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Falscher Glanz

Date post: 06-Jan-2017
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Chicago Band 19

Falscher Glanz

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Pat Connor ist Privatdetektiv im Chicago der zwanziger Jahre. Kein leichter Job und keine gesunde Gegend, um diesem Job nachzugehen. Besonders, wenn die Stadt zwischen dem italienischen Syndikat von ›Il Cardinale‹ Rigobello und dem irischen von ›The Jar‹ O'Malley aufgeteilt ist.

Seine Sekretärin Betty Meyer, meist damit beschäftigt, ihre Fin­gernägel zu lackieren, ist ihm auch keine große Hilfe.

Verlassen kann er sich aber auf seinen väterlichen Freund Bren­don Smith, Reporter bei der Chicago Tribune, der ihm wichtige Infor­mationen besorgt. Und auf Dunky, den Wirt seiner Stammkneipe, in der er sich regelmäßig mit illegalem Bourbon den Frust hinunterspült.

Anlass dazu gibt es genug, nicht zuletzt in Person von Lieutenant Quirrer vom Police Departement und dessen Chef Captain Hollyfield. Jedes Mal, wenn eine Leiche auftaucht, ist für Quirrer zuerst Pat der Hauptverdächtige.

*

Das Klingeln des Telefons an jenem Morgen erlebte ich als äußerst brutalen Überfall, der nur ein einziges Ziel verfolgen konnte, nämlich mein Trommelfell ein für alle Mal zu zerstören. Nein, alle beiden Trommelfelle. Ich brauchte ziemlich lange, bis ich begriff, dass es nur ein ganz normales Geräusch eines ganz normalen Tages in Chicago war. Und noch länger dauerte es, bis es mir irgendwie gelang, meine Fußsohlen auf den Boden zu setzen, den Telefonapparat inmitten eines beträchtlichen Durcheinanders auf dem Tisch zu entdecken und end­lich auch nach dem Hörer zu greifen. Er gab mir erfreulicherweise et­was Halt. Als das schrille Klingeln erstarb, kam das einer Erlösung gleich.

Doch leider hielt die Stille nicht lange an. Eine Frauenstimme mel­dete sich, mir schwante vage, dass ich sie kannte. Aber wer war sie? Mein Gehirn hatte die letzte Nacht anscheinend nicht ohne gewisse Be­einträchtigungen seiner normalen Funktion überstanden.

Als die Stimme schwieg, glaubte ich aufatmen zu können. Aber auch das erwies sich als voreilig.

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»Was ist denn eigentlich los, Chef?« Plötzlich halluzinierte ich den Geruch von Aceton in der Nase, dann wusste ich, wer am anderen Ende der Leitung war. Seit wann begann meine Sekretärin Betty Meyer ihre Arbeit mitten in der Nacht? Hatte ich sie nicht als Halbtagskraft engagiert?

»Mitten in der Nacht? Es ist gleich Mittag«, hörte ich sie sagen. Anscheinend hatte ich laut gedacht. »Gleich mach ich Schluss für heu­te«, fuhr sie fort. »Egal, ob der Bote dann da war oder nicht.«

»Welcher Bote?« Einige Teile in meinem Kopf rückten allmählich doch wieder an die richtige Stelle. Bildete ich mir nur ein, dass dabei ein knirschendes Geräusch entstand? Dunkel erinnerte ich mich an ein Etablissement auf der South-Side. Wie viele Gläser hatte ich dort ge­leert? Ich wusste es nicht mehr. Mein Freund Brendon hatte mich je­denfalls dorthin geschleppt, aber er war, wenn ich mich richtig erinner­te, lange vor mir gegangen. Bei den letzten Gläsern jedenfalls hatte eine ziemlich sehenswerte Blonde auf dem Hocker neben mir geses­sen.

»Er soll angeblich Geld bringen«, störte Betty erbarmungslos mei­ne Versuche, ein paar sinnvolle Einzelheiten der letzten Nacht aus den Wirrungen meiner Gehirnwindungen herauszuschälen.

Es war immerhin das richtige Stichwort, um mich gänzlich wach zu machen. »Geld? Wer bringt mir Geld?«

Betty stöhnte. »Ob das jemand bringt, kommt mir gar nicht so si­cher vor. Jedenfalls wurde ein Bote angekündigt.«

»Und wie heißt der Verkündigungsengel?«, knurrte ich, entnervt von Bettys Umständlichkeit.

Wieso nahm Betty das als Witz? Sie kicherte, endlich brachte sie den Namen heraus. »Peter Smith. Finden Sie das vielleicht glaubwür­dig?«

Ich erinnerte mich plötzlich an einen vierschrötigen Kerl. Er war hinter der Blondine aufgetaucht, in dieser Bar. Und er war leider gar nicht gut gelaunt gewesen. Vermutlich, weil meine Hand auf dem Knie der Dame gelegen hatte. Ich tastete meinen Kopf ab. Nein, handgreif­lich war der Kerl anscheinend nicht geworden. Abgesehen von dem Brummen in meinem Schädel spürte ich nichts, was auf unzulässige

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Gewaltanwendung schließen ließ. Offenbar war ich klug genug gewe­sen, meine Hand vom Knie der Dame zu entfernen und mich selbst dann auch gerade noch schnell genug aus der Bar.

»Wieso nicht glaubwürdig? Schlagen Sie doch mal das Telefon­buch auf«, schlug ich Betty vor. »Da finden Sie Peter Smith spalten­weise.«

»Eben«, versetzte sie schnippisch. Sie überschritt wieder mal eindeutig ihre Kompetenzen. Seit wann

war es ihre Sache, Urteile über Klienten zu fällen? Zumal sich Leute dieser Art derzeit nicht gerade oft in mein Büro verirrten. »Wann war dieser Peter Smith da?« Ich angelte nach einer Flasche Sodawasser. Dabei fiel mein Blick auch auf die Uhr. Tatsächlich, es war schon nach elf. Und das grelle Licht von draußen war kein Scheinwerfer, sondern bloß die Julisonne, hoch oben über der Stadt.

»War er eben nicht. Hat nur angerufen«, tröpfelte es einsilbig in mein rechtes Ohr. »Und diesen Boten angekündigt. Weil es eilig wä­re.«

Hatte sich Bettys Hirn im Nagellackentferner aufgelöst, den sie ständig in ihrer Handtasche mit sich führte? »Wenn Sie mir nicht end­lich sagen, worum es geht, sehe ich schwarz für Ihr wöchentliches Gehalt«, griff ich zu einem Mittel, das in den meisten Fällen zog.

Diesmal auch. Wenn auch Bettys Ton nach wie vor einiges zu wünschen übrig ließ. »Meine Güte, Sie sind aber schlecht drauf heute! Eine Auktion. Dieser Peter Smith will Familienschmuck unter den Hammer bringen. Ein Medaillon, um ganz genau zu sein, die genaue Beschreibung hab ich für Sie notiert. Und außer dem Geld bringt ja angeblich dieser Bote noch ein Foto von dem Ding mit.«

»Wieso für mich? Was hab ich damit zu schaffen?« Schmeckte Sodawasser eigentlich immer so? Ich verzichtete lieber auf einen zwei­ten Schluck. Das alte Hausmittel kam mir stattdessen in den Sinn: Morgens immer zuerst das trinken, womit man nachts aufgehört hat. Außerdem war mein Whiskey eindeutig von besserer Qualität als der in der Bar.

»Sie sollen dorthin gehen, Chef.« Betty redete jetzt so sanft, als hätte sie es mit einem Neugeborenen zu tun. Oder mit einem

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Schwachkopf. »Einfach dorthin gehen und mitbieten. Damit das Ding nicht unter Wert verkloppt wird.«

»Und wieso macht der Typ das nicht einfach selber?« Der erste Schluck aus der Pulle schmeckte nicht unbedingt gut, aber der Nebel vor meinen Augen begann sich doch ein bisschen zu lichten. Ich fand sogar die Zigaretten wieder. Eine Lucky war noch in dem Päckchen.

»Ich bitte Sie, wenn einer Peter Smith heißt!« Betty kicherte wie­der. »Will nicht öffentlich in Erscheinung treten, hat er gesagt. Deshalb sollen Sie das für ihn tun. Einfach den Preis ein bisschen nach oben treiben, verstehen Sie, Chef?«

»Haben Sie ihm meinen Preis genannt?« Am liebsten hätte ich Betty empfohlen, ihren Feierabend auf der Stelle anzutreten und nie mehr zu beenden. Jedenfalls nicht in meinem Büro.

»Habe ich natürlich«, säuselte sie. »Am Tag fünfundzwanzig plus Spesen. Kein Problem, hat er gesagt. Und dass es ihm sogar das Dop­pelte wert war. Und dass...«

»Das reicht jetzt«, unterbrach ich Betty. Ein Grant dafür, mich ein Stündchen auf einer Auktion rum zu treiben, war immerhin ein Argu­ment. Ein selten gutes sogar. »Sie bleiben im Büro, bis ich da bin, klar?«

»Und wann wird das sein?« »Hab ich das nicht gesagt? Wenn ich da bin!« Ich fand, dass der

Punkt endgültig erreicht war, die Diskussion zu beenden und legte auf. Eine Dusche gab mir das Gefühl, wieder ein halbwegs normaler Mensch zu sein und als ich dann in leichtem Sommeranzug und Hut mein Apartment in der North Clark Street verließ, machte ich wohl auch auf andere diesen Eindruck. Einen kurzen Moment lang fürchtete ich, mein Plymouth stehe noch auf der South-Side. Denn ich erinnerte mich deutlich, dort vor ein paar Stunden in ein Taxi gestiegen zu sein. Aber dann entdeckte ich mein Auto an der üblichen Stelle. Richtig, Brendon hatte mich ja in seinem Wagen abgeholt! Damit war auch das letzte Puzzleteil der vergangenen Nacht gefunden. Ich kaufte rasch noch Zigaretten, auch eine Zeitung erstand ich. Denn wie gesagt, meist war im Büro derzeit einfach nicht viel los und irgendwie musste ich mir dann ja die Zeit vertreiben.

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Auf der Fahrt zum Büro Ecke South Franklin/Monroe Street ließ ich drei Luckys in Rauch aufgehen. Es nahm den letzten Rest Benom­menheit aus meinem Schädel. Es war noch nicht mal zwölf, als ich die Tür im zweiten Stock öffnete. Was also hatte Betty für einen Grund, mich so mürrisch anzusehen?

»Sie haben schon besser ausgesehen, Chef.« Musste ich mir das wirklich bieten lassen? Ich bewies mir, dass ich

nun wieder von Kopf bis Fuß funktionierte, indem ich meinen Hut mit einem einzigen Wurf auf den Garderobenständer neben der Tür be­förderte. »Könnte an Ihren Augen liegen«, konterte ich. »War der Bote schon da? Gibt es Kaffee?«

»Nein.« Sie ließ die Zigarettenspitze von der rechten Hand in die linke wandern. »Ja.«

Eine leichte Bewegung mit dem Kinn sollte mir wohl verraten, dass Letzteres auf den Kaffee und Ersteres demnach auf den Boten ge­münzt war. Ich stellte mich dumm und erreichte damit immerhin, dass Betty sich selbst dazu bequemte, mir Kaffee einzuschenken.

»Sonst noch was?«, machte sie die nur selbstverständliche Gefäl­ligkeit gleich wieder durch eine ungehörige Bemerkung wett.

»Ja«, knurrte ich. »Sie können jetzt gehen. Das wird nicht nur meinen Augen gut tun.«

*

Am nächsten Tag fand ich vollkommen problemlos aus den Federn und nach einem ruhigen Frühstück dann auch auf Anhieb das Auktions­haus. Es befand sich jenseits des Chicago River, in der North Desplai­nes Street, nur einen Block bevor diese an der West Grand Avenue endete. Der Nachteil, wenn man so früh aufstand, war eindeutig der Verkehr. Eigentlich war es nur ein Katzensprung, aber dank etlicher Staus wurden darüber gleich vier Luckys zu Asche. Ich hatte dabei immerhin Zeit genug, an den nicht gerade ereignisreichen Tag gestern zurückzudenken. Zweimal hatte ich die Zeitung gelesen, dann war der Bote doch noch erschienen. Mit dem Foto eines Medaillons, der Adres­se des Auktionshauses und erfreulicherweise auch dem Schein, den

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Mr. Peter Smith telefonisch angekündigt hatte. Egal, was Betty von ihm denken mochte, ich fand, dass dieser Schein durchaus für seine Glaubwürdigkeit sprach.

Kurz bevor ich den Fluss überquerte, sorgte auf der Kreuzung West Grand/North Kingsbury ein Feuerwehreinsatz dafür, dass der Verkehr völlig zum Erliegen kam. Ich nützte die Wartezeit, um mich auf meinen Auftrag vorzubereiten. So ganz ohne war der nämlich gar nicht. Ich sollte den Preis für das Medaillon in die Höhe treiben, aber auf keinen Fall das letzte Gebot abgeben, so lauteten die Instruktio­nen. Peter Smith wollte kein Geld ausgeben, sondern durch die Ver­steigerung dafür sorgen, dass welches rein kam. Ich musste also einen Köder auswerfen und darauf achten, dass ich am Ende nicht selber an der Angel hing. Und meine Gesten immer schön unter Kontrolle behal­ten. Ein Nicken oder Zucken an der falschen Stelle und ich hätte alles verpatzt.

Endlich konnte ich die Fahrt fortsetzen und machte mir ein paar Gedanken über meinen Auftraggeber. Wenn einer den Familien­schmuck unter den Hammer bringt, hat er eindeutig schon bessere Tage erlebt. Aber für wen traf das nicht zu? Nicht mal ich machte da eine Ausnahme. Bis auf die Tatsache, dass ich gar nicht erst über Fa­milienschmuck verfügte.

Endlich erreichte ich mein Ziel, stellte den Wagen ab und erkun­digte mich bei einem herumlungernden Typen, ob es hier in der Nähe ein Speakeasy gab. Ich hatte keine Ahnung, wie lange sich die Auktion hinziehen würde und stellte mich schon mal darauf ein, dass sich die Spannung dabei in Grenzen halten würde. Da wäre die Aussicht auf einen Schluck anschließend ein Lichtblick.

»Gleich da vorn, Ecke West Kinzie«, ließ mich der Typ wissen. Gleich darauf wurde er von der Menge verschluckt, die anschei­

nend dasselbe Ziel hatte wie ich. Es überraschte mich, wie groß das Interesse an Dingen war, die andere loswerden wollten oder mussten. Und anscheinend sahen sich alle bereits als Konkurrenten. Keiner schaute nach links oder rechts, in geradezu gespenstischer Stille such­ten sich die Leute ihre Plätze.

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Wie mein Auftraggeber mir schriftlich geraten hatte, setzte ich mich auf einen Stuhl in einer der Reihen im vorderen Drittel, direkt am Gang in der Mitte. Die Leute, die den großen Saal nun rasch füllten, schienen es sämtlich darauf anzulegen, so unauffällig wie nur möglich auszusehen. Es waren mehrheitlich Männer. Auf der Bühne vorn wurde noch gearbeitet, ein riesiger Ölschinken wurde eben herbeigeschleppt, der ganz gut zu den scheußlichen Möbeln passte, von denen ich später erfuhr, dass sie aus der Empire-Zeit stammten. Anscheinend war schlechter Geschmack nicht auf die Gegenwart beschränkt.

Endlich erschien ein älterer, sehr dünner, blasser Mann und trat an das Pult, auf dem der obligatorische Hammer schon bereitlag. Die letzten Arbeiter verschwanden und nun wurde es so still, dass man das Rascheln der Auktionslisten hörte, auf denen alles verzeichnet war, was heute zur Versteigerung anstand. Auch ich hatte diese Liste in der Hand und angesichts der Nummer des meiner Aufmerksamkeit emp­fohlenen Medaillons musste ich fürchten, sehr lange sehr still sitzen zu müssen.

Dann erschien ein jüngerer Mann auf der Bühne. Vermutlich hätte er überall für eine gewisse Aufmerksamkeit gesorgt, aber inmitten von all dem Gerumpel da oben stach noch deutlicher in die Augen, wie gut er aussah. Dunkle Haare, markant geschnittenes Gesicht und sein An­zug ließ auf Muskeln an den genau richtigen Stellen schließen. Ein Frauentyp wie aus dem Bilderbuch. Und dementsprechend fiel auch die Reaktion im Saal aus. Gesprochen wurde auch jetzt nichts, aber man spürte regelrecht, wie sämtliche anwesenden Frauen die Köpfe höher reckten. Ob es mehr als nur einen Grund gab, hierher zu kom­men?

Während der Schönling da vorn die geballte weibliche Aufmerk­samkeit zu genießen schien, trat der ältere Blasse endlich in Aktion. Er sah nicht nur aus wie zerknittertes Papier, zunächst redete er auch so. Ein leises, monotones Rascheln, das sich dann aber rasch zu einem Schnarren entwickelte. In diesem Moment hatte ich den Eindruck, dass mein Auftrag eben doch nicht übermäßig dotiert war. Diese Stimme er­dulden zu müssen und das womöglich mehrere Stunden lang - ich hät­te dafür Schmerzensgeld verlangen müssen.

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Im Saal herrschte jetzt eine gespannte Aufmerksamkeit und wäh­rend der Alte mit dem Hämmerchen weiterschnarrte, bedienten sich die Leute vor, hinter und neben mir der Taubstummensprache, mit der ich mich notdürftig vertraut gemacht hatte. Könner blinzelten nur kurz oder reckten das Kinn etwas höher, wenn sie mitbieten wollten. Nur ganz wenige hoben dafür eine Hand. Eine Gesellschaft nicht nur von Taubstummen, sondern auch von teilweise Gelähmten, so kam es mir vor.

Immerhin erschloss sich mir nun auch die Aufgabe des Schönlings. Mit einem Stock wies er jeweils auf das Objekt, das der Auktionator gerade vorstellte - Alter, Material, Mindestgebot. Wann immer er dabei seine Kehrseite dem Publikum darbot, hatte ich den Eindruck, dass manche Frauen die Kontrolle über ihre Körperregungen verloren. Je­denfalls bestimmten in solchen Momenten fast ausschließlich die Frau-en, wie schnell ein Gebot das nächste übertrumpfte. Ein kostspieliges Vergnügen, ging es mir durch den Kopf und obendrein eins, bei dem höchstens die Augen satt werden konnten. Dabei sahen manche der Frauen eigentlich gar nicht so aus, als mussten sie sich mit derart kar­ger Kost begnügen. Nur zwei Plätze von mir entfernt saß zum Beispiel eine Schönheit, fast blauschwarzes Haar, der oberste Knopf ihres Kos­tüms spannte über einer Oberweite, die sehenswert war. Auch gefiel mir, dass sie für den Schönling mit seinem Zeigestock anscheinend wenig anfällig war, ganz egal, wie der sich da oben verrenkte. Ein paar Mal kreuzten sich unsere Blicke und ich stellte mir vor, dass es ganz nett sein könnte, sie später auf einen Schluck einzuladen. Ihre vollen Lippen sagten mir, dass darüber schon vieles geflossen war und eher selten Milch oder Kaffee.

Nach ungefähr zweieinhalb Stunden verkündete der Mann mit dem Hämmerchen, dass jetzt Mittagspause sei. Die Zeit war schneller vergangen als erwartet, woran die Schwarzhaarige nicht unbeteiligt war. Leider verlor ich sie im Gedränge des Aufbruchs aus den Augen. Aber noch war die Auktion ja nicht zu Ende. Mein Auftritt kam erst noch - wieso nicht, abgesehen von dem Medaillon, auch bei der Schwarzhaarigen? Ein ordentlicher Schluck schien mir für beides die richtige Vorbereitung zu sein.

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»Neu hier?« Der Mann an der Tür des Speakeasy musterte mich von oben bis unten.

Ich nickte. »Aber mit großem Durst.« Er zischelte mir die Flüsterparole ins Ohr, die ich dann brav wie­

derholte, nur wenig lauter als er. Damit war diese Barriere genommen und schon wenig später hatte ich genau das vor mir, was ich jetzt brauchte. Und das sogar in erstaunlich guter Qualität.

Und wen sah ich, sobald ich dann meine Augen hob? Es war tat­sächlich die Schwarzhaarige. Sie schaute weg, sobald ich sie entdeck­te. Aber lächelte sie nicht eindeutig dabei? Aufzustehen und sie anzu­sprechen verboten mir die ungeschriebenen Gesetze in so einem Lokal ebenso wie die Tatsache, dass ihr Lächeln gleich wieder verschwand und eine betonte Gleichgültigkeit an dessen Stelle trat.

Okay, sagte ich mir, sie will ein Spielchen. Das kann sie haben. Der Tag war schließlich wirklich noch lang. Da war Eile eindeutig fehl am Platz.

*

Nach der Mittagspause hatten sich die Reihen im Auktionssaal deutlich gelichtet. Das verbliebene Publikum war überwiegend weiblich, was mich nicht störte. Richtig erfreulich war, dass die Schwarzhaarige auch jetzt nur zwei Plätze von mir entfernt saß.

Ein Blick auf die Liste sagte mir, weshalb so viele Männer gegan­gen waren. Porzellan, Silber, Schmuck standen jetzt auf dem Pro­gramm. Der Auktionator begann mit einem Service, das angeblich aus sage und schreibe 136 Teilen bestand und aus einer britischen Edel­manufaktur stammte, deren Name mir nichts sagte, einigen Frauen aber sehr viel. Es begann ein verbissener Kampf um das Zeug, das ja aus einem Material bestand, dessen Erfinder zu sein sich Chinesen mit irgendwelchen Deutschen stritten. Und angeblich war es nur ein Ver­sehen gewesen, eigentlich hatte Gold dabei herauskommen sollen. Oder gar Schießpulver? Ich wusste es nicht mehr so genau und dann schnarrte der Blasse schon sein »Zum Ersten, zum Zweiten und zum... Dritten!« Ein Hammerschlag und dann maß die unterlegene die andere

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Frau mit einem Blick, der mich an einen chinesischen Krummdolch erinnerte.

Dann warf mir die Schwarzhaarige einen Blick zu, gepaart mit ei­nem komplizenhaften Lächeln. Darüber hätte ich fast meinen Einsatz verpasst. Denn nun war es wirklich so weit, mein Medaillon wurde auf­gerufen.

Ich kannte es bislang nur von dem Foto. Und auch, was der Schönling jetzt auf einem weinroten Samtkissen präsentierte, sah alles andere als lohnenswert aus.

»Alter unbekannt«, schnarrte der Blasse. »Hersteller unbekannt. Das Medaillon besteht aus 925er Silber, die Einlegearbeit ist aus 333er Gold gearbeitet.«

Danach erwähnte er noch etliche Beschädigungen. Ich war platt. Das billigste Silber, minderwertiges Gold und dann noch verbeult wie ein Auto vom Schrottplatz. Wer sollte an so etwas interessiert sein? Ich verfluchte meinen Auftrag und sah mich das Ding schon aus eigener Tasche bezahlen. Was, wenn außer mir niemand daran Interesse be­kundete?

Zu meinem Erstaunen stiegen drei Frauen und ein Mann mit ins Spiel ein. Ich riskierte es also, immer wieder einmal zu nicken, was den Preis stetig nach oben trieb. Und jedes Mal zitterte ich - wer wür­de jetzt noch mitgehen?

Die Schwarzhaarige bot erst ziemlich spät. Sie verdoppelte das letzte Gebot, eine Frau ziemlich weit hinten hielt mit. Die Dunkle ver­doppelte noch einmal und damit gab die andere auf.

Ich sagte mir, dass ich das jetzt auch tun könne. Bei fast tausend Kröten waren wir immerhin angekommen und das für nichts als ein bisschen verbeultes Blech! In der Meinung, meinen Auftrag mehr als zur Genüge erfüllt zu haben, lehnte ich mich zurück.

»Weiterbieten«, zischelte mir da jemand ins Ohr. »Zum Ersten...« »Weitermachen, sind Sie taub?« Ich verrenkte den Kopf etwas nach hinten. War das mein Auftrag­

geber?

