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Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

Date post: 18-Dec-2016
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Page 1: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie
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Peter Schneider

Einführung in dieExtragalaktischeAstronomieund Kosmologie

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Peter Schneider

Einführung in dieExtragalaktische Astronomieund KosmologieMit 444 Abbildungen und 10 Tabellen

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Prof. Dr. Peter Schneider

Argelander-Institut für AstronomieUniversität BonnAuf dem Hügel 7153121 Bonn

e-mail: [email protected]

Korrigierter Nachdruck 2008

ISBN 978-3-540-25832-2e-ISBN 978-3-540-30589-7Springer Berlin Heidelberg New York

Bibliografische Information der Deutschen BibliothekDie Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in derDeutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Datensind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.

Umschlagbild: STScI-PRC03-01a: Galaxy Cluster Abell 1689,Hubble Space Telescope - Advanced Camera for SurveysCredit: NASA, N. Benitez (JHU), T. Broadhurst (Racah Instituteof Physics/The Hebrew University), H. Ford (JHU), M. Clampin(STScI), G. Hartig (STScI), G. Illingworth (UCO/Lick Observatory),the ACS Science Team and ESAQuelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2003/01/image/a

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begrün-deten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks,des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, derFunksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung aufanderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen,bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. EineVervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes istauch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmun-gen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sieist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegenden Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes.

Springer ist ein Unternehmenvon Springer Science+Business Mediaspringer.dec© Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2006

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Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbe-zeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondereKennzeichung nicht zu der Annahme, daß solche Namen im Sinneder Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zubetrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.

Satz undHerstellung: LE-TEX, Jelonek, Schmidt & Vöckler GbR, LeipzigUmschlaggestaltung: Erich Kirchner, Heidelberg

Gedruckt auf säurefreiem Papier 55/3141/YL – 5 4 3 2 1 0

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Vorwort

Dieses Buch entwickelte sich aus dem Skriptum einerVorlesung, die ich als zweiten Teil einer Einfüh-rungsvorlesung seit dem Jahre 2001 jährlich an derUniversität Bonn gehalten habe. Die Vorlesung richtetsich an Studienanfänger, die in der Mehrzahl Astro-nomie als Nebenfach wählen; die meisten Hörer sindStudierende im ersten Jahr ihres Physik-Studiums, diezuvor schon den ersten Teil der Einführung besuchthaben, in der Sterne und astronomische Grundbegriffeund Messmethoden behandelt werden. Die Vorlesungkonzentriert sich daher ganz auf die extragalaktischeAstronomie und Kosmologie, wobei zu Beginn dieMilchstraße als eine typische Spiralgalaxie diskutiertwird. Um dieses Buch einem weiteren Leserkreis zueröffnen, werden in einem Anhang kurz einige astrono-mische Grundbegriffe und die für das Verständnis desStoffes relevanten Fakten des Strahlungsfelds und derSterne zusammengestellt.

Ziel der Vorlesung und damit auch dieses Buchesist, schon frühzeitig Studierende der Physik an dieAstronomie heranzuführen. Da im ersten Studienjahrdas physikalische Grundwissen nur eingeschränkt zuVerfügung steht, müssen viele Sachverhalte mit ver-einfachenden Argumenten behandelt werden. Dennochist es erstaunlich, in welchem Umfang mit solchenArgumenten die moderne Extragalaktik nahegebrachtwerden kann. Die Vorlesung erstreckt sich über das ge-samte hier präsentierte Material und ist deshalb rechtumfangreich. Andererseits gestattet nur dieser Umfang,die Studierenden schon frühzeitig an die Front unseresastrophysikalischen Wissens heranzuführen; sie lernendeshalb auch viel darüber, was wir zur Zeit noch nichtwissen. Gerade dieser Aspekt erscheint mir von großerBedeutung für die Rolle der Astrophysik in der Physik-Ausbildung, da in anderen Teilgebieten die Grenzenunseres heutigen Wissens erst in einem viel späterenStadium des Studiums sichtbar werden.

Besonders die Aspekte der Kosmologie stoßenauf reges Interesse. Trotz des Stoffumfangs gelingtes der großen Mehrheit der Zuhörer, sich den Inhaltder Vorlesung anzueignen, wie wir aus den Vor-diplomsprüfungen leicht ersehen können – und die

dazugehörige Statistik ist nicht klein: Mein KollegeKlaas de Boer und ich nehmen pro Jahr zusammen etwa100 Vordiplomsprüfungen ab. Vereinzelten Beurteilun-gen der Studierenden, die Vorlesung sei zu umfangreichoder zu schwer, ist entgegenzuhalten, dass es keinenGrund gibt, warum eine Astronomie-Vorlesung we-niger anspruchsvoll sein soll als eine Physik- oderMathematik-Vorlesung.

Warum ein Buch daraus erstellen? Bei der Kon-zeption der Vorlesung wurde mit schnell klar, dassich nicht nach einem vorhandenen Lehrbuch vorge-hen konnte (oder wollte). Deutschsprachige Lehrbücherüber Astronomie gibt es nur wenige, und die vorhande-nen behandeln die Extragalaktik nicht annähernd in demUmfang und der Tiefe, wie ich mir die Vorlesung vor-gestellt hatte. Aber auch im englischsprachigen Bereichist die in Frage kommende Auswahl nicht groß. Wäh-rend eine ganze Reihe sehr guter Einführungstexte aufdem Markt existieren, sind diese meist in ihrer tech-nischen Behandlung eher zurückhaltend. Viele Dingelassen sich jedoch besser erklären, wenn man (auch)ein technisches Argument anführen kann. Es ist daherdie Hoffnung, mit diesem Text einen Bereich der mo-dernen Astrophysik auf einem Niveau darzustellen, dasder oben genannten Zielgruppe angepasst ist.

Ziel ist weiterhin, die Extragalaktik so breit zu be-handeln, dass dieses Buch die Leser in die Lage versetzt,entsprechende Fachliteratur zu lesen, so dass zumindestdie Terminologie erläutert werden muss. Da praktischsämtliche Fachliteratur auf Englisch geschrieben wird,habe ich wenig Sinn darin gesehen, die gesamte Fach-terminologie auf Deutsch zu übersetzen, und wo diesgeschieht, werden die englischen Begriffe gleichzeitigeingeführt. Aus dem gleichen Grund werden die ge-bräuchlichen Abkürzungen benutzt, die am Ende desBuches aufgelistet werden.

Bei der Einführung in die Astronomie sehen sichdie Studierenden mit zwei Problemen gleichzeitigkonfrontiert: auf der einen Seite dem Verständnis astro-physikalischer Zusammenhänge – beispielsweise denArgumenten, die zu dem Schluss führen, dass die zen-trale Maschine der Aktiven Galaxien ein Schwarzes

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Vorwort

Loch ist; auf der anderen Seite der Vielzahl von neuenBegriffen, Klassifizierungen, die zum Teil nur als his-torischer Ballast zu betrachten sind. Als Beispiel seihier die Klassifizierung der Supernovae angeführt, diezwar auf Beobachtungstatbeständen beruht, mit unse-rem heutigen Verständnis der verschiedenen SN-Typenaber wenig gemein hat; ein anderes Beispiel ist die Klas-sifikation der Aktiven Galaxien. In der Vorlesung habeich versucht, die beiden Schwierigkeiten so weit wiemöglich zu trennen, also deutlich zu machen, wannFakten präsentiert werden, die zunächst mal einfach zurKenntnis genommen werden sollen, und wann man ei-nem astrophysikalischen Zusammenhang auf der Spurist, wobei letzterer Aspekt stets deutlich mehr Raumeinnahm als ersterer. Es ist zu hoffen, dass dieser Un-terschied auch in dieser schriftlichen Niederlegung zuerkennen ist.

Genau wie in der Vorlesung selbst wurde nicht derVersuch gemacht, erst die physikalischen Grundlagenzu behandeln, um sie dann ,,in einem zweiten Teil“auf die Astrophysik anzuwenden. Stattdessen werdendie wichtigsten Prozesse an der Stelle erläutert, wosie zum ersten Mal zentral wichtig werden. Weiter-hin wurde berücksichtigt, dass die Studierenden imersten Studienjahr sehr schnell ihr physikalisches undmathematisches Wissen erweitern; aus diesem Grundeist der Stoff zum Teil nach Schwierigkeit geordnet. Sowird beispielsweise zunächst der homogene Kosmosbesprochen und erst später die Prozesse der Struktur-entwicklung, die zwischenzeitlich durch die Diskussionüber Galaxienhaufen motiviert wurde.

Das Thema und der Umfang dieses Buches implizie-ren, dass eine Auswahl des Materials notwendig ist undder Text nicht umfassend sein kann. Ich möchte daheran dieser Stelle bei den Kollegen um Verständnis bitten,die ,,ihr“ Gebiet nicht in dem Umfang hier wiederfin-den, wie es der Bedeutung nach angemessen wäre. Ichhabe mir ebenfalls die Freiheit erlaubt, mein persönli-ches Forschungsgebiet – die Gravitationslinsen – etwasüberproportional zu betonen. Wenn es einer Rechtferti-gung bedarf: Die Grundgleichungen der Linsentheoriesind genügend einfach, dass man bereits im frühen Sta-dium der Ausbildung diesen Effekt sehr gut erläuternkann.

Viele Zuhörer sind nicht nur an den physikalischenInhalten der Astronomie interessiert, sondern sind be-geisterte Astronomen. Manche betreiben seit Jahren

die Astronomie als Hobby und sind fasziniert von denGeschehnissen außerhalb der Erde. Ich habe versucht,diese Faszination an einigen Stellen der Vorlesung auf-leben zu lassen, etwa durch historische Schilderungenoder durch die Diskussion von bestimmten Beobachtun-gen oder Instrumenten. An einigen Stellen bot es sichselbstverständlich an, Erstaunen hervorzurufen, etwabei der Schilderung von scheinbar überlichtschnellenBewegungen – um dann durch die Erklärung diesesPhänomens der Superluminal Motion die Beobach-tungstatsachen wieder in unser physikalischen Weltbildeinzufügen. Aus diesem Grunde wird bei manchen Ge-legenheiten der traditionell eher trockene Lehrbuchstilbeiseite geschoben.

Aber die eigentliche Faszination ergibt sich aus denInhalten selbst – es ist immer wieder verblüffend zuerkennen, wie sehr unser Wissen über den Kosmos inden letzten Jahren gewachsen ist, wie Phänomene, diezunächst als Besonderheiten eingeordnet wurden, sichin ein Gesamtbild einfügen und wie weit das Modelldes isotrop expandierenden Universums die kosmolo-gischen Beobachtungen erklären kann. Auch auf dieGefahr hin, dass einige Abschnitte dieses Buches nachrelativ kurzer Zeit überholt sein können, wurden auchThemen aufgenommen, die sich erst am Beginn einersicherlich rasanten Entwicklung befinden – und wennes gelingt, das Interesse der Leser an solchen Gebietenzu erwecken und in die Lage versetzt, neue Entwicklun-gen durch eigenes Literaturstudium zu verfolgen, dannhat dieses Buch sicherlich ein wichtiges Ziel erreicht.

Die Erstellung des Vorlesungsskripts und dessenErweiterung zu einem Buch wäre ohne die aktiveHilfe von zahlreichen Studierenden und Kollegen nichtmöglich gewesen, denen ich hier danken möchte. JanHartlap, Elisabeth Krause und Anja von der Lindenhaben zahllose Verbesserungsvorschläge gemacht, un-ermüdlich Abbildungen erstellt bzw. herausgesucht,Tabellen geTEXt – bei ihnen bedanke ich mich ganzherzlich. Oliver Czoske, Thomas Erben und PatrickSimon haben das gesamte Manuskript sehr detail-liert gelesen und unzählige konstruktive Kommentaredazu gemacht, die zur Verbesserung des Textes ge-führt haben. Klaas de Boer und Thomas Reiprichhaben Teile des Buches gelesen und sehr hilfreichkommentiert. Bei der Suche nach Quellen der Abbil-dungen waren weiterhin Leonardo Castaneda, MartinKilbinger, Jasmin Pielorz und Peter Watts von großer

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Vorwort

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Hilfe. Schließlich danke ich meinen Kollegen undStudenten, die mich immer wieder bei der Arbeitzu diesem Buch ermutigt und unterstützt haben, so-wie Herrn Wolf Beiglböck und Herrn Ramon Khannavom Springer-Verlag für deren Ermunterung undkonstruktive Zusammenarbeit.

Weiterhin bin ich auch allen Kollegen zu Dankverpflichtet, die mir gestattet haben, ihre Abbildun-gen hier zu verwenden, sowie den Pressestellen derAstronomischen Organisationen und Institute, die auf-

grund ihrer hervorragenden Arbeit zur Verbreitungastronomischen Wissens in der Öffentlichkeit unver-zichtbare Dienste leisten und gleichzeitig eine reicheQuelle für Bildmaterial darstellen, von der ich auchhier vielfach Gebrauch gemacht habe. Stellvertretendseien erwähnt: Das European Southern Observatory(ESO), das Space Telescope Science Institute (STScI),das NASA/SAO/CXC-Archiv für Chandra-Daten unddas Legacy Archive for Microwave Background DataAnalysis (LAMBDA).

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Überblick 1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

1.2 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2.1 Unsere Galaxis als Galaxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41.2.2 Die Welt der Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.2.3 Die Hubble Expansion des Weltalls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.2.4 Aktive und Starburst Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111.2.5 Voids, Galaxienhaufen und Dunkle Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2.6 Weltmodelle und thermische Geschichte des Universums . . . . 151.2.7 Strukturbildung und Galaxienentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181.2.8 Kosmologie als Triumph

des menschlichen Geistes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18

1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie . . . . . . . . . . . . . 191.3.1 Radioteleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201.3.2 Infrarot-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241.3.3 Optische Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261.3.4 UV-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311.3.5 Röntgen-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321.3.6 Gamma-Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33

2. Die Galaxis als Galaxie 2.1 Galaktische Koordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35

2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis . . . . 362.2.1 Trigonometrische Parallaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372.2.2 Eigenbewegungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.2.3 Sternstromparallaxe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.2.4 Photometrische Entfernung;

Extinktion und Rötung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.2.5 Spektroskopische Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432.2.6 Entfernungen von visuellen Doppelsternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442.2.7 Entfernungen pulsierender Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

2.3 Struktur der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462.3.1 Die Galaktische Scheibe: Sternverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472.3.2 Die Galaktische Scheibe:

chemische Zusammensetzung und Alter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482.3.3 Die Galaktische Scheibe: Staub und Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512.3.4 Die kosmische Höhenstrahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532.3.5 Der Galaktische Bulge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552.3.6 Der sichtbare Halo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 552.3.7 Die Entfernung zum Galaktischen Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56

2.4 Kinematik der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572.4.1 Bestimmung der Geschwindigkeit der Sonne . . . . . . . . . . . . . . . . . 57

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Inhaltsverzeichnis

2.4.2 Die Rotationskurve der Galaxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60

2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt:Suche nach kompakter Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65

2.5.1 Der Gravitationslinseneffekt I . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 652.5.2 Galaktischer Mikrolinseneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 702.5.3 Surveys und Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 732.5.4 Variationen und Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75

2.6 Das Galaktische Zentrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782.6.1 Wo ist das Galaktische Zentrum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782.6.2 Der zentrale Sternhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 802.6.3 Schwarzes Loch im Zentrum der Milchstraße . . . . . . . . . . . . . . . . . 812.6.4 Die Eigenbewegung von Sgr A∗ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84

3. Die Welt der Galaxien 3.1 Klassifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 883.1.1 Morphologische Klassifikation: Die Hubble-Sequenz . . . . . . . . 883.1.2 Andere Arten von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89

3.2 Elliptische Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903.2.1 Unterteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 903.2.2 Helligkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 923.2.3 Zusammensetzung von Elliptischen Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . 933.2.4 Dynamik von Elliptischen Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 933.2.5 Anzeichen komplexer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96

3.3 Spiralgalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983.3.1 Trends innerhalb der Spiralensequenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983.3.2 Helligkeitsprofil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 983.3.3 Rotationskurven und Dunkle Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1003.3.4 Stellare Population und Gasgehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1023.3.5 Spiralstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1033.3.6 Korona von Spiralen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104

3.4 Skalierungsrelationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043.4.1 Die Tully–Fisher-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1043.4.2 Die Faber–Jackson-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073.4.3 Die Fundamentalebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1073.4.4 Dn–σ-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109

3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . 1093.5.1 Die Suche nach supermassiven Schwarzen Löchern . . . . . . . . . . 1103.5.2 Beispiele für SMBHs in Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1113.5.3 Zusammenhang der SMBH-Masse

mit Galaxieneigenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113

3.6 Extragalaktische Entfernungsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . 1143.6.1 Entfernung zur LMC . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1153.6.2 Die Cepheiden-Entfernung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1163.6.3 Sekundäre Entfernungsindikatoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

3.7 Leuchtkraftfunktion von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

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Inhaltsverzeichnis

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3.8 Galaxien als Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213.8.1 Der Gravitationslinseneffekt – Teil II . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1213.8.2 Einfache Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1223.8.3 Beispiele für Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1253.8.4 Anwendungen des Linseneffekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

3.9 Populationssynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1313.9.1 Modellannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1323.9.2 Entwicklungswege im HRD; integriertes Spektrum . . . . . . . . . . . 1333.9.3 Farbentwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1343.9.4 Sternbildungsgeschichte und Galaxienfarben . . . . . . . . . . . . . . . . . 1353.9.5 Metallizität, Staub, und HII Regionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1363.9.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1373.9.7 Spektren von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137

3.10 Chemische Entwicklung von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138

4. Kosmologie I:Homogene isotropeWeltmodelle

4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . 1414.1.1 Grundlegende kosmologische Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1424.1.2 Einfache Schlussfolgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142

4.2 Ein expandierendes Universum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1464.2.1 Newtonsche Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1464.2.2 Kinematische Beschreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1464.2.3 Dynamik der Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1474.2.4 Modifikation durch die ART . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1484.2.5 Die Materiekomponenten des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1504.2.6 ,,Herleitung“ der Expansionsgleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1504.2.7 Diskussion der Expansionsgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151

4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1534.3.1 Die Notwendigkeit eines Big Bang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1534.3.2 Die Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1564.3.3 Entfernungen in der Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1584.3.4 Spezialfall: Das Einstein–de-Sitter-Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1604.3.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

4.4 Thermische Geschichte des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1614.4.1 Expansion in strahlungsdominierter Phase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1624.4.2 Entkopplung der Neutrinos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1624.4.3 Paarvernichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1644.4.4 Primordiale Nukleosynthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1644.4.5 Rekombination . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1684.4.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170

4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . . . 1714.5.1 Erfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1724.5.2 Probleme des Standardmodells . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1724.5.3 Erweiterung des Standardmodells; Inflation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175

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XII

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5. Aktive Galaxienkerne 5.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1795.1.1 Kurze Geschichte der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1795.1.2 Grundlegende Eigenschaften von Quasaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1805.1.3 Quasare als Radioquellen; Synchrotron-Strahlung . . . . . . . . . . . . 1805.1.4 Breite Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184

5.2 Zoologie der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1855.2.1 QSOs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1855.2.2 Seyfert-Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1865.2.3 Radiogalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1865.2.4 OVVs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1865.2.5 BL Lac-Objekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187

5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch . . . . . . . . . . . . . . . . 1885.3.1 Warum Schwarzes Loch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1895.3.2 Akkretion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1895.3.3 Superluminal Motion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1915.3.4 Weitere Argumente für SMBHs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1945.3.5 Erste Massenabschätzung des SMBH:

die Eddington-Leuchtkraft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196

5.4 Komponenten eines AGN . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1985.4.1 Das IR, optische und UV-Kontinuum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1985.4.2 Die breiten Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2005.4.3 Schmale Emissionslinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2055.4.4 Die Röntgenemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2065.4.5 Die Host-Galaxie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206

5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2085.5.1 Vereinheitlichungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2085.5.2 Beaming . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2115.5.3 Beaming auf großen Skalen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2135.5.4 Jets bei höheren Frequenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213

5.6 AGNs und Kosmologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2175.6.1 Die K-Korrektur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2175.6.2 Die Leuchtkraftfunktion der QSOs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2185.6.3 Absorptionslinien in Quasaren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220

6. Galaxienhaufenund Galaxiengruppen

6.1 Die Lokale Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2266.1.1 Phänomenologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2266.1.2 Massenabschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2276.1.3 Weitere Komponenten der Lokalen Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229

6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2316.2.1 Der Abell-Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2316.2.2 Leuchtkraftverteilung der Haufengalaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2336.2.3 Morphologische Klassifikation von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2336.2.4 Räumliche Verteilung der Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2346.2.5 Dynamische Masse von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236

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Inhaltsverzeichnis

XIII

6.2.6 Weitere Bemerkungen zur Haufendynamik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2376.2.7 Intergalaktische Sterne in Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2396.2.8 Galaxiengruppen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2406.2.9 Die Morphologie-Dichte-Relation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241

6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2436.3.1 Allgemeine Eigenschaften der Röntgenstrahlung . . . . . . . . . . . . . 2446.3.2 Modelle der Röntgenemission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2476.3.3 Cooling Flows . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2496.3.4 Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2536.3.5 Röntgenkataloge von Haufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255

6.4 Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . 2576.4.1 Masse-Temperatur-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2576.4.2 Masse-Geschwindigkeitsdispersion-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . 2596.4.3 Masse-Leuchtkraft-Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2596.4.4 Nah-Infrarot-Leuchtkraft als Massenindikator . . . . . . . . . . . . . . . . 260

6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2616.5.1 Leuchtende Bögen (Arcs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2616.5.2 Der Schwache Linseneffekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 265

6.6 Entwicklungseffekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271

7. Kosmologie II:Inhomogenitätenim Universum

7.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277

7.2 Gravitative Instabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2787.2.1 Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2787.2.2 Lineare Störungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279

7.3 Beschreibung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2827.3.1 Korrelationsfunktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2837.3.2 Das Leistungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 285

7.4 Entwicklung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2857.4.1 Das anfängliche Leistungsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2857.4.2 Anwachsen der Dichtestörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286

7.5 Nichtlineare Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2897.5.1 Modell des sphärischen Kollaps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2907.5.2 Anzahldichte von Halos Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2917.5.3 Numerische Simulationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2947.5.4 Profil von Halos Dunkler Materie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2997.5.5 Das Problem der Substruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303

7.6 Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 306

7.7 Der Ursprung der Dichtefluktuationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 308

8. Kosmologie III:Die kosmologischenParameter

8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3128.1.1 Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3128.1.2 Rotverschiebungssurveys . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 312

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XIV

Inhaltsverzeichnis

8.1.3 Bestimmung des Leistungsspektrums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3158.1.4 Einfluss von Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3188.1.5 Winkelkorrelationen von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3208.1.6 Kosmische Pekuliargeschwindigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321

8.2 Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . 3238.2.1 Anzahldichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3238.2.2 Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3248.2.3 Baryonenanteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3258.2.4 Die LSS der Galaxienhaufen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325

8.3 Supernovae hoher Rotverschiebungund die kosmologische Konstante . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326

8.3.1 Sind SN Ia Standardkerzen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3268.3.2 Beobachtungen von SN Ia bei hohen Rotverschiebungen . . . . . 3278.3.3 Resultate . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3288.3.4 Diskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329

8.4 Kosmische Scherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331

8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3338.5.1 Das homogene intergalaktische Medium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3338.5.2 Phänomenologie des Lyα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3348.5.3 Modelle des Lyα-Waldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3358.5.4 Der Lyα-Wald als kosmologisches Werkzeug . . . . . . . . . . . . . . . . . 337

8.6 Winkelfluktuationen des CMB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3388.6.1 Ursprung der Anisotropie: Überblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3388.6.2 Beschreibung der CMB-Anisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3408.6.3 Das Fluktuationsspektrum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3418.6.4 Beobachtungen der CMB-Anisotropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3448.6.5 WMAP: Präzisionsmessungen der CMB-Anisotropie . . . . . . . . 347

8.7 Kosmologische Parameter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3518.7.1 Kosmologische Parameter mit WMAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3518.7.2 Kosmische Harmonie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354

9. Das Universumbei hoherRotverschiebung

9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3589.1.1 Lyman-Break-Galaxien (LBGs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3589.1.2 Photometrische Rotverschiebungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3629.1.3 Hubble Deep Field(s) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3649.1.4 Natürliche Teleskope . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366

9.2 Neue Typen von Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3699.2.1 Starburst-Galaxien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3699.2.2 Extremely Red Objects (EROs) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3719.2.3 Submillimeter-Quellen: Blick durch dicken Staub . . . . . . . . . . . . 374

9.3 Hintergrundstrahlung bei kleineren Wellenlängen . . . . . . . . 3769.3.1 Der IR-Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3779.3.2 Der Röntgenhintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378

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Inhaltsverzeichnis

XV

9.4 Die Reionisation des Universums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3799.4.1 Die ersten Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3809.4.2 Der Reionisationsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 382

9.5 Die kosmische Geschichte der Sternentstehung . . . . . . . . . . . . 3849.5.1 Indikatoren für Sternentstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3849.5.2 Rotverschiebungsabhängigkeit der Sternentstehung:

Das Madau-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386

9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3879.6.1 Erwartungen aus der Strukturbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3879.6.2 Die Bildung von Ellipsen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3889.6.3 Semi-analytische Modelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391

9.7 Gamma-Ray Bursts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 396

10. Ausblicke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 401

Anhang

A. Das elektromagnetischeStrahlungsfeld

A.1 Die Größen des Strahlungsfeldes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

A.2 Strahlungstransport . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411

A.3 Schwarzkörper-Strahlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412

A.4 Das Magnitudensystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414A.4.1 Scheinbare Helligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414A.4.2 Filter und Farben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414A.4.3 Absolute Helligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416A.4.4 Bolometrische Größen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416

B. Eigenschaftenvon Sternen

B.1 Zustandsgrößen der Sterne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

B.2 Spektralklasse, Leuchtkraftklasseund das Hertzsprung–Russell-Diagramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419

B.3 Struktur und Entwicklung von Sternen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421

C. Einheiten und Konstanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 425

D. Literaturempfehlungen D.1 Allgemeine Lehrbücher . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

D.2 Speziellere Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427

D.3 Übersichtsartikel, Aktuelle Literatur und Journale . . . . . . . 428

E. Benutzte Akronyme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431

F. Quellennachweis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447

Page 15: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1

1. Einleitung und Überblick1.1 Einleitung

Die Milchstraße, die Galaxie, in der wir leben, ist nureine von vielen Galaxien; außerhalb der Milchstraßegibt es unzählige andere Sternsysteme, von denen vielesehr ähnliche Eigenschaften besitzen. In der Tat ist dieMilchstraße, auch Galaxis genannt, eine recht durch-schnittliche Vertreterin der Klasse der Spiralgalaxien,von denen zwei andere Beispiele in den Abb. 1.1 und 1.2gezeigt sind. Dabei handelt es sich um Sternsysteme, beidenen die meisten Sterne in einer relativ dünnen Scheibeangeordnet sind. In unserer Milchstraße ist diese alslanggestrecktes Band am Himmel zu erkennen. Nebensolchen Scheibengalaxien gibt es eine zweite Klassevon leuchtkräftigen Sternsystemen, die Elliptischen Ga-

Abb. 1.1. Die Spiralgalaxie NGC1232 sieht vielleicht so ähnlichaus wie unsere Milchstraße, von,,oben“ betrachtet (face-on). Die-ses mit dem VLT aufgenommeneBild misst 6.′8×6.′8, was bei einerEntfernung von ca. 30 Mpc einerKantenlänge von 60 kpc entspricht.Wenn dies unsere Galaxis wäre,würden wir mitsamt des Sonnen-systems in etwa 8.0 kpc Entfernungvom Zentrum der Galaxie um die-ses mit einer Geschwindigkeit von∼ 220 km/s kreisen und für einenUmlauf etwa 230×106 Jahre be-nötigen. Die kleine Galaxie linksam Bildrand ist eine durch gra-vitative Gezeitenkräfte gestörteBegleitergalaxie

laxien, deren Eigenschaften sich in vieler Hinsicht vondenen der Spiralen unterscheiden.

Astronomen wissen erst seit weniger als hundertJahren, dass Objekte außerhalb der Milchstraße exis-tieren, dass unsere Welt also deutlich größer als dieseist. In der Tat sind Galaxien nur Inseln im Universum:Der Durchmesser unserer Galaxis ist sehr viel kleinerals der mittlere Abstand zwischen zwei leuchtkräfti-gen Galaxien. Die Entdeckung der Existenz andererMilchstraßensysteme und ihrer vielfältigen Erschei-nungsformen führte zu Fragen nach dem Ursprung derGalaxien und ihrer Entwicklung. Befindet sich etwaszwischen den Galaxien, oder ist dies leerer Raum? Gibtes neben den Galaxien weitere kosmische Objekte? Fra-gen dieser Art führten zur Erforschung des Universumsals Ganzes und seiner Entwicklung: Ist unser Univer-

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2

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.2. Wir sehen die Spiralgalaxie NGC 4013 von der Seite(edge-on); dieses Bild mag sich einem Beobachter darbie-ten, der unsere Milchstraße von der Seite betrachtet. Mansieht deutlich die Scheibe, in der eine Staubschicht den zent-ralen Bereich verdeckt. Weiterhin sieht man die zentraleVerdickung, den sog. Bulge der Galaxie. Wie später noch aus-führlich diskutiert werden wird, sind (Spiral-)Galaxien wiediese umgeben von einem Halo aus Materie, der sich nurgravitativ bemerkbar macht, indem er z. B. die Rotationsge-schwindigkeit der Sterne und des Gases um das Zentrum derGalaxie maßgeblich beeinflusst

sum endlich oder unendlich, ändert es sich mit der Zeit,hat es einen Anfang und ein Ende? Solche Fragen nachdem Ursprung und der Geschichte der Welt haben dieMenschheit seit Anbeginn fasziniert. Aber erst seit we-nigen Jahrzehnten sind wir in der Lage, diese Fragenempirisch zu untersuchen.

Sterne unserer Galaxis haben unterschiedliches Al-ter: während die ältesten ca. 12 Milliarden Jahre altsind, findet auch heute noch Sternentstehung statt, etwain dem bekannten Orion-Nebel. Unsere Galaxis hat sichoffensichtlich mit der Zeit verändert. Um die Entstehungund Entwicklung unserer Galaxis zu verstehen, wäreein Blick in ihre (und daher unsere) Vergangenheit sehrnützlich – leider ist das physikalisch nicht möglich. Auf-grund der endlichen Geschwindigkeit des Lichtes sehenwir jedoch weit entfernte Objekte zu einem früheren

Zeitpunkt, also von uns aus gesehen in der Vergangen-heit. Man kann daher versuchen, solche Galaxien, die,,damals“ unserer Galaxis sehr ähnlich waren, zu fin-den und zu untersuchen und somit die wesentlichenAspekte der Geschichte der Galaxis zu rekonstruieren.Die Anfangsbedingungen für die Entwicklung unse-rer Galaxis werden wir zwar nie genau kennen, abervielleicht die charakteristischen Bedingungen. Die Ent-wicklung aus solchen Anfangszuständen sollte dann zuGalaxien führen, die unserer ähnlich sind und die vonaußen beobachtbar sind. Andererseits kann man nur inunserer Galaxis die Physik der Galaxienentwicklungaus der Nähe studieren.

Wir sind Zeitzeugen einer Epoche ungeheurer Ent-deckungen in der Astronomie. Die technischen Mög-lichkeiten der Beobachtung und der Datenauswertungentwickeln sich zur Zeit in rasanter Weise. Zwei Bei-spiele sollen dies illustrieren. Im Jahre 1993 wurde daserste optische 10-Meter-Teleskop, das Keck-Teleskop,in Betrieb genommen. Dies war der erste Schritt inRichtung größerer Teleskope seit der Eröffnung des5-Meter-Spiegels auf dem Mount Palomar im Jahre1948. Zehn Jahre später waren bereits sieben Teleskopeder 10-Meter Klasse in Betrieb, und in Kürze wer-den weitere hinzukommen. In den letzten Jahren habensich dadurch unsere Möglichkeiten enorm verbessert,sehr entfernte und daher sehr lichtschwache Objektezu finden und im Detail zu untersuchen. Als zwei-tes Beispiel sei die Entwicklung und Größe optischerDetektoren genannt. Seit der Einführung von CCDsin der Astronomie Ende der 1970er Jahre, die danngrößtenteils die Photoplatten als optische Detektorenablösten, hat sich die Empfindlichkeit, die Genauigkeitund die Datenrate optischer Beobachtungen gewaltigerhöht. Während Ende der 1980er Jahre eine Kameramit 10002 Bildelementen (Pixeln) als Weitwinkelins-trument galt, ging im Jahre 2003 mit Megacam eineerste Kamera in Betrieb, die (18 000)2 Pixel besitztund ein Quadratgrad des Himmels mit 0′′. 2 Winkelauf-lösung in einer Aufnahme ablichten kann. Eine solcheKamera liefert pro Nacht ca. 100 GB an Daten, de-ren Verarbeitung auf die Existenz schneller Rechnermit großen Speicherkapazitäten angewiesen ist. Dochnicht nur die optische Astronomie befindet sich in einerZeit der großen Entwicklungen; in anderen Wellenlän-genbereichen sind ebenfalls gewaltige instrumentelleFortschritte erzielt worden, wobei die Observatorien im

Page 17: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.1 Einleitung

3

Weltall eine ganz zentrale Rolle spielen. Darauf werdenwir im Abschn. 1.3 näher eingehen.

Diese technischen Entwicklungen haben auch zu ei-nem ungeheuren Erkenntniszuwachs in der Astronomiegeführt, und gerade die extragalaktische Astronomieund die Kosmologie haben davon besonders profitiert.Die großen Teleskope und die empfindlichen Instru-mente haben den Blick in das ferne Universum eröffnet.Da aufgrund der Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeitjeder Blick in die Ferne auch gleichzeitig ein Blickin die Vergangenheit ist, wurde dadurch das Studiumvon Objekten im frühen Universum möglich. Wir ken-nen heute Galaxien, die das Licht, das wir von ihnenbeobachten, zu einem Zeitpunkt ausgesandt haben, alsdas Universum weniger als 10% des heutigen Weltaltersbesaß; diese befinden sich daher in einem Frühsta-dium ihrer Entwicklung. Dadurch kann die Entwicklungvon Galaxien über kosmische Epochen verfolgt wer-den. Wir haben also die Möglichkeit, die Geschichtevon Galaxien, und damit auch die unserer Milchstraße,zu untersuchen. So können wir studieren, zu welcherZeit sich die meisten Sterne gebildet haben, die wir imlokalen Weltall beobachten, da die Sternentstehungsge-schichte bis hin zu sehr frühen kosmischen Epochenbeobachtet werden kann. Dabei stellt sich übrigensheraus, dass ein Großteil der Sternentstehung unse-rem Blick verborgen bleibt und erst mit empfindlichenFern-Infrarot-Weltraumteleskopen sichtbar wird.

Zu den faszinierendsten Entdeckungen der letztenJahre gehört die Erkenntnis, dass die meisten Galaxienin ihrem Zentrum ein Schwarzes Loch beherbergen,dessen Masse Millionen oder gar Milliarden Sonnen-massen beträgt – sog. Supermassive Schwarze Löcher.Zwar wurde schon seit der Entdeckung der Quasareim Jahre 1963 vermutet, dass die Energiegewinnung indiesen ultra-leuchtkräftigen Objekten nur mittels einesSupermassiven Schwarzen Loches funktionieren kann,doch die Präsenz solcher Schwarzen Löcher in norma-len Galaxien ist eine relativ neue Erkenntnis. Nochüberraschender war das Ergebnis, dass deren Massesehr eng korreliert ist mit anderen Eigenschaften derjeweiligen Galaxien, ein klarer Hinweis darauf, dassdie Entwicklung von Schwarzen Löchern und die ihrerHeimatgalaxien sehr eng zusammenhängen muss.

Das detaillierte Studium von Galaxien und ihrenGruppierungen, den Galaxienhaufen, haben zu demüberraschenden Ergebnis geführt, dass diese Objekte er-

heblich mehr Masse enthalten, als wir in ihren Sternenund ihrem Gas sehen können. Untersuchungen der Dy-namik solcher Systeme zeigen, dass nur etwa 10–20%ihrer Masse aus Sternen, Gas und Staub bestehen, diewir aufgrund ihrer Emission oder Absorption beobach-ten können. Der größte Teil ihrer Masse bleibt jedochunserem Blick verborgen. Aus diesem Grunde erhieltdiese den Namen Dunkle Materie. Die Dominanz Dunk-ler Materie in Galaxien und Galaxienhaufen, die sichallein aufgrund ihrer Schwerkraft bemerkbar macht,wurde in den letzten Jahren mit Radio-, optischen undRöntgenteleskopen etabliert und durch neue Untersu-chungsmethoden weiter erhärtet und quantifiziert. DieNatur der Dunklen Materie ist eine der zentralen Fragennicht nur der Astrophysik, sondern auch der funda-mentalen Physik – jedenfalls dann, wenn diese Fragekeine astronomische Lösung besitzt. Handelt es sichbei der Dunklen Materie um nichtleuchtende Him-melskörper, wie etwa ausgebrannte Sterne, oder umeine neue Form der Materie? Haben die Astronomenindirekt die Existenz eines neuen Elementarteilchensnachgewiesen, das bisher noch nicht in irdischen La-bors gefunden wurde? Wenn es sich tatsächlich umneue Teilchen handelt, wovon inzwischen ausgegangenwird, sollten sie auch in unserer Milchstraße vorkom-men, daher auch in unserer unmittelbaren Umgebung.In der Tat gibt es mittlerweile mehrere Experimente inunterirdischen Labors, die versuchen, die Konstituen-ten der Dunklen Materie mit hochempfindlichen undaufwendigen Messgeräten nachzuweisen. Physiker undAstronomen warten gespannt auf die Inbetriebnahmedes neuen Teilchenbeschleunigers LHC am Europäi-schen Forschungszentrum CERN, mit dem ab dem Jahre2007 deutlich höhere Energien erzielt werden könnenals bisher und mit dem die Hoffnung besteht, ein Ele-mentarteilchen zu finden, welches als Kandidat für dieDunkle Materie in Frage kommt.

Zweifelsohne ist als wichtigste Entwicklung der letz-ten Jahre die Etablierung eines Standardmodells derKosmologie zu bewerten. Wir glauben heute, das Alterdes Universums mit einer Genauigkeit von wenigen Pro-zent zu kennen – es beträgt t0 = 13.7 Gyr. Es hat sich auseinem sehr dichten und sehr heißen Zustand, dem Ur-knall, entwickelt, sich dabei ausgedehnt und abgekühlt.Noch heute lassen sich die Überbleibsel des Urknallsbeobachten, zum Beispiel in Form des kosmischenMikrowellenhintergrunds. Die genauen Beobachtungen

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4

1. Einleitung und Überblick

dieser Hintergrundstrahlung, die etwa 380 000 Jahrenach dem Urknall freigesetzt wurde, haben erheblichdazu beigetragen, dass wir den Inhalt unseres Kos-mos heute recht genau zu kennen glauben. Dabei wirftdiese Erkenntnis mehr Fragen auf als sie beantwortet:nur etwa 4% des Energieinhalts des Kosmos bestehtaus Materie, die wir aus anderen Bereichen der Phy-sik kennen, nämlich der baryonischen Materie, die imWesentlichen aus Atomkernen und Elektronen besteht.Etwa 25% des Universums besteht aus Dunkler Mate-rie, auf die wir schon in Galaxien und Galaxienhaufengestoßen sind. Also dominiert die Dunkle Materie überdie baryonische Materie auch auf kosmischen Skalen.Aber noch überraschender ist die Erkenntnis, dass etwa70% des Universums aus etwas besteht, was wir heutewahlweise als Vakuumsenergie oder Dunkle Energiebezeichnen und die mit der von Albert Einstein einge-führten Kosmologischen Konstanten eng verknüpft zusein scheint. Die Tatsache, dass mehrere Namen da-für existieren, soll keinesweg implizieren, dass wir eineVorstellung davon hätten, was diese Dunkle Energieist. Sie macht sich ausschließlich durch ihren Einflussauf die kosmische Expansion bemerkbar und dominiertderen Dynamik in der heutigen Epoche. Versuche, dieDichte der Dunklen Energie aus der fundamentalen Phy-sik abzuschätzen, sind bislang hoffnungslos gescheitert:eine Abschätzung der Vakuumsenergiedichte mittelsder Quantenmechanik liefert einen Wert, der um 120Größenordnungen über dem aus der Kosmologie ab-geleiteten liegt! Auf absehbare Zeit wird die DunkleEnergie nur mit der beobachtenden Kosmologie zuuntersuchen sein; ihr theoretisches physikalisches Ver-ständnis liegt dabei vermutlich noch in ferner Zukunft.Die Existenz der Dunklen Energie stellt die momentanvielleicht größte Herausforderung an die fundamentalePhysik dar.

In diesem Buch werden die Objekte der extragalak-tischen Astronomie vorgestellt, beginnend mit unsererMilchstraße, die als ,,typische“ Spiralgalaxie als Proto-typ dieser Klasse von Sternsystemen zu betrachten ist.Das andere Hauptziel dieses Buches ist eine Darstellungder modernen astrophysikalischen Kosmologie, die ge-rade in den vergangenen Jahren sehr große Fortschritteerlebt hat. Methoden und Erkenntnisse werden dabeiparallel behandelt. Neben der Vermittlung der Faszi-nation, die von astronomischen Beobachtungen undkosmologischen Erkenntnissen ausgeht, liegen metho-

dische und physikalische Fragestellungen im Zentrumder Darstellung. Wir beginnen im nächsten Abschnittmit einem kurzen Überblick über das Gebiet derExtragalaktik und der Kosmologie, der einerseits Ap-petit auf mehr machen soll, andererseits aber einigeFakten und Begriffe einführt, die im Folgenden benö-tigt werden, aber erst in späteren Kapiteln detailliertbehandelt werden. In Abschn. 1.3 werden wir dann ei-nige der wichtigsten Teleskope für die extragalaktischeAstronomie kurz vorstellen.

1.2 Überblick

1.2.1 Unsere Galaxis als Galaxie

Unsere Milchstraße ist die einzige Galaxie, die wir imDetail untersuchen können: Wir können in ihr Ein-zelsterne auflösen und spektroskopisch untersuchen,detaillierte Studien der interstellaren Materie (inter-stellar medium, ISM) durchführen und dabei z. B.Eigenschaften von Molekülwolken und Sternentste-hungsgebieten, sowie die Extinktion und Rötung durchStaub studieren. Auch kann man innerhalb der Milch-straße die lokale Dynamik von Sternen und Gaswolkenund die Eigenschaften von Satelliten-Galaxien (wie dieMagellanschen Wolken) beobachten. Und schließlichbietet sich mit dem Galaktischen Zentrum in nur 8 kpc1

Entfernung die einzigartige Möglichkeit, den zentra-len Bereich einer Galaxie mit sehr hoher räumlicherAuflösung zu untersuchen. Nur durch ein detaillier-tes Verständnis unserer Galaxis kann man hoffen, dieEigenschaften anderer Galaxien zu verstehen. Dabeigehen wir natürlich implizit von der Annahme aus,dass die physikalischen Prozesse in anderen Galaxiennach den gleichen Gesetzmäßigkeiten ablaufen wie ,,beiuns“. Wäre dies nicht der Fall, so hätte man kaum dieChance, die Physik anderer Objekte im Universum odergar das Universum als Ganzes zu verstehen. Wir werdenauf diesen Punkt bald zurückkommen.

Wir werden daher zunächst die Eigenschaften unse-rer Galaxis untersuchen. Eines der zentralen Probleme

11 Parsec (1 pc) ist die gebräuchliche Entfernungseinheit in derAstronomie, wobei 1 pc = 3.086×1018 cm sind. Weiterhin be-nutzen wir 1 kpc = 103 pc, 1 Mpc = 106 pc, 1 Gpc = 109 pc. InAnhang C sind weitere häufig benutzten Einheiten und Konstantenzusammengestellt.

Page 19: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.2 Überblick

5

Abb. 1.3. Schematische Struktur der Galaxis, bestehend ausder Scheibe, dem zentralen Bulge, in dem sich das GalaktischeZentrum befindet, sowie dem etwa sphärischen Halo, der diemeisten Kugelsternhaufen beheimatet. Die Sonne umläuft dasGalaktische Zentrum in etwa 8 kpc Entfernung

dabei (und überhaupt in der Astronomie) ist die Entfer-nungsbestimmung von Objekten, so dass wir mit dieserThematik beginnen werden. Aus Untersuchungen derStern- und Gasverteilung in der Milchstraße wird dannauf deren Struktur geschlossen. Man findet, dass un-sere Galaxis aus mehreren Komponenten besteht: einerdünnen Stern- und Gasscheibe mit einem Radius vonetwa 20 kpc und einer Skalenhöhe von ∼ 300 pc, inder sich auch die Sonne befindet, einer etwa 1 kpc di-cken Scheibe, einem zentralen Bulge, wie man ihn auchbei anderen Spiralen sieht, und einem ungefähr sphäri-schen Halo, in dem sich die meisten Kugelsternhaufenund weitere alte Sterne befinden. Abbildung 1.3 zeigteine schematische Darstellung unserer Milchstraße mitihren verschiedenen Komponenten. Um einen besse-ren visuellen Eindruck zu erhalten, zeigen Abb. 1.1 und1.2 zwei Spiralgalaxien, die eine ,,von oben“ betrachtet(face-on), die andere von der Seite (edge-on). Im erstenFall ist die Spiralstruktur sehr deutlich zu erkennen. Diehellen Knoten in den Spiralarmen zeigen Gebiete, in de-nen junge, leuchtkräftige Sterne vor kurzem entstandensind. Die Aufnahme zeigt einen deutlichen Farbgradi-

Abb. 1.4. Die obere Kurve ist die beobachtete RotationskurveV(R) unserer Galaxis, also die Rotationsgeschwindigkeit umdas Galaktische Zentrum als Funktion des Abstands. Dieuntere Kurve ist die Rotationskurve, die man aufgrund derbeobachteten Sternmasse in der Galaxis vorhersagen würde.Die Differenz zwischen den beiden Kurven wird der Anwe-senheit von Dunkler Materie zugeschrieben, in die die Scheibeder Milchstraße eingebettet ist

enten: Die Galaxie ist röter im Zentrum, während siein den Spiralarmen am blauesten ist – während Spi-ralarme Orte aktueller Sternentstehung darstellen, sindzum Zentrum hin, speziell im Bulge, hauptsächlich alteSterne vorhanden.

