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Flechten und Moose im Elbesandstein
Dr. Volker Beer
Flechten
Flechten sind für den Laien eine weitgehend unbekannte und uninteressante
Pflanzengruppe. Vor über einhundert Jahren wurde erkannt, das Flechten aus Pilzen
und Algen bestehen, die sehr eng miteinander verflochten und gegenseitig
voneinander abhängig sind. Dieses Zusammenleben, Symbiose genannt, ist sehr
empfindlich und anfällig gegenüber Störungen verschiedenster Art. Bemerkenswert
ist das große Spektrum von Inhaltsstoffen, von denen einige eine antibiotische
Wirkung haben. Die Alge liefert über die Photosynthese die Kohlenhydrate, während
der Pilz die Flechte mit den mineralischen Nährstoffen versorgt.
Flechten sind extrem an ihre Umgebung angepasst. In der Sächsischen Schweiz
wurden bisher 367 Flechtenarten nachgewiesen.
Es werden nach den Wuchsformen drei Haupttypen von Flechten unterschieden:
Krustenflechten
Der Thallus (Vegetationskörper) ist so fest mit der Unterlage (Substrat) verwachsen,
daß man ihn nicht oder nur schwer von diesem ablösen kann.
Blattflechten
Der Thallus ist mehr oder weniger rundlich und besteht aus blattartigen Loben
(Blättchen) mit deutlicher Ober- und Unterseite. Auf dieser sind Haftorgane
(Rhizinien) ausgebildet, mit denen die Flechte am Substrat befestigt sein kann.
Strauchflechten
Der Thallus ist bandförmig oder drehrund und häufig reich verzweigt. An der
Unterlage ist er mit Rhizinien oder mit Haftscheiben befestigt. Die fädigen, oft
hängenden Formen werden als Bartflechten bezeichnet. Einige Strauchflechten (die
Becherflechten) weisen stiel- oder trichterartige Differnenzierungen auf, die an der
Spitze mehrere Fruchtkörper (Apothecien) tragen.
Flechten sind bis auf ganz wenige Ausnahmen sehr extrem empfindlich gegen saure
Abgase und werden zur Bioindikation für Luftverunreinigungen verwendet. Sie haben
in den Tundren der Subarktis wirtschaftliche Bedeutung als Rentierweide
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(Rentierflechte Cladonia rangiferina), als gärtnerisches Material für Kranzgebinde
und Blumenarrangements sowie begrenzt als Farbstoffquelle für Textilfarben und in
der Pharmaindustrie.
Flechten sind weit verbreitet, häufig konkurrenzschwach und in großer
Mannigfaltigkeit als Überlebenskünstler auf extremen Standorten zu finden.
Neben der leuchtend gelben Schwefelflechte (Chrysothrix chlorina), der kräftig
grüngelben unechten Schwefelflechte (Psilolechila lucida) und der verwaschen
graugrünen Krätzflechte (Lepraria incana), die besonders häufig an den schattigen
Felsen (Silikat) der Täler vorkommen, gibt es auf den Felsen der Schluchten noch
eine Reihe anderer charakteristische Arten wie Racodium rupestre und Cystocoleus
ebeneus (schwarze Haarflechtengesellschaft).
Das typische Flechtenmosaik auf sonnigem Sandstein besteht aus der gelbgrünen
mit schwarzen Fleckchen und Rändchen versehenen Landkartenflechte
(Rhizocarpon geographicum), den braunen bis schwärzlichen und graugrünlichen
Nabelflechten und meist grünlichen Schüsselflechten wie der borealen Flechte
Einwärtsgekrümmte Schüsselflechte (Parmelia incurva), die in Sachsen nur in der
Sächsischen Schweiz und dem Zittauer Gebirge häufiger anzutreffen ist.
Am Polzenitgang (basaltähnliches, basisches Gestein) des Großen Winterberges
findet man die gelbbraunorange Kleinleuchterflechte (Candelariella vitellina).
Weitere Flechten gedeihen auf Baumrinden und Boden. In der Sächsischen Schweiz
sind Strauch und Becherflechten (Cladonien) sehr verbreitet. Besondere
erwähnenswert ist eine Schüsselflechte mit korallinischen Isidien (Parmelia saxatilis),
die im Gebiet häufig an Rinden, Boden, aber auch auf Fels anzutreffen ist.
Auf Rinden und Totholz (Telegraphenmasten) ist eine säuretolerante grünliche
Krustenflechte, die Lecanora conizaeoides, die eine Belastung mit bis zu 170 µg
SO2/m³ Luft toleriert, zu finden.
Die roten Beläge an den Bäumen sind eine rot aussehende Grünalge der Gattung
Trentepohlia (T. aurea). Das grüne Chlorophyll ist bei diesen Algen durch einen roten
Farbstoff überlagert.
Die Wolfsflechte (Letharia vulpina) wurde in Deutschland nur an einem einzigen
Fundort in der hinteren Sächsischen Schweiz nachgewiesen. In den österreichischen
Alpen ist die Wolfsflechte keine Rarität.
Andere seltene Flechtenarten sind die endemische Sudetenart Pertusaria ocellata
und die ozeanische Flechte Lecanactis premnea.
