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für EDUARD HLAWITSCHKA - MGH-Bibliothek

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MÜNCHENER HISTORISCHE STUDIEN ABTEILUNG MITTELALTERLICHE GESCHICHTE BANDS FESTSCHRIFT für EDUARD HLA WITSCHKA zum 65. Geburtstag Herausgegeben von KARL RUDOLF SCHNITH und ROLAND PAULER VERLAG MICHAEL LASSLEBEN KALLMÜNZ OPF. 1993
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MÜNCHENER HISTORISCHE STUDIEN

ABTEILUNG

MITTELALTERLICHE GESCHICHTE

BANDS

FESTSCHRIFTfür

EDUARD HLAWITSCHKAzum 65. Geburtstag

Herausgegeben vonKARL RUDOLF SCHNITH

undROLAND PAULER

VERLAG MICHAEL LASSLEBEN KALLMÜNZ OPF.

1993

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Dominus totius domus comitisse Mathildis

Die Welfen und Italien im 12. Jahrhundert

VON

HANSMARTIN SCHW ARZMAIER

Die Einbeziehung Italiens in das Fränkische Reich Karls d.Gr. war ein Er-eignis von säkularer Bedeutung. Wie sich die "Germanisierung" der in Italienherrschenden Führungsschicht dort auswirkte, wie sie sich zusammensetzte undaus dem Gebiet nördlich der Alpen ständig neuen Zuzug erhielt, dies hat dieGeschichtsforschung in zahlreichen Studien erarbeitet, und der Jubilar hat diesin seinem ersten, großangelegten Werk auf eine breite prosopographische Basisgestelltl. Die Erforschung des fränkischen Adels hat dadurch einen entschei-denden Anstoß bekommen-, Diese Fragen führten hinüber in jene nach derEntstehung der europäischen Völker und Nationen. Auch hierzu verdanken wirEduard Hlawitschka Grundlegendes, wenn er den allmählichen Verschmel-zungsprozeß der langobardisch-fränkischen Oberschicht zum Adel im regnumItaliae bescbreibtl. Angesichts dessen ist die deutsche Königsherrschaft der Sa-lier und Staufer in Italien als Fremdherrschaft empfunden worden, die sich den

1 E. HL\WITSCHKA.Franken. Alemannen, Bayern und Burgunder in Oberitalien,774-962 (1960).

2 G. TElLENBACH (Hrsg.), Studien und Vorarbeiten zur Geschichte des großfränki-schen und frühdeutschen Adels (1957), darin: G. TElLENBAcH,Der großfränkischeAdel und die Regierung Italiens in der Blütezeit des Karolingerreichs, S. 40-70; wiederin: G. TElLENBACH, Ausgewählte Abhandlungen und Aufsätze 3 (1988) S. 795-825.

3 E. HL\WITSCHKA,Bevölkerung und staatliche Entwicklung im italienischen Raumim 9. und 10. Jahrhundert. Protokoll Nr. 71 der Arbeitstagung des Konstanzer Arbeits-kreises für mittelalterliche Geschichte auf der Reichenau vom 16.-19.3.1959, S. 48-52;vgl. auch den Diskussionsbeitrag von G. TElLENBAcHS. 54.

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Anfängen eines sich bildenden Nationalgefühls gegenübersah". Und in dieseSituation führen auch die folgenden Erörterungen.

Sie setzen bei einem Beispiel aus der frühen Stauferzeit ein. In ihm geht esum die Welfen, jene karolingische Adelsfamilie alemannisch-fränkischer Her-kunft und von reichsweitem Zuschnitt, der in jüngster Zeit viele neue Untersu-chungen gewidmet wurdenl, Sie galten einer seit dem beginnenden 9. Jahrhun-dert nachweisbaren königsgleichen Familie, die in scheinbar ungebrochenerKontinuität, in Schwaben und Bayern und schließlich auch in Sachsen, mit demKönig und gegen ihn gekämpft hat. Ihre Beziehungen zu Italien sind bekannt;doch zu sehr sind die Welfen in die Geschichte des Deutschen Reiches ver-wickelt, als daß man sie als "Italiener" angesprochen oder sie dem dortigenRechtsbereich zugeordnet hätte6• Wir hätten dazu auch keinen Grund, gäbe esnicht jene berühmte Stelle aus der schwäbischen "Historia Welforum", in derberichtet wird, wie nach dem Tode Welfs Ill., der im Jahr 1055 in Bodmanstarb, Unklarheit über das Erbe des reichen und mächtigen Mannes bestand,der es seiner Abtei Weingarten zugedacht baue". In dieser Situation habe dieMutter des Kärntner Herzogs einen Erben präsentiert, ihren Enkel Welf, Sohnder Chuniza (Kunigunde) aus der Ehe mit dem Otbertiner Azzo. Nun erst wirdder junge Mann mit dem Welfennamen - aber vielleicht hieß er gar nicht so -aus Italien hergerufen und trat in das volle und ungeschmälerte Erbe seines On-:

4 Aus "italienischer" Sicht: C.G. MOR, L'etä feudale, 2 Bde. (1952153); G. FASOU,·I re d'Italia (1949); in anderer Bewertung H. GoEZ, Grundzüge der Geschichte Italiensin Mittelalter und Renaissance (1975) S. 61ff., und H. SCHWARZMAIER,Lucca und dasReich bis zum Ende des 11. Jahrhunderts (1972), insbes. S. 220ff.

S J. F1.EcKENSTEIN, Über die Herkunft der Welfen und ihre Anfänge in Süddeutsch-land, in dem in Anm. 2 gen. Sammelband S. 71-136; K. SCHMID,Welfisches Selbstver-ständnis, in: Adel und Kirche. Festschrift für G. TEllENBACH(1968) S. 389-416, wie-der in: Gebetsgedenken und adliges Selbstverständnis im Mittelalter (1983) S. 424-453;O.G. OEXLE,Adliges Selbstverständnis und seine Verknüpfung mit dem liturgischenGedenken - das Beispiel der Welfen, ZGORh 134 (1986) S. 47-75.

6 Erst als Guelfen werden sie zum Exponenten einer italienischen Adelsfraktion des13. Jahrhunderts; vgl. P. HERDE,Guelfen und Neoguelfen (1986) S. 24-181.

7 Historia Welforum, ed. E. KÖNIG (1938. Neuaufl. 1978) cap. 12. S. 19 u. 79:Mater enim ipsius, sciens se heredem habere exfilia, missis in Italiam legatis iussit eumadduci. Et veniens donationem penitus interdixit et se certum et verum herrdem esseproc/amavit. Dem geht voraus cap. 10, S. 17: Hie genuit filiam Chunizam nomine,quam Azzo, ditissimus marchio Italiae, cum curte Elisina dotatam in uxorem duxit et exea Gwelfum, totius terrae nostrae futurum heredem et dominum, progenuit. Entspre-chend in der Stammtafel der Fuldaer Handschrift, wo Azzo und Chuniza in die welfi-sche Stammfolge einbezogen sind, während Welf Ill. außerhalb derselben steht: ISle inBotamo eastro iuvenis absque herede obiit et omne patrimonium suum Altorfensi eccle-siae et sancto Martina donari legitime disposuit. Vgl. K. SCHMID,WelfischesSelbstverständnis (wie Anm, 5) S. 412 bzw. S. 447.

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kels Welf Ill. ein, bald auch in sein politisches Erbe8• Er wurde einer dergroßen, in Schwaben der Gegenspieler Heinrichs IV. in den Kämpfen desausgehenden 11. Jahrhunderts.

Es lohnt sich, dieser seltsamen Geschichte nachzugehen, die rund 4 Genera-tionen nach dem Ereignis in dieser Form niedergeschrieben wurde, wenn auchauf älterer schriftlicher Tradition beruhend". Da habe also eine SchwesterWelfs Ill. den Markgrafen Azzo geheiratet, einen mächtigen Mann langobardi-schen Rechtsbekenntnisses, Markgraf im Bereich der ligurischen Küste, reichs-treu wie es scheint, mit einem sich herausbildenden neuen Besitzschwerpunktum den Hof Este, südlich von Padua!". Sein Herrschaftsgebiet und vor allemseine Besitzlandschaft grenzten daher fast an den Amtsbereich Welfs an, dasHerzogtum Kärnten, das die Mark Verona einschloßl l. Trotz dieser engen undkeineswegs ungewöhnlichen Familienverbindung zweier mächtiger Adelsfami-lien, so stellt es die Welfenchronik dar, habe es am Bodensee erst eines ange-strengten Denkprozesses bedurft, um den Sohn einer Welfin, die man mit demins Italienische verwandelten Namen Chuniza benannte, auf sein Erbe aufmerk-sam zu machen. Es bleibt zu fragen, ob es sich tatsächlich so verhalten hat?

Erst Ludovico Antonio Muratori, der Erforscher der Geschichte des HausesEste, der mit seinem in welfischen Diensten stehenden Kollegen Leibniz überdiese Fragen korrespondierte, hat die Quellen von beiden Seiten zusammenge-tragen, die deutschen wie die italienischen, hat freilich auch, wie es im 17.Jahrhundert nahe lag, der Sache einen Akzent gegeben, der die weitere For-schung bestimmt hatl2• Denn für ihn war Welf IV. ein "Italiener", ein Este

8 Eine modeme Darstellung über Welf N., den vielleicht bedeutendsten Welfen,fehlt noch. Vgl. K. scrram, Welfisches Selbstverständnis (wie Anm. 7) S. 412; H.DECKER.- HAUFF,Zur älteren Geschichte der Welfen, in: Weingarten 1056-1956. Fest-schrift zur 900-Iahrfeier des Klosters (1956) S. 32ff.

9 Zur welfischen Geschichtsschreibung O.G. OEXLE,Die "sächsische Welfenquel-le" als Zeugnis der welfischen Hausüberlieferung, DA 24 (1968) S. 345-497; DERS.,Welfische und staufisehe Hausüberlieferung in der Handschrift Fulda 011 aus Wein-garten, in: Von der Klosterbibliothek zur Landesbibliothek, hg. v. A. BRAlL (Biblio-thek des Buchwesens 6, 1978) S. 203-231.

10 Lexikon des Mittelalters 1 (1980) Sp. 283 unter dem Stichwort "Albert Azzo"(rh. KÖUER); im selben Bd. Sp. 1319 unter dem Stichwort "Azzo H. von Este" (H.KElLER).

11H. SCHWARZMAlER,Die Welfen und der schwäbische Adel im 11. und 12. Jahr-hundert in ihren Beziehungen zum Vinschgau, in: Der Vinschgau und seine Nachbar-räume, hg. v. R. Looss (1993) S. 83-98.