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»Ich hab es mir anders überlegt, ich will das Ding doch behalten.« Ja, er musste es wohl sein. »Hier ist das nötige Kleingeld dafür.« Ich spürte, wie er mir etwas in die Außentasche meines Jacketts schob. »Nun machen Sie schon!«

»Zum zweiten...« Ich nickte dem Blassen zu und schielte dann nach der Schwarz­

haarigen. Auch sie nickte. Ein Blick nach hinten zeigte mir, dass sich mein Auftraggeber schon wieder verkrümelt hatte. Ich nahm den Um­schlag heraus und sah, dass er jede Menge Scheine enthielt. Große Scheine, die insgesamt tausendfünfhundert Dollar ergaben. In diesem Moment wurde ich doch etwas nervös.

»Zweitausend also«, deutete der Blasse das Nicken der Schwarz­haarigen.

Damit war ich aus dem Spiel, trotz der vielen Scheine. Dann begann der Blasse erneut mit seiner Gebetsmühle, zum Ers­

ten, zum Zweiten, zum... Nein, ich konnte nicht mehr mithalten. Aber war das meine

Schuld? Das Medaillon war nie und nimmer so viel wert. Außerdem sollte man doch so einer Lady den Vortritt lassen. Ich schaute mich noch mal um. Aber meinen mutmaßlichen Auftraggeber sah ich nicht mehr. Sein Pech, ging es mir durch den Kopf und hörte den Blassen schon sagen... zum Dritten.

*

Gleich mehrere Personen hielten sich am Eingang auf. Ich konnte nicht erkennen, welche davon eine Knarre mit sich führte. Ein erster Schuss traf die hohe Decke und sorgte dafür, dass ein paar Brocken Putz he­runterfielen. Ein zweiter Schuss traf links von mir die Holztäfelung, mit der die Wände mannshoch versehen waren. Aber in einem so ungüns­tigen Winkel, dass die Kugel abprallte und ihre Flugrichtung änderte. Kurz darauf sank der Schönling mit dem Zeigestock in die Knie, maßlo­ses Erstaunen im Gesicht und mit einem Loch dort, wo vor kurzem noch sein Krawattenknoten perfekt geknüpft gewesen war. Blut quoll aus diesem Loch, träge wie dicker Himbeersirup.

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Alles war so schnell gegangen, dass es kaum jemand kapiert hat­te. Und zuerst sah es so aus, als würden die anwesenden Damen nur über den Tod des Typen da vorn erschrecken. Viele sprangen auf, hier und da wurde nach einem Arzt gerufen. Eine dritte Kugel ließ dann eines der wenigen Fenster bersten und das gab nun auch das Zeichen für die überfällige Panik. Alle versuchten gleichzeitig, den Ausgang zu erreichen und wie in solchen Fällen üblich, versuchten es alle auf dem falschen Weg.

Ich reagierte wie immer in solchen Fällen rein instinktiv, behielt auf diese Weise einen halbwegs klaren Kopf und entdeckte einen Not­ausgang, ziemlich weit vorn, schon fast an der Bühne, auf der der blasse Auktionator vor dem Toten anscheinend zur Salzsäule geworden war.

Gleich darauf war ich draußen und atmete tief durch. Jetzt erst fragte ich mich, wo wohl die Schwarzhaarige abgeblieben sein mochte. Aber es gab eben Situationen, wo jeder sich selbst der Nächste sein musste.

Und was war mit meinem Auftrag? Hatte ich den nun ausgeführt oder nicht? Ziemlich viel von meinem Honorar befand sich noch in meiner Jacketttasche. Ich beschloss, einen guten Teil auf der Stelle in eine gewisse Flüssigkeit zu investieren. Wieso nicht in dem nahen Speakeasy, dessen Passwort ich ja nun schon kannte. Bestimmt würde es nicht lange dauern, bis Captain Morgan C. Hollyfield mit seinen Leu­ten zur Stelle war. Dann musste der Leiter der Mordkommission nicht unbedingt mich sehen.

Nach einem ersten, kräftigen Schluck merkte ich, dass meine Ner­ven aufgeputschter waren, als ich gedacht hatte. Oder war es einfach bloß Enttäuschung? Es war nicht wie am Mittag, als ich den Kopf hob und dann die Schwarzhaarige erblickte. Nein, sie war diesmal nicht da. Dabei hatte ich damit eigentlich ganz fest gerechnet.

Ich war schon beim vierten Glas, als noch immer keine Polizeisire­nen zu hören waren. Interessierte sich Hollyfield denn gar nicht für diesen doch recht spektakulären Mord?

»So wie Sie das schildern, Mister, klingt das aber eher nach 'nem Unfall«, meinte der Mann hinterm Tresen. Anscheinend hatte ich mal

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wieder etwas zu laut gedacht. »Wenn die Kugel das Opfer nur aus Versehen getroffen hat, ist das nicht einmal Totschlag.«

Oder es sollte so aussehen, sagte ich mir und diesmal unhörbar für den Barkeeper. Ich zahlte, steckte mir eine Lucky an und ging. Draußen die Straße sah aus wie immer, sämtliche Türen des Auktions­hauses waren verschlossen. Aber weit und breit kein Uniformierter zu sehen - was war da los?

Ich kam auf den Gedanken, bei der Chicago Tribune vorbeizu­schauen. Dort arbeitete mein Freund Brendon Smith als Sportredak­teur. Vielleicht wusste er ja mehr als ich? Auszuschließen war das nicht. Mit etwas Distanz sah man ja bekanntlich mehr, zumal inmitten von Kollegen, die bestens informiert waren über alles, was in den Win­keln dieser Stadt geschah. Und selbst wenn er nicht mehr wusste, er würde mich bestimmt zum Essen begleiten. Ein Steak wäre jetzt genau richtig. Und in Henry's Steak Diner bekam man das zum Glück rund um die Uhr.

*

Brendon gehörte in gewisser Weise zu der Erbschaft, die mir mein Va­ter hinterlassen hatte. Besser gesagt - er war diese Erbschaft. Seit mein Vater neben meiner Mutter auf dem Saint Andrew's Cemetery lag, sah Brendon in mir den Freund, der mein Vater ihm nicht mehr sein konnte. Wobei seine Gefühle für mich ohne Zweifel väterlich ge­färbt waren. Nicht, dass er mir ungebetene Ratschläge erteilte. Aber er sprach öfter davon, dass er sich Sorgen um mich machte.

»'ne Schießerei bei einer Auktion, ich bitte dich! Und noch dazu, wo es anscheinend um wertlosen Plunder ging!« Durch die Rauchwol­ke seiner Zigarre hindurch sah er mich eindringlich an. »Hast du mir da auch wirklich alles erzählt?«

Mit einem Steak im Magen kam mir die Sache ja selber immer ab­surder vor. »Besonders seltsam ist, dass die Polizei nicht eingetroffen ist«, ergänzte ich. »Ich hatte ja gedacht, dass vielleicht deine Kolle­gen...«

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»Viel zu früh«, fiel mir Brendon ins Wort und wackelte mit seinem mächtigen Schädel. »Du weißt doch, erst am Abend ist Schlussredakti­on. Und vorher lässt sich von denen keiner blicken, wenn es nicht un­bedingt nötig ist. Wieso wirst du denn auf einmal so blass?«

Besonders viel Bares trug ich normalerweise ja nicht mit mir her­um. Und dazu der Schock. Ich hatte komplett vergessen, dass ich den Umschlag ja noch bei mir trug. Beim Verlassen des Auktionshauses hatte ich ihn vorsorglich in die Innentasche meines Jacketts verfrach­tet. Und dort bislang vergessen. Zum Glück! Sonst hätte mir weder der Whiskey geschmeckt noch das Steak. Jetzt, wo mir der Umschlag und vor allem sein Inhalt wieder einfiel, wurde mir richtig schlecht. Teils, weil ich es einfach nicht gewöhnt war, so viel Geld spazieren zu tra­gen, teils, weil ich es durchaus schon erlebt hatte, wie allzu viel Geld am Körper einen Mann leicht zu einer Zielscheibe machte.

»Pat, alter Junge, was hast du denn?«, fragte Brendon noch ein­mal besorgt.

»Nun doch keine Zeit mehr«, ließ ich ihn wissen. Ich legte so viel von meinem Honorar auf den Tisch, das es reichen musste und verab­schiedete mich so rasch, wie es einem nur ein guter Freund verzeiht.

Dann fuhr ich so schnell wie möglich ins Büro. Dort gab es einen Safe. Es war lange nicht nötig gewesen, ihn zu benützen. Heute würde er endlich mal wieder seine Funktion erfüllen. Während der Fahrt starrte ich öfter als sonst in den Rückspiegel und der Umschlag in mei­nem Jackett nahm das Gewicht eines Felsblocks an.

Aber hinter, vor und neben mir gab es nichts Auffälliges. Dennoch beschlich mich das Gefühl, verfolgt zu werden. Ich stellte den Wagen auf dem Parkplatz hinter dem Haus ab und auch jetzt noch hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Reine Nervensache, sagte ich mir, denn da war niemand. Als ich die zwei Treppen zum Büro hochstieg, kam mir eine noch bessere Lösung als der Safe in den Sinn. Peter Smith. Vielleicht kam er ja noch vorbei, um all das Geld wieder an sich zu nehmen? Wenn er es nötig hatte, so ein Medaillon versteigern zu lassen, konnte er sich die vielen Lappen ja nur geliehen haben. Er müsste also brennend daran interessiert sein, sie wieder in seinen Be­sitz zu bringen.

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Ich ließ die Kohle also vorläufig an ihrem Platz, zog das Jackett nicht aus und entledigte mich nur meines Huts. Als ich dann an mei­nem Schreibtisch saß, vermischte ich die abgestandene Luft im Raum mit etwas Zigarettenqualm. Wieso war dieser Peter Smith so schnell verschwunden? Hatte er von dem Überfall wirklich nichts mitgekriegt? Warum zeigte er so wenig Interesse an seinem Geld?

Betty hatte einen Seidenschal vergessen, er hing über der Lehne ihres Stuhls und erinnerte mich prompt an ihren ersten Kommentar zu diesem Klienten. Nicht glaubwürdig. Hatte sie damit, dank der be­rühmten weiblichen Intuition, gar einen Treffer gelandet?

Das Wort Treffer lenkte meinen Gedanken auf den Überfall zu­rück. War es das überhaupt gewesen? Ein Überfall verfolgt im Allge­meinen den Zweck, etwas an sich zu bringen. War das geschehen? Von allen und auch von mir unbemerkt in dem Chaos, das nach dem dritten Schuss ausbrach? Ganz auszuschließen war das nicht. Ich hatte zwar von mir selber den Eindruck gehabt, ganz ruhig geblieben zu sein. Aber so ganz traf das nicht zu. Hätte ich dann die vielen Scheine in meinem Jackett einfach vergessen und wäre seelenruhig einen trin­ken gegangen?

Sofort vervielfachten die Scheine wieder ihr Gewicht. Ich begann zu schwitzen. Also doch in den Safe mit der Kohle, beschloss ich. Viel­leicht lockte das ja auch Peter Smith endlich herbei.

Als ich das Geld nicht mehr am Körper trug, fühlte ich mich wohl-er. Aber sein rechtmäßiger Besitzer ließ sich nicht blicken. Ich gab ihm noch eine Stunde, die ich halb dösend verbrachte. Dabei vermischten sich die Blondine aus der vorletzten Nacht und die Schwarzhaarige von heute. Was logisch ausgeschlossen ist, machte sich ja in Träumen ge­legentlich ganz gut.

In die Wirklichkeit fand ich zurück, als auf dem Flur laut gelacht wurde. Es waren die Leute, die gegenüber im Immobilienbüro Hopkins & Abernathy arbeiteten. Also Feierabendzeit. Wieso eigentlich nicht auch für mich?

*

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Auf dem Heimweg hatte ich wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Wurde das jetzt zu einer Marotte? Ich besorgte mir einige Sandwichs und die wollte ich mir eben zum Abendessen servieren, als Brendon anrief.

»Egal, was du mir vorschlägst, ich geh heute nicht aus«, ließ ich ihn sofort wissen. Angesichts des seltsamen Klienten, den mir genau genommen ja Betty verschafft hatte, konnte ich mir eine Verfassung wie neulich nicht leisten.

Brendon reagierte mit seinem gutmütigen, dröhnenden Lachen. »Dabei hatte ich den Eindruck, du hast dich gar nicht übel amüsiert, alter Bursche! Aber keine Angst, deshalb ruf ich nicht an.«

Er legte eine Pause ein und ich hörte, wie er sich eine Zigarre an­steckte. Ich folgte seinem Beispiel und griff mir eine Lucky.

»Du hast dich doch gefragt, wieso deine einstigen Kollegen sich nicht für den Vorfall bei der Auktion interessieren«, fuhr er dann fort. »Ein Kollege von mir fragt sich das auch. Er war zufällig in der North Desplaines und hat mitgekriegt, wie die Auktion im Chaos endete. Er hat auch mit einigen Leuten geredet, die ihm von den Schüssen er­zählt haben. Und von dem Toten.«

»Und?«, hakte ich nach, als Brendon jetzt schwieg. »Na ja, seltsam ist das schon.« Ich hörte, wie Brendon an seiner

Zigarre nuckelte. »Der Kollege befasst sich jetzt mit den Auktionslisten. Vielleicht hatte die Sache ja doch mit dem Zeug zu tun, das unter den Hammer gekommen ist. Oder kommen sollte.«

»Eigentlich müsste das doch auch Hollyfield interessieren«, warf ich ein.

»Was das betrifft, hatte ein anderer Kollege eine Idee.« Anschei­nend war Brendons Zigarre ausgegangen. Ich hörte sein Feuerzeug klicken. »Vielleicht ist Hollyfield derzeit einfach ein bisschen überlas­tet«, meinte er dann. »Seit die Iren und die Italiener sich mal wieder ins Gehege gekommen sind und dabei letzte Woche auch zwei unbe­teiligte unbescholtene Bürger unserer Stadt dran glauben mussten...« Brendon beendete seinen Satz nicht.

War auch nicht nötig, es lag auf der Hand, was er andeuten woll­te. Ein Politiker und ein Industrieller aus der Autobranche waren von

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Tommy-Guns durchsiebt worden, nur weil sie dummerweise zur fal­schen Zeit am falschen Ort gewesen waren. Nämlich in einem Edelre­staurant, in dem es zu einer Meinungsverschiedenheit zwischen ein paar Leuten von Il Cardinale, dem Boss des italienischen Syndikats und denen von Sean The Jar O'Malley, dem Chef der irischen Gang, ge­kommen war. Wenn diese Leute sich gegenseitig liquidierten, juckte das keinen in dieser Stadt. Anders lag die Sache natürlich, wenn dabei Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in Mitleidenschaft gezogen wurden. Was in diesem Fall auf ziemlich nachhaltige Weise geschehen war. Die beiden Honoratioren hatten bloß das Loch in ihren Mägen stopfen wollen, mit erlesenen Speisen. Und noch vor dem Ende des Abends bestanden sie so gut wie nur noch aus Löchern...

Ich konnte mir gut vorstellen, wie dieser Schlamassel dem Koloss Hollyfield den Schweiß auf die Stirn trieb und jede ruhige Minute raub­te. Mein Mitleid mit ihm hielt sich aber dennoch in Grenzen.

»Werdet ihr denn darüber berichten?«, fragte ich Brendon. »Über die Sache bei der Auktion?«

Brendon lachte wieder. »Aber sicher! Was ich nicht weiß, das macht mich nicht heiß - das mag ja für unsere Ordnungshüter gelten. Auf unsereins hat so was aber bekanntlich genau den gegenteiligen Effekt. Es könnte sich also durchaus lohnen für dich, wenn du morgen einen Blick in unser Blatt wirfst.«

»Seit wann hast du es nötig, die Auflage in die Höhe zu treiben?«, fragte ich mit einem spöttischen Lächeln.

Brendon ging auf den Scherz nicht ein. »Dass es dort zu dieser Schießerei gekommen ist, das hat wirklich nichts mit dir zu tun, Pat? Mit irgendeinem deiner Aufträge?«

Dass Brendon im Plural sprach, schmeichelte mir. Ich verzichtete darauf, ihn über meine tatsächliche Auftragslage aufzuklären. »Mir galt kein einziger dieser Schüsse«, beruhigte ich Brendon. Dann fiel mir noch etwas ein. »Weißt du zufällig, wer der Typ war, den der Quer­schläger getroffen hat?«

Brendon kicherte. »Hab mich schon gewundert, dass du danach nicht fragst. Ja, das weiß ich zufällig auch. Harvey Waddington.

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Scheint ein Angestellter des Auktionshauses gewesen zu sein. Sonst ist über ihn bislang nichts bekannt.«

Der Name war ja auch schon was, fand ich und notierte ihn mir vorsichtshalber gleich.

Danach versuchte Brendon doch noch, mich aus dem Haus zu lo­cken. Er schlug ein Spielchen vor, Poker war eine große Leidenschaft von ihm. Ich blieb aber ausnahmsweise mal standhaft und lehnte ab.

Dann wollte ich mich endlich meinem Abendessen widmen. Es musste noch einmal warten, diesmal rief Betty an.

»Zu dumm, dass Sie schon zu Hause sind, Chef!« Wenn das nicht die Logik eines hochhackigen Schuhs war, ohne

Absatz natürlich! »In dem Fall hätten Sie mich jetzt nicht an der Strip­pe«, machte ich sie aufmerksam.

»Schon, aber dann wären Sie ja vielleicht noch im Büro.« Sie seufzte. »Ich bin da nämlich. Also, ganz in der Nähe jedenfalls. Und ich hab da was... 'ne Bekannte hat mich gebeten, es für sie in Verwah­rung zu nehmen. Bloß ein paar Tage. Es ist wichtig für sie, hat sie ge­sagt. Na ja und Sie kennen ja meine Wohnung...«

Damit übertrieb sie, ich kannte ihre Wohnung überhaupt nicht. Aber nach allem, was Betty über ihr Privatleben so durchblicken ließ, stellte ich mir ihre Wohnung eher wie einen Taubenschlag vor. Sie wechselte ihre Verehrer fast noch häufiger als den frischen Lack auf ihren Fingernägeln. »Seit wann ist unser Büro ein Aufbewahrungs­ort?«, unterbrach ich sie schnarrend.

»Mensch, Chef, es ist doch bloß eine kleine Gefälligkeit«, beharrte sie.

»Meines Wissens haben Sie doch einen Schlüssel für unser Büro«, erinnerte ich sie und hörte meinen Magen knurren. Unser Büro, das musste ich mir endlich abgewöhnen. Ich meinte damit ja nicht Betty und mich. Und Joe Bonadore war nun schon eine ganze Weile nicht mehr mein Partner, wie auch, in dem Zustand, in dem ich ihn zuletzt zu sehen bekommen hatte.

»Das schon«, räumte Betty ein. »Aber nicht für den Safe. Wissen Sie, diese Bekannte...«

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Mir war klar, welch langatmige Geschichte nun folgen würde. »Heute nicht mehr«, fiel ich Betty daher ins Wort. »Aber wer weiß, vielleicht bin ich ja morgen nett genug, Sie den Safe zweckentfremden zu lassen.«

Ein paar Dinge hatte Betty in der Zeit bei mir ja wohl doch gelernt. Zum Beispiel, dass sie auf Granit biss, wenn meine Stimme eine Fär­bung annahm wie in diesem Moment.

»Ist ja schon gut, Chef«, lenkte sie ein. »Dann bis morgen.« Mein Magen knurrte so laut, dass ich das ausreichend fand als

Verabschiedung. Ich legte auf und wandte mich endlich den Sand­wichs zu. Und auch den letzten Rest in meiner Flasche übersah ich nicht. Morgen musste ich dringend für Nachschub sorgen.

*

Als ich am nächsten Morgen mein Apartment verließ, nahm ich mir ganz fest vor, mich nicht verfolgt zu fühlen. Es funktionierte. Es war einfach ein Morgen wie jeder andere, ein ziemlich angenehmer sogar, noch hielt sich die Hitze in Grenzen. Ich rechnete nicht damit, Betty schon im Büro anzutreffen. Aber schon vor der Tür hörte ich ihre Stimme. Hatte sie mir diese Bekannte angeschleppt? Das fehlte gerade noch!

Chef vom Scheitel bis zur Sohle, betrat ich das Büro. Auch einen dazu passenden Halbsatz hatte ich schon vorformuliert. Er blieb mir im Hals stecken, als ich das blauschwarze Haar erblickte, zusammen mit allem Übrigen. Der Knopf der Kostümjacke spannte nur deshalb nicht, weil er geöffnet worden war. Sie stand am linken Fenster hinter mei­nem Schreibtisch, als sei dies nur selbstverständlich.

»Na bitte, Mistress Marwick, ich hab doch gesagt, er wird jeden Moment hier sein«, plusterte Betty sich auf. Aber damit tat sie ja aus­nahmsweise mal das, was im Moment tatsächlich auch ihre Aufgabe war.

Ich verzichtete auf meine Wurfübung mit dem Hut und legte ihn auf dem Schreibtisch ab. »Mistress Marwick also. Angenehm.« Ich lä­chelte sie deutlich länger als nötig an.

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Sie hingegen hielt sich an die übliche Zeitspanne. »Wollen Sie nicht vielleicht doch Platz nehmen?« Ich deutete auf

den Stuhl vor meinem Schreibtisch, an dem Besucher normalerweise zu sitzen pflegten. Sie beeilte sich nicht gerade, meiner Aufforderung nachzukommen. Aber wie sie dann saß und die Beine übereinander schlug, nahm ich ihr das nicht weiter übel. Bei der Auktion waren mir diese Beine doch glatt entgangen, ebenso in jenem Speakeasy. Wie gut, dass man manchmal eine zweite Chance bekommt.

»Hier, Ihr Kaffee, Chef!«, spielte Betty die Beflissene. Dabei ging es ihr garantiert nur darum, mir den Blick auf diese Beine zu verweh­ren. »Möchten Sie auch einen?«

»Danke, nein«, wehrte Mrs. Marwick ab. Es waren die ersten beiden Worte, die ich sie aussprechen hörte.

Ihre Stimme gefiel mir sofort genauso gut wie der Rest - eher tief, ein kleines bisschen rauchig. Sie artikulierte klar und deutlich und sie machte den Eindruck, daran gewöhnt zu sein, kein Wort zu viel zu verlieren.

»Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«, fragte ich sie und bemerkte aus den Augenwinkeln, wie Betty die Augenbrauen hochzog. Traute sie mir etwa eine solche Bekanntschaft nicht zu?

»So schwer war das nicht.« Sie holte eine Schachtel ausländischer Zigaretten aus ihrer Handtasche. Benson & Helges, was meines Wis­sens ein Produkt eines irischen Tabakimperiums war und meine Sym­pathien für Mrs. Marwick gleich noch etwas steigerte. Denn schließlich hatte ich irische Vorfahren. »Ich hab Sie ein bisschen beschatten las­sen.«

Also doch keine Marotte, dachte ich und beugte mich über den Schreibtisch, um ihr Feuer zu geben. Weil aus ihrem Vorgehen ein­deutig ein gewisses Interesse an meiner Person sprach, nahm ich es ihr nicht weiter übel, dass sie jemanden auf mich angesetzt hatte. Nor­malerweise bin ich da empfindlicher. »Dann muss es ja wirklich wichtig sein.« Ich staunte über ihre Augenfarbe. Bernstein, der an den Rän­dern blauschwarz zerfloss.

Betty räusperte sich und rumorte mit irgendetwas herum. An­scheinend fand sie es an der Zeit, auf ihre Anwesenheit hinzuweisen.

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Hätte sie jetzt nicht ein bisschen Diskretion beweisen können, indem sie auf ihrer Schreibmaschine herumhämmerte, anstatt Augen und Ohren aufzureißen?

»Ja, das Medaillon ist sehr wichtig für mich«, bestätigte Mrs. Mar­wick.

