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Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit undVlkermordSource: Archiv des Vlkerrechts, 39. Bd., 2. H. (Juni 2001), pp. 170-201Published by: Mohr Siebeck GmbH & Co. KGStable URL: http://www.jstor.org/stable/40799968 .Accessed: 17/06/2014 20:17

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  • Beitrge und Berichte

    Extraterritoriale Strafrechtsanwendung bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vlkermord

    zugleich Anmerkungen zum Vlkermord-Urteil des BGH vom 30. April 1999

    I. Gerichtliche Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit Der Serbe Dusko Tadic wurde 1994 in Mnchen wegen Verbrechen

    gegen die Menschlichkeit festgenommen, die er im ehemaligen Jugoslawi- en an Staatsangehrigen dieses Landes begangen haben soll. Zunchst wurde gegen ihn in Deutschland strafrechtlich vorgegangen. Schlielich wurde er aber an den Strafgerichtshof fr das ehemalige Jugoslawien auf dessen Ersuchen ausgeliefert1, dort angeklagt2 und zu 20 Jahren Haft ver- urteilt3.

    Der frhere chilenische Staatsprsident General Pinochet wurde im Herbst 1998 bei einem England-Besuch festgenommen, da gegen ihn in Spanien ein Strafverfahren wegen Menschenrechtsverletzungen eingeleitet werden sollte und ein internationaler Haftbefehl ergangen war4. Auch

    1 Vgl. Request for deferral of the German investigation against Dusko Tadic to the com- petence of the ICTY", abgedruckt in 15 HRLJ (1994) 485. Deutschland mute zunchst die fr eine Auslieferung notwendigen innerstaatlichen Gesetze verabschieden, vgl. das Jugosla- wien Strafgerichtshof-Gesetz v. 10. April 1995, BGBl. 1995 I 485; vgl. hierzu Schbener/ Bausback, Verfassungs- und vlkerrechtliche Grenzen der berstellung" mutmalicher Kriegsverbrecher an den Jugoslawien-Strafgerichtshof, DV 1996, 621 ff. 2 Indictment or 13 February 1995 concerning the responsibility tor the killings within and outside the Omarska camp between May and August 1992, abgedr. in 16 HRLJ (1995) 223 ff. 3 Prosecuter v. Tadic; Establishment of the Tribunal, erstinstanzhche Entscheidung, Case No. IT-94-1-T vom 10. August 1995; Decision in Prosecutor v. Tadic, Establishment of the International Tribunal, Case No. IT-94-1-AR 72 vom 2. Oktober 1995 ( abgedr. in 35 ILM (1996) 32 ff.); vgl. hierzu Kre, Friedenssicherungs- und Konfliktvlkerrecht an der Schwel- le zur Postmoderne, EuGRZ 1996, 638; Scharf, 91 AJIL (1997) 718, Alvarez, Nuremberg Revisited: The Tadic Case, 7 EJIL (1996) 245 ff.; Prosecutor v. Tadic, Opinion and Judgement, Case No. IT-94-1-T v. 7. Mai 1997 (abgedr. in 36 ILM (1997) 942); Judgement of the Appe- als Chamber of 15 July 1999; Sentencing Judgement of 11. November 1999.

    4 Vgl. Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate and others, Ex parte Pinochet Ugarte" (No. 1), Urteil v. 25. November 1998, (1998) W.L.R. 1456; Regina v. Bow Street Metropolitan Stipendiary Magistrate and others, Ex parte Pinochet Ugarte" (No. 3), Urteil v. 24. Mrz 1999, (1999) W.L.R. 827. Vgl. umfassend auch die Zusammenstellung und bersetzung der Dokumente bei Ahlbrecht/ Ambos, Der Fall Pinochet(s), 1999.

    Archiv des Vlkerrechts, Bd. 39 (2001), S. 170-201 2001 Mohr Siebeck - ISSN 0003-892-X

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 171

    Belgien, Frankreich, Deutschland5 und die Schweiz hatten in der Folgezeit seine Auslieferung beantragt6. Im Mrz 2000 durfte Pinochet letztendlich aus gesundheitlichen Grnden nach Chile zurckkehren. Auch hier wur- den Strafverfahren eingeleitet, deren Fortfhrung aber zweifelhaft ist7. Zuletzt wurde aber die Immunitt Pinochets, die ihm innerstaatlich als sog. Senator auf Lebenszeit" zustand, durch den Obersten Gerichtshof von Chile aufgehoben8.

    Mit der Anklage gegen den jugoslawischen Staatsprsidenten Milosovic durch den Strafgerichtshof fr das ehemalige Jugoslawien im Mai 1999 wurde erstmals gegen ein zu diesem Zeitpunkt noch amtierendes Staats- oberhaupt ein Strafverfahren im Ausland eingeleitet, wenn auch vor einem internationalen Gericht9. Milosovic und vier weiteren serbischen Politi- kern werden Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Kosovo, unter anderem die Vertreibung von ca. 740.000 Menschen seit Anfang 1999, vor- geworfen.10

    In diesen drei Beispielfllen soll eine Strafverfolgung wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit erfolgen. Menschenrechte korrespondieren mit Pflichten der Staaten zum Schutz der garantierten Rechte. Eine Strafver- folgung kann bei solchen Verbrechen auf verschiedenen Ebenen erfolgen: im Tatortstaat selbst11, in Drittstaaten, aber auch vor internationalen Gerichten. Erstere Alternative sollte eigentlich der Normalfall sein. Da aber deutlich wurde, da gerade bei gravierenden Verbrechen hufig der

    5 Vgl. die Entscheidung des BGH v. 18. November 1998 (2 A Rs. 471/98) zu 13a StPO hinsichtlich der Bestimmung des zustndigen Gerichts.

    6 Ein weiteres deutsches Ermittlungsverfahren gegen Pinochet wurde im November 1998 durch die Klner Staatsanwaltschaft eingestellt, weil die Anzeigeerstatterin zur Tatzeit chi- lenische Staatsangehrige gewesen ist und nach Auffassung der Staatsanwaltschaft das deut- sche Strafrecht nicht zustndig war, vgl. FAZ v. 24. November 1998, S. 5; FAZ v. 3. Novem- ber 1998, S. 9.

    7 Unter bestimmten Voraussetzungen soll nunmehr ein ehemaliges Staatsoberhaupt" Immunitt vor Strafverfolgung erhalten; vgl. SZ v. 26. Mrz 2000, S. 8: Chiles Parlament schtzt Pinochet vor Verfahren".

    8 Vgl. SZ v. 9. August 2000, S. 1: Pinochet mu sich fr Verbrechen verantworten - Chi- les Oberstes Gericht hebt mit 14 zu 6 Stimmen die Immunitt des ehemaligen Diktators auf".

    9 Vgl. das Indictment" des Jugoslawien-Tribunals vom 27. Mai 1999, gegen die mutma- lichen Verbrecher Karadzic und Mladic wurden bereits 1995 Anklagen erhoben und im Juli 1996 Haftbefehle erlassen, vgl. Prosecutor's application for deferral of criminal proceedings against Radovan Karadziz, Ratko Mladic and Mico Stanisic to the competence of the ICTY, Case Number: IT-95-5-D (abgedr. in HRLJ 1995, 217 ff.; Decision of 16 May 1995 to grant application for deferral of criminal proceedings against Radovan Karadziz, Ratko Mladic and Mico Stanisic (abgedr. in 16 HRLT (1995) 220 ff.).

    10 Vgl. FAZ vom 28. Mai 1999, S. 1. Vgl. in diesem Zusammenhang zuletzt FAZ v. 2. April 2001, S. 1: Nach der Verhaftung Milosovics dringt der Westen auf die Auslieferung nach Den Haag" sowie FAZ vom 7. April 2001, S.l: Den Haag bergibt Haftbefehl gegen Milo- sovic - ist die Auslieferung zu erreichen?" 11 Vgl. insofern zum derzeitigen strafrechtliche Vorgehen gegen General Pinochet in Chile. Oehrlein, Schranken fr Chiles Militr, FAZ v. 10. Mrz 2000, S. 1; zur juristischen Vergan- genheitsbewltigung in Kambodscha Haubold, Ein Tribunal fr die Henkersknechte Pol Pots?, FAZ v. 8. Februar 2000, S. 8.

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  • 1 72 Marc Bungenberg

    Staat bzw. dessen Organe in die Verbrechen involviert sind, hat sich in der zweiten Hlfte des Zwanzigsten Jahrhunderts der Konsens gebildet, da eine Pnalisierung bestimmten Verhaltens nicht nur in der Kompetenz des Tatortstaates liegen kann.

    Generell wird zwischen vlkerrechtlichen Delikten12 und vlkerrechtli- chen Verbrechen unterschieden. Letztere begrnden im Gegensatz zu vl- kerrechtlichen Delikten sowie einfachen" Menschenrechtsversten sogenannte Rechte und Pflichten erga omnes13. Zu den vlkerrechtlichen Verbrechen zhlen heute u.a. die klassischen Nrnberger Verbrechen", d.h. Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie Vlkermord. Zwischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vlkermord wird differenziert14. Dies begrndet sich aus der besonderen Zielrichtung des Verbrechens des Vlkermordes auf Vernichtung bestimmter Gruppen sowie seinem geschichtlichen Hinter- grund. Vlkermord stellt insofern ein besonders konkretisiertes Verbre- chen gegen die Menschlichkeit dar. Er wird auch als zentraler Tatbestand im Bereich der Menschlichkeitsverbrechen" bezeichnet; die Strafbarkeit entspringt unmittelbar dem moralischen Empfinden der internationalen Gemeinschaft15. Aufgrund der hinter diesem Verbrechen stehenden Inten- tion ist es das schrecklichste Verbrechen gegen die Menschlichkeit ber- haupt.

    Das Weltrechtsprinzip hat zum Inhalt, da nationales Strafrecht auf Auslandstaten von Auslndern an Auslndern angewendet werden kann. Die einzige Verbindung, die zwischen dem Verbrechen und dem verfol- genden Staat gefordert knnen werden soll, ist die physische Prsens des Verfolgten im Hoheitsgebiet dieses Staates16. ber das Weltrechtsprinzip wird daher das nationale Recht genutzt und in den Dienst des internatio- nalen Rechts gestellt17. Die Mglichkeit der Strafverfolgung vor auslndi- schen Gerichten aufgrund des Weltrechtsprinzips ist insbesondere durch

    12 Vgl. zu diesen Kunie, Das vlkerrechtliche Delikt, Jura 1986, S. 344 ff. 13 Siehe im einzelnen hierzu unten, Punkt IV.lb). In diesem Zusammenhang ist der Ent-

    wurf der International Law Commission (ILC) zur Staatenverantwortlichkeit von Bedeu- tung (UN Doc. A/51/10, abgedr. in ILM 1998, 442). Hier wird in Art. 19 Abs. 2 zwischen vlkerrechtlichen Verbrechen und Delikten unterschieden. Bei der Verletzung einer Pflicht, die ein vlkerrechtliches Verbrechen darstellt, ist jeder Staat als verletzter Staat anzusehen.

    14 Vgl. z.B. den Draft Code of Crimes against of Crimes against the Peace and Security of Mankind", Report of the International Law Commission on the work of its 48th session: 6 May - 26 July 1996, General Assembly Official Records, 51st session, Supp. No. 10 (A/51/10, S. 14), Text mit Erluterungen in 18 HRLJ (1997) 96; vgl. dazu Tomuschat, Das Strafgesetzbuch der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit, EuGRZ 1998, 1 ff.

    15 Vgl. Insofern auch den Application of the Genocide Convention" -Fall des IGH, Urteil v. 11. Juli 1996, ICJ Reports 1996, 595.

    16 So die International Law Association , Committee on International Human Rights Law and Practice, Final Report on the Exercise of Universal Jurisdiction in Respect of Gross Human Rights Offences, Report of the Sixty-Ninth Conference, London 2000, p. 403 (404). 17 Klein, Universeller Menschenrechtsschutz, EuGRZ 1999, 109.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 73

    den Fall Pinochet" in die Diskussion gekommen. Abzuwarten bleibt, ob andere Gerichte den englischen Lord-Richtern und ihren Pinochet-Ent- scheidungen" folgen werden, und ehemaligen Staatsoberhuptern Immu- nitt versagen werden18. Staaten und staatliche Gerichte schrecken oftmals aus politischen Eigeninteressen vor einer Strafverfolgung zurck. Daher glaubt(e) man, Diktatoren, Staatsoberhupter und militrische Oberbe- fehlshaber effektiv nur von einer internationalen Einheit verfolgen zu knnen. Immunitt knnen sie hier nicht geltend machen19. Die Interna- tionalen Strafgerichtshfe fr das ehemalige Jugoslawien20 und Ruanda21 sowie der noch zu errichtende Stndige Internationale Strafgerichtshof22 stellen, gut 50 Jahre nach den Nrnberger23 und Tokioter24 Kriegsverbre- cherprozessen, allerdings erst den Beginn einer internationalen Strafjustiz dar.

