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Epigenetik; Epigenetics;

Date post: 12-Dec-2016
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T. Eggermann Institut für Humangenetik, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Aachen Epigenetik Molekulare Mechanismen der frühen Prägung Während die Bedeutung der DNA als Träger der Erbinformation für die re- lativ statische Weitergabe von Merk- malen, aber auch von krankheitsver- ursachenden Mutationen seit Lan- gem bekannt ist, wurde in den letz- ten Jahren die Bedeutung epigene- tischer Mechanismen als Mittler zwi- schen Erbanlage und Umwelteinflüs- sen zunehmend deutlich. So liefert die Epigenetik eine Erklärung für die teilweise reversible Wechselwirkung zwischen Genfunktion und Umwelt; auch häufen sich die Hinweise, dass DNA-Sequenz-unabhängige epige- netische Modifikationen über mehre- re Generationen weitergegeben wer- den („Transgenerationeneffekte“; z. B. [1, 2]). Der Begriff Epigenetik wurde 1942 erst- mals von Conrad Hal Waddington be- schrieben und umfasste zu Beginn all- gemein den „Zweig der Biologie, der die kausalen Wechselwirkungen zwischen Genen und ihren Produkten, die den Phä- notyp hervorbringen, untersucht“ („the branch of biology which studies the cau- sal interactions between genes and their products which bring the phenotype in- to being“). Zur Abgrenzung von der allge- meinen Genregulation wird der Begriff je- doch heute eher im Sinne einer Verände- rung der Genomfunktion verstanden, die nicht durch eine Änderung der DNA-Se- quenz verursacht ist. » Das Wissen über epigenetische Prozesse findet bereits Eingang in Diagnostik und Therapie Auch wenn die molekularen Mechanis- men epigenetischer Prozesse zu einem großen Anteil noch ungeklärt sind, findet das vorhandene Wissen bereits jetzt Ein- gang in Diagnostik und Therapie: So wer- den epigenetische Veränderungen als Bi- omarker in der Tumordiagnostik verwen- det. In der Tumortherapie werden Medi- kamente eingesetzt, die die epigenetisch bedingte DNA-Methylierung beeinflus- sen. Auch in der Diagnostik einer ganzen Gruppe von angeborenen Erkrankungen, den sog. Imprinting-Erkrankungen, zu denen u. a. das Prader-Willi- und das Be- ckwith-Wiedemann-Syndrom gehören, werden entsprechende molekulare Ver- änderungen untersucht. Molekulare Grundlagen der Epigenetik Trotz der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahre 2002 sind bis heute nicht alle Gene identifiziert. Sie führte aber zu der Erkenntnis, dass der Mensch lediglich 20.000–25.000 Ge- ne trägt, nicht die bis dahin geschätzten 120.000, um alle Merkmale des Menschen codieren zu können. Grund für diese im Vergleich zu den Genomen weniger diffe- renzierter Organismen niedrige Zahl von Genen ist die komplexe Genregulation beim Menschen, die dazu führt, dass ein Gen die Information für mehrere, unter- schiedlich zusammengesetzte Proteine trägt. Das zugrunde liegende sog. alterna- tive Spleißen erlaubt nicht nur eine gewe- bespezifische Expression der verschiede- nen Transkripte eines Gens, vielmehr ist die Genaktivität auch in verschiedenen Entwicklungsphasen sehr unterschied- lich. Diese komplexe Regulation der Aktivi- tät menschlicher Gene gewährleistet, dass in jedem der etwa 200 verschiedenen Ge- webetypen mit unterschiedlicher Funk- tion nur ungefähr ein Drittel der Gene ak- tiv ist, die für die entsprechenden Zellen benötigt werden. Diese spezifischen Akti- vitätsmuster werden dabei auch durch äu- ßere Faktoren beeinflusst. Abb. 1 9 Molekulare Mechanismen der epi- genetischen Regula- tion. Erläuterungen s. Text. (Aus [14], mit freundl. Genehmigung von Wolters Kluwer Health) Leitthema Gynäkologische Endokrinologie 2014 DOI 10.1007/s10304-013-0591-1 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014 1 Gynäkologische Endokrinologie 2014|
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Page 1: Epigenetik; Epigenetics;

