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Entscheidung und Verantwortung liegen beim Arzt · sel vom Original auf ein Biosimi-lar oder beim...

Date post: 20-Aug-2019
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Inter Medical Report Impressum | Idee und Konzeption: INTER MEDICAL, Grosspeterstrasse 23, Postfach, 4002 Basel · Information: Roche Pharma (Schweiz) AG · Projektleitung: Winfried Powollik · Autor: Winfried Powollik · Lektorat: Dr. phil. Regine Schricker · Layout: Michael Köb · Produktion: Dominique Hirter · © Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages · Medical Tribune Rheumatologie 02/2016 Verschreibung von Biosimilars Entscheidung und Verantwortung liegen beim Arzt BASEL – Die ersten Nachahmerprodukte von monoklonalen Antikör- pern kommen. Der Umgang mit diesen sogenannten Biosimilars ist anspruchsvoll. Das Wissen um das immunogene Potenzial, die mög- lichen Probleme beim Wechsel der Präparate und die Extrapolation von einer Indikation auf eine andere unter Verzicht auf entsprechende klinische Studien machen den Umgang mit den Nachahmern für die behandelnden Ärzte zu einer echten Herausforderung. Die Zulassungs- behörden verlangen keinen Evidenz-Nachweis für die Austauschbarkeit von Original und Biosimilar und übertragen die Verantwortung auf die verordnenden Ärzte. In den letzten Jahren haben einige biologische Arzneimittel ihren Pa- tentschutz verloren, weitere werden ihn in naher Zukunft verlieren. Di- versen Anbietern scheint der Markt für Nachahmerprodukte lukrativ zu sein, weshalb diese künftig vermehrt erhältlich sein werden. Biosimilars sind keine Generika. Anders als bei den kleinen chemi- schen Molekülen handelt es sich bei monoklonalen Antiköpern um grosse Moleküle mit Tausenden von Atomen. Nachahmerprodukte werden an einem anderen Ort mit einem anderen Verfahren als das Referenzprodukt hergestellt. Der aufwendige Produktionsprozess mit der Biosynthese in lebenden Zellen und dem anschliessenden komplizierten Reinigungsverfahren besteht aus zahlreichen einzelnen Produktionsschritten. Der Patentverlust des Original- präparates bezieht sich nicht auf das verfahrenstechnische Wissen – das gehört weiterhin dem Herstel- ler des Originals und bleibt sein Geheimnis. Die Nachahmer-Firma muss folglich ein eigenes Produk- tionsverfahren entwickeln, mit dem Ziel, eine maximal ähnliche dreidimensionale Proteinstruktur reproduzieren zu können. Die Un- terschiede im Herstellungsprozess bedingen eine gewisse Variabilität der Biomoleküle, z. B. in der Gly- kosylierung, die eine Auswirkung auf die Wirksamkeit und Sicher- heit haben kann. 1 Daher können Biosimilars nicht identisch mit dem originalen Biopharmazeu- tikum sein, sondern nur ähnlich (similar). Biosimilars müssen aus diesem Grund für die Zulassung anhand von analytischen, präkli- nischen und klinischen Studien eine ähnliche Wirksamkeit und Sicherheit belegen. 2 Rückverfolgbarkeit ist unabdingbar In der Immunogenität biopharma- zeutischer Präparate sehen Exper- ten ein Risiko. Darunter versteht man die Fähigkeit einer Substanz, eine unerwünschte Immunantwort auslösen zu können, die zu allergi- schen und Autoimmunreaktionen führen kann. Gerade beim Wech- sel vom Original auf ein Biosimi- lar oder beim Wechsel von einem Biosimilar auf ein anderes Biosimi- lar könnte es zur Aktivierung des immunogenen Potenzials mit un- erwünschten Wirkungen kommen. Daher spielt die Überwachung der Sicherheit von Biosimilars nach der Marktzulassung im Sinne ei- ner «Good Pharmacovigilance Practice» eine wichtige Rolle. 