    Trotz der Tendenz, den Menschenrechtsschutz zu internationalisieren, haben die Staaten die zentrale Rolle bei dem Schutz der Menschenrechte bisher beibehalten25. Im Normalfall fllt das Bestrafungsrecht gegenber Individuen in die Zustndigkeit der Einzelstaaten, und zwar unabhngig davon, ob gegen staatliches oder gegen internationales Recht verstoen worden ist. Jngst hat auch der BGH zum ersten Mal zur Strafverfol- gungszustndigkeit Deutschlands wegen Vlkermordes im Ausland geur- teilt und diese bejaht, sofern neben dem Weltrechtsprinzip ein zustzli-

    18 Vgl. Fn.4. 19 Vgl. Art. 7 Statuts des Jugoslawien-Tribunals (Fn. 20). Gleiche Bestimmungen finden sich in Art. 27 des Statuts des Stndigen Internationalen Strafgerichtshofs (siehe Fn. 22) sowie in Art. 6 des Statuts des internationalen Straf Gerichtshof s fr Ruanda (siehe Fn. 21).

    20 Vgl. U.N.S.C. Res. 827 v. 25. Mai 1993, abrufbar im Internet unter: http://www.un/icty/ index.htm.

    21 U.N.S.C. Res. 955 v. 8. November 1994, abrufbar im Internet unter: http:// www.ictr.org/.

    22 Statut des Internationalen Strafgerichtshofs (IntStGH) zur Ahndung von Vlkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, UN-Dok. A/CONF. 183/9 v. 17. Juli 1998, abgedr. in Die Friedenswarte 1998, 348 ff. sowie EuGRZ 1998, 618 ff., abruf- bar im Internet unter: http://www.un. org/law/icc/statute/romefra. htm; vgl. hierzu u.a. Fastenrath, Der Internationale Strafgerichtshof, JuS 1999, 632 ff. 23 Vgl. das Londoner Viermchteabkommen ber die Verfolgung und Bestrafung der Hauptkriegsverbrecher der europischen Achse" mit dem Statut fr den Internationalen Militrgerichtshof", abgedr. in Der Proze gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Inter- nationalen Militrgerichtshof, Bd. I, Nrnberg 1947, S. 7 (Abkommen) und S. 10 (Statut); auch abgedruckt bei Hankel/Stuby (Hrsg.), Strafgerichte gegen Menschheitsverbrechen, 1995, S. 516 ff. Vgl. hierzu u.a. Grewe, Rckblick auf Nrnberg, in Staat und Vlkerrechts- ordnung, FS fr Doehring, 1989, S. 229; Jescheck, Die Verantwortlichkeit der Staatsorgane nach Vlkerstrafrecht, 1952.

    24 Vgl. die Charter des Internationalen Militrgerichtshofs fr den fernen Osten in Tokio, abgedruckt im Jahrbuch fr internationales und auslndisches ffentliches Recht 1948, S. 395; vgl. hierzu Ipsen, Das Tokio Trial im Lichte des seinerzeit geltenden Vlkerrechts, in FS frOehler, 1985, S. 505 ff.

    25 Vgl. insofern Ritterband, Universeller Menschenrechtsschutz und Gewaltverbot, 1982, S. 216 ff.; Delbrck, Menschenrechte im Schnittpunkt zwischen universalem Schutzanspruch und staatlicher Souvernitt, GYIL 22 (1979), 384, 391, 398.

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  • 1 74 Marc Bungenberg

    cher legitimierender Anknpfungspunkt" vorliegt26. Die Alternative der extraterritorialen Strafverfolgung durch nationale Gerichte steht im Zen- trum der nachfolgenden Ausfhrungen. Diese fhren zu dem Ergebnis, da bei extraterritorialer Strafrechtsanwendung zur Verfolgung von Vl- kermord (entgegen der Auffassung des BGH) neben dem Weltrechtsprin- zip kein weiterer legitimierender Anknpfungspunkt" vorliegen mu, um solche Verbrechen auch in Deutschland verfolgen zu drfen.

    II. Die Rechtsprechung des BGH und die Problematik der extraterritorialen Strafrechtsanwendung

    Bei der Verbung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch einen Auslnder im Ausland an Auslndern, beispielsweise der Verbung von Vlkermord durch einen bosnischen Serben an bosnischen Muslimen in Bosnien-Herzegowina, gibt es Probleme auf verschiedenen Ebenen: Wird die nationale oder die internationale Ebene bei der Strafverfolgung ttig? Kann deutsches Straf recht angewandt werden und ist damit gleich- zeitig auch die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben? Kann die Staatsanwalt- schaft in diesen Fllen das Verfahren beliebig einstellen oder ist sie zur Strafverfolgung verpflichtet? Mu bei der Ausbung das Prinzip der Nichteinmischung, das Rcksichtnahmegebot und die Zustndigkeit anderer Strafverfolgungsbehrden beachtet werden?

    In Deutschland haben sich die Gerichte bislang nur in wenigen Fllen mit der Anwendung des Weltrechtsprinzips als Zustndigkeitsbegrn- dung der deutschen Strafgerichtsbarkeit auseinandergesetzt. Die Recht- sprechung27 wie auch Teile der Literatur28 sprechen sich dafr aus, da es ber den Wortlaut des 6 StGB hinaus eines legitimierenden Anknp- fungspunktes" im Einzelfall bearf, um einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herzustellen. Insbesondere wurde dies auch im Urteil des BGH vom 30. April 1999 in Zusammenhang mit der Bege- hung von Vlkermord im ehemaligen Jugoslawien deutlich herausgeho- ben2*.

    26 BGH-Urteil v. 30. April 1999 - 3 StR 215/98, BGHSt 45, 64 ff. = NStZ 1999, 396 ff., mit Anmerkung Ambos. Vgl. hierzu auch Beschluss des BVerfG v. 12. Dezember 2000 - 2 BvR 1290/99=NStZ2001,240ff.

    27 Vgl. BGHSt 27, 30, 32, 3 StR 298/76, Urteil v. 20. Oktober 1976; BGHSt 34, 334, 336; 3 StR 11/87, Urt. v. 8. April 1987; BGH-NStZ 1994, 232 = BGH-Ermittlungsrichter, Beschl. v. 13. Februar 1994, 1 BGs 100/94; BayObLG-NJW 1998, 392, Urt. v. 23. Mai 1997, 3 St 20/96; BGH-NStZ 1999, 236, Beschlu v. 11. Dezember 1998-2 ARs 499/98.

    28 Vgl. Oehler, Internationales Straf recht, 2. Aufl., 1983, Rn. 847 ff.; ders.y in FS fr Car- stens, 1984, S. 442 f.; Trndle, StGB-Kommentar, vor 3 Rn. 13; Lackner ", StGB-Kommen- tar, 22. Aufl., 6 StGB, Rn. 1; Roggemann, Strafverfolgung von Balkankriegsverbrechen auf- grund des Weltrechtsprinzips - ein Ausweg?, NJW 1994, 1436, alle m.w.N.; Dabm, Vlker- recht, Bd. I, 1958, S. 260; a.A. Scbnke-Schrder-Eser, 6 StGB, Rn. 1; Ambos, NStZ 1999, 226, 227; ders. NStZ 1999, 404 ff.

    29 BGHSt 45, 64 ff. (siehe Fn. 26).

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 75

    1. Extraterritoriale Strafverfolgung in der deutschen Rechtsprechung In Deutschland wurden die Gerichte zunchst fast ausschlielich mit

    dem Weltrechtsprinzip in Zusammenhang mit im Ausland begangenen und gegebenenfalls im Inland zu verfolgenden Betubungsmitteldelikten befat**.

    Der BGH hatte sich erstmals im Jahre 1976 mit dem Weltrechtsprinzip auseinander zu setzen31. In der Sache handelte es sich um den Verkauf von Haschisch durch einen Niederlnder in den Niederlanden an Deutsche zum Weitervertrieb in der Bundesrepublik. Der Niederlnder wurde ver- urteilt. Als Folge erhob sich in den Niederlanden ein Sturm der Entr- stung mit der Begrndung, das Gericht htte zu Unrecht das Weltrechts- prinzip angewendet und wrde sich unter Verletzung der Souvernitt der Niederlande fremde Gerichtsbarkeit aneignen32. Der BGH stellte fest, da es keinen allgemeinen Grundsatz gibt, der die Anwendung des Weltrecht- sprinzips auf den unbefugten Vertrieb von Betubungsmitteln verbietet. Er neige" dazu, da es zur Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt eines legitimierenden Anknpfungspunktes bedarf. Selbst wenn man aus dem Prinzip der Nichteinmischung den Satz ableiten wolle, da aus der Sou- vernitt des Staates nicht ohne weiteres das unbeschrnkte Recht fliet, seine Strafgewalt auf Taten zu erstrecken, die auerhalb seines Gebietes begangen worden sind, lasse sich kein allgemeiner Grundsatz des Vlker- rechts ermitteln, welcher (in diesem Fall) 6 Nr. 5 StGB entgegenstnde33.

    Auch die Entscheidung des BGH vom 3.4.1987 befat sich mit der Strafverfolgung bei Betubungsmitteldelikten34. Der BGH nahm wieder- um zur Anwendung des Weltrechtsprinzips in einem Fall Stellung, in dem ein Niederlnder wegen eines in den Niederlanden begangenen Betu- bungsmittelhandels, dem Verkauf von Haschisch, in Deutschland verur- teilt wurde. Das Weltrechtsprinzip finde fr bestimmte Delikte, soge- nannte Weltverbrechen, Anwendung. Einen allgemeinen Grundsatz, der

    30 Vgl. BGHSt 27, 30 ff, Urteil v. 20. Oktober 1976, 3 StR 298/76; OLG Hamm-NJW 1978, 2346, Urteil v. 30. November 1977, 4 Ss 847/77; OLG Kln-MDR 1979, 251, Urteil v. 17. Oktober 1978, 1 Ss 616/78; BGH- StV 1984, 286, Urteil v. 23. Mrz 1984, 2 StR 107/84; OLG Dsseldorf-NStZ 1985, 268, Urteil v. 10. April 1984, 2 Ss 42/84-23/84 III; LG Krefeld- StV 1984, 517, Urteil v. 7. Juni 1984, 21 StK 29/84-2 lNs27Ls2Js877/83HW; BGH-StV 1985, 273, Urteil v. 1. Februar 1985, 2 StR 482/84; BGHSt 34, 334, Urt. v. 8. April 1987, 3 StR 11/87.

    31 BGHSt 27, 30, Urteil v. 20. Oktober 1976 - 3 StR 298/76 0 = JZ 1977, 67 = NJW 1977, 507 = MDR 1977, 158 = JR 1977, 422, mit Anm. Oehler; zu dieser Entscheidung u.a. auch Kunig, Bedeutung des Nichteinmischungsprinzips fr das Internationale Strafrecht der Bun- desrepublik Deutschland - BGHSt 27, 30, JuS 1978, 594 ff.; Oehler, JR 1977, 425; Puttler, Extraterritorial Application of Criminal Law: Jurisdiction to Prosecute Drug Traffic Con- ducted by Aliens Abroad, in Meessen (ed.), Extraterritorial Jurisdiction in Theory and Prac- tice, The Hague 1996, p. 103 (110). 32 So Oehler, Neuer Wandel in den Bestimmungen ber den strafrechtlichen Geltungsbe- reich in den vlkerrechtlichen Vertrgen, in FS fr Carstens, S. 435 (444). ^ BGHZ 27, 30, 32.

