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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...1 von 30 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur...

Date post: 20-Feb-2021
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1 von 30 Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur Freistil Cyclomania Radfahrer - Anarchisten in Funktionskleidung Von Günter Beyer Produktion: DLF 2015 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 01.10.2017, 20:05-21:00 Uhr Regie: Uta Reitz Sprecher: Tom Jacobs Frauke Poolman Martin Bross. Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © - unkorrigiertes Exemplar -
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Feature / Hörspiel / Hintergrund Kultur

Freistil Cyclomania Radfahrer - Anarchisten in Funktionskleidung Von Günter Beyer Produktion: DLF 2015 Redaktion: Klaus Pilger Sendung: Sonntag, 01.10.2017, 20:05-21:00 Uhr Regie: Uta Reitz Sprecher:

Tom Jacobs

Frauke Poolman

Martin Bross.

Urheberrechtlicher Hinweis Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Die Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 44a bis 63a Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig.

© - unkorrigiertes Exemplar -

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TAKE 01 (ATMO: RADFAHRER)

UNTERLEGEN BIS ... TAKE 02 (O-TON HARTZ) "Ich finde, das Radfahren macht frei. Man hat zwar noch so Bodenhaftung, aber eigentlich ist es schon fast wie Fliegen. Das beflügelt auch den Geist, da wird man auch so frei im Kopf!“ TAKE 03 (O-TON REZEWSKI) „Radfahrer haben überhaupt keine Lust, an der roten Ampel stehen zu bleiben, sondern richten sich so danach: Läuft grad der Verkehr, ja oder nein, dann fahr ich einfach.“ TAKE 04 (O-TON STOEVESANDT) "Wir sind alle Kampfradler! Wir halten uns nicht an Regeln, weil diese Regeln einfach schlecht gemacht sind für Radfahrer.“ TAKE 05 (O-TON MANN) „Die Straße gehört uns. Die Stadt gehört uns.“ TAKE 06 (O-TON REZEWSKI) „Ich glaube, dass wir da in Europa ne führende Stellung an Aggressivität im Straßenverkehr einnehmen.“ KIND „Soll ich dir mal was sagen: Ich brauche dringend ein Fahrrad.“ TAKE 07 (O-TON THIELBAR) „Dieses Image weg vom Arme-Leute-Verkehrsmittel zu einem anerkannten Verkehrsmittel für alle Schichten, das finde ich klasse.“ MILLER-ZITATOR „Mein bester Freund - das war mein Fahrrad.“ KREUZBLENDE TAKE 01 (ATMO RADFAHREN) MIT TAKE 08 (MUSIK: YVES MONTAND: À BICYCLETTE) INSTRUMENTAL-VORSPIEL FREI STEHEN LASSEN, REFRAIN UNTERLEGEN SPRECHER Cyclomania ERZÄHLERIN Radfahrer - Anarchisten in Funktionskleidung SPRECHER Von Günter Beyer

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TAKE 10 (ATMO STRASSE STEINTOR) UNTERLEGEN BIS … ERZÄHLERIN

Eine Geschäftsstraße in einem belebten Bremer Stadtteil. Tätowierstudio und Second-

Hand-Klamotten links, türkische Lebensmittel und Handyshop rechts.

Auf einem Hollandrad fährt eine Schülerin gemächlich mitten auf der Fahrbahn

stadtauswärts. Sie rollt auf einem Streifen zwischen den Straßenbahnschieren. Das ist hier

der Radweg, markiert mit weißen Fahrrad-Symbolen. Die Radlerin hat Stöpsel in den

Ohren. In Gedanken ist sie gerade ... ganz woanders! Eine durchgezogene Linie in der

Straßenmitte soll dafür sorgen, dass niemand überholt. Die Radlerin fährt entspannt. Sie

hat es nicht eilig. 11 km/h? 12? Es ist ja niemand hinter ihr her.

ZUMISCHEN

TAKE 11 (STRASSENBAHN LANGSAM, BIMMELN)

Abgesehen mal von der voll besetzten Straßenbahn und den Autos, die hinter ihr her

zockeln.

TAKE 12 (KLANG-MOTIV 2: FAHRRADSINFONIE) TAKE 13 (O-TON HARTZ) "Es ist ein Krautscheid-Rahmen, und Krautscheid ist eine Bochumer Rahmenschmiede, nur Einzelstücke, das ist sozusagen wie ein Maßanzug. Es wurde für jemanden, also jetzt nicht für mich, nach dessen Maßen angefertigt. Diesen Rahmen gibt es also nur ein einziges Mal in genau diesen Abmessungen, und da habe ich mich absolut in dieses Fahrrad verliebt." ERZÄHLERIN

Bettina Hartz ist leidenschaftliche Radfahrerin. Schon von Kindesbeinen an. Von Beruf ist

sie Schriftstellerin. Ihr jüngstes Buch heißt: "Auf dem Rad. Eine Frage der Haltung." Eine

Liebeserklärung ans Radfahren.

Bettina Hartz besitzt zwei Fahrräder. Eines, ihr Alltagsrad, steht im Keller und soll hier nicht

weiter interessieren. Das andere, dieses maßgeschneiderte Einzelstück, hat sie erst

gestern durchs Treppenhaus in ihre Wohnung, Berliner Altbau, vierter Stock,

hochgeschleppt. Ein Freund, sie nennt ihn nur "den Fahrrad-Affinen", hat ihr das

gebrauchte Krautscheid-Rad aufgemöbelt und nach allen Regeln der Kunst – kann man

sagen: gestylt?

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TAKE 14 (O-TON HARTZ) "Und dann habe ich mir sehr gewünscht, helle Mäntel zu haben, also keine dunklen, weil ich diese Fahrräder in den französischen Filmen so mag, und ich hatte auch als Kind so´n Fahrrad mit hellen Mänteln, ich finde das ganz besonders elegant." ERZÄHLERIN

Der Clou aber ist der schwarz umwickelte Lenker!

TAKE 15 (O-TON HARTZ) "Er ist bezogen mit dem Leder aus den alten Stiefeln der Freundin des Fahrrad-Affinen (LACHT) Alles Handarbeit, selber zusammengenäht.“ ERZÄHLERIN

Auch der Rahmen fällt auf: Kein bequem nach unten gezogenes Oberrohr, kein ladyliker

niedriger Durchstieg für gelegentliche Rockträgerinnen. Krautscheid ist ein Herrenrad!

TAKE 16 (O-TON HARTZ) "Also ich finde ja, dass man nur Herrenräder fahren kann, weil diese Geometrie des Fahrrads nur die Eleganz hat, wenn man ein Herrenrad hat. Man braucht halt diese so genannten Diamantrahmen, also fast ein Dreieck. Und ein Rennrad, was keinen Herrenrahmen hat, also ... kann man eigentlich gar nicht hingucken. Ich hatte nur Herrenräder. Mein ganzes Leben.“ TAKE 17: (KLANG-MOTIV 1: FAHRRADSINFONIE) ERZÄHLERIN

Allerdings, im Augenblick macht der Krautscheid Sorgen: Das Hinterrad ist völlig verbeult,

eine traurige Acht. Ein gegnerischer Autofahrer hat Krautscheid kürzlich von der Seite

gerammt. Der Fahrerin ist nichts passiert, aber das Rad ... sieht nicht gut aus! Ein Fall für

Versicherung und Werkstatt.

TAKE 18 (O-TON HARTZ) "Ich vermisse es schon sehr. Also es steht jetzt wenigstens seit gestern wieder in der Wohnung, nicht mehr im Fahrradladen. Gestern habe ich es also den halben Tag durch die Stadt getragen, weil es vom Fahrradladen wieder nach Hause musste. Ja, also wenn man so Liebesdienste erstmal investiert hat, dann ist das natürlich auch nicht ersetzbar. Es ist jetzt nicht mehr irgendein Rad, sondern genau dieses. TAKE 19 (MUSIK TOM WAITS: BROKEN BICYCLES)

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KIND

„Wozu brauchst du dringend ein Fahrrad“, fragte der kleine Bär (…). “Erstens muss ich

akrobatisch durch die Gegend kurven. Zweitens muss ich in die Ferne schweifen und

fremde Völker und Sitten erforschen. Und drittens muss ich meine Braut besuchen. Maja

Papaya.“ Da rief der kleine Bär: „Kommt nicht in die Tüte. Radfahren ist viel zu gefährlich.“

TAKE 20 (KLANG-MOTIV 3: FAHRRADSINFONIE) SPRECHER

Radfahren liegt im Trend. Wer sich ein neues, angesagtes Stahlross zulegt, über Marke,

verwendete „Komponenten“ und das passende Biker-Outfit fachzusimpeln versteht, kann

damit problemlos überall punkten. Der Hype ums Fahrrad spiegelt sich in nüchternen

Zahlen wieder. Jedes Jahr werden hierzulande inzwischen mehr Räder verkauft, als

Personenwagen neu zugelassen werden: Vier Millionen neue Räder, drei Millionen neue

Autos. Noch nie waren in Deutschland so viele Zweiräder unterwegs: 71 Millionen Stück.