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Schwefelflechte
Schwarze Haarflechtengesellschaft
Moose
Für die Moosflora sind die Sandsteinfelsen der Sächsischen Schweiz von besonderer
Bedeutung. Durch die Höhenstufeninversion bedingt gedeihen in den feuchten und
kühlen Schluchten arktisch-alpine Silikatmoose, die ansonsten nur in höheren
Gebirgslagen vorkommen.
Der bekannte sächsische Kryptogamenforscher A. SCHADE untersuchte die
kryptogamen Pflanzengesellschaften an den Felswänden der Sächsischen Schweiz
schon um das Jahr 1923. Bisher wurden über 452 Moosarten in der Sächsischen
Schweiz nachgewiesen.
Kryptogamen sind "Pflanzen, die im Verborgenen heiraten" [griech. kryptós:
verborgen, versteckt; gamós: Hochzeit]. Zu den Kryptogamen gehören Farne, Pilze,
Flechten, Moose und Algen. Sie vermehren sich durch Sporen und stehen den
Samenpflanzen gegenüber. Die Kryptogamen weisen eine außergewöhnliche Vielfalt
auf und besiedeln nahezu alle Lebensräume.
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Moose sind grüne Landpflanzen, die kein Stütz- und Leitgewebe ausbilden. Sie
entwickelten sich vor etwa 400 bis 450 Millionen Jahren aus Grünalgen und stellen
die ursprünglichsten aller Landpflanzen dar. Charakteristisch ist der
Generationswechsel, bei dem die geschlechtliche Generation (Gametophyt)
gegenüber der ungeschlechtlichen (Sporophyt) dominiert. Der haploide Gametophyt
ist die eigentliche Moospflanze (im Gegensatz dazu sind alle Blütenpflanzen und
Farne diploid!), er kann lappig (thallos) oder beblättert (folios) sein. Moose enthalten
die Photosynthesepigmente Chlorophyll a und b. Stärke wird als Speichersubstanz
eingelagert. Die Zellwände bestehen aus Zellulose, enthalten jedoch kein Lignin. Es
gibt rund 16.000 Arten.
Nach ihrer Wuchsform und ihrem Aufbau unterteilt man drei Klassen der Moose:
Laubmoose (Bryophyta)
Die beblätterte Moospflanze wächst meist mit dreischneidiger, selten mit
zweischneidiger Scheitelzelle. Häufig ist eine Blattrippe mit Stängel und primitiven
Leitelementen, ebenso häufig sind Rhizoide mit Querwänden. Die Sexualorgane
stehen bei den Laubmoosen in Gruppen an den Enden der Hauptachsen oder an
kleinen Seitenzweigen, umgeben von den obersten Blättchen, die oft als besondere
Hüllblätter ausgestaltet sind.
Die Laubmoose werden heute in 3 Unterklassen eingeteilt. Die Laubmoose im
engeren Sinne (Bryidae) bilden mit etwa 800 Gattungen und etwa 15000 Arten die
mit Abstand artenreichste der drei Gruppen. Die Torfmoose (Sphagnidae) umfassen
etwa 300 Arten, die zu einer Gattung gehören. Die Klaffmoose (Andreaeidae) bilden
die dritte Unterklasse.
Lebermoose (Hepaticophytina, Hepaticae)
Lebermoose sind in Stängel und Blättchen gegliedert. Sie werden in thallose
Lebermoose (Marchantiopsida) und foliose Lebermoose (Jungermaniopsida)
unterteilt. Die Übergänge zwischen beiden Formen sind fließend. Thallose
Lebermoose zeigen eine geringe morphologische Differenzierung und tragen
unterseits nur glatte Rhizoide. Die foliosen Lebermoose tragen am Gametophyten
einfache Blättchen ohne Mittelrippe, in zweizeiliger Stellung. Der Sporogon entwickelt
erst die Kapsel, dann den Stiel. Die Öffnung entspricht Rissen.
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Hornmoose (Anthocerotopsida)
Bei diesen ist der Sporogon horn- oder schotenförmig ausgebildet. Sie bilden die
kleinste Gruppe mit etwa 100 Arten.
Besonders seltene Arten der Moosflora sind das Lebermoos Hygrobiella laxiflora
(ansonsten nur am Feldberg im Schwarzwald), die montan-alpinen Arten
Bruchblattmoos (Dicranodontium asperulum), Browns Vierzahnmoos (Tetrodontium
brownianum), sowie das montan - alpin verbreiteten Moos Michaux's Kahnblattmoos
(Anastrophyllum michauxii), die ozeanisch-montan verbreiteten Moose Echtes
Dünnkelchmoos (Mylia taylorii), Zerbrechliches Krummstielmoos (Campylopus
fragilis), Glänzendes Flügelblattmoos (Hookeria lucens), Wenigblütiges
Kleinschuppenzweigmoos (Kurzia sylvatica) sowie Wacholder-Weißmoos
(Leucobryum juniperiodeum) und Kahlfruchtmoos (Porella pinnata).