12 L. A. MURATORI,Delle Antichitä Estensi e Italiane 2 (1717-1740); vgl. G. TEL-LENBACH,Muratori und die deutsche Geschichtswissenschaft, in: DERS., AusgewählteAbhandlungen und Aufsätze 1 (1988) S. 305-318, insbes. S. 307 mit Anm. 8; L.CHIAPPINI, Gli Estensi (1967); weitere Literatur in: Lexikon des Mittelalters 4 (1989)Sp. 27f. (p. BOCCHI)sowie T. DEAN,Este, in: Die großen Familien Italiens, hg. vonV. RElNHARDT (1992) S.243-258. Zu den Otbertinem, den nach langobardischem Rechtlebenden Vorfahren der Este, vgl. HLAwrrsCHKA (wie Anm. 1) S. 244f. Das

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eben, und in diesem Sinne mußten es seine Nachkommen auch sein, bis hin zuHeinrich dem Löwen13•

Hier stellt sich eine Frage, die man bisher weniger beachtet hat als dieandere nach der staufischen Königsherrschaft in Italien, nach Reichspolitik undReichsverwaltung im Gebiet südlich der Alpenl". Auch die im Auftrag desKaisers in Italien tätigen deutschen Fürsten und Adeligen sah man mehr alsVerwalter von Reichsrechten, als daß man ihre Verwurzelung in Italienbeachtet hätte, gerade weil man die Andersartigkeit der Italienbeziehungen - imVergleich zur Karolingerzeit - aus deutscher Sicht empfand. Ob man diesesBild an entscheidenden Punkten ändern sollte, bleibt zu fragen. Zu untersuchenist dies anhand von Familienbeziehungen über die Alpen hinweg, die sozusagenzu einer nationalen Doppelexistenz führen mußten. Unser Beispiel der Welfenläßt erkennen, was gemeint ist, wenn von "Italienbeziehungen" im 12.Jahrhundert die Rede ist, und an einer unscheinbaren, bisher kaum beachtetenQuelle soll die Frage noch einmal aufgerollt werden.

Das zu besprechende Stück ist ein unregelmäßig beschnittenes Pergament,34 x 17,5 cm, das eine klobige, wie es scheint wenig geübte Hand beschriftethatlS• Eine in der Mitte des Textes gelassene Lücke hat eine andere, nochweniger geschulte Hand ausgefüllt. Der ganze Text macht einen spontanen Ein-druck und erinnert in nichts an eine ordentliche Kanzlei, zumal dem Stück alleäußeren Urkundenelemente fehlen, die besonderen Formen der Urkundenschriftund die Kanzleizeichenlf. Der Text geht in die Datumzeile über, die jedoch nurdie Jahreszahl enthält, das Jahr 1140. Formal gibt sich das Stück als eine Notizüber ein Rechtsgeschäft, die jedoch zum Titel des Ausstellers in subjektiverForm überleitet: We/pho dux Spoleti marchio Tuscie princeps Sardinie QC

langobardische Rechtsbekenntnis ist auch für den Welfen Heinrich den Schwarzen 1107in Italien belegt; MURATORlS. 282; andererseits ist für seinen Halbbruder Albert AzzoIll. 1125 das salische Rechtsbekenntnis bezeugt in einer Urkunde Papst Honorius 11.für Polirone.

13 Zu Heinrich d.Löwen als "Italiener" vgl. die Nachweise bei G. SCHn..DT.Hein-rich der Löwe im Geschichtsbild des 19. und 20. Jahrhunderts. in: Heinrich d.Löwe,hg. von W.-D. MOHRMANN(1980) S. 484f.

14 F. SCHNEIDER,Die Reichsverwaltung in Toscana von der Gründung des Lango-bardenreiches bis zwn Ausgang der Staufer (1914. Nachdruck 1966); D.v.d. NAHMER,Die Reichsverwaltung in Toscana unter Pried rich I. und Heinrich VI. (1965); A.HAVERKAMP.Herrschaftsformen der Prübstaufer in Reichsitalien. 2 Bde. (1970171);D.v.d. NAHMER.Zur Herrschaft Priedrich Barbarossas in Italien, Studi Medievali,3aserie 15 (1974) S. 587-703.

IS Vgl. den Katalog: Unverrückbar für alle Zeiten. Tausendjährige Schriftzeugnissein Baden-Württemberg. hg. vom Generallandesarchiv Karlsrube (1992) Nr. 47 S. 132(mit Abb.). I

16 Vgl. die Beispiele in: Die Fürstenkanzlei des Mittelalters. Ausstellungskatalogder Staatl. Archive Bayerns Nr. 16 (1983), insbes. die Nm. 2ff. mit Abbildungsnach-weis.

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dominus tocius domus comitisse Mathildis: es handelt sich um den eigentlicherst 12 Jahre später belegten vollen Titel Herzog Welfs VI. von Spoleto!",Tuszien und Sardinien und Herrn der mathildischen Güter. Welf VI. war derjüngere Bruder des 1139 verstorbenen Herzogs Heinrich des Stolzen, OnkelHeinrichs des Löwen und Kaiser Friedrich Barbarossas, den er jedoch überlebthat. Er starb 1191 und gab, als man in Oberschwaben und in BayerischSchwaben der 800. Wiederkehr seines Todes gedachte, Anlaß zu wissenschaft-lichen Kongressen, bei denen man sich seine Bedeutung für die GeschichteSüddeutschlands vor Augen führtel8• Eine in seinem Auftrag entstandene Für-stenurkunde würde man sich eigentlich professioneller vorstellen als das vorlie-gende Pergamentstück, das jedoch mit seinem Siegel unterfertigt war; es istspäter verlorengegangen. Fürstenurkunden jener Zeit sind an der Königsurkun-de orientiert und strahlen dieselbe Autorität aus wie diese. Doch der auf denTitel folgende Text weicht vom Formular der Königsurkunde ab, indem erAusstellungsort und Zeugen des Rechtsvorganges vorwegnimmt. Ort derRechtshandlung ist der "Königstuhl" in Anwesenheit Herzog Friedrichs vonSchwaben; gemeint ist der Vater Friedrich Barbarossas, und den nicht genauidentifizierten Ort Königstuhl sucht man in der Nähe von Rottweil. Er istmehrfach bezeugt als Versammlungsplatz des schwäbischen Herzogslandta-gesl9• Die Gefolgsleute Welfs bei diesem Vorgang sind namentlich genannt:sechs nennt er seine fideles, 2 seine Ministerialen. Er unterscheidet also zwi-schen Edelfreien, die zu ihm in einem Lehens- und Dienstverhältnis standen,und aus der Unfreiheit kommenden Dienstleuten, darunter Heinrich von Wald-burg, einem Vorfahren der späteren Truchsessen und Fürsten von Waldburg20•

Erst in Zeile 10 kommt das eigentliche Rechtsgeschäft: Eine Schenkung anden hl. Blasius, also das Kloster St. Blasien im Hochschwarzwald, dem Welfdrei mancipia, also drei Hörige, im Ort Nendingen schenkt. In der erwähnten

17Druck bei M. GERBERT,Historia Nigrae Silvae 3 (1788) S. 74 Nr. 49, und Wirt.Urkundenbuch 4, Anh. S. 363f. zum Jahr 1160. Ferner K. FELDMANN,Herzog WelfVI. und sein Sohn (Diss. Tübingen 1971) Reg. 8. Vgl. Text S. 35 und Anm. 65, wodieses Stück entsprechend dem Wirt. UB eingeordnet und beurteilt wird. Anders beur-teilt die Urkunde A. OVERMANN,Gräfin Mathilde von Tuscien (1895) S. 59 mit Anm.2, unter Bezug auf Ph. J~, Geschichte des Deutschen Reiches unter Conrad demDritten (1845) S. 34, der diese Urkunde nach Gerbett bewertet.

18Welf VI. Wissenschaftliches Kolloquium zum 800. Todesjahr im Schwäb. Bil-dungszentrum Irsee vom 5.-8.10.1991. Die Kongresspublikation erscheint 1993. Einweiterer Kongress: "Die Welfen in Süddeutschland" wurde vom 21.-24.11.1991 inMemmingen abgehalten (Memminger Forum für Schwäbische Regionalgeschichte).

19 H. MAURER,Der Herzog von Schwaben (1978) S. 239 und Karte S. 24; DERS.,Das Herzogtum Schwaben in staufiseher Zeit, in: Die Zeit der Staufer Bd. V (1979) S.99f.

20 G. BRADLER,Studien zur Geschichte der Ministerialität im Allgäu und in Ober-schwaben (1973) S. 331ff. und S. 347ff. Vgl. H. SCHWARZMAlER,Die Welfen und derschwäbische Adel (wie Anm. 11) S. 89, unter Bezug auf diese Urkunde.

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Lücke sind ihre Namen nachgetragen. Nendingen liegt im Donautal beiTuttlingen und gehört weder zum eigentlichen Besitzgebiet von St. Blasien,noch zum engeren Herrschaftsbereich Welfs um Ravensburg, sondern liegt so-zusagen auf halbem Weg dazwischen21• Seltsam, daß Welf bier zu seinem See-lenheil und zum Seelenheil seiner Vorfahren eine so belanglos scheinendeSchenkung schriftlich vollzieht. Trotzdem endet die Urkunde feierlich mit einerPoenformel: Et si quis hoc irritare presumpserit, coram Deo et angelis eiusiudicatus gehennales semper sentiat cruciatus.

Damit freilich ist die Aussagekraft unserer Urkundennotiz nicht erschöpft,wenn auch die Zusammenhänge, in die sie gehört, bisher nicht beachtet wur-den. Ein Parallelstück führt in die Gründungsgeschichte des Zisterzienserklo-sters Salem22• Ein in Salem überlieferter Gründungsbericht schildert die Vor-gänge, die sich in den Jahren zwischen 1134 und 1142 abgespielt haben. 1134nahm die Sache ihren Anfang, als der Edelfreie Guntram von Adelsreute denEntschluß faßte, ein Kloster zu gründen. 1137 kamen die ersten Mönche ausdem e1sässischen Lützel nach Salmansweiler bei Heiligenberg; die ursprünglichbescheidene Gründungsdotation wurde erweitert. Damals hat sich auch der bib-lische Name Salem eingebürgert23• Wieder etwas später, aber ohne daß wir dasgenaue Datum kennenlernen, habe ein Landgericht in Leustetten getagt, einemzwischen Salem und Heiligenberg gelegenen Gerichtsort der dortigen Graf-schaft, und dabei kam unter Vorsitz des Grafen Heinrich v. Heiligenberg derProvinzadel zusammen und bestätigte die Schenkung. Wieder kurz danach trafsich der Landtag unter Vorsitz des Herzogs Friedrich von Schwaben auf demKönigstuhl. eine erlauchte Versammlung des gesamten schwäbischen Adels be-stätigte erneut die Gründung von Salem, das im Januar 1140 eine Papsturkun-de, 1142 eine Urkunde König Konrads Ill. erhielt, in der auf die VorgängeBezug genommen wird24•

Nun spielt dieser Herzogslandtag Friedrichs 11. eine große Rolle in der ver-fassungsgescbichtlichen Diskussion. Helmut Maurer hat ihn ins Jahr 1140 da-tiert und findet in ihm ein deutliches Zeugnis für die allmähliche Auflösung des

21 H. OTr, Die Klostergrundherrschaft St. Blasien im Mittelalter. Beiträge zur Be-sitzgeschichte (1969) S. 33 sowie Karte 8. Im 12. Jahrhundert ist Nendingen im Rah-men der st.blasischen Grundherrschaft völlig isoliert. Im 14. Jahrhundert liegt es amöstlichen Rande des st.blasischen Baaramtes, konnte also seinen dortigen Besitz aus-bauen. Das Schwarzwaldkloster stand damals auf der Höhe seiner politischen und gei-stigen Macht und war Mutterkloster zahlreicher Priorate, darunter des im AuftragWelfs N. gegründeten Ochsenhausen. geistliches Zentrum für viele Reformklöster.Vgl. H. JAKOBS,Der Adel in der Klosterreform von St.Blasien (1968) S. 275fr.