Auch wenn jedes Jahr rund 300.000 davon geklaut und – meist auf Nimmerwiedersehen –

verschoben werden. Nur jeder zehnte Fahrraddiebstahl wird aufgeklärt.

TAKE 23 (QUEEN, „BICYCLE RACE“: KLINGEL-ZWISCHENSPIEL)

SPRECHER

Fahrräder also, wohin man blickt. Selbst auf Kreuzfahrtschiffen können Passagiere

neuerdings Mountainbikes für Landausflüge leihen.

TAKE 21 (O-TON BÄUMER) "Vor etwa zwei Jahren haben wir mit der Arbeit an dieser Ausstellung begonnen, und es war zu beobachten, dass das Fahrrad ein absolutes Hoch erlebt und dass es eigentlich in Europa kaum eine Stadt gibt, wo das Fahrrad nicht in die Verkehrsplanung zurückgekehrt ist."

SPRECHER

Mario Bäumer hat am Hamburger „Museum der Arbeit“ die Ausstellung "Das Fahrrad -

Kultur, Technik, Mobilität" vorbereitet.

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TAKE 22 (O-TON BÄUMER) "In allen Medien ist das Fahrrad präsent. Das Fahrrad hat ein durchweg positives Image. Und das ist auch für die Politik so, und es wurde auch auf der größten Fahrradmesse so symbolisch angedeutet, wenn die Kanzlerin so eine Fahrradmesse erstmals eröffnet. Man tritt da wirklich mit gewaltigen Schritten aus so nem kleineren Nischenbereich heraus, dass es auf jeden Fall heute so ist, dass auch ein Geschäftsmann Selbstbewusstsein äußern kann oder vielleicht der Firma vermittelt, wenn man beobachtet, wie er auf dem Firmenparkplatz vorfährt: ‚Oh, er fährt ein modernes Fahrrad!‘“

SPRECHER

Fahrräder sind heute wohl gelitten. Diejenigen, die drauf sitzen, dagegen nicht in jedem

Fall.

ZITATOR

„Für das schlechte Image der Radler gibt es vor allem zwei Ursachen: Zum einen hat der

Radfahrer im Allgemeinen von Vorschriften keine Ahnung. Man wird als Kind aufs Fahrrad

gesetzt und kriegt gesagt: Das darfst du und das nicht. Fertig. So entsteht ein rechtsfreier

Raum. Autofahrer müssen ja immerhin in die Fahrschule.“

SPRECHER

Kay Nehm, ehemaliger Generalbundesanwalt. Nach seiner Pensionierung Präsident des

Deutschen Verkehrsgerichtstages.

ZITATOR

„Die zweite Ursache für die Imageprobleme ist, dass Radfahrer sich aus diversen Gründen

für großartige Gutmenschen halten: Sie tun was für ihre eigene Gesundheit und entlasten

die Krankenkassen, sie sind umweltbewusst und verbessern die CO2-Bilanz. Drittens

entlasten sie den Straßenverkehr insgesamt. Klar, dass viele Autofahrer sich moralisch

vorgeführt fühlen.“

TAKE 26 (O-TON HARTZ) Also, ich muss schon so früh auf dem Fahrrad gesessen haben. ... Und eigentlich, es ist wie mit dem Schwimmen bei mir, ich bin eigentlich schon immer Fahrrad gefahren.“ TAKE 96 (O-TON HARTZ) "Wir hatten so ein Sommerhäuschen, und als ich Kind war, sind wir eigentlich in der Stadt fast gar nicht fahrradgefahren, sondern immer da draußen. Und ich bin dann mit meinem Bruder ganz viel rumgefahren. Also wir haben gesagt: So, wir machen jetzt ne kleine Tour, da waren wir halt stundenlang weg, und haben Sachen auch ausprobiert, also irgendwo

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steil bergabfahren oder neue Wege erkunden oder Lieblingswege wieder fahren. <Ja, das war dann eben ohne Eltern.> Und da waren wir klein, fünf, sechs Jahre alt und sind da rumgefahren und haben so unsere eigene Welt entdeckt.“ TAKE 36 (MUSIK: BESCHWINGTER JAZZ - FEHLT) UNTER MILLER-ZITATOR LEGEN … MILLER-ZITATOR

„Ich fühlte mich so allein, dass ich mein Fahrrad meinen besten Freund nannte. Ich führte

stumme Gespräche mit ihm. Und natürlich ließ ich ihm die beste Pflege angedeihen. Wenn

ich nach Hause zurückkehrte, stellte ich es jedes Mal auf Lenker und Sattel, holte einen

sauberen Lappen und polierte Naben und Speichen. Dann reinigte ich die Kette und fettete

sie frisch ein.“

Henri Miller, “Mein bester Freund“ KIND

„Sechsmal fiel der Tiger um. Sechsmal Kopf und Kragen nicht gebrochen, weil er den Helm

aufhatte. „Nie vergessen, den Helm aufzusetzen, Tiger! Kannst du dir das merken?“ Klar

kann er sich das merken, ein Tiger ist doch nicht immer dumm!“

ERZÄHLERIN

Das Kinderfahrrad ist Gefährt und Gefährte zur Erkundung der Welt. Die Welt fängt nämlich

ungefähr dort an, wo es zum Hin-Laufen zu weit wäre. Das Fahrrad überwindet Horizonte.

Mutige Radler haben schließlich nichts zu verlieren als ihre Ketten. „Sie haben eine Welt zu

gewinnen.“

TAKE 27 (O-TON HARTZ) "Was großartig ist beim Fahrrad, ist, dass es so leicht ist, dass man es überall mit hinnehmen kann, weil man es eben auch tragen kann. Selbst wenn man mal nicht fahren kann, also ne Treppe oder so, dann nimmt man es einfach kurz hoch, und dann geht es schon wieder weiter. Was mir so sehr sehr gut gefällt, dass man sein eigener Herr ist. Also man hat eine Maschine, mit der man sich selber beschleunigen kann, und man ist nicht abhängig von anderen. TAKE 28 (O-TON THIELBAR) „Ich habe mit dem Fahrrad das erste unbekannte Terrain für mich entdeckt. <Als Kind ist das ne ganz spannende Erfahrung gewesen.>“

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ERZÄHLERIN

Marcel Thielbar, Jahrgang 1971. Seine Kindheit liegt schon eine Weile zurück. Heute ist er

Inhaber eines Radkurierdienstes.

TAKE 29 (O-TON THIELBAR) „Da war ich zehn, da bin ich mit meinem Freund mit dem Fahrrad nach Bremerhaven gefahren. Das sind 50 Kilometer gewesen. Und wieder zurück! Unsere Eltern haben das nicht geglaubt! Die haben gesagt: Ihr wart nicht in Bremerhaven! Doch! Wir sind über die Bundesstraße dort hingefahren, haben das Ortsschild gesehen, sind umgedreht, der Hintern tat weh, wir waren unglaublich kaputt, aber auch unglaublich glücklich, dass wir diese Distanz mit Muskelkraft zurückgelegt haben. Und ich glaube, da liegt auch für mich nach wie vor diese Faszination: große Distanzen mit eigener Muskelkraft zurücklegen zu können. Mit einem technischen Hilfsmittel, aber eben nicht motorisiert, sondern mit meiner eigenen Kraft.“ ERZÄHLERIN Fahrrad fahren ist für manch einen ein anderes Wort für Freiheit genießen. Einen

anarchischen Rausch ausleben, dem bisweilen der Katzenjammer folgt. Denn so richtig

weg von allem und für immer kommen viele mit dem Fahrrad auch nicht.

ZITATOR

„Früher einmal, vor langer Zeit, hatte Piet in die Welt ziehen wollen. Die Zeitungen hatten

von einem Krieg in Spanien berichtet, von Bombenangriffen und erschossenen Kindern,

und eines frühen Morgens hatte er sich auf sein Fahrrad geschwungen. Er war losgefahren

durch das flache grüne Land, von Kirchturm zu Kirchturm, aus der Provinz heraus, über

den langen kahlen Abschlussdeich über das Meer nach Nordholland, in Richtung Spanien.