Mit dieser sachlichen Auskunft sorgte sie dafür, dass ein paar mei­ner Illusionen platzten. Sie war also doch nicht meinetwegen gekom­men. »Tja, da hatten wir beide Pech.« Sie würde das bestimmt nur auf das Medaillon beziehen, was zumindest rein sachlich gesehen auch nicht völlig falsch war. »Aber vermutlich wird es ja demnächst wieder angeboten. Ich fürchte, dann werden wir erneut Konkurrenten sein.«

»Das glaube ich nicht.« Ihre Mundwinkel zuckten leicht. »Wissen Sie wirklich nicht, dass es verschwunden ist?«

Eigentlich ist es ja kein Problem, einer schönen Frau gegenüber etwas unsicher zu sein. Aber allmählich hatte das nicht mehr mit ihrem Äußeren zu tun, sondern mit ihrem Wissen. Ich mag es gar nicht, wenn auf diesem Gebiet eine zu große Ungleichheit herrscht. Ich über­legte noch, wie ich mich möglichst souverän herausreden könnte, als sie fortfuhr.

»Ich habe mich bereits erkundigt. Weil mir wie gesagt wirklich viel an dem Ding liegt. Praktisch ist es ja ohne Wert. Aber hat nicht jeder Mensch eine sentimentale Ader?« Sie kniff die Augen so weit zusam­men, dass der Bernstein vom Blauschwarz fast verschluckt wurde.

»Ein Erinnerungsstück also?«, vermutete ich. Sie nickte. »Ja. An meinen ersten Mann. Er lebt schon lange nicht

mehr, aber...« Sie hielt es für unnötig, den Satz zu beenden. Stattdes­sen lächelte sie, ein Lächeln, das mit den Lippen begann und ganz am Schluss den Bernstein in ihren Augen wieder aufleuchten ließ.

Wenn das ein Manöver gewesen war, um mich einzuwickeln, musste ich die Lady nun doch enttäuschen. Eine gewisse Kontrolle über meinen Hormonspiegel gab ich nur sehr selten auf. »Moment mal. Wie kommt ein Ihnen so wichtiges Erinnerungsstück denn über­haupt unter den Hammer?«

»Es ist mir vor einiger Zeit abhanden gekommen.« Sie wechselte ihre Haltung und brachte das linke Bein über das rechte. »Sie wissen

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ja, wie das mit dem Personal so ist. Ich war dann froh, diesen Tipp zu bekommen und ging auf die Auktion. Wie das ausgegangen ist, wissen Sie ja. Ich hab übrigens gar nicht mitgekriegt, wie Sie da so schnell raus gekommen sind.«

Schon wieder mal ein Ablenkungsmanöver, sagte ich mir und be­schloss, die Frage zu ignorieren. Außerdem ärgerte mich Bettys unauf­hörliches mokantes Grinsen. Deshalb drückte ich nun doch etwas stär­ker auf die Tube. »Was wollen Sie von mir, Mistress Marwick? So ganz habe ich das noch immer nicht verstanden.«

»Dabei dürfte das ein Klacks für Sie sein.« Merkte sie nicht, dass sie damit zu plump wurde? »Beschaffen Sie einfach das Medaillon wie­der. Nicht für sich, sondern für mich. Für Sie ist es nichts weiter als Blech. Für mich dagegen...« Sie schloss mit einem Seufzer.

Natürlich ahnte sie nicht, in welche Lage sie mich mit dieser Bitte brachte. Im Safe befand sich nach wie vor sehr viel Geld und in meiner Jackettasche klimperten noch einige Reste meines Honorars von Peter Smith. Also war ich ihm gegenüber eindeutig in der Pflicht. Und auch ihm lag viel daran, das Medaillon in seinen Besitz zu bringen.

Da kam Mrs. Marwick auf einen Gedanken, der mir die Entschei­dung doch ziemlich erleichterte. Sie hatte ganz plötzlich drei Grants in der Hand und blätterte sie in einer anmutigen Geste auf meinen Schreibtisch. »Ich kenne Ihren Tarif nicht. Aber das reicht ja vielleicht für drei Tage? Und Spesen selbstverständlich extra.« Damit stand sie auf, wobei sie sich ein kleines bisschen vorbeugte. Etwa eigens aus dem Grund, um mir einen Einblick in das Dekollete ihrer Bluse zu bie­ten?

Ich erhob mich ebenfalls, um sie zur Tür zu bringen. Sie steckte mir noch eine Visitenkarte zu. »Sie können mich jederzeit telefonisch erreichen. Bis bald!«

Als ich die Tür hinter ihr schloss, stieg mir ihr Parfüm in die Nase. Ich studierte die Visitenkarte und fand, dass der Vorname Cheryl aus­gezeichnet zu ihr passte. Die Adresse natürlich auch, es war eine der besten Gegenden in dieser Stadt.

»Vielleicht lassen Sie einfach ein Duplikat anfertigen von dem Ding«, brachte sich Betty Meyer in Erinnerung. »Immerhin haben Sie

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ja ein Foto davon. Sieht nicht aus, als wäre es wertvoll. Und wenn Sie dann gleich zweimal dafür kassieren können...«

»Seit wann bezahle ich Sie dafür, dass Sie mir sagen, wie ich ei­nen Fall zu lösen habe?«, unterbrach ich sie barsch.

»Hätte ja sein können, dass Mitdenken gefragt ist«, versetzte sie schnippisch. »Zumal bei Ihnen während der letzten halben Stunde ja eindeutig was anderes als Ihr Kopf das Regime übernommen hat.« Sie hatte tatsächlich die Chuzpe, ihren Blick an mir tiefer wandern zu las­sen, bis auf eine gewisse Stelle meiner Hose. »Und außerdem tue ich was für meinen Wochenlohn. Den ich übrigens noch nicht bekommen habe.« Sie warf einen begehrlichen Blick auf die Grants, die noch im­mer den Schreibtisch schmückten.

»Sehen Sie da etwa einen Jackson und einen Hamilton?«, fragte ich mürrisch. Sie erhielt dreißig Dollar pro Woche von mir und oft ge­nug fragte ich mich, wofür. »Außerdem ist die Woche noch lang nicht vorbei.« Mit einem schnellen Griff sorgte ich dafür, dass sie das Geld nicht mehr beunruhigte. Ich ließ es in meiner Tasche verschwinden und dabei dachte ich unwillkürlich daran, wie viel mehr sich derzeit noch im Safe befand. Nur gut, dass Betty davon nichts wusste!

Allerdings kam nun auch sie auf den Safe zu sprechen. »Kann ich dann wenigstens das hier sicher deponieren?« Sie wedelte mit einem lächerlich rosafarbenen kleinen Päckchen vor meinen Augen herum.

Ich hatte ihre Bitte vom Vorabend schon ganz vergessen. Aller­dings verspürte ich wenig Lust, sie ihr auch zu erfüllen. Dem stand zum einen ihr Benehmen entgegen, zum anderen die Tatsache, dass sich da ja bereits schon was im Safe befand. Betty würde das sehen, würde Fragen stellen. Das war vollkommen überflüssig. »Nein, können Sie nicht. Sagen Sie Ihrer Bekannten doch, dass es auf jedem Bahnhof Schließfächer gibt. Das hier ist immer noch ein Büro, falls Sie das ver­gessen haben.«

»Aber Chef!« Sie holte tief Luft, um genug Vorrat für eine längere Protestrede zu haben.

Ich kam ihr zuvor. »Ich muss jetzt weg. Und Sie bitte ich, aus­nahmsweise Ihre gesamte Dienstzeit hier abzusitzen. Könnte sein,

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dass Peter Smith vorbeischaut. Dann sagen Sie ihm, dass ich gegen eins wieder hier bin.«

Ich glaubte zwar nicht, dass er sich blicken lassen würde. Aber ir­gendeine Anweisung wollte ich Betty doch geben. Wie immer, wenn sie sich aufregte, begannen ihre Nasenflügel leicht zu zittern. Ich ver­ließ das Büro, bevor ein Wutausbruch daraus wurde.

*

In gewisser Weise war das Auktionshaus ja ein Tatort geworden, auch wenn ich völlig ahnungslos war wofür. Doch es könnte schließlich sein, dass es auch Peter Smith noch einmal dorthin zog. Vielleicht war er weniger gut informiert als Cheryl Marwick und wusste noch gar nicht, dass sein Medaillon verschwunden war. Hinzu kam, dass ich nach die­ser unverhofften Begegnung mit der schönen Cheryl einfach raus musste. In gewissen Momenten hatte es immer eine höchst beruhi­gende Wirkung auf mich, am Lenkrad meines Plymouth zu sitzen. Ich steuerte also die North Desplaines an, im Moment ein so sinnvolles Ziel wie fast jedes andere. Dabei fiel mein Blick auf die Chicago Tribune von heute. Ich hatte noch keinen Blick rein geworfen. Dabei hatte Brendon doch behauptet, das könnte lohnend sein.

Ich klemmte mir die Zeitung also unter den Arm, als ich vor dem Auktionshaus ausstieg, um sie mir eventuell später zusammen mit ei­nem ordentlichen Schluck zu Gemüte zu führen. Das Auktionshaus fand ich verschlossen vor. Hatte der Vorfall doch noch Hollyfields Inte­resse erregt?

Höchstens teilweise. Quirrer nämlich kam ausgerechnet jetzt aus einem Nebenausgang. So schnell, wie er auf mich zuschoss, schien ich ihn magisch anzuziehen. »Sie also mal wieder, Connor! Na, das hätte ich mir denken können!«

»Seit wann verfügen Sie über diese Gabe?« Ich lächelte den Schwachkopf entwaffnend an.

Er war immerhin so klug, sich für diese Bemerkung taub zu stel­len. »Das haben wir doch garantiert Ihnen zu verdanken!« Er wies auf

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die Zeitung unter meinem Arm. »Geben Sie es zu! Wir haben in der Sache nämlich keinerlei Informationen raus gegeben.«

»In welcher Sache?«, stellte ich mich ahnungslos. Quirrer, etwa so groß wie ich und nur wenige Jahre älter, zeigte

bereits deutliche Tendenzen, feist zu werden, bei einer insgesamt eher schwächlichen Figur.

Mir schien es passend, ihn noch etwas nervöser zu machen. »War ja alles in allem wohl eher ein Unfall«, bemerkte ich beiläufig.

Er überging den logischen Widerspruch zu meiner eben noch be­haupteten Ahnungslosigkeit, vielleicht fiel ihm so etwas ja auch gar nicht auf. »Meinen Sie nicht, das ist unsere Sache?«, bellte er.

»Aber ich sehe Ihren Chef nirgends«, erwiderte ich. Quirrer tat alles, um ein paar Millimeter größer zu wirken. »Das

können Sie auch nicht. Ich bin mit den Ermittlungen beauftragt. Im Unterschied zu gewissen so genannten Ermittlern haben wir nämlich jede Menge Arbeit!«

Das glaubte ich ihm sogar, zumindest soweit es seinen Chef be­traf. Hollyfield maß der Schießerei bei der Auktion offenbar keine maß­gebliche Bedeutung bei. Höchstens als willkommenen Anlass, diesen Kläffer namens Quirrer ein bisschen zu beschäftigen und von anderen Störmanövern abzuhalten.

»Was wollen Sie hier?«, machte er sich jetzt wichtig. Ich tat so, als müsse ich nachdenken. »Ich glaube, ich wollte mir

bloß ein bisschen die Beine vertreten«, erklärte ich dann. »Und ir­gendwo Kaffee trinken. Beneidenswert, nicht wahr?« Ich winkte mit der Zeitung und ließ ihn stehen.

»Zur Not ziehe ich andere Saiten auf!«, blaffte er mir hinterher. »Ihnen ist ja klar, was geschieht, wenn Sie Dinge verschweigen, die...«

Sein blechernes Organ wurde bereits vom Straßenlärm ver­schluckt. Ich ging bis zum nördlichen Ende der Straße, dann wieder ein paar Blocks zurück, bis zur West Madison. Diesmal benutzte ich die andere Straßenseite und noch immer hoffte ich ein bisschen darauf, in einem der Passanten vielleicht Peter Smith zu erblicken. Würde ich ihn überhaupt wieder erkennen? Von den wenigen Sekunden, die ich ihn

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gesehen hatte, war mir immerhin ein blassblonder Oberlippenbart in Erinnerung geblieben. Aber keiner mit solchem Haarschmuck begegne­te mir. Bevor ich dann wieder vor dem Speakeasy an der Ecke West Kinzie stand, riskierte ich noch einen Blick zum Auktionshaus schräg gegenüber. Dort machte sich noch immer Quirrer wichtig, auch wenn ich nicht verstand, wozu es gut sein sollte, dass er die Tür vermaß. Sie hatte die Ausmaße eines Scheunentors und er sah bei seinen sinnlosen Bemühungen eindeutig aus wie der sattsam bekannte Ochse, welcher selbiges nicht findet.

Nicht einmal einen weiteren Mann hatte Hollyfield ihm mitgege­ben. War das nun sträfliche Pflichtvernachlässigung, oder verfügte Hol­lyfield einfach über Erkenntnisse, die mir fehlten? Es war eine Frage, die ich vorläufig offen lassen musste. Also war es sinnvoller, mir mit­tels Parole Eintritt in die Kneipe zu verschaffen und dort erst einmal die Zeitung zu lesen.

Leider gab die Lektüre nicht viel her, Brendon hatte deutlich zu viel versprochen. Der Tote, so war zu lesen, sei ein unbeschriebenes Blatt, erst seit kurzem habe er für das Auktionshaus gearbeitet. Da er anscheinend keine nennenswerten Fakten hatte, verfiel Brendons Kol­lege auf allerlei Spekulationen, was die Schüsse betraf. Am plausibels­ten erschien mir noch die Möglichkeit einer Rivalität unter Hehlern. Denn natürlich waren für solche Leute Auktionen genau der richtige Ort, ihre Ware unauffällig weiterzuverhökern. Doch das war weder neu noch irgendwie spektakulär. So raffte ich mich nach einem zweiten Glas auf und fuhr wieder zurück ins Büro.

Betty war bereits gestiefelt und gespornt zum Aufbruch bereit. Ih­re Laune hatte sich nicht gebessert. »Keine besonderen Vorkommnis­se, wie so oft«, ließ sie mich schnippisch wissen. »Es war pure Ver­schwendung, wenn sich hier gleich zwei Leute langweilen.« Sie drück­te ihre Zigarette aus, deren Filter Spuren ihres frisch aufgetragenen Lippenstifts zierten.

Ich war ganz froh, dass sie ging. Aber um ehrlich zu sein, auch mir stand nicht der Sinn danach, schon wieder einen Nachmittag im Büro herumzuhängen. Eine Stunde noch räumte ich Peter Smith ein. Wenn er sich dann immer noch nicht blicken ließ - ich hatte inzwischen

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ja immerhin eine zweite Interessentin an dem Medaillon. Vielleicht kam ich ja weiter, wenn ich mich etwas näher mit der schönen Cheryl be­fasste. Außerdem hatte sie die Revanche verdient. Schließlich hatte sie mich zuerst beschatten lassen.

*

Es war schon halb drei, als ich mich nach einem ungeplanten, aber dennoch erfrischenden Nickerchen am Schreibtisch auf den Weg machte. Für eine Frau wie Cheryl Marwick konnte es in dieser Stadt nur eine Adresse geben und die befand sich auf der North-Side, natür­lich dort, wo sie am elegantesten war. Villen, die sich in Gärten mit parkähnlichen Ausmaßen fast verloren, mit sauber gestutzten Hecken, gepflegten Blumenrabatten und sauber geharkten Kieswegen. Dank der Lage dicht am Michigan-See wehte hier fast immer eine leichte Brise. Auch dann, wenn der Rest der Stadt in der Hitze schmorte wie ein Hähnchen auf dem Grill, war es hier draußen noch immer gut aus­zuhalten.

Ich parkte genau gegenüber von dem Haus, dessen Stil man wohl als viktorianisch bezeichnete - zweigeschossig, Säulen vor dem Ein­gang, an allen vier Ecken verschnörkelte Türmchen. Die Fensterläden waren alle fest verschlossen, klar, da drin hielt man jetzt Siesta. Im Garten aber entdeckte ich mindestens vier Leute, die allerlei gärtneri­sche Aufgaben versahen. An Personal mangelte es Mrs. Marwick also offenbar nicht.

Während einer trägen Viertelstunde malte ich mir aus, wie Cheryl lebte. Viel Fantasie war dazu nicht nötig. Wie alle Frauen ihrer Klasse spielte sie vormittags garantiert Tennis. Oder sie hatte am nahen Y­achthafen ein Boot. Möglich auch, dass sie Golf spielte. Aber was machte das schon für einen Unterschied. Am Nachmittag dann ein paar Besorgungen, Verabredungen mit Freundinnen. Ob es wohl einen Mr. Marwick gab? Der sie dann abends zum Essen ausführte oder in einen der Clubs auf der South-Side? Seit dort immer neue Jazzmusiker von sich reden machten, war dieser sonst eher verrufene Teil der Stadt auch für die Angehörigen der Oberschicht nicht mehr tabu.

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Meine Schläfrigkeit wollte schon wieder überhand nehmen, als ein Mann vor der Villa erschien, dem man den Chauffeur schon von wei­tem ansah. Tatsächlich steuerte er eine braun-beige Limousine an und begann, an ihr herumzupolieren. Als sich endlich das mächtige Ein­gangsportal aus Eichenholz öffnete, rutschte ich geistesgegenwärtig etwas tiefer in den Sitz.

Cheryl Marwick trug ein schlichtes, honiggelbes Kleid, dazu ein kurzes Jäckchen aus demselben Stoff. Die Andeutung eines Huts schaukelte auf ihrem prachtvollen dunklen Haar und während sie in die Limousine stieg, streifte sie sich cremeweiße Handschuhe über die Hände. Offenbar war der Chauffeur über ihre Pläne bereits instruiert, denn zwischen ihm und ihr wurde kein Wort gewechselt. Einer der Gartenarbeiter öffnete das Tor und gleich darauf verließ die Limousine das Grundstück.

Ich musste nicht lange rätseln, wohin Mrs. Marwick wollte. In der La Salle Street in der Loop, dem Geschäftszentrum der Stadt, reihte sich ein Bankhaus ans nächste. Der Chauffeur stoppte am Foreman-State National Bank Building Ecke Washington Street. Mit seinen ein­hundertvierundvierzig Metern Höhe spielte es nur in der mittleren Liga unserer vielen Wolkenkratzer. Erbaut aus Kalkstein und schwarzem Granit, machte das Gebäude dennoch einiges her.

Der Chauffeur wartete mit laufendem Motor, nachdem Cheryl Mar­wick ausgestiegen war. Ein beflissener Portier am Eingang der Bank grüßte sie, was sie aber, ganz, wie es sich gehörte, ladylike ignorierte.

Was immer sie auf der Bank zu tun hatte, sie erledigte es in weni­ger als fünfzehn Minuten. Danach ließ sie sich in die State Street fah­ren, wo sich unter anderem unser größtes Kaufhaus namens Marshall Fields befindet. War es nötig, dass ich meinen Plymouth verließ und ihr ins Gewühl des Kaufhauses folgte? Eher nicht, sagte ich mir. Denn der Chauffeur wartete ja auch diesmal, wenn er nun auch den Motor abge­stellt hatte. Ich folgte seinem Beispiel und begann mich allmählich doch wieder zu langweilen. Cheryl lebte genauso, wie ich es erwartet hatte. Nach dem Kaufhaus suchte sie bestimmt eines der eleganten Cafés in den Seitenstraßen auf, um sich mit einer Freundin zu treffen.

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Genauso kam es auch. Nur weil ich nichts Besseres zu tun hatte, folgte ich ihr auch bis zu dem Café im so genannten Wiener Stil am Jackson Boulevard. Nur in einem Punkt musste ich meine Erwartungen korrigieren. Cheryl war dort anscheinend nicht mit einer Freundin ver­abredet. Sie setzte sich allein an einen Tisch und begann, in einer Zeit­schrift zu blättern. Sie ließ sich Mokka kommen, serviert in einer klei­nen silbernen Kanne und mit einem dieser lächerlich winzigen Täss­chen, die mir immer wie aus einer Puppenstube vorkamen. Aber Che­ryl kam mit dem Ding natürlich höchst elegant zurecht.

Ich sagte mir schon, dass diese Beschattung keinerlei Ergebnis zeitigen würde, als Cheryl bezahlte, das Café verließ - und dann den Chauffeur wegschickte. Wurde es nun doch noch interessant?

Ich beeilte mich, aus dem Wagen zu kommen. Es wäre mehr als ärgerlich gewesen, wenn ich Mrs. Marwick in dem beträchtlichen Strom der Passanten hier verloren hätte. Zum Glück schien sie es nicht eilig zu haben. Sie ging langsam, immer wieder blieb sie vor den Auslagen eines Geschäfts stehen. Einmal verlor ich sie für einen kurzen Moment aus den Augen, weil jemand mich nach dem Weg zur Buckingham Fountain fragte. Eigentlich wollte ich mich dumm stellen, aber der Mann war so hartnäckig, dass ich ihm endlich doch den Weg wies.

Als ich dann wieder nach Cheryl Marwick Ausschau hielt, war sie nicht mehr allein. Ein Mann schlenderte neben ihr her. Ich beschleu­nigte meine Schritte und veranlasste einige Fahrer zu wütendem Hu­pen, als ich rasch die Straße überquerte. Drüben überholte ich die bei­den, um wieder zurückgehen zu können und beide von vorne zu se­hen.

Der Mann war zwei Köpfe größer als sie, ziemlich gut gekleidet. Und er führte ein blassblondes Oberlippenbärtchen spazieren. Ich war mir sofort ziemlich sicher, dass ich Peter Smith vor mir hatte.

*

Wie kam ein Niemand wie dieser Smith an eine Frau wie Cheryl Mar­wick? Das fragte ich mich bei einem Whiskey, den ich dann bei Dunky zu mir nahm. Ich hatte die beiden etwa zehn Minuten lang beobachten

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können, bis plötzlich Cheryls Fahrer wieder auftauchte und Peter Smith nach einem Taxi winkte. Ich hatte kurz mit dem Gedanken gespielt, Smith zu folgen. Aber mein Plymouth stand etliche Blocks entfernt und ein zweites Taxi konnte ich nirgends entdecken. Also sagte ich mir, dass ich vorläufig genug erreicht hatte. Ich wusste jetzt, dass meine beiden Auftraggeber sich kannten. Ob sie wussten, dass sie beide hin­ter demselben Medaillon her waren?

Die Art ihrer Bekanntschaft hatte sich mir nicht genau offenbart. Doch immerhin, sie bestand. War Smith jemand, den Cheryl engagiert hatte, wofür auch immer? Hatte sie ihn, genau wie mich auch, damit beauftragt, das Medaillon wieder zu beschaffen? Ohne zu ahnen, dass Smith es selbst haben wollte?

»Schmeckt es heute nicht?«, sprach mich Dunky an, der Besitzer meiner Stammkneipe in der Loop. Er wies dabei grinsend auf mein Glas.

Tatsächlich hatte ich erst einmal daran genippt. »Der Durst kommt bekanntlich beim Trinken«, erwiderte ich.

Dunky, etwa so groß wie ich, aber fast doppelt so breit und ohne jedes Haar auf dem kugelrunden Kopf, nickte zustimmend. Er sprach meist nicht viel und er respektierte es sofort, wenn es einem Gast nicht nach Konversation zumute war. Wie in diesem Augenblick mir. Er wandte sich anderen Gästen zu und ich mich wieder der Art des Ver­hältnisses meiner beiden Klienten. Es gefiel mir nicht, dass ich so we­nig über sie wusste. Dabei leerte ich mein Glas und Dunky war auf­merksam genug, es gleich wieder zu füllen, diesmal kommentarlos. Aber es brachte mir keine neuen Einsichten und so dachte ich ans Zah­len.