    34 BGHSt 34, 334.

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  • 1 76 Marc Bungenberg

    der Anwendung des Weltrechtsprinzips auf den unbefugten Vertrieb von Betubungsmitteln entgegenstehe, gebe es nicht. Auch dem Prinzip der Nichteinmischung sei eine solche Aussage nicht zu entnehmen. Der BGH bringt erneut seine Neigung" zum Ausdruck, da es zur Ausdehnung der staatlichen Strafgewalt auf Auslandstaten auslndischer Straftter eines legitimierenden Anknpfungspunktes bedarf35. Im konkreten Fall sah der BGH diesen legitimierenden Anknpfungspunkt durch vlker- rechtliche Abkommen Deutschlands im betreffenden Bereich gegeben. Der BGH geht davon aus, da 6 Nr. 5 StGB (nur) in den Fllen ange- wendet wird, in denen sich eine Inlandsberhrung der Tat aus der Ergrei- fung des Tters im Inland ergibt. Die Frage, unter welchen rechtlichen Gesichtspunkten Einschrnkungen des Gesetzeswortlauts geboten sein mgen, brauche der Senat weder allgemein noch abschlieend zu errtern. Er knne weiter offenlassen, ob die Festnahme des Angeklagten im Inland nach rechtmiger Auslieferung aus dem Ausland fr sich allein zur Begrndung einer sachgerechten Inlandsberhrung ausreichen kann.

    Teilweise wird in diesen Drogenfllen" auf eine Diskussion des legiti- mierenden Anknpfungspunktes auch gnzlich verzichtet36 bzw. es soll ausdrcklich dahingestellt gelassen werden knnen, ob ein solcher tatschlich erforderlich sei, da er in jedem Fall vorliegen wrde37. Diese Neigung" bzgl. des Vorliegens eines Anknpfungspunktes wandelte sich allerdings ab dem Zeitpunkt, zu dem erstmals u.a. Vlkermordverbrechen aus dem ehemaligen Jugoslawien in Deutschland zur Verhandlung anstan- den. Nunmehr wurde in der Rechtsprechung konsequent das Vorliegen eines legitimierenden Anknpfungspunktes als Voraussetzung der deut- schen Gerichtsbarkeit bzw. der Anwendbarkeit der deutschen Strafgewalt verlangt.

    In dem ersten diesbezglichen Fall gegen den bosnischen Serben Tadic ist der BGH-Ermittlungsrichter38 in seinem Erffnungsbeschlu vom 13. Dezember 1994 davon ausgegangen, da der Bestrafung des Beschuldig- ten wegen Vlkermordes auf der Grundlage des im deutschen Strafrecht geltenden Weltrechtsprinzips kein vlkerrechtliches Verbot entgegen steht. Allerdings wurde angefhrt, da es eines legitimierenden Anknp- fungspunktes im Einzelfall bedarf, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt. Nur dann sei die Anwendung inner- staatlicher (deutscher) Strafgewalt auf die Auslandstat eines Auslnders gerechtfertigt. Fehle ein derartiger Inlandsbezug, so verstoe die Strafver- folgung gegen das sogenannte Nichteinmischungsprinzip, das die Ach-

    35 Unter Verweis auf Dahm, (Fn. 28), S. 260; Ver dross/ Simma, Universelles Vlkerrecht, 2. Aufl. S. 571.

    36 Vgl. z.B. Urteil des BGH v. 1. Februar 1985, 2 StR 482/84, StV 1985, 273; BGHSt 34, 1, Urteil v. 22. Januar 1986, 3 StR 472/85.

    37BGH-StV 1992, 155, Urteil v. 12. November 1991, lStR 328/91. 38 BGH-NStZ 1994, 232, Beschl. v. 13. Februar 1994-1 BGs 100/94; vgl. hierzu die Anm.

    v. (Dehler, NStZ 1994, 485.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 77

    tung der Souvernitt fremder Staaten gebiete. Die Bedeutung der von 6 StGB erfassten Rechtsgter oder allgemeine politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland wrden deshalb fr sich allein nicht dem Weltrechtsprinzip gengen. Ob als Inlandsbezug ausreichend sei, da der Beschuldigte sich bereits seit mehreren Monaten freiwillig in der Bundes- republik aufgehalten und hier seinen Lebensmittelpunkt unterhalten hat und ergriffen worden ist, hat der BGH in diesem Beschlu noch offenge- lassen, da noch weitere rechtliche und politische Gesichtspunkte gegeben (seien), die diesem Anknpfungspunkt ein so erhebliches Gewicht verlei- hen, da die Anwendung deutschen Strafrechts auf die Taten des Beschul- digten nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu geboten erscheint."39

    Der BGH unterscheidet in verschiedenen anderen Verfahren40 aus- drcklich zwischen der Anwendbarkeit deutschen Strafrechts einerseits und der Frage, ob von Opfern angezeigte Taten der deutschen Gerichts- barkeit unterliegen andererseits. Die angezeigten Taten von Auslndern im Ausland an Auslndern - Mihandlungen und Ttungsverbrechen - unterlgen zweifelsfrei nicht der deutschen Gerichtsbarkeit. Fr Taten dieser Art gelte zwar das deutsche Strafrecht, und zwar kraft des Welt- rechtsprinzips sowohl nach 6 Nr. 1 StGB als auch gem. 6 Nr. 9 StGB i.V.m. Art. 146 II 1, 147 des VI. Genfer Abkommens vom 12. August 1949 zum Schtze von Zivilpersonen in Kriegszeiten41. Dies reiche aber fr die Begrndung der deutschen Gerichtsbarkeit nicht aus. Vielmehr bedrfe es zustzlich zur Anwendbarkeit deutschen Strafrechts aufgrund des Welt- rechtsprinzips eines legitimierenden Anknpfungspunktes, um die deut- sche Gerichtsbarkeit zu begrnden. Der inlndische Aufenthalt des Tatopfers sei insofern aber kein tauglicher Anknpfungspunkt fr die Begrndung der deutschen Gerichtsbarkeit. Als Begrndung fr das Erfordernis eines legitimierenden Anknpfungspunktes wird wiederum, angefhrt, da anderenfalls die vlkerrechtlich gebotene Souvernitt anderer Staaten (Nichteinmischungsverbot) kaum zu gewhrleisten ist. Der inlndische Aufenthalt eines Beschuldigten knne einen legitimieren- den, auch vlkerrechtlich unbedenklichen Anknpfungspunkt fr die deutsche Strafrechtspflege liefern. Weiter sei die inlndische Strafjustiz mit der prinzipiellen, nur durch 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO eingeschrnkten Verpflichtung zu weltweiter" Verfolgung von Straftaten auch berfor- dert.

    Hingegen hat das OLG Mnchen in einem Verfahren, in welchem es um u.a. eine Verletzung des IV. Genfer Abkommens von 194942 ging, festge- stellt, da das innerstaatliche Rechtsanwendungsrecht" der 4 bis 7

    39 A.A. Oehler, NStZ 1994, 485, der den Beschlu dahingehend interpretiert, da der BGH der Auffassung ist, da ein Wohnort des Verdchtigen im Inland nicht gengt.

    4 Vgl. BGH-NStZ 1999, 236, Beschlu v. 11. Dezember 1998-2 ARs 499/98; BGH-StV 1999, 240, Beschlu v. 11. Februar 1999-2 Ars 51/99

    ^BGBl. 1954 11917. 42 Vgl. das IV. Genfer Abkommen vom 12. August 1949, BGBl. 1954 II 917.

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  • 1 78 Marc Bungenberg

    StGB trotz seines materiellrechtlichen Gehalts den Anspruch der Bundes- republik Deutschland indiziert, Tter in der prozessualen Zustndigkeit deutscher Gerichte aburteilen zu knnen. Gleichwohl bedrfe jeder Ein- zelfall unter dem Bickwinkel des Nichteinmischungsprinzips der Pr- fung, ob die Anknpfungspunkte ausreichend seien und vlkerrechtliche Hindernisse gegen die Erstreckung auf eine von einem Auslnder im Aus- land begangene Straftat nicht bestnden. Ohne Frage sei das vlkerge- wohnheitsrechtliche Nichteinmischungsprinzip Bestandteil der allgemei- nen Regeln des Vlkerrechts. ber die gesetzlichen Voraussetzungen nach 6 Nr. 9 (und in diesem Fall 7 Abs. 2 Nr. 2 StGB) hinaus bestehende Anknpfungspunkte schlssen aber im vorliegenden Fall Einwendungen aus dem Vlkerrecht aus.

    2. Die Vlkermord-Entscheidung" des BGH vom 30. April 1999 Die zuvor dargestellte Tendenz der deutschen Rechtsprechung wurde

    durch das sog. Vlkermordurteil" des BGH vom 30. April 1999 besttigt43. Erstmals nahm der BGH in einem Urteil zur Anwendung deutschen Strafrechts und zur Begrndung der deutschen Gerichtsbarkeit bei einem im Ausland begangenen Verbrechen des Vlkermordes Stellung.

    Der Angeklagte Jorgic war nach den Feststellungen des OLG Dssel- dorf Anfhrer einer paramilitrischen Gruppe in Bosnien-Herzegowina, die sich in Abstimmung mit den serbischen Machthabern an Terrorakten gegen die muslimische Bevlkerung beteiligte. Neben weiteren Verbre- chen erscho er zusammen mit anderen Personen 22 Einwohner der Ort- schaft Grabska. Die Anklagebehrde beim Internationalen Strafgerichts- hof fr das ehemalige Jugoslawien44 hatte die bernahme des Verfahrens abgelehnt, worauf ein Strafverfahren gegen den Angeklagten vor dem OLG Dsseldorf eingeleitet wurde. Der Angeklagte wurde von diesem Gericht am 26. September 1997 wegen Vlkermordes in Tateinheit mit diversen anderen Verbrechen45 zu lebenslanger Haft verurteilt. Das OLG Dsseldorf hat festgestellt, da die Schuld besonders schwer wiegt. Gegen dieses Urteil wurde seitens der Verteidigung Revision vor dem BGH ein- gelegt. Sie fhrte zum einen an, es sei keine Zustndigkeit deutscher Gerichtsbarkeit gegeben. Zum anderen sei der Straftatbestand des Vlker- mordes nicht erfllt.

    43 Vgl. Fn. 26 44 Vgl. Fn. 20. "JJas ULb JJusseiaort natte den Angesagten wegen v oiKermoraes in en ranen, una

    zwar in Tateinheit mit gefhrlicher Krperverletzung und Freiheitsberaubung in elf Fllen, mit gefhrlicher Krperverletzung und Freiheitsberaubung in acht Fllen, mit Freiheitsbe- raubung in 300 Fllen, zweimal in Tateinheit mit gefhrlicher Krperverletzung und Frei- heitsberaubung in drei Fllen, in Tateinheit mit gefhrlicher Krperverletzung und Frei- heitsberaubung in 15 Fllen, mit Freiheitsberaubung in zwlf Fllen, mit Mord in 22 Fllen, mit gefhrlicher Krperverletzung, mit Mord in sieben Fllen und mit Mord in einem Fall verurteilt.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 79

    Die Revision wurde vom BGH verworfen. Der BGH stellte fest, da sich das OLG Dsseldorf zu Recht fr zustndig erklrt und zutreffend den Tatbestand des Art. 220a StGB - Vlkermord - angenommen hat46. Zutreffend sei das OLG Dsseldorf vom Straftatbestand des Vlkermor- des ausgegangen. Bei Vlkermord i.S.v. 220a StGB sei eine Verfolgung der Straftat nach dem deutschen Strafrecht mglich, denn fr Vlkermord wrde das Weltrechtsprinzip Anwendung finden, nach dem auch Taten von Auslndern an Auslndern, die im Ausland begangen wurden, im Inland abgeurteilt werden knnten. Unerheblich sei, da die Genozid- Konvention diese Strafverfolgungsalternative nicht vorsieht. Die Alterna- tiven der Aburteilung im Staat des Verbrechens oder durch einen interna- tionalen Gerichtshof knnten nicht als ausreichend angesehen werden. Hingegen ergebe sich gerade aus der Genozid-Konvention, der auch die Bundesrepublik Deutschland beigetreten sei, da Vlkermord ein von allen Staaten zu verfolgendes Verbrechen sei.

    Hinsichtlich der Ausbung nationaler (deutscher) Strafgerichtsbarkeit bei dem Verbrechen des Vlkermordes aufgrund des Weltrechtsprinzips trotz Errichtung des Jugoslawien-Tribunals und Nichterwhnung der Mglichkeit extraterritorialer (staatlicher) Verfolgung in der Vlkermord- konvention fhrt der BGH aus:

    1. Nach 6 Nr. 1 StGB gilt kraft des Weltrechtsprinzips deutsches Strafrecht fr ein im Ausland begangenes Verbrechen des Vlkermordes. Voraussetzung der Begrndung der deutschen Gerichtsbarkeit fr die Verfolgung von Straftaten, die von Auslndern im Ausland an Auslndern verbt worden sind, ist ferner, da der Anwendung deutschen Strafrechts ein vlkerrechtliches Verbot nicht entgegensteht47. Ferner bedarf es - ber den Wortlaut der Vorschrift hinaus - eines legitimierenden Anknpfungs- punktes im Einzelfall, der einen unmittelbaren Bezug der Strafverfolgung zum Inland herstellt; nur dann ist die Anwendung innerstaatlicher (deut- scher) Strafgewalt auf die Auslandstat eines Auslnders gerechtfertigt. Fehlt ein derartiger Inlandsbezug, verstt die Strafverfolgung gegen das Nichteinmischungsprinzip, da aus der vlkerrechtlich gebotenen Beach- tung der Souvernitt anderer Staaten folgt48.

    a) Einer Verurteilung des Angeklagten durch die deutsche Strafgerichts - barkeit aufgrund des Weltrechtsprinzips steht ein vlkerrechtliches Ver- bot nicht entgegen.