Die Galaktische Scheibe rotiert, wobei ihre Rotati-onsgeschwindigkeit V(R) vom Abstand R vom Galak-tischen Zentrum abhängt. Aufgrund der Lichtverteilungder Sterne und einem mittleren Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis der Sternpopulation kann man dann dieMasse der Galaxis abschätzen (Gas und Staub reprä-sentieren weniger als ∼ 10% der Masse der Sterne)und mit der Rotationsgeschwindigkeit der Sonne umdas Galaktische Zentrum vergleichen. Dabei stellt sichheraus, dass die Sonne sich schneller bewegt, als manaus der beobachteten Massenverteilung erwarten würde:Wenn M(R0) die Masse innerhalb einer Kugel umdas Galaktische Zentrum mit Radius R0 ≈ 8 kpc ist,so folgt aus der Newtonschen Mechanik, dass dieRotationsgeschwindigkeit2

V0 =√

G M(R0)

R0(1.1)

2Wir benutzen Standard-Notation: G bezeichnet die NewtonscheGravitationskonstante, c die Lichtgeschwindigkeit.

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6

1. Einleitung und Überblick

sein sollte.3 Aus der in Sternen sichtbaren Ma-terie würde man eine Rotationsgeschwindigkeitvon ∼ 160 km/s erwarten. Beobachtet wird aberV0 ∼ 220 km/s (siehe Abb. 1.4). Daraus, und aus demVerlauf der Rotationskurve V(R) für größere Ab-stände R vom Galaktischen Zentrum, schließt man, dassunsere Galaxis wesentlich mehr Masse enthält als inSternen vorhanden ist. Diese zusätzliche Masse wird alsDunkle Materie bezeichnet, deren physikalische Naturbislang unbekannt ist. Kandidaten dafür sind vor allemschwach-wechselwirkende Elementarteilchen, wie sievon einigen Teilchentheorien postuliert werden, abernoch nicht im Labor nachgewiesen werden konnten,aber auch makroskopische Objekte (also Himmelskör-per) kommen im Prinzip in Frage, solange sie nur wenigLicht abstrahlen. Wir werden Experimente diskutieren,die solche makroskopischen Objekte identifizieren kön-nen und zu dem Schluss kommen, dass das Problem derDunklen Materie höchstwahrscheinlich keine astrono-mische Lösung besitzt, sondern die Teilchenphysik denSchlüssel zur Lösung liefern wird.

Die Sterne in den unterschiedlichen Komponen-ten unserer Galaxis haben verschiedene Eigenschaften,etwa hinsichtlich ihres Alters und ihrer chemischenZusammensetzung. Aus der Interpretation dieses Sach-verhalts kann man auf Aspekte der Entwicklung derGalaxis schließen. Das relativ junge Alter der Sterne inder dünnen Scheibe gegenüber der älteren Sternpopula-tion des Bulge deutet darauf hin, dass es verschiedeneStadien der Bildung unserer Milchstraße gegeben hat.Tatsächlich ist die Galaxis ein höchst dynamisches Ob-jekt, das sich auch heute noch verändert. Wir sehenkaltes Gas, was auf die Galaktische Scheibe einfällt, so-wie ausströmendes heißes Gas, und zur Zeit wird einekleine Nachbargalaxie, die Sagittarius-Zwerggalaxie,vom Gezeitenfeld der Milchstraße zerrissen und wirdmit ihr in (kosmologisch gesprochen) naher Zukunftverschmelzen.

Wegen der Extinktion durch Staub kann man beioptischen Wellenlängen nicht weit durch die Scheibeunserer Galaxis hindurchschauen. Untersuchungen derunmittelbaren Umgebung des Galaktischen Zentrumssind daher nur bei anderen Wellenlängen möglich,

3Streng genommen gilt (1.1) nur für eine sphärisch symmetrischeMassenverteilung. Die Rotationsgeschwindigkeit für eine abgeplat-tete Dichteverteilung weicht von dieser Relation allerdings nicht sehrstark ab, so dass wir diese Relation näherungsweise benutzen können.

insbesondere im infraroten (IR) und im Radiobe-reich des elektromagnetischen Spektrums (siehe auchAbb. 1.5). Das Galaktische Zentrum ist ein sehr kom-plexes Gebiet, das allerdings in den letzten Jahrendank – hinsichtlich Empfindlichkeit und Winkelauflö-sung – vielfach verbesserter IR-Beobachtungen studiertwerden konnte. Eigenbewegungen, d. h. zeitlich sichändernde Positionen an der Sphäre, von hellen Ster-nen in der Nähe des Zentrums konnten beobachtetwerden; diese erlauben eine Bestimmung der Masseinnerhalb eines Raumgebiets mit der Ausdehnung von∼ 0.1 pc, M(0.1 pc) ∼ 3×106 M�. Obwohl die Datenbislang keine völlig eindeutige Interpretation dieserMassenkonzentration erlauben, gibt es keine plausibleAlternative zu der Schlussfolgerung, dass das Zentrumunserer Milchstraße ein Supermassives Schwarzes Loch(supermassive black hole, SMBH) etwa dieser Massebeherbergt. Dabei ist dieses SMBH weit weniger mas-siv als diejenigen, die man in vielen anderen Galaxienentdeckt hat.

Allerdings können wir unsere Galaxis nicht ,,vonaußen“ betrachten. Dieser interne Standpunkt machtes schwierig, die globalen Eigenschaften unserer Ga-laxis zu verstehen: Die Struktur und Geometrie derGalaxis, z. B. ihrer Spiralarme, ist nur schwer von un-serem Standort her zu erkennen. Weiterhin verbirgtdie Extinktion durch Staub den Blick auf große Teileunserer Galaxis (siehe Abb. 1.6). Dadurch sind dieglobalen Eigenschaften der Galaxis (z. B. die Gesamt-leuchtkraft) nur schwer messbar. Diese lassen sichviel besser ,,von außen“ betrachten, also bei anderen,ähnlichen Spiralgalaxien. Um die globalen und groß-räumigen Eigenschaften unserer Galaxis zu verstehen,ist ein Vergleich mit ähnlichen Galaxien, die wir in ih-rer Gesamtheit untersuchen können, extrem hilfreich.Nur durch gemeinsames Studium unserer Galaxis undanderer Galaxien kann man hoffen, die physikalischeNatur und die Entwicklung von Galaxien in der Zeit zuverstehen.

1.2.2 Die Welt der Galaxien

Wir erörtern als nächstes die Eigenschaften ande-rer Galaxien. Die beiden Haupttypen von Galaxiensind Spiralgalaxien (wie unsere Galaxis; siehe auchAbb. 1.7) und Elliptische Galaxien (Abb. 1.8); dane-

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1.2 Überblick

7

Abb. 1.5. Die Galaktische Scheibein neun verschiedenen Wellenlän-gen. Das Erscheinungsbild variiertstark zwischen den verschiedenenAufnahmen; so ist beispielsweisedie Verteilung des atomaren Was-serstoffs und des molekularen Gasesdeutlich stärker zur GalaktischenEbene hin konzentriert als etwa dieim Nah-Infraroten sichtbare Stern-verteilung, die sehr deutlich dieAnwesenheit des Bulges als zentraleVerdickung zeigt. Die Staubabsorp-tion im Optischen ist ebenfalls klarzu erkennen und kann mit der inAbb. 1.2 verglichen werden

ben gibt es weitere Klassen von Galaxien wie dieIrregulären und Zwerggalaxien, Aktive Galaxien, undStarburst-Galaxien, wobei letztere eine sehr großeSternbildungsrate verglichen mit normalen Galaxienaufweisen. Diese Klassen unterscheiden sich nichtnur in ihrem Erscheinungsbild, nach der sie klas-

Abb. 1.6. Die Galaxie Dwingeloo 1 ist nur etwa 5 mal wei-ter von uns entfernt als unsere nächste große Nachbargalaxie,Andromeda, wurde aber erst in den 1990er Jahren entdeckt,da sie sich hinter dem Galaktischen Zentrum ,,versteckt“: DieAbsorption in dieser Richtung, und die vielen leuchtkräftigenSterne haben eine frühere Entdeckung verhindert. Die Gala-xie wurde zunächst mit Radiobeobachtungen entdeckt. DieAbbildung zeigt ein mit dem Isaac Newton Telescope in denBändern V, R und I aufgenommes Bild

sifiziert werden, sondern auch durch physikalischeEigenschaften wie Farbe (→ Sterninhalt), interneRötung (→ Staubinhalt), Gehalt an interstellaremGas, Rate der Sternentstehung, usw. Galaxien ver-schiedener Morphologie haben sich unterschiedlichentwickelt.

Page 22: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

8

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.7. NGC 2997 ist eine typischeSpiralgalaxie, deren Scheibe etwa 45 Gradzu unserer Sichtlinie geneigt ist. Wie diemeisten Spiralen hat sie zwei Spiralarme;diese sind wesentlich ,,blauer“ als andereTeile der Galaxie. Dies resultiert aus aktiverSternentstehung in den Spiralarmen, so dassdort junge, heiße, also blaue Sterne vorhan-den sind, während das Zentrum der Galaxie,insbesondere der Bulge, im Wesentlichenaus älteren Sternen besteht

Abb. 1.8. M87 ist eine sehr leuchtkräftige Elliptische Gala-xie im Zentrum des Virgo-Haufens, in einem Abstand vonetwa 18 Mpc. Der Durchmesser der Galaxie beträgt etwa40 kpc; sie ist wesentlich massereicher als unsere Galaxis(M > 3×1012 M�). Diese Galaxie werden wir noch öfters be-trachten: Sie ist nicht nur ein gutes Beispiel für eine zentraleHaufengalaxie, sondern ist auch ein Vertreter einer Familievon Galaxien, die als ,,Aktive Galaxien“ bezeichnet werden.Sie ist ein starker Radio-Strahler (Radioastronomen bezeich-nen sie auch als Virgo A), und besitzt einen optischen Jet imZentrum

Spiralgalaxien sind Sternsysteme, in denen auchheute noch aktive Sternentstehung stattfindet, währendEllipsen fast nur aus alten Sternen bestehen: Ihre Stern-bildung muss daher schon vor langer Zeit abgeschlossenworden sein. Die S0-Galaxien, ein Zwischentyp, be-sitzen wie die Spiralgalaxien eine Scheibe, bestehenaber wie die Ellipsen fast nur aus alten – d. h. massear-men, kühlen – Sternen. Ellipsen und S0-Galaxien fasstman zusammen unter dem Begriff Frühtyp-Galaxien(early-type galaxies), während Spiralen als Spättyp-

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1.2 Überblick

9

Galaxien (late-type galaxies) bezeichnet werden (dieseBezeichnungen sollen im übrigen keine Interpreta-tion implizieren und existieren allein aus historischenGründen).

Die Scheiben von Spiralgalaxien rotieren differenti-ell, und aus ihrer Rotationsgeschwindigkeit lässt sichwie bei der Milchstraße mit dem Kepler-Gesetz (1.1)ihre Masse bestimmen. Man findet, dass die Rotati-onskurven von Spiralen nach außen hin nicht abfallen,wie man eigentlich aufgrund der Lichtverteilung erwar-tet. Wie unsere Galaxis enthalten Spiralgalaxien einegroße Menge an Dunkler Materie; die sichtbare Mate-rie ist eingebettet in einen Halo Dunkler Materie. DieAusdehnung dieses Halos kann nur geschätzt werden,aber vieles deutet darauf hin, dass er sehr viel größerist als die Ausdehnung der sichtbaren Materie: So istz. B. die Rotationskurve flach bis hin zu den größtenRadien, wo sie durch vorhandenes Gas noch vermes-sen werden kann. Das Studium der Dunklen Materie inEllipsen ist komplizierter, aber inzwischen ist auch beiihnen die Existenz eines Dunklen Halos nachgewiesenworden.

Das Hertzsprung–Russel-Diagramm, bzw. dasFarben-Helligkeits-Diagramm von Sternen (siehe An-hang B), hat sich für die stellare Astrophysik alsvielleicht wichtigstes Diagramm erwiesen. Die Tat-sache, dass die meisten Sterne sich entlang einereindimensionalen Sequenz, der Hauptreihe, gruppieren,hat zu dem Schluss geführt, dass für die Hauptreihen-sterne die Leuchtkraft und die Oberflächentemperaturnicht voneinander unabhängige Größen sind, sonderndie Eigenschaften solcher Sterne durch im Wesentlicheneinen Parameter charakterisiert werden können: derSternmasse. Wir werden sehen, dass auch die verschie-denen Eigenschaften von Galaxien nicht unabhängigvoneinander sind, sondern dynamische Eigenschaften(wie etwa die Rotationsgeschwindigkeiten von Spira-len) mit der Leuchtkraft in einem engen Zusamenhangstehen. Diese Skalierungsrelationen sind daher von ähn-licher Bedeutung für das Studium von Galaxien wie dasHertzsprung–Russell-Diagramm für die Sterne. Weiter-hin erweisen sie sich für die Entfernungsbestimmungvon Galaxien als äußerst nützlich.

Wie unsere Milchstraße scheinen auch andere Ga-laxien ein SMBH im Zentrum zu beherbergen. DasVerblüffende ist, dass die Masse des SMBH mit derGeschwindigkeitsverteilung der Sterne in den Ellip-

sen bzw. im Bulge von Spiralen sehr eng korreliert ist.Der physikalische Ursprung dieser Tatsache ist bishernoch nicht bekannt, sicherlich deutet sie aber auf eineenge gemeinsame Entwicklung der Galaxien und ihrerSMBH hin.

1.2.3 Die Hubble Expansion des Weltalls

Die Radialgeschwindigkeit von Galaxien, gemessendurch die Dopplerverschiebung von Spektrallinien(Abb. 1.9), ist für fast alle Galaxien positiv, d. h. siescheinen sich von uns wegzubewegen. Edwin Hubblefand 1928, dass diese Fluchtgeschwindigkeit v umsogrößer ist, je weiter die Galaxien von uns entfernt sind.Er ermittelte eine lineare Relation (Abb. 1.10) zwi-schen der Radialgeschwindigkeit und der Entfernungder Galaxien,

v = H0 D , (1.2)

wobei D die Entfernung einer Galaxie ist und dieProportionalitätskonstante H0 als Hubble-Konstante be-zeichnet wird. Ihr Wert ist erst in den letzten Jahren mitmehreren Methoden (auf die später noch eingegangenwird) mit guter Genauigkeit ermittelt worden zu

60 km s−1 Mpc−1 � H0 � 80 km s−1 Mpc−1 , (1.3)

wobei der Fehlerbereich verschiedener Methoden (undAutoren) durchaus verschieden ist. Das Hauptproblembei der Bestimmung von H0 ist die Messung absoluterEntfernungen von Galaxien, wohingegen Doppler-Verschiebungen sehr gut messbar sind. Setzt man dieGültigkeit von (1.2) voraus, kann man die Radialge-schwindigkeit als Maß für die Entfernung von Galaxienheranziehen. Man definiert die Rotverschiebung z ausder Verschiebung von Spektrallinien,

z := λobs −λ0

λ0, λobs = (1+ z)λ0 , (1.4)

wobei λ0 die Wellenlänge eines spektralen Übergangs(im Ruhesystem des Emitters) und λobs die beobach-tete Wellenlänge bezeichnet. Zum Beispiel ist für denLyman-α Übergang (dem Übergang vom ersten ange-regten Niveau zum Grundzustand) im Wasserstoffatomλ0 = 1216 Å. Für kleine Rotverschiebungen gilt

v ≈ zc , (1.5)

Page 24: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

10

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.9. Die Spektren von Galaxien zeigencharakteristische Spektrallinien, z. B. dieH+K Linien des Kalziums. Allerdings be-sitzen diese Linien nicht die Wellenlängen,die man im Labor misst, sondern sind i. A.zum Roten hin verschoben. Dies ist hier an-hand einiger Galaxien demonstriert, derenEntfernung von oben nach unten anwächst.Aufgrund der Verschiebung der Linien, in-terpretiert als Doppler-Effekt, kann man dieRelativgeschwindigkeit der Galaxien zu unsbestimmen – diese ist umso größer, je weiterdie Galaxie von uns entfernt ist

während für größere Rotverschiebungen diese Relationmodifiziert werden muss, dann allerdings auch die Inter-pretation der Rotverschiebung.4 Die Kombination von

4Die Verschiebung von Spektrallinien ist die eigentliche Observable.Je nach Zusammenhang wird diese interpretiert als eine radialeGeschwindigkeit einer Quelle weg von uns – etwa wenn wir dieRadialgeschwindigkeit von Sternen in unserer Milchstraße vermes-sen – oder aber als kosmologische ,,Fluchtgeschwindigkeit“, wiedas beim Hubble-Gesetz der Fall ist. Diese beiden Interpretatio-nen sind prinzipiell nicht zu trennen, da eine Galaxie nicht nur ander kosmischen Expansion teilnimmt, sondern zusätzlich auch eine

(1.2) und (1.5) ergibt

D ≈ zc

H0≈ 3000 z h−1 Mpc , (1.6)

sog. Pekuliargeschwindigkeit besitzen kann. Wir werden daher dieBegriffe ,,Doppler-Verschiebung“ bzw. ,,Rotverschiebung“ und ,,Ra-dialgeschwindigkeit“ je nach Zusammenhang benutzen, aber stetsin dem Gedanken, dass beide durch die Verschiebung von Spek-trallinien gemessen werden. Erst bei der Betrachtung des fernenUniversums, bei denen die Doppler-Verschiebung durch die kosmi-sche Expansion völlig dominiert wird, werden wir durchgängig von,,Rotverschiebung“ sprechen.

Page 25: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.2 Überblick

11

Abb. 1.10. Das Hubble-Diagramm von1929 zeigt die Radialgeschwindigkeitvon Galaxien als Funktion ihrer Entfer-nung. Während die Fluchtgeschwindigkeit,,einfach“ gemessen werden kann durchBestimmung der Dopplerverschiebung vonSpektrallinien, ist die genaue Bestimmungvon Entfernungen sehr viel schwieriger;wir werden in Abschn. 3.6 Methodenzur Entfernungsbestimmung von Galaxiendiskutieren. Hubble unterschätzte die Ent-fernungen deutlich, weswegen sein Wert derHubble-Konstanten wesentlich zu groß war.Nur wenige und sehr nahe Galaxien zeigeneine Blauverschiebung, d. h. bewegen sichauf uns zu; eine davon ist Andromeda(= M31)

wobei die Ungenauigkeit, mit der H0 bekannt ist, durchh parametrisiert wird, wobei

H0 = h 100 km s−1 Mpc−1 . (1.7)

Entfernungsbestimmungen, die auf der Rotverschie-bung basieren, enthalten daher immer den Faktor h−1.Es sei nochmals darauf hingewiesen, dass (1.5) und (1.6)nur für z 1 gelten; die Verallgemeinerung für größereRotverschiebungen wird in Abschn. 4.3 besprochen.Dennoch gilt auch für größere Rotverschiebungen, dassz ein Maß für die Entfernung ist, basierend auf derGültigkeit von (1.2).

1.2.4 Aktive und Starburst Galaxien

Eine spezielle Form von Galaxien sind die so genanntenAktiven Galaxien, die in ihrem Zentrum eine sehr starkeEnergiequelle besitzen (active galactic nuclei, AGNs).Die bekanntesten Vertreter dieser AGNs sind die Qua-sare, Objekte mit teilweise sehr hoher Rotverschiebungund exotischen Eigenschaften. Ihre Emissionslinienkönnen extrem breit sein: Interpretiert man dieseLinienbreite als Doppler-Verbreiterung, die aus Über-lagerung der Linien von emittierendem Gas mit einersehr breiten Geschwindigkeitsverteilung resultiert, soergeben sich Geschwindigkeiten von typischerweiseΔv ∼ 10 000 km/s. Auf optischen Aufnahmen erschei-nen Quasare punktförmig – erst mit dem Hubble Space

Telescope (HST) ist es gelungen, bei einer größerenAnzahl von ihnen Struktur im Optischen zu entdecken(Abb. 1.11).

Viele Eigenschaften von Quasaren sind ähnlich zudenen der Seyfert-Galaxien (vom Typ I), Galaxien miteinem sehr hellen Kern und ebenfalls sehr breiten Emis-sionslinien, und werden daher oft als extreme Mitgliederdieser Klasse interpretiert. Die Gesamtleuchtkraft vonQuasaren ist extrem groß, einige von ihnen emittierenmehr als 1000 mal so viel Licht wie unsere Gala-xis, und diese Strahlung kommt dabei aus einem sehrkleinen Raumgebiet, dessen Größe sich z. B. aus derVariabilität abschätzen lässt. Aufgrund dieser und an-derer Eigenschaften, die in Kap. 5 besprochen werden,schließt man, dass die Kerne Aktiver Galaxien ein Su-permassives Schwarzes Loch enthalten. Die Erzeugungder Strahlung findet statt, indem Materie auf diesesLoch zufällt (akkretiert) und dabei potentielle Gravita-tionsenergie in kinetische Energie umsetzt. Wenn diesekinetische Energie (z. B. in sog. Akkretionsscheiben)durch Reibung in innere Energie (also Wärme) um-gesetzt werden kann, kann diese abgestrahlt werden– dies ist der effizienteste Prozess zur Energieerzeu-gung: Bezogen auf eine Einheitsmasse ist Akkretion aufSchwarze Löcher etwa 10 mal effektiver als die Kernfu-sion von Wasserstoff in Helium! AGNs zeigen oftmalsStrahlung in einem sehr weiten Bereich des elektro-magnetischen Spektrums, von Radiostrahlung bis hinzu Röntgen- und Gamma-Strahlung.

Page 26: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

12

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.11. Der Quasar PKS 2349 befindet sich im Zentrumeiner Galaxie, der Heimatgalaxie (oder Host-Galaxie) desQuasars. Die Diffraction Spikes (Beugungserscheinungen ander Aufhängung des Sekundärspiegels) in der Mitte des Ob-jekts zeigen an, dass sich im Zentrum dieser Galaxie einePunktquelle befindet, der eigentliche Quasar, der wesentlichheller ist als seine Heimatgalaxie (host galaxy). Die Gala-xie zeigt deutliche Anzeichen einer Verzerrung, als große und

dünne Gezeitenarme klar zu sehen, die durch eine benach-barte Galaxie hervorgerufen wird. Diese Nachbargalaxie istim rechten Bild direkt oberhalb des Quasars zu erkennen, einObjekt etwa von der Größe der Großen Magellanschen Wolke.Hosts von Quasaren sind häufig gestört oder befinden sich imVerschmelzungsprozess mit anderen Galaxien (merging). Diebeiden hier gezeigten Aufnahmen des gleichen Objekts habenunterschiedlichen Helligkeitskontrast

Während in Spiralgalaxien auch noch heute Sterneentstehen, Sternentstehung somit ein weit verbreitetesPhänomen ist, gibt es Galaxien, deren Sternentstehungs-rate wesentlich größer ist als die ,,normaler“ Spiralen.Man spricht von einem burst of star formation, bzw.Starburst-Galaxien. Solche Sternentstehungsraten be-tragen typischerweise zwischen 10 und 300M�/yr,während unsere Milchstraße nur etwa 2M�/yr an Ster-nen neu erzeugt. Diese heftige Sternentstehung findetoft stark konzentriert in der Nähe des jeweiligen Gala-xienzentrums statt. Starbursts werden wesentlich von

Abb. 1.12. Arp 220 ist das leuchtkräftigste Objekt in unseremlokalen Universum. Sie wurde zunächst als pekuliäre Gala-xie katalogisiert, dann entdeckte der Infrarot-Satellit IRAS dieungeheure Leuchtkraft im IR. Arp 220 ist der Prototyp der ul-traluminous infrared galaxies (ULIRG). Diese NIR-Aufnahmemit dem HST zeigt die Struktur dieser Galaxie: zwei kollidie-rende Spiralgalaxien im Zentrum von Arp 220. Die dadurchhervorgerufenen Störungen des ISM lösen einen starburst aus;Staub in der Galaxie absorbiert den allergrößten Teil der UV-Strahlung von den heißen Sternen und strahlt diese im IRwieder ab

Störungen des Gravitationsfeldes von Galaxien be-einflusst oder gar erst angeregt, wie sie z. B. vonWechselwirkungen zwischen Galaxien hervorgerufenwerden. Solche Starburst-Galaxien (siehe Abb. 1.12)sind extrem hell im fernen Infrarot (FIR); sie sendenbis zu 98% ihrer gesamten Energie in diesem Spektral-bereich aus. Dies geschieht durch Staubemission: Staubabsorbiert bei diesen Galaxien den überwiegenden Teilder energetischen UV-Strahlung, die bei der Sternentste-hung frei wird, und strahlt diese Energie als thermischeStrahlung im FIR wieder ab.

Page 27: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.2 Überblick

13

1.2.5 Voids, Galaxienhaufen und Dunkle Materie

Wechselwirkungen zwischen Galaxien (Abb. 1.13) wer-den begünstigt durch die Tatsache, dass Galaxiennicht zufällig verteilt sind. So zeigt zum Beispiel dieProjektion der Galaxien am Himmel eine deutlicheStruktur. Entfernungsmessungen von Galaxien erlau-ben weiterhin die Bestimmung ihrer drei-dimensionalenVerteilung. Dabei zeigt sich eine starke Korrelation derGalaxienpositionen: Es gibt Raumbereiche mit einersehr großen Dichte von Galaxien, aber auch Regionen,in denen es fast keine Galaxien gibt. Letztere nennt manLöcher, voids. Solche voids können Durchmesser vonbis zu 30h−1 Mpc besitzen.

Galaxienhaufen (clusters of galaxies) sind gebun-dene Systeme von hundert und mehr Galaxien innerhalbeines Gebiets mit einem Durchmesser von ∼ 2h−1 Mpc.Haufen enthalten hauptsächlich Frühtyp-Galaxien, sodass sich in Haufengalaxien kaum noch Sterne bilden.Einige Galaxienhaufen erscheinen in der Projektion fastrund, andere zeigen eine stark elliptische oder irreguläreVerteilung von Galaxien; manchmal besitzen sie mehrals ein Zentrum. Der uns nächste Galaxienhaufen istder Virgo-Haufen, in einer Entfernung von ∼ 18 Mpc;er ist ein Haufen mit irregulärer Galaxienverteilung. Deruns nächste reguläre Haufen ist Coma, mit einer Ent-fernung von ∼ 90 Mpc.5 Coma (Abb. 1.14) enthält etwa

5Die Entfernungen dieser beiden Galaxienhaufen sind nicht überdie Rotverschiebung ermittelt worden, sondern durch direkte Metho-den, die in Abschn. 3.6 diskutiert werden; diese direkten Messungenbilden eine der erfolgreichsten Methoden zur Bestimmung derHubble-Konstanten.

Abb. 1.13. Zwei Spiralgalaxien wechsel-wirken miteinanden. NGC 2207 (links) undIC 2163 sind sich nicht nur in der Projektionsehr nahe, sondern die starken gravitativenGezeitenkräfte, die sie aufeinander ausüben,sind durch die auffälligen Gezeitenarme klarsichtbar. Dieses Bild wurde mit dem HubbleSpace Telescope aufgenommen

Abb. 1.14. Der Coma-Galaxienhaufen befindet sich etwa90 Mpc von uns entfernt und ist der nächste massereiche,reguläre Galaxienhaufen. Praktisch alle Objekte auf dieserAufnahme sind Galaxien des Haufens – Coma enthält mehrals tausend leuchtkräftige Galaxien

1000 helle Galaxien, von denen 85% Frühtyp-Galaxiensind.

Fritz Zwicky bestimmte 1933 die Radialgeschwin-digkeiten der Galaxien in Coma und fand, dass ihreDispersion etwa 1000 km/s beträgt. Aus der Gesamt-leuchtkraft L aller seiner Galaxien kann man eine Massedes Haufens abschätzen: Wenn im Mittel die Sterne derHaufengalaxien ein ähnliches Masse-zu-Leuchtkraft-

Page 28: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

14

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.15. Der Galaxienhaufen Hydra A, links eine optischeAufnahme, rechts ein Bild, das mit dem Röntgen-SatellitenChandra aufgenommen wurde. Der Haufen hat eine Rotver-schiebung von z ≈ 0.054 und ist somit ca. 250 Mpc von uns

entfernt. Die Röntgenemission stammt von einem Gas, des-sen Temperatur 40×106 K beträgt, im Zentrum des Haufensist es um etwa 15% kühler

Verhältnis (M/L) wie unsere Sonne besitzen, dannwürde man schließen: M = (M�/L�)L. Allerdingssind die Sterne in Frühtyp-Galaxien im Mittel etwasweniger massereich als die Sonne und haben daherein etwas größeres M/L.6 Die obige Massenabschät-zung muss daher um einen Faktor ∼ 10 erhöht werden.Zwicky verglich nun die so erhaltene Masse mit denRadialgeschwindigkeiten der Haufengalaxien relativ zuihrem Mittelwert und stellte fest, dass die typischeGalaxiengeschwindigkeit im Haufen wesentlich größerist als die Entweichgeschwindigkeit vom Haufen, diesich aus der so bestimmten Masse ergibt. Die Gala-xien des Haufens müssten daher eigentlich auf einerZeitskala von etwa 109 Jahren auseinander fliegen, derHaufen sich auflösen. Da Coma aber als relaxierter,d. h. im Gleichgewicht befindlicher Haufen erscheint,dessen Alter daher deutlich größer sein sollte als diedynamische Zeitskala von 109 Jahren, schloss Zwickydaraus, dass der Coma-Haufen wesentlich mehr Masseenthält als die Summe der Massen der Haufengala-

6Wir werden in Kapitel 3 noch sehen, dass für die Sterne in Spiralga-laxien im Mittel M/L ∼ 3M�/L�, während für Elliptische Galaxienein größerer Wert anzusetzen ist, M/L ∼ 10M�/L�.

xien. Unter Anwendung des Virialsatzes7 konnte er ausder Geschwindigkeitsverteilung der Galaxien die Massedes Haufens abschätzen. Dies war der erste deutlicheHinweis auf die Existenz Dunkler Materie!

Röntgensatelliten haben später gezeigt, dass Gala-xienhaufen starke Quellen von Röntgenstrahlung sind.Sie enthalten ein heißes Gas mit Temperaturen von 107

bis 108 K (Abb. 1.15). Die Temperatur des Gases istein weiteres Maß für die Tiefe des Potentialtopfes desHaufens: je heißer das Gas, desto tiefer muss der Po-tentialtopf sein, damit das Gas nicht entweicht. DieMassenabschätzungen aufgrund der Röntgentempera-tur ergeben Werte, die gut vergleichbar sind mit denenaus der Geschwindigkeitsdispersion der Haufengala-xien und bestärken daher die Hypothese der Existenz

7Der Virialsatz besagt in seiner einfachsten Form, dass für ein isolier-tes dynamisches System in einem stationären Gleichgewichtszustanddie kinetische Energie gerade die Hälfte des Betrags der potentiellenEnergie beträgt, also

Ekin = 1

2|Epot| ; (1.8)

insbesondere ist die Gesamtenergie Etot = Ekin + Epot = Epot/2 =−Ekin.

Page 29: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.2 Überblick

15

Abb. 1.16. Die Galaxiengruppe HCG87 gehört zu der Klasseder sog. Kompakten Gruppen. Auf dieser HST-Aufnahmesieht man drei massereiche Galaxien dieser Gruppe, eine edge-on Spirale unten im Bild, eine Ellipse unten rechts, und eineweitere Spirale oben im Bild (die kleine Spirale im Zentrumgehört nicht zu der Gruppe). Die beiden unteren Galaxienhaben eine Aktiven Galaxienkern, während die Spirale obeneine Sternentstehungsphase zu durchlaufen scheint. Die Ga-laxien der Gruppe sind so eng beieinander, dass sie sich in derProjektion beinahe berühren. Zwischen den Galaxien konntenGasströme festgestellt werden: Die Galaxien stören sich ge-genseitig, und dies kann Auslöser für die Aktivität im Kern unddie Sternentstehung sein. Die Galaxien sind in einem gemein-samen Gravitationspotential gebunden und werden sich aufkosmologisch kurzen Zeitskalen, nämlich in wenigen Orbits– wobei ein Orbit ca. 108 Jahre dauert – massiv stören und ver-mutlich verschmelzen. Solche Verschmelzungsprozesse sindfür die Entwicklung der Galaxienpopulation von äußersterBedeutung

Dunkler Materie in Galaxienhaufen. Eine dritte Me-thode zur Massenbestimmung von Haufen, der sog.Gravitationslinseneffekt, macht Gebrauch von der Tat-sache, dass Licht im Schwerefeld abgelenkt wird. DieseLichtablenkung an einer Massenkonzentration ist umsostärker, je größer die Masse ist. Aus der Beobachtungund Analyse dieses Gravitationslinseneffekts in Gala-xienhaufen ergeben sich Werte für die Haufenmasse, diein Übereinstimmung mit den beiden anderen Methodensind. Somit sind Galaxienhaufen neben den Galaxien

eine zweite Klasse kosmischer Objekte, deren Massevon Dunkler Materie dominiert wird.

Galaxienhaufen sind kosmologisch junge Gebilde:ihre dynamische Zeitskala kann man abschätzen als dieZeit, die eine Haufengalaxie benötigt, um einmal denHaufen zu durchqueren. Mit v ∼ 1000 km/s und einemDurchmesser von 2R ∼ 2 Mpc erhält man so

tdyn ∼ 2R

v∼ 2×109 yr ; (1.9)

wie wir später noch sehen werden, ist das Universumetwa 14×109 Jahre alt. In dieser Zeit haben Gala-xien daher keine Gelegenheit, den Haufen oftmals zudurchqueren. Da Galaxienhaufen in diesem Sinne kos-mologisch jung sind, enthalten sie im Prinzip nochInformation über ihren Anfangszustand; die meistenHaufen hatten keine Zeit, vollständig zu relaxierenund einen Gleichgewichtszustand einzunehmen, der imWesentlichen unabhängig von den Anfangsbedingun-gen ist. Dies kann man vergleichen mit dem Umlaufder Sonne um das Zentrum der Milchstraße, der etwa2×108 Jahre dauert – Galaxien hatten also Zeit, ihrenGleichgewichtszustand anzunehmen.

Neben massereichen Haufen von Galaxien gibt esGalaxiengruppen, die manchmal nur wenige leuchtkräf-tige Galaxien enthalten. Unsere Milchstraße ist selbstTeil einer solchen Gruppe, der Lokalen Gruppe, dieweiterhin M31 (Andromeda) als dominante Galaxie undeinige weit weniger leuchtkräftige Galaxien wie die Ma-gellanschen Wolken enthält. Einige Galaxiengruppensind sehr kompakt, d. h. ihre Galaxien sind auf engemRaum zusammen (Abb. 1.16). Wechselwirkungen zwi-schen diesen Galaxien bewirken, dass die Lebensdauervieler dieser Gruppen wesentlich kleiner ist als dasWeltalter; die Galaxien dieser Gruppen werden dahermiteinander verschmelzen.

1.2.6 Weltmodelle und thermische Geschichtedes Universums

Quasare, Galaxienhaufen und seit einiger Zeit so-gar einzelne Galaxien werden auch bei sehr hohenRotverschiebungen gefunden, bei denen das einfacheHubble-Gesetz (1.2) nicht mehr gilt. Es ist daher nötig,dieses zu verallgemeinern. Das verlangt die Betrachtungvon Weltmodellen als Ganzes, die man auch als kosmo-logische Modelle bezeichnet. Die vorherrschende Kraft

Page 30: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

16

1. Einleitung und Überblick

im Universum ist die Gravitation: Schwache und starkeWechselwirkung haben extrem kleine Reichweiten, undelektromagnetische Wechselwirkung spielt auf großenSkalen keine Rolle, da die kosmische Materie im We-sentlichen neutral ist – denn wenn sie es nicht wäre,würden sofort Ströme fließen, um Ladungsdichten aus-zugleichen. Die gültige Theorie der Gravitation ist dieAllgemeine Relativitätstheorie (ART), die von AlbertEinstein im Jahre 1915 formuliert wurde.

Basierend auf den beiden Postulaten, dass (1) unserPlatz im Universum von anderen Orten nicht ausge-zeichnet ist und dass (2) die Verteilung der Materieum uns herum zumindest auf großen Skalen isotropist, kann man homogene und isotrope Weltmodelle (so-genannte Friedmann-Lemaître-Modelle) konstruieren,die den Gesetzen der ART genügen. ExpandierendeWeltmodelle, die die Hubble-Expansion enthalten, er-geben sich im Rahmen dieser Theorie ganz natürlich.Im Wesentlichen lassen sich diese Modelle durch dreiParameter beschreiben:

• der heutigen Expansionsrate des Universums, alsoder Hubble-Konstanten H0,

• der heutigen mittleren Materiedichte des Univer-sums, ρm, oftmals parametrisiert durch den dimensi-onslosen Dichteparameter

Ωm = 8πG

3H20

ρm , (1.10)

• und der Dichte der sog. Vakuum-Energie, ausge-drückt durch die Kosmologische Konstante Λ oderden entsprechenden Dichteparameter des Vakuums

ΩΛ = Λ

3H20

. (1.11)

Die Kosmologische Konstante wurde von Einstein ur-sprünglich eingeführt, damit seine ART auch stationäreWeltmodelle beschreiben kann. Nach der Entdeckungder Hubble-Expansion hat er die Einführung von Λ inseinen Gleichungen als seinen größten Irrtum bezeich-net. Durch die Quantenmechanik erhält Λ eine andereInterpretation, nämlich als Energiedichte des Vakuums.

Die Werte der kosmologischen Parameter sindheute recht genau bekannt (siehe Kap. 8), wobei manΩm ≈ 0.3 und ΩΛ ≈ 0.7 gefunden hat. Das Ergebniseines von Null verschiedenen Wertes für ΩΛ kommtvöllig unerwartet. Bislang sind sämtliche Versuche

gescheitert, einen Wert für ΩΛ aus der Quantenmecha-nik zu berechnen, der dem sich aus kosmologischenBeobachtungen ergebenden auch nur näherungsweiseähnlich ist. Tatsächlich geben einfache, plausible Ab-schätzungen einen Wert für Λ, der ∼ 10120 Mal größerist als der beobachtete – eine wahrlich schlechteAbschätzung. Diese gewaltige Diskrepanz stellt gegen-wärtig wohl eine der größten Herausforderungen an diefundamentale Physik dar.

Entsprechend der Friedmann-Lemaître-Modelle wardas Universum früher kleiner und heißer und hat sichim Zuge der Ausdehnung mit der Zeit abgekühlt. Mankann die Geschichte der kosmischen Expansion zurück-verfolgen unter der Annahme der Gültigkeit der unsbekannten physikalischen Gesetze. Daraus ergibt sichdas Urknall-Modell des Universums, nach dem unserUniversum sich aus einem sehr dichten, sehr heißenZustand, dem sog. Urknall (big bang) entwickelte. Die-ses Weltmodell macht eine Reihe von Vorhersagen, diein überzeugender Weise verifiziert wurden:

1. Etwa 1/4 der baryonischen Materie des Universumssollte aus Helium bestehen, welches sich etwa 3 Mi-nuten nach dem Urknall gebildet hat, während derRest im Wesentlichen aus Wasserstoff besteht. Diesist in der Tat der Fall: Der Massenanteil von He-lium in Metall-armen Objekten, deren chemischeZusammensetzung nicht stark durch Sternentwick-lungsprozesse modifiziert worden ist, beträgt etwa24%.

2. Aus dem genauen Anteil von Helium kann man dieAnzahl der Neutrino-Sorten bestimmen – je mehrNeutrino-Spezies existieren, um so größer ist derAnteil von Helium. Daraus wurde um 1981 ab-geleitet, dass es drei Neutrino-Sorten geben sollte.Dieses Resultat wurde später durch Beschleuniger-Experimente bestätigt.

3. Eine thermische Strahlung aus der heißen Frühphasedes Universums sollte auch heute noch messbar sein.Vorhergesagt 1946 durch George Gamow, wurde sie1965 von Arno Penzias und Robert Wilson ent-deckt. Die entsprechenden Photonen konnten sichfrei ausbreiten, nachdem das Universum auf etwa3000 K abgekühlt war und das Plasma sich zu neu-tralen Atomen vereinigte, eine Epoche, die manals Rekombination bezeichnet. Aufgrund der kos-mischen Expansion hat sich die Strahlung auf etwa

Page 31: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

1.2 Überblick

17

T0 ≈ 2.73 K abgekühlt. Diese Mikrowellenstrahlungist nahezu perfekt isotrop, wenn man von der Emis-sion der Milchstraße absieht. Tatsächlich ergab dieMessung des Satelliten COBE, dass es sich bei demkosmischen Mikrowellenhintergrund (cosmic micro-wave background, CMB) um das genaueste jemalsgemessene Schwarzkörperspektrum handelt.

4. Die heutigen Strukturen im Universum haben sichaus sehr kleinen Dichtefluktuationen des frühenKosmos entwickelt. Die Keime der Strukturbildungmussten daher bereits in der Frühzeit der kosmischenEntwicklung vorhanden gewesen sein. Diese Dich-tefluktuationen sollten daher auch sichtbar sein alskleine Temperaturfluktuationen im Mikrowellenhin-tergrund, der etwa 380 000 Jahre nach dem Urknallwährend der Rekombination freigesetzt worden ist.In der Tat hat COBE diese vorhergesagte Anisotropiezum ersten Mal entdeckt (siehe Abb. 1.17). SpätereMessungen, insbesondere die des Satelliten WMAP,haben die Struktur des Mikrowellenhintergrunds mitdeutlich verbesserter Auflösung vermessen und da-bei die Theorie der Strukturbildung im Universumim Detail verifiziert (siehe Kapitel 8.6).

Da diese Vorhersagen in solch beeindruckenderWeise bestätigt worden sind, werden wir ausschließ-lich dieses kosmologische Modell betrachten. Es gibtzur Zeit kein konkurrierendes Modell des Universums,das in so natürlicher Weise die grundsätzlichen kos-mologischen Beobachtungen erklärt. Weiterhin scheintdieses Modell mit keiner grundlegenden Beobachtungder Kosmologie im Widerspruch zu stehen. Allerdingszeigt die Existenz einer von Null verschiedenen Va-kuumenergiedichte, zusammen mit einem Wert für dieMateriedichte ρm, der etwa das Sechsfache der mittle-ren Baryonendichte des Universum beträgt (wie man sieaus der Häufigkeit der im Urknall entstandenen chemi-schen Elemente ableiten kann), dass die physikalischeNatur von etwa 95% des Inhalts unseres Universumsbislang nicht verstanden worden ist.

Die Photonen des CMB standen zum letzten Mal mitMaterie durch physikalische Wechselwirkung in Kon-takt, als das Universum etwa 3.8×105 Jahre alt war,aber auch bei den am weitesten entfernten Galaxien undQuasaren, die wir bisher kennen (z ∼ 6.5), ist deren Ju-gendlichkeit beeindruckend: wir sehen sie bei wenigerals einem Zehntel des heutigen Weltalters! Die genaue

Abb. 1.17. Temperaturverteilung des kosmischen Mikro-wellenhintergrunds am Himmel, wie sie vom SatellitenCOBE gemessen wurde. Das oberste Bild zeigt eine Dipol-Verteilung; diese stammt von der Bewegung der Erde relativzum Ruhesystem des CMB. Wir bewegen uns mit einer Ge-schwindigkeit von ∼ 600 km/s relativ zu diesem System, unddies führt aufgrund des Doppler-Effekts zu einer Anisotro-pie der Größenordnung ΔT/T ∼ v/c ∼ 2×10−3. Subtrahiertman diesen Anteil, ergibt sich die mittlere Karte, die deut-lich die Emission der Galaktischen Scheibe zeigt. Da dieseEmission eine andere spektrale Verteilung besitzt (sie istkein Schwarzkörper mit T ∼ 3 K), kann man sie ebenfallssubtrahieren und erhält das untere Bild. Dies sind die primor-dialen Fluktuationen des CMB mit einer Amplitude von etwaΔT/T ∼ 2×10−5

Relation zwischen dem Weltalter zur Zeit der Lichte-mission und der beobachteten Rotverschiebung hängtvon den kosmologischen Parametern H0, Ωm und ΩΛ

ab. Für den Spezialfall Ωm = 1 und ΩΛ = 0, genannt

Page 32: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

18

1. Einleitung und Überblick

Einstein–de Sitter Modell, erhält man:

t(z) = 2

3H0

1

(1+ z)3/2. (1.12)

Insbesondere ist das Weltalter heute (d. h. z = 0) indiesem Modell

t0 = 2

3H0≈ 6.5×109 h−1 yr . (1.13)

Das Einstein–de Sitter (EdS) Modell ist das ,,ein-fachste“ Weltmodell, und wir werden es manchmal alsReferenz benutzen, aber neueste Beobachtungen spre-chen dafür, dass Ωm < 1 und ΩΛ > 0 ist. Die mittlereDichte des Universums im EdS-Modell beträgt

ρ0 = ρcr ≡ 3H20

8πG≈ 1.9×10−29h2 g cm−3 , (1.14)

sie ist also sehr, sehr klein!

1.2.7 Strukturbildung und Galaxienentwicklung

Die geringe Amplitude der Anisotropien des CMBimpliziert, dass die Inhomogenitäten zum damaligenZeitpunkt sehr klein waren, während heute das Univer-sum, zumindest auf Skalen von Galaxienhaufen, sehrstarke Dichteschwankungen aufweist. Das Dichtefeldder kosmischen Materie muss sich also entwickelt ha-ben. Diese Strukturentwicklung findet aufgrund dergravitativen Instabilität statt: Ein überdichtes Gebietexpandiert aufgrund der Eigengravitation langsamerals das Universum im Mittel, weshalb sich seine re-lative Überdichte noch verstärkt. Das Anwachsen vonDichtefluktuationen mit der Zeit bewirkt das Ausbildengroßräumiger Strukturen. Es sorgt auch dafür, dass sichGalaxien und Haufen bilden. Unser oben skizziertesWeltmodell kann die Häufigkeit von Galaxienhaufenals Funktion der Rotverschiebung vorhersagen, dieman dann mit Beobachtungen vergleichen kann. DieserVergleich kann zur Bestimmung der kosmologischenParameter herangezogen werden.

