In einer großen multizentrischen Untersuchung verglichen die Kol-legen des australischen und neu-seeländischen Intensivverbundes, ob eine frühe parenterale Ernäh-rung ab dem zweiten Tag bei einer „kurzfristigen relativen Kontra-indikation“ für eine enterale Er-nährung von Vorteil ist. Jeweils
686 Patienten wurden in die Stan-dard-Gruppe und in die Gruppe mit früher parenteraler Ernäh-rung eingeschlossen. In der Stan-dard-Gruppe erhielten die Pa-tienten im Schnitt nach 2,8 Tagen eine Ernährungstherapie. 29,2 % begannen mit enteraler Ernäh-rung, 27,3 % mit parenteraler Er-
Supplementierende parenterale Ernährung bei nicht ausreichender enteraler Ernährung
Originalpublikation
Heidegger CP, Berger MM, Graf S et al (2013) Optimisation of energy provision with supplemental parenteral nutrition in critically ill patients: a randomised controlled clinical trial. Lancet 381:385-393
Wenn eine parenterale Ernäh-rung erst nach Ausschöpfung der enteralen Ernährung eingeführt wird, kann sie Vorteile bringen? Diese Frage versuchte die Studie von Pichard et al zu beantworten. Ihre Strategie war, Patienten am dritten Tag auf der Intensivsta-tion zu untersuchen, ob sie weni-
ger als 60 % des durch indirekte Kaloriemetrie gemessenen Kalo-rienbedarfs durch enterale Er-nährung erhielten. Falls die er-wartete Zeit für eine Ernährungs-therapie mehr als 5 Tage betrug, randomisierten sie die Patienten in eine Gruppe mit enteraler (152 Patienten) und eine Gruppe mit supplementierender parenteraler Ernährung (153 Patienten) ab dem 4. Tag auf der Intensivsta-tion. Die Patienten mit rein ente-raler Ernährung erhielten im Durchschnitt 20 kcal/kg/d, wäh-rend die Patienten mit supple-mentierender parenteraler Er-nährung 8 kcal/kg/d mehr erhiel-ten. Die Autoren verfolgten die Entwicklung sekundärer Infek-tionen bis Tag 28 nach. 38 % der Patienten in der Kontrollgruppe entwickelten eine sekundäre In-fektion, verglichen mit 27 % der Patienten, die eine parenterale Supplementierung erhielten (p = 0,0248, Abb. 1). Somit konnte durch diese Strategie zum ersten Mal durch eine individualisierte Ernährungsstrategie eine Ver-minderung nosokomialer Infek-tionen nachgewiesen werden. Des
Weiteren konnten die Autoren einen verminderten Einsatz von Antibiotika und eine geringere Beatmungszeit von Patienten oh-ne nosokomiale Infektion zeigen.
Kommentar Die Studie zeigt einen klaren Vor-teil einer individualisierten und leitliniengerechten Ernährungs-therapie. Zum einen wurde erst nach dem dritten Tag auf der In-
tensivstation die Randomisierung in die Gruppen eingeleitet, wie die europäischen Leitlinien dies vorsehen. Zum anderen führten die Autoren eine indirekte Kalo-riemetrie durch und individuali-sierten die supplementierende parenterale Ernährung. Falls dies nicht möglich war, gaben sie ein Kalorienziel von 25 bzw. 30 kcal/kg/d für Frauen und Männer vor.
Frühe parenterale Ernährung bei Kontraindikation für eine enterale Ernährung
Originalpublikation
Doig GS, Simpson F, Sweetman EA et al (2013) Early parenteral nutrition in critically ill patients with short-term relative contra-indications to early enteral nutrition: a randomized controlled trial. JAMA 309:2130-2138
Abb. 1 8 Entwicklung sekundärer Infektionen in den Studiengruppen darge-stellt nach Kaplan-Meier. EN (blau) = enterale Ernährung, SPN (rot) = Supple-mentierende parenterale Ernährung (p = 0,0338). (Adaptiert nach Heidegger et al. (2013) Lancet 381:385-393)
Anzahl gefährdeter PatientenSPN
EN153152
148147
99
Tage seit Aufnahme in ICU
Ant
eil o
hne
noso
kom
iale
In
fekt
ione
n
71
289
p=0.0338*
00.5
0.6
0.7
0.8
0.9
1.0
SPN
EN
Update Intensivmedizin · Enterale und parenterale Ernährung
Korrespondenzadresse
Prof. Dr. Konstantin MayerZentrum für Innere Medizin, Medizinische Klinik II Universtitätsklinikum Gießen und Marburg Klinikstr. 36, 35392 Gießen E-Mail: Konstantin.Mayer@ innere.med.uni-giessen.de
Interessenkonfllikt: K. Mayer erklärt, dass er Honorare für produktneutrale Vorträge für Abbott, Fresenius Kabi, B. Braun, Baxter und Nestlé erhalten hat.
Die Beiträge stammen aus dem Hand-buch Intensivmedizin 2013 und ent-sprechen den Seminarunterlagen des 5. Intensiv Update 2013 der med up-date GmbH.
Med Klin Intensivmed Notfmed 2014 · 108:4–5 DOI 10.1007/s00063-014-0352-5 © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2014
Redaktion: S. Kluge, Hamburg
4 | Medizinische Klinik Intensivmedizin und Notfallmedizin 1 · 2014
nährung und 40,8 % erhielten keine Ernährung. Patienten in der Gruppe mit früher parentera-ler Ernährung erhielten diese durchschnittlich 44 Minuten nach Einschluss in die Studie. Das Kalorienziel der Studie – berech-net nach der Harris-Benedikt Formel unter dem möglichen Einschluss von Stressfaktoren – wurde bei 35 kcal/kg/d begrenzt.