    46 Der Senat hatte bereits vor der Revisionshauptverhandlung die Verfolgung gem. 154a Abs. 2 StPO auf den Vorwurf des Vlkermordes beschrnkt und die tateinheitlich verwirk- lichten Delikte der Freiheitsberaubung und der gefhrlichen Krperverletzung aus dem Ver- fahren ausgeschieden. 47 BGH NStZ 1994, 232, 233 - Ermittlungsrichter mit zustimmender Anm. Oehler NStZ 1994, 485.

    48 Vgl. BGHSt 27, 30, 32; 34, 334, 336; BGHR StGB 6 Nr. 1 Vlkermord 1; BGH NStZ 1994, 232, 233; BGH NStZ 1999, 236; a.A. Eser in Schnke-Schrder, StGB 25. Aufl. 6 Rn. 1.

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  • 180 Marc Bungenberg

    za) Ein solches Verbot ist insbesondere nicht aus Art. VI der Vlker- mord-Konvention (Genozid-Konvention) vom 9. Dezember 194849 abzu- leiten, der die Aburteilung durch ein Gericht des Tatortstaates oder einen internationalen Gerichtshof vorsieht50. Da die Regelung nicht ab- schlieend ist und nicht abschlieend sein sollte, also die Aburteilung durch ein anderes nationales Gericht als das des Tatortes nicht verbietet, ergibt sich nicht nur aus ihrer Entstehungsgeschichte51; die Annahme, da Vlkermord nur durch das Tatortgericht oder einen Internationalen Gerichtshof geahndet werden drfte, wre vor allem mit der in Art. I der Konvention bernommene Verpflichtung der Vertragsstaaten, das welt- weit gechtete Verbrechen des Vlkermordes zu verhindern und zu bestrafen, nicht in Einklang zu bringen. Da die besonders schwer wiegen- den Flle des Vlkermords hufig durch den Heimatstaat der Opfer oder wenigstens mit dessen Duldung begangen werden, ist in der Regel eine effektive Strafverfolgung im Tatortstaat nicht zu erwarten52. An einem in der Genozid-Konvention vorgesehenen Internationalen Strafgerichtshof fehlte es bis zur Errichtung des Jugoslawien-Tribunals im Jahre 1993, des Ruanda-Tribunals im Jahre 1994 und des Stndigen Internationalen Gerichtshofs durch das - noch nicht in Kraft getretene - Rmische Statut vom 15. Juli 1998. Der Internationale Strafgerichtshof fr das ehemalige Jugoslawien kann derzeit allenfalls zehn Flle pro Jahr erledigen53, so da die Verfolgung schwerer, im Rahmen sog. Ethnischer Suberungen began- gener Verbrechen weiterhin den nationalen Gerichten obliegt.

    bb) Diese Auslegung der Vlkermordkonvention findet auch ihre Besttigung in Art. 9 Abs. 1 des Statuts des Jugoslawien-Strafgerichtshofs, der unabnhngig von Art. VI der Vlkermordkonvention eine konkurrie- rende Gerichtsbarkeit nationaler Gerichte fr die Verfolgung von Vlker- mord vorsieht. Htte die internationale Staatengemeinschaft die Regelung des Art. VI der Vlkermordkonvention als abschlieend angesehen, htte es nahegelegen, in Art. 9 des Statuts eine konkurrierende Gerichtsbarkeit des Tatortstaates Bosnien-Herzegowina bzw. weiterer aus dem Staate Jugoslawien hervorgegangener Staaten und nicht eine solche nationaler Gerichte allgemein zu konstituieren. Ferner hat der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag im Rahmen eines von Bosnien-Herzego- wina gegen die Bundesrepublik Jugoslawien angestrengten Klageverfah- rens am 11. Juli 1996 ein Zwischenurteil erlassen und darin u.a. entschie- den, da die in die Genozid-Konvention aufgenommenen Rechte und

    49BGB11954II729. wVgLJescheck, GA 1981, 49, 58; Dehler NStZ 1994, 485, a.A. noch in Dehler, Interna-

    tionales Strafrecht, 2. Aufl. Rn. 854, 892. 51 Vgl. Stillschweig, Die Friedens-Warte 1949, 93, 101 t. D Vgl. k^ampbell, zzU MOrS - JJer richtige weg zur Vernutung und rSestrarung von

    Genozid? (1986), S. 141. ^Louise Arbour, Chefanklgerin der Internationalen Strafgerichtshfe, in DRiZ 1998,

    495, 497 f.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 181

    Pflichten erga omnes (fr und gegen alle) gelten und die Verpflichtung jedes Staates, das Verbrechen des Vlkermordes zu verhten und zu bestrafen, durch die Konvention nicht territorial begrenzt ist54.

    cc) Aus dem Umstand, da die Vlkermordkonvention das Weltrecht- sprinzip nicht vorschreibt, folgt deshalb nur, da die Vertragsstaaten nicht verpflichtet sind, dieses Prinzip einzufhren55 und einen von einem Aus- lnder an Auslndern im Ausland begangenen Vlkermord zu verfolgen. Den Vertragsstaaten ist es vlkerrechtlich nicht verwehrt, bei der Verfol- gung des Vlkermords, dessen internationaler Charakter kraft Vlkerge- wohnheitsrechts56 und durch internationalen Vertrag anerkannt ist, inner- staatlich mehr zu tun als das vlkerrechtliche Minimum, das ihnen die Verfolgung von Auslandstaten nur unter einschrnkenden Voraussetzun- gen zur Pflicht macht57."

    Ein legitimierender Anknpfungspunkt sei vom Oberlandesgericht Dsseldorf zu Recht darin erblickt worden, da der Angeklagte von Mai 1969 bis Anfang 1992 seinen stndigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hatte, er auch danach noch in B. amtlich gemeldet war, seine deutsche Ehefrau und seine Tochter, die er auch nach der Tat mehrfach besuchte, nach wie vor in Deutschland leben, und er im Inland verhaftet worden ist, nachdem er sich freiwillig auf deutschen Boden begeben hatte. Allein dieser Inlandsbezug rechtfertige die Ausdehnung der deutschen Strafgewalt auf die Tat des Angeklagten58.

    Im den Entscheidungsgrnden hat sich der 3. Strafsenat des BGH des- weiteren mit der Frage des materiellrechtlichen Tatbegriffs beim Vlker- mord auseinandergesetzt59. Nach Ansicht des BGH ist 220a Abs. 1 StGB ein Straftatbestand, der nach seinem Wortlaut und auch nach seinem durch Auslegung zu ermittelndem Sinn auer einmaligen Handlungen auch mehrere natrliche Handlungen oder ganze Hand-lungskomplexe umschreibt60. Eine einzige materiellrechtliche Tat i.S.d. 220 a Abs.l StGB liege vor, wenn sich die tatbestandlichen Handlungen auf eine bestimmte, etwa durch ihren Lebensraum nher konkretisierte nationale, rassische, religise oder ethnische (Teil-)Gruppe bezgen und die mehreren Hand- lungen als ein einheitlicher rtlich und zeitlich begrenzter Lebenssachver- halt erschienen.61

    54 Vgl. International Court of Justice, Reports 1996, S. 595, 616. w Vgl. Zieher , Das sog. Internationale Stratrecht nach der Reform, S. 143. 56 Vgl. Roggemann, NJW 1994, 1436, 1437. 57 Gnhbohm in LK 1 1. Aufl. 6 Rn. 14; BGHSt 27, 30, 32 f. 58 BGHR StGB 6 Nr. 1 Vlkermord 1; Gnbbohm, a.a.O. 6 Rdn. 28; a.A. Oehler, NStZ 1994, 485: Wohnsitz im Inland allein gengt nicht.

    59 Vgl. hierzu auch die zusammenfassende Anmerkung von Wer/e, Anwendung deutschen Strafrechts auf Vlkermord im Ausland, JZ 1999, 1181, 1184. 60 Vgl. 3. LS, BGH-Urteil v. 30. April 1999 (Fn. 26).

    61 Vgl. 4. LS, BGH-Urteil v. 30. April 1999 (Fn. 26).

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  • 1 82 Marc Bungenberg

    3. Problembestimmung und weiterer Untersuchungsgang Bei der extraterritorialen Strafverfolgung von Drogendelikten war der

    Rechtsprechung des BGH zunchst nur eine Neigung" dahingehend zu entnehmen, zustzlich zum Weltrechtsprinzip einen legitimierenden Anknpfungspunkt zu verlangen. Im Zusammenhang mit den Kriegen im ehemaligen Jugoslawien wurde die deutsche Gerichtsbarkeit verstrkt mit der Frage konfrontiert, wann deutsche Gerichtsbarkeit bei der Verfolgung von Menschenrechtsverletzungen anzunehmen ist62. Bei der Verfolgung von Vlkermord entwickelte der BGH seine Rechtsprechung (berra- schenderweise) dahin, da er das Vorliegen eines zustzlichen legitimie- renden Anknpfungspunktes als zwingende Voraussetzung fordert. Nur dann sei die Anwendung innerstaatlicher (deutscher) Strafgewalt auf die Auslandstat eines Auslnders gerechtfertigt, ansonsten werde die Souver- nitt anderer Staaten miachtet63. Auch drohe mit der prinzipiellen nur durch 153c Abs. 1 Nr. 1 StPO eingeschrnkten Verpflichtung zu welt- weiter" Verfolgung von Straftaten die berforderung der inlndischen Strafverfolgung64.

    Gravierendere Verbrechen - hhere Anforderungen an die Vorausset- zungen bei der Strafverfolgungszustndigkeit? Auch wenn der zustzliche legitimierende Anknpfungspunkt bei Drogendelikten noch vertretbar erscheint65, so mu diese Begrndung bei Vlkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Frage gestellt werden66. Die eingangs aufge- worfenen Fragen gleichzeitig oder auch in beliebiger Reihenfolge beant- worten zu wollen, lt auen vor, da die Frage der Verfahrenseinstellung oder auch Absehen von Strafverfolgung eine generelle Zustndigkeit deut- scher Strafgewalt voraussetzt. Die Frage, ob eine Kompetenz ausgebt werden darf und ob hierzu gegebenenfalls eine Verpflichtung besteht, ver- langt, da berhaupt eine allgemeine Zustndigkeit gegeben ist67.

    62 Derzeit laufen ca. 45 Ermittlungsverfahren wegen Vlkermordes im ehemaligen Jugos- lawien. Bislang muten sich 4 Personen vor Gericht verantworten, zwei der Verfahren sind rechtskrftig abgeschlossen. 63 Unter Verweis auf BGHSt 27, 30, 32; 34, 334, 336; BGHR StGB 6 Nr. 1 Vlkermord 1; BGH NStZ 1994, 232, 233; BGH NStZ 1999, 236; a.A. Eser in Schnke-Schrder, StGB, 25. Aufl., S 6 Rn. 1.

