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Epilepsie

Date post: 22-Mar-2016
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Epilepsie Klientengeschichten
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CHRISTOPH HARDER DER MARATHON-MANN
Transcript

Christoph harderDer Marathon-Mann

InhaltsverzeIchnIs

ich möchte nach dortmund fahren, um meinen Lieblings- verein zu unterstützen.

epilepsis ist altgriechisch und bedeutet anfall, Übergriff. ergriffen, gepackt und geschüttelt wurde auch Christoph harder. Bei Brüggli lernte er, die epilepsie selbst in den Griff zu be- kommen. Mit erfolg. doch bis sich dieser einstellte, durchlief Christoph harder einen Marathon.

Der erste Blackout 4 Das falsche Bild 6 Die Stationen als Koch 11 Das neue Leben mit Brüggli 13 Die Zukunft: einmal nach Dortmund 14

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ich darf mir kein Feuerwerk ansehen.

Es passierte in der zweiten Realklasse. «Mir wur-de plötzlich schwindlig und dann schwarz vor Au-gen.» Was danach geschah, entzieht sich Christoph Harders Erinnerung. Er hatte seinen ersten Black-out. Viel mehr einen Marathon. Denn so viel Ener-gie, wie ein epileptischer Anfall verbraucht, benö-tigt auch ein Marathon-Läufer. Christoph Harder hat in seinem Leben bereits über zwanzig solcher Marathon-Läufe hinter sich. «Was ich nach einem solchen Krampfanfall spürte, waren Benommen-heit und etwas Kopfschmerzen.» Auch grosse Er-schöpfung machte sich breit: Nach einem epilepti-schen Anfall brauchte er jeweils rund einen Tag, um sich von den Strapazen zu erholen.

Schon im Kindesalter diagnostizierten Ärzte bei ihm Epilepsie. «Ich habe es von meiner Grossmut-ter geerbt», sagt Christoph Harder. Sie habe sich deswegen grosse Vorwürfe gemacht. Auch er fragte sich: «Warum ich?» Laut der Schweizerischen Liga gegen Epilepsie leben in der Schweiz rund 70‘000 Menschen mit Epilepsie, davon 15‘000 Kinder. Epi-lepsien sind also weitaus häufiger anzutreffen, als den Menschen bewusst ist, nämlich bei rund einem Prozent der Bevölkerung. Weltweit leben mehr als 50 Millionen Menschen mit Epilepsie. Die Ursa-chen dafür sind verschieden: Hirnverletzungen, Schlaganfälle, Tumore, Durchblutungs- und Stoff-wechselstörungen oder schwere Infektionskrank-heiten. Nur etwa bei fünf bis zehn Prozent der Pa-

tienten sind die Anfälle erblich bedingt. Zu denen gehört auch Christoph Harder. Epilepsie ist in rund zwei Dritteln der Fälle medikamentös sehr gut zu behandeln: Die Patienten sind neben Medikamen-ten und der medizinischen Betreuung auf keine weiteren Massnahmen angewiesen und führen ein normales Leben. Bei einem Drittel der Fälle bleibt Epilepsie jedoch nur schwer behandelbar.

Christoph Harder sei zwar eingeschränkt und dür-fe sich nicht alles erlauben. «Ich darf mir zum Bei-spiel kein Feuerwerk ansehen, eine Nacht durchfei-ern oder einen Vollrausch erleben.» Aber er habe gelernt, damit zu leben und umzugehen. Alkohol, Kaffee oder Nikotin konsumiere er nicht. «Vor al-lem habe ich darauf geschaut, meine Medikamente regelmässig und nach Vorschrift der Ärzte einzu-nehmen», betont Christoph Harder. Seit er darauf achte, habe er die Epilepsie im Griff – und das schon seit mehr als sieben Jahren. «Früher hatte ich es ab und zu versäumt, meine Medikamente zu nehmen, und prompt kam auch ein Anfall.» Heute müsse er nur noch zwei Tabletten jeden Abend neh-men. Früher waren es fünf Tabletten jeweils über drei Mahlzeiten verteilt. «Da ging schon ab und zu mal was vergessen.»