Da aber stürzte Brendon herein. »Was für ein Glück!«, rief er mir zu. »Ich hatte wirklich gehofft, dich hier anzutreffen. Nur gut, dass du in gewissen Dingen doch berechenbar bist.«

»Und wieso ist das so wichtig?«, fragte ich nicht eben freundlich. »Weil mein Wagen liegen geblieben ist.« Ächzend erklomm Bren­

don den Barhocker neben mir. »Schon zum zweiten Mal in dieser Wo­che. Dabei war die Karre eben erst in der Werkstatt. Und da ich es

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hasse, zur Stoßzeit in die Hochbahn zu steigen oder mich um ein Taxi zu streiten, hab ich gedacht, ich schau mal hier rein.«

Brendon hatte dafür noch einen Grund, nämlich Durst auf einen ordentlichen Schluck. Dunky versorgte ihn umgehend damit und Bren­don leerte das Glas fast in einem Zug. »Viel Zeit hab ich nämlich nicht.« Er pochte mit dem fleischigen Zeigefinger auf die Uhr an sei­nem Handgelenk. »Demnächst ist Schlussredaktion. Du weißt ja, wie fuchsig Hennessy reagiert, wenn wir dann nicht alle vollzählig ver­sammelt sind. Du fährst mich doch?« Victor Hennessy war Chefredak­teur der Chicago Tribune.

»Ich wollte sowieso gerade gehen«, bestätigte ich. »Außerdem ist das vielleicht ein Wink des Schicksals.«

Während wir die Kneipe verließen, erzählte ich Brendon von Che­ryl Marwick. Nicht sehr viel, eigentlich erwähnte ich nur den Namen. »Vielleicht findet sich ja in eurem Archiv was zu ihr?«

Brendon war ganz und gar nicht begeistert, als er mitbekam, dass mein Plymouth etliche Blocks entfernt geparkt war. Bei der Zeitung zwar für Sport zuständig und ein großer Fan der Chicago White Socks, unserem nicht immer erfolgreichen Baseballteam, war die einzige Be­wegung, die er wirklich schätzte, die seiner Hand, wenn sich darin ein gut gefülltes Glas auf dem Weg zu seinem Mund befand. Er fluchte fast die ganze Strecke über leise vor sich hin. Erst als wir im Auto sa­ßen, beruhigte er sich wieder. »Ich hab jetzt aber keine Zeit, um für dich ins Archiv zu gehen«, kam er endlich auch auf meine Frage zu­rück.

»Du nicht. Aber vielleicht ja eine schnuckelige kleine Sekretärin?« Ich grinste ihm zu.

Kurz vor Beginn der abendlichen Schlussredaktion ging es in den Räumen der Tribune noch hektischer zu als sonst. Zum Glück war ich hier kein Unbekannter und so kam ich auch ohne Brendons Hilfe zu­recht. Ich hielt mich an eine kleine Rothaarige, die eben aus dem Kon­ferenzraum kam. Da sie die Tür hinter sich offen ließ, sah ich, dass auf dem langen Tisch dort schon jede Menge Kannen mit Kaffee bereit­standen. Die Kleine hatte ihre Aufgabe also erledigt.

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Es schmeichelte ihr sichtlich, als ich sie um eine Gefälligkeit bat. »Cheryl Marwick. Vielleicht sagt Ihnen der Name ja sogar auf Anhieb was?«, betrieb ich ein bisschen Bauchpinselei.

»Das nicht.« Sie reckte sich und fuhr sich durch die roten Locken. »Aber ich kann ja mal nachschauen.« Bevor sie im Archiv verschwand, versorgte sie auch mich noch mit Kaffee. Ich schaute zu, wie Brendon und seine Kollegen nach und nach im Konferenzsaal verschwanden. Stiller wurde es deswegen nicht, denn auch jetzt wurde die Tür nicht geschlossen und noch redeten alle durcheinander. Anscheinend war Hennessy noch nicht erschienen. Brendon hatte mir schon öfter er­zählt, wie stürmisch es auf diesen Redaktionssitzungen zuging. Denn natürlich hielt jeder seine Story für die wichtigste und regelmäßig gab es mehr Stoff als Platz auf den Seiten der Zeitung. So begann täglich um diese Zeit ein wahres Hauen und Stechen, Allianzen wurden ge­schlossen und gebrochen, um jede Zeile gefeilscht wie auf einem tür­kischen Basar - bis am Ende dann eben doch Hennessy sein Machtwort sprach.

Es dauerte eben mal drei Zigarettenlängen, bis die Kaffeemaus aus dem Archiv zurückkam. Sie lächelte dabei stolz und wedelte mit einigen Ausschnitten herum. »Hätten Sie doch gleich sagen können, dass es um die Marwick geht!«, tat sie sich wichtig.

Ich verzichtete darauf, dass ich genau dies getan hatte. Vermut­lich war sie in den Klatschspalten fündig geworden, in denen man im­mer wieder gern über das Leben der oberen Zehntausend berichtete.

»Es gibt sogar ein Foto!«, verkündete sie aufgeregt. »Zwei Jahre ist das jetzt her. Damals hat diese Hochzeit für Schlagzeilen gesorgt.«

»Kann ich jetzt mal selber sehen?«, drängte ich. »Klar.« Sie wurde plötzlich schnippisch. »Hab jetzt sowieso keine

Zeit mehr, die brauchen noch mehr Kaffee da drin.« Sie rauschte da­von.

In dem Artikel wurde ziemlich ausführlich über Mrs. Marwicks Hochzeit berichtet, ihre zweite. Auch ihr verstorbener erster Gatte wur­de flüchtig erwähnt, vor allem aber der jetzige Neue. Richard Marwick hieß der. Das Foto war schon ziemlich vergilbt. Aber der darauf neben Cheryl abgebildete Bräutigam sah eindeutig aus wie Peter Smith.

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*

Noch am nächsten Morgen war ich wütend. Vor lauter Wut hatte ich auch schlecht geschlafen und dass Betty noch nicht im Büro war, als ich dort eintraf, besserte nichts.

Scheidungssachen nahm ich aus Prinzip nicht an. Ich mochte es einfach nicht, in privater schmutziger Wäsche herumzuwühlen. Nur in äußersten Notfällen, sprich extrem schlechter Kassenlage, verstieß ich gegen dieses Prinzip.

Was mich ganz besonders erboste, war natürlich das Gefühl, her­eingelegt worden zu sein. Dass es um Scheidung ging, hatte mir weder Peter Smith alias Richard Marwick verraten noch seine schöne Frau. Diese Erkenntnis hatte ich einzig der Rothaarigen von der Tribune zu verdanken.

Ich hatte sie nämlich gebeten, noch mal ins Archiv zu gehen und vielleicht auch mit einem Redakteur zu reden, der für die so genannte ›Gesellschaft‹ zuständig war. Ein paar Komplimente hatten genügt, um die Kleine dazu zu bringen. Schwarz auf weiß hatte sie zwar nichts zutage befördert, aber in der zuständigen Redaktion hieß es, die Scheidung der beiden sei nur noch eine Frage der Zeit. Anwälte seien momentan damit beschäftigt, möglichst viel im Vorfeld zu klären und möglichst wenig an die Öffentlichkeit dringen zu lassen.

Es ging also um Scheidung. Wie hätte mir das nicht auf die Nieren schlagen sollen! Jeder weiß ja zur Genüge, wie kindisch sich Erwach­sene in solchen Momenten benehmen. Und hatte ich genau hierfür nicht wieder mal den Beweis? Die stritten sich um ein Stück Blech. Weil sie sonst nichts zu tun hatten. Weil jeder das für sich beanspruch­te, was der andere haben wollte - nur um den ändern zu ärgern. Weil sie zu viel von etwas hatten, das anderen fehlte. Mir zum Beispiel. Ich dachte an die Kohle im Safe, an Cheryls üppiges Honorar. Und leider musste ich zugeben - das waren durchaus Argumente für einen Mann in meiner Lage.

Ich ließ eine Lucky nach der ändern in Rauch aufgehen und be­nützte das Büro als Rennstrecke, immer fünf Schritte her und dann

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wieder hin. Als Betty endlich auftauchte, hatte sie vermutlich Mühe, mich in den Rauchschwaden zu entdecken. Für ihr spätes Erscheinen entschuldigte sie sich wie üblich nicht. Wortlos öffnete sie ein Fenster und setzte Wasser für Kaffee auf. Dann entledigte sie sich ihrer Kos­tümjacke und überprüfte, ob der enge Rock auch richtig saß. Nun erst hielt sie den Zeitpunkt für geeignet, das Wort an mich zu richten. »Mit Mistress Marwick ist das so eine Sache.« Sie lehnte sich an ihren Schreibtisch und verschränkte ihre Arme. Ihre Mimik brachte eine Mi­schung aus Spott und Mitleid zum Ausdruck. »Ich meine, falls Sie sich da gewisse Hoffnungen machen sollten.«

Nichts hätte an diesem Morgen mehr fehl am Platz sein können als solch eine Anspielung. Merkte Betty wirklich nicht, wie geladen ich war? Wollte sie unbedingt diejenige sein, an der sich das entlud?

»Sie lebt zwar in Scheidung«, fuhr Betty fort und begann dabei leicht mit dem linken Fuß zu wippen. »Aber sie hat schon Ersatz ge­funden. Ziemlich schnuckeliges Kerlchen. Jünger als sie. Aber sie kann sich so was ja leisten. Und einer wie Harvey Waddington lässt natürlich nichts anbrennen.«

Bestimmt rechnete Betty damit, ich würde nun ein paar Fragen stellen. Aber den Gefallen tat ich ihr nicht. Mein Gehirn arbeitete laut­los. Harvey Waddington, das war doch der Angestellte des Auktions­hauses gewesen, an dem die Augen sämtlicher Frauen gehangen hat­ten. Bis er dann diesen Krawattenknoten aus Blut hatte. Das also war Cheryls Geliebter gewesen?

»Ich weiß das von einer Bekannten.« Betty interpretierte mein Schweigen vermutlich falsch, sie glaubte jetzt, mir schildern zu müs­sen, wie sie an diese Information gekommen war. »Die hat mal eine Weile für die Marwicks gearbeitet. Und die weiß ganz genau...«

Ich hörte nicht mehr hin und bestrafte Betty dadurch, dass ich ihr nichts vom Ableben des schönen Harvey Waddington verriet. Das bes­serte meine Laune endlich ein bisschen. Bettys Redestrom wurde dann vom Klingeln des Telefons unterbrochen. Damit stand es schon zwei zu null für mich. Sie musste nach Luft schnappen, bevor sie sich meldete.

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»Pat Connor, private Ermittlungen, Betty Meyer am Apparat.« Nun warf sie auch einen ersten prüfenden Blick auf den Zustand ihrer Fin­gernägel. »Ja, er ist zufällig hier. Wenn Sie einen Moment warten?«

Sie bequemte sich nicht dazu, mich den Namen des Anrufers wis­sen zu lassen, sondern legte das Gespräch wortlos auf meinen Appa­rat. Peter Smith meldete sich.

»Ich muss Sie dringend sehen. Geht das in einer halben Stunde?« Er schlug als Treffpunkt den Eingang zu einer Station der Hochbahn in der Loop vor.

»Ja, das lässt sich einrichten, Mister Smith«, erwiderte ich. Drei zu Null für mich. Der Typ glaubte noch immer, ich wüsste nicht, wer er in Wirklichkeit war. Allmählich entwickelten sich die Dinge wieder so, wie ich es gern hatte. »Mit oder ohne?«

Ich sah, wie Betty die Ohren spitzte und doch nichts verstand. Das freute mich.

»Ohne was?«, fragte er. »Nun, Sie haben hier bei mir doch was deponiert und ich könnte

mir vorstellen...« »Nein, heute nicht«, fiel er mir ins Wort. »Ich bin heute viel un­

terwegs. Dabei trage ich nicht gern so viel Geld mit mir herum. Damit Sie mich erkennen - ich trage eine helle Jacke und einen Strohhut.«

Damit legte er auch schon auf. Ich grinste, zufrieden wie lange nicht und taufte ihn in Gedanken Rumpelstilzchen. Ich fand, es war ein gutes Gefühl, dass er nicht wüsste, was ich wüsste. Zum Beispiel wie er aussah.

Nach diesem Anruf waren die Rollen vertauscht. Meine Laune war glänzend, während Betty sich ärgerte.

»Darf ich jetzt vielleicht endlich auch wissen, was hier vorgeht?« »Aber sicher.« Ich fand ein entwaffnendes Lächeln für sie. »Ich

muss jetzt weg. Und Sie halten hier die Stellung.« Ich spürte ihren Blick in meinem Rücken, als ich gleich darauf

ging. Er enthielt mehr Gift, als einem einzigen Menschen zuträglich sein konnte.

*

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An der Grand Central Station nahe der Ecke Harrison/Wells Street herrschte fast zu jeder Tageszeit Hochbetrieb, auch zu dieser noch eher frühen Vormittagsstunde. Wieder einmal fragte ich mich, was die­se Menschenmassen auf die Straße zog. Hätten um diese Zeit nicht alle irgendwo arbeiten müssen? Die wenigsten, so stand zu vermuten, hatten einen Job wie ich, dem mitunter auch mal im Freien nachzuge­hen war.

Ich war absichtlich früh gekommen und hatte so die Gelegenheit, mir einen geeigneten Platz auszusuchen. Jede Information über Smith alias Marwick konnte wichtig für mich sein und jedes Detail konnte mir möglicherweise weiterhelfen. Um ihn also möglichst schon von weitem kommen zu sehen, brauchte ich einen Ort, der mir einen gewissen Überblick über das Gewimmel auf den Straßen bot. An der Kreuzung regelte ein Polizist den Verkehr, alle paar Sekunden misshandelte seine Trillerpfeife mein Trommelfell.

Ich entdeckte endlich ein Gebäude, allem Anschein nach irgendein Amt, zu dessen Eingang einige Stufen hinaufführten. Dort würde sich niemand an mir stören und ich hatte von dort oben genau den Über­blick, auf den es mir ankam. Ich lehnte mich an einen rußigen Mauer­vorsprung, schob den Hut etwas in den Nacken und fingerte nach ei­ner Zigarette. Wie würde Peter Smith reagieren, wenn ich ihn als Mr. Marwick ansprach? Sollte ich ihn das überhaupt gleich wissen lassen? Ein gewisser Informationsvorsprung hatte sich manchmal schon als nützlich erwiesen. Oder war in diesem Fall Überrumpelung doch die bessere Methode?

Ich legte mich vorläufig nicht fest und vertraute darauf, dass mir im geeigneten Moment dann schon das Richtige einfallen würde. Im Takt weniger Minuten wurden immer neue Menschenströme aus der Hochbahnstation herausgeschwemmt, die sich dann erstaunlich rasch in der Menge auf den Straßen verloren. Eine Weile zog ein Spektakel mitten auf der Kreuzung meine Aufmerksamkeit auf sich. Ein vorsint­flutlicher Lastwagen hatte dort seine Fracht verloren - riesige Eisklötze, die vielleicht dringend in einer Brauerei erwartet wurden, nun aber ein Verkehrshindernis abgaben und sich dabei langsam verflüssigten. Weil

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sich der Polizist darum kümmerte, die Störung möglichst rasch aus dem Weg schaffen zu lassen, achtete niemand mehr auf Vor­fahrtsregeln. Für eine Weile herrschte auf der Kreuzung das Recht des Rücksichtsloseren.

Es war eine Minute später als verabredet, als ich Peter Smith ent­deckte. Er war größer als die meisten und tatsächlich trug er einen Strohhut. Er kam aus der Harrison Street und fixierte irgendeinen Punkt in der Ferne, vielleicht suchte er ja nach mir. Ich überlegte e­ben, ob ich durch ein Winken auf mich aufmerksam machen sollte o­der ihm besser entgegenging. Auf der Kreuzung war der Verkehr in­zwischen völlig zum Erliegen gekommen. Vermutlich deshalb fiel mir der dunkle Wagen sofort auf, der aus südlicher Richtung in hoher Ge­schwindigkeit die Wells Street entlangfuhr. Gleich würde ihn der Stau auf der Kreuzung zum Bremsen veranlassen, dachte ich noch. Aber da bog der Wagen nach rechts in die Polk Street ein, mit unvermindertem Tempo und kreischenden Reifen. Bei all dem Lärm hörte ich den Schuss kaum, der aus dem Wagen abgefeuert wurde. Dann war die Limousine auch schon verschwunden. Und Peter Smith alias Richard Marwick lag in sich zusammengesackt auf dem Boden.

Er war tot, das Loch in seiner Stirn ließ gar keine andere Möglich­keit zu. Ich hielt mich etwas am Rand der neugierigen Menge, die sich sofort rund um den Toten bildete. Und auch wenn ich mich vor kurzem noch über ihn geärgert hatte, im Moment bedauerte ich, dass er die­ses Ende genommen hatte. Denn was nützte mir nun noch mein Wis­sensvorsprung? Ich betrachtete eine Weile sein seltsam lang gezoge­nes Gesicht, das mich an ein Pferd erinnerte. Hatte er befürchtet, dass so etwas geschehen könne und deshalb nicht gewollt, dass ich ihm sein Geld mitbrachte? Aber wer immer ihn erschossen hatte - um Geld war es dem sichtlich nicht gegangen. Nur darum, ihn aus dem Weg zu räumen. Wem war daran so viel gelegen? Auf den ersten Blick sah es ganz nach einem Drive-by Shooting aus, der gängigen Methode, der sich die Syndikate bedienten. Aber die Syndikate hatten sich die Sache nicht patentieren lassen und inzwischen fanden auch andere Ganoven Gefallen an dieser sportlichen Art, sich unliebsamer Zeitgenossen zu entledigen.

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Der Anblick des toten Mannes konnte mir jedenfalls nichts weiter verraten und als ich die Sirenen eines Polizeiwagens hörte, hielt ich es für angezeigt, mich von diesem Ort zu entfernen.

Im selben Moment tat dies zufälligerweise auch eine Frau, gar nicht weit von mir entfernt. Wäre sie geblieben, sie wäre mir nicht aufgefallen. Nun aber ging sie vor mir die Straße entlang, mit einem Hüftschwung, der nur als gekonnt zu bezeichnen war. »Mistress Mar­wick!«, rief ich ihr nach, obwohl das natürlich angesichts einer Lady nicht unbedingt den Regeln der Höflichkeit entsprach.

Sie tat denn auch erst einmal, als habe sie nichts gehört. Aber sie gab sich auch nicht die Blöße, schneller zu gehen und so holte ich sie rasch ein.

»Oh, was für ein Zufall!«, begrüßte sie mich. Bildete ich mir das ein, oder war ihr Teint blasser als sonst? »Et­

was in der Art habe ich auch gerade gedacht«, erwiderte ich. Dann räusperte ich mich. »Mein Beileid auch.« Ganz spontan entschloss ich mich, sie zu überrumpeln.

Zum ersten Mal, seit ich sie kannte, erlebte ich sie irritiert. »Sie kennen den Mann, nicht wahr?« Ich wurde belohnt. Sich herauszureden hätte auch gar nicht zu ihr

gepasst. »Leider ja«, kam es säuerlich über ihre Lippen. Sie gab sich keine Mühe, die trauernde Witwe zu spielen. Ich fand,

das hatte einen gewissen Stil. Denn immerhin hatte sie vor kurzem schon einen Toten zu betrauern gehabt, diesen Waddington, ihren Liebhaber. Zumindest, wenn Betty Recht hatte. »Das dürfte Ihnen ein paar Formalitäten abnehmen«, fuhr ich fort.

»Wie man's nimmt«, versetzte sie kühl. »Darum kümmern sich schließlich die Anwälte. Und ob die Sache nun einfacher wird... Schwarz steht mir nicht besonders gut.«

»Sie werden ja wohl erben«, ließ ich einen nächsten Versuchsbal­lon steigen.

»Ja, noch mehr Geld.« Sie seufzte wie jemand, der dauernd nur das bekommt, was ihn schon lange nicht mehr interessiert.

»In welcher Branche hat er es eigentlich verdient?«, fragte ich.

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Sie sah mich mit einem mitleidigen Blick an, wie man ihn für einen hat, der an gänzlich unwichtigen Dingen interessiert ist. »Immobilien. Hauptsächlich zumindest. Um ehrlich zu sein, das war mir immer eher egal.« Sie straffte sich und dabei wurde ihre Miene eisig. Der Ton, als sie fortfuhr, passte dazu. So sprach sie bestimmt auch mit ihrem Per­sonal. »Und das Medaillon? Sind Sie in der Sache schon weitergekom­men?«

Sollte ich ihr auf die Nase binden, dass daran auch ihr soeben ver­storbener Noch-Gatte interessiert gewesen war? Nein. Bei dem Ton, den sie da anschlug, hatte sie das nicht verdient. »Leider nein«, be­hauptete ich, wobei das ja wirklich den Tatsachen entsprach.

Dann fiel mir ein, was sich in meinem Safe befand. Genau ge­nommen, gehörte das Geld jetzt ja wohl Cheryl Marwick. Aber so we­nig, wie sie an derlei Banalitäten interessiert war, musste ich das jetzt nicht sofort aufs Tapet bringen.

»Vielleicht hilft das ja Ihren Ermittlungen auf die Sprünge.« Sie holte einen Umschlag aus ihrer Handtasche und drückte ihn mir in die Hand. »Und vielleicht beginnen Sie ja dort, wo es letztes Mal geendet hat. Im Auktionshaus«, schlug sie mir vor. »Es ist inzwischen wieder geöffnet.«

Wenn ich was nicht leiden kann, dann dies: dass jemand glaubt, mir meine Arbeit erklären zu müssen. Nicht mal Cheryls Schönheit konnte das entschuldigen. Mir lag eben eine nicht gerade stubenreine Entgegnung auf den Lippen, als sie mir zuvorkam.

»Sie hören dann von mir.« Ein kurzes Nicken, kein Lächeln, dann stieg sie in einen Wagen, der eben erst am Straßenrand gestoppt hat­te. Es war nicht der, dem ich kürzlich gefolgt war. Und am Steuer saß auch nicht ihr Chauffeur, sondern ein noch ziemlich junger Mann. Er sah fast so gut aus wie dieser Waddington und er war eher noch ein bisschen jünger. Ich sah noch, dass er nur eine Hand aufs Steuer leg­te. Die andere fand ihren Platz auf Cheryls Knie. Dann brauste der Wa­gen davon.

Richtig gut fühlte ich mich nicht, als ich ihm nachstarrte. Ja, es är­gerte mich, wie rasch diese Frau offenbar Ersatz fand für Männer, die ihr auf welche Weise auch immer abhanden kamen. Zu allem Überfluss

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kam mir auch noch Betty in den Sinn und ihre absolut überflüssige Bemerkung von heute Morgen.

Ich riskierte einen Blick in den Umschlag. Sie hatte mein Honorar genauso überhöht berechnet wie beim ersten Mal. Wieder drei Grants. Sollte ich mich also tatsächlich noch einmal drei Tage mit diesem al­bernen Medaillon befassen? Fast schon Mittag, fiel mir auf. Höchste Zeit also, essen zu gehen. Es wäre keine schlechte Idee, das in Henry's Steak Diner zu erledigen. Dort würde ich vermutlich auf Brendon sto­ßen. Und auf andere Gedanken kommen.

Brendon war tatsächlich schon da und er hatte auch schon be­stellt. Als der Kellner mich kommen sah, brachte er aufmerksamerwei­se gleich auch für mich eine Tasse mit. Sie enthielt genau die Sorte Kaffee, die ich im Moment brauchte und die auch prompt für einen Einfall sorgte.

Was, wenn Cheryl etwas mit der Ermordung ihres Mannes zu tun hatte? Es konnte doch schwerlich Zufall sein, dass sie genau in dem Moment zur Stelle gewesen war, als er diese durchschlagende Be­kanntschaft mit einer Kugel machte.