    64 BGH 2 A Rs 499/98 = BGH NStZ 1999, 236. 65 Vgl. insofern auch Kunig, (Fn. 31). 66 So auch Ambos, Anmerkung zum Vlkermord-Urteil des BGH v. 30. April 1999, NStZ

    1999, 404. b/ Als anschauliches Beispiel kann hier das huropaische Cjemeinschattsrecht dienen. Mit

    dem Vertrag ber die Europische Union wurde 1993 das Subsidiarittsprinzip eingefgt. Die Anwendung dieses Prinzips setzt bereits durch seinen Wortlaut voraus, da die Gemein- schaft die zur Regelung einer bestimmten Materie erforderliche Kompetenz besitzt. Sodann, also nach Feststellung einer Handlungskompetenz seitens der Gemeinschaft, wird durch eine Subsidiarittsprfung ermittelt, ob die Gemeinschaft diese Kompetenz auch ausben darf oder ob die Ziele der in Betracht gezogenen Manahmen auf Ebene der Mitgliedstaa- ten" erreicht werden knnen. Vgl. hierzu Epiney, Das Subsidiarittsprinzip - Eine Kompe- tenzausbungsregel zur Begrenzung gemeinschaftlicher Ttigkeit, AJP 1993, 950 ff.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 83

    Das Handeln der Staaten ist an daran zu messen, ob erstens ein Staat auf einen Auslandssachverhalt berhaupt sein Recht anwenden darf und, des- weiteren, welcher Staat eine strkeres Recht zur Regelung hat , wenn zwei oder mehr Staaten generell zustndig sind. Fr die Beantwortung der Frage der Voraussetzungen und gegebenenfalls der Verpflichtung zur extraterritorialen Strafverfolgung bietet sich eine abgeschichtete Untersu- chung an68, und zwar zunchst - die Prfung einer allgemeinen Begrndung der Zustndigkeit, sodann, - ob ein Staat eine allgemein bestehende Zustndigkeit auch ausben darf und ob gegebenenfalls eine Verpflichtung zur Strafverfolgung besteht.

    III. Generelle Strafverfolgungszustndigkeit eines Staates Bei Sachverhalten mit internationalem Bezug bzw. bei Auslandsstrafta-

    ten ist die Anwendung der Strafgewalt und des eigenen nationalen Straf- rechts durch das internationale Strafrecht geregelt. Im deutschen Recht finden sich diese Vorschriften in den 3 bis 7 StGB. Aus der Anwendung des deutschen Strafrechts auf einen Auslandssachverhalt folgt generell, da dieser der deutschen Strafgewalt unterliegt. Diese Normen haben insofern mittelbar prozessuale Bedeutung, als sie dafr magebend sind, ob ein Verfahren wegen einer Auslandstat durchgefhrt werden kann. In der Regel stimmen nationale Strafgerichtsbarkeit und Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts berein69, die Gerichtsbarkeit wird aus dem Anwendungsrecht indiziert70.

    Fr die Durchfhrung der Grundstze des internationalen Strafrechts verbleibt den Staaten, wie bereits der Stndige Internationale Gerichtshof (StIGH) in seiner Lotus-Entscheidung"71 festgestellt hatte, ein weiter Spielraum. Das Vlkerrecht selbst gibt keine genauen Anknpfungspunk- te vor. Der StIGH ging im Fall Lotus" davon aus, da keine Vermutung fr eine Einschrnkung der Unabhngigkeit der Staaten besteht. Die Gerichtsbarkeit sei zwar insoweit rumlich beschrnkt als sie nicht auf dem Gebiet eines anderen Staates ausgebt werden drfe; daraus folge

    68 Zur Unterscheidung zwischen Begrndung und Ausbung der Zustndigkeit siehe Meessen, Vlkerrechtliche Grundstze des internationalen Kartellrechts, Baden-Baden 1975, S. 85, S. 87 ff., S. 173 ff.

    69 Vgl. Jescheck/Weigand, Lehrbuch des Strafrechts, Allgemeiner Teil, 5. Aufl., 1996, 18 III 3.

    /u So Lagody, Anmerkung zum Urteil des BayOblG v. 23. Mai 1997-3 M 20/96, JK 1998, 472, 473. Auch der BGH folgert aus der Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts das Vor- liegen der deutschen Gerichtsbarkeit, vgl. z.B. BGHZ 27, 30, 32; BGH, NStZ, 1999, 396, 397 f. (3. Die Geltung des deutschen Straf rechts und damit auch die deutsche Gerichtsbarkeit ergeben sich im vorliegenden Fall im brigen auch aus 7 II Nr.2 StGB."); andere Auffas- sung des BGH allerdings nunmehr in BGH-NStZ 1999, 236, Beschlu v. 11. Dezember 1998; BGH-StV 1999, 240, Beschl. v. 11. Februar 1999 sowie in BGHSt 45, 64, Beschlu v. 30. April 1999.

    71 CPJI Serie A: Recueil des Arrts, No 10; Urteil No 9.

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  • 184 Marc Bungen berg

    aber nicht, da das internationale Recht einem Staat untersagt, auf seinem Gebiet Gerichtsbarkeit in allen Fllen auszuben, in denen ein Tatbestand vorliegt, der sich im Ausland ereignet hat. Unter diesen Umstnden knne man von einem Staat nur verlangen, da er die Grenzen nicht berschrei- tet, die das internationale Recht seiner Zustndigkeit zieht; innerhalb die- ser Grenzen findet sich die Grundlage fr die Ausbung der Gerichtsbar- keit in seiner Souvernitt.

    Es ist also grundstzlich zulssig, den sachlichen Anwendungsbereich einer Norm ber das eigene Territorium hinaus auf Auslandssachverhalte zu erstrecken72. Die berwiegende Lehre zieht das genuine link"-Erfor- dernis heran, demzufolge ein Staat dann extraterritorial ttig werden kann, wenn er zu dem Regelungsgegenstand einen sinnvollen Anknpfungs- punkt aufweisen kann73. Diese Voraussetzung wird grundstzlich ange- nommen, wenn der den Auslandssachverhalt regelnde Normtatbestand zugleich einen mit diesem substantiell hinreichend verknpften" Inlandssachverhalt betrifft74. Heute anerkannte Anknpfungspunkte fr die Ausbung der staatlichen Strafgerichtsbarkeit sind das Territorialitts- prinzip75, das aktive76 und passive77 Personalittsprinzip, das Real- und Schutzprinzip78, das Prinzip der stellvertretenden Strafrechtspflege79 sowie das Weltrechtsprinzip. Letzteres ist fr die hier vorgenommene Betrachtung von besonderer Bedeutung: Das Weltrechtsprinzip ermg- licht die Anwendung des am Ergreifungsort des Tters geltenden Straf- rechts80. Es findet seine Grundlage in der internationalen Solidaritt bei der Verbrechensbekmpfung81. Die materielle Rechtfertigung der Straf- verfolgung nach dem Weltrechtsprinzip ergibt sich aus der Tatsache, da der Tter bestimmter vlkerrechtlicher Verbrechen wie z.B. Vlkermord als Feind aller Rechtsordnungen anzusehen, die Tat fr alle Staaten gleich gefhrlich ist und alle Staaten als Teil der Vlkergemeinschaft bei bestimmten Verbrechen mitbetroffen sind82. Wie in der Literatur83 ausge-

    72 Vgl. Epping, Die Novellierungen im Bereich des Rstungsexportrechts, RIW 1991, 465, 468; Ipsen-Gloria, Vlkerrecht, 4. Aufl., 1999, 23 Rn. 93 ff. 73 So Ziegenhain, Extraterritoriale Rechtsanwendung und die Bedeutung des Genuine- Link-Erfordernisses, 1992, S. 4, m.w.N.

    74 Vgl. Ziegenhain (Fn. 73), S. 4. 75 Vgl. (Dehler, Internationales Strafrecht, 2. Aufl., Kln 1983, S. 155 ff.; Brownlie, Princi- ples of Public International Law, 5th ed., 1998, S. 303.

    76 Vgl. Oehler (Fn. 75) S. 443; Brownlie (Fn. 75); S. 306. Vgl. auch Holthausen, Auslands- taten Deutscher und das vlkerrechtliche Interventionsverbot, NJW 1992, 214 ff.

    n Vgl. Dehler (Fn. 75), S. 413; Brownlie (Fn. 75), i>. 306. 78 Vgl. Oehler (Fn. 75), S. 367 ff. 79 Vgl. Oehler (Fn. 75), S. 497 tt. u Schnke-Schrder-tser, Kommentar zum btGb, 24. Aufl., Vorbem. 3-7, Kn. 8. 81 Strittig, vgl. die Nachweise bei Roggemann, Die Internationalen Strargenchtshore, 2.

    Aufl., 1999, S. 52. 82 Oehler (Fn. 75), S. 532. ^Werle, (Fn. 59), 1183.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 1 85

    fhrt, ist daher legitimierender Anknpfungspunkt fr die Strafbefugnis von Drittstaaten gerade der Unrechtsgehalt des Vlkermordes selbst. Der materielle Gehalt des Verbrechens schafft den Inlandsbezug."84 Des- halb kann der Ergreifungsstaat ohne Rcksicht auf das Tatortstrafrecht, die Staatsangehrigkeit von Tter und Opfer sowie die Auslieferungs- mglichkeiten aus eigenem Recht vorgehen85.

    In Deutschland findet das Weltrechtsprinzip in den in 6 StGB aufge- listeten Verbrechen, darunter Vlkermord, Anwendung. Wird also Vl- kermord im Land X begangen, so ist nach dem Wortlaut des Gesetzes bei einer Verfolgung der Straftat in Deutschland die deutsche Gerichtsbarkeit gegeben und das deutsche Srafrecht anwendbar.

    IV. Die Befugnis zur Ausbung der allgemeinen Zustndigkeit Unterliegt ein Sachverhalt der Anwendung deutschen Strafrechts, stellt

    sich aber die Frage, ob Staatsanwaltschaft und Strafgericht unter Umstn- den daran gehindert sein knnen, deutsche Strafgewalt auszuben. Gene- rell ist anerkannt, da ein Staat bei beabsichtigten Handlungen, welche extraterritoriale Sachverhalte betreffen, die allgemeinen Grundstze des Vlkerrechts zu beachten hat86.

    1. Zustndigkeitsausbungsbeschrnkung (bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Vlkermord)

    aufgrund des Prinzips der Nichteinmischung? 7m diesen vlkerrechtlichen Schranken gehrt insbesondere das Prinzip

    der Nichteinmischung87. Der BGH sieht bei extraterritorialer Strafverfol- gung generell Probleme aufgrund des der Souvernitt der anderen Staa- ten entspringenden Prinzips der Nichteinmischung; um gegen dieses Prin- zip nicht zu verstoen, verlangt er einen zustzlichen Anknpfungspunkt unabhngig davon, ob es sich hier um Drogendelikte oder um Vlker- mord handelt. Nach dem Prinzip der Nichteinmischung88 soll das politi- sche, wirtschaftliche und kulturelle Selbstbestimmungsrecht der Staaten

    84 Werle, (Fn. 83). ^Oehler (Fn. 75), S. 541. 86 Nach der Lotus-Entscheidung (vgl. Fn 71) drfen die durch das internationale Recht

    gezogenen Grenzen nicht berschritten werden. Vgl. auch Berber , Vlkerrecht Bd. 1, 2. Aufl.; Bd. I, S. 185 f.; Dahm (Fn. 28), S. 250; Wengler, Vlkerrecht, 1964, Bd. 2, S. 1035; Wild- haber > Jurisdiktionsgrundstze und Jurisdiktionsgrenzen im Vlkerrecht, SJBIR 1985, 99 ff. 87 Vgl. u.a. Meessen (Fn. 68), S. 200 ff.; Brownlie (Fn. 75), S. 313. Nach Auffassung von Mayer, Vlkerrecht und internationales Straf recht, JZ 1952, 609, 610, wird fremde Souver- nitt verletzt, wenn der inlndische Staat von eigenen oder fremden Staatsangehrigen fr seine Normen Gehorsam auf fremden Hoheitsgebiet fordert und den angeblichen Unge- horsam bestraft.

    88 Zur Abgrenzung der Einmischung von der Intervention Uppermann, Nichteinmi- schung in innere Angelegenheiten, ADV 1969/70, 321.

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  • 186 Marc Bungenberg

    geschtzt sein89, also seine Personal-, Territorial- und Ordnungshoheit und damit seine Lebens- und Werteordnung. Grundstzlich umfat dies auch das Freisein von jurisdiktioneller Einmischung"90.