T. EggermannInstitut für Humangenetik, Universitätsklinikum der RWTH Aachen, Aachen

EpigenetikMolekulare Mechanismen der frühen Prägung

Während die Bedeutung der DNA als Träger der Erbinformation für die re-lativ statische Weitergabe von Merk-malen, aber auch von krankheitsver-ursachenden Mutationen seit Lan-gem bekannt ist, wurde in den letz-ten Jahren die Bedeutung epigene-tischer Mechanismen als Mittler zwi-schen Erbanlage und Umwelteinflüs-sen zunehmend deutlich. So liefert die Epigenetik eine Erklärung für die teilweise reversible Wechselwirkung zwischen Genfunktion und Umwelt; auch häufen sich die Hinweise, dass DNA-Sequenz-unabhängige epige-netische Modifikationen über mehre-re Generationen weitergegeben wer-den („Transgenerationeneffekte“; z. B. [1, 2]).

Der Begriff Epigenetik wurde 1942 erst-mals von Conrad Hal Waddington be-schrieben und umfasste zu Beginn all-gemein den „Zweig der Biologie, der die kausalen Wechselwirkungen zwischen Genen und ihren Produkten, die den Phä-notyp hervorbringen, untersucht“ („the branch of biology which studies the cau-sal interactions between genes and their products which bring the phenotype in-to being“). Zur Abgrenzung von der allge-meinen Genregulation wird der Begriff je-doch heute eher im Sinne einer Verände-rung der Genomfunktion verstanden, die nicht durch eine Änderung der DNA-Se-quenz verursacht ist.

» Das Wissen über epigenetische Prozesse findet bereits Eingang in Diagnostik und Therapie

Auch wenn die molekularen Mechanis-men epigenetischer Prozesse zu einem

großen Anteil noch ungeklärt sind, findet das vorhandene Wissen bereits jetzt Ein-gang in Diagnostik und Therapie: So wer-den epigenetische Veränderungen als Bi-omarker in der Tumordiagnostik verwen-det. In der Tumortherapie werden Medi-kamente eingesetzt, die die epigenetisch bedingte DNA-Methylierung beeinflus-sen. Auch in der Diagnostik einer ganzen Gruppe von angeborenen Erkrankungen, den sog. Imprinting-Erkrankungen, zu denen u. a. das Prader-Willi- und das Be-ckwith-Wiedemann-Syndrom gehören, werden entsprechende molekulare Ver-änderungen untersucht.

Molekulare Grundlagen der Epigenetik

Trotz der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahre 2002 sind bis heute nicht alle Gene identifiziert. Sie führte aber zu der Erkenntnis, dass der Mensch lediglich 20.000–25.000 Ge-ne trägt, nicht die bis dahin geschätzten

120.000, um alle Merkmale des Menschen codieren zu können. Grund für diese im Vergleich zu den Genomen weniger diffe-renzierter Organismen niedrige Zahl von Genen ist die komplexe Genregulation beim Menschen, die dazu führt, dass ein Gen die Information für mehrere, unter-schiedlich zusammengesetzte Proteine trägt. Das zugrunde liegende sog. alterna-tive Spleißen erlaubt nicht nur eine gewe-bespezifische Expression der verschiede-nen Transkripte eines Gens, vielmehr ist die Genaktivität auch in verschiedenen Entwicklungsphasen sehr unterschied-lich.

Diese komplexe Regulation der Aktivi-tät menschlicher Gene gewährleistet, dass in jedem der etwa 200 verschiedenen Ge-webetypen mit unterschiedlicher Funk-tion nur ungefähr ein Drittel der Gene ak-tiv ist, die für die entsprechenden Zellen benötigt werden. Diese spezifischen Akti-vitätsmuster werden dabei auch durch äu-ßere Faktoren beeinflusst.

Abb. 1 9 Molekulare Mechanismen der epi-genetischen Regula-tion. Erläuterungen s. Text. (Aus [14], mit freundl. Genehmigung von Wolters Kluwer Health)

Leitthema

Gynäkologische Endokrinologie 2014 DOI 10.1007/s10304-013-0591-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

1Gynäkologische Endokrinologie 2014  | 

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Im Zusammenhang mit der epigene-tisch bedingten Genregulation sind der-zeit drei molekulare Mechanismen be-kannt (. Abb. 1).