Dann brach allmählich die Dunkelheit herein. Irgendwo in der Gegend von Hoorn erinnerte

er sich an einen entfernten Verwandten. Dort wurde er liebevoll empfangen. Als er am

nächsten Morgen aufwachte, stand sein Vater schon an seinem Bett. Zur Kaffeezeit war

Piet wieder zurück in Jorwend, und er verließ es nie mehr.“

TAKE 17 (KLANG-MOTIV 1 FAHRRADSINFONIE) TAKE 31 (O-TON THOMSEN) „Zu zweit! Ich möchte, dass ihr immer zu zweit fahrt und zu zweit um die Kurve. Nebeneinander. Ja, ich kann das vormachen!“ …+ 1:30 ATMO

BIS STICHWORT „VORMACHEN“ FREI STEHEND, REST DER ATMO UNTER

ERZÄHLERIN LEGEN

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ERZÄHLERIN

Zehn Frauen lernen Fahrrad fahren. Sie sind zwischen 30 und 60 Jahre alt, Berufstätige

und Hausfrauen, Ledige, Mütter und Großmütter. Kursleiterin Meike Thomsen vom ADFC,

dem „Allgemeinen Deutschen Fahrradclub“, hat eine schmale Asphaltstraße als

Übungsstrecke ausgesucht. Hier kommt selten ein Auto vorbei, und feixende Zaungäste

sind rar. Die Frauen üben auf niedrigen 20-Zoll-Rädern. Heute ist Kurvenfahren dran.

TAKE 32 (O-TON THOMSEN)

„Es gibt in Deutschland eine Million Menschen, die kein Fahrrad fahren können.“

ERZÄHLERIN

Vielleicht gibt es auch noch mehr. Migrantinnen zum Beispiel aus Ländern, in denen

radelnde Frauen unvorstellbar sind.

Während Kinder meist schnell und unbefangen lernen, tun sich Erwachsene oft schwer.

Warum eigentlich?

TAKE 33 (O-TON THOMSEN)

„Das eine ist Furcht, die Furcht zu fallen, oder auch vor Verletzungen, vor Unfällen, dann auch eventuell, für die Familie nicht da sein zu können in so ´ner Situation. Das andere ist aber auch so´ne Schamgeschichte. So ähnlich wie bei Analphabetismus. Ich hab oft gehört, dass Frauen zu mir gesagt haben: „Oh, ich dachte, ich wäre die einzige!“ Und dann zu merken, da ist ´ne ganze Gruppe von zehn Frauen, und die können alle nicht Fahrrad fahren, das ist was sehr Verbindendes dann auch! ATMO“

TAKE 34 (O-TON TEILNEHMERIN)

„Ich hab als Kind nicht Radfahren geübt oder auch gelernt. Ich hatte kein Fahrrad. Ich würde halt gerne Radfahren können und kann´s nicht. Ich hab schon länger ein eigenes Rad. Genau genommen zwei. [Aber] ich kann zu Hause auf den Rädern nicht üben, weil die zu groß sind. Diese Räder sind ja mit 20 Zoll relativ klein. Und zum Üben hat man da eine andere Sicherheit. Also man kommt gut auf den Boden, und man sitzt einfach tief. Man hat dadurch mehr Sicherheit wie auf nem 26er oder 28er Rad.“ KIND

„Punkt Schlag acht stand der kleine Tiger vor dem Forsthaus, und sie fuhren in die Stadt.

Vorne Maja Papaya, dann der kleine Tiger, hinten der Oberförster. „Immer auf dem

Fahrradweg fahren, wenn es einen gibt. Und immer einer hinter dem anderen, geradeaus

wie auf einer Linie, und nicht in Schlangenlinien!“

TAKE 12 (KLANG-MOTIV 2 FAHRRADSINFONIE)

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TAKE 01 (ATMO FAHRRADFAHREN) UNTERLEGEN BIS … TAKE 35 (O-TON HARTZ) „Ich verstehe überhaupt nicht, wie man sagen kann: Autofahren macht frei. Ich finde, das Radfahren macht frei. Ja, man hat zwar noch so Bodenhaftung, aber eigentlich ist es schon fast wie fliegen. Das beflügelt auch den Geist, da wird man so frei im Kopf. Es ist so ein bisschen ein Rausch, aber kein Rausch, der böse Nebenwirkungen hat.“ TAKE 36 (MUSIK: BESCHWINGTER JAZZ - FEHLT) UNTER MILLER-ZITATOR LEGEN … MILLER-ZITATOR

„Ich kümmerte mich um mein Rad wie ein anderer sich um seinen Rolls-Royce. Bei

größeren Reparaturen brachte ich es immer in das gleiche Geschäft an der Myrtle Avenue,

das einem Neger namens Ed Perry gehörte. Er fasste mein Rad sozusagen mit

Samthandschuhen an. Er sorgte stets dafür, dass weder das Vorder- noch das Hinterrad

wackelte. Oft nahm er kein Geld von mir, weil er, wie er es ausdrückte, keinen anderen

kannte, der sein Rad so sehr liebte wie ich.“

TAKE 37 (O-TON HARTZ) „Was ich am Radfahren auch sehr liebe, ist, dass man die Geschwindigkeit dosieren kann. Dass man eben schnell fahren kann. Man kann aber auch trödeln. Man kann schlenkrig fahren, was ich sehr mag, ist, wenn man zu mehreren fährt. Oder man war zusammen im Kino und hinterher noch so durch die Stadt „flaniert“, und sich über den Film unterhält. Und dieses, dass die Geschwindigkeit je nach Stimmung, Wetter, dann auch, wie lange die Kräfte noch reichen, wie lange man schon unterwegs war, dass die sich so modulieren lässt. Das ist beim Gehen irgendwie anders. Und bei keiner anderen Fortbewegungsart ist das eigentlich möglich.“ ERZÄHLERIN

Radfahren heißt, den eigenen Rhythmus finden. Mal schneller, mal langsamer. Die Mühe

beim Treten gegen die Freude an Bewegung ausbalancieren. Sich wie bei einem Konzert

den wechselnden Tempi ohne Widerstand hingeben. Sich ausliefern. Und sich freuen, dass

vorne alles frei ist. Weiter!

TAKE 38 (O-TON HARTZ) „Das Fahrrad-Fahren ist eben ein Fahren (LACHT). Und kein Stehen. Genau. Dann ist es vorbei, ja.“ ERZÄHLERIN

Radfahren ist: Lust am Fahren … und Unlust am Anhalten.

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TAKE 39 (O-TON HARTZ) „Geschwindigkeit ist mir schon durchaus wichtig, und ich fahr auch sehr schnell. Aber wichtiger ist in der Stadt, wenn ich es schaffe, zur Arbeit zu fahren, und ich habe nicht einmal den Fuß auf den Boden gesetzt. Das sind so die Herausforderungen. Und da geht es mir ja eher darum, Hindernisse zu umfahren, vorausschauend zu fahren, so zu fahren, dass man ´nen Schlenker fährt, um eben nicht absteigen zu müssen oder anhalten zu müssen. Das ist wichtig.“ ERZÄHLERIN

Anhalten wäre nämlich … eine Niederlage! TAKE 40 (O-TON HARTZ) Am anstrengendsten ist das Losfahren. Wenn ich erstmal in Schwung gekommen bin, dann wird es viel einfacher zu fahren. Aber diese Anfangsenergie, die ich investieren muss, und die ich dann durch Bremsen wieder verliere, das zu vermeiden, das ist so ne Herausforderung.“ ERZÄHLERIN

Und da steht sie schon im Weg: Die Spielverderberin. Die Energiebremse. Die rote Ampel.

ZITATOR

„Kaum ein Radler kümmert sich um Ampeln oder Fahrtrichtung. Die offensichtliche

behördliche Duldung lebensgefährlicher Verhaltensweisen vieler Radler ist ein Skandal.“

SPRECHER Kay Nehm. TAKE 41 (O-TON HARTZ) „Ampeln gibt es nur, wie die Mehrzahl der Verkehrszeichen, weil es Autos gibt. Wenn es keine Autos gäbe, würden wir das nicht brauchen. Eigentlich braucht man nur drei Regeln: Erstens: Nimm Rücksicht. Zweitens: Es geht rechts vor links. Und drittens: Nimm Rücksicht. Und damit käme man prima zurecht, wenn nicht die Geschwindigkeit das Entscheidende wäre und der, der am meisten Masse hat und der am meisten Kraft hat, der das höchste Tempo hat, die meisten Rechte hat, so nach dieser Regel ist der Verkehr im Moment geordnet. Wenn man sich davon verabschieden würde, würde man keine Ampeln brauchen.“ SPRECHER

Die ärgerliche rote Ampel - würgt sie wirklich den ungezügelten Freiheitsdrang ab? Taugt

sie zum Hassobjekt des allgegenwärtigen „Autowahns“?

Die Untersuchungen des Braunschweiger Verkehrspsychologen Mark Vollrath deuten auf

andere, banalere Motive.

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TAKE 42 (O-TON VOLLRATH) „Wir haben die auch angehalten und befragt, warum sie das denn eigentlich tun. Was da einfach ganz klar herauskommt, ist Bequemlichkeit als Hauptfaktor. Dass man dann eben über die Ampel rüberrollt, und eben nicht anhält und dann wieder losfährt. Die Wartezeit auch nicht in Kauf nehmen möchte und auf diese Weise dann sich eben anders verhält als die Autofahrer das tun.“ SPRECHER Der Verstoß gegen die Gebote der Ampel ist übrigens gar nicht die Todsünde der

Radfahrer. Deren Hauptdelikt ist das Radeln auf Fußwegen und auf der falschen Seite.