    Eine Einmischung in die domaine reserv ist grundstzlich vlker- rechtswidrig. Zhlt also die Behandlung und der Schutz der eigenen Staatsangehrigen immer zum Bereich der domaine reserv? Sollte dies zu verneinen sein, stellt sich im Rahmen einer Interessenabwgung die Frage nach der sonstigen Vlkerrechtswidrigkeit der jeweiligen Handlung. Hiervon ist auszugehen, wenn die Interessen des betroffenen Staates an dem Ausbleiben der Strung die Interessen des handelnden Staates am Erla des betreffenden Hoheitsaktes berwiegen91 - dann hat eine Aus- bung der bestehenden Zustndigkeit zu unterbleiben.

    a) Internationalisier ung des Menschenrechtsschutzes und domaine reserv Der Tatbestand der unzulssigen Einmischung wird angenommen,

    wenn ein Staat eine Regelungs- oder Mitsprachekompetenz in einer Frage in Anspruch nimmt, die zur domaine reserv zhlt und fr deren Rege- lung ein anderer Staat ausschlielich zustndig ist92. Hierunter fallen nur diejenigen Angelegenheiten, die nicht Gegenstand vlkerrechtlicher Rege- lungen geworden sind93, z.B. die Verfassung eines Staates. Die domaine reserv findet ihre Begrenzung in vlkerrechtlichen Regelungen94, ist folglich in ihrem Umfang vernderlich95. Der Menschenrechtsschutz stellt

    89 Im Jahr 1965 verurteilte die Generalversammlung der Vereinten Nationen in ihrer Declaration on the inadmissability of the intervention in the domestic affairs of States and the protection of their sovereignty" (Res. 2131 (XX), GAOR, 20th Session, Supp. No. 14) nicht nur bewaffnete Interventionen, sondern auch alle sonstigen Formen der Einmischung und Zwangsausbung als vlkerrechtlich unzulssig. hnlich in der Friendly-Relations Declaration von 1970 (Declaration on Principles of International Law concerning Friendly Relations and Cooperation among States in Accordance with the Charter of the United Nations" v. 24. Oktober 1970, Res. 2625 (XXV), GAOR, 25th Session, Supp. No. 18. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Charta ber die wirtschaftlichen Rechte und Pflichten der Staaten" v. 12. Dezember 1974, Res. 3281 (XXIX), die Erklrung ber die Unzulssigkeit von Interventionen und Einmischung in die inneren Angelegenheiten von Staaten" v. 9. Dezember 1981 (Res 36/103) sowie die Erklrung ber die Steigerung der Effektivitt des Grundsatzes, sich der Androhung oder Ausbung von Gewalt in den internationalen Bezie- hungen zu enthalten" v. 18. November 1987 (Res. 42/22). vu Vgl. Kajjanke, Nationales Wirtschartsrecht und Internationale Wirtschartsordnung, 1990, S. 340. 91 Meessen (Fn. 68), S. 227. 92 Berber (Fn. 86), Bd. 1, S. 187; Geiger, Grundgesetz und Vlkerrecht, 1985, S. 327; Ver-

    dross/Simma, Universelles Vlkerrecht, 3. Aufl., 1984, S. 301. 93 Vgl. insofern Geck, Internationaler Schutz von Freiheitsrechten und nationale Souver-

    nitt, JZ 1980, 73, 74. V4Az. Lottier, Die Anwendbarkeit von vlkerrechtlichen Normen im innerstaatlichen

    Bereich als Ausprgung der Konstitutionalisierung des Vlkerrechts, SZIER 1999, 403, 411. 95 Schon der StIGH hat restgestellt, da La question de savoir si une certaine matire ren- tre ou ne rentre pas dans le domaine exclusif d'un Etat est une question essentiellement rela- tive: elle dpend du dveloppement des rapports internationaux." (Fall der Staatsangehrig- keitsdekrete in Tunesien und Marokko, Avis consultatif v. 7. Februar 1923, Serie B/4 S. 24).

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 187

    einen der dynamischsten Entwicklungsprozesse des modernen Vlker- rechts dar. Er ist mittlerweile eine Angelegenheit of international con- cern" geworden. Die grundlegenden Menschenrechte wurden zum Gegenstand vieler internationaler Vereinbarungen gemacht96. Hinsichtlich des Bestrebens der Ausdehnung des Menschenrechtsschutzes sind auch die Entwrfe eines internationalen Strafgesetzbuches der International Law Commission ber Verste gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit anzufhren97. 1991 schlielich hat die Resolution 688 des UN-Sicherheitsrates anerkannt, da die Miachtung und die Verletzung der elementaren Menschenrechte den internationalen Frieden und die Sicherheit bedroht und nicht mehr als eine innere Angelegenheit betrach- tet werden kann98. Einen letzten Hhepunkt in dieser Entwicklung setzte die Staatengemeinschaft nach der Errichtung der ad-hoc Tribunale fr das ehemalige Jugoslawien99 und Ruanda100 mit der Verabschiedung des Statu- tes ber den stndigen Internationalen Strafgerichtshof am 17. Juli 1998101.

    Es werden Rechte des Individuums vlkervertraglich zumindest ihrem Inhalt nach garantiert und internationale Mindeststandards festgelegt. Die Wiener Menschenrechtskonferenz der Vereinten Nationen 1993 hat das Leitprinzip der in den angefhrten Konventionen verankerten universel- len Geltung der Menschenrechte besttigt102. Mehr als treffend ist daher die uerung des Strafgerichtshofes fr das ehemalige Jugoslawien, da im Vlkerrecht der State-Sovereignty-orientated approach" einem human-being-orientated approach" Platz gemacht habe103. Verschiedene dem internationalen Menschenrechtsschutz dienende vl-

    kerrechtliche Abkommen sehen bei der Zustndigkeit zur Strafverfolgung das Weltrechtsprinzip vor, so beispielsweise die UN-Folterkonvention104,

    96 Die UN-Charta (Int. Quelle: UNTS Bd. 557, S. 143, in Deutschland siehe BGBl. 1973 II 431) betont bereits in ihrem Art. 1 die Achtung vor den Menschenrechten und den Grundfreiheiten fr alle"; siehe hinsichtlich vlkervertraglichen Menschenrechtsschutzes auch die umfangreichen Nachweise bei Ipsen (Fn. 72), 10. Kapitel; sowie die Textsammlung Menschenrechte" von Simma/Fastenrath, 4. Aufl., 1996.

    97 Draft Code of Offences Against the Peace and the Security of Mankind" v. 19. Juli 1954 (vgl. U.N. GAOR Supp. (Nr. 9), S. 11, UN-Doc. A/26/93 (1954)), sowie die Folgeentwrfe von 1978 bis 1991 Draft Code of Offences Against the Peace and the Security of Mankind, 19. Juli 1991 (vgl. in ILC-Report von 1991, Supp. Nr. 10 (A/46/10), S. 328). 9 Vgl. S/RES/688 (1991) v. 5. April 1991.

    " biee tn. v. 100 Siehe Fn. 21. 101 Siehe Fn. 22. 102 Vgl. Wiener Erklrung und Aktionsprogramm v. 25. Mrz 1993, Ziti. 1, abgedruckt

    inEuGRZl993, 520, 521. 103 Decision in Prosecutor v. Tadic, Establishment of the International Tribunal, Case No.

    IT-94-1-AR 72 vom 2. Oktober 1995; abgedruckt in 35 ILM (1996), S. 32 ff. = 16 HRLJ 1995, 437 ff, para. 96 f.; vgl. hierzu Kre (Fn. 3), EuGRZ 1996, 638 ff.; ders., Staat und Individu- um in Krieg und Brgerkrieg, NJW 1999, 3077 ff. 104 Siehe Art. 6 der Folterkonvention (Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung vom 10. Dezember 1984 (BGBl. 1990 II 2477).

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  • 188 Marc Bungenberg

    die Genfer Konventionen von 1949105 oder auch die Apartheid-Konventi- on106. Andere Abkommen ermglichen extraterritoriale Strafverfolgung nach dem Weltrechtsprinzip in den Fllen, in denen eine Auslieferung in den Tatortstaat nicht stattfindet bzw. von diesem nicht um eine Ausliefe- rung ersucht wird107.

    Die Genozid-Konvention vom 9. Dezember 1948108 sieht allerdings fr die Verfolgung und Bestrafung von Personen, die sich des Genozids schuldig gemacht haben109, nach ihrem Art. VI lediglich die Zustndigkeit eines internationalen Strafgerichtes oder des Staates, in dem das Verbre- chen begangen wurde, vor. Nach berwiegender Auffassung bleibt aber eine Strafbarkeit derartiger Taten nach dem Weltrechtsprinzip dennoch bestehen110, da in der Konvention lediglich gewohnheitsrechtliche Prinzi- pien verankert worden seien111. Die Entstehungsgeschichte der Konventi- on wie auch deren Art. I belegen, da durch die Konvention keineswegs die Ausbung strafrechtlicher Jurisdiktion durch die Einzelstaaten ausge- schlossen werden sollte.

    Diese Auffassung hatten auch die Gerichte Israels im Eichmann-Proze zugrunde gelegt, um die Zustndigkeit israelischer Strafgerichtsbarkeit zu

    105 Vgl. die Genfer Abkommen vom 12. August 1949 (BGBl. 1954 II 783, 813, 838 und 917) sowie das II Zusatzprotokoll v. 8. Juni 1977.

    10*Vgl. z.B. Art. V der Apartheid-Konvention (1973, G.A. Res. 3068 (XXV111), abge- druckt in VN 1975, S. 28); Art. 9 I des Internationalen bereinkommens zur Bekmpfung der Falschmnzerei v. 20. April 1924 (RGBl. 1933 II 914), das bereinkommen ber die Hohe See v. 25. April 1958 (BGBl. 1972 II 1089) sowie Art. 105 des Seerechtsbereinkom- mens der Vereinten Nationen v. 10. Dezember 1982 (BGBl. 1994 II 1799) bzgl. der Piraterie; str. hinsichtlich des bereinkommens ber die Sklaverei v. 14. Januar 1929 (RGBl. 1929 II 64) sowie das Zusatzabkommen hierzu v. 7. September 1956 (BGBl. 1958 II 263).

    107 Z.B. bestimmt die Convention for the Suppression of the Illicit Traffic in Dangerous Drugs v. 26. Juni 1936 (UNTS vol. 198, 193 ff.) fr Auslnder wegen Auslandstaten nach einem abgelehnten Auslieferungsantrag die eigene Zustndigkeit; das bereinkommen zur Bekmpfung widerrechtlicher Inbesitznahme von Luftfahrzeugen v. 16. Dezember 1970 (Haager Konvention) legt fest, da der Verdchtige, der nicht ausgeliefert wird, in dem Staat, in dem er sich befindet, von dessen Gerichtsbarkeit erfat sein soll, hnlich auch das be- reinkommen zur Bekmpfung widerrechtlicher Handlungen gegen die Sicherheit der Zivil- luftfahrt v. 23. September 1971 (BGBl. 1977 II 1230) (Montrealer Konvention) sowie das bereinkommen gegen Geiselnahme v. 18. Dezember 1979 (BGBl. 1980 II 1361). Nach dem Europischen bereinkommen zur Bekmpfung von Terrorismus vom 27. Januar 1977 (BGBl. 1978 II 321) besteht die Mglichkeit der Zustndigkeitsbegrndung nach dem Welt- rechtsprinzip, wenn ein um die Auslieferung ersuchendes Land ebenfalls eine Zustndig- keitsbegrndung nach dem Weltrechtsprinzip vorsieht.

    10Vel. BGBl. 1954 11730. 109 Art. II der Konvention enthlt eine Beschreibung der einzelnen Tatbestnde des Vl-

    kermordes. 110 Vgl. insofern auch Jesch eck, Entwicklung, gegenwartiger Mand und Zukunttsaussich-

    ten des internationalen Straf rechts, G A 1981, 49. 111 So auch der IGH in Advisory Opinion on Reservations to the Convention on the Pre-

    vention and Punishment of the Crime of Genocide", ICJ Rep. 1951, 22; vgl. insofern auch die Separate Opinion von Lauterpacht in der Sache Bosnien-Herzegowina/Jugoslawien Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Geno- cide (Provisional Measures)", Order of 13 September 1993, ICJ Reports 1993, 325, 439 f. (para. 100).

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 189

    begrnden112. Der District Court of Jerusalem kam hier zu dem Ergebnis, da eine extraterritoriale Strafverfolgung Eichmanns durch ein israelisches Gericht im Einklang mit den vlkerrechtlichen Grundstzen ber Straf- verfolgung stehe113. Zum Nachweis, da bei den angeklagten Verbrechen das Universalittsprinzip gilt, wurden die Nrnberger Prozesse und die vorhandene Literatur114 herangezogen. Desweiteren sei auch der bei Anwendung des Weltrechtsprinzips von Teilen der Literatur fr erforder- lich gehaltene Anknpfungspunkt" nach Israel gegeben. Hier stellte der District Court aber ausdrcklich115 heraus, da es sich bei einem solchen zustzlichen Anknpfungspunkt nur um eine weitere Mglichkeit der Zustndigkeitsbegrndung handelt116. Diese israelische Rechtsprechung wurde spter durch den US Court of Appeals for the Sixth Circuit im Fall Demjanjuk besttigt117.