»Du gefällst mir heute gar nicht, Pat!«, drang Brendons Stimme zu mir durch. »Ich könnte wetten, du hast schon wieder nicht zuge­hört.«

»Stimmt«, gab ich zu und gelobte Besserung. Es half ja auch nichts, wenn ich mir jetzt das Essen verdarb. Und

Cheryl würde ich schon früh genug noch auf den Zahn fühlen.

*

Statt Betty fand ich eine Nachricht von ihr im Büro vor. »Quirrer hat angerufen. Er hat Sie an irgendeinem Tatort gesehen. Sie sollten sich melden, sonst tut er es.«

Ich ließ den Wisch sofort im Papierkorb verschwinden. Seit wann war Quirrer jemand, der mir Befehle zu erteilen hatte? Ich legte die Beine auf dem Schreibtisch ab, lockerte den Krawattenknoten und griff zum Telefon. Die Frau bei der Vermittlung bat ich, mir eine Verbindung

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mit Cheryl Marwick zu machen. Was sprach dagegen, dass sie mit ih­rem neuen Liebhaber direkt in die Villa gefahren war?

Ich musste eine Weile warten, bis sich jemand meldete. Natürlich nicht die Dame des Hauses persönlich. »Mistress Marwick ist im Mo­ment nicht zu sprechen.« Die Stimme konnte nur von einer Frau mitt­leren Alters kommen, bestimmt trug sie eine weiße Schürze über dem dunkelblauen Kleid und das bis zum Anschlag zugeknöpft. »Kann ich etwas ausrichten?«

Ich bat um einen Rückruf und betonte noch, dass es sehr wichtig sei. Mit einem Erfolg rechnete ich nicht. Ich überlegte, später zu Che­ryls Villa raus zu fahren und sie wieder einmal zu überrumpeln. Bis dahin wollte ich ein bisschen mehr über Richard Marwick herausfinden. So nahm ich noch einmal die Hilfe der Vermittlung in Anspruch und bat, mir den Anschluss des Immobilienbüros Richard Marwick heraus­zusuchen.

»Da hab ich nur was mit David Marwick«, verkündete sie nach ziemlich langer Zeit.

Ich notierte mir Nummer und Adresse - es war gar nicht weit ent­fernt von dem Ort, an dem Marwicks Stirn durchlöchert worden war. Dann bat ich, mich mit dem Anschluss zu verbinden.

Eine Frau meldete sich, man hörte, dass sie aufgeregt war. »Mis­ter Marwick wollen Sie sprechen?« Ihre Stimme zitterte. »Nein, das geht jetzt wirklich nicht. Wo doch sein Sohn heute Vormittag erst...«

Sie brach ab. Ich wartete noch eine Weile, aber mehr kam nicht. So legte ich auf. Immerhin, ich wusste schon wieder mal ein kleines bisschen mehr. David Marwick war nicht nur Richards Vater, sondern allem Anschein nach auch der Inhaber der Firma. Ob das nach Ri­chards Geschmack gewesen war? Ein Vater, der zugleich Chef war? Das könnte auch heißen, dass Cheryls Erbe kleiner ausfiel, als ich zu­nächst gedacht hatte. Aber konnte ihr dann an seinem vorzeitigen Ab­leben liegen?

Als das Telefon klingelte, fürchtete ich schon, Quirrer wolle mich sprechen. In dem Fall beabsichtigte ich, das Gespräch nicht anzuneh­men. Doch es war zu meiner nicht gelinden Überraschung Cheryl Mar­

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wick, die mich zu sprechen wünschte. Hatte sie ihr Schäferstündchen so rasch hinter sich gebracht?

»Sie haben unser Gespräch vorhin für meinen Geschmack zu ab­rupt beendet«, kam ich ohne weitere Umschweife zur Sache.

»Ach ja? Das tut mir natürlich Leid«, gab sie sich verbindlich. Ich glaubte, das Rascheln von Seide zu hören, wie es entstand, wenn eine Frau die Beine übereinander schlug. »Wir könnten es ja bald einmal fortsetzen.«

»Nicht bald. Heute noch.« Sie seufzte. »Das wird ein bisschen schwierig werden. Ich erwarte

demnächst Besuch von der Polizei. Ein Captain Hollyfield möchte mich unbedingt sprechen. Die haben natürlich auch an mich ein paar Fra­gen. Es muss ja alles seine Ordnung haben.« Ich sah vor mir, wie spöttisch sie bei diesen Worten grinste.

»Wie war es dann heute Abend?«, schlug ich vor. »Die Jungs von der Polizei machen Überstunden nur, wenn es nicht anders geht.«

»Aber ich kann heute unmöglich noch ausgehen«, wandte sie ein. »Wo doch heute erst mein Mann... Sie wissen ja, wie die Leute sind.«

»In dem Fall komme ich eben zu Ihnen«, ließ ich mich nicht ab­wimmeln. »Vielleicht so gegen sechs?«

»Ich weiß ja nicht, was Sie sich davon versprechen. Aber wenn Ih­nen so viel daran liegt... meinetwegen, kommen Sie eben hier vorbei.«

Das war nicht unbedingt eine freundliche Einladung. Aber darauf kam es mir jetzt auch nicht an. Ich musste herausfinden, ob sie etwas mit dem Mord an Richard zu tun hatte. Ob Hollyfield mit demselben Interesse zu ihr kam? Immerhin, er machte sich die Mühe, zu ihr zu fahren. Ob das nur aus Rücksicht auf ihren Namen geschah? So eine Lady bestellte man nicht einfach so auf dem Präsidium ein.

*

Ich trödelte noch ein bisschen herum und schlief auch eine Weile auf der Couch gleich neben der Tür. Das hatte den Vorteil, dass ich schnell genug wach werden würde, falls sich ausnahmsweise jemand zu mir

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verirren sollte. Jedenfalls hatte es schon ein paar Mal auf diese Weise funktioniert.

Aber entweder war mein Schlaf tiefer als sonst um diese Tages­zeit, oder der Typ hatte es darauf angelegt, mich zu überrumpeln. Ich begriff gar nicht, was los war, als er sich über mich beugte und an meiner Schulter zerrte. Anscheinend tat er das schon eine ganze Weile und vielleicht war er ja deswegen so ungehalten.

»Los, jetzt rücken Sie schon endlich raus damit!«, blaffte er mich an.

Ich versetzte mich in die Vertikale und rieb mir die Augen. Der Typ war etwas jünger als ich und er sah zugegebenermaßen auch besser aus. Ausgenommen natürlich des etwas brutalen Zugs in der unteren Hälfte seines Gesichts. Das ließ ihn doch etwas grobschlächtig wirken. »Vielleicht verraten Sie mir, worum es geht.« Ich ging betont langsam zu meinem Schreibtisch. Dort in der Schublade befand sich mein 38er Smith & Wesson und irgendwie hatte ich das Gefühl, es sei nicht schlecht, in die Nähe der Waffe zu kommen. Dabei entzündete ich mir eine Zigarette, um endgültig wach zu werden.

»Stellen Sie sich nicht blöder, als Sie sind«, herrschte der Typ mich an. »Peter Smith hat mich beauftragt, die Sache hier abzuholen.«

Wieso sprach er von einer Sache? In meinem Safe lag ein Um­schlag mit ziemlich viel Geld darin. Das als Sache zu bezeichnen war unnötig vage. Der Typ bluffte also. Und außerdem gab es Peter Smith nicht mehr. Zumindest keinen, der zugleich Richard Marwick hieß. »Wann hat er das denn getan?« Ich stellte mich gelassener, als ich war und grinste sogar. »Als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, hatte er ein großes Loch in der Stirn. Und konnte garantiert keine Aufträge mehr erteilen.«

Ich hatte mich inzwischen gesetzt und war dabei, die Schublade zu öffnen. Doch anscheinend ahnte der Typ, was ich beabsichtigte. Mit einem Satz war er bei mir und bohrte mir etwas in die Rippen, was sich verdammt nach dem Lauf eines Revolvers anfühlte. Jetzt hieß es Nerven bewahren. »Soll ich es Ihnen nun geben oder nicht?«, fragte ich und wies auf die Schublade.

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Anscheinend überzeugte ihn meine gespielte Ruhe, oder er war einfach noch nervöser als ich. Jedenfalls spürte ich, wie der Druck ge­gen meine Rippen schwächer wurde. Als ich den rechten Arm hob, konnte er glauben, ich wollte nun doch die Schublade öffnen.

»Dann machen Sie, aber dalli!«, forderte er mich auf. Das tat ich auch, bloß anders, als von ihm erwartet. Anstatt bei

der Schublade landete meine Hand und zwar in der Form einer Faust, auf seinem Unterkiefer. Etwas krachte und ich sprang auf und legte mit der Linken gleich noch mal nach. Diesmal hatte ich es auf den Stahl abgesehen und zum Glück ging alles so schnell, dass ihm keine Zeit zu wirklicher Gegenwehr blieb. Der Revolver fiel ihm aus der Hand, genau zwischen meine Beine und dass mich dann seine Faust traf, an der Schläfe, war wohl nur seinen ganz gut entwickelten Refle­xen zuzuschreiben. Dann war er dumm genug, sich nach seiner Waffe zu bücken. Ich verhinderte es, indem ich mein Knie hob, ziemlich schwungvoll. An seiner empfindlichsten Stelle getroffen, jaulte er auf wie ein Kojote. Gleich darauf beförderte ich die Waffe mit einem genau dosierten Tritt so unter den Schreibtisch, dass er nicht an sie heran­kam. Während ich dann mit meiner Linken dafür sorgte, dass er gegen die Tür krachte, hatte ich Zeit genug, um endlich die Schublade zu öffnen. »Und jetzt raus hier!« Ich spannte schon mal den Hahn und vielleicht überzeugte ihn das leise Klicken mehr als alles andere.

Erstaunlich schnell kam er auf die Beine, rückwärts trat er durch die Tür und zog sie sogar zu. Ich wartete noch einen Moment unver­wandt, den Revolver noch immer auf die Tür gerichtet. Doch er kam nicht zurück.

Im Spiegel sah ich mir an, was er mit meiner Schläfe gemacht hatte. Mit Eiswürfeln hätte ich vielleicht verhindern können, dass eine Beule daraus wurde. Aber Eiswürfel hatte ich nicht. Die Welt würde mich also für einige Zeit mit einem kleinen Auswuchs an der Stirn hin­nehmen müssen. Aber wer sah schon immer vorteilhaft aus?

Ich angelte nach der Waffe unter meinem Schreibtisch und sagte mir, es sei am besten, sie vorläufig im Safe unterzubringen. Bevor ich ihn öffnete, schloss ich vorsichtshalber doch die Tür ab. Und dann, als ich den Umschlag wieder vor mir sah, überlegte ich, ob ich ihn Cheryl

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Marwick mitbringen sollte. Eigentlich war nach dem Ableben ihres Gat­ten sie ja die rechtmäßige Besitzerin.

Aber dann entschloss ich mich doch dagegen. Ich war nun mal nicht gern unterwegs mit so viel Kohle. Außerdem hatte Cheryl Mar­wick im Moment bestimmt andere Sorgen. Das Geld konnte sie sich ja irgendwann selber hier abholen.

Ich schloss den Safe also wieder und auch meinen Revolver legte ich an seinen Platz zurück. Denn auch damit war ich nicht gern unter­wegs. Und beim Treffen mit einer frischgebackenen Witwe würde er bestimmt nicht von irgendwelchem Nutzen sein.

*

An dem Polizeiwagen vor der Villa auf der North-Side lehnte Quirrer. Vermutlich hatte Hollyfield angeordnet, dass er hier warten sollte und darüber ärgerte er sich so, dass er das jetzt an mir auslassen wollte.

»Na endlich!«, knurrte er mich an. »Das hat aber gedauert. Sie können von Glück reden, dass Sie mich hier noch antreffen.«

Erst begriff ich gar nicht, was er meinte und als es mir aufging, musste ich lachen. »Sorry, aber Ihretwegen bin ich nicht hier.«

»Ich hab aber Ihrer Sekretärin gesagt...« »Seit wann geben Sie ihr Anweisungen?«, fiel ich ihm ins Wort

und überließ ihn dann wieder sich selbst. Ich konnte mir vorstellen, wie wenig es ihm gefiel, dass mir gleich darauf das Tor geöffnet wurde und er wieder mal draußen bleiben musste.

Etwa auf halbem Weg zum Haus kam mir Quirrers Chef entgegen. Hollyfield wirkte etwas abwesend. Erst im letzten Moment erkannte er mich und blieb stehen. »Die arme Frau«, murmelte er.

Hatte Cheryl ihm etwa die trauernde Witwe vorgespielt? »Es ist nun schon das zweite Mal, dass sie ihren Mann verliert.«

Hollyfield seufzte. Anscheinend hatte er seinen melancholischen Tag. »Manche Menschen scheinen das Unglück regelrecht anzuziehen.« Jetzt stutzte er. »Was wollen Sie eigentlich hier?« Sein eben noch so trauriger Dackelblick wurde gereizt.

»Nicht, was Sie denken«, versetzte ich grinsend.

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Dann ging ich weiter. Schließlich war ich nicht einmal Hollyfield zu einer Auskunft verpflichtet.

»Quirrer hat behauptet, Sie wären am Tatort gewesen«, rief er mir nach.

»So, hat er das?«, rief ich zurück und hielt es nicht für nötig, mich dabei umzudrehen. »Vielleicht schicken Sie ihn ja bald mal zum Au­genarzt.«

Inzwischen hatte ich die Eingangstür erreicht. Eine ältliche Frau, weiße Schürze überm dunkelblauen Kleid und bis oben zugeknöpft, er­wartete mich dort bereits. Sie war deutlich entgegenkommender als am Telefon. »Ich nehme an, Sie sind Mister Connor? Mistress Marwick erwartet Sie bereits.«

Die holzgetäfelte Eingangshalle war so düster, dass ich kaum et­was erkannte. Ich hatte den Eindruck, eine Gruft zu betreten. Umso überraschender war das Zimmer im ersten Stock, zu dem die Hausan­gestellte mich führte. Es lag nach Osten, aus den bis zum spiegelblan­ken Fußboden reichenden Fenstern sah man auf den Michigan-See. Auch um diese Abendstunde war es in dem Raum noch hell und er war so spärlich wie geschmackvoll möbliert.

Cheryl Marwick entdeckte ich erst, als ich mich von dem grandio­sen Ausblick losriss. Sie saß an einem zierlichen Schreibtisch rechts von mir. Im Raum hing eine Wolke, in der sich ihr Parfüm mit dem Rauch ihrer Zigarette mischte. Sie trug zwar nicht Schwarz, aber ein dunkelgraues Kostüm, dazu eine weiße Bluse, was ihr ein etwas stren­ges Aussehen gab.

»Nehmen Sie doch Platz«, forderte sie mich auf. »Mit dem Captain hat es länger gedauert, als ich erwartete. Kann ich Ihnen etwas an­bieten?« Sie wies auf ein Sideboard, auf dem sich eine beachtliche An­zahl von Flaschen befand. »Whiskey, nehme ich an?«

Natürlich lehnte ich das Angebot nicht ab. Zumal da gleich mehre­re Flaschen ziemlich exklusiver Marken standen.

»Bedienen Sie sich einfach«, schlug sie mir vor. »Ich nehme der Einfachheit halber dasselbe wie Sie.« Es fiel mir schwer, eine Entschei­dung zu treffen, endlich griff ich nach der Flasche mit Maker's Mark und füllte zwei Gläser.

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»Was ist denn mit Ihrer Stirn passiert?«, fragte sie, als ich mich setzte.

Nun, da sie es ansprach, spürte ich ein leises Tuckern. Aber der Schmerz hielt sich in Grenzen. »Nicht der Rede wert«, erwiderte ich und griff nach einer Zigarette.

Sie folgte meinem Beispiel, ein goldenes Etui lag vor ihr auf dem Tisch. Dann ließ sie sich von mir Feuer geben und lehnte sich zurück. »Gibt es doch was Neues zu dem Medaillon?« Sie stieß den Rauch durch die Nase aus.

»Nein, bislang noch nicht«, erwiderte ich. »Mir ist da so ein Ge­danke gekommen. Ich meine, dass Sie rein zufällig zugegen waren, als dieses Auto so schnell an Ihrem Mann vorbeigefahren ist...«

Sie stieß ein kehliges Lachen aus. »Captain Hollyfield ist da weni­ger direkt vorgegangen. Aber bitte schön.« Sie griff nach einer Leder­mappe und entnahm ihr ein Dokument. »Nur, falls Sie es auch für möglich halten, dass ich die Scheidung nicht erwarten konnte.«

Was sie mir zu lesen gab, war ein Ehevertrag. Mit einem perfekt manikürten Fingernagel wies sie auf eine bestimmte Stelle. Dort war zu lesen, welche Summe ihr im Fall einer Scheidung zustünde. Sie war so hoch, dass mir schwindlig wurde.

»Aber eben nur im Fall einer Scheidung«, sagte sie leise. »Richard konnte nur über einen Bruchteil dieser Summe verfügen. Sein Vater hielt die Zügel immer eher knapp. Und er kannte seinen Sohn.« Dies­mal war ihr Lächeln verächtlich. »David hoffte, ihn mit dieser Klausel von gewissen Dingen abhalten zu können. Mich mag David nämlich sehr und er ist ein konservativer Mann, dem an geordneten Verhältnis­sen liegt. Aber wenn ein Mann seine Hormone so wenig zu steuern vermag, wie dies Richard gegeben war... Nun ja, vielleicht ist das bei allen Männern so.«

Sie sah mich direkt an und ich ging davon aus, dass das eben kein Kompliment für mich und meinesgleichen gewesen war.

»Richard hat mich fast von Anfang an betrogen«, fuhr sie fort. Es klang so, als würde sie mir davon erzählen, dass er immer zwei Löffel Zucker zu seinem Kaffee nahm. »Wirklich überraschend kam das gar

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nicht für mich. Bei meinem ersten Mann habe ich das ja auch schon erlebt.«

Für einen Moment trat Schweigen ein, wir befassten uns beide mit dem Inhalt unserer Gläser. Das Zeug schmeckte wirklich verdammt gut. Dann kam mir ein Gedanke, der angesichts dieser beherrschten Frau leicht absurd wirkte. Aber wer konnte schon wissen, was hinter ihrer selbstbewussten Maske brodelte? Vielleicht ging es hier ja gar nicht um Geld, genau wie sie bereits angedeutet hatte. »Es soll ja tat­sächlich auch schon Morde aus Leidenschaft gegeben haben«, be­merkte ich leichthin und studierte dabei wieder einmal, wie der Bern­stein in ihren Augen an den Rändern dunkel zerfloss.

Sie begann zu lachen. »Ich nehme es als Kompliment, dass Sie mir so etwas zutrauen. Liebe... Ja, das wäre zur Abwechslung mal et­was anderes. Aber wer wäre solch ein Gefühl wert?«

Ich spürte zum ersten Mal eine leise Verbitterung an ihr. Aber war da nicht jener junge Mann im Auto gewesen?

»Liebhaber halte ich mir schon seit längerer Zeit«, sprach sie wei­ter, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Aber von Gefühlen halte ich bei solchen Affären nichts. Das macht alles nur unnötig kompliziert. Meinen Sie nicht auch?«

Ich kam nicht an sie heran und das begann mich jetzt zu ärgern. »Schenken Sie uns noch einmal nach?« Sie hielt mir ihr leeres

Glas entgegen. »Den Captain jedenfalls hat dieser Vertrag hier von meiner Unschuld überzeugt. Sie sollten seinem Beispiel folgen. Richard und ich hatten uns längst arrangiert.«

»Und wieso dann die Scheidung?« Ich stand auf, um die Gläser zu füllen.

»Das war Richards Idee.« Sie grinste abschätzig. »Obwohl ihn das so teuer zu stehen kommen würde?«, fragte ich

ungläubig. »Nun ja, ihm ist der letzte Funken Verstand eben auch noch in die

Hose gerutscht.« Es war seltsam, sie so sprechen zu hören. »Vielleicht ja aus dem Grund, den Sie Leidenschaft nennen würden. Sein Vater war entsetzt, aber das interessierte ihn auch nicht. Offenbar hat ihm da irgend so eine kleine Maus komplett den Kopf verdreht. Sein Ge­

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schmack ist etwas ordinär, wenn es um Frauen geht. Wenn Sie verste­hen, was ich meine.« Sie hob ihr Glas und prostete mir zu.

Auch ich nahm einen Schluck. Dann hielt ich es doch für ange­bracht, auf das Medaillon zu sprechen zu kommen. »Wieso ist er daran interessiert gewesen? Und zwar noch, bevor Sie zu mir gekommen sind?«

»Richard?« War sie wirklich so überrascht oder tat sie nur so? Ich konnte sie nicht richtig einschätzen. »Richard wollte das Medaillon?«

Ich hielt es nicht für nötig, ihr Einzelheiten anzuvertrauen, son­dern nickte nur.

Sie schaute an mir vorbei aus dem Fenster. Eine Furche erschien plötzlich auf ihrer sonst völlig glatten Stirn. »Das sieht ihm ähnlich«, hörte ich sie murmeln. »Und alles nur, um mir eins auszuwischen.« Sie verstummte, strich sich mit der Hand über die Stirn, um sich dann wie­der mit einem sehr gefassten Ausdruck mir zuzuwenden. »Er hatte was dagegen, dass ich schon mal verheiratet war. Als mir das Medail­lon gestohlen wurde und ich immer wieder davon sprach, hat ihn das fuchsteufelswild gemacht.«

»Er wusste von Ihren Liebhabern und war eifersüchtig auf Ihren ersten Mann?«, fragte ich ungläubig.

»Tja, genauso dumm ist er leider gewesen«, versetzte sie. »Er konnte zwar nichts mit mir anfangen. Aber es war ihm wichtig, sozu­sagen der Erstbesitzer zu sein.« Sie legte eine kurze Pause ein. »Von meiner ersten Ehe hab ich ihm erst direkt vor dem Standesamt erzählt. Er hatte davor einfach nie danach gefragt. Und bevor er es von Frem­den erfahren würde, dachte ich...« Sie verstummte.

Wieder tranken wir schweigend. »Was ist eigentlich aus Ihrem ersten Mann geworden?«, fragte ich dann.

Sie seufzte. »Das weiß kein Mensch. Nicht mal die Polizei in New York. Dort lebte ich mit ihm. Bis er eines Tages verschwand, spurlos. So etwas kommt tatsächlich vor.« Sie lachte wieder, auf diese etwas verbitterte Weise. Dann setzte sie ihr Glas klirrend auf dem Tisch ab. »Und nun müssen Sie mich entschuldigen. Mein Schwiegervater erwar­tet mich. Wir müssen doch über die Beerdigung reden.«

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Anscheinend gab es an ihrem Schreibtisch irgendwo eine Klingel. Jedenfalls erschien gleich darauf die Hausangestellte, die mich hierher geführt hatte. Und die brachte mich jetzt auch wieder zur Tür. Von der Tür aus erhaschte ich noch einen Blick auf den Michigan-See. Die un­tergehende Sonne färbte ihn bernsteinfarben.

*

Betty war ausnahmsweise schon da, als ich am nächsten Morgen ins Büro kam. Ungewohnt starr saß sie an ihrem Platz und starrte Löcher in die Luft. Es dauerte eine Weile, bis sie mich wahrnahm, dann stieß sie einen spitzen Schrei aus und sprang auf. »Chef!«

Ich winkte ab. Ein bisschen Mitgefühl dann und wann fand ich zwar durchaus am Platz. Aber die kleine Beule an meiner Stirn, die inzwischen in diversen Blau- und Grüntönen schimmerte, war so viel Aufregung nun wirklich nicht wert. »Wie war es mit Kaffee?«, fragte ich laut und in meinem Kopf kreiste unhörbar für Betty noch immer die Frage, wer Cheryl Marwick eigentlich war. Irgendwie schienen die Männer in ihrem Umkreis Pech zu haben und keine Aussichten auf ein langes Leben.