DNA-Methylierung. Die relevanteste epi-genetische Modifikation ist die Methy-lierung von Cytosinresten. Dabei werden nur Cytosinreste methyliert, die inner-halb von Cytosin-Guanosin-Dinukleoti-den oder CpG-Inseln („CpG islands“) lie-gen. CpG-Inseln sind als DNA-Abschnit-te von 0,5–2 kb Länge innerhalb des euka-ryotischen Promotors mit einem erhöh-ten GC-Gehalt von >60% definiert. Etwa 40–45% aller menschlichen Gene tragen CpG-Inseln in ihren Promotorbereichen. Im Allgemeinen geht die DNA-Methy-lierung mit einer komprimierten Chro-matinfaltung einher und führt dadurch zur „Stilllegung“ („silencing“) eines Gens, während die nichtmethylierte DNA in der Regel mit einem aktiven Chromatinstatus und damit der Gentranskription einher-geht. Die Chromatinstruktur und damit

die Genaktivität werden aber auch durch die Histonmodifikation beeinflusst.

Histonmodifikation. Die für die Chro-matinstruktur essenziellen Histonprotei-ne können durch Methylierung, Phos-phorylierung, Sumoylierung, Ubiquiti-nylierung und Acetylierung sowie deren Rückreaktionen modifiziert und damit in ihrer Funktion verändert werden. So ist die Histonacetylierung mit transkrip-tionsaktivem Chromatin assoziiert, wäh-rend die Methylierung je nach Histonpro-tein und Lokalisation im Protein aktivie-rend (H3K4) oder deaktivierend (H3K9, H4K20) wirken kann.

RNA-Interferenz. Eine weitere moleku-lare Eigenschaft der epigenetischen Re-gulation ist die zielgerichtete Abschal-tung von Genen über die RNA-Interfe-renz. Dabei wird die nach Transkription als Proteinmatrize dienende messenger-RNA (mRNA) der zu regulierenden Ge-ne durch kurze RNA-Moleküle (microR-NA/miRNA) gebunden und im Anschluss

abgebaut. In der Folge kommt es zu einer Reduktion oder Unterdrückung der Pro-teinsynthese. Nach Schätzungen werden etwa 30% der menschlichen Gene auf die-se Weise reguliert [3]. Insbesondere ge-nomische Bereiche, die sog. elterlich ge-prägte Gene tragen („genomic imprin-ting“, s. unten), weisen miRNA-Gene auf; ein typisches Beispiel hierfür ist die miR-NA Mir675, die innerhalb des H19-Gens codiert wird (. Abb. 2). Aber auch län-gere nichtcodierende RNAs („noncoding RNAs“/ncRNAs) spielen bei der Regula-tion der Genexpression eine Rolle. Ein Beispiel hierfür ist die ebenfalls in der Re-gion 11p15 codierte ncRNA KCNQ1OT1 (. Abb. 2).

„Genomic imprinting“

Ein besonderer Fall der epigenetischen Regulation, der insbesondere bei der prä-natalen Entwicklung eine Rolle spielt, ist die genomische oder elterliche Prägung („genomic imprinting“). Bei den etwa 100 derzeit bekannten elterlich geprägten Genen wird je nach Gewebe und Entwick-lungsstadium nur die von der Mutter oder vom Vater stammende Genkopie aktiv, während die andere ausgeschaltet wird. Auf molekularer Ebene handelt es sich um die o. g. epigenetischen Modifikationen, diese werden geschlechtsspezifisch etab-liert. Geprägte Gene sind häufig in Clus-tern organisiert, oft reguliert ein sog. Im-printing-Center die Expression mehrerer Faktoren. Wie alle epigenetischen Modifi-kationen sind auch die elterlich geprägten Imprinting-Markierungen reversibel und werden im Laufe der Ontogenese aufge-hoben und neu etabliert.

CDKN1C/p57KIP2N1C KCNQ1

KCNQ1OT1 IGF2 H19

CDKN1C/p57KIP2N1C KCNQ1

KCNQ1OT1

IGF2 H19CH3

CH3

Maternal

Paternal

ICR1 ICR2

Abb. 2 9 Vereinfachte Dar-stellung der Regulation der beiden „imprinting cont-rol regions“ ICR1 und ICR2 in 11p15. Es sind nur einige der regulierten Gene dar-gestellt.