3 Al- lerdings machen die identischen Wirkstoffnamen keine eindeutige Identifizierung möglich. Die EMA und die Swissmedic als Zulassungs- behörden akzeptieren den gleichen Wirkstoffnamen INN (Internatio- nal Nonproprietary Name) für Ori- ginal und Nachahmerprodukt. Um eine Rückverfolgbarkeit überhaupt erst möglich zu machen, sollte der Arzt daher immer den Handelsna- men und die LOT-Nummer doku- mentieren. Extrapolation von Studiendaten Bei der Extrapolation geht man da- von aus, dass man dem Biosimilar Eigenschaften zutraut, die über den mit klinischen Studien belegten Be- reich hinausgehen. Konnte für das Biosimilar eine ausreichende klini- sche Effektivität in einer bestimmten Indikation erbracht werden, schluss- folgert man beim Extrapolieren, dass das Biosimilar auch bei anderen In- dikationen, für die das Original zu- gelassen ist, wirksam ist, ohne dafür eigene Studien zu fordern. 2 Automatische Substitution ist nicht erlaubt Die Grundsätze des Regelwerkes zur Zulassung von Biosimilars der Europäischen Arzneimittel-Agen- tur (European Medicines Agency, EMA) wurden von der Swissmedic mit Anpassungen übernommen und sind wesentlich anspruchsvoller und aufwendiger als diejenigen für Ge- nerika. 2 Weder die EMA noch die Swissmedic verlangen aber für die Zulassung den Evidenz-Nachweis für die Austauschbarkeit von Re- ferenzprodukt und Biosimilar. Die Verantwortung liegt beim Arzt. 2 Die automatische Substitution, also der Austausch durch den Apotheker ohne Information des behandeln- den Arztes, ist in der Schweiz nicht gestattet. 4 Dieser Inter Medical Report wurde mit der freundlichen Unterstützung der Firma Roche Pharma (Schweiz) AG realisiert. 1. Sharma B. Immunogenicity of therapeutic proteins. Part 3: impact of manufacturing changes. Biotechnol Adv. 2007; 25(3): 325–331. 2. Swissmedic, Verwaltungsverordnung/An- leitung Zulassung ähnlicher biologischer Arzneimittel (Biosimilars), 01.09.2014. 3. Müller R et al. The advent of biosimilars: challenges and risks. Swiss Med Wkly. 2014; 144: w13980. 4. Swissmedic, Fragen/Antworten zur Zulas- sung ähnlicher biologischer Arzneimittel (Biosimilars), 17.02.2014. Wichtige Unterschiede zwischen Generika und Biosimilars Kopiebezeichnung Generikum Biosimilar biosimilarer Antikörper Grösse niedermolekulare Arzneimittel Aspirin 21 Atome hochmolekulare Arzneimittel humanes Wachstumshormon ~ 3000 Atome grossmolekulare Biologika IgG-Antikörper ~ 25 000 Atome Austauschbarkeit ja «(…) Die Zulassung der Swissmedic enthält keine Aussage darüber, ob ein Biosimilar austauschbar mit dem Referenzpräparat verwendet werden kann. Ein solcher Entscheid ist ausschliesslich durch den/die behandelnde/n Arzt oder Ärztin zu treffen.» 2 automatische Substitution ja «(...) der automatische Austausch von biologischen Arzneimitteln mit Biosimilars ist in der Schweiz nicht explizit erlaubt. Der Substitutionsparagraph im Krankenversicherungsgesetz (KVG, Art. 52a) beinhaltet nichts dergleichen und bezieht sich nur auf Generika.» 4 Wirkstoffbezeichnung (INN) gleich gleich; die INN-Bezeichnung folgt den Vorgaben der WHO 2 Für Biosimilars kommen aufgrund ihrer Komplexität keine Generika-Zulassungsverfahren infrage. Foto: Thinkstock
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Page 1: Entscheidung und Verantwortung liegen beim Arzt · sel vom Original auf ein Biosimi-lar oder beim Wechsel von einem Biosimilar auf ein anderes Biosimi - lar könnte es zur Aktivierung