Betty schien meine Frage nicht gehört zu haben und ihre Aufre­gung bezog sich auch nicht auf die Beule an meiner Stirn, wie sie mir gleich darauf klarmachte. »Ich hab es nur aufgemacht, weil Eileen mich jetzt - schon zweimal versetzt hat«, stieß sie hervor.

Jetzt erst bemerkte ich den kleinen rosaroten Karton auf ihrem Schreibtisch. Richtig, sie hatte mich da ja neulich um eine Gefälligkeit gebeten. »Und was ist damit?«, fragte ich gleichgültig.

»Machen Sie doch mal auf«, schlug sie mir vor. »Ich denke, das haben Sie schon gemacht!« Allmählich ging mir

ihr Getue auf die Nerven. Und ihr vermutlich mein Desinteresse. Jedenfalls öffnete sie den

Karton nun doch selbst und präsentierte mir - das Medaillon. Ich war auch verblüfft und zwar so sehr, dass ich lachen musste.

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Aber Betty schüttelte den Kopf. »Nein, Chef, Sie übersehen da was. Ich glaub, es ist doch nicht bloß verbeultes Blech. Man kann das Ding nämlich aufmachen.«

Sie wies mich auf eine schmale Linie hin, die rund um das Medail­lon verlief und die ich garantiert nur für eine Verzierung gehalten hät­te.

»Ich hab es auch schon probiert«, fuhr Betty fort. »Zuerst mit meiner Nagelfeile. Und dann damit.« Sie zeigte mir den abgebroche­nen Nagel ihres Zeigefingers. Wie ich sie kannte, musste das für sie einer Katastrophe gleichkommen. »Aber der Mechanismus funktioniert nicht mehr. Total verbogen. Aber hören Sie!« Sie wackelte mit dem Ding vor meinem linken Ohr herum. »Da ist eindeutig was drin!«

Gelegentlich war Betty eben doch eine ganz brauchbare Mitarbei­terin. Auch ich hörte es klappern. »Nun erzählen Sie mir doch mal ein bisschen was über Ihre Bekannte«, bat ich sie und bot ihr eine von meinen Luckys an.

Aber sie lehnte ab und griff nach einer von ihren Pall Malls. Feuer ließ sie sich aber von mir geben. »Mit der bin ich nicht mehr bekannt«, schnaubte sie. »Wie gesagt, sie hat mich mehrmals versetzt. Eileen Gorman. 'ne Zeit lang war sie bei den Marwicks Gesellschaftsdame oder so was.«

»Und wurde so schlecht bezahlt, dass sie das wertlose Ding da ge­klaut hat?«, hakte ich zweifelnd nach.

Betty grinste. »Nein, wo denken Sie hin. Eileen kennt sich aus mit Schmuck. Wenn, dann hätte sie garantiert was anderes mitgehen las­sen.«

»Wie ist sie dann an das Medaillon gekommen?« Bettys Grinsen wurde noch etwas breiter. »Ihr Bekannter hat es

ihr anvertraut. Nur für kurze Zeit, hat er zu ihr gesagt. Ehrlich gesagt, zwischen den beiden läuft es nicht besonders gut.«

»Und was ist das für ein Bekannter?« Betty stellte mich mit ihrer Weitschweifigkeit mal wieder auf eine harte Geduldsprobe.

»Den hat sie gewissermaßen wirklich mitgehen lassen.« Sie ki­cherte. »Gordon heißt der. Wenn ich mich richtig erinnere, Brady mit

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Nachnamen. Und er hat wohl auch Eileens Chefin gefallen. Schon be­vor Eileen ihn bezirzt hat.«

»Dann hat er also das Ding an sich gebracht?« »Die Vermutung liegt jedenfalls ziemlich nahe, finden Sie nicht

auch?« Betty vergriff sich mal wieder im Ton, aber im Moment war das

zweitrangig. Es gab ziemlich vieles, was mein Gehirn so ganz auf die Schnelle verarbeiten musste. Ich trat ans Fenster. Unten auf der Stra­ße versuchte ein Halbwüchsiger, Interesse für irgendeine Zeitung zu erregen, indem er unablässig deren Schlagzeile in den Vormittag hin­ausposaunte. Ich verstand trotzdem nicht, welcher Skandal ihm zu ein paar Cent verhelfen sollte.

»Ich finde, Sie könnten sich bei mir bedanken«, beschwerte sich Betty und begann endlich, Kaffee zu machen.

Nur dass ich daran nun doch nicht mehr interessiert war. Eigent­lich hatte ich meinen Auftrag nun ja erfüllt. Das Medaillon war wieder da. Ich könnte Cheryl Marwick anrufen, sie würde kommen und den Umschlag im Safe könnte ich ihr auch gleich aushändigen.

Was mich an dieser Variante nicht überzeugte, war das Gefühl, dass Richard Marwick womöglich wegen dieses Medaillons gestorben war. Und als Peter Smith war er mein Klient gewesen. War ich da in gewisser Weise nicht immer noch auch ihm verpflichtet? Außerdem war meine Neugier geweckt und wieder mal beschlich mich das Ge­fühl, hereingelegt worden zu sein. Beide Marwicks waren schließlich nicht offen zu mir gewesen. Denn was enthielt das Medaillon? Ich fand, ich hatte einen Anspruch darauf, das zu erfahren. Bestimmt galt diesem Inhalt auch Cheryl Marwicks Interesse. Ich musste mir also nichts dabei denken, wenn die Hülle aus wertlosem Silber und ein bisschen Gold zerstört würde. Für einen Juwelier war es garantiert kein Problem, das Ding zu öffnen.

»Kaffee, Chef«, machte Betty mich aufmerksam. »Und wollen Sie nicht endlich Ihren Hut ablegen?«

»Nein, ich geh nämlich schon wieder.« Nach kurzem Zögern schob ich eine Ergänzung nach, die mir Betty ausnahmsweise doch verdient zu haben schien. »Zu einem Juwelier.«

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Sie nickte zustimmend. »Genau das hab ich Ihnen auch vorschla­gen wollen. Und ich kenne da auch einen, der...« Sie ging wohl davon aus, mich zu begleiten.

»Ich kenne auch einen«, fiel ich ihr ins Wort. »Und Sie halten hier die Stellung, ja? In einem ordentlichen Büro sollte doch wenigstens die Sekretärin anzutreffen sein.«

Bestimmt verfluchte sie mich wieder einmal, als ich gleich darauf ging.

*

Juweliere gab es natürlich auch in der Loop, ganz in der Nähe meines Büros. Das waren Läden, die wahren Schmuckkästchen glichen, blitz­blank polierte Scheiben, goldene Türknäufe, drinnen Teppiche, in de­nen man bis zum Knöchel versank. Entsprechend betucht war die Kundschaft dieser Geschäfte. Mit einem Medaillon, wie es sich in mei­ner Jacketttasche befand, hätte ich mich dort auf jeden Fall lächerlich gemacht. Oder sogar verdächtig.

Deshalb fuhr ich auf die South-Side. Dort waren Juweliere häufig gleichzeitig Pfandleiher und mitunter bestimmt auch Hehler. Also keine Leute, die viele Fragen stellten und genau so einen brauchte ich jetzt.

Ich fuhr die Monroe Street entlang, bis ich die Mall Street erreich­te, bog dann rechts ab und fuhr immer geradeaus. Nachdem ich die China Town hinter mir hatte, war es nicht mehr weit bis zur West Per­shing Street. Dort hielt ich mich wieder rechts. Jede Menge Querstra­ßen gingen hier ab und in einer davon hoffte ich fündig zu werden.

In der South Emerald Avenue stach mir denn auch ein Geschäft in die Augen, das mir passend erschien. Die Schaufensterscheibe nahezu blind, das Firmenschild kaum noch zu entziffern. Ich parkte direkt da­vor. Und als ich die Tür öffnete, schlug mir ein dumpfer Geruch ent­gegen.

Ein kleines Männchen undefinierbaren Alters saß so reglos hinter dem Verkaufstisch, dass ich ihn erst auf den zweiten Blick bemerkte. Entweder schlief er mit offenen Augen, oder er vollzog da irgendeine

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spiritistische Übung. Aber da sonst niemand erschien, sprach ich ihn endlich doch an. »Ich hab da ein Problem, Mister.«

»Bitte schön.« Er artikulierte ziemlich undeutlich und ich wunderte mich, wie eine so tiefe Stimme aus einem so winzigen verschrumpel­ten Körper kommen konnte.

Ich setzte mich auf den Stuhl auf der mir zugewandten Seite des Verkaufstischs und präsentierte ihm auch gleich das Medaillon. Ich wollte nicht dazu beitragen, die Luft hier drin noch mehr zu verbrau­chen und deshalb möglichst schnell wieder raus.

»Ist nicht viel wert«, nuschelte er. »Dafür kann ich Ihnen höchs­tens...«

»Ich will es nicht verkaufen«, korrigierte ich seinen Irrtum. »Man kann es öffnen. Beziehungsweise jetzt nicht mehr, weil es so verbeult ist. Sie haben doch bestimmt das entsprechende Werkzeug dafür.«

Das Hutzelmännchen nahm das Medaillon in die Hand und be­trachtete es prüfend. »Danach werden Sie es aber nicht mehr schlie­ßen können«, teilte er mir mit. »Eine Reparatur lohnt sich nicht.«

»Es genügt auch völlig, wenn Sie es öffnen«, versicherte ich ihm. Alles, was er dazu brauchte, lag bereits auf dem Tisch. Werkzeug,

das so winzig war, dass es gut zu ihm passte. »Na, das werden wir gleich haben.«

Er setzte eine Art Miniaturfeile an und versuchte, den kaum wahr­nehmbaren Spalt aufzuhebeln. Doch es gelang ihm nicht. Er versuchte sein Glück noch mit einigen anderen Werkzeugen, endlich schüttelte er den Kopf und stand auf. Er betrat einen angrenzenden Raum. Was er dort tat, konnte ich nicht sehen. Aber ich hörte etwas wie einen Ham­merschlag.

Gleich darauf kam er wieder, ziemlich aufgeregt. »Es ist wirklich nicht schlimm, wenn es kaputt gegangen ist«,

glaubte ich ihn beruhigen zu müssen. »Das sehe ich auch so.« Sein Atem ging stoßweise. In der einen

Hand hielt er die zwei Teile, in die er das Medaillon versetzt hatte, in seiner anderen Hand erkannte ich zuerst einen kleinen Schlüssel.

Aber nicht er war der Grund dafür, dass er so außer sich war. Er setzte sich und klemmte sich eine Lupe vors Auge. »Für Diamanten

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hab ich einen Blick. Aber so was habe ich lange nicht zu sehen ge­kriegt! Zum Teufel aber auch, was für ein Schliff!« Es waren drei gar nicht sonderlich große Steine, die ihn derart in Ekstase versetzten. Mir wurde prompt etwas mulmig zumute. War er hier wirklich allein? Oder würde aus einem der hinteren Räume plötzlich ein Riese auftauchen und mich daran hindern, diese Steinchen und alles andere wieder an mich zu nehmen?

»Unglaublich, diese Qualität«, nuschelte er. »Wie kommen Sie an so was? Also, wenn Sie dafür einen Käufer suchen, da könnte ich...«

»Familienbesitz«, unterbrach ich ihn. »Das wird nicht verkauft. Kann ich die Dinger nun haben?«

Es gefiel ihm wohl nicht, wie abschätzig ich von den Diamanten sprach. Er sah mich jedenfalls richtig böse an. Dann aber händigte er mir doch alles aus.

Ich hatte mir überlegt, dass sein Hammerschlag mit fünf Dollars wohl mehr als ausreichend bezahlt sein müsste. Er aber wehrte fast erschrocken ab. »Dass ich so was überhaupt noch mal sehen durfte!«

Ich legte das Geld trotzdem auf den Tisch, ich wollte ihm einfach nichts schuldig sein. Dann ging ich und erst, als ich wieder in meinem Plymouth saß, riskierte ich selbst einen Blick. Ja, natürlich auch auf die Steine. Aber viel mehr interessierte mich der kleine Schlüssel. Wo be­fand sich das Schloss, in das er passte? In einem Safe, so vermutete ich. Doch wo befand sich dieser? In einer Bank? Oder in einer Privat­wohnung?

Nachdenklich starrte ich auf die Straße. Dabei fielen mir einige Ty­pen auf, die ganz in der Nähe herumlungerten und die sich aus ir­gendeinem Grund für mich interessierten. Besser also, ich fuhr los. Nein, nicht auf direktem Weg ins Büro. Erst einmal brauchte ich jetzt einen Schluck. Das Medaillon hatte sein Geheimnis zwar preisgegeben. Aber für mich waren damit im Moment noch mehr Fragen verbunden als zuvor. Bei Dunky würde ich bekommen, was mir vielleicht zu einem Geistesblitz verhalf.

Er wunderte sich nicht, mich schon so früh am Tag zu sehen. »Das Übliche?«

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Ich nickte. Dann fiel mir noch etwas ein. Der Geistesblitz hatte mich schon erreicht. »Hast du zufällig eine Lupe?«

Er sah mich an, als hätte ich ihn um etwas Unanständiges gebe­ten. Oder nicht mehr alle Tassen an dem Ort, an den sie gehörten. »Damit kann ich nicht dienen.«

Aber immerhin mit einem gut gefüllten Glas. Ich leerte es schnel­ler, als ich ursprünglich vorgehabt hatte.

»So viel zu tun?«, wunderte sich Dunky, als ich schon nach dem ersten Glas bezahlte.

»Tja, manchmal kommt eben alles auf einmal, du kennst das ja si­cher auch«, verabschiedete ich mich.

Auf dem Weg zum Büro stoppte ich bei einem Optiker, um eine Lupe zu kaufen. Denn meine Fingerkuppe hatte auf dem kleinen Schlüssel etwas erfühlt, dass ich mit bloßem Auge nicht zu erkennen vermochte. Gut möglich, dass es nur ein Kratzer war. Aber vielleicht ja auch etwas, das mir zu einer ersten Antwort verhalf.

Betty setzte ihre Nagelfeile jetzt wieder für ihren ursprünglichen Zweck ein und bearbeitete verbissen ihren abgebrochen Nagel. Sie hielt es nicht für nötig, damit aufzuhören, als ich das Büro betrat. Als ich die zwei Hälften des Medaillons mit leisem Klirren auf meinem Schreibtisch landen ließ, sah sie immerhin flüchtig auf.

»Ob das Mistress Marwick gefallen wird? Es gibt eben solche und solche Juweliere.«

Als ich dann die Lupe auspackte, wurde sie natürlich neugierig. »Jetzt sagen Sie schon, was drin war! Ohne mich hätten Sie...«

»Das hier zum Beispiel.« Ich legte den Schlüssel auf ein Blatt Pa­pier und war sehr gespannt, ob die Lupe ihren nicht unerheblichen Preis wert war.

»Ein Schlüssel für einen Safe«, erkannte Betty auf Anhieb. Ich wusste gleich darauf noch etwas mehr als sie. Denn die Lupe

zeigte mir deutlich mehr als einen Kratzer. Es war das Zeichen der Fore-man-State National Bank.

»Mehr war nicht drin?«, fragte Betty enttäuscht. Ich hielt es für besser, ihr nichts von den Steinen zu sagen, hatte

ich doch schon gelegentlich mitgekriegt, wie irrational Frauen bei so

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einem Anblick reagieren können. »Ich finde, das ist doch schon was. Wenn Sie mir jetzt vielleicht noch sagen, wo ich Eileen Gorman spre­chen kann?«

»Ob die mit Ihnen redet, weiß ich nicht«, versetzte Betty schnip­pisch. »Sie arbeitet jedenfalls seit kurzem bei einer Versicherung. Als Vorzimmerdame oder so.«

*

Grüße hatte Betty mir nicht aufgegeben, aber mir doch die Adresse genannt. Es war keine besonders große Versicherung, das Gebäude befand sich gar nicht weit vom Büro entfernt, Ecke Milwaukee Ave­nue/Carpenter Street. In dem Haus waren jede Menge Büros unterge­bracht, zwei auf jeder Etage. Ein verdächtig ratternder Fahrstuhl brachte mich in den fünften Stock. Ich drückte auf den Klingelknopf unter dem Schild mit dem Namen Winston & Lewis. Dann erst sah ich, dass die Tür angelehnt war.

Ich öffnete sie und stand wohl bereits im Vorzimmer. Jedenfalls gab es ein paar Meter entfernt einen Schreibtisch und dort saß eine Frau, wie Betty sie mir beschrieben hatte. Kupferrotes Haar, herz­förmige Lippen, etwas überdimensionierte und übertrieben blaue Kin­deraugen. Insgesamt erschien sie mir ein kleines bisschen ordinär und ich musste daran denken, was Cheryl Marwick mir über den Frauenge­schmack ihres zweiten Ehemanns berichtet hatte. Ob er Eileen als Ge­sellschaftsdame eingestellt hatte?

»Sie wünschen?« Ihre hohe Stimme imitierte das Glöckchen, das man neugeborenen Lämmern um den Hals bindet. Dabei warf sie ei­nen ganz offen taxierenden Blick auf mich. Ging es ihr darum, welche Versicherung man mir andrehen könnte, oder verfolgte sie eher per­sönliche Interessen?

Ich beschloss, sie ein bisschen verlegen zu machen. »Sie. Eileen Gorman, nehme ich an?«

Sie wurde prompt rot und strich sich die figurnah gearbeitete Kos­tümjacke glatt. »Wie soll ich das verstehen?«

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»Oh, es ist ziemlich einfach.« Ich zog mir einen der Stühle heran, die an der Wand standen. »Es geht um das Medaillon. Genauer gesagt darum, wie Sie daran gekommen sind. Und wieso Sie es bei Betty Meyer sicherer glaubten als bei sich.«

»Oh, ja, Betty«, stammelte sie. »Die ist bestimmt sauer auf mich. Aber welches Medaillon? Sind Sie Bettys Chef? Der Detektiv?«

Betty hatte anscheinend mal wieder angegeben mit mir. Mein Be­ruf schien Eileens Interesse an mir zu steigern. »Ich meine das rosaro­te Päckchen«, half ich ein bisschen nach.

»Da ist ein Medaillon drin?« Sie wirkte enttäuscht. »Was soll denn daran so wichtig sein? Aber dass Sie wirklich Detektiv sind - eigentlich sehen Sie gar nicht so aus.«

Ich fragte nicht nach, wie ich ihrer Ansicht nach aussehen musste. »Wieso haben Sie es Betty gegeben?«, beharrte ich.

»Weil sie bei Ihnen arbeitet, ganz einfach. Gordon hat deswegen so ein Theater gemacht. Dass unsere Zukunft davon abhinge und so. Und im Moment teilt er sich doch seine Wohnung mit einem Bekann­ten. Aber ich ja auch! Also, mit einer Frau natürlich, nicht, was Sie jetzt denken... Er sagte, niemand würde drauf kommen, dass ich das Päckchen habe. Aber ich hab mir dann gesagt, sicher ist sicher. Und wo Sie doch Detektiv sind... Aber sagen Sie Gordon bitte nichts davon, ja?«

Beim letzten Satz hatte sie ihr Glöckchen zu einem Flüstern herab­gesenkt. Ich musste also annehmen, dass der Mann, der jetzt über einen Flur herankam, ebenjener Gordon war. Ich neigte dazu, Eileen kein Wort zu glauben. Denn schließlich hatte sie bei den Marwicks ge­arbeitet, nicht dieser Gordon. Und ihr betont naives Gehabe war be­stimmt nur Show.

Oder doch nicht? Mein Beruf bringt es mit sich, dass ich ein ziem­lich gutes Gedächtnis für Menschen habe. Selbst dann, wenn ich je­manden nur flüchtig gesehen hatte, vergaß ich das nie. Wobei ich die Umstände, unter denen das geschehen war, nicht immer genauso schnell parat hatte. Aber bekannt kam mir dieser Gordon Brady sofort vor.

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Er tat so, als sei ich Luft für ihn und flüsterte mit Eileen. Dass er mehr als ihr Kollege oder vielleicht auch ein Vorgesetzter war, verriet eine gewisse Vertraulichkeit in seinen Gesten. So, wie er ihr jetzt zum Beispiel die Hand auf ihre Schulter legte...

In diesem Moment machte es klick in meinem Kopf. Ich sah diese Hand auf Cheryls Knie liegen, in jenem Auto. Und dieser Gordon zählte insgesamt genau zu jenem Typ Mann, den Mrs. Marwick zu bevorzu­gen schien, wenn es nicht ums Heiraten ging. Ziemlich jung, ziemlich gut aussehend. So wie dieser Harvey bei der Auktion zum Beispiel. An ihn hatte ich lange nicht gedacht, aber es gab wirklich eine gewisse Ähnlichkeit zwischen ihm und diesem Gordon. Ein Mann, der mir nun doch bemerkenswert erschien. Als Betty vorhin angedeutet hatte, Ei­leen habe ihn Mrs. Marwick ausgespannt, hatte ich gedacht, das sei eine alte Geschichte. Aber es war erst zwei Tage her, dass Gordon zusammen mit der schönen Cheryl davongebraust war. Betrog er Mrs. Marwick nun mit Eileen oder diese mit ihrer einstigen Chefin?

Er tuschelte noch immer mit Eileen, als ich mich zu einem Überra­schungsangriff entschloss. »Ist das eine Art, sich bei einer Dame für ihre Aufmerksamkeit zu bedanken?«

Verblüfft sah er mich an. »Sie sprechen mit mir?« »Allerdings. Und manchmal tue ich das auch mit Mistross Mar­

wick.« Während Eileen sichtlich nicht verstand, was hier vorging, wurde

ihr Bekannter nervös. »Ob sie es schätzen wird, wenn sie erfährt, wo sich das Medaillon

befindet? Es hat ja für sie bekanntlich einen großen emotionalen Wert.«

Die gute Eileen war wohl wirklich kein besonders helles Licht. Sie sah mich beschwörend an, offenbar fürchtete sie, ich würde sie verra­ten. Doch wozu, wenn das gar nicht nötig war? Gordon Brady schnappte den Köder bereits. Das hieß, dass er sich erst einmal dumm stellte. Oder es tatsächlich war.

»Jetzt weiß ich, wer Sie sind!« Er lächelte mich gönnerhaft an. »Der Schnüffler! Das trifft sich gut. Arbeiten Sie doch einfach für mich!« Er hielt es wohl für eine Flucht nach vorn, was er mir da hek­

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tisch vorschlug. »Geld wird kein Problem sein. Wenn Sie raus finden, in welches Schloss dieser Schlüssel passt...«

Er hatte also schon vor mir das Medaillon geöffnet. Und dabei o­der als er es wieder schloss vermutlich die Beschädigung verursacht, die den Einsatz eines Hammers notwendig gemacht hatte. Jetzt griff Gordon in die Innentasche seines Jacketts und holte etwas heraus. Es war wohl ein Duplikat des Schlüssels.

»Sicher ist sicher, hab ich mir gedacht.« Er blähte sich auf. »Wie ist das nun? Nehmen Sie den Auftrag an?«

Ein dritter Klient? Und dann auch noch so ein Würstchen? Das wollte ich Cheryl Marwick - auch wenn ich wirklich nicht nachvollziehen konnte, was sie an diesem Gordon fand - ebenso wenig antun wie ihrem durchlöcherten Mann. So lachte ich ihn aus und ging.

Ging es allen, die hinter dem Medaillon her waren, also in erster Linie um den Schlüssel und nicht um die Steine? Gut möglich, dass einer wie Gordon Brady deren Wert nicht erkannte. Mir wäre das auch so ergangen.

*

Auf dem Weg ins Büro zurück besorgte ich mir etwas zu essen. Ich spürte, dass jetzt der Moment gekommen war, um in aller Ruhe nach­zudenken. Das ging am besten im Büro, zumal dort mit Betty um diese Zeit nicht mehr zu rechnen war. Und weil ich die Erfahrung gemacht hatte, dass beim Nachdenken Umwege bisweilen ganz günstig waren, erstand ich von dem Zeitungsjungen vor dem Haus für drei Cent noch ein bisschen Lektüre. Er hielt auch die Chicago Tribune feil.