Eine weitere essentielle Schlussfolgerung aus derKleinheit der CMB Anisotropien ist die Existenz Dunk-ler Materie auf kosmischen Skalen: Der größte Teil derkosmischen Materie ist Dunkle Materie, der Baryonen-anteil an der Materiedichte ist � 20% und � 5% ander Energiedichte. Die Energiedichte des Universumsist von der Vakuumsenergie dominiert.

Leider ist die räumliche Verteilung der Dunklen Ma-terie auf großen Skalen nicht direkt beobachtbar, wirsehen nur Galaxien bzw. ihre Sterne. Man erwartet viel-leicht, dass Galaxien dort besonders häufig auftreten,wo auch die Dichte der Dunklen Materie besondersgroß ist. Es ist aber keineswegs selbstverständlich,dass lokale Dichtefluktuationen der Galaxienanzahl undder Dichte Dunkler Materie streng proportional sind.Der Zusammenhang zwischen Dunkler und leuchtenderMaterie ist bislang nur näherungsweise verstanden.

Dieser Zusammenhang muss letztendlich aus derEntwicklung von Galaxien begriffen werden: Einegroße Dichte Dunkler Materie kann die Bildung vonGalaxien begünstigen. Wir werden daher untersuchen,wie Galaxien entstehen und warum es verschiedeneSorten von Galaxien gibt. Mit anderen Worten, wasentscheidet, ob eine sich bildende Galaxie zu einer El-lipse oder einer Spirale wird? Diese Frage ist nichtendgültig beantwortet, aber es wird vermutet, dass sichEllipsen erst durch die Verschmelzung (merging) vonSpiralen bilden. In der Tat sagt das Standard-Modelldes Universums vorher, dass sich zunächst kleine Ga-laxien bilden; größere bilden sich erst später durchfortdauerndes merging kleinerer Einheiten.

Die Entwicklung von Galaxien ist direkt be-obachtbar: Galaxien hoher Rotverschiebung (d. h.kosmologisch junge Galaxien) sind in der Regel kleinerund blauer – die Sternentstehungsrate war zu frühe-ren Zeiten im Universum deutlich größer als heute.Die Entwicklung der mittleren Farbe von Galaxien alsFunktion der Rotverschiebung kann durch eine Mi-schung von Sternentstehung einerseits und Alterung derSternpopulation andererseits erklärt werden.

1.2.8 Kosmologie als Triumphdes menschlichen Geistes

Kosmologie, extragalaktische Astronomie, ja die ge-samte Astrophysik ist ein heroisches Unterfangen desmenschlichen Geistes und ein Triumph der Physik. Umdas Universum zu verstehen, wenden wir physikalischeGesetze an, die unter ganz anderen Umständen empi-risch gefunden wurden. Alle physikalischen Gesetzewurden ,,heute“ aufgestellt und basieren, mit Ausnahmeder Allgemeinen Relativitätstheorie, auf Experimentenim Labormaßstab oder bestenfalls auf Beobachtungen

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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im Sonnensystem wie z. B. die Keplerschen Gesetze,die als Grundlage der Newtonschen Gravitationstheoriedienten. Haben wir a priori einen guten Grund anzu-nehmen, dass diese Gesetze auch in anderen Gebietendes Universums gelten, oder zu ganz anderen Zeiten?Dennoch scheint dies der Fall zu sein: Kernprozesseim frühen Universum scheinen nach den gleichen Ge-setzen der starken Wechselwirkung abzulaufen, die wirhier und heute im Labor messen – andernfalls wäredie Vorhersage des 25%-igen Massenanteils von He-lium nicht möglich. Die Quantenmechanik, die u. a.das Verhältnis der Wellenlängen atomarer Übergängebeschreibt, scheint auch bei sehr großen Entfernungenbzw. zu sehr frühen Zeiten gültig zu sein – selbst dieam weitesten entfernten Objekte zeigen Emissionsli-nien im Spektrum, deren Frequenzverhältnis mit denenim Spektrum naher Objekte übereinstimmen und dievon der Quantenmechanik so beschrieben werden.

Bei weitem am größten ist der Triumph der All-gemeinen Relativitätstheorie. Sie wurde ursprünglichvon Einstein entworfen, weil seine spezielle Rela-tivitätstheorie es nicht ermöglichte, die NewtonscheGravitation mit einzubeziehen. Zum damaligen Zeit-punkt (1915) gab es keine empirischen Befunde, dienicht mit der Newtonschen Gravitationstheorie be-schreibbar waren. Dennoch entwickelte Einstein einevöllig neue Theorie der Gravitation aus rein theo-retischen Gründen. Die korrekte Beschreibung derLichtablenkung an der Sonne, die 1919 gemessenwurde, und der Periheldrehung des Merkur8 wa-ren erste Erfolge der Theorie. Sie ermöglicht dieBeschreibung des expandierenden Universums, wasnach der Entdeckung von Hubble in 1928 notwen-dig wurde. Nur mit ihrer Hilfe kann die Geschichtedes Kosmos rekonstruiert werden. Diese erscheint unsbekannt bis zurück in die Zeit, als das Universumetwa 10−6 Sekunden alt und etwa 1013 K heiß war.Auf dieser Beschreibung beruhen die oben erwähntenerfolgreichen Vorhersagen der Kosmologie. Anderer-seits beschreibt die Allgemeine Relativitätstheorie auchsehr viel kleinere Systeme mit sehr viel stärkerenGravitationsfeldern, wie z. B. die von Neutronenster-nen und Schwarzen Löchern. Die Entdeckung einesBinärsystems bestehend aus zwei Neutronensternen,

8Diese war bereits vor 1915 bekannt, aber es war nicht klar, ob sie viel-leicht andere Ursachen haben könnte wie z. B. ein Quadrupolmomentder Massenverteilung der Sonne.

PSR 1913+16, hat in den vergangenen 20 Jahren sehrgenaue Tests der Allgemeinen Relativitätstheorie er-laubt, wie z. B. die Periheldrehung in diesem Systemund die Abnahme des Abstandes mit der Zeit we-gen der Energieabstrahlung durch Gravitationswellen.Zusammengenommen wurde die Allgemeine Relati-vitätstheorie getestet auf Längenskalen von 1011 cm(die charakteristische Skala des Binärpulsars) bis hinzu 1028 cm, der Größe des heute sichtbaren Univer-sums, also über 17 Größenordnungen – wahrlich einbeeindruckendes Ergebnis!

1.3 Werkzeuge der extragalaktischenAstronomie

Extragalaktische Quellen – Galaxien, Quasare, Gala-xienhaufen – sind weit entfernt. Das bedeutet, dasssie i. A. sehr lichtschwach erscheinen, selbst wenn sieintrinsisch leuchtkräftig sind, und unter sehr kleinemWinkeldurchmesser erscheinen können, trotz ihrer viel-leicht großen linearen Ausdehnung. In der Tat gibt esgenau drei extragalaktische Quellen, die mit dem blo-ßen Auge sichtbar sind: die Andromeda-Galaxie (M31),und die Große und Kleine Magellansche Wolke. Fürdie extragalaktische Astronomie benötigt man daherTeleskope mit großen Aperturen (Sammelflächen fürPhotonen) und hoher Winkelauflösung. Das gilt für alleWellenlängenbereiche – von der Radioastronomie bishin zur Gamma-Astronomie.

Die Eigenschaften astronomischer Teleskope und ih-rer Instrumente sind nach verschiedenen Kriterien zubewerten, von denen die wichtigsten kurz erwähnt wer-den sollen. Die Beobachtungsempfindlichkeit gibt an,wie lichtschwach Quellen sein dürfen, um sie in ge-gebener Integrationszeit untersuchen zu können. DieEmpfindlichkeit hängt sowohl von der Apertur des Te-leskops als auch von der Effizienz des Instrumentsund der Sensitivität der Detektoren ab. So wurde bei-spielsweise die Empfindlichkeit optischer Teleskope umeinen großen Faktor dadurch erhöht, dass die CCDs diePhotoplatten zu Beginn der 1980er Jahre als Detekto-ren ablösten. Weiterhin hängt die Empfindlichkeit vomHimmelshintergrund ab: Das künstliche Licht bewohn-ter Regionen zwingt die optischen Teleskope in immerentlegenere Gebiete, in denen die Lichtverschmutzungminimiert ist; ähnlich ergeht es den Radioastronomen,

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1. Einleitung und Überblick

die von Radiostrahlung der Telekommunikation erheb-lich beeinträchtigt werden. Die Winkelauflösung einesTeleskops gibt an, bis zu welchem Winkelabstand zweiQuellen an der Sphäre auf dem Detektor noch getrenntwerden können. Bei beugungsbegrenzten Beobachtun-gen, wie etwa mit Radioteleskopen oder Teleskopenim Weltall, ist die Winkelauflösung Δθ durch denDurchmesser D des Teleskops bestimmt, wobei beider Wellenlänge λ die Beziehung Δθ = λ/D gilt. Füroptische und nah-Infrarot-Beobachtungen vom Bodenaus ist in der Regel die Winkelauflösung durch dieTurbulenz in der Atmosphäre begrenzt, wodurch sichdie Wahl der Standorte für optische Teleskope auf ho-hen Bergen erklärt. Diese atmosphärischen Turbulenzenführen aufgrund der Szintillation zur einer Verschmie-rung der Bilder von astronomischen Quellen. DiesenEffekt nennt man Seeing. Bei der Interferometrie, beider man die empfangene Strahlung mehrerer Teleskopevereinigt, ist die Winkelauflösung durch den Abstandder Teleskope bestimmt. Die spektrale Auflösung einesInstruments gibt die Fähigkeit zur Trennung unter-schiedlicher Wellenlängen wieder. Der Durchsatz einesTeleskops ist insbesondere bei großen Himmeldurch-musterungen (Surveys) von Bedeutung. So ist etwa dieEffizienz, mit der spektroskopische Durchmusterungendurchgeführt werden, von der Anzahl der simul-tan aufgenommenen Spektren abhängig, und spezielle

Abb. 1.18. ,,Janskys Karussell“. DurchDrehen in der Azimutal-Richtung konntedie grobe Richtung der Radioquellenfestgestellt werden

Multiplex-Spektrographen wurden für diese Zweckegebaut. Die Effizienz bei photometrischen Surveyshängt von der simultan beobachtbaren Himmelsregionab, also dem Gesichtsfeld einer Kamera.

Im Folgenden seien einige der Teleskope aufgeführt,die für die (extragalaktische) Astronomie besonders re-levant sind und auf die wir im Laufe dieses Buchesimmer wieder verweisen werden.

1.3.1 Radioteleskope

Außer bei optischen Wellenlängen ist die Atmosphäreder Erde nur bei sehr großen Wellenlängen durchläs-sig, den Radiowellen. Das Radiofenster der Atmosphäreist bei kleinen Frequenzen bei etwa ν ∼ 10 MHz ab-geschnitten, denn Strahlung größerer Wellenlänge alsλ ∼ 30 m kann die Ionosphäre der Erde nicht durch-queren, sondern wird reflektiert. Unterhalb von etwaλ = 5 mm wird die Strahlung durch Sauerstoff und Was-serdampf der Atmosphäre immer stärker absorbiert, undunterhalb von etwa λ = 0.3 mm ist keine erdgebundeneBeobachtung mehr möglich.

Auf Radiostrahlung des Kosmos wurde die Mensch-heit erst aufmerksam, als sie ein nicht verschwindendesRauschen in ihren Radioantennen vernahm. Mit derIdentifikation dieser Quelle beauftragten die AT&T Bell

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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Abb. 1.19. Mit einem Durchmesser von 305Metern ist das Arecibo-Teleskop in PuertoRico das größte Einzel-Teleskop; außer-halb der Wissenschaft wurde es bekanntdurch den James Bond-Film Goldeneye.Der Nachteil der Konstruktion ist die Un-beweglichkeit. Nachführen ist nur begrenztmit dem Sekundärspiegel möglich

Labs Karl Jansky, der dazu eine bewegliche Antenne(,,Janskys Karussell“, Abb. 1.18) baute. Nach einigenMonaten hatte Jansky neben Gewittern eine Störquellefestgestellt, die jeden Tag auf- und unterging. Aller-dings folgte sie dabei nicht ganz dem Lauf der Sonne,die zuerst als Quelle vermutet wurde, sondern bewegtesich mit den Sternen. Jansky fand schließlich heraus,dass das Signal aus der Richtung des Milchstraßenzen-trums kam. Dieses Resultat wurde 1933 veröffentlicht,aber markierte auch das Ende für Janskys Karriere alserster Radioastronom.

Inspiriert von Janskys Entdeckung betrieb GroteReber als erster wirkliche Astronomie mit Radio-wellen. Nachdem AT&T ihn nicht einstellen wollte,baute er seine eigene Radio-,,Schüssel“ mit einemDurchmesser von fast zehn Metern in seinem Garten.Zwischen 1938 und 1943 erstellte Reber die erstenHimmelskarten im Radiobereich. Neben der starkenStrahlung des Milchstraßenzentrums identifizierte erauch Quellen in Cygnus und Cassiopeia. Durch Re-bers Untersuchungen und Veröffentlichungen wurdedie Radioastronomie nach dem zweiten Weltkrieg einanerkanntes Wissenschaftsgebiet.

Das größte Radio(einzel)teleskop ist das Arecibo-Teleskop, das in Abb. 1.19 gezeigt ist. Dieses aufgrundseiner enormen Fläche sehr empfindliche Teleskop

entdeckte u. a. den ersten Pulsar in einem Doppel-sternsystem, welches zu einem wichtigen ,,Testlabor“für die Allgemeine Relativitätstheorie geworden ist.Ebenfalls wurde die Existenz von extra-solaren Pla-neten nachgewiesen – durch einen Planeten im Orbitum einen Pulsar. Für die extragalaktische Astrono-mie spielt Arecibo eine sehr wichtige Rolle bei derMessung der Rotverschiebung und Linienbreite vonSpiralgalaxien, wie sie aufgrund der 21 cm Emissiondes neutralen Wasserstoffs bestimmt werden können(siehe Abschn. 3.4).

Das Effelsberger 100-Meter-Radioteleskop des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie trug lange Zeitden Titel ,,größtes voll bewegliches Radioteleskopder Welt“, aber seit 2000 darf sich das neueGreen Bank Telescope (das alte ist 1988 kolla-biert) so nennen (siehe Abb. 1.20). Mit Effelsbergwerden z. B. Sternentstehungsgebiete erforscht. ÜberMoleküllinien–Spektroskopie ist es möglich, derenDichte und Temperatur zu messen. Bei der Stern-entstehung spielen auch Magnetfelder eine Rolle,auch wenn noch viele Details dabei zu erforschensind. Durch Messungen von polarisierter Radiostrah-lung hat Effelsberg die Magnetfelder von vielenSpiralgalaxien kartiert. Weiterhin ist Effelsberg auf-grund seiner riesigen Sammelfläche ein wichtiges

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.20. Die zwei größten beweglichen Radioteleskope derWelt. Links: Das 100-Meter-Teleskop in Effelsberg wurde1972 in Betrieb genommen. Es wird in einem Wellenlän-genbereich von 3.5 mm bis 35 cm eingesetzt – dafür sind

18 verschiedene Empfangssysteme notwendig. Rechts: DasGreen Bank Telescope hat keinen rotationssymmetrischenSpiegel; in einer Achse weist es einen Durchmesser von100 Metern auf, in der anderen von 110 Metern

Element bei der Interferometrie mit großen Basislängen(s. u.).

Aufgrund der großen Wellenlängen ist die Winkel-auflösung selbst bei großen Radioteleskopen sehr grob.Daher hat man in der Radioastronomie schon früh be-gonnen, interferometrische Methoden zu verwenden.Dabei werden die Signale von mehreren Teleskopenmiteinander korreliert, um ein Interferenzmuster zu er-halten. Durch Fourier-Transformation kann dann dieStruktur der Quelle bestimmt werden. Man erhältdadurch die gleiche Auflösung wie die eines Einzel-teleskops mit einem Durchmesser, der der größtenEntfernung zwischen zwei der benutzten Teleskopenentspricht.

Nach ersten interferometrischen Messungen in Eng-land (um 1960) und dem Bau des großen WesterborkSynthese-Radioteleskop in den Niederlanden um 1970wurde das Very Large Array (VLA) in New Me-

xico (siehe Abb. 1.21) Ende der siebziger Jahre inBetrieb genommen. Damit erreichte man im Ra-diobereich eine vergleichbare Winkelauflösung, wiesie damals mit optischen Teleskopen erzielt wurde.Dadurch konnten erstmals Radio- und optische Aufnah-men bei gleicher Auflösung kombiniert und kosmischeObjekte über mehrere stark getrennte Wellenlängen-bereiche studiert werden. Mit dem VLA erlebtedie Radioastronomie einen enormen Durchbruch, dersich u. a. in den Untersuchungen von AGNs nieder-schlug. Große, ausgedehnte Jets von Quasaren undRadiogalaxien konnten zum ersten Mal im Detailstudiert werden (siehe Abschn. 5.1.2). Als weitereInterferometer sind hier das Westerbork-Array inden Niederlanden und das britische MERLIN zuerwähnen; bei letzterem werden sieben Teleskope zu-sammengeschaltet, deren maximaler Abstand 230 kmbeträgt.

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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Abb. 1.21. Das Very Large Array (VLA)in New Mexico besteht aus 27 Antennenmit einem jeweiligen Durchmesser von25 Metern, welche auf Eisenbahnschienenverschoben werden können. Es wird in vierverschiedenen Konfigurationen genutzt, diesich durch die Abstände der Teleskopeunterscheiden; ein Wechsel zwischen denKonfigurationen dauert ca. zwei Wochen

Im Radiobereich ist es auch möglich, völlig unab-hängige und verschiedene Antennen als Interferometerzusammenzuschalten. So werden zum Beispiel für dieVery Long Baseline Interferometry (VLBI) Radiote-leskope auf der ganzen Welt genutzt, darunter auchEffelsberg und das VLA. In den USA wurde 1995ein System von zehn baugleichen 25-Meter-Antennenausschließlich für VLBI errichtet – das Very LongBaseline Array (VLBA). Man kann mit VLBI eine Win-kelauflösung von besser als eine Millibogensekundeerreichen, daher wird es in der Extragalaktik vor al-lem zur Untersuchung von AGNs gebraucht. DurchVLBI haben wir viel über die zentralen Bereiche derAGNs gelernt, nicht zuletzt die Existenz scheinbarerÜberlichtgeschwindigkeiten in diesen Quellen.

Einige der bisher beschriebenen Radioteleskope kön-nen bis in den Millimeterbereich beobachten. Fürkürzere Wellenlängen sind die Antennenoberflächenzu rau und spezielle Teleskope für Wellenlängen bei1 mm und kürzer werden benötigt. Das 30-Meter Tele-skop auf dem Pico Veleta (Abb. 1.22) bietet aufgrundseiner genauen Oberfläche die Möglichkeit, im Mil-limeterbereich zu beobachten, und wird insbesonderefür Molekülspektroskopie bei diesen Frequenzen be-nutzt. Weiterhin wurden mit der Bolometer-KameraMAMBO an diesem Teleskop bei 1.2 mm wichtigeBeobachtungen von hoch-rotverschobenen Galaxiengemacht, ähnlich wie mit der SCUBA-Kamera (Sub-

millimeter Common-User Bolometer Array), welcheam James Clerk Maxwell Telescope (JCMT; Abb. 1.23)auf dem Mauna Kea in Hawaii eingesetzt wird.Aufgrund seiner Größe und seines hervorragendenStandorts war das JCMT das in der Vergangenheitwohl wichtigste Teleskop für den Submillimeter-bereich; es beobachtet bei Wellenlängen zwischen3 mm und 0.3 mm. SCUBA, das erfolgreichste In-strument an diesem Teleskop, ermöglicht bei 850 μm,Sternentstehungsgebiete im Universum bei Rotver-schiebungen größer als z = 1 zu beobachten, derenoptische Emission praktisch völlig von Staub absorbiertwird.

Um die winzigen Temperaturfluktuationen der kos-mischen Hintergrundstrahlung zu vermessen, benötigtman extrem stabile Beobachtungsbedingungen sowiesehr rauscharme Empfänger. Um von der thermischenStrahlung der Atmosphäre möglichst wenig gestörtzu sein, wurden Ballons und Satelliten gebaut. Deramerikanische Satellit COBE (Cosmic BackgroundExplorer) hat zum ersten Mal die Anisotropien desCMB vermessen, wobei Wellenlängen von einigenMillimetern benutzt wurden. Zusätzlich wurde dasFrequenzspektrum des CMB präzise vermessen. DerWMAP (Wilkinson Microwave Anisotropy Probe)Satellit hat wie COBE eine vollständige Himmelsdurch-musterung durchgeführt, aber mit deutlich verbesserterWinkelauflösung und Empfindlichkeit. Die ersten im

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.22. Das 30-Meter-Teleskop auf demPico Veleta, welches für den Millimeter-Bereich des Spektrums gebaut wurde.Dieses Teleskop befindet sich, wie alleMillimeter-Teleskope, auf einem Berg,um die Säulendichte von Wasser in derAtmosphäre zu minimieren

Abb. 1.23. Das JCMT hat eine Schüssel miteinem Durchmesser von 15 Metern. Sie wirdvon dem größten Einzelstück Gore-Tex ge-schützt, welches im Submillimeterbereicheine Durchlässigkeit von 97% hat

Februar 2003 veröffentlichten Ergebnisse von WMAPhaben zu einem enormen Fortschritt in der Kosmolo-gie geführt. Neben den Untersuchungen des CMB sinddiese Missionen auch für die Millimeter-Astronomievon großer Bedeutung, denn neben der kosmischenHintergrundstrahlung beobachten diese Satelliten na-türlich auch die Mikrowellenstrahlung der Milchstraßeund anderer Galaxien.

1.3.2 Infrarot-Teleskope

Im Wellenlängenbereich 1 μm� λ� 300 μm sind Be-obachtungen von der Erdoberfläche nicht oder nurunter schwierigen Bedingungen möglich. Im Nah-Infraroten (NIR, 1 μm� λ� 2.4 μm) gibt es einigeFenster der Atmosphäre, die eine bodengebundene Be-obachtung ermöglichen. Im mittleren Infrarot (MIR)

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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Abb. 1.24. Links: IRAS im Orbit (künstlerische Darstel-lung). Das Projekt war eine Zusammenarbeit zwischenden Niederlanden, den USA und Großbritannien. IRASwurde im Januar 1983 gestartet und beobachtete zehn Mo-nate lang – dann war der Vorrat an flüssigem Heliumverbraucht, der zur Kühlung der Detektoren notwendig

war. In dieser Zeit rasterte IRAS 96% des Himmelsin vier Wellenlängen. Rechts: Der ISO-Satellit, ein Pro-jekt der ESA, flog von 1995 bis 1998. GegenüberIRAS hatte ISO einen größeren Wellenlängenbereich, einehöhere Auflösung und eine tausendmal höhere Empfindlich-keit

bei 2.4 μm� λ� 20 μm und im ferninfraroten Bereich(FIR, 20 μm� λ� 300 μm) sind Beobachtungen nuroberhalb der Atmosphäre möglich, d. h. von Ballons,hochfliegenden Flugzeugen oder Satelliten aus. Da-bei müssen die Instrumente stark gekühlt werden, dasonst ihre eigene thermische Strahlung jedes Signalüberstrahlen würde.

Erste nennenswerte Beobachtungen im Ferninfra-roten wurden mit dem Kuiper Airborne Observatory(KAO), einem Flugzeug, gemacht, welches mit ei-nem 91 cm Spiegel in Höhen bis zu 15 km beobachtenkonnte. Der Durchbruch der IR-Astronomie kam jedocherst mit dem Satelliten IRAS, dem InfraRed Astrono-mical Satellite (Abb. 1.24). Mit seinem 60 cm Teleskoperstellte IRAS im Jahre 1983 die erste IR-Himmelskartebei 12, 25, 60 und 100 μm mit einer Winkelauflösungvon 30′′ (bzw. 2′) bei 12 (bzw. 100) μm und entdecktedabei etwa eine Viertelmillion Punktquellen sowie etwa20 000 ausgedehnte Quellen. Die Positionsgenauigkeitder Punktquellen von besser als ∼ 20′′ erlaubte dieIdentifikation der Objekte im optischen Bereich. Als

vielleicht wichtigste Entdeckung von IRAS sei hier dieIdentifikation von Galaxien erwähnt, die den größtenTeil ihrer Energie im FIR-Bereich des Spektrum emittie-ren. Diese oft als IRAS-Galaxien bezeichneten Quellenhaben eine hohe Sternbildungsrate, wobei das UV-Lichtder jungen Sterne von Staub absorbiert und als thermi-sche Strahlung im FIR reemittiert wird. IRAS hat etwa75 000 solcher UltraLuminous IR Galaxies (ULIRGs)entdeckt.

Im Gegensatz zur IRAS-Mission, deren Zielsetzungeine Himmelsdurchmusterung war, wurden mit dem In-frared Space Observatory ISO (Abb. 1.24) ausgewählteObjekte und Himmelsregionen im Wellenlängenbereichvon 2.5 μm bis 240 μm beobachtet. Obgleich das Te-leskop von ISO den gleichen Durchmesser hatte wiedas von IRAS, ist die Winkelauflösung bei 12 μm etwahundertmal besser als IRAS, dessen Auflösung durchdie Größe der Bildelemente des Detektors begrenztwurde. Die Empfindlichkeit von ISO überstieg die vonIRAS um einen Faktor ∼ 1000. ISO trug vier Instru-mente, jeweils zwei Kameras und zwei Spektrographen.

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1. Einleitung und Überblick

Zu den wichtigsten Ergebnissen von ISO im extra-galaktischen Bereich zählen die räumlich aufgelöstenBeobachtungen der von Staub eingehüllten Sternentste-hungsgebiete in ULIRGs. Obwohl die Mission beendetist, geht die wissenschaftliche Auswertung der Datenin großem Umfang weiter, denn ISO-Daten sind bishernoch einzigartig im Infraroten.

Allerdings wurde im Jahre 2003 ein neuer Infrarot-Satellit gestartet (Spitzer Space Telescope), dessenMöglichkeiten weit über die von ISO hinausgehen. Mitseinem 85 cm Teleskop beobachtet Spitzer bei Wellen-längen zwischen 3.6 und 160 μm. Die IRAC (InfraredArray Camera) Kamera, die bei Wellenlängen unterhalbvon ∼ 9 μm arbeitet, hat ein Gesichtsfeld von 5.′2×5.′2und 256×256 Pixel, deutlich mehr als die hinsichtlichder Wellenlänge vergleichbare ISOCAM mit 32×32Pixel. Die spektrale Auflösung des IRS Instruments (In-frared Spectrograph) im MIR liegt im Bereich von etwaR = λ/Δλ ∼ 100.

1.3.3 Optische Teleskope

Die Atmosphäre ist im optischen Bereich des elektro-magnetischen Spektrums (0.3 μm� λ� 1 μm) durch-lässig, so dass man vom Boden aus beobachten kann.Für die atmosphärischen Fenster im NIR-Bereich wer-den i. A. die gleichen Teleskope benutzt wie für dieoptische Astronomie, so dass wir hier zwischen denbeiden Bereichen nicht unterscheiden werden.

Obgleich optische Astronomie schon seit vielen Jahr-zehnten betrieben wird, war deren Entwicklung in denletzten Jahren rasant. Dies ist verbunden mit einer gan-zen Reihe von technischen Entwicklungen. Zum einenwurde 1993 mit dem 10-m Keck Telescope das ersteoptische Teleskop mit einem Spiegeldurchmesser vonmehr als 6 Metern in Betrieb genommen. Der Bausolch großer Teleskope wurde ermöglicht durch dieEntwicklung von adaptiver Optik zur Kontrolle derSpiegelfläche, denn Spiegel dieser Größe sind nichtmehr formstabil. Weiterhin wurde erkannt, dass einTeil der Luftturbulenzen, die für das Seeing verant-wortlich sind, durch das Teleskop und seine Kuppelselbst hervorgerufen wird. Durch Verbesserung derthermischen Bedingungen der Teleskope und der Kup-pelstrukturen wurde eine Reduzierung des Seeingserreicht. Die bereits erwähnte Ablösung der Photo-

platten durch die CCDs und deren Verbesserungenhaben zu einer Quanteneffizienz geführt, die mit nun∼ 70% (maximal sogar bis über 90%) kaum nochsteigerungsfähig ist. Der Durchsatz von optischen Te-leskopen wurde enorm gesteigert, indem zum einenWeitwinkel-CCD-Kameras gebaut wurden, von de-nen die zur Zeit größten ein Gesichtsfeld von einemQuadratgrad einnehmen und ∼ 16 000×16 000 Pixelbei einer Pixelskala von ∼ 0′′. 2 besitzen. Zum ande-ren wurden Multi-Objekt-Spektrographen gebaut, mitdenen man die Spektren von vielen Objekten gleichzei-tig aufnehmen kann – die größten von ihnen könnenmehrere hundert Quellen gleichzeitig spektroskopie-ren. Und schließlich wurde mit dem Hubble SpaceTelescope die räumliche Auflösung von optischen Be-obachtungen um einen Faktor ∼ 10 gesteigert. WeitereEntwicklungen, die in naher Zukunft das Feld weiterrevolutionieren werden, wie Interferometrie im nahenIR/Optischen und Aktive Optik, werden bald dazukommen.

Weltweit gibt es zur Zeit etwa 13 optische Tele-skope der 4-Meter Klasse. Diese unterscheiden sichhauptsächlich bezüglich ihres Standorts und ihrer In-strumentierung. So ist etwa das Canada-France-HawaiiTelescope (CFHT) auf dem Mauna Kea (Abb. 1.25)aufgrund des vorzüglichen Seeings seit Jahren Spit-zenreiter im Bereich der Weitwinkelphotometrie, wasdurch die Installierung von Megacam, einer Kamera mit18 000×18 000 Pixel, unterstrichen wird. Das Anglo-Australian Telescope (AAT) in Australien hingegenhat deutlich schlechteres Seeing und hat sich des-halb u. a. spezialisiert auf Multi-Objekt-Spektroskopie,wie etwa mit dem 2dF (two degree field) Instru-ment. Die meisten dieser Teleskope sind auch mitNIR-Instrumenten ausgestattet. Dabei spielt das NewTechnology Telescope (NTT; Abb. 1.26) eine beson-dere Rolle, weil es mit der SOFI-Kamera seit vielenJahren ein NIR-Instrument besitzt, das neben einemgroßen Gesichtsfeld von ∼ 5′ ×5′ auch ausgezeichneteBildqualität aufweist.

Hubble Space Telescope. Um dem größten Problem derboden-gebundenen optischen Astronomie zu begegnen,spekulierte schon in den zwanziger Jahren der Rake-tenforscher Hermann Oberth über Teleskope im All,die von den Einflüssen der Erdatmosphäre nicht be-troffen wären. 1946 griff der Astronom Lyman Spitzer

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

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Abb. 1.25. Teleskope auf dem Mauna Kea,einem 4200 Meter hohen Berg in Hawaii.Vorne in der zylindrischen Kuppel ist dasSubaru 8-m Teleskop, dahinter die beiden10-m Keck-Teleskope. Die beiden großenKuppeln in der Mitte beherbergen dasCanada-France-Hawaii Telescope (CFHT,3.6-m) und das 8-m Gemini-North. Das Te-leskop unten rechts ist das 15-m James ClerkMaxwell sub-mm Teleskop (JCMT)

Abb. 1.26. Das La Silla-Observatorium derESO in Chile. Im Vordergrund sieht mandas New Technology Telescope (NTT),ein 3.5-m Prototyp des VLT. Die silb-rig glänzende Kuppel ist das MPG/ESO2.2-m Teleskop, das z. Zt. mit dem Wide-Field-Imager, einer 80962 Pixel Kamera mit0.5 Grad Gesichtsfeld, ausgestattet ist. DasBild ist aufgenommen vom 3.6-m Teleskop,dem größten auf La Silla

diese Frage auf und erörterte die Möglichkeit undDurchführung eines solchen Projektes.

Bereits kurz nach Gründung der NASA imJahre 1958 wurde ein großes Weltraumteleskop alsweitläufiges Ziel deklariert. Nach mehreren Machbar-keitsstudien und dem Einwilligen der ESA, sich an demProjekt zu beteiligen, wurde das HST gebaut. Aller-dings verzögerte sich der Start durch die Explosion desSpace Shuttle ,,Challenger“ im Jahre 1986, so dass ererst am 24. April 1990 erfolgte. Kurze Zeit später wurdefestgestellt, dass der 2.4 m Hauptspiegel zur falschen

Form geschliffen war. Dies wurde erst im Dezember1993 durch die erste ,,servicing mission“ (eine Serievon Reparaturmissionen zum HST; siehe Abb. 1.27)durch eine Korrekturoptik behoben. Danach wurde dasHST eines der erfolgreichsten und bekanntesten wis-senschaftlichen Instrumente. Das HST besitzt zweioptische Kameras, die WFPC2 (Wide Field and Plane-tary Camera) und seit 2002 die ACS (Advanced Camerafor Surveys); letztere hat ein Gesichtsfeld von 3.′4×3.′4,etwa doppelt so groß wie WFPC2, und 4000×4000Pixel. Daneben gab es das STIS (Space Telescope

Page 42: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

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1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.27. Links: Das HST am Shuttle-Ausleger-Arm wäh-rend einer der Reperaturmissionen. Rechts: Das Hubble DeepField (North), das im Dezember 1995 aufgenommen und einen

Monat später veröffentlich wurde. Zur Erstellung dieses bisdahin tiefsten Bildes des Himmels wurden Aufnahmen in vierverschiedenen Farbfiltern kombiniert

Imaging Spectrograph) Instrument, das vor allem imUV und bei kurzen optischen Wellenlängen operierte;wegen eines Defekts wurde STIS im Jahre 2004 ab-geschaltet. Mit NICMOS (Near Infrared Camera andMulti Object Spectrograph) besitzt das HST auch einNIR-Instrument. Die gegenüber der Erdoberfläche deut-lich reduzierte Wärmestrahlung führte zu einem großenFortschritt in der NIR-Astronomie, allerdings mit sehrkleinem Gesichtsfeld.

Das HST hat wichtige Erkenntnisse über un-ser Sonnensystem und zur Sternentstehung geliefert,aber insbesondere für die extragalaktische Astronomiehat es Meilensteine gesetzt. Mit HST-Beobachtungendes Kerns von M87 konnte durch Messung derDoppler-Verschiebung der Gasemission indirekt daraufgeschlossen werden, dass sich im Zentrum dieser Gala-xie ein Schwarzes Loch mit 2 Milliarden Sonnenmassenbefindet. Auch in anderen Galaxien und AGNs hat dasHST inzwischen Schwarze Löcher nachgewiesen. Dieenorm verbesserte Winkelauflösung erlaubte das Stu-dium von Galaxien in bislang unbekanntem Detail. In

diesem Buch werden wir sehr häufig über Ergebnisseberichten, die vom HST gewonnen wurden.

Der vielleicht wichtigste Beitrag des HST zur extra-galaktischen Astronomie sind die Hubble Deep Fields.Forscher konnten den damaligen Direktor des SpaceTelescope Science Institutes, Robert Williams, dafürbegeistern, das HST einen ,,leeren“ Teil des Himmelsbeobachten zu lassen, also ein Feld mit (fast) keinenVordergrundsternen sowie ohne bekannte Galaxienhau-fen. Dabei war zunächst nicht offensichtlich, ob manüberhaupt etwas Interessantes sehen würde. Mit derBeobachtungszeit, die dem Direktor zur Vergabe zurVerfügung steht (,,director discretionary time“), wurdeim Dezember 1995 zehn Tage lang ein solches Feld imGroßen Bären anvisiert. Das Ergebnis war das HubbleDeep Field North (HDFN), einer der wichtigsten astro-nomischen Datensätze, der in Abb. 1.27 dargestellt ist.Durch das HDFN und seinem südlichen GegenstückHDFS lassen sich Aussagen über die Frühstadien vonGalaxien und ihre Entwicklung machen. Eine der ers-ten dieser Aussagen war die Feststellung, dass die

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

29

Abb. 1.28. Die beiden Keck-Teleskope aufdem Mauna Kea. Mit Keck I wurde imJahre 1993 die Ära der großen Teleskopeeingeläutet

meisten der frühen Galaxien als irregulär klassifiziertwerden. Im Jahre 2002 wurde mit der damals neu ins-tallierten ACS Kamera das Hubble Ultra Deep Field(HUDF) aufgenommen, das nicht nur eine etwa dop-pelt so große Fläche aufweist wie das HDFN, sondernauch noch etwa eine Magnitude tiefer reicht, auf-grund der höheren Empfindlichkeit von ACS gegenüberWFPC2.

Große Teleskope. Für mehr als 40 Jahre war das5-Meter-Teleskop auf dem Mt. Palomar das größteTeleskop der (westlichen) Welt – das russische 6-m-Teleskop hatte von Beginn an große Probleme. Seit 1993gibt es eine neue Klasse von Teleskopen, von denen diebeiden Keck-Teleskope (siehe Abb. 1.28) mit jeweils 10Meter Spiegeldurchmesser die ersten waren.

Der Standort der beiden Kecks auf dem 4200 mhohen Mauna Kea erlaubt beste Beobachtungsbedin-gungen während vieler Nächte pro Jahr, und dieserGipfel ist die Heimat vieler Großteleskope. Auch dasneue japanische 8-Meter Teleskop Subaru ist dort statio-niert, genau wie die bereits erwähnten CFHT und JCMT.Die erhebliche Steigerung in der Empfindlichkeit durchKeck hat gerade im Bereich der Spektroskopie zuvöllig neuen Erkenntnissen geführt, wie etwa bei derAbsorptionslinien-Spektroskopie von Quasaren. Keckwar ebenfalls an der spektroskopischen Verifizierungvon unzähligen Galaxien mit Rotverschiebung z � 3 be-teiligt, die in der Regel so lichtschwach sind, dass man

sie mit kleineren Teleskopen nicht mehr untersuchenkann.

Das bislang größte bodengebundene Teleskop-Projekt war der Bau des Very Large Telescope (VLT)der Europäischen Südsternwarte (ESO), bestehend aus4 Teleskopen mit jeweils 8.2 m Durchmesser. Die ESObetreibt in Chile das La Silla Observatorium (sieheAbb. 1.26), fand aber einen geeigneteren Standort fürdas VLT, den Cerro Paranal (2600 m hoch). Dieser Bergliegt in der Atacama Wüste, einer der trockendsten Ge-genden der Erde. Um Teleskope auf diesen Berg stellenzu können, musste seine Spitze zunächst abgetragenwerden (Abb. 1.29).

Im Gegensatz zu den Keck-Teleskopen, deren Haupt-spiegel in 36 hexagonalen Elementen segmentiert sind,sind die Spiegel des VLT monolithisch, d. h. die be-stehen aus einem Stück; allerdings sind sie sehr dünn,verglichen zum 5-m Spiegel auf dem Mount Palomar,viel zu dünn, um sich selbst gegen die (mit der Te-leskopausrichtung sich ändernden) Gravitationskräftezu stabilisieren. Die Form der Spiegel muss daher, ge-nau wie bei den Kecks, elektronisch kontrolliert werden(siehe Abb. 1.30, rechts). Die monolithische Strukturder Spiegel liefert eine bessere Bildqualität als dasKeck-Teleskop: die Punktbildfunktion ist wesentlicheinfacher als beim Keck.

Jedes der vier Teleskope hat 3 zugängliche Foci;dadurch können am VLT gleichzeitig 12 Instru-mente montiert sein. Der Instrumentenwechsel findet

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30

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.29. Das linke Bild zeigt eine Karte des Standorts desVLT auf dem Cerro Paranal. Dorthin gelangt man über An-tofagasta, etwa zwei Flugstunden nördlich von Santiago deChile. Von dort aus sind es weitere drei Stunden Fahrt (sieheAbb. 1.30). Rechts ist der Paranal während der Bauphase des

VLT zu sehen, im Bild-Vordergrund das Camp. Die Spitze desBerges wurde abgetragen, um einen flachen Platz (mit Durch-messer ∼ 300 m) zu erhalten, der groß genug für die Teleskopeund die Einrichtungen für die optische Interferometrie (VLTI)ist

Abb. 1.30. Links: Transport eines der VLT-Spiegel von Anto-fagasta zum Paranal; praktisch der gesamte Weg führt durcheine extrem trockene Wüste, ein Großteil der Straße ist nichtgeteert. Das VLT ist daher auch ein deutliches Beispiel da-für, dass Astronomen immer entlegenere Standorte aufsuchen,um bestmögliche Beobachtungsbedingungen zu bekommen.Rechts: Das Aktive-Optik-System am VLT: Jeder Spiegel wirdan 150 Stellen gelagert; diese Lagerpunkte werden zur rich-tigen Deformation der Spiegel geregelt. Der Primärspiegel

ist stets so geformt, dass das Licht optimal fokussiert wird,und damit für die sich durch Drehung der Spiegel änderndenSchwerkräfte korrigiert. Bei der Adaptiven Optik hingegenwird die Wellenfront kontrolliert und das Spiegelsystem mitgroßer Frequenz so deformiert, dass sie nach Durchgang durchdas optische System möglichst flach ist; damit kann für diesich ständig ändernden atmosphärischen Bedingungen korri-giert werden, und Bilder mit beugungsbegrenzter Auflösungkönnen erzielt werden

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

31

Abb. 1.31. Das Paranal-Observatorium nachder Fertigstellung der Kuppeln für die vierVLT-Teleskope. Das Schienensystem imVordergrund wurde für zusätzliche, klei-nere Teleskope gebaut, die inzwischengemeinsam mit den VLT-Teleskopen fürInterferometrie-Beobachtungen im NIReingesetzt werden

durch Umlenkspiegel statt. Die feste Montierung derInstrumente ermöglicht deren stabilen Betrieb.

Mit dem VLT (Abb. 1.31) beginnt eine neue Form derBeobachtung an bodengebundenen optischen Großtele-skopen. Während bisher ein Antragsteller bestimmteNächte zugeteilt bekam, in denen er mit dem Tele-skop beobachten konnte, wird das VLT hauptsächlichim sog. Service-Mode betrieben: Die Beobachtungenwerden von lokalen Astronomen durchgeführt unddie Daten an den antragstellenden Astronomen ge-schickt. Ein wesentlicher Vorteil dieser Methode bestehtdarin, dass besser auf spezielle Voraussetzungen an dieBeobachtungsbedingungen eingegangen werden kann:Beobachtungen, die besonders gutes Seeing brauchen,können bei entsprechenden Wetterbedingungen durch-geführt werden. Die Erfolgschancen, einen nützlichenDatensatz zu erhalten, werden dadurch erhöht. Zur Zeitwerden etwa die Hälfte aller Beobachtungen mit demVLT im Service-Mode gemacht. Der andere Aspekt vonService-Observing ist, dass dem Astronomen die Reiseerspart bleibt (siehe Abb. 1.30), dadurch aber auch dasErlebnis des Beobachtens verloren geht.

1.3.4 UV-Teleskope

Wellenlängen kürzer als λ� 0.3 μm = 3000 Å könnendie Erdatmosphäre nicht durchdringen, sondern wer-den von der Ozonschicht absorbiert. Andererseits wirdStrahlung mit Wellenlängen unterhalb von 912 Å vonneutralem interstellarem Wasserstoff absorbiert. DerBereich zwischen diesen Wellenlängen ist der UV-Bereich, in dem nur vom Weltall aus Beobachtungenmöglich sind. Der IUE (International Ultraviolet Ex-plorer) hat von 1978 bis 1996 beobachtet und war einbemerkenswert produktives Observatorium. Das HSTmit seinem sehr viel größeren Spiegel stellt den nächs-ten Schritt der UV-Astronomie dar, wobei allerdingsnach dem Ausfall von STIS im Jahre 2004 kein UV-Instrument mehr auf dem HST arbeitet. Das HST hatinsbesondere bei der Spektroskopie von Quasaren imUV-Bereich sehr viele neue Erkenntnisse gewonnen,zum einen über die Quasare selbst, aber auch mittelsder Absorptionslinien im Spektrum über das interga-laktische Medium in der Sichtlinie zu den Quellen.Der Satellit FUSE (Far Ultraviolet Spectroscopic Ex-

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32

1. Einleitung und Überblick

plorer) wurde 1999 gestartet. Durch UV-Spektroskopieder Absorptionslinien von hellen Quasaren hat dieserSatellit eine Fülle an Information über den Zustand unddie chemische Zusammensetzung des intergalaktischenMediums geliefert.

Während ein Großteil der Beobachtungen mitUV-Satelliten der hochaufgelösten Spektroskopie vonSternen und AGNs gewidmet war, wurde im Jahre 2003mit dem GALEX-Satelliten eine Mission gestartet,deren Hauptziel die Erstellung von ausgedehnten pho-tometrischen Surveys darstellt. GALEX beobachtet beiWellenlängen 1350 Å� λ� 2830 Å und wird sowohleine vollständige Himmelsdurchmusterung durchfüh-ren als auch kleinere Himmelsregionen mit längererBelichtungszeit abbilden. Weiterhin werden einigespektroskopische Durchmusterungen erstellt. Die Er-gebnisse von GALEX werden insbesondere für dasStudium der Sternbildungsrate in nahen und fernenGalaxien von großer Bedeutung sein.

1.3.5 Röntgen-Teleskope

Wie oben erwähnt absorbiert das interstellare Gas Strah-lung mit Wellenlängen unterhalb von 912 Å, der sogenannten Lyman-Kante. Dies entspricht der Ionisa-tionsenergie von Wasserstoff im Grundzustand, die13.6 eV beträgt. Erst bei Energien, die etwa das Zehn-fache betragen, wird das ISM wieder transparent – dortbeginnt der Bereich der Röntgenastronomie. Bei ihrwird die Frequenz des Lichts üblicherweise nicht inHertz (oder die Wellenlänge in μm) gemessen, sondernPhotonen werden durch ihre Energie charakterisiert,gemessen in Elektronenvolt (eV).