An den wenigen Kalksandsteinfelsen gedeihen seltene Kalkmoose wie
Schwarzgrünes Jungermannmoos (Jungermannia atrovierens), Kleines
Seidenglanzmoos (Orthothecium intricatum), Wirteliges Schönastmoos (Eucladium
verticillatum), Kleinschnabeldeckelmoos (Rhynchostegiella jaquinii), Zartes
Kleinschnabeldeckelmoos (Rh. tenella und Neckeria crispa) zu finden.
Insgesamt wurden über 452 Moosarten in der Sächsischen Schweiz nachgewiesen.
Peitschen-Lebermoos (Bazzania trilobata), ein typischer Fichtenbegleiter
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Sonnige Felsen, Riffe:
Moose
- Dicranum polysetum Wellblättriges Gabelzahnmoos
- Hypnum jutlandicum Heide-Schlafmoos
- Pleurozium schreberi Rotstängelmoos
- Ptilidium ciliare Gewimpertes Federchenmoos
Flechten
• Rhizocarpon geographicum Landkartenflechte
• Nabelflechtengesellschaften, insbesondere die
• Graue Nabelflechtengesellschaft und die
• Pustel-Nabelflechtengesellschaft
mit den Arten Lasallia pustulata sowie Umbiliaria hirsuta, U. polyphylla,
U. cylindrica
• Schüssel- und Strauchflechtengesellschaften mit
• Parmelia incurva Einwärtsgekrümmte Schüsselflechte
• Cladonia portentosa Ebenästige Rentierflechte
Schattiger oder nur wenige Stunden von der Sonne beschienener Fels,
Schlucht:
Moose
- Sphenolobus minutus Kleines Keillappenmoos
- Mylia taylorii Echtes Dünnkelchmoos
- Polytrichum alpinum Haarmützenmoos
- Polytrichum formosum Schönes Frauenhaarmoos
- Rhytidiadelphus loreus Riemenstängeliges Kranzmoos
- Rhytidiadelphus subpinnatus Sparriges Kranzmoos
- Odontoschisma denudatum Nacktes Pfennigmoos
- Plagiothecium undulatum Wellenblättriges Schiefbüchsenmoos
- Heterocladium heteropterum Ungleichgefiedertes Wechselzweigmoos
(Höhle)
- Schistostega pennata Feder-Leuchtmoos (Höhle)
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Werden die Leuchtmoose mit Wasser fein besprüht und dann im schrägen Winkel mit
einer Taschenlampe angestrahlt, reflektieren sie grünes Licht so wie etwa
Fahrradreflektoren.
Flechtengesellschaften mit
• Racodium rupestre schwarze Haarflechte(ngesellschaft)
• Cystocoleum ebenens schwarze Haarflechte(ngesellschaft)
• Chrysothrix chlorina echte Schwefelflechte
• Psilolechila lucida Unechte Schwefelflechte
• Lepraria incana Krätzflechte
• Trentepohlia ssp. (aurea) eine rote Grünalge
• Cladonia ssp. Becherflechten
breite Standortsamplitude, (also überall) gern im Fichtenwald:
Moose
- Bazzania trilobata Peitschen-Lebermoos
- Dicranella cerviculata Kropfiges Kleingabelzahnmoos
- Dicranodontium denudatum Zweizinkenmoos („Muzelmoos“, muzelnde
Brutblätter)
- Dicranum scoparium Besen-Gabelzahnmoos
(„falsches Muzelmoos“, muzelt wenig)
- Leucobryum juniperoideum Wachholder - Weißmoos
- Polytrichum commune Goldenes Frauenhaarmoos
- Pohlia nutans Nickendes Pohlmoos
- Mnium hornum Schwanenhals Sternmoos
- Isopterygium elegans Zierliches Gleichflügelmoos
Diese Arten besiedeln eher saure bis mäßig nährstoffversorgte Böden halbfeuchter
bis feuchter Ausprägung und sind öfter in Nadelwäldern oder in bewaldeten Mooren
anzutreffen. Sie bevorzugen schattige bis halbschattige Plätze und gelten als
Charaktermoose kalkarmer Wälder. Neben Böden besiedeln diese Arten ebenso
auch Felsen und teilweise auch Totholz.
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Wenn man mit feuchter Hand über die „Muzelmoose“ streift, ist diese danach grün
von den winzigen Brutblättern. Na, das kennt wohl jeder, der schon mal so eine echt
sächsische, feuchte und grüne „Schinderschlotte“ hochgerobbt ist, und danach ganz
grün war.
(alle Abbildungen: Dr. Volker Beer)
Zweizinkenmoos („Muzelmoos“) (Dicranodontium denudatum)
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Echtes Dünnkelchmoos (Mylia taylorii), eine ozeanische Art, die nur in immer luftfeuchten, von der Temperatur ausgeglichenen, kühlen Schluchten (Kellerklima) gedeiht.
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Literatur: BEER, V.; DENNER, M; MÜLLER, F. (2001): Mikroklima und Moosverbreitung in den
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Münstereifel: IDH. DÜLL, R.; MEINUNGER L. (1994b): Deutschlands Moose. 3. Teil: Orthotrichales: Hedwigiaceae-
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