Mit der Zeitung und den Sandwichs machte ich es mir dann am Schreibtisch bequem. Im Schrank bewahrte ich für solche Fälle stets auch eine Flasche auf. Nur eine saubere Tasse fand ich nicht und so erledigte ich notgedrungen, was eindeutig Bettys Aufgabe gewesen wäre. Ich hatte die Tasse eben abgewaschen, als es an der Tür klopf­te.

»Bin nicht da«, knurrte ich, entschlossen, mich jetzt durch nichts ablenken zu lassen.

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»Aber für mich doch bestimmt!« Morgan C. Hollyfield wusste nicht, was Höflichkeit war. Er grinste, als er meine etwas spartani­schen Vorbereitungen zum Mittagessen entdeckte und ließ sich dann auf einen Stuhl fallen. Dieser wirkte unter dem Koloss plötzlich, als sei er für eine Puppenstube gemacht.

»Es passt im Moment wirklich nicht gut«, ließ ich den Leiter der Mordkommission wissen.

»Und mir passt es nicht, wenn jemand zu egoistisch ist und zu vieles für sich behält«, konterte er knurrend. »Ich gebe zu, ich war eine Weile auf dem Holzweg. Aber Sie müssen zugeben, diese Metho­de mit den Schüssen aus dem Auto...« Er beendete den Satz nicht, sondern griff nach einem Taschentuch, um sich den Schweiß von der Stirn zu wischen. »Es sah ja wirklich ganz nach einem der Syndikate aus.«

Ihm war anzusehen, wie erleichtert er noch immer war, diesen Verdacht nicht mehr haben zu müssen. Das hätte ihn prompt wieder in gewisse Schwierigkeiten gebracht. Für mich war jetzt aber etwas an­deres wichtig. Was hatte ihn von diesem Verdacht abgebracht? Was wusste er, was mir noch nicht bekannt war? Das wollte ich ihm entlo­cken, ohne ihm selbst etwas von meinen Einsichten zukommen zu las­sen. Ich hatte dieses Spiel schon oft mit Hollyfield gespielt und eine gewisse Übung darin.

»Und wen verdächtigen Sie jetzt?« Manchmal kam man ja sogar mit Offenheit weiter.

»Das werde ich Ihnen gerade verraten!«, wich er aber leider aus. »Connor, ich bitte Sie, wir kennen uns doch lange genug...«

Diese Melodie kannte ich. Wenn Hollyfield den Leutseligen spielte, wusste er nicht weiter. Sonst hätte er sich ja wohl auch kaum zu ei­nem Besuch bei mir bequemt.

»Tatsache ist«, wurde er wieder sachlicher, »dass Sie zweimal an einem Ort waren, an dem jemand zu Tode gekommen ist. Zuerst bei der Auktion, dann mitten auf der Straße.«

»Ja, es ist schlimm geworden in dieser Stadt.« Ich nickte. »Man ist buchstäblich nirgends mehr sicher.«

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»Lassen Sie das, mir ist nicht nach Scherzen!«, polterte Hollyfield da los. »Ich habe inzwischen jede Menge Verdächtige. Auch die schö­ne Witwe ist mir nicht mehr geheuer. In ihrer Umgebung verschwin­den mir einfach zu viele Männer.«

Sieh an, ging es mir durch den Kopf, Hollyfields Überlegungen spazierten ja in eine ganz ähnliche Richtung wie meine! »Manche Leu­te ziehen das Unglück einfach an«, zitierte ich ihn.

Doch er erinnerte sich wohl nicht an seine Bemerkung vor Mrs. Marwicks Villa. Oder er wollte sich nicht mehr daran erinnern, zumin­dest vorübergehend doch empfänglich für Cheryls Schönheit gewesen zu sein.

»Aber weit und breit kein Motiv!«, rief er und ließ dabei den Stuhl unter sich ächzen. »Die Lady hätte in aller Seelenruhe ihre Scheidung abwarten können. Und sie hat ihre Liebhaber immer ziemlich großzü­gig behandelt. Außerdem mussten die den Ehemann nicht fürchten, es gab da wohl so eine Vereinbarung zwischen den Eheleuten...« Ver­ächtlich verzog er das Gesicht. Auch Hollyfield war verheiratet. Aber er gehörte natürlich einer Gesellschaftsschicht an, in der solche Vereinba­rungen als moralisch anstößig galten, eine ausgleichende Maßnahme gewissermaßen, um die etwas anders gelagerten Vermögensverhält­nisse wettzumachen.

»Wem also nützen die Morde?« Er legte sein Gesicht in beküm­merte Dackelfalten, als er mich ansah. »Es ist die immer gleiche Frage. Ohne Motiv kein Mord, da sind wir uns doch einig, oder?« Er verlegte sich wieder auf die leutselige Tour. »Wahrscheinlich ist auch der erste Ehemann umgebracht worden. Auch wenn die Kollegen in New York seine Leiche nie gefunden haben. Aber was geht heutzutage nicht alles verloren!« Er tat, als müsse er über seinen eigenen, nicht eben origi­nellen Witz lachen.

Wenn Hollyfield sich so ins Zeug legte, musste er wirklich in gro­ßen Schwierigkeiten sein. Aber ich hatte lernen müssen, mit Mitleid sparsam umzugehen. Doch irgendwas musste ich ihm nun doch zu­werfen, das gehörte einfach zum Spiel. »Haben Sie sich schon mit dem Vater befasst, mit David Marwick?«

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Hollyfield ging prompt in die Falle, genau wie ich gehofft hatte. Denn wenn jemand nichts mit der Sache zu tun hatte, dann dieser Immobilienmann. Hollyfields Kiefer fiel herunter. »Wissen Sie, was Sie da sagen?«

»Ich hab gar nichts gesagt, nur laut überlegt.« Es war genau die Floskel, mit der ich Hollyfield gelegentlich davon überzeugte, ihm ei­nen Tipp gegeben zu haben. Es klappte auch heute.

»Na, dann will ich mal wieder.« Er stand schon auf. Bevor er ging, musste er natürlich erst noch den Staatsdiener herauskehren. Er wies auf die Tasse, auf die in eine Tüte verpackte Flasche. »Ich nehm doch an, da ist wirklich bloß Kaffee drin?«

»Was sonst. Nun hab ich doch glatt vergessen, Ihnen eine Tasse anzubieten!«, entschuldigte mich und brachte ihn zur Tür.

»Passen Sie doch künftig besser auf, wo Sie so unterwegs sind«, riet er mir dann noch. »Nicht, dass Ihnen doch noch mal was passiert. So eine Beule ist ja nicht schlimm, aber...«

Ein Ehepaar wollte zum Immobilienbüro nebenan. Hollyfield muss­te den Bauch einziehen, damit sie an ihm vorbeikamen.

Ich schloss die Tür und hatte nun endlich Zeit für mein Mittages­sen. Dabei fühlte ich mich ziemlich gut. Denn ich hatte genau das, was Hollyfield so verzweifelt suchte. Das Motiv, in Form eines Schlüssels zu einem Bankfach. Einen Schlüssel, von dem dieser Gordon ein Duplikat hatte. Doch was half es ihm - im Unterschied zu mir war er ja offenbar nicht auf die Idee gekommen, sich den Schlüssel einmal genauer an­zusehen. Aber wurde Cheryl Marwick deswegen gleich zu derjenigen, die die Morde in Auftrag gegeben hatte, nur weil sie Kundin bei der Foreman-State National Bank war? Vermutlich gehörte der Safe dort ihr, sie könnte den Leuten bei der Bank schlicht die Wahrheit sagen - nämlich dass ihr der Schlüssel abhanden gekommen war. Man würde ihr umgehend einen Ersatz anfertigen, gar keine Frage.

Also war es ihr wirklich nicht um Geld zu tun? So etwas zu glau­ben fiel mir immer schwer. Wer hatte davon schon jemals genug?

Ich sorgte mit etlichen Luckys und dem einen oder andern Schluck dafür, dass meine Verdauung in Gang kam. Dann machte ich mich auf

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den Weg und überlegte mir während der Fahrt, mit welcher Ausrede ich bei der Bank eine klitzekleine Information bekommen könnte.

*

Die Karte einer landesweit tätigen, sehr großen Versicherungsgesell­schaft, die ich dem Bankfritzen unter die Nase hielt, tat ihre Wirkung.

»Versicherungsbetrug ist heutzutage leider alltäglich«, redete ich auf den guten Mann ein, so rasch und wortreich, dass er möglichst nicht zum Nachdenken kam. Außerdem stellte ich mir Versicherungs­vertreter nun mal so geschwätzig vor. »Und da dieser Kunde bedauer­licherweise einem Verbrechen zum Opfer fiel, müssen wir besonders sorgfältig recherchieren.«

Ich kam auf ein paar Fälle von Betrügereien zu sprechen, die erst kürzlich durch die Gazetten breitgetreten worden waren. Auch der Bankangestellte erinnerte sich daran und nickte mehrmals.

»Es gibt leider keine Ehrlichkeit mehr auf der Welt«, seufzte ich. »Heutzutage muss man immer das Schlimmste annehmen.«

Wieder erhielt ich ein zustimmendes Nicken zur Antwort. »Ich fürchte nur, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen.« Anscheinend ging dem Mann mein Geschwätz schon auf die Nerven und er wollte mich loswerden. »Richard Marwick war nämlich nicht unser Kunde.«

Ihm war es womöglich nicht bewusst, aber ich hatte es gut ge­hört. Den Vornamen hatte er nämlich betont - so, als hätte er sagen wollen: Richard Marwick nicht, aber Cheryl Marwick. Das bestätigte, dass Cheryl hier über ein Konto verfügte, worauf ihr Ehemann Richard keinen Zugriff hatte. So wenig wie auf den Safe, den Cheryl hier mög­licherweise benützte. War sie noch vermögender, als ich gedacht hat­te? Und deshalb auch ihr Schwiegervater so gut auf sie zu sprechen?

Ich rief mich zur Ordnung. Das war hier nicht der richtige Ort, um lange zu grübeln. »Er war nicht Ihr Kunde, soso. Ja, dann kann man nichts machen. Dann muss ich mich weiterhin umsehen. Sie glauben ja nicht, wie ich mir die Absätze schief laufe in diesem Job...«

Der Mann war wirklich froh, als er mich loswurde. Er konnte nicht ahnen, wie sehr er mir geholfen hatte.

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Auf der Straße ließ mich mein Magen wissen, dass er sich mit den Sandwichs zu Mittag vernachlässigt fühlte. Und da jetzt nichts dagegen sprach, für heute Feierabend zu machen, fuhr ich zu Henry's.

Brendon saß am üblichen Platz und diesmal freute ich mich wirk­lich, ihn zu sehen. Denn irgendwie war mir nach Feiern. So stimmte ich nach dem Essen auch zu, Brendon zu einem Jazzclub auf der South-Side zu begleiten. Der Name Jimmy McPartland sagte sogar mir etwas. Und Brendon war wieder mal stolz wie ein Kind, dank eines Kol­legen noch an Karten gekommen zu sein.

»Endlich bist du wieder der Alte«, freute er sich. Dabei fixierte er die kaum noch wahrnehmbare Beule auf meiner Stirn. »Du hast schon schlimmer ausgesehen.«

Das fand ich auch. Und bis es Zeit zum Aufbruch war, ölten wir unsere Kehlen für die Beifallsstürme.

*

Ich war einfach zu euphorisch gewesen an jenem Abend. Hatte ge­glaubt, so gut wie alles zu wissen. Nur noch ein Gespräch mit Cheryl Marwick, hatte ich gedacht und dann wäre alles klar. Aber manche Abende sollte man nicht vor dem Morgen loben. Am Konzert lag es nicht, McPartland und seine Jungs spielten Jazz vom Feinsten. Danach zogen Brendon und ich noch eine Weile gemeinsam um die Häuser. Schwer zu sagen, wann ich ihn aus den Augen verlor. Aber da war eine äußerst sehenswerte Brünette. Auch mit ihr leerte ich noch ein paar Gläser. Worüber wir uns unterhalten hatten, versank allerdings in Nebel. Als ich zu mir kam, saß ich jedenfalls allein am Tisch. Und ich kam auch nicht einfach zu mir, sondern wurde ziemlich unsanft wach­gerüttelt.

»Feierabend für heute!«, brüllte mir eine vierschrötige Gestalt ins Ohr. »Wir schließen!«

Nicht eben behutsam hatte der Kerl mir auf die Straße hinaus ge­holfen. War das Grau vor meinen Augen Asphalt oder der Morgenhim­mel, kurz bevor die Sonne aufging? Ich wusste es nicht zu unterschei­den. Ich wusste eigentlich gar nichts mehr. War ich mit dem Wagen

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hier? Wenn ja, wo stand er dann? Wieso eigentlich hatte mich die Brü­nette nicht mitgenommen?

Ich stand einfach so am Straßenrand, was ein Taxifahrer als Zei­chen zum Anhalten nahm. Was wollte der von mir? Und was war mit meinen grauen Zellen geschehen? Wenn in meinem Kopf überhaupt etwas war, dann ein großer Schwamm, der überwiegend aus Löchern bestand. Irgendwie kam ich doch noch drauf, wozu so ein Taxi gut war und es gelang mir wohl auch, dem Fahrer meine Adresse zu nennen. Den Weg vom Taxi in mein Apartment müssen meine Füße dann von ganz allein gefunden haben. Ich erinnerte mich jedenfalls nicht mehr daran, als ich wach wurde.

Aber hatte, was da mit mir geschah, überhaupt mit Wachwerden zu tun? Wie kam der Presslufthammer in meinen Schädel? Und wer versuchte mich so schmerzhaft zu blenden, wenn ich nur mal ein biss­chen blinzelte? Am schlimmsten war vielleicht der Angriff auf meine Ohren. Hörte dieses gellende Schrillen denn niemals auf? Ich wälzte mich hilflos im Bett herum und irgendwie kam dabei der Fußboden unter meine Füße. Welche Wohltat! Ich durfte nur die Augen nicht öffnen. Und vielleicht, wenn ich mir die Ohren zuhielt...?

Ich öffnete die Augen und sah das Telefon. Ja, ich wusste fast so­fort, dass es ein Telefon war. Und erinnerte mich auch, dass man den Hörer abnehmen musste, damit der Lärm endlich aufhörte.

»Na endlich, Chef!« Schon wieder Lärm. »Ich hab schon gedacht, Ihnen war was passiert. Chef? Sind Sie dran?«

Der Lärm meinte mich. Der Lärm war eine Stimme. Und wenn ich Chef war, dann hieß diese Stimme Betty. Ich verspürte einen gewissen Stolz auf meine Logik. »Klar bin ich dran.« Meine Zähne gingen nicht richtig auseinander.

»Was ist eigentlich los?« »Das fragen Sie?« »Sie sind mal wieder versackt, stimmt's?« Das Lachen danach

sprach von keinerlei Mitgefühl. »Passt heut aber gar nicht gut. Sie kriegen nämlich Besuch.«

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Irgendwie hatte ich es geschafft, mir eine Lucky zwischen die Kie­fer zu klemmen. War es nur das, was mir gefehlt hatte? Mir ging es gleich etwas besser. »Besuch?«

»Sie hat gesagt, sie möchte sich noch verabschieden von Ihnen. In Chicago gefällt es ihr nicht mehr.«

»Um wen geht's denn?« Ich suchte nach einer Flasche in meiner Nähe. Ob Soda drin war oder was anderes, war mir völlig egal im Mo­ment.

»Sie haben heut aber wirklich 'ne lange Leitung«, meinte Betty. »Haben wir derzeit noch eine andere Klientin als Cheryl Marwick? Chef, jetzt beeilen Sie sich, ja? Sie wird in einer halben Stunde hier sein, hat sie gesagt. Das schaffen Sie doch?«

Ich war jedenfalls fest dazu entschlossen und legte sofort auf. Die Flasche, die mir in die Hände kam, enthielt kein Wasser. Und viel war leider auch nicht mehr drin. Ich setzte mich noch mal aufs Bett und legte den Kopf sehr weit zurück in den Nacken. Dann noch etwas wei­ter, aber aus der Flasche kam nichts mehr heraus. Dafür sank ich nach hinten und irgendwie sind mir dann doch noch mal die Augen zugefal­len.

Keine Ahnung, wie viel Zeit verging, bis sich alles wiederholte. Der Presslufthammer, der Versuch mich zu blenden, die Attacke auf meine Ohren.

»Chef, Sie sind unmöglich!« Ich hätte den Hörer gern fallen lassen. Aber meine Finger um­

klammerten ihn so fest. »Warten Sie einen Moment, sie möchte selbst mit Ihnen spre­

chen.« Nicht eine einzige Lucky mehr in der Packung! Wie sollte ich da

aus dem Nebelloch herausfinden, in das man mich gestoßen hatte? »Vielleicht schaffen Sie es ja noch zum Bahnhof.« Ja, die Stimme

passte zu Bernsteinaugen. Auch sie hatte etwas, das an den Rändern dunkel zerfloss. Dunkel und rauchig. Ich entdeckte mein Jackett, griff in die Tasche und war doch mal wieder gerettet. »Bis wann?«

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»In eineinhalb Stunden geht mein Zug. Ein paar Dinge hab ich noch zu erledigen. Aber ich werde es schaffen, eine halbe Stunde frü­her dort zu sein.«

»Ich auch«, versprach ich. Und davor musste ich noch ins Büro, das begriff ich unter der Du­

sche. Für Cheryl Marwick würde das heute wie Weihnachten werden, jede Menge Geschenke!

Während ich mich anzog, schaffte ich es sogar noch, mir eine Tas­se Kaffee zu brauen. Dazu noch eine Zigarette und ich fühlte mich wie­der topfit. Na ja, jedenfalls fast.

*

Auf der Fahrt ins Büro tat ich so, als wusste ich nichts von Geschwin­digkeitsbegrenzungen oder Vorfahrtsregeln. So legte ich die Strecke in rekordverdächtiger Zeit zurück. Betty hoffte wieder mal vergeblich auf eine Erklärung, während ich den Safe leerte. »Später, Süße. Vielleicht lade ich Sie ja auch zum Essen ein.«

»Wann?«, bestand sie prompt auf Tatsachen. Ich schaute auf meine Uhr. Kurz nach elf. Um halb zwölf würde

ich Cheryl treffen, eine halbe Stunde später fuhr sie ab. »Noch inner­halb Ihrer Dienstzeit«, ließ ich Betty vage genug wissen und war schon wieder draußen.

Da ich ganz gut in der Zeit lag, konnte ich noch meinen Vorrat an Zigaretten erneuern. Zur Grand Central Station war es ja nicht mehr weit. Und mit dem vorhin geübten Fahrstil würde ich es sogar bei ei­nem Stau rechtzeitig schaffen. Es sei denn, mein Plymouth ließ mich im Stich, der Jüngste war er ja nicht mehr. Es war nur eine Vorsichts­maßnahme, dass ich mir diese Möglichkeit ausmalte. Das Schlimmste annehmen, damit es nicht passiert.

Mein Wagen folgte mir denn auch aufs Wort, es gab keinen Stau, ich würde pünktlich sein. Ich parkte ganz in der Nähe des Bahnhofs.

»Sind Sie blind?«, schrie mich jemand an, als ich ausstieg. »Oder wollen Sie, dass Ihre Blechkiste in dem Loch verschwindet, das wir hier buddeln?«

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Wieso eigentlich rissen Bauarbeiter in dieser Stadt unablässig die Straßen auf? Ich stieg wieder ein, um meinen Wagen ein paar hoffent­lich ausreichende Meter nach vorn zu bewegen. Als ich ausstieg, hatte daran schon wieder jemand was auszusetzen.

»Würd ich an Ihrer Stelle nicht tun, Mister. Das ist hier 'ne Bushal­testelle.«

Mir lag ein Fluch auf der Zunge, so lang wie die Strecke zum Mond und zurück. Aber natürlich blieb mir so viel Zeit nicht, um ihn auszu­sprechen. Diesmal fuhr ich gleich etwas weiter und parkte endlich am Board of Trade. Den Weg zum Bahnhof legte ich im Laufschritt zurück. Meine Gehirnmasse war damit nach dem Verlauf der letzten Nacht nicht unbedingt einverstanden, sie trommelte einen wütenden Protest gegen meine Schädeldecke. Aber darauf konnte ich im Moment keine Rücksicht nehmen.

Vor dem Wartesaal erster Klasse stand ein Uniformierter, dem an­scheinend meine Eile nicht gefiel. »Was wollen Sie hier?«

Was stimmte heute nicht mit mir, dass ich allen und jedem im Weg war? Da erschien Cheryl Marwick hinter dem Bahnangestellten. »Schön, dass es doch noch klappt, Pat.«

Mit meinem Vornamen hatte sie mich noch nie angesprochen. Es versöhnte mich augenblicklich mit allerlei Widrigkeiten. Auch der Bahn­angestellte hatte jetzt keine Einwände mehr, dass ich den Wartesaal betrat.

Cheryl trug zu einem sandfarbenen Reisekostüm einen gleichfalls sandfarbenen Hut, auch Schuhe und Gepäck waren farblich darauf ab­gestimmt. »Setzen Sie sich doch«, lud sie mich ein.

Das tat ich und nach einem kurzen Moment beruhigte sich auch mein Puls wieder. Höchste Zeit, dass ich den Weihnachtsmann spielte. Ich legte nacheinander alles auf den freien Platz zwischen ihr und mir, die zwei Hälften des Medaillons, den Schlüssel, die Steine. Zuletzt auch den Umschlag mit dem Geld, das Richard Marwick mir zum Ersteigern zugesteckt hatte. Als ich ihr sagte, der Umschlag gehöre Richard und also ihr, als seiner Witwe, wurde sie blass.

»Dann hat er die Papiere also doch noch an sich gebracht?«

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»Papiere? Keine Sorge, darin ist bloß Geld.« Ich grinste breit, ob­wohl mir einmal mehr bewusst wurde, dass ich eben doch noch nicht alles wusste. »Geld, womit ich das Medaillon ersteigern sollte. Aber Sie wissen ja, was dazwischen kam.«

Sie nickte versonnen. »Harvey war natürlich ein Idiot, wie alle. Aber dass ihn das gleich das Leben kostete, wäre nicht nötig gewe­sen.« Sie seufzte. »Richard neigte in manchen Dingen eben zu Über­treibungen.«

Ich nickte. »Das hatte ich mir schon gedacht, dass er das war. Konnte er so schlecht schießen? Oder hat er das absichtlich gemacht, um es wie einen Unfall aussehen zu lassen?«

Cheryl begann leise in sich hineinzulachen. »Richard war auch ein Idiot. Und solche Leute haben eben manchmal Glück. Er wollte Harvey vermutlich treffen. Aber schießen konnte er nicht. So war es letztlich tatsächlich ein Unfall.«

»Aber dann hatte Richard gar kein Glück mehr«, brachte ich ihr in Erinnerung.

»Stimmt. Aber wenn einer nie weiß, wann es genug ist...« Sie seufzte noch einmal. »Das war einer, den Gordon auf ihn angesetzt hat. Ziemlich hübsch, aber mit so einem brutalen Zug um den Mund.«

»Oh, ja, ich weiß, wen Sie meinen.« Ich tastete nach meiner Beu­le. Sie war so gut wie verschwunden.

»Geld. Alle wollen immer nur Geld.« Der Rand um ihre Bernstein­augen wurde dunkler denn je.

»Der Schlüssel?«, tippte ich. Sie nickte. »Ich war dumm genug, ein paar Mal im Leben densel­

ben Fehler zu machen. Nämlich einen Mann zu lieben. Den ersten hab ich geheiratet, den zweiten auch. Bei Harvey und Gordon hab ich dann auf diese Formalität verzichtet. Aber geholfen hat es auch nichts.« Sie sah an mir vorbei und ich ahnte, wie peinlich ihr dieses Geständnis war.