Die Anfänge der Röntgen-Astronomie liegen in densechziger Jahren: Auf Raketen und Ballons montierteTeleskope, die eigentlich die Sonne im Röntgenbereichbeobachten sollten, empfingen auch Signale von au-ßerhalb des Sonnensystems. Mit UHURU, dem erstenSatelliten für rein kosmische Röntgenstrahlung, wurde1970 die erste Röntgen-Himmelskarte erstellt, wobeietwa 340 Quellen entdeckt wurden. Mehrere Nachfol-gemissionen erweiterten den Katalog an Punktquellen,besonders NASAs High Energy Astrophysical Obser-vatory (HEAO-1), welches auch als erstes eine diffuseRöntgenhintergrundstrahlung detektierte. Für HEAO-2,auch bekannt als EINSTEIN, wurde zum ersten Mal ein

Wolter-Teleskop zur Abbildung benutzt, wodurch dieEmpfindlichkeit fast tausendmal erhöht wurde. Auch re-volutionierte EINSTEIN die Röntgenastronomie durchseine hohe Winkelauflösung von etwa 2′′ im Bereichzwischen 0.1 bis 4 keV. Zu den großen Entdeckun-gen von EINSTEIN zählte die Röntgenstrahlung vielerGalaxienhaufen, mit der ein heisses Gas zwischenden Galaxien der Haufen nachgewiesen wurde, dessenMasse die der Sterne in den Galaxien deutlich übertraf.

Der nächste große Schritt für die Röntgenastrono-mie war ROSAT (ROentgen SATellite; Abb. 1.32), derim Jahre 1990 gestartet wurde. Während der erstensechs Monate der neun Jahre langen Mission produ-zierte ROSAT eine Himmelskarte mit weit höhererAuflösung als UHURU, der als ROSAT All Sky Sur-vey bezeichnet wird. In ihm sind ca. 105 Einzelquellennachgewiesen worden, die meisten von ihnen AGNs. Inder darauf folgenden Phase der pointierten Beobachtun-gen untersuchte ROSAT unter anderem Galaxienhaufenund AGNs, wobei eines der beiden Instrumente (PSPC)spektrale Information im Bereich zwischen 0.1 und2.4 keV lieferte und dabei eine Winkelauflösung von∼ 20′′ besaß, während das andere (HRI) eine erheblichbessere Winkelauflösung hatte (∼ 3′′), aber keine spekt-rale Information erzielte. Mit dem japanischen ASCA(Advanced Satellite for Cosmology and Astrophysics)wurde 1993 ein Röntgensatellit gestartet, der in einemdeutlich breiteren Energiebereich von 0.5 bis 12 keVbeobachten konnte und Spektren besserer Auflösunglieferte, allerdings mit verminderter Winkelauflösung.

Seit 1999 fliegen zwei neue leistungsstarke Satelli-ten: NASAs Chandra und ESAs XMM-Newton (X-rayMulti-Mirror Mission; siehe Abb. 1.32). Beide habeneine große Sammelfläche und eine hohe Winkelauflö-sung, aber auch in der Röntgenspektroskopie werdenneue Maßstäbe gesetzt. Gegenüber ROSAT ist der Ener-giebereich dieser beiden Observatorien stark verbreitert,etwa zwischen 0.1 und 10 keV. Die Winkelauflösungvon Chandra beträgt etwa 0′′. 5 und ist damit zum erstenMal mit der Auflösung optischer Teleskope vergleich-bar. Diese Winkelauflösung hat bereits in den erstenJahren des Betriebs zu großen Entdeckungen geführt,wie etwa scharfe Strukturen des Gases in Galaxien-haufen oder der Nachweis der Röntgenstrahlung vonJets von AGNs, die zuvor im Radiobereich beobachtetwurden. Weiterhin hat Chandra eine Klasse von Rönt-genquellen entdeckt, die als Ultraluminous Compact

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1.3 Werkzeuge der extragalaktischen Astronomie

33

Abb. 1.32. Links: ROSAT, eine deutsch-amerikanisch-britische Zusammenarbeit, flog von 1990 bis 1999. DieBeobachtungen fanden in einem Energiebereich zwischen 0.1und 2.5 keV statt (weiche Röntgenstrahlung). Oben rechts:Chandra wurde im Juli 1999 gestartet. Der Energiebereich

der Instrumente liegt zwischen 0.1 und 10 keV. Durch einensehr elliptischen Orbit sind lange Belichtungszeiten möglich.Unten rechts: XMM-Newton wurde im Dezember 1999 ge-startet und soll zehn Jahre lang genutzt werden. Beobachtetwird zwischen 0.1 und 15 keV mit drei Teleskopen

X-ray Sources (ULXs) bezeichnet werden und bei de-nen es sich vermutlich um Prozesse bei der Bildung vonSchwarzen Löchern handelt (Abschn. 9.6). GegenüberChandra besitzt XMM-Newton eine größere Empfind-lichkeit, allerdings bei verminderter Winkelauflösung.Zu den wichtigsten Beobachtungen von XMM-Newtonzu Beginn seines Betriebs zählt die Spektroskopie vonAGNs und Galaxienhaufen.

1.3.6 Gamma-Teleskope

Die Existenz von Gamma-Strahlung wurde bereits inden fünfziger Jahren postuliert, jedoch wird auch sie

(zum Glück für die Lebewesen auf der Erde) vonder Erdatmosphäre absorbiert. Die ersten Beobach-tungen (Ballons, Raketen, Satelliten) lieferten Flüssevon weniger als 100 Photonen. Gamma-Photonen kön-nen Energien im Bereich von GeV und darüber hinaushaben.

Detailliertere Beobachtungen wurden mit den Sa-telliten SAS-2 und COS-B möglich. Sie erstellteneine Karte der Galaxis, bestätigten die Gamma-Hintergrundstrahlung und beobachteten zum erstenMale Pulsare mit Gamma-Strahlung. Die erstenGamma-Ray-Bursts (GRB) wurden in den siebzigerJahren detektiert – von amerikanischen Militärsa-telliten. Jedoch schaffte es erst der italienisch-

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34

1. Einleitung und Überblick

Abb. 1.33. Links: Das Compton Gamma Ray Observatory(CGRO) am Shuttle-Ausleger. Der NASA-Satellit beobach-tete von 1991 bis 2000. Aufgrund eines defekten Gyroskopswurde er schließlich abgeschaltet und zum kontrollierten

Verglühen in der Erdatmosphäre gebracht. Rechts: DasINTEGRAL-Observatorium der ESA, welches seit 2002 inOperation ist

niederländische Satellit BeppoSAX (1996 bis 2002),den ersten GRB zu lokalisieren; wir kommen darauf inAbschn. 9.7 zurück.

Ein gewaltiger Fortschritt für die Hoch-Energie-Astronomie wurde mit dem Compton Gamma RayObservatory (CGRO; Abb. 1.33) erzielt. Dieser Satel-lit wurde 1991 gestartet und beobachtete neun Jahrelang. Er trug vier verschiedene Instrumente, darunterdas Burst And Transient Source Experiment (BATSE)und das Energetic Gamma Ray Experiment Telescope(EGRET). BATSE hat während seiner Lebensdauermehr als 2000 GRBs entdeckt und ganz erheblich zur

Aufklärung der Natur dieser rätselhaften Gamma-Blitzebeigetragen. EGRET hat u. a. viele AGNs bei sehr ho-hen Energien von oberhalb 20 MeV entdeckt, was aufganz extreme Prozesse in diesen Quellen hindeutet.

Der Nachfolger vom CGRO, INTEGRAL, wurdeEnde 2002 als ESA-Mission mit einer russischenProton-Rakete gestartet. Mit seinem Gewicht vonzwei Tonnen ist er der schwerste bislang gestarteteESA-Satellit. Er beobachtet bei Energien von 15 keVbis 10 MeV im Gamma-Bereich, besitzt aber zusätz-lich Instrumente für Beobachtungen im optischen undRöntgen-Bereich.

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35

2. Die Galaxis als GalaxieDie Erde umkreist die Sonne, die wiederum das Zent-rum unserer Milchstraße umkreist. Unsere Milchstraße,die Galaxis, ist die einzige Galaxie, in der wir phy-sikalische Prozesse im Detail untersuchen können.Deshalb beginnt unser Streifzug durch die extragalakti-sche Astronomie in unserer Heimat, die wir erst einmalbesser kennenlernen müssen, bevor wir uns in die Wei-ten des Weltalls begeben. Dies ist zum Verständnisanderer Galaxien unumgänglich.

2.1 Galaktische Koordinaten

Außerhalb von Städten kann man in klaren Nächten dasBand der Milchstraße (Abb. 2.1) am Himmel eindrucks-voll betrachten. Diese Beobachtung legt nahe, dass dieVerteilung der Sterne in der Galaxis im Wesentlicheneine dünne Scheibe darstellt. Dieser Eindruck bestätigtsich durch detaillierte Beobachtungen der Geometrieder Stern- und Gasverteilung. Die Form der Galaxis mo-tiviert daher auf natürliche Weise die Einführung einesspeziellen, ,,angepassten“ Koordinatensystems.

Abb. 2.1. Eine unge-wöhnliche optische Auf-nahme der Milchstraße:aus vielen Einzelauf-nahmen wurde eineGesamtansicht der Ga-laxis, wie wir sie sehen,zusammengesetzt

Sphärische Galaktische Koordinaten (�, b). Wirbetrachten dazu ein sphärisches Koordinatensystem,dessen Zentrum sich ,,hier“ befindet, also am Ortder Sonne (siehe Abb. 2.2). Die Galaktische Ebeneist die Ebene der Galaktischen Scheibe, d. h. sie istparallel zum Band der Milchstraße. Die beiden Galak-

tischen Koordinaten � und b sind Winkelkoordinatenan der Sphäre. Dabei bezeichnet b die GalaktischeBreite, den Winkelabstand einer Quelle von der Galak-tischen Ebene, wobei b ∈ [−90◦,+90◦]. Der Großkreisb = 0◦ liegt daher gerade in der Galaktischen Scheibe.Die Richtung b = 90◦ steht senkrecht zur Scheibeund bezeichnet den Galaktischen Nordpol (North Ga-lactic Pole, NGP), während b = −90◦ die Richtungzum Galaktischen Südpol (South Galactic Pole, SGP)bezeichnet. Die zweite Winkelkoordinate ist die Ga-laktische Länge �, wobei � ∈ [0◦, 360◦]. Sie misstden Winkelabstand einer Quelle innerhalb der Scheibezum Galaktischen Zentrum, das die Winkelkoordinatenb = 0◦ und � = 0◦ hat. Als dritte Dimension kommtdazu noch die Entfernung, die ein Objekt von unshat.

Die Umrechnung der Positionen von Quellen zwi-schen diesen Galaktischen Koordinaten (b, �) undden äquatorialen Koordinaten (α, δ) erfolgt mittelssphärischer Trigonometrie.1 Die dafür notwendigenUmrechnungsformeln findet man in vielen Standard-werken. Wir wollen sie hier nicht reproduzieren,

1Die äquatorialen Koordinaten sind definiert durch die Erdachse unddie Rotation der Erde. Die Schnittpunkte der Erdachse mit der Sphäresind der nördliche bzw. südliche Himmelspol. Großkreise an derSphäre durch diese beiden Pole, also Längenkreise, sind Kurvenkonstanter Rektaszension α. Kurven senkrecht dazu, entsprechendden Breitenkreisen, sind Kurven konstanter Deklination, wobei diebeiden Pole sich bei δ = ±90◦ befinden.

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36

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.2. Im Zentrum des Galaktischen Koordinatensystemsist die Sonne; die Richtungen zum Galaktischen Zentrum undzum Galaktischen Nordpol sind ausgezeichnet und befindensich bei � = 0◦ und b = 0◦, bzw. bei b = 90◦

weil heutzutage diese Umrechnung fast ausschließ-lich mittels Rechnerprogrammen durchgeführt wird.Stattdessen geben wir einige Beispiele (wobei die fol-genden Zahlenangaben für die Epoche 2000 gelten). DiePosition des Galaktischen Zentrums (bei � = 0◦ = b)lautet in äquatorialen Koordinaten α = 17h45.6m,δ = −28◦56.′2. Daraus schließt man unmittelbar, dassim Mai/Juni am La Silla Observatorium (dessengeographische Breite etwa −29◦ beträgt) das Ga-laktische Zentrum um Mitternacht nahe am Zenitsteht. Aufgrund der hohen Sterndichte der Galakti-schen Scheibe und der Extinktion durch Staub in derScheibe ist dies also eine schlechte Zeit für extra-galaktische Beobachtungen. Der Galaktische Nordpolhat die Koordinaten αGP = 192.85948◦ ≈ 12h51m,δGP = 27.12825◦ ≈ 27◦7.′7.

Zone of Avoidance. Wie bereits erwähnt, erschwerendie Absorption durch Staub und die Anwesenheit hellerSterne die Beobachtungen extragalaktischer Quellen inRichtung der Scheibe. Die besten Beobachtungsbedin-gungen für die extragalaktische Astronomie finden sichdeshalb bei großen |b|, während für |b|� 10◦ die opti-sche extragalaktische Astronomie sehr schwierig ist –man nennt sie deshalb oftmals ,,Zone of Avoidance“.Ein Beispiel ist die bereits in Abschn. 1.1 erwähnteGalaxie Dwingeloo 1 (siehe Abb. 1.6), die trotz ihrerunmittelbaren Nähe zu uns erst in den neunziger Jahren

entdeckt wurde – sie befindet sich bei kleinem b, alsoin der Zone of Avoidance.

Zylindrische Galaktische Koordinaten (R,θ, z).Während die oben eingeführten Winkelkoordinaten sichzur Beschreibung der Position einer Quelle relativzur Galaktischen Scheibe eignen, werden wir zur Be-schreibung der Geometrie der Milchstraße ein weiteresdrei-dimensionales Koordinatensystem einführen, wel-ches sich bei der Beschreibung der Kinematik undDynamik der Milchstraße als äußerst nützlich erwei-sen wird. Es handelt sich dabei um ein zylindrischesKoordinatensystem, dessen Ursprung sich im Galak-tischen Zentrum befindet (siehe auch Abb. 2.13). DieRadialkoordinate R misst den Abstand eines Objektes inder Scheibe vom Galaktischen Zentrum, während z dieHöhe oberhalb der Scheibe angibt (Objekte mit negati-ven z befinden sich also ,,unterhalb“, d. h. südlich, derGalaktischen Scheibe). Beispielsweise hat die Sonneeinen Abstand R ≈ 8 kpc vom Galaktischen Zentrum.Der Winkel θ misst den Winkelabstand eines Objektesin der Scheibe von der Position der Sonne, vom Galak-tischen Zentrum aus betrachtet. Die Entfernung einesObjekts mit den Koordinaten R, θ, z vom GalaktischenZentrum ist

√R2 + z2. Wäre die Materieverteilung der

Milchstraße axial-symmetrisch, hinge die Dichte nurvon R und z ab, nicht aber von dem Winkel θ. Da diesin guter Näherung zutrifft, ist dieses Koordinatensys-tem hervorragend für die physikalische Beschreibungder Galaxis geeignet.

2.2 Entfernungsbestimmungeninnerhalb unserer Galaxis

Ein zentrales Problem der Astronomie ist die Bestim-mung von Entfernungen. Die Position von Quellen ander Sphäre ergibt ein zwei-dimensionales Bild. Um drei-dimensionale Information zu erhalten, ist die Messungder Entfernung notwendig. Weiterhin brauchen wir dieEntfernung, um über physikalische Größen von Quellenetwas auszusagen. Wir können zwar den Winkeldurch-messer eines Objekts direkt beobachten, um aber denphysikalischen Durchmesser zu erhalten, muss man dieEntfernung kennen. Als weiteres Beispiel sei die Be-stimmung der Leuchtkraft L einer Quelle erwähnt, dieman aus dem beobachteten Fluss S nur mittels der

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2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis

37

Entfernung D bestimmen kann, indem man

L = 4πS D2 (2.1)

benutzt. Es ist nützlich, die Einheiten der hier auf-tretenden physikalischen Größen zu betrachten: DieEinheit der Leuchtkraft ist [L] = erg s−1, während derFluss die Einheit [S] = erg s−1 cm−2 hat. Der Flussist die Energie, die pro Zeiteinheit durch eine Ein-heitsfläche tritt (siehe Anhang A). Selbstverständlichwerden die physikalischen Eigenschaften von Quellendurch die Leuchtkraft L charakterisiert, nicht durch denentfernungsabhängigen Fluss S.

Wir werden daher in diesem Abschnitt verschiedeneMethoden zur Bestimmung von Entfernungen inner-halb unserer Milchstraße kennenlernen. In Abschn. 3.6wird dann die Entfernungsmessung extragalaktischerQuellen diskutiert.

2.2.1 Trigonometrische Parallaxe

Die nicht nur historisch wichtigste Methode der Ent-fernungsmessung beruht auf einem rein geometrischenEffekt und ist daher von physikalischen Annahmennicht beeinflusst: die trigonometrische Parallaxe. Auf-grund der Bewegung der Erde um die Sonne verändernsich die Positionen naher Sterne an der Sphäre rela-tiv zu denen sehr weit entfernter Quellen (wie etwaextragalaktischer Objekte, z. B. Quasare), die eine Artfestes Koordinatensystem an der Sphäre festlegen (sieheAbb. 2.3). Im Laufe eines Jahres durchläuft die schein-bare Position eines nahen Sterns an der Sphäre eineEllipse, deren große Halbachse als Parallaxe p bezeich-net wird. Das Achsenverhältnis dieser Ellipse hängt vonder Richtung des Sterns relativ zur Ekliptik (der Ebene,die von den Bahnen der Planeten definiert wird) ab undist nicht weiter von Interesse. Die Parallaxe hängt abvom Radius r der Erdbahn, der eine AstronomischeEinheit2 beträgt – also dem Abstand Erde–Sonne – undder Entfernung D des Sterns,

r

D= tan p ≈ p , (2.2)

wobei wir im letzten Schritt p 1 benutzt habenund p, wie allgemein üblich, im Bogenmaß messen.

2Genauer gesagt ist die Erdbahn eine Ellipse, und eine Astrono-mische Einheit ist die große Halbachse dieser Bahn; sie beträgt1 AU = 1.496×1013 cm.

Abb. 2.3. Illustration des Parallaxen-Effekts: Während desUmlaufs der Erde um die Sonne verschieben sich die schein-baren Positionen naher Sterne am Himmel relativ zu der weitentfernter Quellen

Die trigonometrische Parallaxe wird benutzt, um diein der Astronomie übliche Einheit der Entfernung zudefinieren: Ein Parsec (pc) ist die Entfernung einerhypothetischen Quelle, für die die Parallaxe geradep = 1′′ beträgt. Mittels der Umrechnung von Bogen-sekunden auf Bogenmaß – 1′′ ≈ 4.848×10−6 – findetman p/1′′ = 206265p, woraus sich für das Parsec ergibt

1 pc = 206 265 AU = 3.086×1018 cm . (2.3)

Aus der gemessenen Parallaxe kann nun die Entfernungberechnet werden,

D =( p

1′′)−1

pc . (2.4)

Zur Bestimmung von p muss die Position einesObjektes zu verschiedenen Zeiten des Jahres genauvermessen werden, um die durch seine scheinbare Po-sition beschriebene Ellipse zu erhalten. Vom Bodenaus sind dieser Methode durch die Atmosphäre Gren-zen gesetzt, da diese aufgrund des Seeings zu einer

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38

2. Die Galaxis als Galaxie

Verschmierung der Bilder von astronomischen Quellenführt, welche die Genauigkeit von Positionsmessungenbeeinträchtigt. Deshalb ist diese Methode vom Erdbo-den beschränkt auf Parallaxen größer als ≈ 0′′. 01. DieEntfernungsbestimmung mittels trigonometrischer Par-allaxe vom Boden aus ist daher auf Sterne innerhalb vonetwa 30 pc beschränkt. Eine Erweiterung der Anwen-dung dieser fundamentalen Methode zu kleineren p,und daher größeren Entfernungen, wurde durch denastrometrischen Satellit HIPPARCOS möglich. Die-ser beobachtete zwischen November 1989 und März1993 und vermaß dabei die Positionen und trigonomet-rischen Parallaxen von etwa 120 000 hellen Sternen,wobei die erreichten Genauigkeiten etwa ∼ 0′′. 001 fürdie helleren Sterne betrug. Dadurch konnte diese Me-thode auf Sterne innerhalb von ∼ 300 pc ausgeweitetwerden. Im Jahre 2012 soll der Satellit GAIA gestar-tet werden, der Nachfolger von HIPPARCOS. GAIAwird einen Katalog von ∼ 109 Sternen bis V ≈ 20in vier Breitband- und elf Schmalbandfiltern erstellenund von ihnen die Parallaxen mit einer Genauig-keit von ∼ 2×10−4 Bogensekunden vermessen, wobeifür hellere Sterne die Genauigkeit sogar sehr vielbesser sein wird. Daher werden von ∼ 2×108 Ster-nen Entfernungen mit Genauigkeiten besser als 10%und Tangentialgeschwindigkeiten (siehe nächster Ab-schnitt) mit einer Genauigkeit von besser als 3 km/sbestimmt.

2.2.2 Eigenbewegungen

Sterne bewegen sich relativ zu uns, oder besser gesagt,relativ zur Sonne. Um die Kinematik der Milchstraßezu studieren, müssen wir in der Lage sein, die Ge-schwindigkeiten von Sternen zu vermessen. Dabei istdie radiale Komponente vr der Geschwindigkeit leichtüber die Doppler-Verschiebung von Spektrallinien zubestimmen,

vr = Δλ

λ0c , (2.5)

wobei λ0 die Ruhewellenlänge eines atomaren Über-gangs bezeichnet und Δλ = λobs −λ0 die Verschiebungder Wellenlänge aufgrund der Relativgeschwindigkeitangibt. Man definiert das Vorzeichen der radialen Ge-schwindigkeit so, dass vr > 0 einer Bewegung von uns

weg gerichtet entspricht, also einer Rotverschiebung derSpektrallinien.

Die Bestimmung der beiden anderen Geschwin-digkeitskomponenten ist hingegen schwieriger. Dietangentiale Komponente vt der Geschwindigkeit istmessbar durch die Eigenbewegung (proper motion)von Objekten. Zusätzlich zu der durch die Parallaxehervorgerufenen Bewegung ändern Sterne ihre Posi-tion an der Sphäre als Funktion der Zeit, weil siesich relativ zu uns im Raum bewegen. Die Eigenbe-wegung μ ist daher eine Winkelgeschwindigkeit, diez. B. in Millibogensekunden pro Jahr (mas/yr) gemes-sen wird. Diese Winkelgeschwindigkeit hängt mit dertangentialen Geschwindigkeitskomponente über

vt = Dμ odervt

km/s= 4.74

(D

1 pc

)(μ

1′′/yr

)

(2.6)

zusammen. Daher kann man aus der Eigenbewegungund der Entfernung die Tangentialgeschwindigkeitbestimmen. Ermittelt man die Entfernung aus der tri-gonometrischen Parallaxe, so kann man (2.6) mit (2.4)kombinieren und erhält

vt

km/s= 4.74

1′′/yr

)( p

1′′)−1

. (2.7)

HIPPARCOS hat für ca. 105 Sterne Eigenbewe-gungen mit einer Genauigkeit von wenigen mas/yrgemessen; allerdings kann man diese nur mit Hilfeder Entfernungen in physikalische Geschwindigkeitenübersetzen.

Die Eigenbewegung hat natürlich zwei Komponen-ten, entsprechend dem Betrag der Winkelgeschwin-digkeit und ihrer Richtung an der Sphäre. Zusammenmit vr kann damit der drei-dimensionale Geschwin-digkeitsvektor bestimmt werden. Aus der bekanntenGeschwindigkeit der Erde um die Sonne kann daherder Geschwindigkeitsvektor v relativ zur Sonne berech-net werden, den man heliozentrische Geschwindigkeitnennt.

2.2.3 Sternstromparallaxe

Die Sterne eines (offenen) Sternhaufens haben alleeine sehr ähnliche Raumgeschwindigkeit. Daraus ergibtsich, dass auch ihre Eigenbewegungsvektoren ähnlich

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2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis

39

Abb. 2.4. Der Effekt der Sternstromparallaxe ist ein Projek-tionseffekt; den gleichen kennt man von Eisenbahngleisen.Geschwindigkeitsvektoren, die von uns weg zeigen, scheinenaufeinander zu zu laufen und sich im Fluchtpunkt (Kon-vergenzpunkt) zu treffen. Die Verbindungslinie Beobachter–Fluchtpunkt ist dabei parallel zum Geschwindigkeitsvektordes Sternhaufens

sein sollten. Wieweit die Richtungen der Eigenbe-wegung übereinstimmen, hängt von der Ausdehnungdes Sternhaufens an der Sphäre ab. Ähnlich wie zweiEisenbahnschienen, die zwar parallel verlaufen, dieuns aber nicht parallel erscheinen, sondern beide aufeinen Fluchtpunkt oder Konvergenzpunkt zulaufen,so sind auch die Vektoren der Eigenbewegung ei-nes Sternhaufens nicht parallel, sondern laufen aufeinen Konvergenzpunkt zu, wie in Abb. 2.4 skizziertist. Wie man aus diesem Effekt die Entfernung zu demSternhaufen bestimmen kann, soll hier gezeigt werden.

Wir betrachten einen Sternhaufen und nehmen an,dass alle Sterne die gleiche Raumgeschwindigkeit v be-sitzen. Die Position des i-ten Sterns als Funktion derZeit wird dann beschrieben durch

ri(t) = ri +vt , (2.8)

wobei ri die heutige Position ist, wenn der Zeitursprungt = 0 mit heute identifiziert wird. Der Richtungsvektoreines Sterns wird beschrieben durch den Einheitsvektor

ni(t) := ri(t)

|ri(t)| . (2.9)

Daraus erkennt man, dass für große Zeiten, t → ∞, dieRichtungsvektoren aller Sterne des Haufens gleich sind,

ni(t) → v

|v| =: nconv . (2.10)

Für große Zeiten werden sich alle Sterne in der gleichenRichtung nconv befinden, dem Konvergenzpunkt, dernur von der Richtung der Geschwindigkeit des Stern-haufens abhängt. Die Eigenbewegungen der Sterne istdaher so, dass sie sich alle auf diesen Konvergenzpunktzu bewegen, d. h. nconv ist messbar aus der Richtungder Eigenbewegungen der Sterne des Haufens, so-mit also v/|v|. Andererseits kann man aus der (leichtmessbaren) Radialgeschwindigkeit vr eine Komponentevon v bestimmen. Mit diesen beiden Messungen istder drei-dimensionale Geschwindigkeitsvektor v voll-ständig bestimmt, wie leicht zu zeigen ist: Sei ψ derWinkel zwischen der Sichtlinie n zu einem Stern desHaufens und v. Der Winkel ψ ist direkt bestimmbaraus dem Richtungsvektor n und dem Konvergenzpunkt,cos ψ = n ·v/|v| = nconv ·n. Mit v ≡ |v| erhält man dann

vr = v cos ψ ; vt = v sin ψ ,

und somit

vt = vr tan ψ . (2.11)

Das bedeutet, die tangentiale Geschwindigkeit vt

kann gemessen werden, ohne die Entfernung zum Sterndes Haufens zu bestimmen. Andererseits ergibt (2.6)eine Beziehung zwischen der Eigenbewegung, der Ent-fernung und vt, so dass eine Entfernungsbestimmungzum Stern möglich ist, denn

μ = vt

D= vr tan ψ

D→ D = vr tan ψ

μ. (2.12)

Diese Methode gibt gute Entfernungsmessungenfür Sternhaufen innerhalb ∼ 200 pc. Die Genauigkeitwird bestimmt durch die Messbarkeit der Eigenbe-wegung. Weiterhin sollte der Haufen einen genügendgroßen Bereich an der Sphäre einnehmen, damit derKonvergenzpunkt gut definiert ist. Zur Entfernungs-bestimmung kann man über viele Sterne des Haufensmitteln, wenn man annimmt, dass die Ausdehnung desHaufens viel kleiner ist als sein Abstand von uns. An-wendungsbeispiele sind etwa die Hyaden, ein Haufenmit ca. 200 Sternen bei der mittleren Entfernung vonD ≈ 45 pc, die Ursa-Major-Gruppe mit ca. 60 Sternenbei D ≈ 24 pc, und die Plejaden mit etwa 600 Sternenbei D ≈ 130 pc.

Historisch war die Sternstromparallaxen-Entfer-nungsmessung zu den Hyaden extrem wichtig, denn

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40

2. Die Galaxis als Galaxie

sie definierte die Entfernungsskala für alle anderen grö-ßeren Entfernungen. Anders ausgedrückt, sie war dieunterste Sprosse der so genannten Entfernungsleiter,die wir in Abschn. 3.6 besprechen werden. Erst mitHIPPARCOS konnte die Entfernung der Hyaden-Sternemittels der trigonometrischen Parallaxe gemessen wer-den, dabei sogar zwischen Sternen auf der ,,nahen“ und,,fernen“ Seite des Haufens unterschieden werden – die-ser Sternhaufen ist so nahe, dass die Annahme eineretwa gleichen Entfernung aller Sterne von uns keinegute Näherung mehr darstellt. Ein neuerer Wert für diemittlere Entfernung dieses Haufens ergibt:

DHyaden = 46.3±0.3 pc . (2.13)

2.2.4 Photometrische Entfernung;Extinktion und Rötung

Im Farben-Helligkeits-Diagramm nehmen die meistenSterne einen Platz auf der Hauptreihe ein. Dabei er-hält man eine geeichte Hauptreihe aus Sternen mitgemessener trigonometrischer Parallaxe, also bekann-ter Entfernung. Mit Hilfe photometrischer Methodenkann man dann die Entfernung zu einem Sternhaufenbestimmen, wie hier gezeigt werden soll.

Die Sterne eines Sternhaufens definieren ihre eigeneHauptreihe (für einige Sternhaufen ist das Farben-Helligkeits-Diagramm in Abb. 2.5 dargestellt); da siesich alle bei der gleichen Entfernung befinden, istdie Hauptreihe definiert in einem Farben-Helligkeits-Diagramm, bei dem die scheinbare Helligkeit aufge-tragen ist. Diese Hauptreihe kann mit einer geeichtenHauptreihe3 durch geeignete Wahl der Entfernungin Übereinstimmung gebracht werden, d. h. durchAnpassung des Entfernungsmoduls m − M,

m − M = 5 log(D/pc)−5 ,

wobei m die scheinbare und M die absolute Helligkeitbezeichnet.

In der Praxis ist diese Methode nicht so ein-fach anzuwenden, denn die Position eines Sternsauf der Hauptreihe hängt nicht nur von seinerMasse ab, sondern auch von seinem Alter und sei-ner Metallizität. Außerdem definieren nur Sterne der

3d. h. die Hauptreihe in einem Farben-Helligkeits-Diagramm, bei demdie absolute Helligkeit aufgetragen ist

Abb. 2.5. Farben-Helligkeits-Diagramm für verschiedeneSternhaufen. Es kann zum einen zur Entfernungsbestimmungvon Sternhaufen dienen, da die absoluten Helligkeiten derHauptreihensterne bekannt sind (durch Eichung an nahenHaufen, insbesondere den Hyaden). Somit lässt sich durchvertikale ,,Verschiebung“ der Hauptreihe der Entfernungs-modul m − M bestimmen. Zum anderen kann aus dem FHDdas Alter eines Sternhaufens abgeschätzt werden. Da leucht-kräftige Hauptreihensterne eine kleinere Lebensdauer aufder Hauptreihe besitzen als leuchtärmere, entspricht der Ab-knickpunkt der stellaren Sequenz (,,turn-off point“) von derHauptreihe derjenigen Sternmasse, deren Verweildauer aufder Hauptreihe dem Alter des Sternhaufens entspricht. Ent-spechend ist auf der rechten Achse das Alter als Funktion derPosition dieses Turn-Off-Punktes eingezeichnet; die Sonnewird die Hauptreihe nach etwa 10×109 Jahren verlassen

Leuchtkraftklasse V (also Zwerge) die Hauptreihe,aber die Leuchtkraftklasse ist ohne Spektroskopie nichtbestimmbar.

Extinktion und Rötung. Ein weiteres großes Problemstellt die Extinktion dar. Durch Absorption und Streu-ung von Licht durch Staub ändert sich die Beziehungzwischen absoluter und scheinbarer Helligkeit: für ge-gebenes M wird durch die Absorption die scheinbareHelligkeit m größer, die Quelle erscheint also schwä-cher. Da die Extinktion wellenlängenabhängig ist, wirddas Spektrum einer Quelle dadurch modifiziert, die

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2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis

41

beobachtete Farbe eines Sterns ändert sich. Weil dieExtinktion durch Staub immer mit einer solchen Verfär-bung einher geht, kann man die Absorption ermitteln,wenn man genügend Information über die intrinsischeFarbe einer Quelle oder eines Ensembles von Quellenbesitzt. Wie diese Methode bei der Entfernungsbestim-mung zu einem Sternhaufen genutzt wird, soll hierdargestellt werden.

Wir betrachten hierzu die Strahlungstransportglei-chung mit reiner Absorption bzw. Streuung (sieheAnhang A,

d Iνds

= −κν Iν , (2.14)

wobei Iν die spezifische Intensität bei der Frequenz ν

bezeichnet, κν den Absorptionskoeffizienten und s dieEntfernungskoordinate entlang des Lichtstrahls. DerAbsorptionskoeffizient hat die Dimension einer inver-sen Länge. Die Gleichung (2.14) besagt, dass sich dieIntensität eines Lichtstrahls auf einer Strecke ds umeinen Betrag verringert, der proportional zur Intensitätund zum Wegelement ds ist. Der Absorptionskoeffi-zient ist dabei als Proportionalitätskonstante definiert.Anders ausgedrückt wird auf der Strecke ds ein Bruch-teil κν ds aller Photonen der Frequenz ν absorbiertoder aus dem Strahl gestreut. Die Lösung der Trans-portgleichung (2.14) erhält man, indem man sie in derForm d ln Iν = d Iν/Iν = −κν ds schreibt und von 0 biss integriert,

ln Iν(s)− ln Iν(0) = −s∫

0

ds′ κν(s′) ≡ −τν(s) ,

wobei im letzten Schritt die optische Tiefe τν definiertwurde, die frequenzabhängig ist. Daraus ergibt sich

Iν(s) = Iν(0) e−τν(s) . (2.15)

Die spezifische Intensität wird also um einen Faktore−τ abgeschwächt verglichen zu dem Fall, dass keineAbsorption stattfindet. Entsprechend gilt auch für denStrahlungsstrom

Sν = Sν(0) e−τν(s) , (2.16)

wobei Sν den beim Beobachter im Abstand s von derQuelle gemessenen Fluss (oder Strahlungsstrom) be-zeichnet und Sν(0) den Fluss der Quelle, wenn keine

Absorption vorhanden wäre. Wegen der Beziehungm = −2.5 log S + const, bzw. S ∝ 10−0.4m zwischenFluss und Magnitude folgt dann

Sν,0= 10−0.4(m−m0) = e−τν = 10− log(e)τν ,

oder

Aν := m −m0 = −2.5 log(Sν/Sν,0)

= 2.5 log(e) τν = 1.086τν . (2.17)

Dabei ist Aν der Extinktionskoeffizient, der die Än-derung der Magnitude m im Vergleich zu der ohneAbsorption, m0, beschreibt. Da der Absorptionskoeffi-zient κν frequenzabhängig ist, ist die Absorption immermit einer Verfärbung verbunden. Diese beschreibt manmit Hilfe des Farbexzess, der wie folgt definiert ist:

E(X −Y) := AX − AY = (X − X0)− (Y −Y0)

= (X −Y)− (X −Y)0 .

(2.18)

Der Farbexzess beschreibt die Änderung des Farb-index (X − Y), gemessen in den beiden FilternX und Y , die das jeweilige spektrale Fenster durchihre Transmissionskurve definieren. Das VerhältnisAX/AY = τν(X)/τν(Y) hängt nur von den optischen Ei-genschaften des Staubs ab, nämlich dem Verhältnisder Absorptionskoeffizienten bei den beiden hier be-trachteten Frequenzbändern X und Y . Deshalb ist derFarbexzess proportional zum Extinktionskoeffizienten,

E(X −Y) = AX − AY = AX

(1− AY

AX

)≡ AX R−1

X ,

(2.19)

wobei wir im letzten Schritt den Proportionalitätsfak-tor zwischen dem Extinktionskoeffizienten und demFarbexzess eingeführt haben, der allein durch die Eigen-schaften des Staubs und die Wahl der Filter bestimmtist. Üblicherweise benutzt man den blauen und visuel-len Filter (siehe Anhang A.4.2 für eine Beschreibungder häufig benutzten Filter) und schreibt

AV = RV E(B − V) . (2.20)

So findet man z. B. für den Staub in unserer Milchstraßedie charakteristische Beziehung

AV = (3.1±0.1)E(B − V) . (2.21)

Page 56: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

42

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.6. Wellenlängen-Abhängigkeit des Extinktionskoeffi-zienten Aν , normiert auf den Extinktionskoeffizienten AI beiλ = 9000 Å, für verschiedene Arten von Wolken, die durchden Wert von RV charakterisiert sind, also durch das Rö-tungsgesetz. Aufgetragen ist die inverse Wellenlänge, d. h.die Frequenz steigt nach rechts an. Die durchgezogene Kurvegibt die mittlere Extinktionskurve an. Gezeigt ist ebenfallsder Extinktionskoeffizient, wie er sich aus der Beobachtungeines einzelnen Sternes ergibt; man erkennt, dass das beobach-tete Gesetz von den Modellrechnungen im Detail abweicht.Die kleinere Figur zeigt einen Ausschnitt bei relativ großenWellenlängen, die dem NIR-Bereich des Spektrums entspre-chen; bei diesen Wellenlängen hängt die Extinktion nur relativschwach vom Wert RV ab

Abb. 2.7. An der Molekülwolke Barnard 68 werden Extink-tion und Rötung gut sichtbar: das linke Bild ist ein Kompositaus Aufnahmen in den optischen Filtern B, V, und I; in derMitte der Wolke wird praktisch das gesamte Licht der Hinter-grundsterne absorbiert, an den Rändern wird es geschwächt

und dabei sichtbar ins Rötliche verschoben. Für das rechteBild wurden Aufnahmen in den Filtern B, I, und K verwen-det (Rot entspricht hier dem nah-infraroten K-Filter); manerkennt deutlich, dass die Wolke bei längeren Wellenlängendurchlässiger ist

Diese Relation ist kein universelles Gesetz, sondernder Proportionalitätsfaktor hängt von den Eigenschaftendes Staubs ab, der beispielsweise von der chemi-schen Zusammensetzung und der Größenverteilungder Staubteilchen beeinflusst wird. Abbildung 2.6zeigt die Wellenlängenabhängigkeit des Extinktionsko-effizienten für verschiedene Staubarten, entsprechendverschiedenen Werten von RV . Im optischen Bereichdes Spektrums gilt ungefähr τν ∝ ν, d. h. blaues Lichtwird stärker absorbiert (bzw. gestreut) als rotes, dieExtinktion führt daher zur Rötung.4

In der Sonnenumgebung ist der Extinktionskoeffizi-ent für Quellen innerhalb der Scheibe etwa

AV ≈ 1 magD

1 kpc, (2.22)

doch diese Relation gibt bestenfalls eine ungefähre Ab-schätzung, denn der Absorptionskoeffizient kann lokalstark von diesem Gesetz abweichen, z. B. in Richtungvon Molekülwolken (siehe etwa Abb. 2.7).

4Mit dem hier Gelernten kann nun die Frage, warum ist der Himmelblau und die untergehende Sonne rot, leicht beantwortet werden.

Page 57: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis

43

Zweifarben-Diagramm. Wir kommen nun zurück zurEntfernungsbestimmung eines Sternhaufens. Dazu istes notwendig, die Stärke der Extinktion zu bestim-men, und dies kann nur mit Hilfe der Verfärbunggeschehen. Dazu trägt man die Sterne des Haufensin ein Zweifarben-Diagramm ein, beispielsweise in-dem man die Farben (U-B) und (B-V ) auf den Achsenaufträgt (siehe Abb. 2.8). Auch in einem Zweifarben-Diagramm zeichnen die meisten Sterne eine Hauptreihenach. Die wellenlängenabhängige Extinktion führt zueiner Verfärbung in beiden Farben und verschiebtdie Position der Sterne in diesem Diagramm, wo-bei die Richtung des Verfärbungsvektors nur von denEigenschaften des Staubs abhängt und als bekannt vor-ausgesetzt wird. Die Amplitude der Verschiebung hängtvom Extinktionskoeffizient ab. Diese Amplitude kannman nun bestimmen, wenn man auch im Zweifarben-Diagramm eine geeichte, ungerötete Hauptreihe zurVerfügung hat, die man aus der Untersuchung na-her Sterne erhalten kann. Man kann somit aus derVerschiebung der beiden Hauptreihen die Rötung unddamit die Extinktion bestimmen. Der wesentliche Punkthier ist die Tatsache, dass das Zweifarben-Diagrammentfernungsunabhängig ist.

Daher ergibt sich nun die folgende Prozedur zurEntfernungsbestimmung eines Sternhaufens mittels derPhotometrie: Im ersten Schritt wird im Zweifarben-Diagramm durch eine Verschiebung der Hauptreiheentlang des Verfärbungsvektors bis zur Übereinstim-mung mit der geeichten Hauptreihe die VerfärbungE(B − V) bestimmt, und mit (2.21) daher auch AV . Imzweiten Schritt wird durch vertikale Verschiebung derHauptreihe im Farben-Helligkeits-Diagramm (d. h. inRichtung M) bis zur Übereinstimmung mit einer geeich-ten Hauptreihe der Entfernungsmodul bestimmt, unddaraus wird die Entfernung abgelesen, gemäß

m − M = 5 log(D/1 pc)−5+ A . (2.23)

2.2.5 Spektroskopische Entfernung

Aus dem Spektrum eines Sternes kann sowohl derSpektraltyp als auch die Leuchtkraftklasse bestimmtwerden. Ersterer ergibt sich aus der Stärke der verschie-denen Absorptionslinien im Spektrum, während durch

Abb. 2.8. Zweifarben-Diagramm für Hauptreihensterne.Spektraltypen und absolute Helligkeiten sind angegeben.Schwarze Körper (T/103 K) würden auf der oberen Reiheliegen. Interstellare Verfärbung verschiebt Sternmessungenparallel zum eingezeichneten Rötungsvektor

die Breite der Linien die Leuchtkraftklasse definiertwird. Durch die Linienbreite kann die Oberflächen-beschleunigung des Sterns und somit sein Radius(genauer: M/R2) bestimmt werden. Aus Spektraltypund Leuchtkraftklasse ergibt sich nun eindeutig diePosition eines Sterns im HRD. Mittels Modellen derSternentwicklung kann dann die absolute Helligkeit MV

bestimmt werden. Weiterhin ergibt der Vergleich derbeobachteten Farbe mit der theoretisch erwarteten denFarbexzess E(B − V), und daraus AV . Mit diesen In-formationen kann die Entfernung bestimmt werdenüber

V − AV − MV = 5 log (D/pc)−5 . (2.24)

Page 58: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

44

2. Die Galaxis als Galaxie

2.2.6 Entfernungen von visuellen Doppelsternen

Das dritte Keplersche Gesetz für ein Zweikör-perproblem gibt den Zusammenhang zwischen derBahnperiode P eines Doppelsterns, den Massen mi derbeiden Komponenten, und der großen Halbachse a derEllipse, die der Abstandsvektor zwischen den beidenSternen während einer Periode durchläuft,

P2 = 4π2

G(m1 +m2)a3 . (2.25)

Dieses Gesetz kann nun zur Bestimmung der Entfer-nung zu einem visuellen Doppelstern benutzt werden.Für einen solchen kann man die Periode P und den Win-keldurchmesser 2θ der Bahn direkt beobachten. Kenntman weiterhin die Masse der beiden Sterne, z. B. auf-grund der spektralen Klassifikation, dann kann a aus(2.25) bestimmt werden, und daraus die Entfernungmittels D = a/θ.

2.2.7 Entfernungen pulsierender Sterne

Verschiedene Arten pulsierender Sterne zeigen pe-riodische Helligkeitsänderungen, wobei ihre Periodekorreliert ist mit der Masse der Sterne und somitihrer Leuchtkraft. Diese Periode-Leuchtkraft (PL)-Beziehungen sind ideal zur Entfernungsmessunggeeignet: Da die Bestimmung der Periode entfernungs-unabhängig ist, kann man aus der Periode entsprechendder PL-Relation die Leuchtkraft ablesen. Somit ist dieEntfernung aus der gemessenen Helligkeit direkt mit(2.24) gegeben, wenn man über Farbmessungen dieExtinktion bestimmen kann.

Die Existenz einer Beziehung zwischen Leucht-kraft und Pulsationsperiode erwartet man aufgrundeiner einfachen physikalischen Betrachtung. Pulsatio-nen sind im wesentlichen radiale Dichtewellen imStern, die sich mit Schallgeschwindigkeit cs ausbrei-ten. Daher erwartet man, dass die Periode vergleichbarist mit der Schalllaufzeit durch den Stern, P ∼ R/cs.Die Schallgeschwindigkeit cs in einem Gas ist vonder Größenordnung der thermischen Geschwindigkeitder Gasteilchen, so dass kBT ∼ mpc2

s , wobei mp dieProtonenmasse und somit eine charakteristische Teil-chenmasse des Sternplasmas darstellt und kB ist dieBoltzmann-Konstante. Aufgrund des Virialtheorems

erwartet man, dass die gravitative Bindungsenergie desSterns etwa doppelt so groß ist wie die kinetische (d. h.thermische) Energie, so dass, bezogen auf ein Proton,

G Mmp

R∼ kBT .

Fasst man nun diese Relationen zusammen, so erhältman für die Pulsationsperiode

P ∼ R

cs∼ R

√mp√

kBT∼ R3/2

√G M

∝ ρ−1/2 , (2.26)

wobei ρ die mittlere Dichte des Sterns bezeichnet.Dies ist ein bemerkenswertes Resultat – die Pulsperi-ode hängt nur von der mittleren Dichte ab. Weiterhin giltfür Sterne in etwa L ∝ M3; betrachtet man nun Sternegleicher Effektivtemperatur Teff (wobei L ∝ R2T 4

eff), sofindet man

P ∝ R3/2

√M

∝ L7/12 , (2.27)

also eine Beziehung zwischen Periode und Leuchtkraft,nach der wir gesucht hatten.