22 Acta Salemitana, ed. F.v. WEECH,Codex diplomaticus Salemitanus (1883) S.1-2. W. ROSENER,Reichsabtei Salem (1974) S. 28-31.

23 M. SCHAAB,Die Filiationen der Zisterzienserklöster in Südwestdeutschland, in:Hist. Atlas von Baden-Württemberg Karte VlII,4 (1975), Beiwort S. 2, Lit. S. ISf.

24 R. SCHNEIDER,Die Geschichte Salems, in: Salem, 850 Jahre Reichsabtei undSchloß, hg. von R. SCHNEIDER(1984) S.18r.

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schwäbischen Herzogtums, aus dessen Zuständigkeitsbereich zunächst die Zäh-ringer, dann auch die Welfen ausgeschieden seien, die nicht dabeigewesen sei-en, obwohl der schwäbische Herzog sich offenbar bemüht hatte, alles aufzubie-ten, was traditionsgemäß zum Landtag zu kommen hatte2S• 1140 aber ist auchunsere Welfenurkunde datiert, im Beisein (coram) und unter dem VorsitzHerzog Friedrichs auf dem Königstuhl. Und noch etwas: drei der LehensleuteWelfs, die seine Urkunde für St. Blasien bestätigten, kommen in derselben Rei-henfolge auch beim Salem betreffenden Gerichtstag von Leustetten vor26. DieZusammenfassung beider Vorgänge bestätigt also nicht nur das von Maurer er-schlossene Datum 1140 für den Herzogslandtag, sondern ruckt auch die Vor-gänge nahe zusammen: Sehr bald nach dem Tag in Leustetten folgte der land-tag der schwäbischen Großen, und Welf VI. war offensichtlich auch mit seinerDienstmannschaft erschienen. Er stand nicht abseits, denn seine eigene Schen-kung an St. Blasien hat er unter dem Vorsitz des Staufers Friedrich vollzogen,seines Schwagers übrigens, denn Friedrichs Gemahlin Judith war die SchwesterWelfs. Am Salemer Gründungsakt freilich hat sich Welf nicht beteiligt, unddies bedarf besonderer Hervorhebung.

Salem war das erste Zisterzienserkloster in Schwaben. Zuvor wurden unterstaufischem Einfluß Neuburg im Hagenauer Forst und das an der schwäbischenOstgrenze liegende Kaisheim gegründet. Salem entstand nicht in einem Wald-und Rodungsgebiet, sondern im dicht besiedelten Land nördlich des Bodensees,im Einflußbereich der Grafen v. Pfullendorf und der Welfen. Die Welfen übtendie Vogtei über die Reichenau aus, in deren Besitzlandschaft sich Salem breitmachte-". Petershausen, eng mit dem Bischof von Konstanz verbunden, unddas unter zähringischer Vogtei stehende St. Blasien lagen sozusagen vor derTür. Traditionsgemäß standen Welfen und Zähringer in enger Verbindung mitden alten Benediktinerklöstern, deren Reform und Machtzuwachs sie mitgetra-gen hatten28•

2S H. MAURER(wie Anm. 19), Karte.26 WUB 4 Anh. S. 364: Roupeno de Otholfeswanc, Herimanno de Marchtorf ...

Liupoldo de Degginhusen ... ac ministetialibus meis Hainrico de Walpurc ... ; Cod.Salem., ed. WEECHS. 2: presente ... Hermanno de Maredorf. Ruoperto de Otolvis-lm1lC, Liupoldo de Teccinhusin.

27 Reichenau, in: Germania Benedictina VS. 516; H. BOTINER,Staufer und Wel-fen im politischen Kräftespiel zwischen Bodensee und Iller während des 12. Jahrhun-derts, in: Schwaben und Schweiz im frühen und hohen Mittelalter (1972) S. 355f., ver-mutet, daß Konrad Ill. 1139 den Welfen auch die Vogtei über die Reichenau entzogenbabe und sie selbst ausübte. Auch dies würde erklären, weshalb das inmitten der rei-chenauischen Grundherrschaft liegende Nendingen nun an St.Blasien ging.

28 Die Welfen hatten keine Verbindung zu den Zisterziensern; erst mit der Grabkir-che in Steingaden, indirekt mit Roth und Weissenau traten sie in Verbindung zu denPrämonstratensern. Demgegenüber stehen die Staufer den neuen Orden sehr auf-geschlossen gegenüber, den Zisterziensern in Neuburg und Königsbrück im HI. Wald

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Mit den Tochterklöstern von Citeaux kam ein neues Element in die deutscheKlosterlandschaft, und der Staufer Konrad Ill. scheint ihnen und ihrem geistli-chen Führer Bemhard von Clairvaux den Weg geebnet zu haben29• Mit derÜbernahme Salems in den Königsschutz hat er diesem eine neue Dimension er-öffnet. Bald ist aus dem Klösterehen Guntrams von Adelsreute eine Abtei mitriesiger Grundherrschaft geworden, die größte im deutschen Sprachraum, wennman so will geistiger und wirtschaftlicher Erbe der Reichenau. Indem sie dieGründung Salems unterstützten, sind die Staufer - Herzog Friedrich und KönigKonrad - in die welfische Einflußsphäre eingedrungen. Deshalb wurde auf demKönigstuhl in einer Spitzenversammlung darüber verhandelt. Welf VI. hat, soscheint es, dem Ausbau Salems nicht zugestimmt, aber er konnte letztlich auchnichts dagegen tun. Seine spontane Schenkung an St. Blasien war jedoch einBekenntnis zu den benediktinischen Reformabteien. Die Reichenau hatte ausge-spielt, aber St. BIasien hatte noch immer Zukunft. Die Schenkung in Nendin-gen war vielleicht ein Augenblickseinfall. mit dem Welf die eigene Positionmarkiertet". Aber unsere unscheinbare Urkunde kennzeichnet zugleich einenWendepunkt in den Beziehungen von Staufern und Welfen, die im übrigen imgleichen Jahr noch dramatische Formen annehmen sollten.

In unserer so ausführlich erörterten Urkunde von 1140 führt Welf VI. denvollen italienischen Titel. Diesen hat Welf in allen Urkunden seit dem Spätjahr1152 geführt, und man hat ihn stets mit jenen Abmachungen in Verbindung ge-bracht, mit denen Barbarossa nach seiner Königswahl das Verhältnis zu seinemOnkel und damit zu seinen welfischen Verwandten insgesamt bereinigt habe.Damals sei ihm die Herzogsgewalt in der Toskana zusammen mit dem mathildi-sehen Erbe als Reichslehen zugesprochen worden, und so habe er es auch, mitmehr oder weniger großem Erfolg, in den kommenden Jahrzehnten ausgeübtund später an seinen Sohn Welf VII. weitergegeben". Die Urkunde von 1140wirkte dabei recht störend, denn weder ist Welf unter Konrad Ill. in Italien indieser Funktion nachweisbar, noch kennt man eine entsprechende Abmachungzwischen ihm und dem staufischen König. Am einfachsten war es also, die vor-liegende Urkunde als Fälschung zu betrachten oder ihr einen Datierungsfehlerzu unterstellen; das Wirtembergische Urkundenbuch hat sie entsprechend ein-

und in Ebrach, den Prämonstratensern in Adelberg und Schäftersheim; vgl. hierzu:Barbarossa und die Prämonstratenser (1989).

29 Zum vieldiskutierten Verhältnis Konrads Ill. und Bernhards von Clairvaux W.BERNHARDI,Konrad Ill. Teil2 (1983) S. 531-536. Im Jahr 1147 hat Bernhard in AlzeyHerzog Friedrich 11. von Schwaben auf dem Sterbelager besucht, nachdem er zuvor dieStaufer zur Teilnahme am Kreuzzug überredet hatte.

30 Doch ist darauf hinzuweisen, daß Bischof Ulrich von Konstanz, ein AnhängerLothars Ill. und der Welfen, 1138 resignierte und sich als Mönch nach St.Blasien zu-rückzog. BOTrNER (wie Anm. 27) S. 355.

31 K. FELDMANN (wie Anm. 17) S. 33ff.; v.d. NAHMER, Reichsverwaltung (wieAnm. 14) S. 17ff.

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gestuft und hat sie dadurch gleichsam aus dem Verkehr gezogen32• Hinsichtlicheiner Fälschung einer einfachen Fürstenurkunde müßte freilich mit guten Argu-menten begründet werden, weshalb man in St. Blasien ausgerechnet die Schen-kung dreier Höriger einer Fälschung für wert erachtete. Der Termin von 1140auf dem Königstuhl ist durch die Salemer Gründungstradition gesichert, kannalso nicht in Frage gestellt werden. Stimmt jedoch diese Überlieferung, so hatWelf VI. bereits 1140 den vollen italienischen Titel getragen, und sicher nichtnur in diesem einen Dokument.

Auf dem Königstuhl erschien Welf als Herzog neben dem schwäbischenHerzog Friedrich, seinem Schwager, dessen Funktion er offenbar nicht negier-te. Er selbst, so meinte man, habe schon damals den traditionellen Herzogstitelgeführt, den der Bruder, Heinrich der Stolze, als Herzog von Bayern und Sach-sen, sein Vater Heinrich der Schwarze als Herzog von Bayern, ihre Vorfahrenauch als Herzoge von Kärnten geführt hatten33• Welf VI. aber war niemalsAmtsherzog in einem der deutschen Herzogtümer, und so müßte er 1140 in derTat den Herzogstitel ohne Amt getragen haben, falls er sich überhaupt Herzoggenannt hat. Doch tut er dies mit großer Regelmäßigkeit von 1142 an, wennauch ohne Zusatz; erst ab 1152 erscheint er urkundlich als dux Spoleti etmarchio Tuscie, vor 1140 hingegen ganz ohne Herzogstitel '". Entweder, sowird man folgern, hat also der junge Welf, der vor 1140 titellos neben seinemherzoglichen Bruder urkundete, um diese Zeit einen reinen Titel angenommen,der erst 1152 durch die Abmachungen mit Barbarossa legitimiert und aufSpoleto bezogen wurde, oder Welf hat schon um 1140 einen Amtstitelübernommen, nach dem er sich von nun an dux titulierte. Dies aber läßt sich imHinblick auf die politische Lage durchaus wahrscheinlich machen.