    Auch im Strafgesetzbuch der Verbrechen gegen den Frieden und die Sicherheit der Menschheit" der International Law Commission aus dem Jahre 1996118 wird festgelegt, da die dort aufgefhrten Straftaten - dar-

    112 Vgl. Attorney-General of the Government of Israel v. Adolf Eichmann, ILR 36 (1968) 5 ff.: ... . the universal power granted to every State to prosecute cases of this type that took place in the past, a power which is based on customary international law. ..."; vgl. hierzu Baumann, Gedanken zu Eichmann-Urteil, JZ 1963, 110 t.; Jger, Betrachtungen zum Eich- mann-Proze, MschrKrim 1962, 73 ff.; Green, The Eichmann Case, The Modern Law Review 1960, 507 ff.

    113 Die in Frage stehenden Verbrechen htten universellen Charakter, betrfen die ganze Menschheit und erschtterten das Gewissen jeder Nation. Eine internationale Strafverfol- gungsinstanz existiere nicht. Eine Strafverfolgung dieser Verbrechen, die gegen das Vlker- recht selbst verstoen wrden, sei durch die einzelnen Staaten erforderlich. Daher sei die Straf rechtshoheit in diesen Fllen universal - jeder Staat sei zur Bestrafung nach den fr diese Flle in der nationalen Strafeerichtsordnung vorgesehenen Normen zustndig.

    114 H. Grotius, De iure belli ac pacis, Buch II; Donnedieu de Wahres, Les Principes Moder- nes du Droit Pnal International, 1928, S. 128; Vattel, Le Droits des Gens, 1758, I, Kap. 19, Abschn. 232; Wheaton, Elements of International Law, 5th English Edition, 1916, S. 184; Hyde, International Law, 2. Aufl. 1947, Bd. 1, S. 804; Glaser, Interfraction Internationale, 1957, S. 31; Cowles, University of Jurisdiction over War Crimes, Calif. Law Review 1945, S. 117.

    115 Vgl. Attorney-General of the Government of Israel v. Adolf Eichmann (Fn. 112), Punkt 31.

    116 Der District Court verkndete am 17. April 1961 seinen Zustndigkeitsbeschlu; das Urteil selbst wurde am 11./12. Dezember 1961 verkndet; am 15. Dezember 1961 erfolgte der Ausspruch des Strafmaes (Todesstrafe); gegen dieses Urteil legte die Verteidigung am 17. Dezember 1961 Rechtsmittel ein. Die Revisionsverhandlung begann am 22. Mrz 1961 vor dem Obersten Gerichtshof Israels. Die Verwerfung des Rechtsmittels erfolgte am 29. Mai 1962, die Vollstreckung des Todesurteils erfolgte unmittelbar nach Ablehnung des Gna- dengesuchs am 31. Mai 1962.

    il7 Vgl. J. Demjanjuk v. J. Petrovsky et al., 776 F2nd 571 (582): ... some crimes are so uni- versally condemned that the perpetrators are enemies of all people. Therefore, any nation which has custody of the perpetrators may punish them according to its law ...". Dieses Ver- fahren betraf die Auslieferung von John Demjanjuk nach Israel. Die Auslieferung Demjan- juks in ein um diese ersuchendes Land (Israel), auf dessen Territorium keine der Straftaten begangen worden waren, sei zulssig. "8 Siehe Fn.14.

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  • 1 90 Marc Bungenberg

    unter finden sich auch Vlkermord sowie Verbrechen gegen die Mensch- lichkeit - nach dem Weltrechtsprinzip verfolgt werden sollen119. In der Literatur120 wird diesbezglich angemerkt, da die Unvollstndigkeit der Genozid-Konvention nunmehr de lege ausgeglichen werden wrde. Auch wenn dem Text keine verbindliche Wirkung gegeben werde, so stelle er doch einen Ausdruck des derzeit bestehenden Standes des Vlkerge- wohnheitsrechts dar. Diese allgemeine Entwicklung hinsichtlich univer- seller Strafverfolgung spiegelt sich in dem nationalen Recht der einzelnen Staaten121 sowie in der Rechtsprechung nationaler122 und internationaler Gerichte123 wider. Besonders weitgehend ist hier das die amerikanische Rechts- und Verwaltungspraxis wiedergebende Restatement 3rd124.

    Es kann insofern als gesichert gelten, da in dem Falle, da es sich bei der Verfolgung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit sowie bei Vl- kermord um vlkerrechtliche Verbrechen" handelt125, es nicht mehr um eine Angelegenheit geht, welche die domaine reserv" berhrt126. Wenn es weiter aufgrund der Folterkonvention einem jeden Staat gestattet ist, Jurisdiktion bei dem Verbrechen der Folter unabhngig von Staatsan- gehrigkeit und Begehungsort auszuben, so mu dies erst recht fr Vl- kermord gelten.

    119 Without prejudice to the jurisdiction of an international criminal court, each State Party shall take such measures as maybe necessary to establish its jurisdiction over the cri- mes set out in articles 17, 18, 19 and 20, irrespective of where or by whom those crimes were committed. ..." (Article 8 - Establishment of jurisdiction).

    120 Vgl. insofern auch Tomuschat (Fn. 118), 7. 121 Vgl. z.B. Italien: Art. 7 MGB; Norwegen: Art. 12 IN r. 4a Mbti; Usterreich: mit Ein- schrnkungen 64 und 65 StGB, vgl. Mayerbofer, Knnen Kriegsverbrechen auf dem Gebiet des ehem. Jugoslawien von sterreichischen Gerichten verfolgt werden?, JBl 1994, 567 ff.; Belgien: u.a. Art. 10 Abs. 3 i.V.m. 6 Abs. 3 CPP; Frankreich: Art. 1 13 CP, 212 CP, 689 CP; Schweden: Kap. 2 3 Nr, 6 KrimGB; Art. 23 Abs. 4 LOPJ (Spanien), Art. 6 Schweizer StGB, siehe auch die bersichtliche Darstellung Universal Jurisdiction in Europe - Law and Cases in Ten European Countries", abrufbar im Internet unter: http://www.redress.org/ annex.html.

    122 So der BGH in seiner Entscheidung vom 30. April 1999 (r-n. 26), der b ourt ot Appeals for the Sixth Circuit in der Demjanjuk-Entscheidung (Fn. 117) sowie der District Court of Jerusalem in der Eichmann-Entscheidung (Fn. 112); s. auch die Auflistung und Kurzzusammenfassung von Fllen dem Report Universal Jurisdiction in Europe", Fn. 121.

    123 Vgl. ICJ Reports 1951, 22 ff. (Fn. 111); ICJ Reports 1996, 595 tt. (Fn. 111). 12* In 404 des die amerikanische Maatenpraxis widerspiegelnden restatement or roreign Relations Law, 3rd, des American Law Institute von 1987 wird ausgefhrt: A state has juris- diction to define and prescribe punishment for certain offences recognized by the commu- nity of nations as of universal concern, such as piracy, slave trade, attacks on or hijacking of aircraft, genocide, war crimes ...".

    125 Vgl. hinsichtlich der Unterscheidung zwischen vlkerrechtlichen Verbrechen und vl- kerrechtlichen Delikten Gading, Der Schutz grundlegender Menschenrechte durch militri- sche Manahmen des Sicherheitsrates - das Ende staatlicher Souvernitt?, 1996.

    126 Vgl. in diese Richtung argumentierend beispielsweise 1 hurer, Vom Nrnberger Inbu- nal zum Jugoslawien-Tribunal und weiter zu einem Weltstrafgerichtshof?, SZIER 1993, 491, 505; Ambos, NStZ 1999, 138; ders., NStZ 1999, 404, 405 f.; Bryde, Verpflichtungen erga omnes aus Menschenrechten, BDGV Bd. 33, S. 165 ff.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 191

    h) Die erga omnes Verpflichtungen im Vlkerrecht Dies wird auch durch die Rechtsprechung des Internationalen Gerichts-

    hofes (IGH) ber die Verpflichtungen erga omnes besttigt. In einem obi- ter dictum in der Barcelona Traction Entscheidung127 hat der IGH erst- mals explizit das Bestehen von erga omnes Verpflichtungen angenommen. Hierunter sind solche Verpflichtungen zu verstehen, die der Staatenge- meinschaft in ihrer Gesamtheit geschuldet werden128. Als Beispiele fr erga omnes Verpflichtungen des geltenden Vlkerrechts nennt der IGH in der Barcelona Traction Entscheidung das Verbot der Aggression, des Genozids und die Verpflichtung zur Achtung der fundamentalen Men- schenrechte einschlielich des Verbots der Sklaverei und der Rassendis- kriminierung. Bei einer Verletzung dieser Verpflichtungen und Rechte erga omnes darf sich im Gegenzug jeder Staat als verletzt betrachten. Die Verpflichtungen erga omnes schtzen Werte, die als Gemeinschaftsinter- essen angesehen werden und begrnden ein Recht aller Staaten auf Ein- haltung der der Gemeinschaft geschuldeten Verpflichtungen129. Daher sind diese Werte der Disposition der einzelnen Staaten entzogen130. Da ein zentralisierter kollektiver und multilateraler Mechanismus zur Durchset- zung der Menschenrechte und zur Verfolgung von Versten (noch) fehlt131, mu es dritten Staaten mglich sein, nicht nur vor dem IGH gegen den verletzenden Staat zu klagen132, sondern auch einseitig Manahmen, wie z.B. eine Strafverfolgung von diese Werte verletzenden Personen zu unternehmen. Erga omnes-Anwendung und -Schutz der Menschenrechte basieren folglich gerade auf der Voraussetzung, da die Beachtung der Menschenrechte nicht nur der Jurisdiktion des Staates unterliegt, in wel- chem die Verletzungen stattgefunden haben, sondern legitimes Interesse aller Staaten ist. In dem Falle der crimes under international law" ist daher aus vlkerrechtlicher Sicht keine weitere Verbindung zu dem das

    127 Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited", ICJ Reports 1970, 1, 32, wo der IGH ausfhrt, da ... an essential distinction should be drawn between the obliga- tions of a State towards the international community as a whole, and those arising vis--vis another State in the field of diplomatic protection. By their very nature the former are the concern of all States. In view of the importance of the rights involved, all States can be held to have a legal interest in their protection; they are obligations erga omnes." 128 Bei den erga omnes Verpflichtungen des allgemeinen Vlkerrechts verweist der Gerichtshof auf sein Gutachten zur Genozid Konvention, wobei dieser Verweis so zu ver- stehen ist, da die in dieser Konvention enthaltenen Normen nicht nur vertraglichen Cha- rakter haben, sondern auch Bestandteil des allgemeinen Vlkerrechts sind (so auch Annacker, Die Durchsetzung von erga omnes Verpflichtungen vor dem Internationalen Gerichtshof, Wien 1993, S. 15 f.).

    129 Vgl. Annacker, (Fn. 128), S. 67. So auch Frowein, Die Verpflichtungen erga omnes im Vlkerrecht und ihre Durchsetzung, in FS fr Mosler, 1983, S. 241 ff. (243). 130 Vgl. Annacker (Fn. 128), S. 31. 101 hs wird schon allein aus Kapazitatsgrunden abzuwarten bleiben, in welchem Umtang der IntStGH zu einem umfassenden Menschenrechtsschutz berhaupt beitragen kann.

    132 Vgl. hierzu Gnther, Die Klagebefugnis der Staaten in internationalen Streitbeile- gungsverfahren, 1999, S. 69 ff.

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  • 1 92 Marc Bungenberg

    Verbrechen verfolgenden Staat erforderlich; allein die Begehung eines Ver- brechens dieser Qualitt gibt jedem anderem Staat zum einen eine allge- meine Strafverfolgungszustndigkeit, zum anderen auch die Befugnis zur Ausbung dieser Zustndigkeit133. Es ist gerade typisches Merkmal bei der Verfolgung von Versten gegen die Verpflichtungen erga omnes auf- grund des Weltrechtsprinzips, da die ansonsten typische Anknpfung an einen Aspekt der Souvernitt des Gerichtsstaates zur Ausbung der Zustndigkeit - also beispielsweise an Territorium oder Personen - fehlt134. Wird hier dennoch von nationalen Gerichten ein zustzlicher Anknpfungspunkt aus Grnden des Souvernittsschutzes verlangt, wird die erga omnes Rechtsprechung des IGH verkannt. Aus der Sicht des IGH verlangt die erga omnes Lehre somit, bestimmte vlkerrechtliche Verbrechen wie Vlkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit einerseits zu verhindern und andererseits die Tter zu verfolgen und zu bestrafen. Das Interesse und die Zustndigkeit Deutschlands begrndet sich also gerade nicht in der Tatsache, da es deutsche Opfer gegeben hat, der Tter Deutscher gewesen oder das Verbrechen auf deutschem Territo- rium begangen worden ist, sondern ausschlielich darin, da im konkre- ten Fall Vlkermord das schlimmste Verbrechen schlechthin, die schlimmste Verletzung der Rechte des Menschen, die man begehen kann", ist135. Es besteht ein gemeinsames Verfolgungsinteresse aller Staaten136. Solche Verpflichtungen in Bezug auf die Staatengemeinschaft als ganzer knnen schon aus der Natur der Sache nur Angelegenheiten aller Staaten sein und nicht den inneren Angelegenheiten zugerechnet werden137.