Es zeigt sich, dass für drei Sorten pulsierenderSterne gut definierte Perioden-Leuchtkraft-Relationenexistieren:

• δ Cephei Sterne (klassische Cepheiden); dies sindjunge Sterne, die man in der Scheibenpopulation(also nahe der Galaktischen Ebene) und in jun-gen Sternhaufen findet. Aufgrund ihrer Position inoder nahe der Scheibe spielt Extinktion bei der Be-stimmung ihrer Leuchtkraft immer eine wichtigeRolle. Um den Einfluss der Extinktion zu mini-mieren, ist die PL-Relation im Nah-IR (z. B. imK-Band, bei λ ∼ 2.4 μm) besonders nützlich. Wei-terhin ist die Streuung der Perioden-LeuchtkraftRelation um so geringer, je langwelliger der benutzteFilter ist, wie das auch in Abb. 2.9 dargestellt ist, unddie PL-Relation ist steiler, was zu einer genauerenBestimmung der absoluten Helligkeit führt.

• W Virginis-Sterne, die man auch PopulationII-Cepheiden nennt (der Begriff der stellaren Po-pulation wird in Abschn. 2.3.2 näher erläutert).Dabei handelt es sich um massearme, metallarmeSterne, die sich im Halo unserer Galaxis, in Ku-gelsternhaufen und nahe am Galaktischen Zentrumbefinden.

Page 59: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.2 Entfernungsbestimmungen innerhalb unserer Galaxis

45

Abb. 2.9. Die Perioden-Leuchtkraft-Relation für Galaktische Cepheiden,gemessen in drei verschiedenen Farbfiltern(B, V und I, von oben nach unten). Dieabsoluten Helligkeiten wurden korrigierthinsichtlich der Extinktion durch Verwen-dung der Farben. Die Periode ist in Tagenangegeben. Offene und gefüllte Kreise zei-gen Daten für Cepheiden, deren Entfernungauf verschiedene Arten bestimmt wurden;die drei mit Dreiecken bezeichneten Ob-jekte haben variable Periode und wurdenfür die Erstellung der Perioden-Leuchtkraft-Relation nicht herangezogen. Letztere istdurch die durchgezogenen Geraden dar-gestellt, deren funktionale Abhängigkeitin den Abbildungen angegeben ist. Diegestrichelten Geraden geben den Unsi-cherheitsbereich der PL-Relation an. DiePL-Relation wird steiler, wenn man rotereFarbfilter betrachtet

• RR Lyrae-Sterne, ebenfalls Sterne der PopulationII und daher metallarm, findet man im Halo, inKugelsternhaufen und im Galaktischen Bulge. Ihreabsolute Helligkeit ist auf ein schmales Intervallbeschränkt, MV ∈ [0.5, 1.0], wobei der Mittelwertetwa 0.6 beträgt. Das macht sie natürlich zu gutenEntfernungsindikatoren! Genauere Vorhersagen derHelligkeit werden durch folgende Abhängigkeit von

Metallizität und Periode ermöglicht,

〈MK 〉 =− (2.0±0.3) log(P/1d) (2.28)

+ (0.06±0.04)[Fe/H]−0.7±0.1 .

Metallizität. In der letzten Gleichung tritt die Metalli-zität eines Sternes auf, die wir nun genauer definieren

Page 60: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

46

2. Die Galaxis als Galaxie

wollen. Zunächst bezeichnet man in der Astronomiealle Elemente, die schwerer als Helium sind, als Me-talle. Diese Elemente, mit Ausnahme von Spuren vonLithium, werden nicht im frühen Universum erzeugt,sondern erst später im Innern von Sternen. Die Metal-lizität ist daher immer auch ein Maß für die chemischeEntwicklung und Anreicherung, die das Material einesSternes oder einer Gaswolke durchlebt haben. Man de-finiert für ein Element X den Metallizitätsindex einesSterns

[X/H] ≡ log

(n(X)

n(H)

)∗− log

(n(X)

n(H)

)�

,

(2.29)

also den Logarithmus des Verhältnisses des relativenAnteils von X gegenüber Wasserstoff in dem Stern undin der Sonne, wobei n die Anzahldichte der jeweiligenSpezies bezeichnet. [Fe/H] = −1 bedeutet beispiels-weise, dass Eisen nur ein Zehntel der solaren Häufigkeithat. Als Metallizität Z bezeichnet man den Massenan-teil aller Elemente schwerer als Helium; die Sonne hatetwa Z ≈ 0.02, so dass etwa 98% der Sonnenmasse ausWasserstoff und Helium besteht.

Die PL-Relationen sind nicht nur für Entfernungs-bestimmungen in unserer Galaxis von entscheidenderBedeutung, sondern spielen auch in der Extragalaktikeine wichtige Rolle; insbesondere die Cepheiden alsmit Abstand hellste der drei oben erwähnten Sternklas-sen sind auch in anderen Galaxien zu finden und zubeobachten. Sie bieten daher eine Möglichkeit, Ent-fernungen zu anderen Galaxien direkt zu bestimmen,

Tabelle 2.1. Parameter und charakteristische Werte für dieKomponenten der Milchstraße. Die Skalenhöhe bezeichnetdie Höhe über der Scheibe, bei der die Dichte auf 1/e abge-

sunken ist. σz ist die Geschwindigkeitsdispersion in Richtungsenkrecht zur Scheibe

neutrales dünne dicke stellarer DMGas Scheibe Scheibe Bulge Halo Halo

M (1010M�) 0.5 6 0.2 bis 0.4 1 0.15

LB (1010L�) – 1.8 0.02 0.3 0.1 0

M/LB (M�/L�) – 3 – 3 ∼ 1 –

Durchm. (kpc) 50 50 50 2 100 > 200

Form e−hz/z e−hz/z e−hz/z Balken? r−3.5 (a2 +r2)−1

Skalenhöhe (kpc) 0.13 0.325 1.5 0.4 3 2.8

σz (km s−1) 7 20 40 120 100 –

[Fe/H] > 0.1 −0.5 bis +0.3 −1.6 bis −0.4 −1 bis +1 −4.5 bis −0.5 –

was für die Messung der Hubble-Konstanten essentiellist. Diese Aspekte werden wir im Detail in Abschn. 3.6diskutieren.

2.3 Struktur der Galaxis

Grob gesprochen besteht die Galaxis aus einer Scheibe,einer zentralen Verdickung, dem Galaktischen Bulge,und dem Galaktischen Halo, einer in etwa sphäri-schen Verteilung von Sternen und Kugelsternhaufen,die die Scheibe umgeben. Die Scheibe, deren Sternedas sichtbare Band der Milchstraße darstellen, enthältSpiralarme, wie man sie auch bei anderen Spiralgala-xien beobachtet. Die Sonne mit ihren Planeten umkreistdas Galaktische Zentrum (Galactic Center, GC) annä-hernd auf einer Kreisbahn. Die Entfernung R0 zum GCist nicht sehr genau bekannt, wie wir später noch be-sprechen werden. Um einen Referenzwert zu haben, hatdie International Astronomical Union (IAU) den Wertfür R0 im Jahre 1985 offiziell festgelegt,

R0 = 8.5 kpc Offizieller Wert, IAU 1985 ,

(2.30)

wobei neuere Untersuchungen ergeben, dass der wahreWert etwas kleiner ist, etwa R0 ∼ 8.0 kpc. Der Durch-messer der Scheibe aus Sternen, Gas und Staubbeträgt ≈ 50 kpc. Eine schematische Darstellung un-serer Galaxis zeigt Abb. 1.3, und ihre wichtigstenStrukturparameter sind in Tabelle 2.1 zusammengefasst.

Page 61: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.3 Struktur der Galaxis

47

2.3.1 Die Galaktische Scheibe: Sternverteilung

Aus der Entfernungsmessung von Sternen in derUmgebung der Sonne kann man die dreidimensio-nale Verteilung der Sternpopulation ermitteln. Dabeizeigt sich, dass die Dichte der Sterne in Richtungsenkrecht zur Galaktischen Scheibe in etwa einemExponentialgesetz folgt,

n(z) ∝ exp

(−|z|

h

), (2.31)

wobei die Skalenhöhe h die charakteristische Dicke derjeweiligen Komponente angibt. Dabei zeigt sich, dassh für verschiedene Populationen von Sternen verschie-dene Werte annimmt, so dass man von verschiedenenKomponenten der Galaktischen Scheibe spricht. ImWesentlichen unterscheidet man zwischen drei Kom-ponenten: (1) Die junge dünne Scheibe (young thindisk) enthält den größten Anteil an Gas und Staubinnerhalb der Galaxis, und in diesem Bereich findetauch momentan noch Sternentstehung statt. Die jüngs-ten Sterne befinden sich in der jungen dünnen Scheibe,deren Skalenhöhe etwa hytd ∼ 100 pc beträgt. (2) Diealte dünne Scheibe (old thin disk) ist dicker und be-sitzt eine Skalenhöhe von etwa hotd ∼ 325 pc. (3) Diedicke Scheibe (thick disk) besitzt eine Skalenhöhe vonhthick ∼ 1.5 kpc, wobei die Dichte der dicken Scheibenur etwa 2% der gesamten Dichte in der Scheiben-ebene ausmacht. Die obige Einteilung ist nur grob undlässt sich weiter verfeinern, wenn man eine feinereUnterteilung der Sternklassen vornimmt.

Das molekulare Gas, aus dem neue Sterne gebo-ren werden, besitzt mit hmol ∼ 65 pc die geringsteSkalenhöhe, gefolgt vom atomaren Gas, wie auchin der Abb. 1.5 sehr gut zu erkennen ist. Je jüngereine Sternpopulation ist, umso kleiner ist ihre Skalen-höhe. Eine weitere Charakterisierung der verschiedenenSternpopulationen geschieht aufgrund der Geschwin-digkeitsdispersion der Sterne, d. h. der Amplitude ihrerzufälligen Bewegungskomponenten. In erster Näherungumkreisen die Sterne der Scheibe das GC auf Kreisbah-nen. Allerdings sind es keine perfekten Kreisbahnen,sondern sie haben neben der Kreisbahngeschwindigkeit(die in Sonnennähe etwa 220 km/s beträgt) zusätzlichezufällige Geschwindigkeitskomponenten.

Formal definiert man die Komponenten der Ge-schwindigkeitsdispersion in folgender Weise: Seif(v) d3v die Anzahldichte von Sternen (einer vorge-

gebenen Population) mit Geschwindigkeiten innerhalbdes Volumenelements d3v um v im Vektorraumder Geschwindigkeiten an einem festen Ort. Wennwir beispielsweise kartesische Koordinaten benutzen,v = (v1, v2, v3), dann ist f(v) d3v die Anzahl von Ster-nen mit der i-ten Geschwindigkeitskomponente imIntervall [vi, vi +dvi], und d3v = dv1 dv2 dv3. Die mitt-lere Geschwindigkeit 〈v〉 dieser Population ergibt sichaus der Verteilung mittels

〈v〉 = n−1∫� 3

d3v f(v) v , wobei n =∫� 3

d3v f(v)

(2.32)

die Gesamtdichte der Sterne in der Populationbezeichnet. Die Geschwindigkeitsdispersion σ be-schreibt nun die mittleren quadratischen Abweichungender Geschwindigkeiten von 〈v〉. Für eine Kompo-nente i des Geschwindigkeitsvektors definiert man dieDispersion σi durch

σ2i = ⟨(vi −〈vi〉)2⟩= ⟨v2

i −〈vi〉2⟩= n−1

∫� 3

d3v f(v)(v2

i −〈vi〉2) . (2.33)

Je größer σi , umso breiter ist die Verteilung derstochastischen Bewegungen.

Die zufälligen Bewegungen der Sterne in Richtungsenkrecht zur Scheibe sorgen erst für eine endlicheDicke der Population; sie sind einer thermischen Ver-teilung ähnlich. Entsprechend wirkt sie sich aus wieein Druck, der sog. dynamische Druck der Verteilung.Dieser Druck bestimmt die Skalenhöhe der Vertei-lung, die ja der barometrischen Höhenformel entspricht.Je größer der dynamische Druck, d. h. je größer dieGeschwindigkeitsdispersion σz senkrecht zur Scheibe,umso größer ist die Skalenhöhe h. Aus der Unter-suchung der Sterne in der Sonnenumgebung findetman σz ∼ 16 km/s für Sterne jünger als ∼ 3 Gyr, ent-sprechend einer Skalenhöhe von h ∼ 250 pc, währendSterne älter als ∼ 6 Gyr eine Skalenhöhe von ∼ 350 pcund eine Geschwindigkeitsdispersion von σz ∼ 25 km/sbesitzen.

Die Dichteverteilung der gesamten Sternpopulation,die man aus Sternzählungen und Entfernungsbestim-mungen erhält, lässt sich in guter Näherung beschreiben

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48

2. Die Galaxis als Galaxie

durch

n(R, z) = n0(e−|z|/hthin +0.02e−|z|/hthick

)e−R/h R ;

(2.34)

dabei sind R und z die oben eingeführten Zylinder-koordinaten mit Ursprung im Galaktischen Zentrumund hthin ≈ hotd ≈ 325 pc die Skalenhöhe der dünnenScheibe. Die Verteilung in radialer Richtung wird eben-falls durch ein Exponentialgesetz beschrieben, wobeihR ≈ 3.5 kpc die Skalenlänge der Scheibe bezeich-net. Die Normierung der Verteilung ist gegeben durchn ≈ 0.2 Sterne/pc3 in der Sonnenumgebung im Bereichder absoluten Helligkeiten 4.5 ≤ MV ≤ 9.5. Die durch(2.34) beschriebene Verteilung ist nicht glatt bei z = 0(sie hat dort einen Knick) und daher unphysikalisch.Um eine glatte Verteilung zu erhalten, die für große |z|einem Exponentialgesetz folgt, aber in der Scheibene-bene glatt ist, modifiziert man dieses Verteilung etwas;zum Beispiel schreibt man für die Leuchtkraftdichte(die ja proportional zur Anzahldichte der Sterne ist) deralten dünnen Scheibe:

L(R, z) = L0 e−R/h R

cosh2(z/hz), (2.35)

mit hz = 2hthin und L0 ≈ 0.05L�/pc3. Die Sonne ist einMitglied der jungen dünnen Scheibe und befindet sichbei z = 30 pc oberhalb der Scheibenebene.

2.3.2 Die Galaktische Scheibe:chemische Zusammensetzung und Alter

Stellare Populationen. Die chemische Kompositionder Sterne in der dünnen und der dicken Scheibe istunterschiedlich: Es gibt die deutliche Tendenz, dassSterne der dünnen Scheibe eine höhere Metallizität ha-ben als die der dicken Scheibe. Die Metallizität derSterne im Galaktischen Halo und im Bulge ist dagegenkleiner. Um diese Trends begrifflich zu fassen, unter-scheidet man zwischen Sternen der Population I (Pop I),Sterne mit sonnenähnlicher Metallizität (Z ∼ 0.02), diesich hauptsächlich in der dünnen Scheibe befinden, undSternen der Population II (Pop II), die metallarm sind(Z ∼ 0.001) und vorwiegend in der dicken Scheibe, imHalo und im Bulge vorkommen. In Wirklichkeit exis-tiert ein weiter Bereich in Z, und die obigen Zahlen

geben nur charakteristische Werte an. Feinere Untertei-lungen sind auch hier eingeführt worden, man sprichtvon ,,Extremer Population I“, ,,Mittlerer Population II“usw. Die Populationen unterscheiden sich weiterhin inihrem Alter (Sterne der Pop I sind jünger als die derPop II), der Skalenhöhe (wie oben erwähnt) und derGeschwindigkeitsdispersion senkrecht zur Scheibe (σz

ist größer bei Pop II Sternen als bei Pop I).Wir wollen hier versuchen, den Ursprung dieser

unterschiedlichen Metallizitäten und ihren Zusammen-hang mit der Skalenhöhe und dem Alter zu verstehen.Dazu beginnen wir mit einer kurzen Betrachtung des-jenigen Phänomens, welches als Hauptursache fürdie Metallanreicherung das interstellaren Mediumsverantwortlich ist.

Metallizität und Supernovae. Supernovae (SNe) sindexplosive Ereignisse. Innerhalb weniger Tage kanneine SN eine Leuchtkraft von 109L� erlangen, waseinen erheblichen Bruchteil der Gesamtleuchtkraft einerGalaxie darstellt. Entsprechend ihrer spektralen Eigen-schaften hat man die SNe in verschiedene Klasseneingeteilt:

SN Typ I zeigen im Unterschied zu Typ II keineBalmerlinien des Wasserstoffs im Spektrum. Eine wei-tere Unterteilung der Typ I SNe basiert wiederum aufspektralen Eigenschaften: SN Ia zeigen starke SiII λ

6150 Å Emission, während die vom Typ Ib,c keineSiII Emission haben. Unser heutiges Verständnis diesesPhänomens weicht von dieser Klassifizierung ab.5 Auf-grund verschiedener Beobachtungsresultate, aber auchtheoretischer Untersuchungen hat sich die Überzeugungdurchgesetzt, dass die SN Ia ein intrinsisch anderes Phä-nomen darstellen als die restlichen Typen. Für dieseInterpretation ist insbesondere von Bedeutung, dassman SN Ia in allen Typen von Galaxien gefunden hat,während SN II und SN Ib,c nur in Spiralgalaxien und ir-regulären Galaxien erscheinen, und zwar in Gebieten, indenen vorzugsweise blaue Sterne sichtbar sind. Wie wirin Kapitel 3 noch sehen werden, besteht die Sternpo-

5Diese Notation (Typ Ia, Typ II, usw.) ist charakteristisch für Phäno-mene, die bei man ihrer Entdeckung klassifizieren möchte, aber fürdie man zur Klassifizierung keine physikalische Interpretation besitzt.Andere Beispiele sind die Spektralklassen der Sterne, die ja nicht al-phabetisch in der entsprechenden Hauptreihenmasse ist, oder etwadie Einteilung der Seyfert-Galaxien in Typ 1 und Typ 2. Wenn sicheine solche Notation einmal eingebürgert hat, bleibt sie meistens auchdann bestehen, wenn das Phänomen physikalisch aufgeklärt ist.

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2.3 Struktur der Galaxis

49

Abb. 2.10. Chemische Schalenstruktur ei-nes massereichen Sterns zum Ende seinesLebens. Die Elemente, die in den verschie-denen Brennstadien erzeugt wurden, sindin einer Art Zwiebelschalenstruktur ange-ordnet. Dies ist der Ausgangspunkt für eineSupernova-Explosion

pulation von Elliptischen Galaxien fast ausschließlichaus alten Sternen, während Spiralen auch junge Sterneenthalten. Daraus schließt man, dass das Phänomen derSN II und SN Ib,c mit jungen Sternpopulationen ver-knüpft ist, während die SN Ia in älteren Sternpopulationvorkommen.

SN II und SN Ib,c sind Endstadien der Entwicklungmassereicher (� 8M�) Sterne. Im Innern dieser Sternefusionieren immer schwerere Elemente: wenn der Was-serstoff aufgebraucht ist, verbrennt Helium, danachKohlenstoff, Sauerstoff usw. Diese Kette endet, wennmit dem Eisen derjenige Atomkern erreicht ist, der diegrößte Bindungsenergie pro Nukleon besitzt. Danachkann durch Kernfusion keine weitere Energie erzeugtwerden, und somit kann auch kein der Schwerkraft ent-gegenwirkender Druck aufrechterhalten werden. DerStern kollabiert deshalb aufgrund seiner Eigengravita-tion. Dieser Gravitationskollaps schreitet fort, bis imInnern des Sterns bis zu 3-fache Atomkerndichte er-reicht wird. Danach kommt es zum sog. ,,rebounce“:Eine Stoßwelle läuft nach außen, heizt das einfallendeMaterial auf, und der Stern explodiert. Im Innern bleibtvermutlich ein kompaktes Objekt übrig, ein Neutronen-stern oder möglicherweise ein Schwarzes Loch, je nachMasse des Eisenkerns. Solche Neutronensterne sind ineinigen historisch verbürgten SNe als Pulsare sicht-bar, und vermutlich sind sämtliche Neutronensterne insolchen Kernkollaps-Supernovae entstanden.

Der größte Teil der bei der Bildung des kompaktenObjekts freigesetzten Bindungsenergie wird in Formvon Neutrinos abgestrahlt, nämlich etwa 3×1053 erg.Von der SN 1987A in der Großen Magellanschen Wolkewurden etwa 10 Neutrinos in unterirdischen Neutrino-detektoren nachgewiesen. Aufgrund der hohen Dichteim Sterninnern nach dem Kollaps werden selbst Neu-trinos trotz ihres sehr kleinen Wirkungsquerschnitts

absorbiert und gestreut, so dass ein kleiner Teil ih-res nach außen gerichteten Impulses zur Explosionder Sternhülle beitragen kann. Diese expandiert mitv ∼ 10 000 km/s, was einer kinetischen Energie vonEkin ∼ 1051 erg entspricht. Davon werden wiederum nuretwa 1049 erg von der heißen Hülle in Photonenenergieumgesetzt und abgestrahlt – die in Photonen sichtbareEnergie einer SN ist daher nur ein kleiner Bruchteil derinsgesamt erzeugten Energiemenge.

Durch die verschiedenen Stadien der Kernfusion imVorläuferstern sind die chemischen Elemente in Scha-len angeordnet, außen die leichten Elemente (H, He),weiter innen die schwereren (C, O, Ne, Mg, Si, Ar,Ca, Fe, Ni); siehe Abb. 2.10. Diese werden durch dieExplosion an das interstellare Medium abgegeben, dassich dadurch chemisch anreichert. Dabei ist wichtig,dass aufgrund der nuklearen Brennketten im Wesent-lichen nur solche Kerne erzeugt worden sind, die einegerade Anzahl von Protonen und Neutronen enthalten,sog. α-Elemente.

SN Ia sind aller Wahrscheinlichkeit nach Explosio-nen von Weißen Zwergen (white dwarfs, WDs). Diesekompakten Sterne, die als Endstadien von weniger mas-siven Sternen entstanden sind, erzeugen ihren innerenDruck nicht durch Kernfusion, sondern werden durchden sogenannten Entartungsdruck von Elektronen sta-bilisiert, einem quantenmechanischen Phänomen. Einsolcher Weißer Zwerg ist nur stabil, falls seine Massenicht oberhalb einer Grenzmasse, der Chandrasekhar-Masse, liegt; diese beträgt etwa MCh ≈ 1.44M�. FürM > MCh kann der Entartungsdruck der Gravitationnicht mehr standhalten. Falls nun Materie auf einen WDmit Masse unterhalb MCh fällt, wie das etwa in Binär-systemen durch Akkretion geschehen kann, erhöht sichseine Masse langsam und nähert sich der Grenzmassean. Bei etwa M ≈ 1.3M� beginnt im Innern Kohlen-

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50

2. Die Galaxis als Galaxie

stoffbrennen, wobei etwa die Hälfte des Sterns zu Eisen,Kobalt und Nickel verbrannt wird. Die darauffolgendeExplosion des Sterns reichert das ISM mit ∼ 0.6M� Fean, während der WD völlig zerrissen wird.

Da SN Ia als Klasse wahrscheinlich sehr homogeneAnfangsbedingungen haben (definiert durch die maxi-male Masse vor der einsetzenden Explosion), sind siegute Kandidaten für Standardkerzen: alle SN Ia ha-ben in etwa die gleiche Leuchtkraft. Wie wir späternoch diskutieren werden (siehe Abschn. 8.3.1), ist diesnicht wirklich der Fall, aber trotzdem spielen SN Ia einewichtige Rolle in der kosmologischen Entfernungsbe-stimmung und damit der Bestimmung kosmologischerParameter.

Diese Interpretation der verschiedenen SNe Typenerklärt, warum man die Kernkollaps-SNe nur in Gala-xien findet, in denen noch Sterne entstehen, da es sichum die Endstadien massereicher, d. h. junger Sternehandelt, deren Lebensdauer nicht mehr als etwa 2×107 yr beträgt, während SN Ia in allen Galaxientypenvorkommen.

Neben den SNe findet eine Metallanreicherung desinterstellaren Mediums (ISM) auch in anderen Stadiender Sternentwicklung statt, etwa durch Sternwinde oderin Phasen, bei denen Sterne einen Teil ihrer Hülle ab-stoßen, die dann z. B. als Planetarischer Nebel sichtbarist. Falls der Stern vor diesen Ereignissen konvek-tiv durchmischt wurde, so dass die in seinem Innerndurch Kernfusion neu entstandenen Metalle in die Näheder Sternoberfläche gelangen, werden dadurch dieseMetalle an das ISM abgegeben.

Alter-Metallizitäts-Beziehung. Wenn man annimmt,dass unsere Milchstraße zu Beginn ihrer Entwicklungeine chemische Zusammensetzung mit nur sehr gerin-gem Metallgehalt besaß, so sollte die Metallizität einestarke Funktion des Alters sein. Mit jeder neuen Stern-generation werden mehr Metalle erzeugt und zum Teilans ISM durch Sternwinde und, hauptsächlich, durchSN-Explosionen abgegeben. Sterne, die sich später bil-den, sollten daher einen höheren Metallgehalt besitzenals solche, die sich in der Frühphase der Galaxis gebildethaben. Man erwartet daher, dass es einen Zusammen-hang gibt zwischen dem Alter eines Sterns und seinerMetallizität.

Beispielsweise kann man unter dieser Annahme[Fe/H] als Indikator des Alters einer stellaren Popu-

lation hernehmen, wobei das Eisen vor allen Dingenin Supernovae vom Typ Ia produziert und freigesetztwird. Neugebildete Sterne haben daher bei ihrer Geburteinen höheren Eisenanteil als ihre Vorgänger, und diejüngsten Sterne haben den höchsten Eisenanteil. In derTat findet man [Fe/H] = −4.5 für extrem alte Sterne(d. h. 3×10−5 der solaren Eisenhäufigkeit), während[Fe/H] = 1 für sehr junge Sterne, deren Metallizität dieder Sonne also erheblich übersteigen kann.

Allerdings ist diese Alter-Metallizitäts-Beziehungnicht besonders eng. Zum einen treten SN Ia erst� 109

Jahre nach der Bildung einer Sternpopulation auf (dergenaue Wert ist nicht bekannt, da selbst bei Annahmeder Gültigkeit des oben beschriebenen Szenarios fürdie SN Ia unklar ist, in welcher Form und in wel-chen Systemen die Akkretion von Material auf denWeißen Zwerg erfolgt, und wie lange es daher typi-scherweise dauert, bis die Grenzmasse erreicht wird).Zum anderen ist die Mischung des SN-Auswurfs imISM nur lokal gewährleistet, so dass es große Inho-mogenitäten des Werts von [Fe/H] bei gleichem Altergeben kann. Ein alternatives Maß für die Metallizi-tät ist [O/H], denn Sauerstoff, ein α-Element, wirdhauptsächlich in Supernova-Explosionen massereicherSterne produziert und freigesetzt, beginnend ∼ 107 yrnach der Entstehung einer Sternpopulation, also quasiinstantan.

Charakteristische Werte für die Metallizität sind−0.5� [Fe/H]� 0.3 in der dünnen Scheibe, währendin der dicken Scheibe etwa −0.6� [Fe/H]�−0.4 ty-pisch ist. Daraus lässt sich schließen, dass die Sternein der dünnen Scheibe signifikant jünger sind als in derdicken Scheibe. Dieses Ergebnis kann man nun unterBenutzung der Alter-Metallizitäts-Beziehung interpre-tieren. Entweder begann die Sternentstehung in derdicken Scheibe früher als in der dünnen Scheibe bzw.hat dort früher aufgehört, oder aber Sterne, die früherzur dünnen Scheibe gehörten, sind in die dicke Scheibe,,gewandert“. Vieles spricht für die zweite Alternative.Zum einen ist nicht zu verstehen, warum das molekulareGas, aus dem sich die Sterne bilden, zu früheren Zeiteneine deutlich breitere Verteilung gehabt haben sollte alsheute, wo es eng um die Galaktische Ebene konzentriertist. Zum andern ist die Verbreiterung einer ursprünglichengen Sternverteilung mit der Zeit ein erwarteter Effekt:Die Massenverteilung in der Scheibe ist nicht homogen,und Sterne spüren auf ihrem Umlauf um das Galak-

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2.3 Struktur der Galaxis

51

tische Zentrum das durch andere Sterne, Spiralarmeund massive Molekülwolken hervorgerufene inhomo-gene Gravitationsfeld. Diese Fluktuationen lenken dieSterne von ihrer Bahn ab, d. h. die Sterne erhalten durchdiese lokalen Inhomogenitäten des Gravitationsfeldeseine zufällige Geschwindigkeitskomponente senkrechtzur Scheibe. In anderen Worten, die Geschwindigkeits-dispersion σz einer Sternpopulation wächst mit derZeit an, wodurch sich die Skalenhöhe einer Popula-tion vergrößert. Im Gegensatz zu den Sternen behältdas Gas durch Reibung seine dünne Verteilung um dieGalaktische Ebene bei.

Allerdings ist auch diese Interpretation nicht eindeu-tig, und ein anderes Szenario für die Bildung der dickenScheibe ist denkbar, in dem sich die Sterne der di-cken Scheibe außerhalb der Milchstraße gebildet habenund erst später durch Akkretion von Satellitengalaxienzum Bestandteil der Scheibe geworden sind. Für diesesModell spricht u. a., dass die Rotationsgeschwindigkeitder dicken Scheibe um das Galaktische Zentrum um∼ 50 km/s kleiner ist als die der dünnen Scheibe. Beianderen Spiralen, in denen eine dicke Scheibenkompo-nente entdeckt und kinematisch untersucht wurde, istdie Diskrepanz der Rotationskurven zwischen dickerund dünner Scheibe teilweise noch deutlich größer, undin einem Fall scheint die dicke Scheibe gar in umgekehr-ter Richtung um das Zentrum der Galaxie zu rotieren. Ineinem solchen Fall wäre das oben skizzierte Modell derEntwicklung der dicken Scheibe durch kinematischesAufheizen der Sterne in der dünnen Scheibe sicherlichnicht anwendbar.

Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis. Die gesamteSternmasse in der dünnen Scheibe beträgt etwa6×1010 M�, dazu kommen ∼ 0.5×1010 M� in Staubund Gas. Andererseits ist die Leuchtkraft der Sterne inder dünnen Scheibe L B ≈ 1.8×1010 L�. Daraus ergibtsich ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von

M

L B≈ 3

M�L�

in dünner Scheibe . (2.36)

Das M/L-Verhältnis in der dicken Scheibe ist grö-ßer, für diese gilt in etwa M ∼ 3×109 M� undL B ≈ 2×108 L�, so dass M/L B ∼ 15 in solaren Ein-

heiten. Die dicke Scheibe spielt also weder für dieMassenbilanz der Scheibe, und noch weniger für dieGesamtleuchtkraft eine bedeutende Rolle. Würde manunsere Milchstraße von außen beobachten, so ergäbesich für die Scheibe ein M/L von etwa 4 in solaren Ein-heiten; das ist ein für Spiralgalaxien charakteristischerWert. Andererseits ist die dicke Scheibe als Diagnos-tik für die dynamische Entwicklung der Scheibe vonunschätzbarem Wert.

2.3.3 Die Galaktische Scheibe: Staub und Gas

Die Spiralstruktur der Milchstraße und anderer Spiral-galaxien wird gezeichnet von sehr jungen Objekten wieetwa O- und B-Sterne und HII-Regionen, weshalb dieSpiralarme sehr blau erscheinen. Offensichtlich findetdie Sternentstehung in unserer Milchstraße vor allem inden Spiralarmen statt. Dort ziehen sich aufgrund ihrerEigengravitation Molekülwolken zusammen und bildenneue Sterne. Im roten Licht sind die Spiralarme weitweniger prägnant. Die Emission im Roten ist dominiertvon einer älteren Sternpopulation, und alte Sterne hat-ten Zeit, sich aus den Spiralarmen weg zu bewegen.Die Sonne befindet sich nahe an, aber nicht in einemSpiralarm, dem sog. Orion-Arm.

Die Beobachtung von Gas in der Galaxis wird im We-sentlichen ermöglicht durch die 21 cm-Linienemissionvon HI (neutralem atomaren Wasserstoff) sowie derEmission von CO, dem zweithäufigsten Molekül nachH2. Molekularer Wasserstoff ist ein symmetrisches Mo-lekül und besitzt daher kein elektrisches Dipolmoment,weshalb es kein starker Strahler ist. Meistens wird an-genommen, dass das Verhältnis von CO und H2 eineuniverselle Konstante ist (genannt der ,,X-Faktor“).Unter dieser Annahme kann die Verteilung von COin die des molekularen Gases übersetzt werden. DieMilchstraße ist optisch dünn bei 21 cm, d. h. die 21 cm-Strahlung wird auf dem Weg von der Quelle zumBeobachter nicht absorbiert, so dass atomares Gas in dergesamten Galaxis mit radioastronomischen Methodenbeobachtet werden kann.

Für die Untersuchung der Staubverteilung stehenzwei Möglichkeiten zur Verfügung. Zum einen zeigtsich der Staub durch die von ihm hervorgerufene Ex-tinktion; diese kann quantitativ beispielsweise durchSternzählungen oder durch Analysen der Verfärbungvon Sternen untersucht werden (ein Beispiel dafür

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52

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.11. Die Staubverteilung der Galaxis, wie sie aus einerKombination der IRAS- und COBE-Himmelskarten ermitteltwurde. In Galaktischen Koordinaten ist links der nördliche Ga-laktische Himmel dargestellt, rechts der südliche. Man erkennt

deutlich die Konzentration des Staubs hin zur Scheibenebenesowie Gebiete, in denen die Staubdichte besonders klein ist;diese Bereiche der Himmels eignen sich besonders für sehrtiefe extragalaktische Beobachtungen

ist in Abb. 2.7 zu sehen). Zum andern emittiert derStaub thermische Strahlung, die im FIR-Bereich desSpektrums beobachtbar ist und die mit verschiede-nen Satelliten (wie etwa IRAS und COBE) abgebildetwurden. So wurde aus einer Kombination der Him-melskarten dieser beiden Satelliten bei verschiedenenFrequenzen die Galaktische Staubverteilung ermittelt.Die Temperatur des Staubes variiert in einem relativkleinen Bereich zwischen ∼ 17 K und ∼ 21 K, aberselbst dieser kleine Unterschied bedingt Variationen derStaubemission bei gleicher Säulendichte um einen Fak-tor ∼ 5 bei einer Wellenlänge von 100 μm, weshalbKarten bei verschiedenen Frequenzen zur Bestimmungvon Säulendichte und Temperatur benutzt werden müs-sen. Weiterhin muss zunächst das Zodiakallicht, dasdurch Reflektion der Sonnenstrahlung an Staub in un-serem Sonnensystem hervorgerufen wird, subtrahiertwerden. Dies ist wegen der unterschiedlichen spektra-len Emission durch Multifrequenz-Daten möglich. Dieresultierende Staubverteilung ist in Abb. 2.11 gezeigt,die nicht nur die Konzentration des Staubes um dieGalaktische Ebene herum, sondern ebenfalls großska-lige Anisotropien auch bei hohen Galaktischen Breitenzeigt. Diese hier gezeigte Staubkarte wird standardmä-

ßig für die Extinktionskorrektur bei Beobachtungen vonextragalaktischen Quellen benutzt.

Aus diesen Beobachtungen ergibt sich für die Ver-teilung von Gas und Staub, dass beide stark zurGalaktischen Ebene hin konzentriert sind, insbesonderein den Spiralarmen, wo sie als Material zur Sternentste-hung dienen. Molekularen Wasserstoff (H2) und Staubfindet man im Wesentlichen bei 3 kpc � R � 8 kpc,innerhalb |z|� 90 pc um die Galaktische Ebene. Hin-gegen ist die Verteilung von atomarem Wasserstoff (HI)bis zu großen Abständen vom GC hin zu beobachten(R � 25 kpc), mit einer Skalenhöhe, die innerhalb derSonnenbahn, R � R0, etwa 160 pc beträgt. Für großeAbstände vom GC, R � 12 kpc, ist die Skalenhöheenorm vergrößert, auf etwa 1 kpc; weiterhin ist dortdie Gasscheibe verbogen (warped). Der Ursprung desWarps ist unklar. Er könnte z. B. von dem Gravita-tionsfeld der Magellanschen Wolken herrühren. DieMasse in den beiden Komponenten des Wasserstoffsbeträgt insgesamt etwa M(HI)≈ 4×109 M� und M(H2)

≈ 109 M�, d. h. die Gasmasse in unserer Galaxis beträgtweniger als ∼ 10% der Sternmasse. In der Sonnenumge-bung ist die Dichte des Gases etwa ρ(Gas) ∼ 0.04M�/

pc3.

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2.3 Struktur der Galaxis

53

2.3.4 Die kosmische Höhenstrahlung

Das Magnetfeld der Galaxis. Wie viele anderekosmische Objekte enthält unsere Milchstraße ein Mag-netfeld, dessen Eigenschaften mit einer Vielzahl vonMethoden untersucht werden können. Einige davonseien hier kurz erwähnt:

• Polarisation von Sternlicht: Das Licht entfernterSterne ist zum Teil linear polarisiert, wobei der Po-larisationsgrad stark korreliert ist mit der Extinktionbzw. der Verfärbung der Sterne. Das deutet daraufhin, dass die Polarisation mit dem Staub, der fürdie Extinktion verantwortlich ist, zusammenhängt.Das an Staubteilchen gestreute Licht ist teilweise li-near polarisiert, wobei die Polarisationsrichtung vonder Ausrichtung der Staubkörner abhängt. Wenn de-ren Ausrichtung zufällig verteilt wäre, würde sichdie Überlagerung der gestreuten Strahlung von ver-schiedenen Staubteilchen zu einer verschwindendenNetto-Polarisation addieren. Da jedoch eine solchePolarisation gemessen wird, kann die Ausrichtungder Staubteilchen nicht zufällig sein, sondern mussüber große Skalen kohärent sein. Eine solche ko-härente Ausrichtung wird von einem großskaligenMagnetfeld geleistet, wobei die aus der Polarisati-onsrichtung messbare Ausrichtung der Staubteilchendie (projizierte) Richtung des Magnetfeldes angibt.

• Der Zeeman-Effekt: Die Energieniveaus eines Atomsändern sich, wenn sich das Atom in einem Magnet-feld befindet. Dies gilt auch für die 21 cm-Liniedes neutralen Wasserstoffs; dieser Übergang spal-tet sich auf und diese Aufspaltung kann gemessenwerden. Da diese Energieaufspaltung proportionalzum Magnetfeld ist, kann so die Feldstärke bestimmtwerden.

• Synchrotron-Strahlung: Wenn sich relativistischeElektronen in einem Magnetfeld bewegen, durch-laufen sie helikale (d. h. schraubenförmige) Bah-nen, denn sie werden durch die Lorentz-Kraftbeschleunigt, die senkrecht sowohl auf dem Ge-schwindigkeitsvektor der Teilchen als auch aufdem Magnetfeld steht. Da beschleunigte Ladungenelektromagnetische Strahlung emittieren, ist diesehelikale Bewegung die Quelle der sog. Synchrotron-Strahlung (die wir in Abschn. 5.1.2 noch genauerdiskutieren werden). Diese Strahlung, die im Ra-

diobereich des Spektrums beobachtbar ist, ist linearpolarisiert, wobei die Polarisationsrichtung von derRichtung des Magnetfeldes abhängt.

• Faraday-Rotation: Durchläuft polarisierte Strahlungein magnetisiertes Plasma, so dreht sich dabeidie Richtung der Polarisation. Der Rotationswinkelhängt quadratisch von der Wellenlänge der Strahlungab,

Δθ = RM λ2 , (2.37)

wobei sich das Rotationsmaß RM ergibt als Inte-gral entlang des Sehstrahls zu einer Quelle überdie Elektronendichte und der Komponente B‖ desMagnetfeldes in Richtung des Sehstrahls,

RM = 81 rad

cm2

D∫0

d�

pc

ne

cm−3

B‖G

. (2.38)

Die λ-Abhängigkeit erlaubt die Messung von RMund somit eine Abschätzung des Produkts aus Elekt-ronendichte und Magnetfeld. Ist erstere bekannt, soergeben sich unmittelbar Aussagen über B. DurchMessung des RM von Quellen unterschiedlicherRichtung und Entfernung kann daher das Magnetfeldder Galaxis untersucht werden.

Die Anwendung der gerade besprochenen Methodenergeben, dass es in der Scheibe unserer Milchstraße einMagnetfeld gibt, dessen Stärke etwa 4×10−6 G beträgtund das im Wesentlichen den Spiralarmen folgt.

Kosmische Strahlung. Während beinahe sämtlicheInformation über unseren Kosmos aus der empfan-genen elektromagnetischen Strahlung erhalten wird,erreicht uns auch eine weitere Komponente, die ener-giereiche Höhenstrahlung, die als Kosmische Strahlungbezeichnet wird. Dabei handelt es sich überwiegendum elektrisch geladene Teilchen, also in erster LinieElektronen und Kerne. Neben einer Teilchenstrahlung,die von energetischen Prozessen auf der Sonne erzeugtwird, gibt es eine deutlich höherenergetische Kompo-nente, die von Quellen außerhalb des Sonnensystemsstammen muss.

Das Energiespektrum der Kosmischen Strahlungist in guter Näherung ein Potenzgesetz: Der Flussder Teilchen mit einer Energie oberhalb von E läßtsich als S(> E) ∝ E−q beschreiben, wobei q ≈ 1.7

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54

2. Die Galaxis als Galaxie

beträgt. Allerdings gibt es Energieskalen, bei denensich die Steigung dieses Spektrums leicht ändert: beiE ∼ 1015 eV wird das Spektrum etwas steiler, um fürE � 1018 eV wieder abzuflachen.6 Jedoch sind die Mes-sungen des Spektrums bei diesen sehr hohen Energiensehr unsicher, da der Fluss dann derart stark abgefal-len ist, dass nur sehr wenige Teilchen dort gemessenwerden können.

Um Teilchen auf solch hohe Energien zu beschleu-nigen, sind besonders energetische Prozesse nötig.Für Energien unterhalb von etwa 1015 eV gibt essehr gute Gründe, Supernova-Überreste als Quelle derStrahlung anzunehmen. Die SN-Explosion treibt eineStoßwelle7 in das ISM, deren anfängliche Geschwindig-keit ∼ 10 000 km/s beträgt. Plasma-Prozesse in einersolchen Stoßfront führen dazu, dass einige Teilchenzu sehr hohen Energien beschleunigt werden können.Die Theorie dieser diffusen Stoßbeschleunigung sagtvorher, dass das resultierende Spektrum dieser Teil-chen einem Potenzgesetz folgt, dessen Steigung nurvon der Stärke des Stoßes (d. h. dem Verhältnis derDichten auf beiden Seiten der Stoßfront) abhängt undsehr gut mit der Steigung des beobachteten Spek-trums der Kosmischen Strahlung übereinstimmt (wennman weitere Propagationsprozesse in der Milchstraßeberücksichtigt). Die Anwesenheit sehr hochenergeti-scher Elektronen in SN-Überresten ist direkt in Formihrer Synchrotron-Strahlung zu beobachten, so dassman auch die Steigung des erzeugten Spektrums direktuntersuchen kann. Die so erzeugten Teilchen propa-gieren dann in der Galaxis, wobei sie sich aufgrunddes Magnetfeldes auf komplizierten helikalen Bah-nen bewegen. Aus diesem Grunde ist die Richtung,aus der uns ein Teilchen erreicht, nicht mit der Rich-tung seiner Quelle zu identifizieren. Das Magnetfeld

6Diese Energien können verglichen werden zu denen, die man inTeilchenbeschleunigern erzeugen kann: das LEP am CERN erreichteEnergien von etwa ∼ 100 GeV = 1011 eV.7Stoßfronten sind Flächen in einer Gasströmung, wo sich die Zu-standsparameter des Gases, wie Druck, Dichte und Temperaturdiskontinuierlich ändern. Das Standardbeispiel für eine Stoßfront istder Knall einer Explosion, bei der sich eine kugelförmige Stoßwellevom Ort der Explosion nach außen hin ausbreitet. Ein weiteres Bei-spiel ist der Überschallknall, wie er etwa von Flugzeugen erzeugtwird, deren Geschwindigkeit größer als die Schallgeschwindigkeitist. Solche Stoßfronten sind Lösungen der hydrodynamischen Glei-chungen, und sie kommen in der Astrophysik häufig vor, etwa beiExplosionsphänomenen wie Supernovae oder bei schnellen (d. h.Überschall-)Strömungen, wie wir sie in AGNs kennenlernen werden.

sorgt auch dafür, dass die Teilchen die Milchstraßenicht auf ,,geradem Wege“ verlassen, sondern überlängere Zeit (∼ 107 yr) gespeichert werden, bevor sieherausdiffundieren.

Die Quellen der Teilchen zwischen ∼ 1015 eV und∼ 1018 eV vermutet man ebenfalls in unserer Milch-straße, weil für diese die Magnetfeldstärke ausreicht, siein der Galaxis zu halten. Allerdings kommen für Teil-chen dieser Energien SN-Überreste wahrscheinlich alsQuelle nicht in Frage; in der Tat ist der Ursprung die-ser Strahlung weitestgehend unbekannt. Teilchen mitEnergien oberhalb ∼ 1018 eV sind wahrscheinlich ex-tragalaktischen Ursprungs. Der Krümmungsradius ihrerhelikalen Bahnen im Magnetfeld der Galaxis ist grö-ßer als der Radius der Milchstraße, so dass sie nichtgespeichert werden können. Auch deren Ursprung istnicht bekannt, aber AGNs stellen die wahrscheinlichs-ten Quellen dieser Teilchen dar. Schließlich ist eines dergroßen Rätsel der hochenergetischen Astrophysik derUrsprung der Kosmischen Strahlung mit E � 1019 eV.Die Energie dieser Teilchen ist so groß, dass sie mitdem kosmischen Mikrowellenhintergrund wechselwir-ken können, dabei Pionen und andere Teilchen erzeugenund in diesem Prozess sehr stark an Energie verlieren.Solche Teilchen können nicht viel weiter als ∼ 10 Mpcdurch das Universum propagieren, bevor sie einenGroßteil ihrer Energie verloren haben. Daher solltensich ihre Quellen in der nahen Umgebung der Milch-straße befinden. Da die Krümmung der Orbits solcherTeilchen sehr klein ist, sollte man im Prinzip in der Lagesein, ihren Ursprung in etwa zu identifizieren, denn in-nerhalb von 10 Mpc gibt es nicht allzuviele AGNs, diedafür in Frage kommen. Allerdings ist die Statistik die-ser höchstenergetischen Strahlenteilchen so klein, dassbislang keine gut fundierten Aussagen möglich waren.