REPORTInter Medical Report

Impressum | Idee und Konzeption: INTER MEDICAL, Grosspeterstrasse 23, Postfach, 4002 Basel · Information: Roche Pharma (Schweiz) AG · Projektleitung: Winfried Powollik · Autor: Winfried Powollik · Lektorat: Dr. phil. Regine Schricker · Layout: Michael Köb · Produktion: Dominique Hirter · © Nachdruck – auch auszugsweise – nur mit schriftlicher Genehmigung des Verlages · Medical Tribune Rheumatologie 02/2016

Verschreibung von Biosimilars

Entscheidung und Verantwortung liegen beim ArztBASEL – Die ersten Nachahmerprodukte von monoklonalen Antikör-pern kommen. Der Umgang mit diesen sogenannten Biosimilars ist anspruchsvoll. Das Wissen um das immunogene Potenzial, die mög-lichen Probleme beim Wechsel der Präparate und die Extrapolation von einer Indikation auf eine andere unter Verzicht auf entsprechende klinische Studien machen den Umgang mit den Nachahmern für die behandelnden Ärzte zu einer echten Herausforderung. Die Zulassungs-behörden verlangen keinen Evidenz-Nachweis für die Austauschbarkeit von Original und Biosimilar und übertragen die Verantwortung auf die verordnenden Ärzte.

In den letzten Jahren haben einige biologische Arzneimittel ihren Pa-tentschutz verloren, weitere werden ihn in naher Zukunft verlieren. Di-versen Anbietern scheint der Markt für Nachahmerprodukte lukrativ zu sein, weshalb diese künftig vermehrt erhältlich sein werden.

Biosimilars sind keine Generika. Anders als bei den kleinen chemi-schen Molekülen handelt es sich bei monoklonalen Antiköpern um grosse Moleküle mit Tausenden von Atomen. Nachahmerprodukte werden an einem anderen Ort mit einem anderen Verfahren als das Referenzprodukt hergestellt. Der aufwendige Produktionsprozess mit der Biosynthese in lebenden Zellen und dem anschliessenden komplizierten Reinigungsverfahren besteht aus zahlreichen einzelnen Produktionsschritten.

Der Patentverlust des Original-präparates bezieht sich nicht auf das verfahrenstechnische Wissen – das gehört weiterhin dem Herstel-ler des Originals und bleibt sein Geheimnis. Die Nachahmer-Firma muss folglich ein eigenes Produk-tionsverfahren entwickeln, mit

dem Ziel, eine maximal ähnliche dreidimensionale Proteinstruktur reproduzieren zu können. Die Un-terschiede im Herstellungsprozess bedingen eine gewisse Variabilität der Biomoleküle, z. B. in der Gly-kosylierung, die eine Auswirkung auf die Wirksamkeit und Sicher-heit haben kann.1 Daher können Biosimilars nicht identisch mit dem originalen Biopharmazeu-tikum sein, sondern nur ähnlich (similar). Biosimilars müssen aus diesem Grund für die Zulassung anhand von analytischen, präkli-nischen und klinischen Studien eine ähnliche Wirksamkeit und Sicherheit belegen.2

Rückverfolgbarkeit ist unabdingbar

In der Immunogenität biopharma-zeutischer Präparate sehen Exper-ten ein Risiko. Darunter versteht man die Fähigkeit einer Substanz, eine unerwünschte Immunantwort auslösen zu können, die zu allergi-schen und Autoimmunreaktionen führen kann. Gerade beim Wech-sel vom Original auf ein Biosimi-lar oder beim Wechsel von einem

Biosimilar auf ein anderes Biosimi-lar könnte es zur Aktivierung des immunogenen Potenzials mit un-erwünschten Wirkungen kommen. Daher spielt die Überwachung der Sicherheit von Biosimilars nach der Marktzulassung im Sinne ei-ner «Good Pharmacovigilance Practice» eine wichtige Rolle.3 Al-lerdings machen die identischen Wirkstoffnamen keine eindeutige Identifizierung möglich. Die EMA und die Swissmedic als Zulassungs-behörden akzeptieren den gleichen Wirkstoffnamen INN (Internatio-nal Nonproprietary Name) für Ori-ginal und Nachahmerprodukt. Um eine Rückverfolgbarkeit überhaupt

erst möglich zu machen, sollte der Arzt daher immer den Handelsna-men und die LOT-Nummer doku-mentieren.