Denn am 20. Oktober 1139 war Welfs Bruder, Herzog Heinrich der Stolze,gestorben. Er war der Kronprinz Kaiser Lothars von Supplinburg gewesen, sei-nes Schwiegervaters, ehe er 1138 dem Staufer Konrad bei der Königswahlunterlag35. Er hat diese Niederlage nicht lange überlebt. Den unvermeidlichenKrieg sollte nun Welf VI., damals etwa 25 Jahre alt, weiterführen. Ihm war zu-nächst ein Juniorerbe zugestanden worden, als man im welfischen Haus dieAufgaben und Besitzungen verteilte. Vor allem würde ihm das reiche Erbe sei-

32Wie Anm. IS, Druckort Anm. 17.33 H. WERLE,Titelherzogtum und Herzogsherrschaft, ZRG Germ. 73 (1956) S.

224-229, zum Titel Welfs VI. S. 271ff.34 Zu den Belegen unten Anm. 84. Sie sind zusammengestellt in den Regesten bei

K. FELDMANN(wie Anm. 17). Der Beleg zu 1143 Aug. 28 (DKo III 289), wonach Welfals dux Spoleti er marchio Tuschle bezeichnet wird, gilt als Fälschung (PELDMANN,Reg. 13).

35 Zur Wahl Konrads Ill. BERNHARDI,Konrad Ill. (wie Anm. 29) S. 15ff.; O.ENGELS,Die Staufer (1972) S. 27ff.

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nes Schwiegervaters, des Pfalzgrafen Gottfried von Calw, zufallen36• Welf wä-re also auch dann nicht leer ausgegangen, wenn sein Bruder länger gelebt hätte,war das Calwer Erbe doch eine gewaltige Machtposition im nördlichen Schwa-ben, wo die Welfen bis dahin freilich keinen Besitz hatten. Für den jungenWelf eröffnete sich hier ein zusätzliches Aufgabengebiet.

Zugleich meinen wir, daß nach dem Tod Heinrichs des Stolzen eine Neu-ordnung im welfischen Hause erforderlich wurde. Welf wurde, trotz seinesjugendlichen Alters, der Senior des Hauses. Im Jahr 1140, so nimmt man an,ist ihm ein Sohn geboren worden, WelfVII., Erbe seiner Herrschaft. Im Sinnedes Gesamthauses erhob Welf VI. auf die Herzogswürde in Sachsen undBayern Anspruch, doch das Herzogtum Sachsen sollte seinem damals 11 Jahrealten Neffen Heinrich zufallen, und 1142 hat er es auch wirklich erhalten37•Wie weit die Staufer an der Erbschaftsregelung beteiligt waren, ist ungewiß,aber Welfs Schwester Judith konnte aus der Erörterung nicht ausgeschlossenwerden, und es scheint, daß Herzog Friedrich 11. von Schwaben, JudithsEhemann, den Welfen näherstand als sein Bruder Konrad, wie die Ereignisseauf dem Königstuhl vermuten lassen. Sein Sohn Friedrich Barbarossa wardamals 18 Jahre alt, künftiger schwäbischer Herzog und vielleicht auch schonder staufisehe Thronanwärter nach dem Tod König Konrads 111.38•

Das Jahr 1140 ist ja durch ein weiteres Ereignis gekennzeichnet, den Kriegzwischen Welf und Konrad, der mit der Einnahme der Burg Weinsberg durchKonrad Ill. endete. Welf VI. hatte diese Burg aus dem Erbe seiner GemahlinUta an sich gebracht und verteidigte sie gegen die militärische Übermacht desmit dem staufischen König zusammengehenden schwäbischen Adels39• In einerFeldschlacht wurde Welf besiegt, und danach, wenige Tage vor Weihnachten1140, kapitulierte auch die Burg Weinsberg. Die Geschichte von den Weibernvon Weinsberg, die ihre Männer auf dem Rücken den Burgberg hinabschlepp-ten, um sie zu retten, soll sich damals abgespielt haben: Roben Holtzmann hat

36 H. SCHWARZMAIER,Uta von Schauenburg, die Gemahlin Welfs VI., wie Anm.18 (im Druck).

37 K. JORDAN, Heinrich der Löwe. Eine Biographie (1979) S. 103fT.; zur Herzogs-problematik insbes. A. KRAus, Heinrich der Löwe und Bayern, in: Heinrich der Löwe,hg. von W.-D. MOHRMANN(1980) S. 172ff.

38 O. ENGELS, Beiträge zur Geschichte der Staufer im 12. Jahrhundert, in: O.ENGELS, Stauferstudien (1988) S. 58fT., S. 70f. In der Diskussion über Designation undWahlrecht ist der Gesichtspunkt der vorherigen innerfarniliären Absprachen, wie sie beiWelfen und Staufern vermutet werden können. weniger beachtet worden; für 1152gehen sie u.a. aus Burchard von Ursberg hervor (ed. O. HOLDER-EGGER. Script. rer.Germ., 21916), S. 20, der betont, Friedrich Barbarossa habe seinem minderjährigenVetter Friedrich v. Rothenburg, dem Sohn Konrads Ill., das Herzogtum Schwaben zu-gesa~.

19 BERNHARDI,Konrad Ill. (wie Anm, 35) S. 187fT.

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die Historizität dieses späteren Sagenmotivs erkannr'". Im Hoflager vor Weins-berg erschien übrigens auch der Abt des mathildischen Klosters Polirone beiMantua41: Spätestens damals hat der Staufer die Verfügungsgewalt über dasmathildische Erbe an sich genommen. Damit hat er, so könnte man schließen,Welf VI. aus einer Anwartschaft hinausgedrängt, die dieser bis dahin als An-spruch aus dem Erbe seiner Vorfahren abgeleitet und festgehalten hatte. Siebezog sich auf Tuszien und Spoleto und das mathildische Erbe, aus dem Welfseinen Herzogstitel herleitete.

Unsere Anfangsfrage nach den Beziehungen der Welfen zu Italien stellt sichvor diesem Hintergrund erneut. Waren die Ansprüche, die Welf VI. im Jahr1140 - wenn wir recht sehen - angemeldet hat, im Geburtsjahr seines gleichna-migen Sohns, begründet? Und auf welchen Rechtstiteln waren sie aufgebaut?Man vergegenwärtigt sich diese Situation am ehesten, wenn man dieStammtafel der Nachkommen des Markgrafen Adalbert Azzo betrachtet, dieWelfen also in ihren "italienischen" Vaterstamm einordnet42• Noch einmalsollte das Augenmerk darauf gelenkt werden, daß dort mit dem Namen "Welf"ein neuer Name vorkommt, während jene von Adalbert bzw. Azzo, von Hugound Fulco der Namenstradition entsprechen. Sollte hier wirklich ein "Welfe"das Namengut der mütterlichen Familie eingebracht haben, um für den Fallbereitzustehen, daß in Süddeutschland kein Namensträger als Erbe vorhandenwar? Oder hat man Welf, als man ihn aus Italien herbeizitierte, hat er sichselbst, als er in das Erbe der Mutter eintrat, den Welfennamen zugelegt, den erdann an 4 weitere Namensträger im Mannesstamm als Leitnamen weitergab?Man sollte es erwägen43• Sicher ist, daß Welf IV. seine Beziehungen zumFamilienbesitz des Vaters und der Brüder nicht aufgegeben hat. Dies zeigt sich

40 R. HOLTlMANN,Die Weiber von Weinsberg, württ. Vjh. für Landesgesch. 10(1911) S. 413-472. Die Pöhlder Annalen schreiben hierzu, Konrad Ill. habe sich aufeine so lange Belagerung von Weinsberg eingestellt, daß er seinen Bruder HerzogFriedrich aus dem Heer entlassen habe. Auch dies deutet auf einen Dissens der beidenStaufer in der Welfenfrage hin, wobei man Friedrich als Vermittler ansehen kann, derbei der Vernichtung des Gegners nicht dabei sein sollte.

41 D KollI 54 S. 90.42 Stammtafel der "Este", fehlerhaft, schon bei MURATORI,Ant. Est.; vgl. auch im

Inventar des "Archivio Segreto Estense, Archivio di Stato di Modena" (1953) Tafell.ISENBURG, Stammtafeln zur Geschichte der europäischen Staaten Bd, II (1965), Tafel122, schließt die Stammtafel der Este bezeichnenderweise an die Welfentafel (Band 1Tafel 11) an. Die "deutsche" Stammtafel schon bei C.P. STÄLIN, WirtembergischeGeschichte Bd. 1 (1841) S. 556 und Bd. 2 (1847) S. 252; Stammtafel der älteren Otber-tiner bei BRESSu\U(wie Anm. 43) S. 419.

43 Adalbert A1:Lo (vgl. Anm. 10) soll um 1135 die Welfin Kunizza geheiratet ha-ben; Welf IV. mag also, als er nach Deutschland kam, 20 Jahre alt gewesen sein, ohnedaß eine Beziehung zum Haus seiner Mutter bis dahin erkennbar war. Die Altersbe-rechnung bei H. BRESSu\U,Das Haus der Otbertiner, in: Jahrb. Konrads 11. (1879) S.421ff.

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vor allem in Bezug auf das Kanonikerstift S.Maria delle Carceri, das imKernbereich der Markgrafen und unweit des Ortes Este, nach dem sie sich seitdieser Zeit nennen, als Familienstiftung entstand44• Und dort sind auch dieUrkunden überliefert, die zeigen, daß die Welfen sich nach wie vor alsAngehörige des Hauses "Este" fühlten, daß sie zumindest ihre Erbansprucheauf den dortigen Besitz nicht aufgegeben haben4S•

1107 urkundete Herzog Heinrich der Schwarze filius quondam Guelfonisduds qui professus sum ex natione mea lege Lombardorum für S.Maria46; erstellte die Urkunde aus apud sanctam Theclam de Este und unterzeichnete sie,von einem in seinem Auftrag tätigen Notar geschrieben, mit seinem Handzei-chen. 1116 befand sich Heinrich bei einem Placitum Heinrichs V. in Vene-dig47, als Henricus Welfonis duds frater, und mit ihm zeugten die GrafenUlrich und Heinrich von Eppan. Im darauffolgenden Jahrist Heinrich derSchwarze wieder in villa Este iuxta s.Theclam eiusdem vifle bezeugt; er hieltdort ein Placitum ab, auf dem er S. Maria delle Carceri in seinen Schutz nahm.Die dort ausgestellte Urkunde unterfertigte er eigenhändig, und mit ihm unter-schrieb sein capellanus Bemardus. Die Hälfte der Strafgebühr für die Nichtein-haltung des Friedensgebotes sollte kamare suprascripti Henrici ducis zugutekommen. Und schließlich ist auf eine Urkunde Heinrichs des Stolzen von 1136divina favente gratia dux Sansoniae hinzuweisen, der erneut für S. Mariaurkundete und der Güter verlieh48• Die Urkunde spricht dabei von Astensiterritorio nostro in loco videlicet ubi Carceres nuncupatur. Der beim Rechtsaktanwesende Notarius Drasolphus Sansoniensis Welphonis duds, ein Sachse,wird Herzog Welf VI. zugeordnet, dem in Italien also der Herzogstitel bereitszugelegt wurde. Die Welfen, Heinrich der Schwarze und Heinrich der Stolze,letzterer offenbar im Auftrag seines Bruders Welf, befanden sich also imBereich von Padua und Venedig auf ihrem Familiengut und im eigenen Amts-bezirk zugleich; eine Abschichtung von ihren Halbbrüdern hatte bis dahinoffenbar nicht stattgefunden. Im Gegenteil: Noch 1140 zeugte Welf in einerUrkunde Markgraf Fulcos für S. Maria. Die zahlreichen Urkunden der Mark-

44 P. KEHR,ltalia Pontificia VII,I (1923) S. 205; ebd. S. 203: Marchiones Atestini.4S Die Urkunden für S.Maria delle Carceri werden hier zit. nach MURATORI,Ant.