Gerade dann, wenn ein Radweg auf beiden Straßenseiten angelegt ist, geistern Radler

gern gegen den Strom ihrer Mitradler.

TAKE 43 (O-TON VOLLRATH) „Natürlich haben wir hohe Prozentsätze Radeln in die falsche Richtung, 20 Prozent der

Radfahrer bei unseren der Strecken, die wir so gesehen haben.“

SPRECHER Professor Vollrath hat mit Studierenden Radfahrer beobachtet und gießt ein wenig Fahrrad-

Öl auf die Wogen.

TAKE 44 (O-TON VOLLRATH) „Aber die Motive sind durchaus nachvollziehbar, wenn man die Umwege und so weiter sieht. || Also: Warum sollte man denn nicht in die falsche Richtung fahren, wenn ich da entsprechend aufpasse, die hundert Meter mal auf der falschen Straßenseite fahre oder mal auf dem Gehweg fahre – was soll denn dabei passieren? || Und die Mehrzahl der Fahrradfahrer verhält sich dann, wenn sie in die falsche Richtung fährt, einigermaßen problembewusst. Man muss auch mal ein bisschen rational darüber argumentieren: Wie gefährlich ist es denn tatsächlich?“

SPRECHER

Der Experte hat das Unfallrisiko von falschfahrenden Radlern abgeschätzt. Es steigt etwa

um das Anderthalbfache. Dieses Mehr an Risiko ist allerdings kaum der Rede wert

gegenüber den Gefahren, denen sich betrunkene Radler mit einem Blutalkoholgehalt von

0,8 Promille und mehr aussetzen. Dann nämlich steigt das Unfallrisiko um das Fünf- bis

Sechsfache.

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TAKE 45 (MUSIK: QUEEN: „BICYCLE RACE“ TAKE 46 (ATMO FAHRRÄDER SCHIEBEN INNEN) UNTERLEGEN ERZÄHLERIN Zum Glück hat das Stadttheater Bielefeld einen Lastenaufzug! So können die acht

Akteurinnen und Akteure ihre Räder einfach hineinschieben und müssen die schweren

Mühlen nicht durchs Treppenhaus auf die Probebühne wuchten.

TAKE 47 (ATMO PROBE)

UNTERLEGEN BIS TAKE 49

ERZÄHLERIN

Schwungvoll drehen die Protagonisten ihre betagten Räder um, so dass sie auf Sattel und

Lenker zu stehen kommen. Trifft sich hier eine Selbsthilfewerkstatt zum kollektiven

Kettenölen? Nein! Wir erleben eine Orchesterprobe für die Welturaufführung des

Tanzprojekts „Bi-Motion. Eine Stadt in Bewegung.“

Die Stadt Bielefeld ist nämlich 800 Jahre alt geworden, und das muss passend gefeiert

werden, sagt Komponist und Regisseur Rolf Sudmann.

TAKE 48 (O-TON SUDMANN)

„Wir haben verzweifelt gesucht: Was ist wirklich charakteristisch für Bielefeld? Nicht, Bielefeld steht ja manchmal in dem Ruf, gar nicht zu existieren. Und eine wichtige Geschichte der Stadt ist die der Fahrräder. Vor dem zweiten Weltkrieg und auch nach dem zweiten Weltkrieg wurden hier sehr viele Fahrräder produziert, ungefähr ein Drittel der deutschen Fahrradproduktion war hier in der Stadt, und was liegt da näher als das Fahrrad in den Mittelpunkt auch ´ner musikalischen Aktivität zu stellen!?“ ERZÄHLERIN

Das Theater werde eine „Fahrradsinfonie“ aufführen, war durchgesickert. Eine richtige

Sinfonie? Das findet Rolf Sudmann nun übertrieben. Eher gehe es doch um einen

perkussiven Soundtrack zu einer choreografischen Performance für jugendliche

Tänzerinnen und Tänzer. Und die Instrumente, das sind eben Fahrräder, alte original

Bielefelder Drahtesel von so renommierten ortansässigen Firmen wie Adler, Rabeneick,

Stricker, Gudereit oder Dürrkopp. Kein enervierendes Klingelkonzert - Fahrräder mit all

ihren Körperteilen machen die Musik!

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TAKE 49 (O-TON SUDMANN)

„Man kann ja überall so draufhauen mit Schlagzeugstöcken auf Schutzbleche und auf Stahlteile und so. Das gibt ganz hübsche perkussive Klänge. Die etwas exotischeren Klänge kommen durch Streichen der Speichen mit Geigenbögen. Und noch exotischer ist, wenn man das Lenkerrohr benutzt, um darauf zu blasen wie auf einer Trompete oder auf einem Horn.“

EINBLENDEN:

TAKE 20 (KLANG-MOTIV 3 LENKERROHR)

TAKE 09 (ATMO PROBE) UNTERLEGEN BIS TAKE 51

ERZÄHLERIN

Die Akteure sind keine gelernten Musiker. Eher: ehrenamtliche Klangforscher! Zum

Stadtjubiläum entdecken sie an ihren Rädern völlig neue Qualitäten.

TAKE 50 (O-TON AKTEURIN)

„ATMO KLINGEL. Ein G. Ein hohes „G“. Bisher war das für mich ne alte Rabeneick-Klingel. Und seit ich zur Probe komme, weiß ich, das das ein „G“ ist.

ERZÄHLERIN

Die Nachbarin streicht mit dem Geigenbogen auf den Speichen ein „F“.

TAKE 51 (0-TON SUDMANN + TEILNEHMERIN)

„ATMO GEIGENBOGEN. SUDMANN: Das klingt doch wunderschön! TEILNEHMERIN: Das ist gut! Das klappt nämlich nicht immer. Das ist auch das Schwierige. SUDMANN: Kann man das mal hören zu dem C-Dur-Akkord. KLÄNGE. Also das ist ein F, das zu dem C-Dur-Akkord dazugesetzt wird. KLÄNGE 39“, EVTL. KÜRZEN ATMO RADLAUFKLINGEL. Was ist das denn? // Das ist eine Radlaufklingel. UNTERLEGT MIT GEIGENBOGENSTREICHEN. ATMO ab 40“

ÜBER DIESE FREI STEHENDE ATMO TAKE 52 LEGEN:

TAKE 52 (O-TON SUDMANN)

„Der Gerd an seinem Fahrrad, der ist ´n Saxophonist, irgendwie ein Hobby-Saxophonist, aber alle anderen haben von Tuten und Blasen keine Ahnung. Aber Radfahren können sie alle!“

TAKE 53 (KLANG-PARTIE FAHRRADSINFONIE KOMPLETT)

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TAKE 54 (ATMO STRASSENKREUZUNG MIT RHYTHMISCHER BLINDENAMPEL) UNTERLEGEN BIS STICHWORT ERZÄHLERIN „DAVONGEKOMMEN“ ERZÄHLERIN Verkehrsplaner sind wie überbehütende Mütter: Am liebsten würden sie jedem ihrer

radelnden Kinder den ärgerlichen Freiheitsdrang austreiben. Sie sacht beim Lenker

nehmen und höchstpersönlich sicher über gefährliche Kreuzungen geleiten. Da das nicht

geht, stellen sie Ampeln auf: Rot, Gelb, Grün! 1,5 Millionen solcher Signalanlagen gibt es

hierzulande, für je 54 Einwohner eine! Wer als Fußgänger oder Radfahrer eine breite

Kreuzung einfach nur geradeaus überqueren will, muss bis zu vier Ampeln überwinden. Die

erste für den rechts abbiegenden Autoverkehr. Die zweite für den von links kommenden

geradeaus fahrenden Querverkehr. Die dritte für den von rechts kommenden geradeaus

fahrenden Querverkehr. Die letzte schließlich für den von rechts kommenden abbiegenden

Verkehr. Dazwischen liegen wartezimmergroße Verkehrsinselchen.

SPRECHER Alles klar? Hier hilft notfalls eine kleine Skizze! Vier Verkehrsströme. Vier Ampeln. Das

Ganze mal vier für jede einmündende Straße. Macht 16 Ampeln.

ERZÄHLERIN

Falls auch Busse oder Straßenbahnen auf eigener Trasse die Kreuzung benutzen,

kommen noch weitere elektrisierend blinkende Warnleuchten hinzu!

Hat man Pech, springt jede Ampel genau dann auf Rot, wenn man vom

gegenüberliegenden Ufer gerade zur nächsten Insel übersetzen will. Also: Bremsen, stehen

bleiben. Und das mehrmals hintereinander.

Nur sehr erfahrene Radfahrer wissen, wie man die verdammte rote Welle austrickst.

Solch ein routinierter Radler ist Bernhard Stoevesandt. Jeden Tag muss der Physiker über

genau diese Kreuzung zur Arbeit.