Extrapolation von Studiendaten

Bei der Extrapolation geht man da-von aus, dass man dem Biosimilar Eigenschaften zutraut, die über den mit klinischen Studien belegten Be-reich hinausgehen. Konnte für das Biosimilar eine ausreichende klini-sche Effektivität in einer bestimmten Indikation erbracht werden, schluss-folgert man beim Extrapolieren, dass das Biosimilar auch bei anderen In-dikationen, für die das Original zu-

gelassen ist, wirksam ist, ohne dafür eigene Studien zu fordern.2

Automatische Substitution ist nicht erlaubt

Die Grundsätze des Regelwerkes zur Zulassung von Biosimilars der Europäischen Arzneimittel-Agen-tur (European Medicines Agency, EMA) wurden von der Swissmedic mit Anpassungen übernommen und sind wesentlich anspruchsvoller und aufwendiger als diejenigen für Ge-nerika.2 Weder die EMA noch die Swissmedic verlangen aber für die Zulassung den Evidenz-Nachweis für die Austauschbarkeit von Re-ferenzprodukt und Biosimilar. Die Verantwortung liegt beim Arzt.2 Die automatische Substitution, also der Austausch durch den Apotheker ohne Information des behandeln-den Arztes, ist in der Schweiz nicht gestattet.4

Dieser Inter Medical Report wurde mit der freundlichen Unterstützung der Firma Roche Pharma (Schweiz) AG realisiert.

1. Sharma B. Immunogenicity of therapeutic proteins. Part 3: impact of manufacturing changes. Biotechnol Adv. 2007; 25(3): 325–331.

2. Swissmedic, Verwaltungsverordnung/An-leitung Zulassung ähnlicher biologischer Arzneimittel (Biosimilars), 01.09.2014.

3. Müller R et al. The advent of biosimilars: challenges and risks. Swiss Med Wkly. 2014; 144: w13980.

4. Swissmedic, Fragen/Antworten zur Zulas-sung ähnlicher biologischer Arzneimittel (Biosimilars), 17.02.2014.

Wichtige Unterschiede zwischen Generika und BiosimilarsKopiebezeichnung Generikum Biosimilar biosimilarer Antikörper

Grösse niedermolekulare Arzneimittel Aspirin 21 Atome

hochmolekulare Arzneimittel humanes Wachstumshormon ~ 3000 Atome

grossmolekulare Biologika IgG-Antikörper ~ 25 000 Atome

Austauschbarkeit ja «(…) Die Zulassung der Swissmedic enthält keine Aussage darüber, ob ein Biosimilar austauschbar mit dem Referenzpräparat verwendet werden kann. Ein solcher Entscheid ist ausschliesslich durch den/die behandelnde/n Arzt oder Ärztin zu treffen.»2

automatische Substitution ja «(...) der automatische Austausch von biologischen Arzneimitteln mit Biosimilars ist in der Schweiz nicht explizit erlaubt. Der Substitutionsparagraph im Krankenversicherungsgesetz (KVG, Art. 52a) beinhaltet nichts dergleichen und bezieht sich nur auf Generika.»4

Wirkstoffbezeichnung (INN) gleich gleich; die INN-Bezeichnung folgt den Vorgaben der WHO2

Für Biosimilars kommen aufgrund ihrer Komplexität keine Generika-Zulassungsverfahren infrage. Foto: Thinkstock

Page 2: Entscheidung und Verantwortung liegen beim Arzt · sel vom Original auf ein Biosimi-lar oder beim Wechsel von einem Biosimilar auf ein anderes Biosimi - lar könnte es zur Aktivierung

Wir fragten zwei ExpertenInterview mit Professor Dr. Bernhard Sauter, GastroZentrum Hirslanden, Zürich, und Professor Dr. Diego Kyburz, Chefarzt, Rheumatologische Klinik, Universitätsspital Basel

Als erster biosimilarer Antikörper wurde Ende 2015 ein biosimilares In-fliximab in der Schweiz zugelassen. Infliximab wird bei Rheumatoider Arthritis, Psoriasis, ankylosieren-der Spondylitis, Morbus Crohn und Colitis ulcerosa eingesetzt. Gastro-enterologen und Rheumatologen müssen sich jetzt darauf einstel-len, mit Biosimilars konfrontiert zu werden. Wir wollten daher von zwei Vertretern dieser Fachrichtungen wissen, welche Herausforderungen sie erwarten.