Es ist interessant zu bemerken, dass die Energie-dichten von Kosmischer Strahlung, dem Magnetfeld,der turbulenten Energie des ISM und der elektromag-netischen Strahlung der Sterne sehr vergleichbar sind,so als hätte sich ein Gleichgewicht dieser verschiede-nen Komponenten eingestellt. Da diese Komponentenmiteinander wechselwirken – so kann die turbulenteBewegung des ISM das Magnetfeld verstärken, umge-kehrt beeinflusst das Magnetfeld die Bewegung des ISMsowie der Kosmischen Strahlung – ist es nicht unwahr-scheinlich, dass sich durch diese gegenseitigen Prozesseeine Gleichverteilung der Energiedichten einstellt.

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2.3 Struktur der Galaxis

55

2.3.5 Der Galaktische Bulge

Der Bulge ist die zentrale Verdickung unserer Galaxis.Die Abb. 1.2 zeigt eine andere Spiralgalaxie von derSeite, deren Bulge deutlich zu erkennen ist. Die cha-rakteristische Längenskala des Bulges beträgt ∼ 1 kpc.Wegen der starken Extinktion in der Scheibe ist derBulge hauptsächlich im IR beobachtbar, z. B. mit denIRAS- und COBE-Satelliten, denn die Extinktion imVisuellen beträgt in Richtung des GC AV ∼ 28 mag! Esgibt aber einige Sichtlinien nahe zum GC, für die AV

wesentlich kleiner ist, d. h. wo man im Optischen undnahen IR beobachten kann, z. B. Baades Fenster, wel-ches sich ca. 4◦ unterhalb des GC bei � ∼ 1◦ befindet undfür das AV ∼ 2 mag beträgt (siehe auch Abschn. 2.6).

Aus den Beobachtungen von COBE, aber auch ausden Galaktischen Mikrolinsenuntersuchungen (sieheAbschn. 2.5) wissen wir, dass unser Bulge die Formeines Balkens hat, dessen große Hauptachse etwa 30◦von uns wegzeigt. Die Skalenhöhe des Bulge ist etwa400 pc, wobei er eine Abplattung von ∼ 0.6 zeigt.

Wie bei den exponentiellen Profilen, die die Lichtver-teilung der Scheibe beschreiben, wird die funktionaleForm der Helligkeitsverteilung im Bulge auch durch Be-obachtungen anderer Spiralgalaxien nahegelegt, denndas Profil von deren Bulge ist selbstverständlich ,,vonaußen“ besser zu beobachten als das unserer Galaxis,wo wir ,,mitten drin“ leben.

Das de Vaucouleurs-Profil. Das Helligkeitsprofil un-seres Bulges lässt sich beschreiben durch das deVaucouleurs-Gesetz, das die Flächenhelligkeit I alsFunktion des Abstands R vom Zentrum angibt,

log

(I(R)

Ie

)= −3.3307

[(R

Re

)1/4

−1

];

(2.39)

dabei ist I(R) die Flächenhelligkeit, gemessen bei-spielsweise in [I] = L�/pc2. Re ist der Effektivradius,der so definiert ist, dass die Hälfte der Leuchtkraftinnerhalb Re emittiert wird,

Re∫0

dR R I(R) = 1

2

∞∫0

dR R I(R) . (2.40)

Diese Definition von Re führt auch zu dem numerischenFaktor auf der rechten Seite von (2.39). Wie man aus

(2.39) leicht erkennt, ist Ie = I(Re) die Flächenhellig-keit am Effektivradius. Eine alternative Form des deVaucouleurs-Gesetzes ist

I(R) = Ie exp(−7.669

[(R/Re)

1/4 −1])

. (2.41)

Wegen seiner mathematischen Form nennt man diesauch ein r1/4-Gesetz. Das r1/4-Gesetz fällt wesentlichlangsamer ab für große R als ein Exponentialgesetz. Fürden Galaktischen Bulge findet man einen Effektivradiusvon Re ≈ 0.7 kpc. Mit dem de Vaucouleurs-Profil ergibtsich durch Integration der Oberflächenhelligkeit der Zu-sammenhang zwischen Leuchtkraft, Effektivradius undFlächenhelligkeit,

L =∞∫

0

dR 2πR I(R) = 7.215πIe R2e . (2.42)

Altersverteilung im Bulge. Sterne im Bulge überde-cken einen weiten Metallizitätsbereich, −1� [Fe/H]�+1, mit einem Mittelwert von etwa 0.3, d. h. die mitt-lere Metallizität ist etwa doppelt so groß wie die derSonne. Das deutet auf einen Anteil einer relativ jun-gen Population hin. Ebenfalls befindet sich ca. 108 M�molekulares Gas im Bulge. Andererseits findet mandort auch sehr metallarme RR Lyrae-Sterne, also alteSterne. Allerdings ist die Trennung der Zugehörigkeitzwischen Bulge und Scheibe nicht einfach, so dass diejunge Komponente auch ein Teil der inneren Scheibesein könnte.

Die Masse des Bulges beträgt in etwa M(bulge) ∼1010 M�, und die Leuchtkraft ist L B(bulge) ∼3×109 L�, woraus sich ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von

M

L≈ 3

M�L�

im Bulge , (2.43)

ergibt, also sehr ähnlich zur dünnen Scheibe.

2.3.6 Der sichtbare Halo

Der (sichtbare) Halo unserer Galaxis besteht aus etwa150 Kugelsternhaufen und Feldsternen mit großer Ge-schwindigkeit senkrecht zur Galaktischen Ebene. Diealten Kugelsternhaufen mit [Fe/H] < −0.8 haben eine

Page 70: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

56

2. Die Galaxis als Galaxie

angenähert sphärische Verteilung um das GC. Es gibteine zweite Population von Kugelsternhaufen, die jün-gere Sterne enthalten mit einer größeren Metallizität,[Fe/H] > −0.8. Diese besitzen eine flachere geomet-rische Verteilung und sind eventuell Teil der dickenScheibe, da sie auch in etwa die gleiche Skalenhöhewie diese besitzen.

Die meisten Kugelsternhaufen haben einen Abstandr � 35 kpc vom GC (wobei r = √

R2 + z2), jedochfindet man auch einige mit r > 60 kpc. Bei diesen Ab-ständen ist es schwer zu entscheiden, ob diese ObjekteTeil der Galaxis sind oder aber gerade eingefangenwerden aus unseren Nachbargalaxien, wie z. B. den Ma-gellanschen Wolken. Man hat Feldsterne ebenfalls biszu r ∼ 50 kpc gefunden, weshalb man für die Ausdeh-nung des sichtbaren Halos den Wert rhalo ∼ 50 kpc alscharakteristisch annimmt.

Die Dichteverteilung von metallarmen Kugelstern-haufen und Feldsternen im Halo wird durch

n(r) ∝ r−3.5 (2.44)

beschrieben. Alternativ dazu kann man ein de Vau-couleurs-Profil an die Dichteverteilung anpassen, wasdann zu einem Effektivradius von re ∼ 2.7 kpc führt.

Bei großen Entfernungen von der Scheibe findetman ebenfalls neutralen Wasserstoff in Form von Wol-ken. Die meisten dieser (in der 21 cm-Linie sichtbaren)Wolken haben eine negative Radialgeschwindigkeit,bewegen sich also auf uns zu, teilweise mit Ge-schwindigkeiten von bis zu vr ∼ −400 km/s. DieseHochgeschwindigkeitswolken (high-velocity clouds,HVCs) können nicht an der allgemeinen GalaktischenRotation teilnehmen. Es gibt kaum Möglichkeiten, dieEntfernungen dieser Wolken genauer zu bestimmen,weshalb ihr Ursprung und ihre Natur umstritten ist. Da-bei gibt es jedoch eine Ausnahme: Der MagellanscheStrom ist ein schmales Band von HI-Emission, welchesden Magellanschen Wolken auf ihrem Orbit um dieGalaxis folgt und vielleicht das Resultat einer nahenBegegnung mit der Milchstraße ist, die durch Gezei-tenkräfte dieses Gas unseren Nachbargalaxien entrissenhat.

2.3.7 Die Entfernung zum Galaktischen Zentrum

Wie bereits erwähnt, ist unsere Entfernung zumGC relativ schwierig zu messen und daher nicht

genau bekannt. Das wesentliche Problem einer sol-chen Bestimmung ist die große Extinktion in derScheibe, aufgrund derer man die Entfernung indi-vidueller Sterne nahe des GC nicht messen kann.Deshalb ist man auf indirekte Methoden angewie-sen, von denen wir die gebräuchlichste hier erläuternwollen.

Der sichtbare Halo unserer Milchstraße wird bevöl-kert von Kugelsternhaufen, aber auch von Feldsternen.Diese besitzen eine sphärische, oder allgemeiner, einesphäroidale (d. h. abgeplattete) Verteilung. Das Zentrumdieser Verteilung ist offensichtlich das gravitative Zent-rum der Milchstraße, um das herum die Haloobjektesich bewegen. Wenn man nun die dreidimensionale Ver-teilung der Halopopulation vermessen kann, so solltedas geometrische Zentrum dieser Verteilung mit demGC übereinstimmen.

Diese Methode ist in der Tat anwendbar, da manaufgrund der ausgedehnten Verteilung der Haloobjektediese bei relativ großen Galaktischen Breiten beobach-ten kann und daher von der Extinktion nur mäßigbehindert wird. Wie wir in Abschn. 2.2 besprochenhaben, ist die Entfernungsbestimmung von Kugel-sternhaufen mit Hilfe der photometrischen Methodemöglich. Andererseits findet man in Kugelsternhau-fen auch RR Lyrae-Sterne, für die man die Methodeder Perioden-Leuchtkraft-Relation benutzen kann. So-mit kann die räumliche Verteilung der Kugelsternhaufenbestimmt werden. Allerdings ist die Anzahl von bekann-ten Kugelsternhaufen mit ca. 150 relativ gering, woraussich ein großer statistischer Fehler für die Bestimmungihres gemeinsamen Mittelpunkts ergibt. Sehr viel zahl-reicher sind die RR Lyrae-Feldsterne im Halo, derenEntfernung mit der Perioden-Leuchtkraft-Relation pho-tometrisch messbar ist. Der statistische Fehler bei derBestimmung des Mittelpunkts ihrer Verteilung ist dahersehr viel geringer. Andererseits basiert die so bestimmteEntfernung zum GC alleine auf der Kalibration derPerioden-Leuchtkraft-Relation, und jede Unsicherheitdabei resultiert in einem systematischen Fehler für R0.Hinzu kommen Effekte der Extinktion, die jedoch mi-nimiert werden können, wenn die RR Lyrae im NIRbeobachtet werden, was auch wegen der engeren Vertei-lung der absoluten Helligkeiten von RR Lyrae-Sternenim NIR vorteilhaft ist. Aus solchen Untersuchun-gen ergibt sich ein Wert von R0 ≈ 8.0 kpc (sieheAbb. 2.12).

Page 71: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.4 Kinematik der Galaxis

57

Abb. 2.12. Die Anzahl von RR Lyrae-Sternen als Funk-tion der Entfernung, gemessen in einer Richtung, die bei� = 0◦ und b = −8◦ nahe zum Galaktischen Zentrum ver-läuft. Nimmt man eine sphärisch symmetrische, nach innenhin konzentrierte Verteilung der RR Lyrae-Sterne an, so ist dieEntfernung zum Galaktischen Zentrum mit dem Maximumdieser Verteilung zu identifizieren

2.4 Kinematik der Galaxis

Die Galaxis rotiert differentiell, also nicht wie ein starrerKörper. Das bedeutet, dass die Winkelgeschwindig-keit eine Funktion des Abstands R vom GC ist. Von,,oben“ betrachtet, also vom NGP, findet die Rotationim Uhrzeigersinn statt. Um das Geschwindigkeitsfeldquantitativ zu beschreiben, führen wir im FolgendenGeschwindigkeitskomponenten im Koordinatensystem(R, θ, z) ein, wie in Abb. 2.13 dargestellt. Ein Kör-per mit der Bahnkurve [R(t), θ(t), z(t)] hat dann dieGeschwindigkeitskomponenten

U := dR

dt, V := R

dt, W := dz

dt. (2.45)

Bespielsweise bewegt sich die Sonne nicht auf einereinfachen Kreisbahn um das GC, sondern momentannach innen, U < 0, und mit W > 0, also entfernt sichvon der Galaktischen Ebene.

In diesem Abschnitt wollen wir die Rotation derMilchstraße untersuchen. Wir beginnen dabei mit der

Abb. 2.13. Zylindrisches Koordinatensystem (R, θ, z) mitdem Galaktischen Zentrum im Ursprung; beachte: θ nimmtzu im Uhrzeigersinn, wenn die Scheibe von oben betrach-tet wird. Die entsprechenden Geschwindigkeitskomponenten(U, V, W) eines Sterns sind angedeutet

Bestimmung der Geschwindigkeitskomponenten derSonne. Danach widmen wir uns der Rotationskurveder Galaxis, also der Funktion V(R), und werden dabeiauf ein erstaunliches Ergebnis stoßen. Da dieses Ergeb-nis von herausragender Bedeutung ist, werden wir dieMethodik detailliert darstellen.

2.4.1 Bestimmung der Geschwindigkeitder Sonne

Local Standard of Rest. Um lokale Messungen mitdem Galaktischen Koordinatensystem (R, θ, z) in Ver-bindung zu bringen, definiert man den local standardof rest (LSR). Dies ist ein fiktives Ruhesystem, in demGeschwindigkeiten gemessen werden. Dazu stellt mansich einen Punkt vor, der sich heute am Ort der Sonnebefindet und eine perfekte Kreisbahn in der Scheibevollführt. Die Geschwindigkeitskomponenten des LSRsind daher definitionsgemäß

ULSR ≡ 0 , VLSR ≡ V0 , WLSR ≡ 0 , (2.46)

wobei V0 ≡ V(R0) die Kreisbahngeschwindigkeit amOrt der Sonne ist. Obwohl sich der LSR ständig än-dert, ist die Zeitskala dieser Änderung (die Orbitperiodebeträgt ∼ 230×106 yr) so groß, dass dieser Effektvernachlässigt werden kann.

Page 72: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

58

2. Die Galaxis als Galaxie

Pekuliargeschwindigkeit. Die Geschwindigkeit einesObjekts relativ zu der des LSR nennt man Pekuliarge-schwindigkeit. Diese bezeichnet man mit v, und ihreKomponenten sind gegeben durch

v ≡ (u, v,w) = (U −ULSR, V − VLSR, W − WLSR)

= (U, V − V0, W) .

(2.47)

Die Sonnenbewegung relativ zum LSR bezeichnet manmit v�. Wenn man v� kennt, kann man Geschwin-digkeitsmessungen relativ zur Sonne umrechnen inGeschwindigkeiten relativ zum LSR: sei Δv die Ge-schwindigkeit eines Sterns relativ zur Sonne, die mit denin Abschn. 2.2 besprochenen Methoden direkt messbarist, so ist dessen Pekuliargeschwindigkeit

v = v� +Δv . (2.48)

Pekuliargeschwindigkeit der Sonne. Wir betrachtennun ein Ensemble von Sternen in der unmittelba-ren Sonnenumgebung und nehmen an, die Galaxissei axialsymmetrisch und stationär. Unter diesenAnnahmen bewegen sich dann gleich viele Sternevon innen nach außen wie umgekehrt, und gleichviele von oben nach unten wie von unten nachoben, so dass der Mittelwert der entsprechendenPekuliargeschwindigkeitskomponenten verschwindenmuss,

〈u〉 = 0 , 〈w〉 = 0 , (2.49)

wobei die Klammern das Mittel über das betrachteteEnsemble bedeuten. Für die v-Komponente gilt diesesArgument nicht, denn der Mittelwert von v hängt vonder Verteilung der Orbits ab: falls es nur kreisförmigeOrbits in der Scheibe gäbe, dann wäre ebenfalls 〈v〉 = 0(trivial, denn dann hätten alle Sterne v = 0), aber diesist nicht der Fall. Aus der statistischen Betrachtung derOrbits im Rahmen der Stellardynamik folgt, dass 〈v〉eng mit der Geschwindigkeitsdispersion der Sterne zu-sammenhängt: Je größer diese ist, um so mehr weicht〈v〉 von Null ab. Man findet

〈v〉 = −C⟨u2⟩ , (2.50)

wobei C eine positive Konstante ist, die von derDichteverteilung und der lokalen Geschwindigkeitsver-teilung der Sterne abhängt. Das Vorzeichen in (2.50)

erklärt sich aus der Feststellung, dass eine Kreis-bahn eine größere Tangentialgeschwindigkeit hat alselliptische Bahnen mit ihrer Radialkomponente. DieGleichung (2.50) drückt die Tatsache aus, dass die mitt-lere Rotationsgeschwindigkeit einer Sternpopulationum das Zentrum umso mehr von der entsprechendenKreisbahngeschwindigkeit abweicht, je größer ihre Ge-schwindigkeitsdispersion in radialer Richtung ist. Manbezeichnet dieses Phänomen auch als asymmetrischenDrift. Aus der Mittelung von (2.48) über das betrachteteEnsemble folgt mit (2.49) und (2.50)

v� = (−〈Δu〉 ,−C⟨u2⟩−〈Δv〉 ,−〈Δw〉) .

(2.51)

Um nun diese Relation auszuwerten, benötigt man nochdie Konstante C. Dabei geht man so vor, dass man ver-schiedene Sternpopulationen betrachtet und für diesegetrennt

⟨u2⟩und 〈Δv〉 misst. Trägt man dann diese bei-

den Größen in ein Diagramm auf (siehe Abb. 2.14), soergibt sich, wie mit (2.50) erwartet, ein linearer Zusam-menhang, dessen Steigung gerade C ist und aus demDiagramm abgelesen werden kann. Weiterhin kann manaus dem Schnittpunkt mit der 〈Δv〉-Achse direkt v� ab-lesen. Die anderen Komponenten ergeben sich durcheinfache Mittelung und liefern das Ergebnis:

v� = (−10, 5, 7) km/s . (2.52)

Abb. 2.14. Trägt man für Sterne der Sonnenumgebung dieGeschwindigkeitskomponenten 〈Δv〉 = 〈v〉−v� gegen

⟨u2⟩

auf, kann man durch den linearen Zusammenhang v� als x-Achsenabschnitt und C als Steigung ablesen

Page 73: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.4 Kinematik der Galaxis

59

Die Sonne bewegt sich also nach innen, nach oben, undschneller, als es einer Kreisbahn an ihrem Ort entspricht.Damit ist v� bestimmt, so dass gemessene Stern-geschwindigkeiten bzgl. des LSR analysiert werdenkönnen. Allerdings ist damit noch nicht V0 bestimmt,die Rotationsgeschwindigkeit des LSR selbst.

Geschwindigkeitsdispersion der Sterne. Bezogen aufden LSR kann man nun die Dispersion der Ge-schwindigkeit von Sternen messen, d. h. die mittlerequadratische Abweichung ihrer Geschwindigkeit vonder Bewegung des LSR. Diese stellt sich als klein her-aus für junge Sterne (z. B. A-Sterne), ist größer fürältere K-Riesen, und noch größer für alte, metallarmeRote Zwergsterne. Dazu gibt es eine sehr deutlicheGeschwindigkeits-Metallizitäts-Beziehung. Verknüpftman diese nun mit der Metallizitäts-Alters-Beziehung,so ergibt sich, dass die ältesten Sterne die größten Pe-kuliargeschwindigkeiten besitzen, und diese ist sichtbarin allen drei Koordinaten. Dieses Resultat ist in Über-einstimmung mit dem in Abschn. 2.3.2 diskutiertenZusammenhang zwischen dem Alter von Sternpo-pulationen und deren Skalenhöhen, die ja mit derGeschwindigkeitsdispersion σz verknüpft ist.

Asymmetrischer Drift. Betrachtet man Hochge-schwindigkeitssterne, so gibt es kaum welche mitv > 65 km/s, die also sehr viel schneller um das GC lau-

Abb. 2.15. Die Bewegung der Sonne umdas Galaktische Zentrum spiegelt sich imAsymmetrischen Drift wider: Währendjunge Sterne unserer Sonnenumgebungähnliche Geschwindigkeiten, d. h. kleineRelativgeschwindigkeiten besitzen, habendie Mitglieder anderer Populationen (undanderer Milchstraßen-Komponenten) an-dere Geschwindigkeiten – für Halo-Objektez. B. v = −220 km/s. Dadurch ergeben sichverschiedene Geschwindigkeitsellipsen ineinem (u-v)-Diagramm

fen als der LSR, aber solche mit v < −250 km/s, derenBahngeschwindigkeit dem Rotationssinn des LSR ent-gegengesetzt ist. Aufgetragen in einem (u-v)-Diagrammergibt sich eine Verteilung, die für junge Sterne engum u = 0 = v konzentriert ist, wie bereits oben be-schrieben, und für ältere Sterne immer breiter wird.Für die ältesten Sterne, die der Halopopulation ange-hören, ergibt sich eine kreisförmige Einhüllende, derenMittelpunkt bei u = 0 und v ≈ −220 km/s liegt (sieheAbb. 2.15). Nimmt man nun an, dass der GalaktischeHalo, zu dem diese Hochgeschwindigkeitssterne gehö-ren, nicht (oder nur sehr langsam) rotiert, dann ist dieAsymmetrie der v-Verteilung allein auf die Rotation desLSR zurückzuführen, der Mittelpunkt der Einhüllendenist dann also gerade bei −V0. Daraus erhält man für dieBahngeschwindigkeit des LSR

V0 ≡ V(R0) = 220 km/s . (2.53)

Mit dieser Geschwindigkeit kann man dann die Masseder Galaxis innerhalb des Orbits der Sonne berechnen.Die Bedingung für eine Kreisbahn ist das Gleichgewichtzwischen der Zentrifugalbeschleunigung und der gra-vitativen Beschleunigung, V 2/R = G M(< R)/R2, sodass

M(< R0) = V 20 R0

G= 8.8×1010 M� . (2.54)

Page 74: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

60

2. Die Galaxis als Galaxie

Weiterhin ergibt sich für die Umlaufzeit der Sonne(genauer, des LSR) um die Galaxis

P = 2πR0

V0= 230×106 yr . (2.55)

2.4.2 Die Rotationskurve der Galaxis

Aus Beobachtungen der Geschwindigkeit von Sternenoder Gas um das GC lässt sich die Rotationsgeschwin-digkeit V als Funktion des Abstands R vom GCbestimmen. In diesem Abschnitt beschreiben wir dieMethodik, mit der diese Rotationskurve V(R) bestimmtwird und diskutieren das Resultat.

Dazu betrachten wir ein Objekt im Abstand R vomGC auf einem kreisförmigen Orbit in der GalaktischenEbene, das von der Sonne den Abstand D hat und sichbei der Galaktischen Länge � befindet (siehe Abb. 2.16).In kartesischen Koordinaten mit Ursprung im GC fin-det man für dessen Orts- und Geschwindigkeitsvektor(hier werden nur die zwei Komponenten in der Galakti-schen Ebene betrachtet, da die Bewegung in der Scheibevorausgesetzt wird)

r = R

(sin θ

cos θ

), V = r = V(R)

(cos θ

− sin θ

),

wobei θ den Winkel zwischen der Sonne und dem Ob-jekt bezeichnet, wie er vom GC aus gesehen wird.Andererseits folgt aus Abb. 2.16, dass

r =(

D sin �

R0 − D cos �

).

Setzt man nun die beiden Ausdrücke für r komponen-tenweise gleich, ergibt sich

sin θ = (D/R) sin � ,

cos θ = (R0/R)− (D/R) cos � .

Vernachlässigen wir den Unterschied zwischen denGeschwindigkeiten der Sonne und des LSR, dannist V� ≈ VLSR = (V0, 0) in diesem Koordinatensystem.Daher ist die Relativgeschwindigkeit zwischen dembetrachteten Objekt und der Sonne in kartesischen

Koordinaten

ΔV = V − V�

=(

V (R0/R)− V (D/R) cos �− V0

−V (D/R) sin �

).

Abb. 2.16. Geometrische Herleitung zum Formalismus derdifferentiellen Rotation:

vr = v∗r −v�

r = v∗ sin �∗ −v� sin � ,

vt = v∗t −v�

t = v∗ cos �∗ −v� cos � .

Es gilt:

R sin θ = D sin � ,

R cos θ + D cos � = R0 .

Daraus folgt:

vr = R0

(v∗R

− v�R0

)sin �

= (Ω −Ω0)R0 sin � ,

vt = R0

(v∗R

− v�R0

)cos �− D

v∗R

= (Ω −Ω0)R0 cos �−ΩD .

Page 75: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.4 Kinematik der Galaxis

61

Mit der Definition der Winkelgeschwindigkeit

Ω(R) = V(R)

R(2.56)

erhält man für die Relativgeschwindigkeit

ΔV =(

R0(Ω −Ω0)−Ω D cos �

−D Ω sin �

),

wobei Ω0 = V0/R0 die Winkelgeschwindigkeit derSonne ist. Die Radial- und Tangentialgeschwindigkeitdieser Relativbewegung ergibt sich nun durch Projek-tion von ΔV auf die Richtung parallel bzw. senkrechtzum Abstandsvektor,

vr = ΔV ·(

sin �

− cos �

)= (Ω −Ω0)R0 sin � ,

(2.57)

vt = ΔV ·(

cos �

sin �

)= (Ω −Ω0)R0 cos �−Ω D .

(2.58)

Eine rein geometrische Herleitung dieser Beziehungenwird in der Abb. 2.16 gegeben.

Rotationskurve naheR0, Oortsche Konstanten. Mitder Gleichung (2.57) lässt sich durch Messung von vr dieWinkelgeschwindigkeit Ω bestimmen, nicht aber derAbstand R, zu dem sie gehört, so dass Ω(R) durch Ra-dialgeschwindigkeitsmessungen alleine nicht bestimmtwerden kann. Kann man jedoch vr und zusätzlich die Ei-genbewegung μ = vt/D von Sternen messen, so ist mitden obigen Gleichungen Ω und D bestimmt, und aus D

und � ergibt sich R =√

R20 + D2 −2R0 D cos �. Wegen

der Extinktion kann diese Methode nicht bei großen Dangewandt werden, denn wir nehmen ja an, dass wir inder Scheibe messen. Für kleine Abstände D R0, wasauch impliziert |R − R0| R0, kann man eine lokaleBetrachtung durchführen, in der wir die obigen Glei-chungen nur bis zur erster Ordnung in (R − R0)/R0

betrachten. In dieser linearen Näherung gilt

Ω −Ω0 ≈(

dR

)|R0

(R − R0) , (2.59)

wobei die Ableitung an der Stelle R = R0 auszuwertenist. Daher wird

vr = (R − R0)

(dΩ

dR

)|R0

R0 sin � ,

und weiterhin ist, mit (2.56),

R0

(dΩ

dR

)|R0

= R0

R

[(dV

dR

)|R0

− V

R

]

≈(

dV

dR

)|R0

− V0

R0,

in nullter Ordnung in (R − R0)/R0. Aus der Kombina-tion der beiden letzten Gleichungen folgt dann

vr =[(

dV

dR

)|R0

− V0

R0

](R − R0) sin � ; (2.60)

analog dazu erhält man

vt =[(

dV

dR

)|R0

− V0

R0

](R − R0) cos �−Ω0 D .

(2.61)

Für |R − R0| R0 folgt, dass R0 − R ≈ D cos �; setztman dies in (2.60) und (2.61) ein, so erhält man

vr ≈ A D sin 2� , vt ≈ A D cos 2�+ B D ,

(2.62)

mit den Oortschen Konstanten

A := −1

2

[(dV

dR

)|R0

− V0

R0

],

B := −1

2

[(dV

dR

)|R0

+ V0

R0

]. (2.63)

Das Radial- und Tangentialgeschwindigkeitsfeld relativzur Sonne weist also eine Sinus-Kurve mit Periode π

auf, wobei vt und vr um π/4 phasenverschoben sind.Dieses Verhalten des Geschwindigkeitsfeldes in derSonnenumgebung wird in der Tat gemessen (sieheAbb. 2.17). Aus dem Fit an die Daten für vr(�), vt(�)

bei Sternen gleicher Entfernung D können also A und Bbestimmt werden, und damit auch

Ω0 = V0

R0= A − B ,

(dV

dR

)|R0

= −(A + B) .

(2.64)

Page 76: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

62

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.17. Die Radialgeschwindigkeit vr ist bei festerEntfernung D von Sternen proportional zu sin 2�; die Tangen-tialgeschwindigkeit vt ist eine lineare Funktion von cos 2�.Aus die Amplitude der Oszillationen lässt sich die OortscheKonstante A bestimmen, und aus dem Mittelwert von vt erhältman B (siehe Gl. (2.62))

Aus den Oortschen Konstanten folgt also die Winkel-geschwindigkeit der Sonnenbahn und deren Ableitung,also die lokale kinematische Information. Würde unsereGalaxis starr rotieren, so dass Ω vom Radius unab-hängig wäre, so folgte A = 0. Allerdings rotiert dieMilchstraße differentiell, d. h. die Winkelgeschwindig-keit hängt vom Radius ab. Für A und B ergeben dieMessungen

A = (14.8±0.8) km s−1 kpc−1 ,

B = (−12.4±0.6) km s−1 kpc−1 . (2.65)

Rotationskurve der Galaxis fürR<R0; Tangential-punktmethode. Um die Rotationskurve für Radienzu messen, die deutlich kleiner sind als R0, mussman wegen der Extinktion in der Scheibe zu großenWellenlängen übergehen. Man benutzt dazu die 21 cm-Emissionslinie des neutralen Wasserstoffs, die man übersehr große Entfernungen beobachten kann, oder dieEmission von CO im molekularen Gas. Diese Gas-komponenten sind in der Scheibe weit verbreitet unddabei auch stark zur Ebene hin konzentriert. Weiterhinist die Radialgeschwindigkeit aufgrund des Doppler-Effekts leicht zu messen. Da man aber die Entfernungeiner Wasserstoffwolke nicht direkt bestimmen kann,benötigt man eine Methode, um gemessene Radialge-

schwindigkeiten mit der Entfernung des Gases vomGalaktischen Zentrum zu verknüpfen. Dazu wird dieTangentialpunktmethode benutzt.

Betrachten wir einen Sehstrahl bei fester Galakti-scher Länge �, mit cos � > 0 (also ,,nach innen“), dannist die Radialgeschwindigkeit vr entlang dieses Seh-strahls eine Funktion des Abstands D, entsprechend(2.57). Falls Ω(R) eine monoton fallende Funktion ist,erreicht vr ein Maximum, wenn der Sehstrahl tangentialan der lokalen Kreisbahn verläuft und daher seine Ent-fernung R vom GC das Minimum Rmin annimmt. Diesist der Fall (siehe Abb. 2.18) bei

D = R0 cos � , Rmin = R0 sin � . (2.66)

Die maximale Radialgeschwindigkeit ist dort, entspre-chend (2.57),

vr,max = [Ω(Rmin)−Ω0] R0 sin �

= V(Rmin)− V0 sin � , (2.67)

so dass man aus dem gemessenen Wert vr,max als Funk-tion der Richtung � die Rotationskurve innerhalb vonR0 bestimmen kann,

V(R) =(

R

R0

)V0 +vr,max(sin � = R/R0) . (2.68)

Im optischen Spektralbereich ist diese Methode we-gen der Extinktion nur lokal anwendbar, also nur fürkleine D. Dies ist der Fall, wenn man beinahe tan-gential an die Bahnkurve der Sonne beobachtet, alsowenn 0 < π/2− � 1 oder 0 < �−3π/2 1, oder| sin �| ≈ 1, so dass R0 − Rmin R0. Dann gilt in ersterOrdnung in (R0 − Rmin), mit (2.66),

V(Rmin) ≈ V0 +(

dV

dR

)|R0

(Rmin − R0)

= V0 −(

dV

dR

)|R0

R0 (1− sin �) , (2.69)

so dass mit (2.67)

vr,max =[

V0 −(

dV

dR

)|R0

R0

](1− sin �)

= 2 A R0 (1− sin �) ,

(2.70)

Page 77: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

2.4 Kinematik der Galaxis

63

Abb. 2.18. Das ISM ist für 21 cm-Strahlungoptisch dünn, dadurch können wir die21 cm-Emission von HI-Gebieten aus dergesamten Galaxis empfangen. Durch dieBewegung einer HI-Wolke relativ zu unswird die Wellenlänge verschoben, wodurchman die Radialgeschwindigkeit einer Wolkedurch die Linienverschiebung bestimmenkann. Unter der Annahme, dass sich das Gasder Galaxis auf Kreisbahnen um das Galak-tische Zentrum bewegt, ist zu erwarten, dassfür die Wolke im Tangentialpunkt (Wolke 4)deren gesamte Geschwindigkeit auf die Ra-dialgeschwindigkeit projiziert wird und dassdiese zugleich die größte Radialgeschwin-digkeit aufweist. Ist die Entfernung derSonne zum Galaktischen Zentrum bekannt,können somit die Geschwindigkeit einerWolke und ihr Abstand zum GalaktischenZentrum bestimmt werden

wobei im letzten Schritt (2.63) benutzt wurde. Diese Re-lation kann ebenfalls für die Bestimmung der OortschenKonstanten A benutzt werden.

Um V(R) für kleinere R mit Hilfe der Tangenti-alpunktmethode zu bestimmen, muss man in Wellen-längenbereichen beobachten, in denen die GalaktischeScheibe transparent ist, also Radio-Emissionslinien vonGas. In Abb. 2.18 ist ein typisches Intensitätsprofilder 21 cm-Linie entlang eines Sehstrahls skizziert; ent-sprechend des Doppler-Effekts kann dies direkt in ein

Abb. 2.19. Emission des 12CO Gases in derGalaktischen Scheibe. Für jedes � ist hier,integriert über den Bereich −2◦ ≤ b ≤ 2(also sehr nahe an der Scheibenmitte), dieIntensität der Emission in der �−vr-Ebeneaufgetragen. Da vr von der Entfernung ent-lang des jeweiligen Sichtstrahls abhängigist, enthält dieses Diagramm Informationüber die Rotationskurve der Galaxis, sowieüber die räumliche Verteilung des Gases.Die maximale Geschwindigkeit bei jedem� ist recht gut definiert und bildet die Basisfür die Tangentialpunktmethode

Geschwindigkeitsprofil vr = (λ−λ0)/λ0 umgerechnetwerden. Es besteht aus mehreren Maxima, die voneinzelnen Gaswolken stammen. Die Radialgeschwin-digkeit jeder Wolke ist durch die Entfernung R derWolke zum Galaktischen Zentrum bestimmt (solangedas Gas der Galaktischen Rotation folgt), so dass diegrößte Radialgeschwindigkeit von Gas nahe dem Tan-gentialpunkt auftritt und mit vr,max(�) identifiziert wird.Die Abb. 2.19 zeigt das beobachtete Intensitätsprofil der12CO-Linie als Funktion der Galaktischen Länge, aus

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64

2. Die Galaxis als Galaxie

dem die Rotationskurve für R < R0 abgelesen werdenkann.

Mit der Tangentialpunktmethode, angewandt aufdie 21 cm-Linie des neutralen Wasserstoffs oderauf Radio-Emissionslinien von Molekülen, kannman die Rotationskurve der Galaxis innerhalb derSonnenbahn, R < R0, vermessen!

Rotationskurve für R>R0. Die Tangentialpunkt-methode funktioniert nicht für R > R0, weil fürSichtstrahlen mit π/2 < � < 3π/2 die Radialgeschwin-digkeit vr kein Maximum annimmt, denn der Sehstrahlist ja auch nirgendwo parallel zur jeweiligen Tangentean die Galaktische Kreisbahn.

Die Vermessung von V(R) für R > R0 erfordert vr-Messungen von solchen Objekten, deren Entfernungman direkt bestimmen kann, z. B. Cepheiden, für dieman die Perioden-Leuchtkraft-Relation (Abschn. 2.2.7)benutzt, oder O- und B-Sterne in HII-Regionen. Aus� und D kann dann R berechnet und Ω(R) bzw. V(R)

mit (2.57) bestimmt werden. Jedes Objekt mit bekann-tem D und vr liefert dadurch einen Messpunkt für dieGalaktische Rotationskurve.

Es stellt sich heraus, dass die Rotationskurve fürR > R0 nicht nach außen hin abfällt (siehe Abb. 2.20),wie man erwarten würde, da die Stern- und Gas-dichte der Galaxis nach außen hin exponentiell abfällt

Abb. 2.20. Rotationskurve der Milchstraße.Innerhalb des ,,solar circle“, also beiR < R0, kann die Radialgeschwindigkeitrecht genau mit der Tangentialpunktme-thode bestimmt werden; die Messungenaußerhalb sind mit größeren Fehlernbehaftet

– siehe z. B. (2.34). Dieser steile radiale Abfall dersichtbaren Materie der Milchstraße impliziert eigent-lich, dass M(R), die Masse innerhalb von R, für R > R0

beinahe konstant ist, weshalb ein Keplerscher Abfallder Geschwindigkeit V ∝ R−1/2 folgen sollte. Dies istaber nicht der Fall; V(R) ist praktisch konstant fürR > R0, was darauf hindeutet, dass M(R) ∝ R ! Umeine konstante Rotationsgeschwindigkeit der Galaxiszu erhalten, muss es deshalb mehr Materie geben, alswir in Gas und Sternen beobachten.

Die Milchstraße enthält neben Sternen und Gasnoch eine weitere Materiekomponente, die dieMasse für R� R0 dominiert, die aber (bisher) nichtdirekt beobachtet wurde. Ihre Anwesenheit ist al-lein aufgrund ihrer gravitativen Wirkung bekannt –sie wird daher als Dunkle Materie bezeichnet.

In Abschn. 3.3.3 werden wir sehen, dass dies einganz allgemeines Phänomen ist: Die Rotationskurvenvon Spiralgalaxien sind flach für große Radien, bis hinzu dem maximalen Radius, wo sie beobachtet werdenkönnen: Spiralgalaxien enthalten Dunkle Materie.

Die Natur der Dunklen Materie ist bislang un-bekannt; grundsätzlich kann man zwischen zweiverschiedenen Modellen für die Dunkle Materie un-terscheiden: (1) Astrophysikalische Dunkle Materie,bestehend aus kompakten Objekten – z. B. sehr mas-searme (und daher leuchtschwache) Sterne, wie etwa

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

65

Weiße Zwerge, Braune Zwerge, Schwarze Löcher, usw.Solche Objekte haben den Namen MACHOs erhal-ten, der für ,,MAssive Compact Halo Objects“ steht.(2) Teilchenphysikalische Dunkle Materie, bestehendaus bislang unbekannten Elementarteilchen. Obwohlder Ursprung der astrophysikalischen Dunklen Mate-rie nur schwer zu verstehen wäre (nicht zuletzt wegender Baryonenhäufigkeit im Universum – siehe Ab-schn. 4.4.4 – oder der Metallizität des ISM), wäre einedirekte Unterscheidung zwischen beiden Möglichkeitendurch Beobachtungen äußerst interessant. Im nächstenAbschnitt werden wir eine Methode beschreiben, mitder untersucht werden kann, ob die Dunkle Materie inunserer Galaxis aus MACHOs besteht.

2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt:Suche nach kompakter DunklerMaterie

Bohdan Paczynski schlug 1986 vor, die möglicheAnwesenheit von MACHOs durch Mikrolinsenexpe-rimente zu überprüfen. Wie wir gleich sehen werden,war das damals eine verwegene Idee, die allerdingsinzwischen realisiert worden ist. In diesem Abschnittwerden wir insbesondere die Resultate dieser Suchennach MACHOs zusammenfassen und diskutieren. Wirbeginnen mit einer Beschreibung des Gravitationslin-seneffekts und wenden ihn dann speziell auf die Suchenach MACHOs an.

2.5.1 Der Gravitationslinseneffekt I

Der Einsteinsche Ablenkwinkel. Licht wird, wie auchmassive Teilchen, in einem Gravitationsfeld abgelenkt.Dies ist eine der spezifischen Vorhersagen der Einstein-schen Allgemeinen Relativitätstheorie. Quantitativ sagtsie vorher, dass ein Lichtstrahl, der im Abstand ξ aneiner Punktmasse M vorbeiläuft, um einen Winkel α

abgelenkt wird, der sich aus

α = 4 G M

c2 ξ(2.71)

ergibt, solange α 1 gilt, was für den Fall schwacherGravitationsfelder gewährleistet ist. Setzt man nun M =

M�, R = R� in die obige Relation ein, so ergibt sichfür die Lichtablenkung am Sonnenrand

α� ≈ 1′′. 74 .

Während einer Sonnenfinsternis ist diese Lichtablen-kung im Jahre 1919 gemessen worden, als Verschiebungder scheinbaren Positionen von Sternen nahe der (abge-dunkelten) Sonnenscheibe. Die Übereinstimmung mitdem von Einstein vorhergesagten Wert machte ihn ,,überNacht“ weltberühmt, denn dies stellte die AllgemeineRelativitätstheorie vor ihre erste ernste Prüfung. Ob-wohl damals die Genauigkeit des Messwertes nur etwa∼ 30% betrug, reichte dies zur Bestätigung der Ein-steinschen Theorie aus. Bis heute ist die Vorhersage(2.71) mit etwa 0.1% Genauigkeit gemessen und dieEinsteinsche Vorhersage bestätigt worden.

Bald danach wurde die folgende Überlegung ange-stellt: Wenn die gravitative Lichtablenkung stark genugist, würde das Licht einer weit entfernten Quelle an zweiPositionen des Himmels sichtbar sein – ein Lichtstrahlgeht ,,rechts“, der andere ,,links“ an einer zwischender Quelle und uns befindlichen Massenkonzentrationvorbei, wie dies in Abb. 2.21 skizziert ist. Man nenntdie astrophysikalischen Konsequenzen der gravitati-ven Lichtablenkung auch Gravitationslinseneffekt. ImLaufe dieses Buchs werden wir verschiedene Aspektedes Linseneffekts diskutieren und astrophysikalischeAnwendungen besprechen.

Die Sonne kann natürlich keine Mehrfachbilderweitentfernter Quellen erzeugen, da der maximale Ab-lenkwinkel α� sehr viel kleiner ist als der Winkelradiusder Sonne, so dass zwei Lichtstrahlen, die ,,rechts“und ,,links“ am Sonnenrand vorbeilaufen, durch Licht-ablenkung nicht zur Konvergenz am Ort der Erdegebracht werden können. Die Sonne ist uns zu nahebzw. zu groß, um Mehrfachbilder zu liefern. Die Licht-ablenkung durch weiter entfernte Sterne (oder anderemassive Himmelskörper) kann jedoch zur Bildung vonMehrfachbildern dahinter liegender Quellen führen.

Linsengeometrie. Die Geometrie eines Gravitations-linsensystems ist in Abb. 2.22 dargestellt. Dabei werdenLichtstrahlen von einer Quelle im Abstand Ds (,,s“:source) betrachtet, die im Abstand ξ an einer Massen-konzentration (Linse, lens oder deflector) vorbeilaufen.Der Deflektor habe den Abstand Dd von uns. In

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66

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.21. Skizze eines Gravitationslinsensystems: Befindetsich zwischen uns und einer weit entfernten Quelle eine genü-gend massereiche Massenkonzentration, so kann es passieren,dass wir diese Quelle an zwei verschiedenen Positionen derSphäre sehen

Abb. 2.22 bezeichnet η die wahre, zwei-dimensionalePosition der Quelle in der Quellenebene und β die wahreWinkelposition der Quelle, also die Winkelposition, ander sie ohne den Effekt der Lichtablenkung sichtbarwäre,

β = η

Ds. (2.72)

Die Position des Lichtstrahls in der Linsenebenewird mit ξ bezeichnet, und θ ist die entsprechendeWinkelposition,

θ = ξ

Dd. (2.73)

Also ist θ die beobachtete Position der Quelle ander Sphäre, relativ zur Position des ,,Zentrums“ derLinse (= Ursprung des Koordinatensystems, ξ = 0).Dds ist der Abstand der Quellenebene von der Linsen-ebene. Solange die auftretenden Abstände sehr vielkleiner sind als der ,,Radius des Universums“ c/H0,

Abb. 2.22. Geometrie einer Gravitationslinse: Eine Quellebefinde sich im Abstand Ds von uns, eine Massenkonzent-ration im Abstand Dd. Man definiert sich eine ,,optischeAchse“, die den Beobachter und das ,,Zentrum“ der Mas-senkonzentration verbindet; in der Verlängerung dieser Achsebetrachten wir den Schnittpunkt mit der sog. Quellenebene,eine Ebene senkrecht zur optischen Achse im Abstand derQuelle; entsprechend ist die Linsenebene die Ebene senkrechtzur Sichtlinie zur Massenkonzentration im Abstand Dd vonuns. Die Schnittpunkte der optischen Achse mit den Ebenenwerden als Ursprung derer Koordinatensysteme gewählt. DieQuelle befinde sich am Punkte η in der Quellenebene; einLichtstrahl, der mit der optischen Achse einen Winkel θ ein-schließt, trifft die Linsenebene im Punkt ξ , und wird um denWinkel α(ξ) abgelenkt. All dies sind zwei-dimensionale Vek-toren. Die Bedingung, dass wir die Quelle in der Richtungθ beobachten, ist durch die Linsengleichung (2.74) gegeben,die aus dem Strahlensatz folgt

gilt Dds = Ds − Dd, und dies ist sicherlich für Anwen-dungen in unserer Galaxis und der Lokalen Gruppe derFall. Für kosmologisch weit entfernte Quellen und Lin-sen gilt dies jedoch nicht mehr; wir werden darauf inAbschn. 4.3.3 zurückkommen.