TAKE 55 (O-TON STOEVESANDT) „Diese Ampelschaltung ist so geschaltet, dass, wenn man es gerade eben schafft, beim Umspringen auf Grün der ersten Ampel auf die Straße zu fahren, dann gerade die anderen Ampeln auch auf Grün kriegt. Ansonsten schalten die hinteren Ampeln auch wieder auf Rot, da steht man da gegebenenfalls relativ lange vor mehreren Ampeln.“

ERZÄHLERIN

Also: Stoevesandts Radfahrampel leuchtet noch einen Sekundenbruchteil Rot. <Aber:>

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TAKE 56 (O-TON STOEVESANDT) „Ich sah, dass die Ampel für die Autofahrer auf Rot sprang, und zählte die Sekunden, und bin dann einfach, nachdem ich die Sekunden gezählt hatte, wo ich genau wusste, die Ampel springt jetzt um, losgefahren, und bin genau mit Grün auf die Straße gefahren. Im Prinzip muss man genau zum richtigen Zeitpunkt schnell rüberkommen. Dann sind tatsächlich alle auf Grün, ansonsten klappt das halt nicht, und man muss da dann halt länger stehen.“ ERZÄHLERIN

Was Bernhardt Stoevesandt nicht ahnt: An diesem Tag observieren Nachwuchspolizisten

die lehrreiche Kreuzung. Ihre Wahrnehmung: der Radler ist auf die Fahrbahn vorgeprescht,

als seine Ampel noch auf Rot stand. Ha, Ordnungswidrigkeit! Die Freunde und Helfer

funken ihren Kollegen eine Personenbeschreibung durch. Stoevesandt wird gefasst, seine

Personalien stellt man amtlich fest, er bekommt seinen Bußgeldbescheid. Und ist wütend.

TAKE 57 (O-TON STOEVESAND) „Diese Ampelschaltung ist eine Unverschämtheit. Ich möchte mal eine Kreuzung sehen, wo Autofahrer hintereinander an drei verschiedenen Ampeln stehen. Das ist nicht akzeptabel. Und dann habe ich Widerspruch eingelegt, und dann kommt man ja vors Gericht, und dann wird das verhandelt.“ ERZÄHLERIN

Mit einer Helmkamera dokumentiert Stoevesandt penibel Abläufe, Grün- und Rotphasen.

Eine Verhandlung wird anberaumt, aber versehentlich lädt das Amtsgericht die falschen

Polizeizeugen.

Die Richterin stellt das Verfahren ein. Nochmal davongekommen.

TAKE 12 (KLANG-MOTIV 1 FAHRRADSINFONIE)

TAKE 58 (O-TON REZEWSI)

„Es ist auch sehr aufwändig und sehr schwierig für Kollegen, Radfahrer anzuhalten.“

SPRECHER

Polizeidirektor Jens Rezewski, Leiter der Verkehrsabteilung der Polizei Bremen.

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TAKE 59 (O-TON REZEWSI)

„Sie müssen mit´m Streifenwagen vorwegfahren. Wenn sie zu Fuß auf Fußstreife sind, halten sie teilweise gar nicht an. Wenn sie hinterherrennen, kriegen sie den nicht (LACHT), kein Mensch kriegt zu Fuß ´n Radfahrer. Dann sagt der Radfahrer: „Ich weiß gar nicht, warum Sie mich anhalten. Ich gebe Ihnen meine Personalien nicht, was wollen Sie eigentlich?“ || Und ein Spruch, der tatsächlich immer wieder kommt: „Fangen Sie doch mal ´n paar Verbrecher, anstatt sich hier mit fünf Mann hinzustellen und Radfahrer anzuhalten.“ || Und schon steht der Beamte da und muss zu den nächsten Maßnahmen greifen, und dann sagt wieder jeder: „Sag mal, nur weil du nen Radfahrer anhalten wolltest, nimmst du ihn jetzt mit zur Wache? Und legst ihm auch noch Handschellen an?“ (LACHT) Das ist ne ganz schwierige Situation.“ SPRECHER Erwachsene, die in den 1960er Jahren in Westdeutschland immer noch Fahrrad fahren,

betrachtete die Gesellschaft damals als Loser. Sie hatten es schlicht verpasst, über die

Wohlstandstrittleiter „Hilfsmotor fürs Fahrrad“ - „Moped“ - „Messerschmidt Kabinenroller“ -

„VW-Brezelkäfer“ Anschluss an den motorisierten Zeitgeist zu finden und aufzusteigen. Mit

ihren durchsichtigen Regencapes und den chromblitzenden Klammern fürs Hosenbein

waren Radfahrer im Wirtschaftswunderland peinliche Fossile.

Und heute? Radlerinnen und Radler jeden Alters gelten als coole Typen. Respektvoll

berichtet die Lokalpresse von rüstigen 80-jährigen, die - eingepackt in teure

Funktionskleidung - zum Nordkap strampeln. Chapeau!

Was ist da passiert?

Fährt das Rad nun die Ernte jahrelanger ökologischer Predigten ein?

TAKE 60 (O-TON BÄUMER)

„Ich glaube, dass es Verbreitung nicht über ökologische Kampagnen findet. Also dass das Hauptargument ist: „Fahrrad fahren ist umweltfreundlich!“ Das ist unbestritten. Aber das bringt die Leute nicht zum Fahrradfahren!“

SPRECHER

Mario Bäumer, der Kurator der Hamburger Fahrrad-Ausstellung.

TAKE 61 (O-TON BÄUMER)

„Sondern dass es wirklich in der Stadt für sich entdeckt wird, wenn es Spaß macht, wenn das Wetter das hergibt, und ich finde immer einen Parkplatz. Und ich kann eben viele Sachen erledigen. Und dazu kommt: Ich bin auch noch schnell!

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TAKE 62 (O-TON HARTZ)

„In den Siebzigern, da wurden immer Vorträge gehalten: es ist so ökologisch und du musst das machen, weil das gut ist für die Umwelt! Und jetzt ist es einfach … ne, es ist geil! Fahrrad fahren ist einfach toll. Und ich bin in der Stadt am schnellsten damit unterwegs. Ich bin ja schneller als die U-Bahn - warum soll ich dann was anderes nehmen?“

SPRECHER

In dieselbe Kerbe haut Wigand von Sassen, Leiter des Fahrrad-Marketings der Stadt

München.

TAKE 63 (0-TON VON SASSEN)

„Radfahren ist chic, Radfahren steht für ne moderne, urbane Mobilität. Mit dem Fahrrad kann man einfach ein Lebensgefühl ausdrücken. Die Vorteile des Radfahrens sind die eine Sache, aber die Freude und auch die Schönheit des Radfahrens sind noch mal ne ganz andere Sache. Und das ist einfach ein sehr erfreulicher Trend. Wir wollen eben wirklich auch das Fahrrad raus aus dieser grünen Ökoecke rausholen. Weil, die ökologischen und Klimaschutzargumente sind zwar wichtig, aber das ist nur ein kleiner Aspekt. Es ist ein sehr kommunikatives Verkehrsmittel, und, ganz wichtig, es ist auch ein sehr soziales Verkehrsmittel: Radfahren kann sich jeder leisten.“

SPRECHER

Das Öko-Rad hat offenbar Plattfuß - es lebe das Lifestyle-Bike!

TAKE 17 (KLANG-MOTIV 1 FAHRRAD-SINFONIE)

TAKE 64 (ATMO ODEONSPLATZ) UNTERLEGEN BIS TAKE 65

ERZÄHLERIN

Der Odeonsplatz im Zentrum füllt sich. Hunderte, Tausende von Radlerinnen und Radlern

strömen zur „Münchner Radlnacht“ zusammen. Junge und alte, mit und ohne Helm, mit

High-Tech-Rädern, Tandems, Liegerädern und klappernden Schrottmühlen. Heute Abend

dürfen Radler durch eine Verbotene Stadt schwärmen. Ausnahmsweise und hinter

Absperrgittern. 12 Kilometer Radl-Freiheit!

Das gefällt den Leuten.

TAKE 65 (MONTAGE STATEMENTS MONO - 20 - 15)

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(3:00)FRAU: „Wir nehmen‘s vierte Mal schon teil. Das ist ne supertolle Aktion von der Landeshauptstadt, vor allem find ich das total interessant, wo immer nur die Autos fahren, dass wir einmal als Fahrradfahrer da richtig toll fahren dürfen! //(6:48 MANN: „Die Straße gehört uns. Die Stadt gehört uns. REPORTER: Aber nur heute? MANN: Ja, das muss man dringend ändern. Das muss immer öfters sein! (LACHT) // (4:28) FRAU Bin selber Autofahrer, aber ich genieße es einfach mal, die Stadt aus ner anderen Perspektive zu sehen.“

TAKE 66 (ATMO PLATZ)

UNTERLEGEN BIS TAKE 67

ERZÄHLERIN

Blumen am Lenker und eine sperrige Holzkiste auf dem Gepäckträger - eine ältere Dame

hat ihr betagtes Radl mitgebracht. Mit 85 Jahren sei sie sicher die älteste Teilnehmerin,

vermutet sie.