Abb. 3 8 Übersicht über Methylierung und Demethylierung während der Keimzellbildung und der frühen Embryogenese. Nichtmethylierte Sequenzen sind grau, methylierte schwarz dargestellt. Müt-terlich und väterlich geprägte Gene (rot bzw. blau) unterliegen zusätzlichen Methylierungswellen. (Aus [15], mit freundl. Genehmigung von Nature Publishing Group)

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» Elterlich geprägte Gene sind häufig in Clustern organisiert

Ein klassisches Beispiel für chromoso-male Abschnitte, die durch „genomic imprinting“ reguliert werden, ist die Re-gion 11p15.5 (. Abb. 2), an der alle drei Mechanismen der epigenetischen Regu-lation beobachtet werden können. Die Re-gion beinhaltet zwei „imprinting control regions“ (ICR), die auf DNA-Ebene ge-gensätzlich methyliert werden und zu ei-ner von der elterlichen Herkunft der Gen-kopie abhängigen Genexpression führen. So ist die väterliche Kopie von ICR1 me-thyliert, hierdurch wird die väterliche Ko-pie von H19 ausgeschaltet. Durch Chro-matinfaltung kommt es aber auch zu ei-ner veränderten räumlichen Anordnung, die gleichzeitig eine Expression des IGF2-Gens erlaubt. Umgekehrt wird H19 von der mütterlichen Genkopie exprimiert, die mütterliche IGF2-Kopie wird nicht ab-gelesen. Bei der mütterlich methylierten ICR2-Kopie kommt es ebenfalls zur ge-gensätzlichen Expression verschiedener Faktoren, hier wird aber u. a. die Expres-sion des CDKN1C-Gens auf der müt-terlichen Genkopie durch die vom glei-chen Allel exprimierte nichtcodierende (nc)RNA KCNQ1OT1 inhibiert.

Anhand dieses Beispiels kann auch die Auswirkung von Störungen dieses emp-findlichen Gleichgewichts illustriert wer-den. So führt eine Untermethylierung von ICR1 zu einer reduzierten Expres-sion des Wachstumsfaktors IGF2 und ist über diesen Weg wahrscheinlich mit prä- und postnatalem Kleinwuchs assoziiert. Umgekehrt führen ICR2-Untermethy-lierungen zu einer erhöhten Bildung der ncRNA KCNQ1OT1, die wiederum hem-mend auf den zellzyklusinhibierenden Faktor CDKN1C wirkt und damit wahr-scheinlich zum intrauterinen und post-natalen Großwuchs führt. Beide epige-netischen Veränderungen sind tatsäch-lich mit spezifischen Imprinting-Erkran-kungen assoziiert: die ICR1-Untermethy-lierung mit dem Silver-Russell-Syndrom, einer Kleinwuchserkrankung; die ICR2-Untermethylierung mit dem durch Groß-wuchs charakterisierten Beckwith-Wiede-mann-Syndrom.

Epigenetische Programmierung und Reprogrammierung während der Entwicklung

Während der epigenetische Zustand eines Gens in den Zellen eines Organs relativ stabil ist, können unterschiedliche Zellty-pen eines Organismus in den verschiede-nen Entwicklungsstadien unterschiedli-che Imprinting-Muster aufweisen.

Insbesondere zur Methylierungspro-grammmierung während der Entwick-lung liegen zahlreiche Daten vor (Über-sicht in [3, 4]; . Abb. 3). Zum Zeitpunkt

der Befruchtung sind beide elterlichen Genome stark methyliert, nach der Be-fruchtung wird das väterliche Genom dann aktiv demethyliert, während das weibliche Genom nach dem 2-Zell-Sta-dium passiv folgt. Ausgenommen hier-von sind die geprägten Gene, die wäh-rend der Entwicklung ihre keimbahnspe-zifischen Muster beibehalten. Erst nach der genomweiten Demethylierung wer-den entwicklungsspezifische somatische Methylierungsmuster gesetzt, die dann in der Regel aufrechterhalten bleiben. Eine Ausnahme stellen wiederum die primor-

Zusammenfassung · Abstract

Gynäkologische Endokrinologie 2014 · [jvn]:[afp]–[alp] DOI 10.1007/s10304-013-0591-1© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014