Linsengleichung. Aus der Abbildung kann man dieBedingung ablesen, dass ein Lichtstrahl von der Quelleuns aus der Richtung θ (oder aus ξ) erreicht,

η = Ds

Ddξ − Ddsα(ξ) , (2.74)

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

67

oder, nach Division durch Ds und Verwendung von(2.72) und (2.73):

β = θ − Dds

Dsα(Ddθ) . (2.75)

Wegen des auftretenden Vorfaktors definiert manzweckmäßigerweise den reduzierten Ablenkwinkel

α(θ) := Dds

Dsα(Ddθ) , (2.76)

so dass die Linsengleichung (2.75) die einfache Form

β = θ −α(θ) (2.77)

annimmt. Der Ablenkwinkel α(θ) hängt von der Mas-senverteilung des Deflektors ab. In Abschn. 3.8 werdenwir den Zusammenhang zwischen dem Ablenkwin-kel und der Dichteverteilung einer allgemeinen Linsebetrachten. Hier konzentrieren wir uns zunächst aufPunktmassen, was in den meisten Fällen eine guteNäherung für den Linseneffekt an Sternen darstellt.

Für eine Punktmasse gilt – siehe (2.71) –

|α(θ)| = Dds

Ds

4 G M

c2 Dd |θ| ,

oder, wenn wir die Richtung der Ablenkung be-rücksichtigen (der Ablenkwinkel zeigt immer hin zurPunktmasse),

α(θ) = 4 G M

c2

Dds

Ds Dd

θ

|θ|2 . (2.78)

Mehrfachbilder einer Quelle treten dann auf, wenn dieLinsengleichung (2.77) für eine (wahre) Quellpositionβ mehrere Lösungen θi besitzt – in diesem Fall siehtman die Quelle an den Positionen θi an der Sphäre.

Explizite Lösung der Linsengleichung für einePunktmasse. Die Linsengleichung für eine Punktmasseist einfach genug, dass sie analytisch gelöst werden kann– d. h. für jede Quellposition β können die entsprechen-den Bildpositionen θi ermittelt werden. Definieren wirden so genannten Einsteinwinkel der Linse,

θE :=√

4 G M

c2

Dds

Ds Dd, (2.79)

dann kann die Linsengleichung (2.77) für diePunktmassen-Linse mit dem Ablenkwinkel (2.78)geschrieben werden als

β = θ − θ2E

θ

|θ|2 .

Offensichtlich ist θE ein charakteristischer Winkel indieser Gleichung, so dass man zweckmäßigerweiseskaliert

y := β

θE; x := θ

θE.

Dadurch vereinfacht sich die Linsengleichung zu

y = x− x|x|2 . (2.80)

Die Lösungen dieser (nach Multiplikation mit xquadratischen) Gleichung sind

x = 1

2

(|y|±

√4+|y|2

) y|y| . (2.81)

Anhand dieser Lösung der Linsengleichung kann mansofort eine Reihe von Schlüssen ziehen:

• Für jede Quellposition y besitzt die Linsengleichungfür eine Punktmassen-Linse zwei Lösungen – jedeQuelle wird (jedenfalls formal) doppelt abgebildet.Dies liegt an der Divergenz des Ablenkwinkels fürθ → 0. Diese Divergenz tritt in Wirklichkeit nichtauf wegen der Endlichkeit der geometrischen Aus-dehnung der Linse (z. B. der Sternradius), dennselbstverständlich sind die Lösungen nur dann phy-sikalisch relevant, wenn ξ = DdθE|x| größer als derSternradius ist. Es sei nochmals darauf hingewiesen,dass wir den Fall von starken Gravitationsfeldernexplizit ausschließen, wie etwa die Lichtablenkungan einem Schwarzen Loch oder einem Neutronen-stern, für die die Gleichung für den Ablenkwinkelmodifiziert werden muss.

• Die beiden Bilder xi sind kollinear mit der Linse undder Quelle. Mit anderen Worten, Beobachter, Linseund Quelle definieren eine Ebene, und Lichtstrahlenvon der Quelle, die den Beobachter erreichen, liegenebenfalls in dieser Ebene. Eines der beiden Bilderbefindet sich auf der gleichen Seite der Linse wie dieQuelle (x · y > 0), das zweite Bild liegt auf der an-

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68

2. Die Galaxis als Galaxie

deren Seite – wie in der Abb. 2.21 bereits angedeutetist.

• Falls y = 0, die Quelle sich also genau hinter derLinse befindet, so ist der gesamte Kreis |x| = 1 oder|θ| = θE Lösung der Linsengleichung (2.80) – dieQuelle erscheint dann als ringförmiges Bild. In die-sem Fall wird durch Quelle, Linse und Beobachterkeine Ebene mehr definiert, und das Problem wirdvollständig axial-symmetrisch. Ein solches kreis-förmiges Bild heißt Einstein-Ring. In der Tat sindringförmige Bilder beobachtet worden, worüber wirmehr in Abschn. 3.8.3 berichten werden.

• Der Winkel-Durchmesser dieses Rings ist dann 2θE.Aus der Lösung (2.81) kann man leicht erkennen,dass der Abstand der beiden Bilder in etwa Δx =|x1 − x2|� 2 beträgt (solange |y|� 1), also

Δθ � 2θE ;der Einstein-Winkel gibt daher den charakteristi-schen Bildabstand an. Situationen, in denen |y| � 1und daher der Winkelabstand deutlich größer als 2θE

ist, sind astrophysikalisch wenig relevant, wie weiterunten gezeigt wird.

Verstärkungseffekt. Lichtbündel werden nicht nurals Ganzes abgelenkt, sondern unterliegen auch derdifferentiellen Ablenkung. Beispielsweise werden dieStrahlen eines Lichtbündels, die sich näher an der Linsebefinden, stärker abgelenkt als Strahlen auf der anderenSeite des Bündels. Die differentielle Lichtablenkung istein Effekt des Gezeitenanteils des Ablenkwinkels undist in Abb. 2.23 skizziert. Durch die differentielle Ab-lenkung ändert sich der Raumwinkel, unter dem man dieQuelle sieht. Sei ωs der Raumwinkel, unter dem man dieQuelle sehen würde, wenn keine Linse vorhanden wäre,und ω der Raumwinkel, unter dem man ein Bild derQuelle tatsächlich sieht. Da die gravitative Lichtablen-kung nicht mit Emission oder Absorption von Strahlungverbunden ist, bleibt die Flächenhelligkeit (oder spezifi-sche Intensität) erhalten. Nun ist der Fluss einer Quellegegeben als Produkt aus der Flächenhelligkeit und demRaumwinkel. Weil der erstere dieser beiden Faktorendurch die Lichtablenkung nicht modifiziert wird, derRaumwinkel aber sehr wohl, ändert sich der beobach-tete Fluss einer Quelle. Sei S0 der Fluss der ungelinstenQuelle und S der Fluss eines Bildes der Quelle, dann

Abb. 2.23. Lichtbündel werden differentiell abgelenkt; da-durch verändert sich die Querschnittsfläche der Lichtbündel.Die Folge davon ist, dass der Raumwinkel, unter dem maneine Quelle beobachtet, durch die gravitative Lichtablenkungmodifiziert wird. In dem hier dargestellten Beispiel ist der be-obachtete Raumwinkel AI/D2

d größer als der, unter dem mandie ungelinste Quelle beobachten würde, AS/D2

s – das Bildder Quelle wäre also verstärkt

beschreibt

μ := S

S0= ω

ωs(2.82)

die Flussänderung, die also durch eine Vergrößerung(oder Verkleinerung) des Bildes einer Quelle hervor-gerufen wird. Man nennt diesen Effekt deshalb imEnglischen magnification, während er im Deutschentrotzdem als Verstärkungseffekt bezeichnet wird.

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

69

Für Quellen und Bilder, die sehr viel klei-ner sind als die charakteristische Skala der Linse,ist der Verstärkungsfaktor μ durch die differenti-elle Flächenverzerrung der Linsenabbildung (2.77)gegeben,

μ =∣∣∣∣det

(∂β

∂θ

)∣∣∣∣−1

≡∣∣∣∣det

(∂βi

∂θ j

)∣∣∣∣−1

, (2.83)

d. h. für kleine Quellen wird die Flächenverzerrung derLinsenabbildung durch die Determinante der lokalenJacobi-Matrix beschrieben.

Die Verstärkung kann so für jedes einzelne Bild derQuelle berechnet werden, und die totale Verstärkung ei-ner Quelle, die sich als Verhältnis der Summe der Flüsseder einzelnen Bilder und dem Fluss der ungelinstenQuelle ergibt, ist die Summe der Verstärkungsfaktorender einzelnen Bilder. Für eine Punktmassen-Linse er-geben sich die Verstärkungsfaktoren der beiden Bilder(2.81) zu

μ± = 1

4

(y√

y2 +4+√

y2 +4

y±2

). (2.84)

Daraus folgt, dass für das ,,+“-Bild μ+ > 1 für alleQuellpositionen y = |y|, während das ,,−“-Bild sowohlverstärkt als auch abgeschwächt sein kann, abhän-gig von y. Die Vergrößerung der beiden Bilder istin Abb. 2.24 dargestellt, während die Abb. 2.25 dieseVergrößerung für mehrere unterschiedliche Quellpo-sitionen y zeigt. Für y � 1 ist μ+ � 1 und μ− ∼ 0,woraus folgt: Falls Quelle und Linse nicht genügend gutausgerichtet sind, ist das sekundäre Bild sehr stark ab-geschwächt und das primäre Bild beinahe unverstärkt.Aus diesem Grunde sind solche Situationen mit y � 1

Abb. 2.25. Abbildung einer kreisförmigenQuelle mit radialem Helligkeitsprofil – hierdurch Farben dargestellt – für verschiedenerelative Positionen von Linse und Quelle.Von links nach rechts nimmt y ab, im rechtenBild ist y = 0, und ein Einstein-Ring bildetsich

Abb. 2.24. Illustration der Linsenabbildung durch eine Punkt-masse M. Dargestellt ist die ungelinste Quelle S und die beidenBilder I1 und I2 der gelinsten Quelle. Man sieht, die beidenBilder nehmen einen anderen Raumwinkel ein als die ungel-inste Quelle und haben im Übrigen eine andere Form. Dergestrichelte Kreis stellt den Einstein-Radius der Linse dar

von geringer Relevanz, weil dann nur ein praktischunverstärktes Bild der Quelle zu beobachten ist.

Für y → 0 divergieren die beiden Verstärkungs-faktoren, μ± → ∞. Der Grund dafür ist ein reingeometrischer, da in diesem Fall aus einer 0-dimensionalen Punktquelle ein 1-dimensionales Bild,der Einstein-Ring, gebildet wird. Diese Divergenz istnatürlich unphysikalisch, denn unendliche Verstärkun-gen treten in Wirklichkeit nicht auf. Es gibt zweiGründe, weshalb die Verstärkungen auch im Fall y = 0endlich bleiben. Zum einen haben wirkliche Quelleneine endliche Ausdehnung, und für solche bleibt derVerstärkungsfaktor endlich. Zweitens, selbst wenn man

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70

2. Die Galaxis als Galaxie

eine Punktquelle vorliegen hätte, würden Welleneffektedes Lichtes (Interferenz) zu einem endlichen Wert von μ

führen. Die Gesamtverstärkung einer Punktquelle durcheine Punktmassen-Linse ergibt sich als Summe derVerstärkungen (2.84),

μ(y) = μ+ +μ− = y2 +2

y√

y2 +4. (2.85)

2.5.2 Galaktischer Mikrolinseneffekt

Nach diesen theoretischen Überlegungen kehren wirzurück zum Ausgangspunkt unserer Diskussion, inder der Linseneffekt als eine mögliche Diagnostik fürdie Dunkle Materie in unserer Milchstraße betrachtetwurde, falls diese aus kompakten Massenkonzentratio-nen wie etwa sehr leuchtschwachen Sternen bestehensollte.

Bildaufspaltung. Betrachten wir als Linse einen Sternin unserer Galaxis, so erhält man aus (2.79) denEinsteinwinkel

θE = 0.902 mas

(M

M�

)1/2 ( Dd

10 kpc

)−1/2

×(

1− Dd

Ds

)1/2

.

(2.86)

Da der Winkelabstand Δθ der beiden Bilder etwa2θE ist, betragen typische Winkelabstände in Lin-sensystemen mit Galaktischen Sternen etwa eineMillibogensekunde (milliarcsecond, mas); solche Win-kelabstände sind mit optischen Teleskopen zur Zeit(noch) nicht beobachtbar. Diese Einsicht ließ Einstein1936 erklären, dass der Linseneffekt zwar vorkomme,aber unbeobachtbar sei.8

Verstärkung. Bohdan Paczynski stellte 1986 fest, dassdie Bildaufspaltung zwar unbeobachtbar sei, aber der

8Der Begriff ,,Mikrolinse“ stammt aus der Winkelskala (2.86), die imZusammenhang mit dem Linseneffekt auf Quasare für kosmologischweit entfernte Linsen diskutiert wurde und für die sich Werte vonetwa eine Mikro-Bogensekunde ergeben.

Verstärkungseffekt durch die Linse messbar sein sollte.Dazu überlegt man zunächst, dass die absolute Verstär-kung nur dann beobachtbar ist, wenn der ungelinsteFluss der Quelle bekannt ist, und das ist er natürlich(für praktisch alle Quellen) nicht. Aber die Verstärkung– und damit der beobachtete Fluss – ändert sich zeit-lich durch die Relativbewegungen von Quelle, Linseund uns. Damit ist der Fluss eine Funktion der Zeit,hervorgerufen durch die zeitlich variable Verstärkung.

Charakteristische Zeitskala der Variation. Sei v einetypische transversale Geschwindigkeit der Linse, dannist die Winkelgeschwindigkeit der Linse, wenn wir dieQuelle und den Beobachter als ruhend betrachten,

θ = v

Dd= 4.22 mas yr−1

( v

200 km/s

)( Dd

10 kpc

)−1

.

(2.87)

Daraus ergibt sich als charakteristische Zeitskala für dieVariabilität

tE := θE

θ= 0.214 yr

(M

M�

)1/2 ( Dd

10 kpc

)1/2

×(

1− Dd

Ds

)1/2 ( v

200 km/s

)−1.

(2.88)

Diese Zeitskala ist von der Größenordnung einesMonats für Linsen mit M ∼ M� und typischen Galak-tischen Geschwindigkeiten, und daher ist dieser Effektim Prinzip messbar. Im allgemeinen Fall, wenn Quelle,Linse und Beobachter sich bewegen, ist v als effek-tive Geschwindigkeit zu verstehen. Man kann daheralternativ die Bewegung der Quelle in ihrer Quellebenebetrachten.

Lichtkurven. Zumeist kann die Relativbewegung alslinear betrachtet werden, so dass die Position der Quellein der Quellenebene geschrieben werden kann als

β = β0 + β(t − t0) .

Unter Benutzung der skalierten Position y = β/θE erhältman für y = |y|:

y(t) =√

p2 +(

t − tmax

tE

)2

, (2.89)

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

71

wobei p = ymin den minimalen Abstand von der op-tischen Achse angibt, tmax ist der Zeitpunkt, zu demy = p diesen minimalen Wert annimmt, also wenn dieVerstärkung μ = μ(p) = μmax maximal wird. Darausergibt sich mit (2.85) die Lichtkurve zu

S(t) = S0 μ(y(t)) = S0y2(t)+2

y(t)√

y2(t)+4. (2.90)

Beispiele solcher Lichtkurven sind in Abb. 2.26 dar-gestellt. Sie hängen nur von 4 Parametern ab: demFluss der ungelinsten Quelle S0, dem Zeitpunkt der ma-ximalen Verstärkung tmax, dem kleinsten Abstand derQuelle von der optischen Achse p, und der charak-teristischen Zeitskala tE. All diese Größen sind direktaus einer Lichtkurve messbar: tmax aus der Position desMaximums der Lichtkurve, S0 ist der Fluss, der sichfür große und kleine Zeiten ergibt, S0 = S(t → ±∞),oder S0 ≈ S(t) für |t − tmax| � tE; p ergibt sich aus demmaximalen Verstärkungsfaktor μmax = Smax/S0 durchUmkehrung von (2.85), und tE aus der Breite derLichtkurve.

Nur tE enthält astrophysikalisch relevante Informa-tion, denn der Zeitpunkt des Maximums, der ungelinsteFluss der Quelle und der minimale Abstand p gebenkeinerlei Auskunft über die Linse. Da tE ∝ √

M Dd/v,vereinigt diese Zeitskala Information über die Linsen-masse, die Abstände von Linse und Quelle und dietransversale Geschwindigkeit: Nur die KombinationtE ∝ √

M Dd/v ist aus den Lichtkurven messbar, nichtaber Masse, Abstand und Geschwindigkeit einzeln.

Die Idee von Paczynski lässt sich nun wie folgt for-mulieren: Wenn der Halo unserer Milchstraße (zumTeil) aus kompakten Objekten bestünde, so sollte eineentfernte kompakte Quelle von Zeit zu Zeit durch einesdieser MACHOs gelinst werden und daher charakteris-tische Flussveränderungen zeigen, die einer Lichtkurveähnlich der in Abb. 2.26 entsprechen. Die Anzahldichteder MACHOs ist proportional zur Wahrscheinlichkeitoder Häufigkeit der Linsenereignisse, die charakteristi-sche Masse der MACHOs proportional zum Quadrat dertypischen Variationszeitskala tE. Man muss also ,,nur“die Lichtkurven von genügend vielen Hintergrund-quellen vermessen und aus diesen Linsenereignisseherausfiltern, um Information über die Population mög-licher MACHOs im Halo zu gewinnen. Ein gegebenesHalomodell sagt die Dichteverteilung und die Vertei-

lung der Geschwindigkeiten der MACHOs vorher undkann so im Prinzip mit Beobachtungen statistisch ver-glichen werden. Allerdings stellt sich dabei das Problemder geringen Häufigkeit solcher Ereignisse.

Wahrscheinlichkeit eines Linsenereignisses. Manbetrachtet zweckmäßigerweise ein System vonVordergrund-Objekt und Hintergrund-Quelle als Lin-sensystem, wenn p < 1, und damit μmax > 3/

√5

≈ 1.34, d. h. wenn die relative Trajektorie der Quelledurch den Einsteinkreis der Linse läuft.

Wenn der Dunkle Halo der Milchstraße vollständigaus MACHOs bestehen würde, wäre die Wahrschein-lichkeit, eine weit entfernte Quelle gelinst zu sehen (imSinne |β| ≤ θE), etwa 10−7, wobei der genaue Wert vonder Sehrichtung abhängt. Zu jedem Zeitpunkt wäre da-her eine von ∼ 107 weit entfernten Quellen innerhalbdes Einstein-Radius eines MACHOs in unserem Halo.Daraus ergibt sich als unmittelbare Konsequenz, dassdie Lichtkurven von Millionen von Quellen beobach-tet werden müssen, damit dieser Effekt nachgewiesenwerden kann. Diese vielen Quellen müssen weiterhinin einem relativ kleinen Gebiet der Sphäre verteilt sein,so dass der gesamte Raumwinkel, den man regelmäßigphotometrieren muss, und damit auch die Beobach-tungszeit, überschaubar bleibt: viele solcher Quellensollten im Gesichtsfeld der verwendeten Kamera enthal-ten sein. Die Sterne der Magellanschen Wolken bietensich hierfür als Quellen an; diese stehen dicht an derSphäre, sind aber noch in Einzelsterne auflösbar.

Probleme und deren Lösung. Aus dieser Beobach-tungsstrategie ergeben sich direkt eine ganze Reihe vonProblemen, die bereits in der Arbeit von Paczynskiangesprochen wurden. Zum einen bedeutet die Photo-metrie so vieler Quellen über viele Epochen hinwegeine riesige Datenmenge, die es zu bewältigen gilt,sowohl hinsichtlich der Datenreduktion als auch derSpeicherung. Zweitens gibt es das Problem des ,,crow-dings“: Die Sterne der Magellanschen Wolken stehendicht am Himmel, so dass die Photometrie der ein-zelnen Sterne schwierig ist. Drittens besitzen Sterneauch eine intrinsische Variabilität – etwa 1% allerSterne zeigen Flussvariationen. Diese intrinsischen Va-riationen müssen unterschieden werden von denen,die durch den Linseneffekt hervorgerufen werden, undaufgrund deren geringer Häufigkeit ist das mit der Su-

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72

2. Die Galaxis als Galaxie

che nach der Nadel im Heuhaufen vergleichbar. Alsletzter Punkt sei hier noch erwähnt, dass man sichergehen muss, dass das Experiment auch tatsächlichempfindlich genug ist, um Linsenereignisse zu entde-cken. Ein ,,Kalibrationsexperiment“ wäre daher sehrwünschenswert.

Angesichts solcher Probleme schien es deshalb ver-wegen, konkret an die Realisierung eines solchenBeobachtungsprogramms zu denken. Allerdings kamein glücklicher Umstand zu Hilfe, nämlich die groß-artige Entspannung zwischen Ost und West Ende der1980er Jahre. Physiker und Astrophysiker, die zum

Abb. 2.26. Darstellung eines Galaktischen Mikrolinsen-Ereignisses: Im linken, oberen Bild bewegt sich eine Quelle(dargestellt durch die offenen Kreise) hinter einer Punktmas-senlinse; für jede Quellenposition ergeben sich zwei Bilderder Quelle, die jeweils durch die schwarzen Ellipsen darge-stellt sind. Die Identifikation des jeweiligen Bildpaares mit derQuellenposition ergibt sich aus der Tatsache, dass in der Pro-jektion die Quelle, die Linse und die beiden Bilder auf einerGeraden liegen, die für eine Quellenposition eingezeichnetist. Der gestrichelte Kreis stellt den Einstein-Ring dar. Im lin-ken, unteren Bild sind verschiedene Trajektorien der Quelledargestellt, die jeweils durch den kleinsten projizierten Ab-stand p von der Linse charakterisiert sind. Die sich bei diesenRelativbewegungen ergebenden Lichtkurven, die sich aus derGleichung (2.90) berechnen lassen, sind schließlich im Bildoben rechts dargestellt, für verschiedene Werte von p. Je klei-ner p, umso größer ist der maximale Verstärkungsfaktor, hierin Magnitudines gemessen

Teil mit Aufgaben der nationalen Sicherheit beschäftigtwaren, sahen nun die Möglichkeit, neuen Herausfor-derungen zu begegnen. Wissenschaftler in nationalenLaboratorien hatten darüber hinaus auch Zugang zu ge-nügend Rechner- und Speicherkapazität, was einige deroben erwähnten Probleme relativierte. Stellte 1986 dieerwartete Datenmenge noch ein großes Problem dar,so war sie wenige Jahre später handhabbar. Außer-dem wurden Weitwinkelkameras realisiert, mit Hilfederer man große Felder des Himmels simultan beobach-ten konnte. Es wurde Software entwickelt, die auf diePhotometrie von Objekten in dichten Gebieten speziali-

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

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siert ist, so dass man Lichtkurven vermessen konnte,selbst wenn individuelle Sterne auf den Aufnahmennicht mehr klar getrennt werden. Die Mikrolinsen-Lichtkurven haben eine charakteristische Form, diedurch nur vier Parameter beschrieben wird. Weiterhinsollten die Lichtkurven symmetrisch und achromatischsein, denn die Lichtablenkung ist unabhängig von derFrequenz der Strahlung. Darüber hinaus sollte wegender kleinen Wahrscheinlichkeit eine Quelle eines Mik-rolinsenereignisses nur einmal variieren, vorher undnachher einen konstanten Fluss zeigen, wohingegen int-rinsische Variationen von Sternen oft periodisch und infast allen Fällen chromatisch sind. Zuletzt bietet sichauch ein Kontrollexperiment an, denn die Linsenwahr-scheinlichkeit in Richtung des Galaktischen Bulges istbekannt, bzw. man kann durch die beobachtete Dichteder Sterne in der Scheibe eine untere Grenze dafürangeben. Führt man also ein Mikrolinsenexperimentin Richtung des Galaktischen Bulges durch, so mussman Linsenereignisse finden, wenn das Experimentgenügend empfindlich ist.

2.5.3 Surveys und Resultate

Anfang der 1990er Jahre begannen zwei Kollabora-tionen (MACHO und EROS) mit der Suche nachMikrolinsen-Ereignissen in Richtung der Magellan-schen Wolken, eine weitere Gruppe (OGLE) starteteeine Suche in Richtung des Galaktischen Bulges. Zudiesem Zweck wurden Felder in den jeweiligen Survey-Gebieten regelmäßig beobachtet, typischerweise einmalpro Nacht, wenn die Wetterbedingungen dies erlaubten.Aus der Photometrie der Sterne in den Feldern wurdendann Lichtkurven für viele Millionen Sterne generiertund diese nach Mikrolinsenereignissen durchforstet.

Im Jahre 1993 wurden die ersten Ereignisse von al-len drei Gruppen berichtet. Die MACHO-Kollaborationhatte ein Ereignis in der Großen Magellanschen Wolke(Large Magellanic Cloud, LMC) gefunden, die EROS-Gruppe derer zwei, während die OGLE-Gruppe einEreignis im Bulge beobachtet hatte. Die Lichtkurve desersten MACHO-Ereignisses ist in der Abb. 2.27 dar-gestellt. Sie wurde in zwei unterschiedlichen Filternaufgenommen, und der Fit an die Daten, entsprechendeiner Standard-Lichtkurve (2.90), ist der gleiche fürbeide Filter, was zeigt, dass das Ereignis achromatischist. Zusammen mit der sehr gut passenden Form der

Abb. 2.27. Lichtkurve des ersten beobachteten Mikrolinsen-Ereignisses in der LMC, in zwei Filtern. Die durchgezogeneKurve ist der beste Fit einer Mikrolinsenlichtkurve, wie durch(2.90) beschrieben, mit μmax = 6.86. Das Verhältnis der Ver-stärkungsfaktoren in beiden Filtern ist unten dargestellt undmit einem konstanten Wert von 1 verträglich. Einige der Mess-punkte weichen signifikant von Kurve ab: entweder wurdenMessfehler unterschätzt, oder aber dieses Ereignis ist kompli-zierter, als durch eine Punktmassen-Linse beschrieben wird –siehe Abschn. 2.5.4

Lichtkurve ist dies eine sehr starke Evidenz für dieMikrolinsen-Natur dieses Ereignisses.

In den Jahren seit 1993 haben alle drei oben ge-nannten Teams ihre Beobachtungen und Analysenfortgesetzt (Abb. 2.28), und weitere Gruppen habendie Suche nach Mikrolinsenereignissen aufgenommen,wobei verschiedene Sichtlinien gewählt wurden. Diewichtigsten Ergebnisse dieser Experimente können wiefolgt zusammengefasst werden:

Man hat etwa 20 Ereignisse in Richtung der Magel-lanschen Wolken und von der Größenordnung Tausendin Richtung des Bulges gefunden. Aus der statistischenAuswertung der Daten hat sich ergeben, dass die Lin-

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2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.28. Auf einem 8◦ ×8◦-Bild der LMC sind die 30 Felderin rot eingezeichnet, die die MACHO-Gruppe in ∼ 5.5 Jah-ren nach Mikrolinsen-Ereignissen durchsucht hat; Aufnahmenwurden in zwei Filtern gemacht, um Achromatizität zu zeigen.Die Positionen von 17 Mikrolinsen-Ereignissen sind als gelbeKreise dargestellt; diese wurden zur statistischen Analyseherangezogen

senwahrscheinlichkeit in Richtung des Bulges größer istals ursprünglich erwartet. Dies ist dadurch zu erklären,dass unsere Galaxis einen Balken aufweist (siehe Kapi-tel 3). Dieser Balken ist auch in IR-Karten, wie sie vomSatelliten COBE aufgenommen wurden, gesehen wor-den. Ereignisse in Richtung des Bulges sind dominiertvon Linsen, die sich selbst im Bulge befinden, und derenSäulendichte ist durch die Balkenform erhöht. Ande-rerseits ist die Linsenwahrscheinlichkeit in Richtungder Magellanschen Wolken kleiner als erwartet für denFall, dass der Halo vollständig aus MACHOs bestehenwürde. Die Statistik der Linsenereignisse in Richtungder Magellanschen Wolken wird aufgrund der Analyseder MACHO-Kollaboration am besten dadurch erklärt,dass etwa 20% der Halomasse in MACHOs vorhandenist und die charakteristische Masse der MACHOs etwaM ∼ 0.5M� beträgt (siehe Abb. 2.29).

Abb. 2.29. Für ein bestimmtes Halomodell sind hierWahrscheinlichkeitskonturen gezeichnet, als Funktion dercharakteristischen MACHO-Masse M (hier mit m bezeich-net) und dem Massenanteil f des Halos in MACHOs. Dabeiwurde entweder ein Halo der LMC berücksichtigt (lmc halo)oder nicht (no lmc halo), und zwei verschiedene Auswahlkrite-rien (A,B) für das statistisch vollständige Mikrolinsen-Samplewurden benutzt. In allen Fällen findet man M ∼ 0.5M�, undf ∼ 0.2

Dieses Resultat ist nicht leicht zu interpretieren undwar eine Überraschung. Hätte man ein Ergebnis von∼ 100% gefunden, dann läge die Interpretation nahe,dass die Dunkle Materie in unserer Milchstraße auskompakten Objekten besteht. Andererseits, wenn fastkeine Linsenereignisse gefunden worden wären, dannstünde fest, dass MACHOs nicht zur Dunklen Mate-rie beitragen. Aber das Ergebnis von 20% lässt keineeindeutige Interpretation zu.

Weiterhin ist die ermittelte Massenskala nur schwerverständlich: Was könnten MACHOs mit M = 0.5M�sein? Normale Sterne sind ausgeschlossen, denn diewären viel zu leuchtkräftig, als dass man sie nicht gese-hen hätte. Auch Weiße Zwerge kommen nicht in Frage,denn um eine derart große Zahl von Weißen Zwergen alsEndstadien der Sternentwicklung zu erzeugen, müsstedie Sternbildungsrate in unserer Milchstraße, integriertüber deren Lebensdauer, deutlich größer sein als manannimmt. In diesem Fall wären auch sehr viel mehrmassivere Sterne entstanden, die durch Sternwinde undSupernova-Explosionen ihre erzeugten Metalle ans ISMabgegeben hätten. In einem solchen Szenario wäredaher der Metallgehalt des ISM deutlich größer alsder gemessene. Die einzige Möglichkeit, dieser Argu-

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

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mentation zu entkommen, ist die Hypothese, dass dasMassenspektrum frisch geborener Sterne (die anfängli-che Massenfunktion, initial mass function, IMF) in derFrühzeit der Milchstraße ein anderes war als heute be-obachtet, wenn nämlich für jeden Stern mittlerer Masse(aus denen sich die Weißen Zwerge bilden) viel weni-ger Sterne hoher Masse (die für die Metallanreicherungdes ISM verantwortlich sind) geboren worden wären alsheute. Ein plausibles physikalisches Modell für ein sol-ches Szenario fehlt allerdings und wäre auch schwerlichmit den Beobachtungen der Sternentstehung im frühenUniversum verträglich.

Neutronensterne scheiden ebenfalls aus, denn erstenssind sie zu massereich (typisch > 1M�), und zweitensentstehen sie bei Supernova-Explosionen, so dass dasgerade angesprochene Metallizitätsproblem für Neut-ronensterne noch erheblich größer ist. Sind SchwarzeLöcher eine Alternative? Das hängt davon ab, wie dieseentstanden wären. Sie können nicht in SN-Explosionenentstehen, wiederum wegen des Metallizitätsproblems.Wenn sie allerdings in der Frühzeit des Universumsentstanden wären (man spricht dann von primordialenSchwarzen Löchern), dann wäre dies in der Tat einedenkbare, wenn auch recht exotische Möglichkeit.

Allerdings gibt es deutliche Hinweise darauf, dassdie Interpretation der MACHO-Resultate nicht soeinfach ist wie oben beschrieben. Wir haben ja argu-mentiert, dass nur die Kombination aus Linsenmasse,transversaler Geschwindigkeit und Entfernung, die intE eingeht, gemessen werden kann. Das in Abb. 2.29dargestellte Ergebnis basiert daher auf der statisti-schen Analyse der Linsenereignisse unter Annahmeeines Halomodells, welches die Form und das ra-diale Dichteprofil des Halos beschreibt. Es gibt aberMikrolinsenereignisse, bei denen mehr als nur tE ge-messen werden kann – z. B. solche, bei denen einDoppelstern als Linse fungiert oder solche, bei denentE größer als etwa zwei Monate ist: In diesem Fallmacht sich die Bahn der Erde um die Sonne bemerk-bar, die ja keiner linearen Bewegung entspricht unddaher zu Abweichungen von der Standard-Lichtkurveführt. Solche ,,Parallaxen-Ereignisse“ wurden in derTat beobachtet.9 Drei solcher Ereignisse, in denenmehr als nur tE gemessen werden kann, sind in

9Diese Parallaxen-Ereignisse zeigen zudem, dass die Erde wirklichum die Sonne kreist – auch wenn dies keine wirklich neue Erkenntnisdarstellt ...

Richtung der Magellanschen Wolken bekannt; in al-len drei Fällen ist es sehr wahrscheinlich, dass dieLinse sich in den Magellanschen Wolken befindet(self-lensing) und nicht im Halo der Milchstraße.Wenn nun bei den drei Fällen, wo die Entartungzwischen Linsenmasse, Entfernung und transversalerGeschwindigkeit gebrochen werden kann, sich ergibt,dass die entsprechenden Linsen höchstwahrscheinlichkeine MACHOs im Halo der Galaxis sind, dannliegt die Vermutung nahe, dass auch bei den meis-ten der anderen Mikrolinsenereignisse die Linse keinMACHO ist. Zur Zeit ist daher nicht klar, wie die Er-gebnisse der Mikrolinsen-Surveys interpretiert werdensollen. Insbesondere ist nicht geklärt, wieviel self-lensing zu den Ereignissen beitragen kann. Weiterhinsind die quantitativen Ergebnisse vom Halo-Modellabhängig.

Die EROS-Kollaboration hatte eine etwas andere Be-obachtungsstrategie als die MACHO-Gruppe, indem sieeinige Felder mit sehr kurzem Zeitabstand beobachtete.Da die Dauer eines Linsenereignisses von der Masseder Linse wie ∝ M1/2 abhängt – siehe (2.88) – konn-ten damit auch sehr kleine MACHO-Massen getestetwerden. Die Abwesenheit von Linsenereignissen sehrkurzer Dauer erlaubte es dann, Grenzen an den Massen-anteil solcher leichten MACHOs anzugeben, wie das inAbb. 2.30 aufgezeigt ist.

Trotz dieser ungeklärten Situation, was die Inter-pretation der MACHO-Resultate angeht, muss betontwerden, dass die Mikrolinsen-Surveys enorm erfolgrei-che Experimente darstellen, denn sie haben genau dasgeleistet, was zu Beginn der Beobachtungen erwartetwurde: Sie haben die Linsenwahrscheinlichkeit in Rich-tung der Magellanschen Wolken und des GalaktischenBulges vermessen. Dass die Verteilung der Linsen eineandere ist als erwartet, relativiert den Erfolg der Surveysin keinster Weise.

2.5.4 Variationen und Erweiterungen

Neben der Suche nach MACHOs haben dieMikrolinsen-Surveys weitere wichtige Ergebnisse er-bracht bzw. werden sie in naher Zukunft noch erbringen.So kann beispielsweise die Sternverteilung innerhalbder Galaxis vermessen werden durch eine Untersuchungder Linsenwahrscheinlichkeit als Funktion der Blick-richtung. Man hat Tausende veränderlicher Sterne neu

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2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.30. Aus den Beobachtungen der EROS-Kollaborationkonnte ein großer Massenbereich als Kandidaten für MA-CHOs ausgeschlossen werden. Dargestellt ist der maximalerlaubte Anteil der Halomasse als Funktion der Masse Mder MACHOs, als obere Schranke mit 95% Konfidenz. Da-bei wurde ein Standard-Modell für die Massenverteilungdes Galaktischen Halos angenommen, welches die Rotati-onskurve der Milchstraße gut beschreibt. Die verschiedenenKurven zeigen verschiedene Phasen des EROS-Experiments,und sind getrennt nach Beobachtungen in Richtung der

LMC und der SMC aufgetragen. Die Experimente EROS 1haben nach Mikrolinsenereignissen mit kurzen Zeitskalen ge-sucht, aber kein solches entdeckt; daraus ergeben sich dieSchranken bei den kleinen Massen. Obere Schranken beigrößeren Massen wurden durch die EROS 2-Experimentegewonnen. Die dicke durchgezogene Kurve stellt die ausden einzelnen Experimenten kombinierte obere Schrankedar. Hätte man kein einziges MACHO-Ereignis gefun-den, wäre die obere Schranke durch die gepunktete Kurvegegeben

Abb. 2.31. Wenn ein Doppelstern als Linse wirkt, können we-sentlich kompliziertere Lichtkurven auftreten. Links sind fürfünf verschiedene relative Bewegungen einer Hintergrund-quelle die Bahnen aufgezeichnet; die gestrichelte Kurve istdie sog. kritische Kurve, formal definiert als det(∂β/∂θ) = 0,und die durchgezogene Kurve ist das entsprechende Urbildder kritischen Kurve in der Quellenebene, genannt Kaustik.

Lichtkurven für diese 5 Bahnen sind rechts dargestellt. Wenndie Quelle die Kaustik überquert, wird der Verstärkungsfaktorμ sehr groß – formal unendlich, wenn die Quelle punktförmigwäre. Da sie eine endliche Ausdehnung besitzt, ist μ eben-falls endlich – und aus maximalem μ beim Kaustik-Übergangkann man den Radius der Quelle messen, z. T. sogar derenMitte-Rand-Verdunklung

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2.5 Der Galaktische Mikrolinseneffekt: Suche nach kompakter Dunkler Materie

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entdeckt und genau vermessen; die umfangreichen undöffentlich zugänglichen Datenbanken der Surveys sindvon enormem Wert für die stellare Astrophysik. Weiter-hin wurden durch die Photometrie Kugelsternhaufen inder LMC identifiziert.

Bei einigen Ereignissen kann der Radius unddie Oberflächenstruktur entfernter Sterne sehr genauvermessen werden. Dies liegt daran, dass der Verstär-kungsfaktor μ von der Position der Quelle abhängt.Es gibt Situationen, beispielsweise wenn ein Doppel-stern als Linse fungiert (siehe Abb. 2.31), in denen dieAbhängigkeit der Verstärkung von der Position in derQuellenebene sehr empfindlich ist. Da sich die Quelle– der Stern – relativ zum Sehstrahl Erde–Linse bewegt,werden ihre verschiedenen Regionen zu unterschied-lichen Zeiten verschieden verstärkt. Eine detaillierteUntersuchung der Lichtkurve solcher Ereignisse er-laubt dann die Rekonstruktion der Lichtverteilungauf der Sternoberfläche. Die Lichtkurve eines solchenEreignisses ist in Abb. 2.32 dargestellt. Bei solchen Lin-senereignissen kann die Quelle nicht mehr länger alsPunktquelle angenommen werden, sondern ihre Licht-verteilung bestimmt Details der Lichtkurve. Dadurchtaucht eine neue Längenskala im System auf, der Ra-dius des Sterns. Mit dieser neuen Skala kann man dieEntartung von M, v und Dd teilweise brechen, wes-halb solche besonderen Ereignisse mehr Informationenthalten als die ,,klassischen“.

Auch die Lichtkurve in Abb. 2.27 ist vermutlichnicht durch einen Einzelstern als Linse hervorgeru-fen worden, sondern unter leichten Störungen durcheinen Begleiter, was die Abweichungen der beobach-teten Lichtkurve von einer einfachen Modelllichtkurveerklärt. Allerdings ist die Zeitüberdeckung der Licht-kurve nicht ausreichend, um die Parameter diesesDoppelsternsystems zu bestimmen.

Detaillierte Lichtkurven mit sehr guter Zeitüberde-ckung sind inzwischen gemessen worden, was durchein Alarm-System ermöglicht wurde. Dabei werdenDaten derjenigen Gruppen, die nach Mikrolinsenereig-nissen suchen, direkt nach der Beobachtung ausgewertetund potentielle Kandidatenereignisse über das Internetveröffentlicht. Andere Kollaborationen (wie z. B. diePLANET-Kollaboration) beobachten dann solche Sys-teme mit sehr guter Zeitüberdeckung, indem sie mehrereTeleskope benutzen, die über verschiedene geographi-sche Längen verteilt sind und somit eine Beobachtung

Abb. 2.32. Lichtkurve eines Ereignisses, bei dem die Linseein Doppelstern war. Die MACHO-Gruppe entdeckte diesesEreignis und fand, dass es wahrscheinlich ein ,,binary-event“sei. Die Daten hier sind von der PLANET-Kollaboration mitvier verschiedenen Teleskopen (Chile, Tasmanien, Australien,Südafrika) aufgenommen. Die zweite Kaustik-Überquerungist hoch-aufgelöst (gezeigt als Vergrößerung in dem kleinenDiagramm) und erlaubt Rückschlüsse auf Größe und Hellig-keitsverteilung des Quellsterns. Die beiden Kurven zeigen Fitseiner Doppelsternlinse zu den Daten

der Ereignisse rund um die Uhr ermöglichen. Dadurchwurden Lichtkurven mit extrem guter Qualität vermes-sen. Man hofft, durch charakteristische Abweichungenin solchen Lichtkurven extra-solare Planeten entdeckenzu können. Tatsächlich sind solche Mikrolinsenunter-suchungen die vielleicht realistischste Möglichkeit, innaher Zukunft Planeten kleiner Masse zu finden.

Eine Erweiterung der Mikrolinsensuche wurde mitHilfe des sog. ,,Pixellensing“ möglich. Bei dieser Me-thode wird nicht mehr die Lichtkurve eines einzelnenSterns verfolgt, sondern aufgrund der hohen Dichtevon Sternen, beispielsweise der Sterne der Andromeda-Galaxie (M31), kann man nur die Helligkeit vonGruppen von Sternen vermessen, entsprechend der Win-kelauflösung der Beobachtungen. Wird nun ein Sterndurch ein Mikrolinsen-Ereignis verstärkt, so ändert sichdie Helligkeit der entsprechenden Region in ähnlichcharakteristischer Weise wie bei den oben besprochenenLinsenereignissen. Damit man solche Ereignisse identi-

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2. Die Galaxis als Galaxie

fizieren kann, muss der Verstärkungsfaktor relativ großsein, denn nur dann kann das Licht des gelinsten Sternsdie lokale Helligkeit dominieren und daher als Ereignissichtbar werden. Andererseits ist die Anzahl der photo-metrisch überwachten Sterne (pro Raumwinkel) größerals bei den Surveys, bei denen Einzelsterne überwachtwerden, so dass Ereignisse großer Verstärkung auchhäufiger vorkommen. Inzwischen haben einige Gruppenerfolgreich begonnen, nach Mikrolinsen-Ereignissen inM31 zu suchen. Die quantitative Analyse dieser Sur-veys ist dabei komplizierter als die der Suche in denMagellanschen Wolken. Andererseits sind die M31-Experimente gleichzeitig für MACHOs im Halo unsererMilchstraße und dem von M31 empfindlich. Daher ver-sprechen diese Surveys die Klärung der Frage, ob einTeil der Dunklen Materie aus MACHOs besteht.

2.6 Das Galaktische Zentrum

Das Zentrum der Galaxis (Galactic center, GC; sieheAbb. 2.33) ist bei optischen Wellenlängen nicht be-obachtbar, denn die Extinktion im V -Band beträgt∼ 28 mag. Die Information über das GC stammt da-her aus Radio-, IR-, und Röntgenstrahlung. Da das GCals Prototyp von Zentralgebieten von Galaxien aus derNähe betrachtet werden kann, ist seine Untersuchungvon großem Interesse für das Verständnis der Vorgänge,die sich in den Zentren von Galaxien abspielen.

2.6.1 Wo ist das Galaktische Zentrum?

Die Frage nach dem Zentrum unserer Milchstraße istkeineswegs trivial, denn der Begriff ,,Zentrum“ ist inder Tat nicht gut definiert. Ist es der Schwerpunkt derGalaxis, oder der Ort, um den herum die Sterne unddas Gas kreisen? Glücklicherweise kann die Frage nachdem Zentrum trotzdem beantwortet werden, denn esgibt eine ausgezeichnete Quelle, die sich als solchesaufdrängt, wie wir unten sehen werden.

Zunächst einmal zeigen Radiobeobachtungen inRichtung des GC eine relativ komplexe Struktur, wiein der Abb. 2.34 dargestellt ist. Es existiert eine zen-trale Scheibe von HI-Gas im Radiusbereich von einigen100 pc bis etwa 1 kpc, deren Rotationsgeschwindig-keit eine Massenbestimmung M(R) für R � 100 pc

Abb. 2.33. Optische Aufnahme in Richtung des GalaktischenZentrums. Markiert sind einige Messier-Objekte: Gasnebel,wie M8, M16, M17, M20; Offene Sternhaufen, wie M6, M7,M18, M21, M23, M24 und M25; Kugelsternhaufen, wie M9,M22, M28, M54, M69 und M70. Markiert ist weiterhin dasGalaktische Zentrum sowie die Galaktische Ebene als Linie.Besonders schön zu erkennen ist Baades Fenster, eine Rich-tung, in der die Extinktion wesentlich geringer ist als in derUmgebung, so dass man dort eine klar erhöhte Sterndichtesehen kann – deshalb wurden die Mikrolinsenbeobachtun-gen des Galaktischen Zentrum bevorzugt in Baades Fensterausgeführt

erlaubt. Weiterhin gibt es Radio-Filamente, die sichsenkrecht zur Galaktischen Scheibe erstrecken, sowieeine große Anzahl von Supernova-Überresten. Inner-halb etwa 2 kpc des Zentrums befinden sich etwa3×107 M� an atomarem Wasserstoff. Optische Auf-nahmen zeigen in der Nähe des GC Gebiete, in denendie Extinktion deutlich geringer ist. Das bekanntestedavon ist Baades Fenster – in dieser Region werdenauch die meisten Mikrolinsen-Surveys in Richtung desBulges durchgeführt. Weiterhin findet man im Zentral-

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2.6 Das Galaktische Zentrum

79

Abb. 2.34. links: VLA-Großfeldaufnahme der Region um dasGalaktische Zentrum; oben rechts: Sgr A, 20 cm-KontinuumVLA-Aufnahme, der rote Punkt markiert Sgr A∗, das Zentrum

von Sgr A West; Mitte rechts: eine Vergrößerung von Sgr AWest, gezeigt als 6-cm-Kontinuum VLA-Aufnahme; untenrechts: der zirkumnukleare Ring in HCN-Linienemission

bereich relativ viele Kugelsternhaufen sowie Gasnebel.In Röntgenaufnahmen (Abb. 2.35) sind eine Vielzahlvon Röntgen-Doppelsternen zu erkennen, sowie diffuseEmission von heißem Gas.