TAKE 67 (O-TON ALTE RADLERIN)

„ Am Rathaus, da war so ein Zettel dran. Und da dachte ich mir: na, da mach i auch mal mit. Es macht Spaß, i mach´s das erste Mal, hab zwei Söhne in Afrika, und deana will ich´s zeigen, was i noch kann. Also ruf i die immer an, wie´s mir geht. Mir geht´s gut. I fahr immer Zeitungen aus. Ja, ja. Merkur, Süddeutsche, alles Mögliche. Früh um fünfe schon. Bleibt man lebendig. Weiß i, was nächstes Jahr ist!“ EINBLENDEN:

TAKE 68 (ATMO HACKERBRÜCKE)

UNTERLEGEN BIS TAKE 69

ERZÄHLERIN

Hinter einem silbergrünen Motorrad der Polizei rollt langsam ein kilometerlanger Lindwurm

aus zehntausend Radfahrern durch die City. Vielstimmig klingelnd, schwatzend und mit

fröhlichen Gesichtern. Für einen Moment ist die Stadt ein anderer Planet: Autofrei,

entspannt, mit missachteten Ampeln und ziemlich rücksichtsvoll dahinpedalierenden

Velozipeds. Kaum eine, die drängelt, selten einer, der partout überholt.

Veranstaltungen wie die „Radlnacht“ organisiert seit ein paar Jahren die Stadt München.

TAKE 69 (O-TON VON SASSEN)

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„Damit wollen wir einfach ein wichtiges Zeichen für den Radverkehr setzen, zeigen: Der Radverkehr braucht seinen Platz in München, und es ist quasi auch ein Aushängeschild, diese Veranstaltung, und es kann auch jeder mitmachen.“

TAKE 98 (ATMO HACKERBRÜCKE) UNTERLEGEN BIS TAKE 70

SPRECHER

München präsentiert sich heute gern als „Radlhauptstadt“ Deutschlands. Daraus spricht

allerdings eher bajuwarisches Selbstbewusstsein als die Tatsachen.

In Städten wie Münster, Freiburg, Greifswald oder Oldenburg hat der Radverkehr einen

weit höheren Anteil an den in der Kommune zurückgelegten Kilometern. Aber immerhin: in

den vergangenen zehn Jahren hat das Radeln in München um 70 Prozent zugenommen.

Und die wachsende Millionenstadt steckt vergleichsweise viel Geld in die Verbesserung der

Fahrrad-Infrastruktur: Das Budget wurde innerhalb von fünf Jahren verdreifacht.

Wer allerdings immer schon die vertrauten Wege mit dem Auto zurückgelegt hat, lässt sich

nur schwer zum Umsteigen aufs Fahrrad bewegen. Andere Zielgruppen scheinen da eher

ansprechbar.

TAKE 70 (O-TON VON SASSEN)

„Zum Beispiel Neubürger. Für die organisieren wir extra Fahrradtouren durch München, dass die, wenn sie neu nach München kommen, direkt München aus der Fahrradperspektive kennenlernen. Weil man weiß, Leute, die einen Ortswechsel haben, die umziehen, bei denen sind eben diese Gewohnheiten, was die Mobilität angeht, noch nicht so festgelegt. Die orientieren sich neu. Das heißt, wenn man die an diesem Punkt abholt, wo sie sich noch in der Stadt zurechtfinden müssen und überlegen: Wie kann ich mich hier gut bewegen? Wenn man sie da fürs Fahrrad begeistert, dann hat man ne große Chance, dass sie auch dabei bleiben.“ SPRECHER Aber: Wo sollen die vielen zusätzlichen Radfahrerinnen und Radler hin?

TAKE 71 (0-TON VON SASSEN) „Früher war das einfach noch ne andere Philosophie. Da hat man bauliche Radwege errichtet und ne klare Trennung zur restlichen Fahrbahn gehabt. Und deswegen sind das eben viele Altbestände, die inzwischen zu schmal sind. Wo einfach schon das Überholen von Radfahrern nicht mehr möglich ist. Die vorhandenen baulichen Radwege können diese zunehmenden Mengen an Radfahrern eigentlich nicht mehr bewältigen. Und vor allen

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Dingen passen die Geschwindigkeiten der Radfahrer und der Fußgänger viel weniger zusammen als die der Radfahrer und der Autofahrer.“ SPRECHER Daraus ergibt sich vor allem eine Schlussfolgerung: TAKE 72 (O-TON VON SASSEN „Grundsätzlich ist schon der Trend, dass der Radverkehr immer mehr auf die Straße kommt. Wo er auch hingehört. Einfach weil wir feststellen: die Konflikte zwischen Fußgängern und Radfahrern sind vorhanden, die nehmen auch zu. Und deswegen ist der Trend, dass der Radfahrer auf die Straße kommt, dass man eben eigene Fahrspuren für Radfahrer auf der Straße abmarkiert. Wenn der Platz vorhanden ist, lässt man die alten baulichen Radwege auch noch übrig, weil langsame, auch unsichere Radfahrer gerne da fahren, die fühlen sich da sicherer, und die schnellen Radfahrer können dann auf der Straße fahren. Deswegen ist das auch die sicherere Lösung.“ SPRECHER Auf den Fahrbahnen der Innenstädte ist es eng. Durch die Windschutzscheibe betrachtet

herrscht da ein heilloses Gewusel! Radfahrer vorne, Radfahrer hinten, Radfahrer, die im

Stau die Autokolonne rechts überholen. Links überholen.

Autofahrer sind längst nicht mehr unter sich.

TAKE 73 (O-TON WINKLER)

„Ja, da haben wir doch eine ganze Reihe von Mitgliedern, die sich über diese Radfahrer ärgern, <die sich nicht an die Verkehrsregeln halten.“

SPRECHER

Ronald Winkler ist Stadtverkehrsreferent beim Allgemeinen Deutschen Automobilclub, kurz:

ADAC. Auch die mitgliederstärkste Standesorganisation der Motorisierten vollzieht den

angesagten Schwenk der Verkehrspolitik mit.

TAKE 74 (O-TON WINKLER)

„Grundsätzlich finde ich das <natürlich> gut, dass der Radverkehr tendenziell auf die Straße gelagert wird. || Gerade im Knotenpunktbereich passieren die meisten Unfälle. Und eigentlich im überwiegenden Teil sind daran immer die Sichtverhältnisse schuld. Das heißt, wenn es uns gelingt, Radfahrer prominent zu platzieren, dass sie im Sichtfeld sind, dann kann auch nicht so viel passieren.“

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TAKE 12 (KLANG-MOTIV 2 FAHRRAD-SINFONIE) TAKE 75 (O-TON HERINGER)

„Also wenn man sich bestimmte Debatten anhört, dann habe ich schon das Gefühl, dass oft die Angst jetzt da ist, dass die Fahrräder alles beherrschen.“

Ulrike Heringer betreibt mit Freunden einen Blog über „Radverkehr in Berlin“. Im Internet

werden auch Ängste vor einer drohenden Diktatur der Radler auf die Schippe genommen.

Der Blog heißt: „Alle Macht den Rädern!“

TAKE 76 (0-TON HERINGER)

„Das ist natürlich so´n Wortspiel mit „Alle Macht den Räten“, und es sollte witzig klingen. Also: Alle Macht ja, aber nicht zu Nachteilen anderer. Und ich glaube, soweit wird es auch nicht kommen.“

SPRECHER

Konflikte auf den Straßen, meinen die aufgeweckten Mittzwanziger, gibt es vor allem

deshalb, weil jeder der zwölf Berliner Bezirke seine eigene Infrastruktur fabriziert. Ein

verkehrspolitischer Flickenteppich ohne Eindeutigkeiten.

TAKE 77 (0-TON HERINGER)

„Was darf man, was darf der Radfahrer, was darf der Fußgänger? Und da ist dann viel Potenzial für Krieg und Kampf auf den Straßen eigentlich gegeben.“

TAKE 23 (MUSIK QUEEN, „BICYCLE RACE“, KLINGEL-ZWISCHENSPIEL

SPRECHER

In manchen Städten hat die Polizei beobachtet, dass ältere Radler ungern gemeinsam mit

den Autos auf der umkämpften Straße unterwegs sind. Radelnde Kinder gehören ohnehin

auf den Gehweg.

ERZÄHLERIN

Vielleicht sieht die Zukunft so aus: Es entsteht eine Zweiklassengesellschaft auf Rädern,

eine Fahrrad-Mobilität der zwei Geschwindigkeiten. Die eher Langsamen werden verbannt

auf den mit losen Verbundsteinen gepflasterten, von Baumwurzeln in eine Huckelpiste

verwandelten Nostalgie-Radweg.

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Und die Jungen, Flotten mit ihren hippen, sensiblen Edelbikes schnurren auf dem

babypopoglattem Asphalt der Fahrbahn und der neuen Radlerstraßen!