Est., sind jedoch auch nachgewiesen bei A. GLORIA, Codice diplomatico Padovano, 3Bde. (1877-1881).

46 MURATORI,Ant. Est. S. 282; GLORIA I, 34, S.28f.47 Ebd. S. 283/284 von 1116 März 12 und 1117 Okt. 4; GLORIA I, 78, S. 64 und

92, S. 75f.481136 Febr. 10: MURATORIS. 287 = GLORIA, 1,289, S. 223ff. Die Ausgabe D

HdL 30 S. 42ff. weist auf diese Urkunde hin, die als Fälschung des 14./15.Jahrhunderts auf den Namen Heinrichs des Stolzen angesehen wird. J. HEYDEL,DasItinerar Heinrichs des Löwen, Niedersächs. Jahrb. 6 (1929) S. 30, diskutiert dieUrkunde ausführlich; K. FELDMANN (wie Anm. 17) übergeht, wohl Jordan folgend,diesen Beleg mit dem dux-Titel Welfs. Ob er für 1136 in Anspruch genommen werdendarf, ist hier nicht zu entscheiden.

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grafen Fulco und Azzo Ill. zwischen 1115 und 1145 lassen zwar keine Konkur-renz zu den welfischen Vettern erkennen, doch der Kampf brach offensichtlichnoch zu Lebzeiten des alten Adalbert Azzo aus, der 1097, angeblich im Altervon 100 Jahren, starb49•

Erst im Jahr 1154 wird der Konflikt erkennbar; es kommt zu einem Aus-gleich, einer Concordia zwischen Heinrich dem Löwen und den Brüdern Boni-fatius, Fulco, Albert und Obizoso. Welf VI. hat diese Urkunde im Jahr 1160erneuert; sinngemäß stimmen die Texte überein. In beiden Fällen handelt essich um eine Belehnung der Markgrafen durch die Welfen mit Este, Solesino,Arqua (petrarca) und Merendola (alle bei Este südlich von Padua), die der Her-zog cum vexillo investivit. Ausdrücklich wird darauf hingewiesen, daß alleGüter mit Zubehör, die ihr Vater (Fu1co, der Bruder Welfs IV.) dort schonbesessen hatte, dem Lehen zuzurechnen seien und daß dieses in männlicher wiein weiblicher Erbfolge weitergegeben werden könne. Man schwört sichgegenseitig Schutz und Treue in den üblichen lehensrechtlichen Formen, undHeinrich bekundet schließlich, daß damit aller Streit beendet sei, den es indieser Sache gegeben habe, verbunden mit einer Amnestie für alle Straftatenwährend der Streitigkeiten. Das ganze fand 1154 im Oktober im Lager beiPovegliano, südlich des Gardasees bei ViIlafranca, statt, also auf demItalienzug Barbarossas. Auffallend ist, daß in dieser Situation Heinrich derLöwe die welfische Seite vertrat, während Welf VI. offenbar nicht auf demFeldzug anwesend war, wogegen 1160 Welf VI. denselben Vorgang erneuerte:Die beiden Welfen haben sich also gegenseitig vertreten+. Und bemerkenswertist auch, daß die Auseinandersetzungen unter den Erben des Hauses Este imlehenrechtlichen Bereich abgewickelt wurden. Die Welfen erschienen nun imGefolge des deutschen Königs und verzichteten letztlich auf ihren Besitz zugun-sten einer Lehenbindung, die ganz von den jeweiligen Machtverhältnissen ab-hängig war.

Damit waren, in der 2.Hälfte des 12. Jahrhunderts, die "italienischen Wei-fen" im Heimatland ihrer Vorfahren mit ihren Erbansprüchen gescheitert. Diesfällt zusammen mit dem gleich zu besprechenden Ende ihrer Herrschaft in derToskana. Zuvor jedoch ist ein Blick auf jenes Gebiet erforderlich, das "vonAlters her" welfisches Besitztum enthielt, auf die Alpenlandschaft zwischenBrenner und VeronaS2.

49 Bernoldi Chronicon, MG SS V S. 465: Azzo marchio de Longobardia, palerWeifonis ducis de Baiowaria, iam maior centenario ut aiunt, viam universae terraearri/!uit, magnamque werram suisjiliis de rebus suis dereliquit.

30 D HdL 30 S. 42 (vgl. Anm. 48), in später Abschrift überliefert.SI 1160 Jan. 6: GLORIA,3, 710, S. 40; PELDMANN, Reg. 93-95, alle in Abschrift

überliefert.S2 Zur Frage der Beziehungen der Welfen zu Tirol insbes. FLECKENSTEIN (wie

Anm. 5) S. 78ff.; R. GOES,Die Hausmacht der Welfen in Süddeutschland (Diss. phil.masch. Tübingen 1960) S. 95-104.

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Die Einzelbelege müssen hier nicht aufgegriffen werden: dies ist an andererStelle geschehenS3• Das Wirken der Welfen im Gebiet zwischen Brenner undVerona läßt sich in drei Etappen nachzeichnen: Die erste endete mit dem Jahr1027, als Kaiser Konrad 11.auf seiner Rückkehr vom ltalienzug die Verhältnis-se in Schwaben und Bayern geklärt hat, die durch den Aufstand seines Stief-sohns Herzog Ernst und des Grafen Welf 11. ins Wanken geraten waren. Kon-rad hat sich damals, vor seiner Rückkehr nach Augsburg und Regensburg, füreinige Tage im Eisacktal und auf dem Ritten aufgehalten und hat die dortigenGrafschaftsrechte im Trentino, im Vinschgau und um Bozen an den Bischofvon Trient übertragen, diejenigen im Inntal und Eisacktal an den Bischof vonBrixen, wo sie jeweils an die Stelle des Welfen traten54• Seit wann Welf 11.mitköniglicher Vollmacht im Gebiet südlich der Alpen amtiert hatte, ist ungewiß.Der Bericht der Historia Welforum, wonach Welfs Bruder Heinrich in Lana beieinem Jagdunfall ums Leben gekommen sei, in Verbindung mit dem später be-zeugten Welfenbesitz zwischen Fempass, Reschen und Lana - mit dem Eingangins Ultental -, läßt den Schluß zu. daß spätestens Welf 11.dort eine Machtposi-tion aufbauen konnte. die Augsburg, wo sein Onkel Eticho Bischof gewesenwar (gest. 988). mit Oberitalien verband und wo er sich zugleich eine Besitz-brücke hinüber nach Churrätien schups.

Auf die Bedeutung des Paßlandes hinzuweisen. das in ottonischer Zeit eineneue Dimension erlangt hatte, erübrigt sich. 976 war das Herzogtum Kärntenvon Bayern abgetrennt worden, und ihm gehörte auch die Mark Verona zu, sodaß der Kärntner Herzog Einfluß und Zugriffsmöglichkeit im Bereich derVeroneser Klause erhielt: Welf Ill., von dem schon die Rede war, hatte diesesAmt von 1047 bis zu seinem Tode 1055 inne, auch wenn man wenig darüberweiß, wie er es ausgeübt hatS6•

Die zweite Periode endete wie die erste. Welf IV.• seit 1070 als AnhängerKönig Heinrichs IV. mit dem Herzogsamt in Bayern belehnt, war 1076 vonihm abgefallen und hatte, genau wie Welf 11. im Jahr 1027, das Gebiet desAugsburger Bischofs angegriffen und in jahrelangen Feldzügen verwüstett". ImJahr 1078 erhielt der königstreue Bischof Altwin von Brixen Güter und Rechte

IIII

S3 H. SCHWARZMAIFlt,Die Welfen und der schwäb. Adel (wie Anm. 11); dort dieBele~e für das folgende, falls nicht nachgewiesen.

4 Die Urkunde 0 KoII 92-103; R. HEUBERGER,Kaiser Konrads II. Alpenübergangim Frühjahr 1027. Der Schlern 9 (1928) S. 48-54, in einigen Punkten zu korrigieren;BRESSLAU,Jahrbücher Konrads II. (wie Anm. 43) S. 208ff.

SS G. SANDBERGER,Bistum Chur in Südtirol, ZBLG 40 (1977) S: 705-828.S6 K.-E. Kl.AAR, Die Herrschaft der Eppensteiner in Kärnten (1966) S. 98,

verweist auf eine Gerichtsurkunde Welfs Ill. von 1050 Mai 26 aus Vicenza und auf dieTeilnahme Welfs am Ungarnfeldzug von 1051.

57 G. KREuZER, Augsburg als Bischofsstadt unter den Saliern und Lothar Ill., in:Geschichte der Stadt Augsburg (2198S) S. 123, insbes. nach den Annales Augustani(MG SS Ill) S. 130ff.