T. EggermannEpigenetik. Molekulare Mechanismen der frühen Prägung

ZusammenfassungHintergrund. Während die Bedeutung der DNA als Träger der Erbinformation für die re-lativ statische Weitergabe von Merkmalen und Mutationen seit Langem bekannt ist, wird in jüngerer Zeit die Rolle epigenetischer Mechanismen als Mittler zwischen Erbanlage und Umwelteinflüssen zunehmend deutlich.Epigenetische Mechanismen. Die Epigene-tik liefert eine Erklärung für die teilweise re-versible Wechselwirkung zwischen Genfunk-tion und Umwelt. Es häufen sich auch die Hinweise, dass DNA-Sequenz-unabhängi-ge epigenetische Modifikationen über meh-rere Generationen weitergegeben werden („Transgenerationeneffekte“). Diese Modi-fikationen umfassen DNA-Methylierungen, Histonmodifikationen und RNA-Interferenz. Da sie zelltypspezifisch sind und vom Ent-wicklungszeitpunkt des Individuums abhän-

gen, unterliegen sie während der Ontogene-se einem komplexen Mechanismus von Pro-grammierung und Reprogrammierung.Einfluss auf die Gesundheit. Dieses Zusam-menspiel einer Vielzahl in- und extrinsischer Faktoren ist anfällig; Störungen werden nicht mehr nur für spezifische angeborene Krank-heitsbilder wie das Prader-Willi-Syndrom ver-antwortlich gemacht. Es mehren sich auch die Hinweise, dass Umwelteinflüsse wie das Nahrungsangebot den Gesundheitszustand nachfolgender Generationen beeinflussen können.

SchlüsselwörterMethylierung · Histonmodifikation · RNA-Interferenz · Imprinting · Imprinting-Erkrankungen

Epigenetics. Molecular mechanisms of early imprinting

AbstractBackground. The impact of DNA for the in-heritance of features and mutations has been well known for a long time. However, the role of epigenetic mechanisms as a mediator be-tween genetic and environmental influences is becoming increasingly clear.Epigenetic mechanisms. Epigenetics ex-plains the reversible interaction between gene function and environment; further-more, evidence is growing that epigenetic modification without changes in the DNA se-quence can be inherited over generations (“transgenerational effects”). These modifi-cations comprise DNA methylation, histone modifications, and RNA interference. Because they are cell-type specific and depend on the

ontogenetic stage of an individual, they are regulated by a complex mechanism of pro-gramming and reprogramming.Impact on health. This interplay of a large number of intrinsic and extrinsic factors is vulnerable. Disturbances can therefore not only be observed in specific congenital disor-ders (e.g., Prader–Willi syndrome), but it be-comes obvious that environmental factors (e.g., food supply) influences the health of successive generations.

KeywordsMethylation · Histone modification · RNA interference · Genomic imprinting · Imprinting disorders

3Gynäkologische Endokrinologie 2014  | 

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dialen Keimzellen dar, die eine komplette Demethylierung durchmachen, die in die-sem Fall auch die geprägten Gene umfasst. Anschließend erfolgt wie eingangs be-schrieben eine komplette Methylierung.

Diese Programmierungsprozesse aus Setzen („establishment“), Aufrechterhal-tung („maintenance“) und Löschen („er-asure“) von Imprinting-Signalen sind zeit-lich und örtlich hochkomplex und werden

durch eine Vielzahl von Faktoren reguliert (. Tab. 1). Auch sind diese Prozesse sehr störanfällig und können sowohl durch in-trinsische als auch extrinsische Faktoren beeinflusst werden. So führen Mutatio-nen in einzelnen Genen (ZFP57, NLRP2, NLRP7) zu spezifischen Krankheitsbil-dern (. Tab. 1; Übersicht in [5]), u. a. zu angeborenen Imprinting-Erkrankungen. Im Jahre 2008 wurde mit ZFP57, das ein

die Transkription unterdrückendes Zink-fingerprotein codiert, erstmals ein Gen identifiziert, in dem autosomal-rezessiv vererbte Mutationen zu Methylierungs-störungen und damit zu einer Imprinting-Erkrankung führen, dem transienten neo-natalen Diabetes mellitus (TNDM; [6]). Zu ungewöhnlichen Konsequenzen füh-ren Mutationen in den Caterpiller-Pro-teinen NLRP2 und NLRP7 (auch NALP2 bzw. 7 genannt): Diese Proteine sind von Bedeutung für die Etablierung und Auf-recherhaltung von Methylierungssigna-len in der Oocyte und im Embryo. Muta-tionen in diesen Genen scheinen wesent-lich über die Mutter zu wirken („maternal effect mutations“), d. h., sie bewirken ein fehlerhaftes Methylierungsmuster bereits vor der Befruchtung [7, 8].