?Die Swissmedic entscheidet «fallwei-se», ob ein Biosimilar extrapoliert

wird. Unabhängig davon, ob ein Biosi-milar die gleichen Indikationen wie das Original erhält, bekommt das Biosimilar den gleichen Wirkstoffnamen wie das Original (INN). Wie beurteilen Sie diese Situation? Welche Risiken könnten ohne eindeutige Benennung der diversen Substanzen bestehen?Prof. Sauter: Ich frage mich, wie ähn-lich die diversen Präparate tatsächlich sein werden, die im Laufe der Zeit auf den Markt kommen werden, mit all den Seitenketten, Glykosylierungen usw. Es geht hier auch um die Im-munogenität. Dass ein Biosimilar den gleichen Namen bekommt wie das Original, grenzt an Fahrlässigkeit. Die Entscheidung für diese einfache Form der Nomenklatur finde ich absolut un-angebracht. Wie sollen wir behandeln-den Ärzte denn so in Erfahrung brin-gen können, welches Mittel der Patient früher bereits erhalten hat, wenn die Biosimilars weder untereinander noch vom Original unterschieden werden können? Was taugen die Studien, wenn die Präparate nicht eindeutig zu iden-tifizieren sind? Eine Pharmakovigilanz können wir so nicht durchführen.

Prof. Kyburz: Wir müssen wissen, wel-ches Medikament der Patient nimmt bzw. früher genommen hat. Das ist wichtig, damit eine Pharmakovigi-lanz überhaupt möglich ist, und die Grundlage für etwaige Studien. Allein mit dem Wirkstoffnamen ist es nicht möglich, ein Biosimilar zu bestimmen.

?Im Unterschied zur Schweizer Swiss-medic und der europäischen EMA

verlangt die amerikanische FDA diffe-renzierte INNs durch Anhängen eines Suffixes. Was halten Sie von diesem Entscheid?Prof. Sauter: Das finde ich gut, da er-kennt der Arzt, um welches Präparat es sich handelt. In der Schweiz sollten wir neben dem Wirkstoffnamen im-mer den Brand-Namen notieren, so wie es in gewissen Fachinformationen bereits gefordert wird. Verwirrungen zwischen den US-amerikanischen dif-ferenzierten INNs und den einfachen europäischen sind unvermeidbar.

Prof. Kyburz: Das ist eine Möglichkeit, ein Biosimilar zu benennen. In der Schweiz und in der EU müssen wir zusätzlich zum Wirkstoffnamen den Brand-Namen und die LOT-Nummer angegeben. Damit ist die eindeutige Identifizierung möglich. Das ist so lange handhabbar, wie eine kleinere überschaubare Zahl von Biosimilars mit dem gleichen Wirkstoffnamen zugelassen ist.

?Die FDA betrachtet Biosimilars per se als nicht austauschbar mit dem

Original und auch nicht untereinander. Für die Austauschbarkeit werden von der FDA spezifische Studien gefordert. Welche Anforderungen stellen Sie in diesem Zusammenhang an die klini-sche Evidenz?Prof. Sauter: Für die Zulassung eines Biosimilars wird der Wirknachweis in der sensitivsten Indikation verlangt. Aber welche Indikation ist das? Wenn man mit den Vertretern der Zulas-sungsbehörden spricht, erklären sie, das sei beim Infliximab die Rheumatoide Arthritis, und zwar aus dem einfachen Grund, weil man sehr gut anhand von Scores nachvollziehen könne, ob es eine Wirkung gibt oder nicht. Aus meiner Sicht ist die sensitivste Indikation beim Infliximab der Morbus Crohn, weil er am schwierigsten zu behandeln ist. Wenn ein Biosimilar beim Morbus Crohn wirkt, dann ist die Chance gross, dass es auch bei der Rheumatoiden Ar-thritis wirksam ist. Ich muss in meinem

Fachgebiet die Evidenz fordern, dass eine Non-Inferiority zwischen Biosi-milar und Originalpräparat vorliegt. Das ist das Minimum. Und die Neben-wirkungen müssen dokumentiert sein.