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des abgesetzten Herzogs Welf im Passeiertal und im Vinschgau, also eingezo-genes Reicbslehen58• Erneut wurden die Bischöfe von Brixen und Trient zu denExponenten des Königs im Etsch- und Eisacktal, und erneut bemerkt man daseifrige Bemühen der Welfen um den Zugang zu den nach Italien führendenStraßen, vor allem nach 1096, als Welf IV. das Herzogtum Bayern wiederer-langte. Schenkungen der Welfen an ihre Klöster, vor allem an Weingarten undRottenbuch, aber auch an das zu ihrem Klientelbereich gehörige Ottobeuren,belegen ihr fortdauerndes Interesse an diesem Verbindungsland zwischenSchwaben und Oberitalien, und auch die Entmachtung Welfs IV. kann nur tem-porär gewesen sein, zumal sie nur die Reicbslehen betraf59• Als Welf IV. 1101starb, erhielt Rottenbuch auch Schenkungen im Vinschgau; nach dem TodeWelfs V. 1120 dotierte sein Bruder Heinrich die Leonhardskirche imPasseiertal60 •

So ist die dritte Phase welfischen Einflusses im Alpengebiet gekennzeichnetdurch eine das ganze 12. Jahrhundert andauernde Besitzpolitik der Welfen, dienun freilich nicht mehr von Amtspositionen und Grafschaftsrechten mit den da-zugehörigen Reicbslehen bestimmt war, sondern von einem ausgeklügelten Kli-entelsystem, in das die Markgrafen v. Ronsberg, die Grafen v. Eppan, die Her-ren v. Tarasp mit ihren Dienstleuten sowie zahlreiche welfische Ministerialeneinbezogen waren, stets mit ihren Kirchen- und Vogteirechtenv'. Dies mageffektiver gewesen sein als die direkte Herrschaftsausübung im Auftrag desKönigs, und die schon geschilderte Episode aus dem Jahr 1158 um Heinrichden Löwen und die Eppaner Grafen zeigt das Funktionieren: Der Weg nachOberitalien war für die Welfen frei, und erst im Herrscbaftssystem Barbarossasbauten sich ihnen. die gleichen Hindernisse auf, die auch der Kaiser zuüberwinden batte, wenn er sich anschickte, in Italien zu regieren62•

In diese sich wandelnde Situation führt unser letzter Abschnitt, der mit demHinweis auf die Situation im Alpengebiet in der Zeit Heinrichs IV. bereits an-gesprochen wurde. Es geht um die Ehe Welfs V. mit der Großgräfin Mathildevon Tuszien, die im Jahr 1089 geschlossen worden ist63. Sie war eine Episode

58 J. RIEDMANN,Mittelalter, in: Geschichte des Landes Tirol Bd. 1 (21990) S.333-336.

59 1095 - im gleichen Jahr, in dem die Ehe Welfs V. und Mathildes aufgelöst wur-de - erlangte Welf IV. das Herzogtum Bayern zurück; G. MEYERV. KNONAU,Jahrb,Heinrichs IV. Bd. 4 (1903) S. 478f.

60 Alle Belege im Tiroler Urkundenbuch, hg. von P. HUfER, Bd. I, hier Nr. 142S.65.

61 Zum welfischen Klientelsystem im Alpenland H. SCHWARZMAlER (wie Anm. 11)S. 89 und Anm, 48.

62 A. HAVERKAMP,Herrschaftsformen (wie Anm. 14), insbes. Teill S. 71ff., 76ff.63 Die Fülle der Literatur kann hier nicht angegeben werden; allg. zu Mathilde

Lexikon des Mittelalters 6 (1992) Sp. 393ff. und ält. Lit.; bereits genannt A. OVER.MANN(wie Anm. 17) und T. GROSS,Lothar Ill. und die mathildischen Güter (1990).Vgl. W. GOEl, Markgräfin Mathilde von Canossa, in: Gestalten des Hochmittelalters

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und ein epochales Ereignis zugleich, ein seltsamer Widerspruch wie alles, wasmit dieser unnatürlichen Verbindung des 17jährigen Welfensprosses mit der40jährigen Mathilde zusammenhängt. Die Zeitgenossen haben darüber gespot-tet und prophezeiten der politischen Eheschließung keine lange Dauer, wie esja auch gekommen ist. Doch dies braucht hier nicht zu berühren. Einziginteressant ist die Frage, wie der Papst diese Ehe der reichsten und mächtigstenErbin Italiens mit dem gerade erst mündig gewordenen Sohn Welfs IV.zustandebrachte und welche Hoffnungen und Abmachungen die Welfen mit ihrverbanden. Daß das ungleiche Paar Kinder, also gemeinsame Erben habenwürde, konnte man im Ernst nicht annehmen64• Doch mit Sicherheit hat WelfIV. eine vertragliche Abmachung bewirkt, die seiner Familie das Erbe derGräfin zusicherte6S• Darüber ist so viel geschrieben worden, daß es hier nichtwiederholt zu werden braucht; vor allem wurde über das Schicksal der"mathildischen Güter- nach 1095, als die Ehe von Welf und Mathildegeschieden wurde, so intensiv nachgeforscht, daß dies als bekanntvorausgesetzt werden kann. Die Welfen hat man in diesem diplomatischenSpiel als Randfiguren, Welf V. als kaum zu erwähnenden Statisten angesehen,und dies galt auch für ihre Herrschaftsvorstellungen und ihre Anspruche, diesie aus dieser Ehe abgeleitet haben. Sie lassen sich an wenigenRegierungshandlungen konkretisieren, in denen der junge Welf V., derPrinzgemahl der großen Gräfin, an ihrer Seite erschien und mit ihr zusammenregierte66 •

Die erste Phase spielte sich im Bereich Mantuas ab, wo sich Welf und Ma-thilde aufhielten und auf das Heinrich IV. sogleich seine militärischen Kräftekonzentrierte. Monatelang, vielleicht fast ein Jahr, hat Heinrich die Stadt bela-gern lassen, ehe sie, von Welf und Mathilde geräumt, von den Bürgern überge-

(1983) S. 175-201; DERS.• Marilda Dei gratia si quid est. Die Urkunden-Unterfertigungder Burgherrin von Canossa, DA 47 (1991) S. 379-394; W. Goez bereitet die Ausgabeder Urkunden Mathildes vor. Jetzt auch P. GOLlSFllJ, Matilde e i Canossa nel euoredel medioevo (1991), zum folg. S.255ff.

64 GOEZS. 195 spricht von einer "Scheinehe" ("der junge Welf ist Halbitalienerwie die Großgräfin selbst"); dies entspricht der Angabe Welfs, die Ehe nicht vollzogenzu haben, (vgl, auch Anm. 74).

6S GoEZ bezeichnet Welf (wie Anm. 63) S. 194 als einen "betrogenen Spekulan-ten", da die Absprache Mathildes mit dem Papst bereits erfolgt sei, als man heiratete.Doch ist schwer vorstellbar, daß Welf IV. sich nicht abgesichert hat, zumal er der Gm-fln als ebenbürtiger Partner gelten mußte, nicht weniger jedenfalls als deren erster Ge-mahl Gottfried von Lothringen. Über die in der älteren Lit. herausgestellte Verwandt-schaft der "Otbertiner" mit dem Haus Canossa vgl. BRESSLAU(wie Anm. 43) S. 414ff.,S. 431ff. Sie entstand aus der Namensgleichheit von Adalbert-Atto von Canossa mitdem Otbertiner Adalbert-Azzo; vgl. V. PUMAGALll, Le origini di una grande dinastiafeudale - Adalberto Atto di Canossa (1971).

66 Vg!. die Regesten bei OVERMANN S. 123ff., insbes. S. 155-161 Nm.45d-49b.

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ben wurde67• Mathilde hat sie durch ein Privileg zur Treue verpflichten wol-len, doch hat es den Anschein, daß die Mantuaner nicht ungern die Gelegenheitbenutzt haben, die unbequeme Herrschaft der Markgräfin abzustreifen. Be-zeichnend ist jedoch, daß es gerade Mantua war, das zum Kriegsschauplatzwurde. Welf war dort nicht allzuweit von den väterlichen Gütern entfernt, dienoch in der Hand des uralten Adalbert Azzo waren, die Welf IV. jedoch in ih-rer Gesamtheit für sich beanspruchte. Welf IV. hat daher in diesen Jahren einenKrieg an zwei Fronten geführt: In Schwaben, wo im Jahr 1090 Herzog Bert-hold von Rheinfelden gestorben war und wo Welf insbesondere den Kampf umdas Bistum Augsburg fortsetzte, und in Oberitalien, wo der junge Welf dieKräfte des Kaisers band, zumal auch Herzog Friedrich von Schwaben beimkaiserlichen Heer weilte.

Auch im Jahr 1091 gingen die Kampthandlungen weiter. Bemold, für diefolgenden Ereignisse unsere deutsche Hauptquelle, berichtet, der alte Welf seinach Verona gekommen und habe dort mit Heinrich IV. verhandelt, um ihn zurHerausgabe der inzwischen eroberten mathildischen Burgen und Städte zu be-wegen, was Heinrich ablehnte. Welf wäre in dieser Situation zu einem Frie-densschluß bereit gewesen, so meint Bemold, der freilich eine eindeutige Ten-denz vertritt68• Seine Informationen, die er unmittelbar in sein chronikalischesWerk verarbeitete, entstammten dem welfisch-zähringischen Kreis der GegnerHeinrichs, und in ihrem Sinne berichtete er auch über die italienischen Dinge,die er offensichtlich aus welfischer Quelle erfahren hat. Zum Jahr 1092 ver-steigt er sich zu der Formulierung, Heinrich IV. habe das Land Welfs (terramWelfonis ltalici duds) verwüstet und verbrannr'", wie überhaupt für Bemoldder junge Welf eine führende Rolle in den italienischen Kämpfen einnimmt,während Mathildes Biograph Donizo ihren Gemahl unerwähnt läßt70. Auch denAbfall des Königs Konrad vom kaiserlichen Vater führt Bemold auf Welf und

67 G. SISSA,L'azione della contessa Matilda in Ma~tova e nel suo contado, in: Stu-di Matlldici 1(1964) S. 147-159. Vgl. Bernold (SS V) S. 451.

68 G. MEYERV. KNoNAU,Jahrb. Bd. 4 S. 338, nach Bernold S. 452: Welfo duxBaiovariae in Auguste mense Longobardiam venit, ut Henrico regi reconciliaretur. FürBernold ist die Forderung Welfs IV. realistisch, so daß er den ablehnenden Kaiser alsfriedensfeindlich darstellen kann. Aus welflscher Sicht hat man stets die Gleichzeitig-keit der Ereignisse in Schwaben (Tod des Gegenherzogs), im Alpengebiet (Verleihungder Grafschaft im Pustertal an Altwin von Brixen) und in Oberitalien (den Kampf derWelfen um das Erbe der Este) zu berücksichtigen.

69 Zu Bernold I.S. ROBINSON,Zur Arbeitsweise Bernolds von Konstanz und seinesKreises, DA 34 (1978) S. 51ff.; WATIENBACH-SCHMALE,Deutschlands Geschichtsquel-len Tell 11 (1967) S. 52lff. Während dieser Jahre lebte Bernold in Allerheiligen inSchafthausen.

70 Donizo, Vita Mathildis, MG SS 12 S. 351-409; WATIENBACH-SCHMALETeilllI(1971) S. 926-928; M. NOBIU,L'ideologia politica in Donizone, in: Studi Matildici III(1978) S. 263-279.

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Mathilde zurück. ganz im Sinne der gegen Heinrich gerichteten Geschichts-schreibung?'.