Münchens Karl Valentin übrigens hatte zur Lösung der Probleme bereits zeitig einen

genialen Vorschlag gemacht:

ZITATOR

„Am Montag dürfen in ganz München nur Radfahrer fahren, am Dienstag nur Automobile,

am Mittwoch nur Droschken, am Donnerstag nur Lastautos, am Freitag nur

Straßenbahnen, am Samstag nur Bierfuhrwerke. Die Sonn- und Feiertage sind nur für

Fußgänger.

Auf diese Weise könnte nie mehr ein Mensch überfahren werden.“

TAKE 17 (KLANG-MOTIV 1 FAHRRAD-SINFONIE) SPRECHER

Nach friedvollen, lässig entspannten Zeiten im Straßenverkehr sieht es im Moment

allerdings nicht aus.

TAKE 79 (O-TON STOEVESANDT) „Wir sind alle Kampfradler.

SPRECHER

Bernhardt Stoevesandt, der Radler, der Frau Justitia eines besseren belehrt hat, ist in

besonderer Mission unterwegs.

TAKE 79 (O-TON STOEVESANDT) „Wir halten uns in bestimmten Situationen nicht an die Regeln, weil diese Regeln einfach schlecht sind, schlecht gemacht sind für Fahrradfahrer. Unter den Bedingungen, wie es jetzt für Fahrradfahrer ist, geht es oft gar nicht anders als gegen die Regeln zu verstoßen.“ SPRECHER Auch die Autorin Bettina Hartz solidarisiert sich … augenzwinkernd:

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TAKE 80 (O-TON HARTZ) „Ich neige ja schon mit starker Sympathie zur Fraktion der Kampfradler! Und wenn die Politik es nicht schafft, muss man vielleicht ein bisschen nachhelfen durch Guerrilla-Fahren. (VERNUSCHELT)“

ERZÄHLERIN

„Guerilla-Fahren“? Rollen da Fahrrad-Anarchisten zum Straßenkampf an?

In einem Internet-Aufruf der „Kampfradler“ heißt es:

ZITATOR

„Fahrradfreundliche Verkehrspolitik führt oftmals zur „Beschneidung“ des Autoverkehrs und

gilt somit als wirtschaftsschädlich. Zudem herrscht bei Autofahrer/innen viel zu oft noch das

Prinzip: „Freie Fahrt für freie Bürger“. Dies stellt eindeutig eine Kriegserklärung an alle dar,

die dabei stören - also insbesondere an Fahrradfahrer/innen.

Keine Toleranz dem Autowahn!

Ein Herz für Kampfradler/innen!“

ERZÄHLERIN

Der Krieg auf unseren Straßen geht also weiter! Die Kampfzone: Wird ausgeweitet!

TAKE 81 (O-TON RÜTTEN) „Ich bin persönlich zur Seite gerempelt worden. Dass jemand mich wirklich regelrecht anfuhr von hinten. Ich hab ihn nicht gehört, ich hab ihn nicht geseh‘n, ich merkte ihn erst, als er auf gleicher Höhe war und mich dann wirklich in die Büsche drängte.“ ERZÄHLERIN

Elsbeth Rütten, 66 Jahre alt, benutzt seit einiger Zeit auf den Bürgersteigen Bremens einen

Rollator. An den Griffen hat sie vorsichtshalber zwei Rückspiegel angebracht.

TAKE 82 (O-TON RÜTTEN) „Oder dass jemand auf mich zugefahren ist. Und wenn ich nicht weggesprungen wär, ich tatsächlich umgefahren worden wär. Ich sag: „Eh, was machst du hier auf dem Gehweg?“ Der dann sein Fahrrad hinschmiss, zurück kam, bedrohlich und beleidigend wurde, von „Alte, du gehörst ins Klo!“ bis „Alte Fotze!“ und ähnliche Schrecklichkeiten.“

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ERZÄHLERIN

Nicht nur ältere Menschen, die mit Gehstock, Rollator oder Rollstuhl unterwegs sind, fühlen

sich auf den Gehsteigen nicht mehr sicher, seit Radfahrer jeden Alters dort immer öfter den

Platzhirsch spielen, Passanten wegklingeln oder auf Tuchfühlung überholen.

TAKE 83 (0-TON RÜTTEN) „Wenn ich sehe, dass Mütter mit kleinen Kindern Angst um ihre Kinder haben, wenn die aufm Gehweg spielen. Vor zwei Tagen hatte eine junge Frau mit Tränen in den Augen vor mir gestanden, hat gesagt: „Ich halte das nicht aus, weil das, was da aufm Gehweg passiert, das ist fast wie Krieg dann.“ Sagt sie: „Meine Kinder erleben, dass ich angreifbar bin als Mutter. Dann verlier ich einfach meine Würde, und meine Kinder haben keine Sicherheit mehr.““ ERZÄHLERIN

Früher ist Elsbeth Rütten selber viel Rad gefahren. Und sie findet es nach wie vor gut, dass

immer häufiger Menschen das Auto stehen lassen. Aber sie beobachtet wiederholt

Übergriffe von rabiaten Radlern auf die vermeintlichen Schonräume von Schwächeren. Das

will sie nicht hinnehmen. Radler, die Regeln verletzen, bleiben oft unerkannt und müssen

Sanktionen nicht fürchten, sagt sie. Deshalb bereitet Elsbeth Rütten mit Gleichgesinnten

eine Petition an den Deutschen Bundestag vor: Schluss mit der Unverantwortlichkeit –

Fahrräder müssen amtlich gekennzeichnet werden! Denn: Regelverletzer muss man

anzeigen können.

TAKE 84 (O-TON RÜTTEN) „Weil ich auf das Regelwerk setze, was sich mit einer Kennzeichnung verbindet. Weil Menschen, die ein Regelwerk haben, verhalten sich oftmals auch ein Stück verantwortlicher in diesem Regelwerk, als wenn sie anonym mit Sonnenbrille, mit den Schutzhelmen, wenn man sich anonym von jedem Ort der Welt wieder entfernen kann, auch dann, wenn man möglicherweise einen Unfall verursacht hat oder wenn man mit nem Menschen zusammengestoßen ist.“ ERZÄHLERIN Fahrräder mit amtlichen Kennzeichen - die wird es trotzdem wohl so bald nicht geben.

Gefühlte Bedrohung durch aggressive Radler und tatsächliche Karambolagen sind offenbar

zweierlei. Selbst die Polizei ist da skeptisch. 4000 Verkehrsunfallfluchten beispielsweise

registrierte die Bremer Polizei 2013, darunter waren aber nur 96 verdächtige Radlerinnen

und Radler, sagt Verkehrspolizei-Chef Jens Rezewski:

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TAKE 85 (O-TON REZEWSKI) „Doch, wir kriegen alle, fast alle, die tatsächlich einen Verkehrsunfall verursachen. Von diesen 96 haben wir etwas über zwei Drittel die Personalien auch festgestellt und bekommen. Das heißt, es bleibt letztendlich so ne Dunkelziffer von 30, wo der Antragsteller nicht zu seinem Recht gekommen ist. Und meine persönliche Meinung die meiner Kollegen in der Polizei Bremen ist auch: Eine so genannte Kennzeichnungspflicht für Fahrradfahrer würde sich einfach nicht lohnen, diesen Verwaltungsaufwand zu betreiben für diese wenigen Fälle, sag ich mal.“ TAKE 36 (MUSIK: BESCHWINGTER JAZZ - FEHLT) UNTER MILLER-ZITATOR LEGEN, EVTL. BIS TAKE 12 VERLNGERN … MILLER-ZITATOR

„Wenn ich nach Hause zurückkehrte, stellte ich es jedes Mal auf Lenker und Sattel, holte

einen sauberen Lappen und polierte Naben und Speichen. Dann reinigte ich die Kette und

fettete sie frisch ein. Dabei blieben hässliche Flecken auf den Steinen des Gehwegs

zurück. Meine Mutter beklagte sich und bat mich, doch vorher Zeitungspapier unterzulegen.

Manchmal regte sie sich so sehr auf, dass sie voller Sarkasmus sagte: „Ich wundere mich

nur, dass du das Ding nicht mit ins Bett nimmst.“ Worauf ich zurückgab: „Das würde ich

auch, wenn ich ein anständiges Bett hätte, das groß genug ist.“

ERZÄHLERIN:

Das sollte im „25hours Bikini-Hotel“ in Berlin kein Problem sein. Das Haus bietet Kingsize-

Betten, 180 Zentimeter breit.

Und einen besonderen Service, verspricht Hoteldirektor Michael Wünsch:

TAKE 86 (O-TON WÜNSCH)

„Bei uns kann man mit dem Fahrrad schlafen. Es hängt allerdings an der Wand. Wenn jemand möchte, kann er es aber auch mit ins Bett nehmen.“

ERZÄHLERIN

Wie bitte?