Prof. Kyburz: Die Zulassungsbehörde überlässt die Entscheidung, ob ein Biosimilar mit dem Original oder mit einem anderen Biosimilar ausge-tauscht werden kann, dem Arzt. Eine automatische Substitution durch den Apotheker ist in der Schweiz ausdrück-lich untersagt. Ich denke, dass ein von der Swissmedic zugelassenes Biosimi-lar dem Original sehr ähnlich ist. Es müssen ja auch die entsprechenden Studien durchgeführt worden sein. Der Aufwand für die Zulassung eines Biosimilars ist aufgrund der hohen Anforderungen an die Wirksamkeit und Sicherheit wesentlich grösser und anspruchsvoller als bei Generika.

?Das Schweizer BAG erwähnt sogar mögliche Gefahren durch Immu-

nogenität beim Switch vom Original zu Biosimilar oder von Biosimilar zu Biosimilar. Mit welchen Risiken ist Ihrer Meinung nach beim Switch zu rechnen?Prof. Sauter: Wenn man beim Präpa-ratewechsel ein Problem sieht, dann muss man die Präparate auch anhand des Namens unterscheiden können, was wiederum für die Forderung nach einer eindeutigen Bezeichnung spricht. Wir wissen nicht, was beim Wechsel vom Original zum Biosimilar oder Austausch von Biosimilars passiert. Wir müssen immer an die Immuno-genität denken!

Prof. Kyburz: Beim Wechsel, dem Switching, von einem Referenzprodukt zu einem Biosimilar oder zwischen Biosimilars muss die Immunogenität als ein mögliches Risiko in Betracht ge-zogen werden. Biosimilars sind ähnlich, aber nicht gleich. Ich erinnere nur an die unterschiedliche Glykosylierung.

?Während die EMA zum Thema Aus-tauschbarkeit und Präparatewech-

sel während einer bestehenden Thera-

pie schweigt, hat die Swissmedic diese Frage explizit an die Ärzte delegiert. Wie werden Sie das Thema Switching in Ihrem klinischen Alltag behandeln?Prof. Sauter: Bei schwer zu behan-delnden Patienten, die stabilisiert sind, würde ich das Präparat nicht wechseln, auch dann nicht, wenn das Restrisi-ko sehr klein ist. Das wäre für mich ethisch nicht vertretbar. Beim Neu-beginn einer Therapie ist das etwas anderes, da kann ich mir den Einsatz eines Biosimilars vorstellen.

Prof. Kyburz: Das American College of Rheumatology ist zwingend dagegen, bei stabilen Patienten – lediglich aus Kostengründen – die Medikation zu ändern, wozu explizit die Biosimilars gehören. Ich lehne es auch ab, bei gut eingestellten Patienten auf ein Biosi-milar zu wechseln. Bei Neu-Einstellun-gen könnte man mit einem Biosimi-lar beginnen und sehen, wie sich die Krankheit einstellen lässt.

?Haben Sie Verständnis dafür, dass Fachgesellschaften und Patienten-

organisationen sich gegen bestimmte Extrapolationen wehren? Wie beurtei-len Sie die Extrapolation von Indika-tionen, also wenn in der Indikation A eine Wirkung nachgewiesen wurde und die Behörde schlussfolgert, dass auch ohne Wirksamkeitsnachweis In-dikation B zugelassen wird? Prof. Sauter: Ich bin in der glücklichen Lage, dass ich selber entscheiden kann, welche Präparate ich verordne. Aber wenn in einem Spital die Spitalapothe-ke sagt, wir haben nur noch das Bio-similar im Angebot, dann haben die behandelnden Ärzte ein Problem. Ich würde das nicht korrekt finden.