Der erste Blackout

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Falsche reaktion bei einem epilepsie-anfall: einen sack über den Kopf stülpen.

Viele Menschen können sich unter Epilepsie nicht viel vorstellen. Noch weniger, wenn ein Mitmensch einen solchen Anfall gerade erlebt. Die Reaktionen fallen unterschiedlich bis kurios aus: «Spinnt der?» «Was ist mit dem los?» «Ist er dehydriert?» Chris-toph Harder kennt die Reaktionen und erklärt, es gebe immer noch eine falsche Vorstellung davon, was Epilepsie ist und wie man mit ihr umgeht. «Ei-nige wollen einem einen Sack über den Kopf zie-hen, andere wiederum ein Holzstück in den Mund legen.» Aber all das seien Ammenmärchen. «Mir ist es wichtig, das falsche Bild aufzulösen», betont Christoph Harder sein Anliegen.

Die Schweizerische Liga gegen Epilepsie empfiehlt bei der ersten Hilfe wie folgt zu reagieren:

Wenn Der anfall losgeht

» Ruhe bewahren » den Betroffenen aus der Gefahrenzone entfernen » alles wegräumen, was im Weg ist » etwas Weiches unter den Kopf legen » beengende Kleidungsstücke am Hals lösen » Brille abnehmen » Blick auf die Uhr: Anfallszeit feststellen

WährenD Des anfalls

» Krampferscheinungen nicht unterdrücken » den Betroffenen nicht aufrichten » nichts zwischen seine Zähne zwängen » nichts zum Trinken geben » nicht beatmen

nach DeM anfall

» Bewusstlosenlagerung » Atemwege befreien (Speichel, Erbrochenes) » beim Betroffenen bleiben, solange er noch

verwirrt ist » Ruhegelegenheit, Hilfe und Begleitung

anbieten (sich jedoch nicht aufdrängen)

ärztlIche hIlfe Ist In Der regel nIcht nötIg, ausser

» wenn der Anfall länger dauert als fünf Minuten » wenn der Betroffene bewusstlos bleibt » wenn weitere Anfälle folgen » bei schweren Verletzungen » wenn der Betroffene nicht mehr richtig atmet

Das falsche BIlD

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In der Regel dauert ein solcher Anfall ein bis zwei Minuten oder nur wenige Sekunden. Die epilepti-schen Anfälle unterscheiden sich in zwei Kategori-en – den fokalen sowie den generalisierten: Bei den fokalen Anfällen handelt es sich um lokale Entla-dungen von Nervenzellen, während bei einem ge-neralisierten Anfall das gesamte Gehirn von diesen Entladungen betroffen ist.

Zu den kurzen, isolierten Bewusstseinsstörungen gehören die «Absencen» (auch «Petit mal» genannt). Diese «Abwesenheiten» laufen ohne Krämpfe ab. Die Patienten sind dabei nicht ansprechbar und können sich nach einer solchen «Absence» an nichts mehr erinnern. Als myoklonische Anfälle bezeich-net die Fachwelt plötzliche und unkontrollierte Zu-ckungen bei vollem Bewusstsein: Die Betroffenen nehmen den Anfall zwar bewusst wahr, können aber die Muskelzuckungen nicht kontrollieren.

Ein «Grand mal» ist ein grosser generalisierter Krampfanfall mit Bewusstseinsverlust und läuft in drei Phasen ab: In der tonischen (=verkrampfenden) Phase versteift sich der Körper, Bewusstlosigkeit tritt auf und der Patient stürzt zu Boden. Die da-rauffolgende klonische (=zuckende) Phase ist von grobem Zucken im Gesicht, am Rumpf sowie an den Armen und Beinen geprägt. Ein kurzer Atem-stillstand führt dann zur dritten Phase, in welcher der Patient wieder zu atmen beginnt, das Bewusst-sein erlangt und sich vom Anfall erholt.