Umweltfaktoren und epigenetische Prägung im Embryo

Die Rolle von Umweltfaktoren bei der Veränderung epigenetischer Muster mit möglichen klinischen Konsequenzen ist aufgrund ihrer subtilen und kumulativen Einflüsse oft über einen längeren Zeit-raum schwierig zu beurteilen. Es konn-ten aber bereits mehrere chemische Stof-fe identifiziert werden, die epigenetische Mechanismen beeinflussen.

Für Schwermetalle wie Cadmium und für Pestizide wie Vinclozolin konnte im Tiermodell nachgewiesen werden, dass sie schädigend auf die Methylierungszustän-de wirken. Zigarettenrauch begünstigt die Demethylierung und damit Aktivie-rung von Genen, die für die Metastatisie-rung von Lungenkrebszellen verantwort-lich sind. Ein Mangel an Folat und Methi-onin, die beide der Bereitstellung von Me-thylgruppen bei der Methylierung dienen, führt zu einer veränderten Expression des geprägten IGF1-Gens, eines Wachstums-faktors.

Spezifische Auswirkungen von Um-weltfaktoren auf den Methylierungszu-stand elterlich geprägter Gene werden seit einigen Jahren für Kinder diskutiert, die nach Maßnahmen der assistierten Repro-duktionsmedizin (ART) geboren werden. Vor dem Hintergrund einzelner Fallbe-richte zu Imprinting-Erkrankungen nach ART wird postuliert, dass beispielsweise

Tab. 1 Ausgewählte Faktoren mit Einfluss auf die Etablierung und/oder Aufrechterhaltung von Imprinting-Mechanismen

Faktor Funktion Expression Rolle im Imprinting-Prozess

Geschlecht des elter-lichen Im-prints

Erkran-kungen, die mit Mutati-onen in die-sem Faktor assoziiert sind

DNMT3 Kofaktor von DNMT3A

Oozyte und Spermium

Etablierung Maternal und paternal

DNMT3A De-novo-Methyl-transferase

Oozyte und Spermium

Etablierung Maternal und paternal

DNMT1s Maintenance-DNA-Methyl-transferase

Oozyte und Spermium

Aufrechter-haltung

Maternal und paternal

KDMN1B H3K4-2me-De-methylase

Reifende Oozyte

Etablierung Maternal

ZFP57 KRAB-Zinkfinger-protein

Oozyte, Sper-mium und Zygote

Etablierung und/oder Aufrechter-haltung

Maternal und paternal

TNDM mit Multilocusde-fekten [6]

NLRP2/NALP2

Caterpiller-Pro-tein

Oozyte und Zygote

Etablierung und/oder Aufrechter-haltung

Maternal BWS mit Multilocusde-fekten [8]

NLRP7/NALP7

Caterpiller-Pro-tein

Oozyte und Zygote

Etablierung und/oder Aufrechter-haltung

Maternal FBHM [7]

C6ORF221 Oozyte und Zygote

Etablierung und/oder Aufrechter-haltung

Maternal FBHM [16]

CTCF Zinkfingerprotein Ubiquitär Aufrechter-haltung

Paternal

MBD3 „Methyl-CpG-binding protein of the NuRD complex“

Aufrechter-haltung

Paternal

MTA2 „Protein of NuPDP complex“

Aufrechter-haltung

Maternal und paternal

CTCFL/BORIS

Zinkfingerprotein Spermien Etablierung Paternal

PGC7/STELLA

Aufrechterhal-tung

Primordiale Keimzellen und Oozyte

Aufrechter-haltung

Maternal und paternal

FBHM „Familial biparental hydatidiform mole“; BWS Beckwith-Wiedemann-Syndrom; TNDM transienter neo-nataler Diabetes mellitus.

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Leitthema

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die Zellkulturbedingungen im Rahmen der künstlichen Befruchtung eine Störung der Methylierungsmuster bewirken. Auf diese Thematik wird U. Zechner in sei-nem Leitthemenbeitrag in dieser Ausga-be gesondert eingehen.