Sie wusste also von Eileen, schloss ich außerdem. »Dabei hab ich spätestens bei Gordon kapiert«, sie sprach leise,

eher wie für sich selbst, »dass Männer vermutlich gar nicht anders können. Jeder Mann betrügt jede Frau, so einfach ist das. Und ich hab

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ja dann dasselbe getan.« Ihre Mundwinkel zuckten in leiser Selbstiro­nie. »Und das ist ja womöglich eine weibliche Krankheit. Dass nämlich trotz aller guten Vorsätze dann doch immer wieder etwas wie Liebe ins Spiel kommt.«

Sie stockte und als sie nach einer von ihren Benson & Hedges griff, beeilte ich mich, ihr Feuer zu geben.

»Vielleicht wissen Sie das ja aus eigener Erfahrung«, fuhr sie leise fort. »Liebe macht uns Frauen geschwätzig. Ich habe Richard ebenso von gewissen Dingen erzählt wie später dann leider auch Harvey und Gordon.« Sie verstummte für einen Moment. Dann sah sie mich unver­wandt an. »Wollen Sie den Schlüssel? Ich habe bei der Bank vorhin noch Bescheid gesagt. Man wird Sie an den Safe lassen.«

»Und was werde ich darin finden?« Sie musste nicht merken, wie verwirrt ich war. Gordon und Richard war es ja wohl um den Inhalt des Safes gegangen. Ihr wirklich nicht?

»Lassen Sie sich einfach überraschen«, riet sie mir und lächelte mich an. »Ich bin damit zufrieden.« Sie griff nach den Diamanten. »Sie gehörten einmal zu einer Kette. Mein erster Mann hat sie mir ge­schenkt. Als mir dann klar wurde, dass er mich betrog, wollte ich sie nicht mehr tragen. Es hat mich einiges gekostet, die Steine aus der Goldfassung entfernen zu lassen. Aber das war es mir wert. So neh­men die Steine viel weniger Platz ein.«

»Sie haben noch mehr davon?« Sie nickte. »Und irgendwie hab ich zu den Steinen mehr Vertrauen

als zu Banknoten. Auf sie ist einfach mehr Verlass. Na ja, vielleicht ist das nur eine Schwäche von mir. Die einzige, die ich mir künftig noch leisten will.« Sie stand auf. »Gleich geht mein Zug. Danke für alles.« Sie schlüpfte aus ihrem Handschuh, bevor sie mir ihre Hand reichte.

»Und was haben Sie nun vor?«, fragte ich. Irgendwie erreichte mein Gehirn heute nicht die Geschwindigkeit der Ereignisse um mich herum.

»Mal sehen.« Sie lächelte vage. »Männer jedenfalls immer nur für begrenzte Zeit. Und Diamanten für immer. Und anstelle von Liebe viel­leicht endlich ein bisschen Vergnügen?«

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Ich wollte ihren Koffer auf den Bahnsteig tragen, aber ein unifor­mierter Angestellter kam mir zuvor. Sie bestieg ihr Abteil, ohne sich nach mir umzudrehen.

Ich aber starrte noch eine ganze Weile auf das Abteil, in dem sie verschwunden war. Ob es noch eine Frau gab, die ihre Zukunftspläne auf solche Weise in Worte fasste? Ich musste zugeben, dass mir ihre Pläne gefielen.

Auch wenn ich mittlerweile wieder einigermaßen auf dem Damm war, hatte ich meine sonst übliche Form noch nicht wieder gefunden. Nur so ist es zu erklären, dass ich nicht nachschaute, welches Ziel ihr Zug hatte. Es fiel mir erst ein, als ich schon auf dem Weg zur Bank war. Aber viel hatte ich da nicht versäumt. Denn wenn ich auch das Ziel des Zuges gekannt hätte, wer sagte mir denn, ob sie dort nicht in einen nächsten Zug steigen würde? Oder vorher aussteigen. Oder um­steigen. Es konnte mir völlig egal sein. Denn wieder sehen würde ich Cheryl sowieso nie.

*

Seit der Zug abgefahren war, verspürte ich eine gewisse Leere und es gab nun auch keinerlei Eile mehr. Zur Foreman-State Bank schlenderte ich daher zu Fuß. So gespannt ich auch war auf den Inhalt des Safes - ich wollte genau das noch ein bisschen auskosten. Nicht gänzlich aus­zuschließen war auch, dass ich mir doch irgendwelche Hoffnungen machte. Eine persönliche Nachricht von Cheryl zum Beispiel. Vielleicht sogar eine Adresse, wo auch immer auf dieser Welt, versehen mit ei­nem Datum, mit einer Uhrzeit. Eine Einladung zu einem Rendezvous. Klar, eine völlig verstiegene Fantasie. Aber bis ich bei der Bank war, überließ ich mich ihr mit beträchtlichem Vergnügen.

»Ja, Mister Connor, Ihr Besuch wurde uns angekündigt.« Der Mann bei der Bank zeigte sich sehr beflissen. »Wenn Sie mir bitte fol­gen wollen?«

Er war ziemlich korpulent, mit dunklem, schon schütterem Haar. Der Anzug, der ihm über dem mit einer goldenen Uhrkette dekorierten Bauch etwas spannte, zeigte ein klein kariertes Muster, Katzengrau

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und dezentes Blau. Seine Art sich zu bewegen erinnerte mich an die eines Priesters, der soeben im Begriff steht, eine heilige Handlung aus­zuführen. Er führte mich wortlos über einen langen Flur, dessen nacht­blau schimmernder flauschiger Teppich unsere Schritte verschluckte wie moosiger Waldboden den Regen. Flüchtig überlegte ich, was wohl geschähe, wenn ich seinem Kollegen begegnen würde, der mich ja als Vertreter einer Versicherungsgesellschaft kennen gelernt hatte. Aber auch er musste sich Cheryl Marwicks Anweisungen beugen, da drohte mir also keine Gefahr.

Endlich führte mich der Bauchträger ein Geschoss tiefer, dicke Teppiche auch hier, gedämpftes Licht, getäfelte Wände. Keine Frage, wir näherten uns allmählich dem Allerheiligsten. Ich überlegte, was alles hier wohl lagerte, welche Geheimnisse in diesem Banktresor schlummerten. Ob das Leben in dieser Stadt anders aussähe, wenn sie bekannt wären?

»Wenn Sie hier bitte einen Moment warten wollen?« In einem kleinen Raum stand eine Sitzgruppe, mattschwarzes Leder. Die Glas­platte des Tischs war fleckenlos. Ein schwerer Aschenbecher aus Silber erinnerte mich daran, dass ich ziemlich lange nicht geraucht hatte. Das holte ich sofort nach. Ob man hier auch etwas zu trinken bekommen konnte?

Dann kam der Mann auch schon wieder und zwar mit einem recht­eckigen, ziemlich flachen Behälter aus Metall, kaum größer als das hierzulande gängige Papierformat. Ob das Ding wirklich so schwer war, dass es die Schweißtropfen auf der Stirn des Dicken rechtfertigte? »So, ich lasse Sie dann allein. Wenn Sie fertig sind - hier ist die Klin­gel.« Er machte mich auf einen Knopf neben der Tür aufmerksam, dann zog er sich diskret zurück. Eindrucksvoll fand ich, wie er es schaffte, höflich zu sein, ohne dabei auch nur ein einziges Mal zu lä­cheln.

Ich fingerte nach dem Schlüssel in meiner Tasche. Ein bisschen aufgeregt war ich jetzt doch. Wo Cheryl wohl in diesem Moment war? Irgendwo südlich von Chicago vielleicht? Ich versuchte mich daran zu erinnern, wie die Landschaft dort aussah, die an ihrem Abteilfenster vorbei flog.

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Der Schlüssel fügte sich so widerstandslos in das Schloss des Be­hälters, als bestünde es aus in der Sonne geschmolzener Butter. Voll­kommen lautlos ging es auf. Ich erblickte einen Stapel Papier und eine dumme kleine Hoffnung löste sich sofort in Luft auf. Nein, das waren keine persönlichen Mitteilungen, kein Abschiedsgruß von Cheryl, natür­lich auch kein Vorschlag zu einem Rendezvous. Aber damit hatte ich ja auch gar nicht rechnen können.

Zuerst verschwamm mir alles vor den Augen. Nicht nur aus Ent­täuschung, meine Gehirnmasse war einfach noch immer von Restalko­hol betäubt, wie beim Abklingen einer Narkose nach einer Operation. Endlich erkannte ich aber doch Zahlen, Zahlen ohne Ende. Ja, ab und zu auch ein kleiner Kommentar, meist handschriftliche Notizen, gut leserlich. Das alles hatte anscheinend mit Cheryls erstem Mann zu tun. James Baldner, ich erinnerte mich, dass sie den Namen erwähnt hatte. Und auch in dem Artikel in der Chicago Tribune über ihre zweite Heirat hatte ich diesen Namen gelesen - Cheryl Marwick, vormals Baldner.

Bald rauchte mir der Kopf. Ich hatte hier ohne Frage eine Art Denksportaufgabe vor mir und zwar eine ziemlich knifflige. Zum Glück zeigten meine grauen Zellen sich bereit, die Herausforderung nun doch anzunehmen.

Aber nicht ohne einen Schluck, signalisierte mir ein wohlbekanntes Gefühl, das zu ignorieren sich noch nie empfohlen hatte. Und über­haupt - nahm ich das Zeug hier nicht sowieso besser mit? Cheryl hatte mir diesbezüglich ja völlig freie Hand gelassen. Womöglich war genau dies in ihrem Sinn. Und es war ja wirklich nicht nötig, dass es durch einen dummen Zufall irgendwann doch noch diesem Schwachkopf na­mens Gordon Brady in die Hände fiel.

Auf einem Sideboard entdeckte ich cremefarbene Umschläge ver­schiedener Größe, alle mit dem Zeichen des Bankhauses versehen. Ich griff nach einem, er war blassblau gefüttert und versenkte die Doku­mente in ihm. Dann verschloss ich den nun völlig leeren Behälter und betätigte den Klingelknopf. Der Bankangestellte ließ nicht lange auf sich warten und als er das leere Metallding nun wieder an seinen Ort im Nebenraum zurückbrachte, tat er das erneut mit einer Haltung, die mich an einen Priester erinnerte. Es entlockte mir ein Grinsen. Wenn

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der gute Mann ahnen würde, dass er seine lächerliche Zeremonie an nichts als einen leeren Kasten verschwendete!

»Ich sehe, Sie haben alles gefunden, was Sie brauchen«, bemerk­te er, als er zurückkam und er wies dabei auf den Umschlag in meiner Hand. »Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?«

»Nein, danke, es ist alles erledigt«, erwiderte ich und ließ mich wieder nach oben führen.

Als ich die Bank verließ, fühlte ich mich etwas unbehaglich. Denn ich hatte ja etwas bei mir, woran nicht nur ich interessiert war. Und zwei Männer waren vermutlich genau deshalb ums Lehen gekommen. Also überprüfte ich immer wieder die Straße vor, hinter und neben mir. Aber niemand wollte was von mir. Auch nicht, als ich dann im Auto saß und zum Büro fuhr. Die Zigarette, die ich mir jetzt ansteckte, schmeck­te mir deutlich besser als die unten in der Gruft. Durch die geöffneten Fenster meines Wagens drang der Straßenlärm wie ein rauschender Wildbach an meine Ohren. Das war schon deutlich besser als das Ge­räusch des Presslufthammers, das mir vor ein paar Stunden noch so mitleidlos zugesetzt hatte.

Ich hatte sogar noch etwas mehr Glück. Betty war bereits gegan­gen, obwohl das ihre Dienstzeiten so eigentlich nicht vorsahen. Mir konnte das in diesem Augenblick aber nur recht sein. Zum Studium der Unterlagen brauchte ich nicht Betty, sondern ein bisschen was aus der Flasche, ein paar Zigaretten und vor allem - Ruhe.

Nach und nach gaben die Zahlen denn auch wirklich ihr Geheimnis preis. Ehrlich gesagt, ich freute mich gar nicht richtig darüber, als ich alles zu begreifen begann. Denn diese Dokumente bewiesen mehr als eindeutig, dass Cheryls erster Mann sein Vermögen zumindest nicht nur auf legalem Weg gemacht hatte. Bei einem Geschäftsführer einer großen, international tätigen Firma der Eisenbranche nannte man das, was er getan hatte, schlicht und einfach Unterschlagung. Und zwar im ganz großen Stil. War er deswegen verschwunden oder aus dem Weg geräumt worden, wie Hollyfield neulich angedeutet hatte? Auch im Diamantenhandel war Cheryls erster Gatte offenbar tätig gewesen und laut der Unterlagen auf meinem Tisch war er in dieser Branche eben­falls nicht immer nach den Regeln eines Ehrenmannes verfahren.

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Ich musste davon ausgehen, dass Cheryl diese Dokumente an sich gebracht hatte. Vielleicht ja aus einem Rachebedürfnis heraus, gegen­über James Baldner? Gut möglich auch, dass sie in den Papieren eine gewisse Absicherung gesehen hatte.

Weshalb ich mich über diese Einsichten nicht richtig freuen konn­te? Ich sah dem Rauch meiner Lucky nach und fragte mich, weshalb Cheryl ausgerechnet mir diese Dokumente zugespielt hatte. Denn wer immer diese Dokumente in die Finger bekam - er hatte sie in der Hand. Diese Papiere in den Händen eines Reporters und dann auch bald in denen eines Staatsanwalts - die schöne Witwe wäre arm wie eine Kirchenmaus. Richard Marwick dürfte es ebenso wie zuvor dem schönen Harvey und später Gordon darum gegangen sein, sie mit die­sen Dokumenten zu erpressen. Und Richard war sich seiner Sache wohl so sicher gewesen, dass er sogar schon die Scheidung einge­reicht hatte. Woran man mal wieder sehen konnte, dass Eile nie hilf­reich war.

Und nun hielt also ich sozusagen Cheryls Vergangenheit in den Händen. Nur gehörte ich nicht zu den Männern, die ein solches Maß an Überlegenheit über eine Frau schätzen. Auch in diesem Punkt unter­schied ich mich deutlich von Mr. Marwick und Cheryls diversen jünge­ren Gespielen. Ob sie das gespürt hatte? Meine Hochachtung vor ihr wuchs noch ein bisschen mehr. Und auch wenn sie vorhin auf dem Bahnsteig erklärt hatte, mit so etwas wie Liebe künftig nichts mehr zu tun haben zu wollen, so hatte sie mir hier doch eine gehörige Portion Vertrauen entgegengebracht. Wer war ich, um das zu enttäuschen?

Ich leerte mein Glas, dann stand mein Entschluss fest. Ich nahm das ganze Papier und verfrachtete es nebenan in dem kleinen Bad ins Waschbecken. Gleich darauf ließ ich mein Feuerzeug klicken und ein hübsches kleines Feuer loderte auf. Was hier in Rauch aufging, würde Cheryl nun doch eine recht passable Zukunft ermöglichen. Meine Stimmung besserte sich und ich genoss das leise Knistern, mit dem das alles in Rauch aufging.

»Um Himmels willen!« Als Betty hereinstürmte, war noch nicht al­les zu Asche geworden. »Hier brennt es ja, Chef!«

»Mhm«, brummte ich zufrieden.

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»Geht es Ihnen wirklich gut?« Bettys Tonfall nahm eine besorgte Färbung an.

»Immer besser«, bestätigte ich. »Und hier hab ich alles unter Kontrolle.« Was von den Dokumenten übrig blieb, als das Feuer keine Nahrung mehr fand, spülte ich mit reichlich Wasser weg.

»Sie sind heute aber wirklich komisch, Chef«, kommentierte Betty. »Ich mein, nicht bloß verkatert, das kenn ich ja, sondern...«

»Es ist wirklich alles in Ordnung«, versicherte ich ihr noch einmal. Ich grinste sie an. »Eigentlich hatte ich heute nicht mehr mit Ihnen gerechnet.«

Sie warf einen empörten Blick auf die Uhr. »Aber wieso, ich hab doch noch Dienst! Weil hier sonst nichts zu tun war, hab ich mir nur schnell eine neue Nagelfeile besorgt. Die alte war ja ganz verbogen. Und außerdem sind wir doch zum Essen verabredet!«

Deshalb also war sie noch mal gekommen. In meiner gehobenen Stimmung verübelte ich es ihr nicht. »Dann gehen wir doch am besten gleich«, schlug ich ihr vor.

Sie nickte eifrig. »Und auf dem Weg erst mal bei Hollyfield vor­bei?« Sie trat vor den Spiegel im Bad, um sich die Lippen nachzuzie­hen und ihre Frisur zurechtzuzupfen. »Ich nehm doch an, Sie wissen nun, was da gelaufen ist. Dieser Gordon Brady ist ja auch wirklich ein Miststück. Der hat es eindeutig verdient, wenn Sie ihn ans Messer lie­fern. Nach allem, was mir Eileen so über ihn erzählt hat...«

Anscheinend hatte Betty sich mit ihrer Bekannten wieder versöhnt. Ihre Bemerkung über Brady brachte mich dann aber doch noch einmal zum Grübeln. Ausnahmsweise hatte Betty Recht und zwar gleich zwei­fach. Punkt eins - Brady war ein Mistkerl. Und er hatte mir den Typ mit dem brutalen Kinn auf den Hals gehetzt. Eigentlich verzeihe ich so etwas keinem. Außerdem und das war Punkt zwei, wusste ich genug über Brady, um ihn Hollyfield ans Messer zu liefern. Er hatte seinem Kumpan den Auftrag erteilt, Richard Marwick aus dem Weg zu räu­men. Doch was wäre damit erreicht? Ich war Hollyfield in keiner Weise verpflichtet. Und Brady würde beim Verhör sprudeln wie eine frisch an­gezapfte Ölquelle. Alles würde er tun, um nur die eigene Haut zu ret­ten - oder wenigstens Cheryl mit in den Schlamassel hineinzuziehen.

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Hollyfields Interesse an Cheryl würde dann unweigerlich erneut erwa­chen. Und wo immer sie dann sein mochte, Hollyfield hatte Kollegen auch in anderen Bundesstaaten. Wollte ich wirklich, dass die schöne Cheryl zur Gejagten wurde?

Ich sah ihre Bernsteinaugen vor mir, die dunkel zerfließenden Ränder. Nein, sagte ich mir, das hat Cheryl nicht verdient. Nach so viel Pech mit den Männern stand es ihr zu, wenigstens an der materiellen Hinterlassenschaft eines von ihnen zu profitieren. Sogar dann, wenn sie wusste, wie ihr erster Mann zu seinem Reichtum gekommen war. Klug, wie ich Cheryl kennen gelernt hatte, ging ich davon ziemlich fest aus. Doch seit wann war Wissen strafbar? Und konnte man ihr vorwer­fen, dass sie das Ableben von Richard Warwick so wenig bedauerte wie das von Harvey?

»Was ist denn nun, Chef? Gehen wir endlich?«, drängte Betty un­geduldig. »Sonst treffen wir Hollyfield nicht mehr an, der wird jetzt auch bald Mittagspause machen.«

»Ja, wir gehen. Aber nicht zu Hollyfield«, ließ ich sie wissen. Mehr erzählte ich ihr nicht. Das gefiel ihr natürlich ganz und gar

nicht und während der Fahrt zu Henry's Steak Diner schmollte sie aus­giebig, schaute stur nach rechts aus dem Fenster und füllte den Wa­gen wortlos mit dem Rauch von Pall Malls. Aber ich kannte sie ja. Ein saftiges Steak und ein gut gefülltes Glas sorgten dann erwartungsge­mäß dafür, dass sie mir wieder einmal verzieh. Zumal ich ihr, noch bevor das Essen gebracht wurde, auch ihren Wochenlohn zusteckte.

Gleichzeitig mit unseren Steaks erschien Brendon. Er war unge­wöhnlich aufgeregt. Ohne sich Zeit für eine richtige Begrüßung zu nehmen, sprudelte er sofort los. »Habt ihr mitgekriegt, was da passiert ist? Eine Schießerei, direkt vor der Foreman-State National Bank. Es ist noch nicht raus, ob die beiden sich gegenseitig umgelegt haben oder ob die tödlichen Schüsse vom Wachpersonal kamen. Man weiß auch nicht, was die da gewollt haben. Einer der Toten heißt anscheinend Brady. Und der andere, auch noch ziemlich jung, hatte so was Brutales ums Kinn. Und wie Brady ein Loch in der Schläfe. Und überall dieses Blut! Hollyfield ist gleich mit einer ganzen Armee angerückt.«

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Weder Betty noch Brendon begriffen, wieso ich jetzt von einem Ohr bis zum ändern grinste. Einerseits hatte Cheryl in der Wahl ihrer Liebhaber ja wirklich keine glückliche Hand bewiesen. Dass sie sich nun aber auf diese Weise gegenseitig liquidierten, war gar keine schlechte Pointe. Und eine verdiente außerdem, was Brady und seinen Kumpan betraf. »Woher weißt du das eigentlich alles so genau, alter Bursche?«

»Mann, weil ich doch zufällig direkt vor der Bank war!« Brendon schnaufte laut und wischte sich den Schweiß von der Stirn. »Ich hab gar nicht sofort begriffen, was da los ist. Und dann Schüsse, am hell­lichten Tag!«

Ich lachte. »Aber Brendon, wir sind hier in Chicago. Da gehört so was doch einfach dazu.«

Brendon beruhigte sich allmählich, auch seinen Humor fand er wieder. »Schon recht.« Auch er grinste jetzt breit. »Und noch was ge­hört da meines Wissens dazu. Soll ich hier etwa verdursten? Und das nach dem Schreck?«

Der Kellner eilte sofort herbei und versorgte Brendon mit dem, was er jetzt bitter nötig hatte. Er bewies auch ein Gespür für die erfor­derliche Quantität und hatte die Tasse bis zum Rand gefüllt. Der An­blick verhalf Brendon sofort, sein Gleichgewicht wieder zu finden.

Es wurde dann noch ein ziemlich vergnügtes Mittagessen. Betty schäkerte die ganze Zeit mit Brendon, was dem alten Knaben ausneh­mend gut gefiel. Dann aber besann sich Betty, dass sie noch eine wichtige Verabredung hatte und für Brendon wurde es höchste Zeit, in die Redaktion zu kommen.

Ich ließ mir Zeit, als ich dann allein zu meinem Plymouth schlen­derte. Irgendwann merkte ich, dass meine rechte Hand in der Hosen­tasche etwas die ganze Zeit fest umklammert hielt. Richtig, der kleine Schlüssel war ja noch da. Ein Schlüssel zu einem Safe, der nun nichts mehr enthielt. Und damit alles, was Cheryl für eine angenehme Zu­kunft brauchte.

Diesmal befand sich der Presslufthammer nicht in meinem Kopf, sondern gleich neben mir am Straßenrand. Wieder einmal arbeiteten kräftige, schweißüberströmte Männer eifrig daran, die Straße mit Lö­

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chern zu versehen. Und eins dieser Löcher schien mir ausnehmend gut geeignet, um den kleinen Schlüssel in sich aufzunehmen. Er war kaum zu sehen, als er in einem hohen Bogen durch die Luft flog und genau dort landete, wo ich es berechnet hatte. Und außer mir bemerkte das garantiert kein Mensch.

Viel Glück, Cheryl, dachte ich dabei, ein kleines bisschen wehmü­tig. Aber ich hoffte wirklich, dass ihre Diamanten ihr künftig Glück brachten.

»Können Sie nicht 'n bisschen aufpassen?«, raunzte mich da je­mand an. »Schlimm, dass hier keiner mehr Rücksicht nimmt!«

Vermutlich hatte ich einen Teilnehmer des Großen Krieges vor mir, der da so missmutig auf seinen Krücken durchs Leben ging. Mit einem freundlichen Lächeln ließ ich ihm den Vortritt. Damit hatte er nicht gerechnet, sein Schimpfen blieb ihm im Hals stecken. Und plötzlich verlockte es mich unbändig, mich ohne Ziel ins Gewühl dieser ver­dammten Stadt zu werfen und einfach ein bisschen treiben zu lassen.

Ende

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