Von einem «Status epilepticus» sprechen die Ärzte bei epileptischen Anfällen, die länger als eine hal-be Stunde andauern oder aus einer raschen Abfolge von einzelnen Anfällen bestehen, ohne dass eine Erholungsphase dazwischenliegt. Solche Anfäl-le treten verschiedenartig auf – ob mit oder ohne Bewusstseinsverlust, ob mit oder ohne Verkramp-fungen. Bei einem «Status epilepticus» ist ein Arzt unbedingt beizuziehen.

Quelle: Schweizerische Liga gegen Epilepsiewww.epi.ch

Marathon zum Führerschein: Nach 12 Jahren durfte ich die Fahrprüfung absolvieren.

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irgendwann ist der Kopf voll, und dann geht nichts mehr.

Münsterlingen, Jona, Zürich. Das waren Christoph Harders berufliche Stationen, ehe er zu Brüggli kam. Seine Lehre als Koch absolvierte er im Kan-tonsspital Münsterlingen, nachdem er sich zuvor auch als Käser versuchte, jedoch die Arbeit als Koch wesentlich interessanter fand. «Ich esse und koche gerne, also lag es nicht fern, den Beruf des Kochs zu ergreifen.» Danach zog es ihn in ein Speiseres-taurant nach Jona und schliesslich ins Zürcher Kon-gresshaus. «Hier erlebte ich die intensivste Zeit», sagt Christoph Harder und meint damit die Häu-fung seiner Anfälle während seiner Arbeit: Unre-gelmässige Arbeitszeiten sowie der hohe Zeitdruck in der Küche sorgten regelmässig für epileptische Anfälle. «Irgendwann ist der Kopf voll, und dann geht nichts mehr.» Reizüberflutung, Stress und ei-gene hohe Anforderungen führten bei Christoph Harder zur Überreaktion seines Gehirns.

Die Anfälle häuften sich, bis die Arbeit nicht mehr möglich war: Christoph Harder musste seine Ar-beitsstelle aufgeben und sich in die Hände der IV begeben. Um seine Krankheit mit seinem Beruf in Einklang zu bringen, benötigte er Unterstützung. Diese erhielt er von einem IV-Berufsberater, der ihm Brüggli empfahl, wo er rund fünfzehn Jahre lang angestellt war.

DIe statIonen als koch

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Bei Brüggli findest du immer eine anlaufstelle, wenn

dich etwas sorgt.

Bei Brüggli fand Christoph Harder seine Tages-struktur, die ihm dabei half, Arbeit und Krankheit zu vereinen: «Hier konnte ich jeweils tagsüber ar-beiten, meistens von 7 bis 16 Uhr, was wichtig war, um die Epilepsie in den Griff zu bekommen.» Nach der halbjährigen Vorstufe erhielt er bei Brüggli eine Festanstellung als Koch. «Brüggli ist ein her-vorragender Ort, wenn man wie ich aufgrund einer Krankheit oder Einschränkung die Eingliederung in die Wirtschaft sucht. Ich fühlte mich gleich wohl und genoss den geschützten Rahmen, der mich auf meine Wiedereingliederung vorbereitete.» Er fühl-te sich erstmals ernst genommen und war kein Aus-senseiter: «Man nimmt mich so, wie ich bin. Jeder ist vollumfänglich akzeptiert.»

Brüggli kümmert sich weit über das Jobcoaching und die Integrationsmassnahmen der Klienten hin-aus. Auch persönliche Probleme finden bei Brüggli Gehör – wie Christoph Harders Erlebnis mit dem Steueramt: «Einmal erhielt ich vom Steueramt eine saftige Nachrechnung, die sich auf eine nachträg-liche Auszahlung der IV stützte, obschon ich die Steuern dafür längst bezahlt hatte. Ich war erschro-cken und wusste nicht weiter.» Brüggli nahm sich auch dieses Anliegens an und klärte den Sachver-

halt mit den zuständigen Steuerbehörden – mit Er-folg: Christoph Harder hatte seine Steuern regulär bezahlt und musste die Nachrechnung nicht beglei-chen. «Bei Brüggli findest du immer eine Anlauf-stelle, wenn dich etwas sorgt.»