TAKE 87 (O-TON WÜNSCH)

„Es hängt ein voll funktionsfähiges Designfahrrad von der Berliner Marke Schindelhauer im Zimmer. Man kann das einfach nur schön finden und anschauen. Man kann aber auch mit dem Schlüssel, den man beim Check-in ausgehändigt bekommt, das Fahrrad abnehmen und dann auf Berlin-Tour damit gehen.“

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ERZÄHLERIN

Der cyclomanische Radler kann natürlich auch mit dem eigenen Fahrzeug anreisen. Selbst

wenn der Liebling danach dreckig sein sollte - der Gast darf ihn in ein spezielles „bike

shelf“ im Zimmer einstellen.

TAKE 12 (KLANG-MOTIV 2 FAHRRAD-SINFONIE)

SPRECHER Das Fahrrad ist längst kein bloßes Vehikel allein für Alltag und Freizeit. Es will heute mehr

sein als der geschundene Drahtesel, den sich autogewohnte Urlauber aus NRW in

Ostfriesland für eine halbstündige „Radtour“ ausborgen. Das Fahrrad ist heute auch ein

Arbeitsmittel, ein Vehikel zum Geldverdienen.

ERZÄHLERIN

Das dachte sich in den neunziger Jahren auch Marcel Thielbar, der es als Kind mit seinem

Freund einst bis Bremerhaven geschafft hatte.

TAKE 88 (O-TON THIELBAR) „Anfang der 90er waren wir noch Exoten. Ich hab schon studiert zu der Zeit und brauchte natürlich Geld dafür und da hab ich gedacht: Na, wenn ich mit meinem Hobby Geld verdienen kann, warum nicht! Dann fange ich natürlich als Radkurier an. Die Liebe zum Rad war ja immer da, und mir hat das immer besser gefallen als in einem Großraumbüro zu sitzen. Was ich ja dann auch als Radkurier erlebt habe, wenn ich zu den Kunden reingegangen bin, hab ich immer nur gedacht: Boah! Ich hab´s besser!“ ERZÄHLERIN

Zwei Welten stießen da auf einander: der sportliche Radkurier in seinem schrillen Dress,

mit roten Backen vom frischen Fahrtwind. Und der zur Immobilität verdammte bleiche

Angestellte in seinem Business-Outfit.

TAKE 89 (0-TON THIELBAR) „Der Schlipsträger hat natürlich auch auf den Kurier geguckt und war vielleicht auch ein bisschen neidisch in dem Moment, diese Freiheiten nicht zu haben, die wir haben. Und wir haben auf den Schlipsträger geguckt und gesagt: Na gut, wir haben´s halt besser als du. Aber dafür verdienen wir auch nicht das Geld, was du als Schlipsträger hast.“

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SPRECHER

Kurierfahrer expedierten damals vor allem juristische Schriftsätze, Fotos oder

Druckvorlagen in wenigen Minuten quer durch die Stadt. Dann kam das Internet zu den

Kurieren und mit ihm der Blues. War die Existenzgründung schon gescheitert, bevor das

Geschäft so richtig brummte? Welcher Grafiker schickt noch seine Entwürfe per

Fahrradkurier zum Kunden, wenn es im Internet nichts kostet und viel schneller geht?

Inzwischen haben die Kuriere neue Kundschaft akquiriert: Das Dentallabor schickt der

Zahnärztin Implantate zum Einpassen. Für Anwaltsbüros leert der Kurier regelmäßig das

Postfach. So kommt man über die Runden.

Radkuriere sind keine Einzelkämpfer, sagt Marcel Thielbar. Per Mobiltelefon stünden sie

ständig miteinander in Kontakt, Teamgeist werde groß geschrieben. Auch die knallbunten

Trikots, mit denen Kuriere im Heer der Radfahrer hervorstechen, sind ebenso unverzichtbar

wie die mit der Firmen-Telefonnummer groß bedruckten Rucksäcke, die wie gestutzte

Engelsflügel aussehen.

Nanu, freiheitsliebende Radler in Uniform? Damit habe er nie ein Problem gehabt,

versichert der Firmenchef.

TAKE 90 (0-TON THIELBAR) „Da gab es einen Großsponsor in unserer Stadt, der diesen Kurier ausgestattet hat mit allen Radsachen, die es auf dem Markt gab, also mit Windjacken, kurze Hose, lange Hose, also Kurzarmtrikot, Langarmtrikot, Thermojacken, Regenhosen, das fand ich ne ganz tolle Sache, und ich fand das zum einen identitätsstiftend, man gehörte irgendwie dazu. Und als dann dieser Sponsor nach einem Jahr wieder absprang, durften alle wieder mit bunten Klamotten fahren, und ich fand es dann in dem Moment unprofessionell.“ SPRECHER:

Die Kurierbranche wächst weiter. Auf Marcel Thielbars Hof steht sogar ein Diesel-

Lieferwagen mit dem Firmen-Logo. Fundamentalistische Radler wittern da Verrat an den

hehren Prinzipien der Muskelkraft.

TAKE 91 (O-TON THIELBAR) „Und dann sag ich immer: Ne, da steht nicht „Fahrradkurier“, sondern „Radkurier.“ Und das Auto hat halt vier Räder, deswegen ist es eben auch ein Radkurier.“

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TAKE 20 (KLANG-MOTIV 3 FAHRRAD-SINFONIE) TAKE 92 (ATMO LASTENRADRENNEN MONTAGE) ANSAGER: Alle Räder nehmen Startpositionen ein (GLOCKE), das ist ein besonderer Moment, denn wir starten zum allerersten Mal das Bremer Lastenradrennen. Wir sind bereit.“ SCHUSS. REST ATMO LEISE UNTERLEGEN BIS ENDE TAKE 93

ERZÄHLERIN (ÜBER ATMO)

53 Teilnehmer, darunter zwei Frauen, haben sich mit ihren schweren Lastenrädern zum

Wettkampf angemeldet. Auf dem Parcours müssen allerhand Aufgaben erledigt werden: 50

Kilo Blumenerde aufladen, gelbe Regenkleidung anziehen, eine Banane verspeisen, einen

Slalom zwischen Mülltonnen kurven und einem verrückt radfahrenden Esel ausweichen.

Ein Spaß-Wettbewerb, aber zugleich ein durchaus ernst gemeinter Versuch, das vielseitige

Lastenfahrrad populär zu machen, sagt Tessa Heyde von der Bremer

Wirtschaftsförderungsgesellschaft.

TAKE 93 (O-TON HEYDE) „Viele sind vom Fahrradkurier gekommen. Es sind welche da, die mit ihren Lastenrädern Suppe austragen oder ihre Lastenräder für Werbung nutzen, zum Beispiel für nen Frisiersalon oder so. Und dann aber auch ganz viele, die zum Beispiel Kinder haben, weil sich damit auch super die Kinder transportieren lassen. Und gerade auch in den Innenstädten, wo Parksituationen ein großes Problem sind und eben auch Stau häufig, ist ein Lastenrad einfach perfekt.“

SPRECHER

Es soll nicht verschwiegen werden: dem Drahtesel mit Muskelbetrieb ist seit einigen Jahren

Konkurrenz im eigenen Stall erwachsen: Pedelec und E-Bike sind auf breiter Front im

Kommen, jedes zehnte heute verkaufte Rad hat einen Elektromotor.

Anfangs wurde gehöhnt: Das ist bloß was für Rentner!

Diese Lästermäuler sind heute weitgehend verstummt.

Könnte sich Bettina Hartz, die Berliner Rad-Enthusiastin, solch einen leise schnurrenden

Untersatz für ihre Touren vorstellen? Einen E(engl.) -Krautscheid?

TAKE 94 (O-TON HARTZ) „Ich bin jetzt grad 40 geworden (LACHT), und im Moment würde ich sagen: gar nicht!“

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SPRECHER

Aber wer weiß! Nach der anfänglichen Verfemung der elektrischen Geschwister bewegen

sich nun Muskel-Rad-Fahrerin und Elektro-Rad-Fahrer auf einen Zustand friedlicher

Koexistenz zu.

TAKE 95 (O-TON HARTZ) „Ich würd mir jetzt persönlich kein E-Bike kaufen, und für mich ist es irgendwie auch kein Fahrrad mehr, ja, aber dass Leute das benutzen, finde ich schon gut. Also wenn sie stattdessen kein Auto nehmen!“ KIND

„Einmal sagte der kleine Tiger zum kleinen Bären: Soll ich dir mal was sagen: Ich brauche

dringend ein Fahrrad.“

TAKE 08 (MUSIK YVES MONTAND: A BICYCLETTE DRÜBER: SPRECHER: Das war: ERZÄHLERIN Cyclomania

Radfahrer - Anarchisten in Funktionskleidung SPRECHER: Von Günter Beyer Es sprachen: Tom Jacobs, Frauke Poolman und Martin Bross. Sie hörten Texte von Janosch, Henry Miller, Geert Maak und Karl Valentin. Ton und Technik: Christoph Rieseberg und Anna Dain Regie: Uta Reitz. Redaktion: Klaus Pilger. Produktion: Deutschlandfunk 2015


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