Die Studie sollte einen Vorteil der parenteralen Ernährung für das Überleben der Patienten nach-weisen. Dies gelang den Autoren nicht; 22,8 % in der Standard-Gruppe und 21,5 % in der Gruppe der frühen parenteralen Ernäh-rung verstarben (p = 0,6), die Lie-gezeit auf der Intensivstation (Standard 9,3 Tage vs. Interven-tion 8,6 Tage, p = 0,06) war eben-
falls nicht different. Erst in den tertiären Parametern konnten die Autoren Vorteile für die parente-rale Ernährung finden. Es kam zu einer signifikanten Reduktion von Beatmungszeit, Gerinnungs-störungen und therapiebedürfti-gen Hypertonien. Insgesamt wa-ren keine zusätzlichen Infektio-nen unter der parenteralen Er-nährung zu beobachten. In einer
Sekundäranalyse fanden die Au-toren eine Kostensenkung von 1.314US$ bei Einsatz der parente-ralen Ernährung [1].
Literatur1. Doig GS et al (2013) Clinicoecon
Outcomes Res 5:369-379
Glutamin ist eine konditionell es-sentielle Aminosäure für Inten-sivpatienten. Glutaminspiegel im Plasma waren bei Intensivpatien-ten reduziert. Glutamin konnte aufgrund von Instabilität nicht in die üblichen Aminosäurelösun-gen für die parenterale Zufuhr integriert werden. Erst die Her-stellung eines Dipeptids sorgte für eine entsprechende Haltbar-keit in Lösung. Die Addition des Dipeptids zu einer parenteralen Ernährung führte zu einem Überlebensvorteil für kritisch Kranke, wobei das Signal am stärksten für Patienten ohne ente-rale Ernährung war, die länger als 5 Tage parenterale Ernährung be-nötigten. Die Leitlinien haben die Supplementierung des Dipeptides zur parenteralen Ernährung mit einer starken Empfehlung ver-sehen [1]. Vor diesem Hinter-grund führte Heyland eine multi-nationale Studie zum Einsatz von Glutamin und Antioxidantien durch. In einen 2 x 2-Design wur-
de sowohl die kombinierte ente-rale und parenterale Zufuhr von Glutamin untersucht als auch die parenterale Zufuhr von Selen, Zink, ß-Carotin, Vitamin E und Vitamin C. Insgesamt wurden 1.223 Intensivpatienten einge-schlossen. Patienten, die Glutamin erhielten, hatten einen Trend zu einer er-höhten Sterblichkeit nach 28 Ta-gen, entsprechend dem primären Studienziel (32,4 % vs. 27,2 %; ad-justierter OR: 1.28; 95% Konfi-denzintervall: 1,00–1.64; p = 0,05). Aufgrund einer Zwischen-analyse lag das Signifikanzniveau bei 0,044, allerdings lagen auch
eine signifikant höhere Kranken-haus- und 60-Tage Sterblichkeit vor (Abb. 2). Glutamin hatte kei-nen Effekt auf Organversagen oder Infektionen. In einer kleinen Gruppe von Patienten untersuch-ten die Autoren auch die Konzen-tration von Glutamin in Plasma und fanden keine verminderten Glutaminspiegel. Die Autoren schließen, dass Anti-Oxidantien keinen Effekt bei schwer kranken Intensivpatienten haben. Gluta-min hingegen führte, bei kombi-nierter enteraler und parenteraler Zufuhr, bei Patienten mit Multi-organversagen zu einer erhöhten Sterblichkeit.
KommentarDie Ergebnisse der REDOXS-Studie sind von hoher Relevanz. Die bisherigen positiven Daten für Glutamin beruhen auf dem parenteralen Einsatz bei Patien-ten ohne enterale Ernährung. In der vorliegenden Studie wurde Patienten simultan enteral und parenteral Glutamin zugeführt – eine Neuerung im Vergleich zu den bisherigen streng getrennten Modalitäten. Die Patienten in der Studie waren zudem schwer krank, dies spiegelt sich in der hö-heren Sterblichkeit wider. Viele Patienten waren septisch, im Schock oder im Multiorganver-sagen, diese Patienten sollten in Zukunft kein Glutamin mehr er-halten. So sollten nur noch stabile Patienten ohne enterale Ernäh-rung parenteral Glutamin erhal-ten. Heyland hat einen Algo-rhythmus vorgestellt, der die Er-gebnisse der Studie integriert und die bisherigen positiven Ergebnis-se berücksichtigt [2].
Literatur1. Singer P et al (2009) Clin Nutr 28:387-
400.2. Heyland DK and R Dhaliwal (2013)
JPEN J Parenter Enteral Nutr 37:442-443
Originalpublikation
Heyland D, Muscedere J, Wischmeyer PE et al (2013) A randomized trial of glutamine and antioxidants in critically ill patients. N Engl J Med 368:1489-1497
Glutamin und AntioxidantienErgebnisse der REDOXSStudie
Abb. 28 Überleben der Patienten in der REDOXS Studie. Dargestellt in blau ist
die Glutamin-Gruppe, in rot die Kontrollgruppe. (Adaptiert nach Heyland et al.
(2013) N Engl J Med 368:1489-1497
1.0
0.8
0.6
0.4
0.2
0.0611607
334357
0 100 150
367400
50
306316
Tage ab Randomisierung
JaNein
# ge
fähr
dete
rPa
tient
enÜ
berle
bens
wah
rsch
einl
ichk
eit
Glutamin Ja Nein
+ Zensierte Daten
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