    133 Vgl. die Untersuchungen u. Schlufolgerungen v. de Hoogh, Obligations Erga Omnes and International Crimes, 1996, S. 164 ff.

    134 Vgl. auch M. Cottier (Fn. 94), SZIER 1999, 403, 422. So wurde im spanischen Auslie- ferungsantrag vom 3. November 1998 in der Sache Pinochet ausgefhrt, da die Verfolgung von Vlkermordverbrechen am Weltrechtsprinzip orientiert sei. Dies ist logisch, denn wenn wir uns verbrecherischen Handlungen entgegenstellen, welche die internationale Gemeinschaft als Angriff auf eben diese Gemeinschaft anerkennt, weil sie die elementarsten Werte und Wurzeln selbst, die die Grundlage (...) der modernen internationalen Gesellschaft seit dem Zweiten Weltkrieg bilden (...), angreifen, mu das Verbrechen, das dadurch ver- wirklicht wird, von jedem Land verfolgt werden, unabhngig vom Tatort. Angesichts der- artiger Taten mssen die Konzepte der (Staats)Grenzen, der Territorialitt und Souvernitt im positiven Sinne ausgelegt werden." (Originalquelle: http://www.elpais.es/p/d/especial/ auto/auto la.htm, bersetzung von Schreuer, abgedr. in Ahlbrecht/ Ambos (Hrsg.) (Fn. 4), S. 45 ff. (78). Diese Sichtweise extraterritorialer Strafrechtsanwendung wurde im Urteil der Audienca National v. 5. November 1999 besttigt (Originalquelle: http://www.elpais.es/p/d/ especial/auto/chile.htm, bersetzung von Steiner, abgedr. in Ahlbrecht/ Ambos, ebenda, S. 86 ff. (88f.)). 135 Vgl. Bericht Wbittaker, Revised and updated Report on the Question of Genocide, U.N. ECOSOL, U.N. Doc. E/CN.4/Sub.2/6 (1985). 136 So zum Verbrechen des Terrorismus der spanische Erffnungsbeschlu in der Sache Pinochet v. 10. Dezember 1998, Originalquelle: http://www.elpais.es/p/d/especial/proce- sa/portada.htm, bersetzung von Steiner, abgedr. in Ahlbrecht/ Ambos (Hrsg.) (Fn. 4), S. 1 19 ff. (135 ).

    137 Vgl. auch Gading (Fn. 125), S. 130.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 193

    c) Pflicht zur Interessenabwgung bei Verbrechen gegen die Menschlich- keit und Vlkermord?

    In den Fllen, in denen zwar nicht die domaine reserv, jedoch aber die Angelegenheiten eines anderen Staates betroffen sind, kann eine vlker- rechtliche Schranke des Einmischungsverbotes nach erfolgter Interessen- abwgung bestehen138. So sieht z.B. auch das amerikanische Restatement of the Law, Foreign Relations 3rd vor, da bei zwei konkret betroffenen Staatsbelangen sich ein Staat der Ausbung seiner Jurisdiktion enthalten soll, wenn das Interesse des anderen Staates eindeutig grer ist.

    Bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit" wie auch bei Vlkermord sind regelmig mehrere Staaten zustndig: Immer der Tatortstaat; dieser hat die Verpflichtung zum Schutz der sich auf seinem Staatsgebiet befin- denden Menschen unabhngig von deren Nationalitt. Aufgrund der Mglichkeit extraterritorialer Strafverfolgung sind auch Drittstaaten sowie unter Umstnden internationale Strafgerichtshfe zur Strafverfol- gung befugt. Besteht insofern eine Kompetenzausbungsbeschrnkung, weil ein anderer Staat ein strkeres Recht zur Behandlung dieses Falles hat?139 Bei konkurrierender Zustndigkeit zwischen Tatortstaat (Territo- rialittsprinzip) und Drittstaat (Weltrechtsprinzip) knnte man geneigt sein, ersterem den Vorzug zu geben. Die bei extraterritorialer Proze- fhrung typischerweise entstehenden Schwierigkeiten (z.B. Beweislage) knnten hierfr sprechen. In Spanien wird beispielsweise die, Auffassung vertreten, da aufgrund des Vorrangs vlkerrechtlicher Vertrge vor innerstaatlichem Recht Art. VI der Vlkermordkonvention die Subsidia- ritt des Einschreitens anderer als der in der Vorschrift bestimmten Ge- richtsbarkeiten vorschreibt, so da die staatliche Gerichtsbarkeit sich bezglich solcher einen Vlkermord begrndender Tatsachen der Aus- bung der Gerichtsbarkeit enthalten mu, die (bereits) durch die Gerichte des Landes, in dem die Handlungen vorgenommen wurden, oder durch

    138 Zur Herleitung vgl. Meessen (Fn. 68), S. 231; hinsichtlich der Annahme einer Balance of Interests" z.B. auch Bowett, Jurisdiction: Changing Patterns of Authority over Activities and Resources, BYIL 53 (1982) 1, 18; Ziegenhain, (Fn. 73), S. 46; dagegen wird eine Aus- bungsbeschrnkung bei Dahm (Fn. 28), S. 260, aus dem Mibrauchsverbot und bei Wengler aus dem Gesichtspunkt der Vorrangigkeit der anderen staatlichen Rechtsordnung oder der jeweiligen Binnenbeziehungen des jeweiligen Sachverhalts (siehe Wengler (Fn. 86), S. 945) hergeleitet. Die Interessen des betroffenen Staates mssen bercksichtigt werden. Brownlie (Fn. 75), S. 313, hlt als allgemeinen Grundsatz fest, da a principle based on elements of accommodation, mutuality, and proportionality should be applied".

    li^Vgl. z.B. das Sondervotum von Richter ritzmaunce im Barcelona- 1 raction rail des IGH, (Fn. 127), S. 105: It is true that, under present conditions, international law does not impose hard and fast rules on States delemiting spheres of national jurisdiction in touch mat- ters (...), but it leaves to States a wide discretion in the matter. It does however (a) postulate the existence of limits - though in any given case it may be for the tribunal to indicate what these are for the purposes of that case; and (b) involve for every State an obligation to exer- cise moderation and restraint as to the extent of the juridiction assumed by its courts in cases having a foreign element, and to avoid undue encroachment on a jurisdiction more properly appertaining to, or more appropriately exercisable by, another State."

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  • 1 94 Marc Bungenberg

    einen internationalen Strafgerichtshof verhandelt werden140. Zu berck- sichtigen ist in einer Gesamtabwgung der betroffenen Interessen etwa, ob der Tatortstaat ernsthaft eine Strafverfolgung beabsichtigt oder ob er lediglich die Tter durch eigene Prozefhrung vor Strafverfolgung in Drittstaaten schtzen will. Letzterer Punkt knnte insofern bedenklich sein, weil hier ein Staat ber einen anderen zu Gericht sitzen wrde" - allerdings in Fragen des fundamentalen Menschenrechtsschutzes, so da hier wiederum die Verpflichtungen erga omnes ins Spiel kommen. Kommt nmlich ein Tatortstaat seiner Bestrafungspflicht nicht wirklich" nach, so knnen ihm wiederum Verletzungen des Vlkerrechts vorgeworfen wer- den.

    Problematisch wird es, wenn ein Staat Verletzungen von Menschen- rechten selbst veranlat hat. Dieser Staat wird sich nicht selbst (in der Per- son des Angeklagten) verklagen. Die Menschenrechtsverletzungen blie- ben ungestraft. Wie schwer eine juristische Aufarbeitung im Tatortstaat oder bei dessen Verbndeten ist, zeigt die juristische Bewltigung der Kriegs- und Naziverbrechen nach 1945141. Hufig werden gerade auch hochrangige Straftter im eigenen Land durch Amnestieverordnungen und verfassungsrechtlich anerkannte Immunitten geschtzt142 oder noch faktisch bestehende Einflsse werden genutzt, um sich einer Bestrafung zu entziehen143. Voraussetzung einer Abwgung der betroffenen Interes- sen ist aber, da berhaupt ein schtzenswertes Interesse eines Staates besteht. War ein Staat bzw. dessen Organe selbst an den Verbrechen betei- ligt oder findet eine soziale, politische und juristische Aufarbeitung nicht statt, besteht gerade kein schtzenswertes Interesse des Tatortstaates.

    Daher ist im Falle eines staatlich geduldeten Vlkermordes hinsichtlich der Interessenabwgung" folgendes Ergebnis festzuhalten: Ein jeder Staat hat ein Interesse an und eine Verpflichtung zur Verfolgung von Vl- kermord. Lt ein Staat Vlkermord zu bzw. ordnet er ihn gar an, so ver- wirkt er die Respektierung seiner Interessen, denn er kommt seinen Ver- pflichtungen nicht nach144. Dies gilt auch fr den Fall, da keine umfas-

    140 Vgl. das Urteil der span. Audienca Nacional v. 5. November 1998 in der (Ausliefe- rungs-)Sache Pinochet, Originalquelle: http://www.elpais.eS/p/d/especial/auto/chile.htm, bersetzung von Steiner, abgedr. in Ahlbrecht/ Ambos (Hrsg.) (Fn. 4), S. 86 ff. (89 ).

    141 Beispielhaft fr die Schwierigkeiten der juristischen Vergangenheitsbewltigung im eigenen Land das Urteil des BGH v. 19. Juni 1956 (1 StR 50/56 (LG Augsburg)), abgedruckt in NStZ 1996, 485 mit Anm. Gribbobm, siehe zu dieser Problematik auch Werle, Der Holo- caust als Gegenstand der bundesdeutschen Straf Justiz, NJW 1992, 2529 ff., zur Vergangen- heitsbewltigung im Land der Verbndeten" vgl. zuletzt SZ v. 29. Oktober 1999, S. 1, "Ita- lien schtzte deutsche Kriegsverbrecher".

    14^Vgl. hierzu umfassend Koht-Arriazzi/kjWson, Ine developing jurisprudence on Amnesty, HRQ 20 (1998) 843. 143 Vgl. hier die zunchst Karriere und zuletzt die Attare Papon , siehe bZ v. 22. Okto- ber 1999, S. 3 Ein Mann mit Kollaborateuren - Der 89-jhrige Verurteilte ist entkommen, und nicht wenige haben den Verdacht, da er entkommen sollte". 144 Vgl. auch Kokott, MilSbrauch und Verwirkung von ouveranitatsrechten Dei gravieren- den Vlkerrechtsversten, in Recht zwischen Aufbruch und Bewahrung, FS fr Bernhardt, 1995, S. 135 ff.

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  • Extraterritoriale Strafrechtsanwendung 195

    sende Strafverfolgung stattfindet. Ein schtzenwertes Interesse des Tat- ortstaates besteht nicht mehr, wenn sich die Tter weiterhin ungestrt bewegen knnen, es reduziert sich auf Null. Hier, bei nicht bestraftem Vlkermord wie auch bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit", er- brigt sich somit eine Interessenabwgung.

    Vor diesem Hintergrund die Voraussetzung eines legitimierenden Anknpfungspunktes" mit in die Waagschaale werfen zu wollen, um einen zweifelsfreien Ausschlag der Waage zur Jurisdiktion" des Dritt- staates zu erreichen, ist folglich berflssig.

    Hat jedoch nach den zu verfolgenden Taten ein politischer System- wechsel stattgefunden, bleibt weiter anzudenken, ob den jeweiligen Tat- ortstaaten nicht ein Beurteilungsspielraum zukommen mu, den Zeit- punkt und die Art und Weise der Vergangenheitsbewltigung selbst zu bestimmen und damit ihren Verpflichtungen gegenber der Staatenge- meinschaft nachzukommen. In einer Gesamtschau hinsichtlich der Zuls- sigkeit eines Ttigwerdens mu das Optimum fr die Bevlkerung in der Zukunft angestrebt werden. Insofern kann nur gemutmat we


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