade damit zu erklären ist, dass der Mythos zu einem Schlüsselbegriff der offiziellen Ideologie und statt der märchenhaften Urzeit auf die widerspruchsvolle Gegenwart bezogen wurde. So wurde die goldene Zeit zum Mittel der Zeitkritik nicht nur in der lateinischen, sondern auch in der griechischen Literatur: In einem Epigramm führt Antipatros, die Bedeutung der hesiodeischen Weltalter ver-kehrend aus, dass Aphrodite heutzutage sowohl Gold-, als auch Silber- und Kupfer-münzen annimmt, und als Pointe witzelt er aufgrund der Zweideutigkeit des Wortes

205 BRAND, S. T.: Treasure-trove and Nero. G&R 30 (1983) 65; bzw. HUBAUX, J. – HICTER, M.:

Le fouiller et le trésor. RIDA 2 (1949) 425. Es ist anzumerken, dass Hubaux und Hicter die Verab-schiedung des Gesetzes im Gegensatz zu der vorwiegenden Mehrheit der Forscher nicht auf die ersten Jahre der Herrschaft Neros, sondern nach 58 datieren.

206 Vgl. Tibullus I 9. 7–12: lucra petens habili tauros adiungit aratro / et durum terrae rusticus urget opus, / lucra petiturus freta per parentia ventis / ducunt instabiles sidera certa rates.

Page 55: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

FRANGE, PUER, CALAMOS… 97

Acta Ant. Hung. 47, 2007

darüber, dass Zeus sicherlich nicht sich in goldenen Regen verwandelnd, sondern mit genügendem Gold die Gnade der Danae erworben hat:

Nšstwr ¹ Paf…h: dokšw d' Óti kaˆ Dan£hi ZeÚj oÙ crusÒj, crusoàj d' Ãlqe fšrwn ˜katÒn. (AP V 30. 6–7)207

Dieselbe herbe Geschichte wird auch in Ovids oben zitierten Elegie erzählt.208 Der über dem ersten Buch der Fasti wachende Dichter wird von Ianus selbst – mit einem Lächeln über die scheinheilige Frage nach dem Geldgeschenk fürs Neujahr – aufgeklärt, dass es schon zur Zeit des Saturnus wenige von der Habgier freie Men-schen gegeben hätte, und seitdem das Anbeten der materiellen Güter alle Grenzen überschritten habe.209 Der Hinweis auf die Unglaubwürdigkeit der offiziellen Ideolo-gie ist auch bereits in den bekannten Zeilen der Ars amatoria ganz offen formuliert:

Carmina laudantur, sed munera magna petuntur: dummodo sit dives, barbarus iste placet. Aurea sunt vere nunc saecula: plurimus auro venit honos, auro conciliatur honos. Ipse licet venias Musis comitatus, Homere, si nihil attuleris, ibis, Homere, foras. (II 273–280)

Aus dem Gesagten geht offensichtlich hervor, dass es als enorme Naivität und als ein von Bardon verdammten Anachronismus zu deuten wäre,210 hätte Calpurnius die Topoi des goldenen Zeitalters in seinen panegyrischen Eklogen verwendet, ohne die organisch vorhandenen ironischen Töne zur Kenntnis zu nehmen. Es wurde ver-sucht aufzuzeigen, dass sich sowohl die propagandistische Erzählung der ersten Eklo-ge als auch die Ambivalenz in der Beschreibung in der vierten Ekloge nahtlos in den Entwicklungsprozess des Motivs einfügen, und dass die gleichzeitig beide Seiten der Medaille auflichtende Darstellungsweise wiederum von der starken Wirkung Ovids zeugt. Wie die düstere Umgebung und das erbärmliche Leben der Hirten im Gespräch zwischen Corydon und Meliboeus durch die Verkehrung der Bestandteile des Bildes vom goldenen Zeitalter in den Metamorphoses nachgezeichnet wird, so zeigen auch hier die Allusionen auf die Texte von Ovid und Tibull, dass das mit Neros Herrschaft anbrechende glückliche Zeitalter nicht gleichzusetzen ist mit dem erlösenden Wandel des Weltzeitalters in der vierten Ekloge Vergils, mit der Rückkehr der mythischen goldenen Zeit, es ist nur im geschichtlich-politischen Sinne zu verstehen. Daraus folgt, dass es den ungestörten Frieden, den Zustand der von der Habgier befreiten, glückli-chen Zufriedenheit und der Unschuld nicht herbeiführen kann. Das vom Staat als

207 GOW–PAGE (Anm. 154) I 82. 208 Iuppiter admonitus nihil esse potentius auro, / corruptae pretium virginis ipse fuit: / dum mer-

ces aberat, durus pater, ipsa severa, / aerati postes, ferrea turris erat; / sed postquam sapiens in munera vertit adulter, / praebuit ipsa sinus, et dare iussa dedit (29–34).

209 Risit, et „o quam te fallunt tua saecula“ dixit, /„qui stipe mel sumpta dulcius esse putas! / Vix ego Saturno quemquam regnante videbam,/cuius non animo dulcia lucra forent./ Tempore crevit amor, qui nunc est, summus habendi: / vix ultra quo iam progrediatur habet (191–196).

210 „L’auteur qui ne manque pas de talent, n’en a probablement pas assez, pour que nous oublions l’anachronisme de ses bergeries.“ BARDON (Anm. 16) 10.

Page 56: Frange, Puer, Calamos … Bukolische allegorie, Panegyrik und die Krise des Dichterberufs in der Vierten Ekloge Des T. Calpurnius Siculus

98 ZOLTÁN SIMON

Acta Ant. Hung. 47, 2007

politische Propaganda verwirklichte goldene Zeitalter kann nur noch eine blasse Wi-derspiegelung der legendären Urzeiten, der saturnischen Zeit des alten Latium, der Zuflucht der Musen, von Vergils Arkadien, also der in den rein bukolischen Eklogen des Calpurnius so empfindsam dargestellten idyllischen Welt sein, auch wenn es im Vergleich zum vorigen Kaiser die Hoffnung auf Verbesserung in sich birgt in der Per-son eines auch die Kunst fördernden jungen Herrschers. Die Erzählung in der vierten Ekloge suggeriert immerhin die Hoffnung, dass mit der Ankunft Neros mindestens das mit dem Namen des Augustus verbundene politisch-literarische goldene Zeitalter zurückkehrt. Die Verweise auf ovidische Texte, die die augusteische Ideologie gerade mit Bezug auf die goldene Zeit kritisieren, deuten aber bereits den illusorischen Cha-rakter dieser Erwartungen an.

Zoltán Simon Eötvös-Loránd-Universität (ELTE) Budapest Institut für Altertumswissenschaft H-1088 Budapest Múzeum krt. 6–8/A


Recommended