Während seiner Zeit bei Brüggli lernte Christoph Harder, wie er seine Krankheit durch eine geregelte Tagesstruktur und unter Einhaltung der ärztlichen Verordnungen in den Griff bekam. Die Arbeitsas-sistenz half ihm bei der Stellensuche und der Ein-gliederung durch verschiedene Praktika, bis er sei-ne neue Stelle im Alterswohnheim Weiherwies in Grub fand.

Das neue leBen MIt BrügglI

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Geschafft! dank Brüggli habe ich die epilepsie im Griff.

MeIn Marathon

Nach rund fünfzehn Jahren Brüggli geht Chris-toph Harder beruflich neue Wege: Im Februar 2012 trat er im Alterswohnheim Weiherwies in Grub AR eine Festanstellung als Koch an. Dank der Arbeitsassistenz von Brüggli hat er nach zwei Jahren Stellensuche sowie Praktika einen Arbeits-platz gefunden, der ihm gut gefällt – auch, weil es etwas beschaulicher als im Usblick ist: «Als ich bei Brüggli angefangen habe, waren wir ein Team aus drei Personen und kannten die Gäste noch persön-lich. Alles war sehr überschaubar.» Heute bekocht die Crew im Brüggli täglich 300 Leute. «Man spürt nun auch den wirtschaftlichen Druck. Das Soziale konkurriert mit dem Wachstum, was im Team nicht immer einfach ist.» Gewisse Kompromisse seien jedoch auch notwendig: Schliesslich erstrebe man bei Brüggli möglichst wirtschaftsnahe Verhältnisse, um eine erfolgreiche Eingliederung in den primä-ren Arbeitsmarkt zu erreichen.

Auf die Frage, welche Wünsche Christoph Harder für seine Zukunft hat, meint er ganz bescheiden: «Ich bin zufrieden, so wie es ist. Ich möchte als Ers-tes meinen neuen Job gut machen. Dann schaue ich Schritt für Schritt weiter.» Er stecke sich jeweils immer erreichbare Ziele. Von Träumereien hält er nicht viel. Ausser von einem kleinen Traum: «Als grosser Fussballfan möchte ich einmal nach Dort-mund fahren, um meinen Lieblingsverein zu un-terstützen.» Tickets dafür zu erhalten, sei enorm

schwierig. Bis er ein solches Ticket ergattert, wid-met er sich als Fussballtrainer der Juniorenförde-rung beim einheimischen FC Romanshorn: «Die Arbeit mit den Jungen macht Spass, vor allem, weil ich etwas weitergeben kann.»

Der Marathon-Mann hat in seinem Leben schon viel erreicht: Er hat seine Krankheit im Griff, ist im primären Arbeitsmarkt wieder eingegliedert und hat dazu noch die Autoprüfung geschafft: «Weil ich konsequent die Anweisungen meiner Ärzte befolgt habe und jedes Jahr zum neurologischen Check gehe, hat mir meine Neurologin erlaubt, den Führerschein zu machen.» Zwölf Jahre hat sein Ma-rathon gedauert, bis er den Führerschein machen durfte. Seit sieben Jahren ist er nun anfallsfrei – Christoph Harder, der Marathon-Mann, Fussball-fan und Darts-Spieler: «Ach ja, die Dutch-Open in Holland möchte ich auch mal besuchen, um dort meine Darts-Künste zu zeigen», schmunzelt Chris-toph Harder, der viel kann, aber immer bescheiden bleibt. Diese Tugend möchte er auch jungen Men-schen mit ähnlichem Schicksal ans Herz legen: «Mach deine Arbeit gern, dann wirst du auch viel erreichen. Aber steck dir nicht zu unrealistische Ziele.»

DIe zukunft: eInMal nach DortMunD

Herausgeber BrüggliHofstrasse 3+58590 Romanshornwww.brueggli.ch

TextPredrag JurisicUnternehmenskommunikationwww.werbung.brueggli.ch

Grafik/LayoutYannick Meyer-Wildhagen Polygraf im 3. Lehrjahr

DruckPrintagentur by Brüggliwww.printagentur.ch


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