In diesem Zusammenhang ist ein merkwürdiges Dokument zu erwähnen,eine Schenkung der Markgräfin Mathilde an Bernolds Kloster St.Blasien, diePapst Urban n. wenig später, am 6. Februar 1094, bestätigte72• Es handelt sichum das Gut Deidesheim unweit von Speyer, das offenbar zum lothringischenHausgut Mathildes gehörte und über das sie verfügte, obgleich es Heinrich IV.zwischenzeitlich eingezogen und an St. Guido in Speyer übertragen hatte.Natürlich besaß St. Blasien keine Besitzungen in der Umgebung von Speyer.Mathildes Schenkung paßt in diese Zeit ihrer Ehe mit Welf V., zumal St.Blasien so etwas wie das Hauskloster der Rheinfelder war. Vielleicht beziehtsich diese Schenkung auf den Tod Bertholds von Rheinfelden, der wohl in St.Blasien begraben wurde73• Die enge Verbindung der Reformkreise und ihrerKlöster kommt auf diese Weise zum Ausdruck.. Die Trennung der Ehe zwischen Welf und Mathilde, so schreibt Bemold,habe WelfIV. zu verhindern versucht. Voller Zorn sei er über den Sohn gewe-sen, der geltend gemacht habe, daß die Ehe zwischen ihm und Mathilde nichtvollzogen worden sei, und er habe sogar den Kaiser um Hilfe angerufen, utipsam (Mathilde) bona sua filio eius dare compeüerei'", Bernold mag es einegewisse Überwindung gekostet haben, diesen Tatbestand offenzulegen, der die

II1,i,I

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71 Zu Konrad W. HOLtzMA.1IlN,Maximilla regina, soror Rogerii regis, DA 19(1963) S. 149-167.

72 D HN 385 von 1086 Jan. 14 (Original GLA Karlsruhe A 112) für St. Guido inSpeyer, eine zur Memoria der Salier getätigte Schenkung Heinrichs N. eines Gutes:tale praedium quale Mahtilda nostra neptis in loco Titenesheim habuerat et quod innostram potestatem lege et iudiciatio iure pervenerat. Schon 1057 April 5 hatte Hein-rich (D HN 11) das Gut Deidesheim an das Domkapitel ZUSpeyer geschenkt. Trotzder Schenkung von 1086 bestätigte Papst Urban 11. 1094 Febr. 6 dem KlosterSt.Blasien das praedium in Deidesheim, das karissimae filiae nostrae Matildiscomitissae äevotioni zu verdanken sei (BRACKMANN, Genn. Pont. 11,1 [1923] S. 169f.Nr. 3, Druck bei M. GERBERT,Historia Nigrae Silvae III Nr. 23 S. 33 zu 1093, Orig.GLA Karlsruhe B 4). Daß die Schenkung Mathildes an St.Blasien erst kurz ZUvoranzusetzen ist, legt der Verbrüderungsvertrag von 1093/94 zwischen Cluny undSt.Blasien nahe, der den Zusammenhang aufzeigt: Orig. GlA Karlsruhe C 5, vgl.Katalog "Unverrückbar" (wie Amn. IS) Nr. 28 S. 94 mit Lit., entstanden imZusammenhang mit einem Besuch Abt Hugos von Cluny in St.Blasien auf dem Höhe-punkt der Verschwörung der Reformpartei gegen Heinrich N.

73 Vgl. Anm. 21. Die Gründung von Ochsenhausen als st.blasisches Priorat ist um1093 anzusetzen; vgl, Genn. Bened. V (1975) S. 454ff. Dies berichtet auch Bemold S.456.

74 Bemold S. 462: Weifo Jilius duds Wtifonis Baiovariorum a coniugio domnaeMathildis se penitus sequestravit, asserens illam a se omnino immunem permansisse,quod ipsa libentissime in perpetuum reticuerit, si non ipse prior illud satis inconsideratepublicaverit. GRoss (wie Anm. 63) S. 17 Anm. 61; Jahrbücher Heinrich N. Bd. 4 S.447f.; ÜVERMANN (wie Anm. 17) S. 245C.

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einstigen Abmachungen Welfs IV. mit Mathilde erkennen ließ: Daß man bereitwar, die Partei zu wechseln, um den Erbanspruch der Welfen durchzusetzen,paßte ebensowenig in Bemolds Weltbild wie die Anrufung des verhaßten, imKirchenbann befindlichen Kaisers. In der Tat leitete die Scheidung die allmäh-liche Aussöhnung der Bürgerkriegsparteien ein: Welf V. ist später auf der SeiteHeinrichs V. anzutreffen; 1120 starb er kinderlos. Die Historia Welforumschildert ihn als einen vir moderatissimus, qui magis liberalitate et facilitatequam crudelitate omnia sibi resistentia subiecitl>. Die Aufgabe, die ihm derVater zugewiesen hatte, hat er nicht in dessen Sinn gelöst, doch seine Erbenhaben seinen Erbanspruch nicht aufgegeben. Er bezog sich auf die deutschenHerzogtümer gleichermaßen wie auf das Erbe der Otbertiner sowie der Mark-gräfin Mathilde. Und da diese in ihrem Testament eine eindeutige Verfügungüber ihr Erbe getroffen hatte, bedurfte es der Annäherung an den König, umzum Ziel zu gelangen. Die Aussöhnung der Parteien in Schwaben im Jahr1098, noch im Beisein Welfs IV., war der erste Schritt auf diesem Weg, dieAnnäherung Welfs V. an Heinrich V. der nächste76, die Unterstützung KönigLothars der dritte und folgenreichste. führte er doch zur Ehe Heinrichs desStolzen mit Lothars Tochter Gertrud und damit zur eigenen Thronkandidaturdes Welfen nach Lothars Tod.

In den Kampf um das mathildische Erbe hat sich offenbar weder Welf V.noch sein Bruder Heinrich d. Schwarze direkt eingeschaltet, so sehr sie denAnspruch auf die Güter der Este aufrechterhalten haben. Erst Heinrich derStolze ist an der Seite Lothars wieder in die welfischen Positionen eingetreten,zunächst, wie es scheint, als Schwiegersohn des Kaisers, aber natürlich auf derBasis alter welfischer Besitzrechte und eines Anspruchdenkens, das auch dievertraglichen Abmachungen Welfs IV. mit der Kurie und der Markgräfin ein-schloß. Dies wird evident in jenem im Liber Censuum überlieferten Papstprivi-leg Innozenz' 11. von 113377, in dem dieser das allodium bone memoriecomitisse Matilde an Lothar auf Lebenszeit und unter der Bedingung desHeimfalls nach seinem Tod übertrug. In einem zweiten Teil der Urkunde wirddie Abmachung auf Heinrich den Stolzen und seine Gemahlin Gertrudisausgedehnt, der seinerseits dem Papst den Lehns- und Treueid leisten sollte,auch hier mit der Absprache des Heimfalls. Fraglich ist, ob diese Urkunde

7S Hist. Welf. ed. KÖNIGS. 22f. Für den welfischen Chronisten ist Welf V. derVermittler zwischen Heinrich V. und dem Papst, zwar 1111 in Rom bei der Gewaltak-tion gegen Paschalis 11. dabei, ist er aber der Friedensvermittler am Ponte Mammolo,was freilich nur die Welfenquelle weiß.

76 STÄLIN,Wm. Geschichte (wie Anm. 42) Bd. 2 S. 271 zu 1103, nach NEUGART,Cod. dipl, Alem. 2, 831 S. 41: SchreibenPapstPaschals 11. an den dux Guelpho et fra-ter eius Henricus, in dem er ihnen vorhält, daß sie demperverso capiti (Heinrich IV.)anhängen.

77 GROSS(wie Anm. 63) S. 107-117; MG Const. I Nr. 117 S. 169f. Vgl. W. BERN.HARDI,Jahrbücher Lothars v.Supplinburg (1879) S. 482.

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überhaupt ausgefertigt wurde und Rechtskraft erhielt, und auch ihr Inhalt ist,gerade im Hinblick auf die Nachfolgebelehnung des Welfen, nicht unproblema-tisch. Doch ist nicht von der Hand zu weisen, daß Heinrich in der Gewißheit,König und Nachfolger Lothars zu werden, diesen Zusatzvertrag ausgehandelthat7S, da er in den nächsten Jahren mit diesem Rechtstitel tatsächlich auftrat,erstmals 1136, wo er in einer Urkunde Lothars als dux Bawariae et marebioVeronensium zeugt79, dann aber 1137 als Henricus dux Baioariae et marchioTuscie80: Das Itinerar Heinrichs in diesen beiden Jahren, an der Seite Lotharsin Italien, spricht für sich und zeigt die Aktivität beider in der Toskana, in Spa-leto und in Unteritalien. Die Historia Welforum unterstreicht diese Position:Heinricus noster per Tusciam exercitum duxit, quam et ab imperatore in benefi-cio obtinuitB1•

Die folgenden Ereignisse sind bekannt und brauchen wiederum nicht ausge-führt zu werden: Lothar starb am 4. Dezember 1137 auf der Rückreise nachDeutschland in Breitenwang in der Nähe des Fempasses, einem welfischen Ort,und ermöglichte seinem Schwiegersohn, als sein designierter Nachfolger aufzu-treten und die Positionen einzunehmen, die er schon vorher innegehabt hatte.Daß die Königswahl anders verlief und den Staufern den Weg zum Königtumfreimachte, gehört zu den Kernereignissen der deutschen und europäischen Ge-schichtes2. Der Tod Heinrichs des Stolzen am 20. Okt. 1139 beschließt diesePhase welfischer Geschichte.

Wir sind wieder bei unserer Urkunde von 1140 angelangt, von der wir aus-gegangen waren und deren Erklärung die vorausgegangenen Erörterungen dien-ten. Welfo dux Spoleti marchio Tuscie princeps Sardinie ac dominus tociusdomus comitisse Matrnldis, dieser Titel erklärt sich nun aus dem Vorausgegan-genen: Heinrich der Stolze hatte ihn sich erkämpft und hatte auch nach seinergescheiterten Königswahl daran festgehalten, und Welf VI. hat ihn offenbar,als Senior des Hauses und Erbe aller welfischen Besitzungen und Ansprüche,im ersten Jahr seines Seniorates, für sich reklamiert. Er entspricht der Situationnach dem Tode Heinrichs und vor der Niederlage Welfs im Kampf gegen Kon-rad Ill. im Spätjahr 1140. Ihm vorausgegangen war, wie wir meinen, ein neu-er, den veränderten Gegebenheiten Rechnung tragender Hausvertrag bei denWelfen, an dem auch Herzog Friedrich 11. von Schwaben beteiligt war, derSchwager Welfs und Heinrichs des Stolzen. Welf hat mit dem Herzogstitel denAnspruch auf Spoleto und auf die mathildischen Güter als welfisches Hauserbe

7S GROSS (wie Anm. 63) S. liS; BERNHARDI S. 484; beide datieren dieHinzufügung Heinrichs des Stolzen indas Jahr 1137.