Ich kann nicht einfach von der Rheumatoiden Arthritis auf den Mor-bus Crohn extrapolieren. Ich benötige Daten. Es würde mir vielleicht sogar genügen, wenn man mir zeigen wür-de, dass das Biosimilar bei einer relativ schweren Morbus-Crohn-Population wirkt. Dann muss man die Wirkung in der Colitis-ulcerosa-Population nicht unbedingt nachweisen. Natür-lich muss man nicht alle Studien, die mit dem Original gemacht wurden, wiederholen. Dann würde das Biosi-milar zu teuer, das wäre nicht der Sinn der Sache. Aber eine wissenschaftlich gut gemachte Zulassungsstudie sollte finanziell verkraftbar sein.

Prof. Kyburz: Ich kann die Unzu-friedenheit der Gastroenterologen verstehen, wenn die Wirkung und Sicherheit eines Biosimilars für eine rheumatologische Erkrankung in einer Studie nachgewiesen wurde und da-raus – ohne irgendeinen spezifischen Studiennachweis – die Zulassung für eine gastroenterologische Erkrankung abgeleitet wird. Ich bin allerdings der Meinung, wenn die Wirkung beispiels-weise für die Spondylitis ankylosans nachgewiesen ist, dass man dann da-von ausgehen darf, dass das Biosimilar auch bei pathogenetisch verwandten miteinhergehenden chronisch ent-zündlichen Darmerkrankungen wirkt. Wenn aus regulatorischen Gründen für jede Indikation eine Studie ver-langt würde, wären die Biosimilars aus Kostengründen tot.

?Was sind für Sie wichtige kritische Punkte, die von den Behörden bei

der Zulassung von Biosimilars in Be-tracht gezogen werden sollten?Prof. Sauter: Die INN-Bezeichnung sollte unverrückbar für die einzelnen Substanzen definiert sein. Ansonsten bin ich mit der Swissmedic und der EMA, wie sie bislang die Biosimilars managen, nicht so unglücklich. Un-glücklich wäre ich, wenn der Apothe-ker über die Substitution entscheiden könnte. Darüber wurde in den USA diskutiert. Die Swissmedic überlässt dem Arzt noch eine gewisse Entschei-dungsfreiheit. Ich sehe das grössere Problem beim vielleicht künftigen Druck durch die Krankenkassen. Aber im Moment kann ich mir noch nicht vorstellen, dass sich die Krankenkas-sen trauen, sich soweit aus dem Fens-ter zu lehnen, dass sie solche Switches anordnen würden. Aber eventuell werden die Kassen bei Neubeginn einer Therapie den Einsatz von Bio-similars verlangen.

Prof. Kyburz: Ich wünsche mir vor al-len Dingen, dass die Entscheidungs-hoheit beim Arzt bleibt und nicht irgendwann von den Krankenkassen vorgeschrieben wird. Und ich möch-te auch, dass in Institutionen wie den Universitätskliniken die Verordnungs-freiheit auf ärztlicher Seite erhalten bleibt. Ich möchte nochmals betonen, wie wichtig es mir ist, dass eindeutig dokumentiert wird, welches Medika-ment der Patient eingenommen hat.

Professor Dr. Bernhard SauterGastroZentrum Hirslanden, Zürich Foto: zVg

Professor Dr. Diego KyburzChefarzt, Rheumatologische Klinik, Universitätsspital Basel Foto: zVg

Interview

Illustration: MT-Grafik nach Müller R et al.3

Herstellung biologischer Medikamente: ein einzigartiger und komplexer Prozess

Menschliches Gen DNA-Vektor

Einbau in die Wirtszelle

Fermentation

Formulierung

Klonen zum DNA-Vektor

Bakterien oder

Säugerzellen

Prozessabweichungen können Einfluss auf Sicherheit, Wirksamkeit und Immunogenität des Biologikums haben.


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