Die zentrale Bedeutung des Gesund-heits- und Ernährungszustands insbeson-dere von Müttern auf den Gesundheitszu-stand ihrer Nachkommen konnte mittler-weile in verschiedenen Studien auch für den Menschen belegt werden. Erste Hin-weise ergaben die systematischen Unter-suchungen zu Nachkommen von schwan-geren Frauen im holländischen Hunger-winter 1944/1945, der eine Folge der deut-schen Blockade war. Nachkommen die-ser Mütter wiesen u. a. erhöhte Risiken für Diabetes, Nierenerkrankungen und koro-nare Herzerkrankungen auf, in der En-kelgeneration war u. a. ein erhöhter Pon-deral-Index zu beobachten (Übersicht in [9]). Bestätigt wird dieser Transgeneratio-neneffekt auch in anderen Studien, z. B. aus Schweden [10].

» Der Ernährungszustand der Mutter beeinflusst die epigenetischen Markierungen der Nachkommen

Die molekulare Basis dieser epidemio-logischen Beobachtungen wurde bereits im Tiermodell erforscht, aber auch für den Menschen liegen erste Daten vor: So konnten Guénard et al. [11] kürzlich nach-weisen, dass der Ernährungszustand der Mutter Auswirkungen auf die epigene-tische Markierung bei ihren Nachkom-men hat. Die untersuchte Kohorte be-stand aus 20 Müttern und ihren Kin-dern, die aufgrund einer Adipositas ei-nen Magenbypass erhalten hatten. Bei den 5698 Genen, die Unterschiede in Me-thylierung und Genexpression bei den vor und nach der Magenbypassoperation ge-borenen Kindern derselben Mütter auf-wiesen, handelte es sich im Wesentlichen um solche, die im Glukosestoffwechsel, aber auch bei Entzündungen und vaskulä-ren Erkrankungen eine Rolle spielen.

Im Tiermodell konnte auch der Ein-fluss des mütterlichen Brutpflegeverhal-tens auf das Methylierungsmuster spezi-fischer Gene und in der Konsequenz auf

das Verhalten der Nachkommen bewie-sen werden. So korrelieren das Methylie-rungsmuster des Glukokortikoidrezep-tors und das soziale Verhalten von Tieren mit der Fürsorgeintensität, die sie von der Mutter erhalten haben [12]. Auch der Zu-sammenhang zwischen pränatal wirken-den Umwelteinflüssen und einer Prädis-position für Asthma bei den Nachkom-men konnte belegt werden (Übersicht in [13]). Wie diese Beispiele zeigen, ergibt sich aus dem Einsatz neuer Hochdurch-satzmethoden, z. B. Array-basierter Ver-fahren oder des „next generation sequen-cing“, die Möglichkeit, das ganze humane Genom, aber auch das gesamte humane Epigenom zu charakterisieren. Auf diese Weise gelingt es, Umweltfaktoren zu iden-tifizieren, die bereits intrauterin auf das Methylom und damit auf das Transkrip-tom einwirken und so den Gesundheits-zustand nachfolgender Generationen be-einflussen.

Fazit für die Praxis

F  Neben DNA-Veränderungen können auch Modifikationen epigenetischer Signale phänotypische Veränderun-gen bedingen.

F  Epigenetische Regulationsmechanis-men umfassen DNA-Veränderungen, Histonmodifikationen und RNA-Inter-ferenz.

F  Epigenetische Veränderungen kön-nen durch Umweltfaktoren verurs-acht werden.

F  Epigenetische Modifikationen kön-nen über Generationen weitergege-ben werden.

F  Molekulare Veränderungen elterlich geprägter Gene sind mit angebore-nen Imprinting-Erkrankungen assozi-iert.

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. rer. nat. T. EggermannInstitut für Humangenetik, Universitätsklinikum der RWTH AachenPauwelsstr. 30, 52074 [email protected]

Danksagung. Die Arbeitsgruppe des Autors ist Mit-glied des vom Bundesministerium für Forschung und Bildung unterstützten Imprinting-Netzwerks (01G1114) sowie des European Network of Congenital Imprinting Disorders (EUCID.net; COST BM1208; http://www.imprinting-disorders.de).

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt. T. Eggermann gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Dieser Beitrag beinhaltet keine Studien an Menschen oder Tieren.

Literatur

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