79 1136 Okt. 3, DLothar 97 S. 155.SO 1137 Sept. 22 für Stablo, DLothar 119 S. 193. Vgl. E. BOSHaFt Staufer und

Welfen inder Regierungszeit Konrads Ill., AKG 70 (1988) S.324.SI Hist. Welf. cap. 23 S. 44; Itinerar Heinrichs des Stolzen und Lotbars bei GROSS

(wie Anm. 63) S. 303f.82Wie Anm. 35.

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zum Ausdruck gebracht, sein Name unterstrich dies. Im selben Jahr 1140 dürf-te Welf VII. geboren worden sein, der Name und Anspruch weiterführte, wäh-rend Heinrich der Löwe als Erbe seines Vaters bereitstand, das Welf VI.zunächst für ihn verwaltete. Konrad Ill. hat dies anders gesehen und fand sichdarin wohl auch im Gegensatz zu seinem Bruder Friedrich, der ihm den Vor-tritt bei der Königskandidatur gelassen hatte83• Für Konrad war Italien, warenauch die mathildischen Güter Teil seines Herrschaftsverständnisses, wie er esschon als Gegenkönig gegen Lothar Ill. vertreten hatte. Dies schloß denAnspruch der Welfen aus. Die Niederlage Welfs in Schwaben hat ihn zum Ein-lenken gezwungen, was sich auch in seinem Titel dokumentierte. Welfo dux,ohne Zusatz, mag er auf Spoleto bezogen haben; der König hat ihm den reinenTitel zugebilligt, doch in der einzigen Königsurkunde Konrads, in der Welf alsZeuge erscheint, heißt er domnus Welfo, führt also keinen Herzogsütel='. ErstFriedrich I. als König leitete das letzte Kapitel der Geschichte Welfs in Italienein, das abschließend kurz zu streifen ist. Die Quellen sind wiederum bekannt.

Auch in den frühen Urkunden Barbarossas erscheint Welf noch als domnusWelpho, gelegentlich mit dem Zusatz avunculus domni regis, jedoch auch undvon Anfang an als Welfo dux. Noch 1152 trägt Welf auch den Zusatz duxSpo/eti, gibt also eindeutig zu erkennen, woher er den Herzogstitel ableitete.Und am Ende des Jahres deutet sich der volle Titel an: dux Spoleti et marchioTusciae, rector Sardinie am 29. Dezember in Trier, der volle Titel erstmals imMai 1154, bezeichnenderweise in einer Urkunde Welfs VI. fur S. Benedetto diPolirone, das Haus- und Familienkloster der Markgräfin Mathilde südlich vonMantua85• Seine Privilegien ziehen sich wie ein Leitmotiv durch die Italienge-schichte der Deutschen: 1140, noch während der Belagerung von Weinsberg,war eine Delegation aus Polirone bei Konrad Ill. erschienen und hatte einSchutzprivileg Konrads entgegengenommen, in dem die Schenkungen Lotharsbestätigt wurden86: Konrad offenbarte sich damit als Herr der mathildischenGüter. Hätte Welf gesiegt, vielleicht würde man auch ihn um eineSchutzurkunde angegangen sein, wie er sie 1154 in Ravensburg ausstellte.Diese gab sich als Königsurkunde, bestätigte dem Benediktskloster alle Besit-zungen, die es von Kaisern, Königen und von der Gräfin Mathilde eiusqueparentibus erhalten hatte, einschließlich der Schenkungen Lothars, also dengesamten Besitz des Klosters, den es innehatte, als Welf das Gut der Gräfin(domum comitisse) erlangte. Die in 2 Exemplaren erhaltene Urkunde ist inRavensburg ausgestellt, scheint jedoch nicht unterfertigt worden zu sein. Das

83 Vg!. Anm. 38.84 FELDMANN,Herzog Welf (wie Anm. 17) Reg. 24;0 KoIlI 268. Zum folgenden

den Regestenanhang bei FELDMANNNr. 25-30, darin die Urkunde OF I 4 für Lüttich.85 H. SCHWARZMAIER,Das Kloster S. Benedetto di Polirone in seiner cluniazensi-

sehen Umwelt, in: Adel und Kirche. Festschrift für G. TEI.LENBACH(1968) S. 280-294,insbes. S. 282ff.

86Wie Anm. 41; vgl BOSHOF(wie Anm. 79) S.331f ..

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ergänzte, mit Tagesdatum und Zeugenreihe versehene Exemplar vermittelt denEindruck einer in Italien gefertigten Überarbeitung des unvollständigen deut-schen Textes87• Die Urkunde für Polirone ist das erste sicher datierte Stück,das Welf für ein italienisches Kloster gefertigt hat; zuvor ist er lediglich alsZeuge in Königsurkunden für italienische Empfänger genannt88•

Wann die Absprache Welfs VI. mit Barbarossa stattfand, die Welf die Be-lehnung mit den mathildischen Gütern zusicherte, läßt sich nur annähernd er-schließen. Sicherlich geschah es bald zu Beginn des Königtums Friedrichs imZuge eines generellen Ausgleichs des Staufers mit seinen welfischen Verwand-ten. So beschreibt es die Historia Welforum: Qui (Fridericus) avunculo suoGwelfoni marchiam Tusciae, ducatum Spoleti, ptincipatum Sardiniae, domumcomitissae Mahtildis in beneficia tradidit ... 89; dem welfischen Chronisten wardiese Formel völlig geläufig. Ganz im Sinne Ottos von Freising, der dieVersöhnung im staufisch-welfischen Haus als Einigungswerk Barbarossaspries, wurden die Konfliktstoffe beseitigt, wobei man den Empfindlichkeitender anderen Seite Rechnung trug. Erneut anerkannte man den Anspruch derWelfen - der Träger des Namens Welf - auf ihre historisch begründeten Rechtein Italien, solange sie mit dem Recht des Königs korrespondierten, das Lotharwie Konrad ßI. vertreten hatten. Es mag Welf klar gewesen sein, daß derErbanspruch Welfs V. längst nicht mehr bestand und daß jener Heinrichs desStolzen, den man 1140 nochmals aufleben lassen wollte, hinter dem des Königszurücktrat. Andererseits war die Präsenz der Welfen in Italien für Barbarossavon unschätzbarem Wert, solange sie nicht gegen das Reich gerichtet war, undder Kampf um das Erbe der Azzonen vertrug sich durchaus mit den königlichenZielen in Oberitalien. Welf seinerseits wußte dies auch und wird auch verstan-den haben, wie sehr sich die Verhältnisse in Italien geändert hatten. Wieschwer man es in Zukunft haben würde, mit den neuen Kräften der Kommunenund ihrer Organe fertig zu werden, hatte er selbst schon erfahren, und wenn ersich auf die Linie Barbarossas eingelassen hat, einen Verwaltungsstaat auf derBasis eines lehenrechtlich organisierten Systems aufzubauen, so entsprach diesdem in Deutschland gewachsenen Herrschaftsdenken, das freilich im Gebietjenseits der Alpen nicht mehr funktionieren konnte. Welf VI. und sein Sohnhaben in diesem Sinne in Italien gearbeitet, und so beschreibt es wiederum dieWelfenchronik, ganz aus schwäbischer Sicht: (Gwelfo) Italiam intrat ac

87 DF I 28: Friedrich I. 1152 für Pollrone, eine Bestätigung der Urkunden LotbarsIll. von 1132 (D Lothar 46, 76) und Konrads Ill. von 1140 und 1146 (D Kolli 150).

88 FELDMANN (wie Anm. 17) Reg. 66 mit allen Nachweisen; für die Überlassungvon Kopien der beiden Exemplare im Archivio di Stato Milano, Museo Diplomatico 40und 41, sowie weitere Kopien italienischer Welfenurkunden habe ich FrauDr. Baaken-Feldmann, Tübingen, bestens zu danken. Der beste Druck der beidenExemplare für Pisa bei H. KALBFUss,Urkunden und Regesten zur ReichsgeschichteOberitaliens I. QF1AB IS (1913) S. 62f.

89 Hist. Welf. cap. 28 S. 56 (Cont. Steingad.).

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civitates, castella seu villas per totam domum Mahthildis pertransiens negotiaterrae civiliter pertractat9O• Und weiter unten: Pisam in sancto sabbato cummaximo totius civitatis apparatu ingreditur ac ibidem pascha iocundissimecelebrans, egressus inde a Lucensibus non minori tripudio suscipitur": Diedamals ausgestellten Urkunden und Herrschaftsakte sind bekannt und kenn-zeichnen eine konservative Denkform, die für die Welfen in Italien vielleichtgerade deshalb besonders bezeichnend ist, weil es die Mittel waren, mit denensie 100 Jahre früher dort Erfolg gehabt hatten92• Der welfische Chronist siehtdies im Sinne seines Helden gleichsam als den Triumph eines Fürsten ausSchwaben in einem ruhmreich unterworfenen Land. Hatte Welf IV. 1056, alser nach Schwaben kam, die Rechts- und vielleicht auch die politischen Denk-formen des sich emanzipierenden Italien mitgebracht, so stand sein Enkel 100Jahre später, als er aus Schwaben nach Italien zurückkehrte, den dortigenRealitäten hilflos gegenüber. Zwar nannte er sich "Herr der mathildischenGüter", doch in diesem Titel blieb ihm nichts als eine historische Reminiszenz,eine Rückbeziehung auf die Welt seiner Vorfahren. Nach dem Tode seinesSohnes Welf VII., der 1167 in Italien der Krankheit erlag, zog er sich sang-und klanglos aus den dortigen Geschäften zurück und überließ sie neuenOrdnungskräften93•

90 Hist. Welf. cap. 29 S. 56.91 Ebd. cap. 29 S. 58; v.d. NAHMER,Reichsverwaltung (wie Anm. 14) S. 19ff. Die

Urkunde Welfs VI. von 1156 Febr, 10 für den Erzb. von Pisa (pisa, Arch. Arci-vescovile Nr. 2810), Nachweise und ält. Druckorte bei FELDMANN Reg. 76, mod.Bearbeitung fehlt. Die Urkunde von 1160 April 11 für Lucca (FELDMANN Reg. 101,Druck: Memorie e Documenti per servire all'istoria ... di Lucca Tom. IS. 174). Dasbei v.d. NAHMER(wie Anm. 14) nachgewiesene originale Material reicht für eineKanzleiuntersuchung nicht aus. Für vielfache Hilfe habe ich Herrn Dr. Wilhelm Kurze,Rom, ZU danken.

92 V. FuMAGAll1, I Canossa tra realtä regionale e ambizione europee, in: StudiMatildici III(1978) S. 36.

93 Hist. Welf. S. 70 (Übergabe an Barbarossa); zum Scheitern Welfs VI. v.d.NAHMER(wie Anm. 14) S. 22f. Weniger scharf, eher im Sinne der Resignation Welfsnach dem Tode seines Sohns, sieht dies FELDMANN (wie Anm. 17) S. 73ff. Zum Struk-turwandel in Italien W. GoEZ, Grundzüge (wie Anm. 4) S. 12lff.

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