Die inneren 8 pc enthalten die Radioquelle Sgr A(Sagittarius A), die wiederum aus verschiedenenKomponenten besteht:

• Einem zirkumnuklearen molekularen Ring in Formeines Torus, der sich zwischen 2 pc� R � 8 pc er-streckt und etwa 20◦ relativ zur Galaktischen Scheibegeneigt ist. Die Rotationsgeschwindigkeit diesesRings beträgt etwa ∼ 110 km/s und ist praktischunabhängig von R. Dieser Ring hat eine scharfeinnere Kante; diese kann nicht aus einer Gleichge-

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2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.35. Mosaik von Röntgenaufnahmen vom Galakti-schen Zentrum, aufgenommen mit dem Chandra-Satelliten.Die Aufnahme umfasst ein Gebiet von etwa 130 pc ×300 pc (48′ ×120′). Das eigentliche GC, in dem ein Su-permassives Schwarzes Loch vermutet wird, befindet sichin dem weißen Gebiet nahe der Bildmitte. Weiterhinsind auf dieser Aufnahme Hunderte von Weißen Zwer-

gen, Neutronensternen und Schwarzen Löchern zu sehen,die aufgrund von Akkretionsphänomenen im Röntgenbe-reich strahlen. Farben kodieren die Photonenenergie, vonniederenergetisch (rot) zu hochenergetisch (blau). Die dif-fuse Emission, meist rötlich in der Aufnahme, stammtvon diffusem, heißem Gas mit einer Temperatur von etwaT ∼ 107 K

wichtsströmung resultieren, denn interne turbulenteBewegungen würden diese Kante in kurzer Zeit(∼ 105 yr) auswaschen. Wahrscheinlich ist dies einZeugnis eines energetischen Ereignisses im Galak-tischen Zentrum innerhalb der letzten ∼ 105 Jahre.Diese Interpretation wird auch durch andere Beob-achtungen gestützt, z. B. durch die Klumpigkeit inDichte und Temperatur.

• Sgr A East, eine nicht-thermische (Synchrotron-)Quelle mit schalenartiger Struktur. Vermutlich han-delt es sich dabei um einen Supernova-Überrest(supernova remnant, SNR), dessen Alter zwischen100 und 5000 Jahren beträgt.

• Sgr A West befindet sich etwa 1.′5 von Sgr A East ent-fernt. Es handelt sich um eine thermische Quelle, eineungewöhnliche HII-Region mit spiralartiger Struktur.

• Sgr A∗ ist eine starke kompakte Radioquelle nahe desZentrums von Sgr A West. Neuere Beobachtungenmit mm-VLBI zeigen, dass ihre Ausdehnung weni-ger als etwa 3 AU beträgt. Die Radioleuchtkraft istL rad ∼ 2×1034 erg/s. Außer im mm und cm Bereichist Sgr A∗ eine schwache Quelle. Da andere Galaxienoft eine kompakte Radioquelle in ihrem Zentrum be-sitzen, ist Sgr A∗ ein guter Kandidat für das Zentrumunserer Milchstraße.

Durch Beobachtungen von Sternen, die eine Radio-Maser-Quelle enthalten, konnte die Astrometrie des GC

im Radio-Bereich mit der im IR abgeglichen werden,d. h. die Position von Sgr A∗ ist auch im IR bekannt.10

Die Unsicherheit in den relativen Positionen beträgtnur ∼ 30 mas – bei einer angenommenen Entfernungder Sonne vom GC von 8 kpc entspricht dabei eineBogensekunde 0.0388 pc, oder etwa 8000 AU.

2.6.2 Der zentrale Sternhaufen

Beobachtungen im K-Band (λ ∼ 2 μm) zeigen einenkompakten Sternhaufen, der auf Sgr A∗ zentriert ist.Dessen Dichte verhält sich wie ∝ r−1.8 im Entfer-nungsbereich 0.1 pc� r � 1 pc. Die in seinem Innernherrschende Sterndichte ist so groß, dass nahe Be-gegnungen von Sternen nicht selten sind. Es läßt sichabschätzen, dass ein Stern typischerweise in ∼ 106 Jah-ren eine nahe Begegnung erfahren sollte. Man erwartetdaher, dass die Verteilung der Sterne ,,thermalisiert“

10Eine Schwierigkeit der kombinierten Datenanalyse von Beobach-tungen in verschiedenen Wellenbändern besteht darin, dass zwar dieAstrometrie in jedem einzelnen Wellenband sehr genau bestimmt wer-den kann – z. B. jeweils im Radio- und IR-Bereich – aber die relativeAstrometrie zwischen diesen Bereichen weniger gut bekannt ist. UmKarten verschiedener Wellenlängen präzise ,,aufeinander zu legen“,ist die Kenntnis genauer relativer Astrometrie notwendig. Diese kannman erhalten, wenn es eine Population von kompakten Quellen gibt,die in beiden Wellenlängen beobachtbar sind und deren Positionensich gut bestimmen lassen.

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2.6 Das Galaktische Zentrum

81

ist, was nichts anderes bedeutet, als dass die lokaleGeschwindigkeitsverteilung der Sterne überall die glei-che ist, d. h. die Geschwindigkeitsdispersion ist eineKonstante. Für eine solche isotherme Verteilung er-wartet man ein Dichteprofil n ∝ r−2, was in guterÜbereinstimmung mit der Beobachtung steht.

Nun ergibt sich allerdings eine interessante Diskre-panz mit der Vorstellung einer isothermen Verteilung:Anstatt der erwarteten konstanten Dispersion σ der ra-dialen Geschwindigkeiten der Sterne beobachtet maneine starke radiale Abhängigkeit, σ steigt an für klei-nere r. Beispielsweise findet man σ ∼ 55 km/s beir = 5 pc, aber σ ∼ 180 km/s bei r = 0.15 pc. DieseDiskrepanz deutet darauf hin, dass das Gravitations-potential, in dem sich die Sterne bewegen, nicht alleinevon ihnen hervorgerufen wird. Der starke Anstieg von σ

für kleine r impliziert aufgrund des Virialtheorems dasVorhandensein einer zentralen Massenkonzentration indiesem Sternhaufen.

Seit etwa 10 Jahren können auch Eigenbewegun-gen von Sternen in diesem Sternhaufen mit Hilfevon Speckle-Methoden und Adaptiver Optik gemessenwerden. Diese liefern eine beugungsbegrenzte Win-kelauflösung, welche im K-Band etwa ∼ 0′′. 15 amESO/NTT (3.5 m) und ∼ 0′′. 05 am Keck (10 m) be-trägt. Von etwa 1000 Sternen innerhalb ∼ 10′′ vonSgr A∗ sind z. Zt. Eigenbewegungen bekannt. Die-

Abb. 2.36. Eigenbewegung von Sternen imzentralen Bereich des GC. Verschieden-farbige Pfeile kennzeichnen verschiedeneSterntypen. Das kleinere Bild zeigt Ei-genbewegung des Sgr A∗-Sternhaufensinnerhalb einer halben Bogensekunde vonSgr A∗; der schnellste Stern (S1) hat eineEigenbewegung von ∼ 1500 km/s

ser Durchbruch wurde unabhängig von zwei Gruppenerzielt, deren Ergebnisse in hervorragender Überein-stimmung miteinander sind. Für mehr als 30 Sterneinnerhalb ∼ 5′′ von Sgr A∗ sind sowohl die Eigenbe-wegung als auch die Radialgeschwindigkeit bekannt,und damit ihre 3-dimensionale Geschwindigkeit. Diesich aus diesen Messungen ergebenden radialen undtangentialen Geschwindigkeitsdispersionen sind in gu-ter Übereinstimmung miteinander, woraus man aufeine im wesentlichen isotrope Verteilung der Stern-bahnen schließt, was das Studium der Dynamik diesesSternhaufens erleichtert.

2.6.3 Schwarzes Lochim Zentrum der Milchstraße

Einige Sterne innerhalb 0′′. 6 von Sgr A∗ haben eine Ei-genbewegung von mehr als 1000 km/s, wie in Abb. 2.36gezeigt. Beispielsweise ist der Stern S1 nur 0′′. 1 vonSgr A∗ entfernt und zeigt eine Eigenbewegung von1470 km/s. Die Kombination der Geschwindigkeits-dispersion in radialer und tangentialer Richtung zeigt,dass sie entsprechend dem Kepler-Gesetz in Anwesen-heit einer Punktmasse ansteigt, σ ∝ r−1/2, bis hinunterzu r ∼ 0.01 pc.

Inzwischen ist auch die Beschleunigung einigerSterne im Sternhaufen gemessen worden, also die zeit-

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82

2. Die Galaxis als Galaxie

Abb. 2.37. Links ist derOrbit des Sterns S2 umSgr A∗ dargestellt, wie ermit zwei verschiedenenBeobachtungskampagnenermittelt wurde. Die Po-sition von Sgr A∗ istdurch das Kreuz mit Kreisgekennzeichnet. Die ein-zelnen Punkte entlang desOrbits sind mit der Epocheder Beobachtung identifi-ziert. Im rechten Bild sinddie Orbits einiger andererSterne dargestellt, derenBeschleunigung bereitsgemessen wurden

liche Änderung der Eigenbewegung. Dabei stellt sichSgr A∗ in der Tat als Brennpunkt der Orbits und so-mit als Massenzentrum heraus. Die Abb. 2.37 zeigt dieOrbits einiger Sterne um Sgr A∗. Ein großer Teil desOrbits des Sterns S2 konnte verfolgt werden, wobeimaximale Geschwindigkeiten von über 5000 km/s be-obachtet wurden. Die Exzentrizität des Orbits von S2beträgt 0.87, und seine Periode ist ∼ 15.7 yr. Die mini-male Entfernung dieses Sterns von Sgr A∗ beträgt nur6×10−4 pc, oder etwa 100 AU!

Aus der beobachteten Kinematik kann dieMasse M(r) berechnet werden, siehe Abb. 2.38;diese Analyse ergibt, dass M(r) über den Bereich0.01 pc � r � 0.5 pc im Wesentlichen konstant ist.Dieses aufregende Resultat deutet also klar auf dieAnwesenheit einer Punktmasse hin, deren Masse zu

M = (2.87±0.15)×106 M� (2.91)

bestimmt worden ist. Für größere Radien domi-niert dann die Masse des Sternhaufens, der nahezueiner isothermen Verteilung folgt, mit einem Kernra-dius von ∼ 0.34 pc und einer zentralen Dichte von3.6×106 M�/pc3. Dieses Resultat ist ebenfalls mit derKinematik des Gases im Zentrum der Galaxis ver-träglich. Sterne sind aber viel sauberere kinematischeIndikatoren, denn Gas kann, neben der Schwer-

kraft, auch von Magnetfeldern, Viskosität und anderenProzessen beeinflusst werden.

Die Kinematik der Sterne im zentralen Sternhau-fen der Galaxis zeigt, dass unsere Milchstraße eineMassenkonzentration enthält, in der ∼ 3×106 M�in einem Gebiet kleiner als 0.01 pc konzentriertsind. Es handelt sich hierbei mit großer Wahr-scheinlichkeit um ein Schwarzes Loch im Zentrumunserer Galaxis, an der Position der kompaktenRadioquelle Sgr A∗.

Warum Schwarzes Loch? Wir haben die Massenkon-zentration als ein Schwarzes Loch interpretiert; diesbedarf noch einiger Erläuterungen:

• Die Energie der zentralen Aktivität in QSOs,Radio-Galaxien und anderer AGNs stammt ausder Akkretion von Gas auf ein Schwarzes Loch(supermassive black hole, SMBH), wie wir in Ab-schn. 5.3 noch diskutieren werden. Daher wissenwir, dass mindestens eine Unterklasse von Galaxienein SMBH in ihrem Zentrum hat. Weiterhin wer-den wir in Abschn. 3.5 sehen, dass viele ,,normale“Galaxien, insbesondere Ellipsen, ein SMBH imZentrum enthalten. Die Anwesenheit eines SMBH

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2.6 Das Galaktische Zentrum

83

Abb. 2.38. Bestimmung der Masse M(r) innerhalb des Radiusr von Sgr A∗, gemessen durch Radialgeschwindigkeiten undEigenbewegungen von Sternen des zentralen Haufens. Ab-schätzungen der Masse durch individuelle Sterne (S14, S2,S12) sind durch die Punkte mit Fehlerbalken links in der Fi-gur angegeben. Die anderen Messpunkte ergeben sich ausder kinematischen Untersuchung der beobachteten Eigenbe-wegungen der Sterne, wobei verschiedene Methoden benutztworden sind. Wie zu erkennen ist, ergeben diese Methoden

miteinander verträgliche Ergebnisse, so dass das hier gezeigteMassenprofil als robust angesehen werden kann. Die durchge-zogene Kurve ist das am besten passende Modell, welches einePunktmasse mit 2.9×106 M� plus einem Sternhaufen mitzentraler Dichte von 3.6×106 M�/pc3 darstellt (das Massen-profil dieses Sternhaufens ist als gestrichelt-gepunktete Kurvegezeigt). Die gestrichelte Kurve zeigt das Massenprofil ei-nes Haufens mit einem sehr steilen Profil n ∝ r−5 und einerzentralen Dichte von 2.2×1017 M� pc−3

im Zentrum unserer Galaxis wäre insofern nichtsAußergewöhnliches.

• Um das radiale Massenprofil M(r) mit einer ausge-dehnten Massenverteilung in Einklang zu bringen,müsste deren Dichteverteilung steiler sein als ∝ r−4,also stark verschieden von der erwarteten isother-men Verteilung, deren Massenprofil ∝ r−2 verläuft,wie in Abschn. 2.6.2 diskutiert. Die Beobachtungenliefern jedoch keinerlei Hinweis auf das Anwachsender Dichte des Sternhaufens nach innen mit einemderart steilen Profil.

• Aber selbst wenn ein so ultradichter Sternhaufen(mit einer zentralen Dichte von � 4×1012 M�/pc3)

vorhanden wäre, könnte er nicht stabil sein, denn in-nerhalb von ∼ 107 Jahren würden ihn die häufigenStöße zwischen den Sternen auflösen.

• Sgr A∗ selbst hat eine Eigenbewegung von kleinerals 20 km/s; es ist also das dynamische Zentrumder Milchstraße. Aufgrund der großen Geschwin-digkeiten des umgebenden Sternhaufens würde manbei Äquipartition der Energie eine Masse vonM � 103 M� für die Radioquelle ableiten (siehe auchAbschn. 2.6.4). Zusammen mit den engen oberenSchranken für deren Ausdehnung kann man danneine untere Schranke für die Dichte von 1018 M�/pc3

angeben.

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84

2. Die Galaxis als Galaxie

Die Verfolgung der Sternorbits in den nächsten Jahrenwird unser Bild von der Massenverteilung im GC weitervervollständigen.

Es muss an dieser Stelle betont werden, dass sich dergravitative Einfluss des Schwarzen Loches auf die Be-wegung von Sternen und Gas auf den innersten Bereichder Milchstraße beschränkt. Wie man der Abb. 2.38entnimmt, dominiert die Gravitation des SMBH dieRotationskurve der Galaxis nur für R � 2 pc – dasist ja gerade der Grund dafür, warum der Nachweisdes SMBH so schwierig ist. Für größere Radien hatdie Anwesenheit des SMBH keine Bedeutung für dieRotationskurve der Milchstraße.

2.6.4 Die Eigenbewegung von Sgr A∗

Durch eine sich über acht Jahre erstreckende Mess-reihe der Position von Sgr A∗ mittels VLBI konnte dieEigenbewegung dieser kompakten Radioquelle mit ex-tremer Genauigkeit vermessen werden. Dazu wurde diePosition von Sgr A∗ relative zu zwei kompakten ex-tragalaktischen Radioquellen bestimmt. Diese solltenaufgrund ihrer großen Entfernung keine Eigenbewe-gungen zeigen, und die VLBI-Messungen zeigen, dassihr Abstandsvektor zeitlich konstant ist. Die Positionenvon Sgr A∗ über den beobachteten Zeitraum sind inAbb. 2.39 dargestellt.

Aus der Abbildung ist zunächst deutlich zu erken-nen, dass die Eigenbewegung von Sgr A∗ praktischvollständig in der Galaktischen Ebene verläuft. DieEigenbewegung senkrecht zur Galaktischen Ebene be-trägt etwa 0.2 mas/yr, verglichen zur Eigenbewegungin der Galaktischen Ebene von 6.4 mas/yr. Nimmtman R0 = (8.0 ± 0.5) kpc als Entfernung zum GCan, so übersetzt sich diese Eigenbewegung in eineBahngeschwindigkeit von 241±15 km/s, wobei dieUnsicherheit von dem genauen Wert von R0 domi-niert wird (die Messungenauigkeit allein ergäbe einenFehler von nur 1 km/s). Diese Eigenbewegung ist zuerklären allein aufgrund der Bewegung der Sonneum das GC, d. h. diese Messung gibt keinen Hin-weis auf eine Bewegung der Radioquelle Sgr A∗selbst. In der Tat ist die kleine Abweichung der Ei-genbewegung von der Orientierung der GalaktischenEbene durch die Pekuliargeschwindigkeit der Sonnerelativ zum LSR erklärbar. Wenn man diese mit be-rücksichtigt, findet man als Geschwindigkeit von Sgr

Abb. 2.39. Die Position von Sgr A∗ zu verschiedenen Epo-chen, relativ zur Position im Jahre 1996. In sehr guterNäherung ist die Bewegung linear, wie durch die gestri-chelte Ausgleichsgerade gezeigt ist. Zum Vergleich zeigtdie durchgezogene Gerade die Orientierung der GalaktischenEbene

A∗ senkrecht zur Galaktischen Scheibe v⊥ = (−0.4±0.9) km/s. Die Komponente der Bahngeschwindigkeitin der Scheibe ist mit deutlich größerer Unsicherheitbehaftet, da wir weder R0 noch die Rotationsge-schwindigkeit V0 des LSR besonders genau kennen.Die sehr kleine obere Schranke an v⊥ legt abernahe, dass auch die Bewegung in der Scheibe sehrklein sein sollte. Unter der (deshalb plausiblen) An-nahme, dass Sgr A∗ keine Pekuliargeschwindigkeitbesitzt, kann man aus diesen Messungen das Ver-hältnis R0/V0 mit bislang unerreichter Genauigkeitbestimmen.

Diese Beobachtung ist auch deshalb so beeindru-ckend, weil man aus ihr recht direkte Argumente für

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2.6 Das Galaktische Zentrum

85

die Masse von Sgr A∗ erhalten kann. Da diese Ra-dioquelle von ∼ 106 Sternen innerhalb einer Kugelvon ∼ 1 pc Radius umgeben ist, so ist selbst bei ei-ner statistisch isotropen Verteilung dieser Sterne dieNetto-Beschleunigung auf das Zentrum nicht Null, son-dern aufgrund der Diskretheit der Massenverteilung gibtes eine stochastische Kraft, die sich zeitlich aufgrundder Bahnbewegung der Sterne ändert. Die Radioquelleunterliegt daher dieser Kraft und wird durch sie be-schleunigt. Diese Beschleunigung führt deshalb zu einerBewegung von Sgr A∗, und diese ist umso größer, je

kleiner die Masse der Quelle ist. Die sehr scharfenGrenzen an die Geschwindigkeit von Sgr A∗ erlauben,eine untere Schranke für deren Masse von 0.4×106 M�herzuleiten. Diese Massenschranke ist zwar deutlichkleiner als die Masse des SMBH, welche aus denSternorbits bestimmt wurde, aber es handelt sich hier-bei um die Masse der Radioquelle selbst. Obwohl esbeste Gründe gibt für die Annahme, dass Sgr A∗ mitdem SMBH übereinstimmt, ist diese neue Beobachtungder erste Beweis für eine große Masse der Radioquelleselbst.

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87

3. Die Welt der GalaxienDie Erkenntnis, dass die Milchstraße nur eine Gala-xie von vielen im Universum ist, ist jünger als 100Jahre, obgleich viele Galaxien schon seit langem be-kannt sind. So enthält etwa der Katalog von CharlesMessier (1730–1817) 103 diffuse Objekte, z. B. M31,die Andromeda-Galaxie, als 31sten Eintrag im Messier-Katalog. Später wurde der Katalog auf 110 Objekteerweitert. Der New General Catalog (NGC) wurdevon John Dreyer (1852–1926) veröffentlicht und ent-hält knapp 8000 Objekte, die meisten davon Galaxien.Vesto Slipher erkannte 1912 durch Spektroskopie, dassSpiralnebel rotieren. Aber zu jener Zeit war die Naturdieser ausgedehnten Quellen, damals Nebel genannt,nicht bekannt; man wusste nicht, ob sie Teile unsererMilchstraße seien.

Im Jahre 1920 kam es zu einer öffentlichen Debatte(the Great Debate) zwischen Harlow Shapley und He-ber Curtis. Shapley vertrat die Ansicht, die Nebel seienTeil unserer Milchstraße, während Curtis argumentierte,

Abb. 3.1. Galaxien kommen in ver-schiedenen Formen und Größenvor, und sie befinden sich oftmalsin Gruppen oder Galaxienhaufen.Dieser Haufen, ACO 3341, mit ei-ner Rotverschiebung von z = 0.037,enthält eine Vielzahl von Ga-laxien verschiedener Typen undHelligkeiten

dass die Nebel außerhalb der Galaxis lokalisiert seinmüssten. Die von den Kontrahenten vorgebrachten Ar-gumente basierten zum Teil auf Annahmen, die sichhinterher als nicht haltbar erwiesen, sowie auf fehler-haften Daten. Wir wollen auf diese Argumente, die u. a.mit der angenommenen Größe unserer Milchstraße ver-knüpft waren, hier nicht weiter eingehen, da die Fragenach der Natur der Nebel wenige Jahre später aufge-klärt werden konnte. 1925 entdeckte Edwin HubbleCepheiden in Andromeda (M31). Unter Benutzung derPerioden-Leuchtkraft-Relation für diese pulsierendenSterne (siehe Abschn. 2.2.7) leitete er eine Entfernungvon 285 kpc ab. Dieser Wert war zwar um einen Fak-tor ∼ 3 kleiner als die heute bekannte Entfernung zuM31, zeigte aber klare Evidenz dafür, dass M31, unddamit auch andere Spiralnebel, extragalaktischer Natursind und wie unsere Milchstraße aus unzähligen Sternenbestehen. Die Schlussfolgerungen von Hubble wurdenvon seinen Zeitgenossen als schlüssig empfunden und

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88

3. Die Welt der Galaxien

markieren den Beginn der Extragalaktischen Astrono-mie. Es ist kein Zufall, dass George Hale zu diesemZeitpunkt begann, sich um die Finanzierung eines ehr-geizigen Projektes zu kümmern, und 1928 erhielt ersechs Millionen Dollar zum Bau des 5 Meter-Teleskopsauf dem Mount Palomar, das im Jahre 1949 vollendetwurde.

Dieses Kapitel behandelt Galaxien. Dabei beschrän-ken wir uns hier auf ,,normale“ Galaxien im lokalenUniversum. Galaxien bei großen Entfernungen, die sichzum Teil in einem sehr frühen Entwicklungsstadium be-finden, werden in Kap. 9 besprochen. Weiterhin werdenwir die Aktiven Galaxien, wie etwa die Quasare, erst inKap. 5 diskutieren.

3.1 Klassifikation

Die Klassifikation von Objekten hängt von der Art derBeobachtungen ab. Dies ist natürlich auch bei Gala-xien der Fall. Da historisch die optische Photometriedie erste Art der (Galaxien-)Beobachtung darstellt, istdie morphologische Klassifikation, die von Hubblestammt, auch heute noch am bekanntesten. Nebenmorphologischen Kriterien können auch Farbindizes,spektroskopische Befunde – basierend auf Emissions-oder Absorptionslinien – Breitband-Spektralverteilung(Galaxien mit/ohne Radio- und/oder Röntgenemission),oder andere Merkmale benutzt werden.

3.1.1 Morphologische Klassifikation:Die Hubble-Sequenz

Abbildung 3.2 zeigt das Klassifikationsschema vonHubble. Danach gibt es, grob gesprochen, dreiHaupttypen von Galaxien:

Abb. 3.2. Die ,,Stimmgabel“ von Hubblezur Galaxienklassifikation

• Elliptische Galaxien (E’s), Galaxien mit nahezu el-liptischen Isophoten ohne deutliche Struktur. Diesewerden unterteilt nach ihrer Elliptizität ε ≡ 1−b/a,wobei a und b die große und kleine Halbachse be-zeichnen. Man findet Ellipsen über einen relativbreiten Bereich in der Elliptizität, 0 ≤ ε � 0.7. Eshat sich die Notation En für die Unterteilung der El-lipsen nach ε eingebürgert, wobei n = 10ε; d. h. eineE4-Galaxie hat ein Achsenverhältnis von b/a = 0.6,während E0’s kreisförmige Isophoten zeigen.

• Spiralgalaxien bestehend aus einer Scheibe mitSpiralarmstruktur und einer zentralen Verdickung(Bulge). Diese werden weiterhin in zwei Un-terklassen unterteilt, normale Spiralen (S’s) undBalkenspiralen (SB’s). Innerhalb jeder dieser Unter-klassen führt man eine Sequenz ein, die nach demHelligkeitsverhältnis von Bulge und Scheibe geord-net ist und die mit a, ab, b, bc, c, cd, d bezeichnet wird.Objekte entlang dieser Sequenz werden häufig alsFrühtyp- bzw. Spättyp-Spiralen bzw. Balkenspiralenbenannt. Eine Sa-Galaxie wäre also vom ,,frühen“Typ, eine SBc-Galaxie eine Spättyp-Balkenspirale.Dabei sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dassdiese Bezeichnungen nichts über einen Entwick-lungszustand der Objekte aussagen, sondern als reinhistorische Notation zu verstehen sind.

• Irreguläre Galaxien (Irr’s), Galaxien mit wenig (Irr I)oder keiner (Irr II) regulären Struktur. Die Klassifi-kation für Irr’s wird oft verfeinert; insbesondere wirddie Spiralsequenz erweitert um die Klassen Sdm,Sm, Im und Ir (m steht für Magellansch; die GroßeMagellansche Wolke ist vom Typ SBm).

Als Übergang zwischen Ellipsen und Spiralen gibtes S0-Galaxien, auch Lenticulars genannt, linsen-förmige Galaxien, die wiederum in S0 und SB0

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3.1 Klassifikation

89

Abb. 3.3. Das Spektrum eines Quasars(3C273) im Vergleich zu dem einer Ellipti-schen Galaxie. Während die Strahlung derEllipse in einem sehr engen Frequenzbe-reich konzentriert ist, das weniger als zweiDekaden in der Frequenz umfasst, ist dieAbstrahlung des Quasars über das gesamteelektromagnetische Spektrum zu beobach-ten, und die Energie pro logarithmischenFrequenzintervals ist grob gesprochen kons-tant. Dies zeigt, dass das Licht des Quasarsnicht als Überlagerung von Sternspektrenzu verstehen ist, sondern aus ganz ande-ren Quellen und Strahlungsmechanismenstammen muss

eingeteilt werden, je nachdem, ob sie einen Bal-ken besitzen oder nicht. Sie enthalten einen Bulgeund einen großen umhüllenden Bereich von rela-tiv unstrukturierter Helligkeit, der häufig als Scheibeohne Spiralarme erscheint. Ellipsen und S0-Galaxienwerden als Frühtyp-Galaxien, Spiralen als Spättyp-Galaxien bezeichnet, und auch diese Bezeichnungensind rein historisch und bedeuten keineswegs einenEntwicklungsweg!

Offensichtlich hängt die morphologische Klassifika-tion wenigstens teilweise von Projektionseffekten ab.Falls beispielsweise die räumliche Form einer Ellipti-schen Galaxie ein triaxialer Ellipsoid ist, so hängt diebeobachtete Elliptizität ε von ihrer Orientierung relativzur Sichtlinie ab. Auch ist ein Balken in einer Spirale,die wir von der Seite her (,,edge-on“) beobachten, nurschwer ausfindig zu machen.

Neben den oben erwähnten Haupttypen von Ga-laxienmorphologien gibt es weitere, die sich nichtin das Hubble-Schema einordnen lassen. Viele davonwerden vermutlich durch Wechselwirkungen zwischenGalaxien erzeugt (s. u.). Weiterhin gibt es Galaxien,deren Strahlungscharakteristika sich sehr stark vondem spektralen Verhalten der ,,normalen“ Galaxienunterscheiden, wie als nächstes diskutiert wird.

3.1.2 Andere Arten von Galaxien

Das Licht der oben besprochenen ,,normalen“ Gala-xien stammt im Wesentlichen von Sternen. Daher istdie spektrale Verteilung der Strahlung von solchen

Galaxien hauptsächlich eine Überlagerung der Spekt-ren ihrer Sternpopulation. In erster Näherung wirddas Spektrum von Sternen durch eine Planck-Funktion(siehe Anhang A) beschrieben, welche alleine durchdie Oberflächentemperatur des Sterns bestimmt ist. DerTemperaturbereich einer Sternpopulation erstreckt sichvon einigen Tausend Kelvin bis hin zu wenigen Zehn-tausend Kelvin. Da weiterhin die Planck-Funktion eingut lokalisiertes Maximum besitzt und von dort nachbeiden Seiten stark abfällt, wird die meiste Energiesolcher ,,normalen“ Galaxien in einem relativ engenFrequenzintervall abgestrahlt, das im optischen undNIR-Bereich des Spektrums liegt.

Daneben gibt es auch andere Galaxien, deren Spekt-ren nicht als Überlagerung von stellaren Spektrenbeschrieben werden können. Zum einen gibt es dieKlasse der Aktiven Galaxien, die einen erheblichenBruchteil ihrer Leuchtkraft nicht aus dem thermo-nuklearen Brennen in Sternen gewinnen, sondern ausgravitativer Energie, die durch den Einfall von Mate-rie auf ein Supermassives Schwarzes Loch frei wird,wie in Abschn. 1.2.4 bereits angesprochen wurde. DieAktivität dieser Objekte kann sich auf verschiedeneWeise zeigen. Beispielsweise sind einige von ihnensehr leuchtkräftig im Radio- und/oder Röntgenbe-reich des Spektrums (siehe Abb. 3.3) oder zeigen sehrstarke Emissionslinien mit einer Breite von einigenTausend km/s, wenn die Linienbreite als Doppler-Verbreiterung interpretiert wird, also mit Δλ/λ = Δv/c.In vielen Fällen kommt der allergrößte Teil der Leucht-kraft aus einem sehr kleinen zentralen Bereich, demAktiven Kern, der dieser Klasse von Galaxien seinen

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90

3. Die Welt der Galaxien

Namen verliehen hat. In Quasaren kann die zentraleLeuchtkraft durchaus die Größenordnung ∼ 1013 L�erreichen, also etwa tausend Mal leuchtkräftiger alsdie gesamte Strahlung unserer Milchstraße. Wir wer-den die Aktiven Galaxien, ihre Phänomene und ihrephysikalischen Eigenschaften in Kapitel 5 im Detaildiskutieren.

Ein weiterer Galaxientyp besitzt ebenfalls spekt-rale Eigenschaften, die ganz erheblich von denen,,normaler“ Galaxien abweichen, nämlich die Starburst-Galaxien. Normale Spiralgalaxien wie unsere Milch-straße bilden neue Sterne mit einer Rate von ∼ 3M�/yr,wie man beispielsweise aus den Balmer-Linien desWasserstoffs erschließt, die aus HII-Regionen um jungeheiße Sterne stammen. Elliptische Galaxien weisen imGegensatz dazu eine sehr geringe oder keine Sternbil-dung auf. Es gibt aber Galaxien mit sehr viel größererSternentstehungsrate, die 100M�/yr oder mehr betra-gen kann. Wenn sich viele junge Sterne bilden, sokönnte man annehmen, dass diese Starburst-Galaxiensehr stark im Blauen bzw. im UV-Bereich strahlen,was dem Maximum der Planck-Funktion der masse-reichsten, leuchtkräftigsten Sternen entspricht. DieseErwartung wird nur zum Teil erfüllt: Sternentstehung

Abb. 3.4. Dieses Mosaik von 9 HST-Aufnahmen zeigt ver-schiedene ULIRGs als Kollisionen von zwei oder mehrerenGalaxien

findet in dichten Molekülwolken statt, die häufig aucheinen großen Staubanteil besitzen. Falls der größteTeil der Sternentstehung unserem direkten Blick durchStaubabsorption verborgen bleibt, so werden diese Ga-laxien im Blauen nicht sonderlich auffallen. Durch diestarke Strahlung der jungen, leuchtkräftigen Sterne heiztsich der Staub jedoch auf, und das absorbierte Sternlichtwird als thermische Staubstrahlung im Infrarot- undSubmillimeter-Bereich des elektromagnetischen Spek-trums abgestrahlt – diese Galaxien können daher imIR-Bereich extrem leuchtkräftig sein. Sie werden alsULIRGs (ultra-luminous infrared galaxies) bezeich-net. Wir werden die Phänomene der Starburst-Galaxienin Abschn. 9.2.1 näher beschreiben. Von besonderemInteresse ist die Beobachtung, dass die Sternentste-hungsrate von Galaxien eng korreliert zu sein scheintmit ihren Wechselwirkungen untereinander – viele derULIRGs sind stark wechselwirkende Galaxien (sieheAbb. 3.4).

3.2 Elliptische Galaxien

3.2.1 Unterteilung

Unter dem Oberbegriff der Elliptischen Galaxien (oderkurz Ellipsen) verbirgt sich eine breite Klasse von Gala-xien, die sich hinsichtlich ihrer Leuchtkraft und Größeunterscheiden und von denen einige in Abb. 3.5 dar-gestellt sind. Eine grobe Unterteilung wird wie folgtvorgenommen:

• Normale Ellipsen: Diese Klasse besteht ihrerseits ausRiesen-Ellipsen (giant ellipticals, gE’s), solchen mitmittlerer Leuchtkraft (E’s), und kompakten Ellipsen(compact ellipticals, cE’s), entsprechend einer ab-soluten Magnitude von MB ∼ −23 bis MB ∼ −15.Auch werden die S0’s oftmals dieser Klasse derFrühtyp-Galaxien zugeordnet.

• Zwergellipsen (dwarf ellipticals, dE’s), die sich vonden cE’s durch deutlich kleinere Flächenhelligkeitund niedrigere Metallizität unterscheiden.

• cD Galaxien, extrem leuchtkräftige (bis zu MB ∼−25) und große (bis zu R � 1 Mpc) Galaxien, dieman nur nahe der Zentren dichter Galaxienhaufenfindet. Ihre Flächenhelligkeit nahe dem Zentrum ist

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3.2 Elliptische Galaxien

91

Abb. 3.5. Verschiedene Typen von Elliptischen Galaxien.Oben links: die cD Galaxie M87 im Zentrum des Virgo-Galaxienhaufens (Quelle: Digital Sky Survey); oben rechts:Centaurus A, eine Elliptische Riesengalaxie mit einer starkausgeprägten Staubscheibe und einem Aktiven Galaxienkern;

unten links: die Galaxie Leo I gehört zu den 9 bekannten dwarfspheroidals der Lokalen Gruppe (Quelle: Michael Breite,www.skyphoto.de); unten rechts: NGC 1705, eine Zwerg-Irreguläre, zeigt Merkmale massiver Sternentstehung – einenSuper-Sternhaufen und starke galaktische Winde

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92

3. Die Welt der Galaxien

Tabelle 3.1. Charakteristische Werte für Elliptische Galaxien.D25 gibt den Durchmesser an, bei dem die Flächenhellig-keit auf 25 B-mag/arcsec2 gefallen ist, SN ist die ,,spezifische

Frequenz“, ein Maß für die Anzahl von Kugelsternhaufen be-zogen auf die visuelle Leuchtkraft (siehe Gl. 3.13) und M/List das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis in solaren Einheiten

S0 cD E dE dSph BCD

MB −17 bis −22 −22 bis −25 −15 bis −23 −13 bis −19 −8 bis −15 −14 bis −17

M(M�) 1010 bis 1012 1013 bis 1014 108 bis 1013 107 bis 109 107 bis 108 ∼ 109

D25 (kpc) 10 bis 100 300 bis 1000 1 bis 200 1 bis 10 0.1 bis 0.5 < 3

〈M/LB〉 ∼ 10 > 100 10 bis 100 1 bis 10 5 bis 100 0.1 bis 10

〈SN〉 ∼ 5 ∼ 15 ∼ 5 4.8±1.0 – –

sehr hoch, und sie besitzen eine ausgedehnte diffuseHülle sowie ein sehr großes M/L-Verhältnis.

• Blaue kompakte Zwerggalaxien: Diese ,,blue com-pact dwarfs“ (BCD’s) haben eine deutlich blauereFarbe (mit 〈B − V 〉 zwischen 0.0 und 0.3) als die an-deren Ellipsen, und im Gegensatz zu diesen enthaltensie relativ viel Gas.

• Zwergsphäroiden (dwarf spheroidals, dSph’s) besit-zen eine sehr geringe Leuchtkraft und Flächenhel-ligkeit; sie wurden beobachtet bis hin zu MB ∼ −8.Aufgrund dieser Eigenschaften können sie bislangnur in der Lokalen Gruppe entdeckt werden.

Die Elliptischen Galaxien erstrecken sich also übereinen enormen Bereich von mehr als 106 in Leuchtkraftund Masse, wie in Tabelle 3.1 zusammengestellt ist.

3.2.2 Helligkeitsprofil

Das Helligkeitsprofil normaler E’s und cD’s folgt überweite Bereiche dem de Vaucouleurs-Profil (2.39) bzw.(2.41), wie man in Abb. 3.6 erkennen kann. Dabei folgtder Effektivradius Re als Funktion von MB einer engenSequenz (siehe Abb. 3.7). Im Vergleich dazu befindensich die dE’s und dSph’s auf einer deutlich anderenSequenz. Analoges gilt dann auch wegen des Zusam-menhangs (2.42) zwischen Leuchtkraft, Effektivradiusund zentraler Flächenhelligkeit für die mittlere Flächen-helligkeit μave (Einheit: B-mag/arcsec2) innerhalb vonRe als Funktion von MB. Insbesondere sinkt mit steigen-der Leuchtkraft die Flächenhelligkeit bei normalen E’s,während sie für dE’s und dSph’s ansteigt.

Das de Vaucouleurs-Profil passt am besten fürnormale E’s, während bei E’s mit besonders großer

Abb. 3.6. Oberflächenhelligkeitsprofil der Galaxie NGC4472, angepasst durch ein de Vaucouleurs-Profil. Das deVaucouleurs-Profil drückt einen linearen Zusammenhangzwischen dem Logarithmus der Intensität (d. h. linear in Mag-nituden) und r1/4 aus; daher wird es auch als r1/4-Gesetzbezeichnet

(kleiner) Leuchtkraft das Profil nach außen hin lang-samer (schneller) abfällt. Das Profil von cD’s ist vielausgedehnter als durch ein de Vaucouleurs-Profil be-schrieben wird (Abb. 3.8). Es scheint, als seien cD’sähnlich zu E’s, aber eingebettet in einen sehr aus-gedehnten, leuchtkräftigen Halo. Da cD’s nur in denZentren massereicher Galaxienhaufen gefunden wer-den, muss es einen Zusammenhang geben zwischendieser Morphologie und der Umgebung dieser Galaxien.Im Gegensatz zu diesen Klassen der Ellipsen werdendiffuse dE’s oft besser durch ein exponentielles Profilbeschrieben.

Page 106: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.2 Elliptische Galaxien

93

Abb. 3.7. Links: Effektivradius Re aufgetragen gegen abso-lute Helligkeit MB; für normale Ellipsen ist die Korrelationanders als für Zwerge. Rechts: mittlere Flächenhelligkeit μave

aufgetragen gegen MB; für normale Ellipsen sinkt die Flä-chenhelligkeit mit steigender Leuchtkraft, für Zwerge steigtsie an

Abb. 3.8. Vergleich des Helligkeitsprofils einer cD-Galaxie,der Zentralgalaxie des Galaxienhaufens Abell 2670, mit einemde Vaucouleurs-Profil. Der Lichtexzess für große Radien istdeutlich zu erkennen

3.2.3 Zusammensetzungvon Elliptischen Galaxien

Außer den BCD’s sind Elliptische Galaxien rot im Op-tischen, was auf eine alte Sternpopulation hindeutet.Ursprünglich dachte man, Ellipsen enthielten weder Gasnoch Staub, doch inzwischen wurden beide Komponen-ten gefunden, allerdings mit deutlich kleinerem Anteilals in Spiralen. So wurde in einigen Ellipsen heißesGas (∼ 107 K) aufgrund seiner Röntgenemission ent-

deckt, und man fand Hα-Emissionslinien von warmem(∼ 104 K) Gas, sowie auch kaltes Gas (∼ 100 K) in HI

(21 cm) und CO-Moleküllinien. Viele der normalen El-lipsen enthalten sichtbaren Staub, der sich teilweise alsStaubscheibe manifestiert. Die Metallizität von Ellipsenund S0-Galaxien steigt nach innen an, wie aufgrund vonFarbgradienten zu erkennen ist. Auch in SO-Galaxienist der Bulge roter als die Scheibe.

Diese Zusammensetzung von Ellipsen, die sich deut-lich von denen der Spiralgalaxien unterscheidet, mussin einem Modell der Entstehung und Entwicklung vonGalaxien erklärt werden. Wir werden später noch sehen,dass die kosmische Entwicklung von Ellipsen ebenfallsanders verläuft als die der Spiralen.

3.2.4 Dynamik von Elliptischen Galaxien

Die Beobachtung der Morphologie von elliptischenGalaxien legt eine einfache Frage nahe: Warum sindEllipsen abgeplattet? Eine einfache Erklärung wäreeine Rotationsabplattung, d. h. wie bei einer rotie-renden selbstgravitierenden Gaskugel beult sich dieSternverteilung am Äquator aufgrund der Fliehkraftnach außen. Falls diese Erklärung zuträfe, müsste dieRotationsgeschwindigkeit vrot, die durch die relativeDopplerverschiebung von Absorptionslinien messbarist, von vergleicharer Größenordnung sein wie dieGeschwindigkeitsdispersion der Sterne σv, die durch

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94

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.9. Der Rotationsparameter(

vrotσv

)/(

vrotσv

)iso

von

Elliptischen Galaxien, hier bezeichnet als (V/σ)∗, aufge-tragen gegen die absolute Helligkeit. Die Punkte stehenfür elliptische Galaxien, die Kreuze für Bulges vonScheibengalaxien

die Dopplerverbreiterung von Linien messbar ist.Genauer gesagt, kann man mit Hilfe der Stellardy-namik zeigen, dass für die Rotationsabplattung eineraxialsymmetrischen oblaten1 Galaxie(

vrot

σv

)iso

≈√

ε

1− ε(3.1)

gelten muss, wobei der Index ,,iso“ auf die Annahmeeiner isotropen Geschwindigkeitsverteilung der Sternehinweist. Man findet aber für leuchtkräftige Ellipsen inder Regel vrot σv, so dass die Rotation für deren Ellip-tizität nicht verantwortlich sein kann (siehe Abb. 3.9).Hinzu kommt, dass viele Ellipsen vermutlich triaxialsind, es also keine eindeutige Rotationsachse gibt.Leuchtkräftige Ellipsen sind daher i. A. nicht rotations-abgeplattet! Allerdings kann für weniger leuchtkräftige

1Wenn a ≥ b ≥ c die Längen der Hauptachsen eines Ellipsoid be-zeichnen, dann nennt man diesen einen oblaten Sphäroiden (=Rotationsellipsoid), wenn a = b > c, während ein prolater Sphä-roid durch a > b = c gekennzeichnet ist. Sind alle drei Achsenverschieden, dann spricht man von einem triaxialen Ellipsoiden.

Ellipsen und für die Bulges von Scheibengalaxiendie Rotationsabplattung eine wichtige Rolle spielen.Also stellt sich die Frage, wie eine stabile elliptischeVerteilung von Sternen ohne Rotation möglich ist.

Das Helligkeitsprofil von Ellipsen wird bestimmtdurch die Verteilung der stellaren Orbits in ihnen.Dazu stelle man sich vor, dass das Gravitationspo-tential der Galaxie gegeben wäre. In diesem Potentialverteilt man nun Sterne, deren Anfangspositionen und-geschwindigkeiten einer bestimmten Verteilung fol-gen. Falls diese Verteilung nicht isotrop im Geschwin-digkeitsraum ist, ist die resultierende Lichtverteilunggenerell nicht sphärisch. Man könnte sich beispiels-weise vorstellen, dass die Bahnebene der Sterne einebevorzugte Richtung hätte, es aber gleich viele Or-bits mit positivem Drehimpuls Lz wie mit negativemgibt, so dass die Sternverteilung insgesamt keinen Dre-himpuls und somit keine Rotation besitzt. Jeder Sternfolgt seinem Orbit im Gravitationspotential, wobei essich i. A. nicht um geschlossene Orbits handelt. Fallsman eine Anfangsverteilung der Sternorbits wählt, beider die statistischen Eigenschaften der Verteilung derOrbits zeitlich invariant sind, so erhält man ein statio-näres System. Ist die Verteilung weiterhin so gewählt,dass die zugehörige Massenverteilung der Sterne ge-rade das ursprünglich gewählte Gravitationspotentialhervorruft, hat man ein selbstgravitierendes Gleichge-wichtssystem. Im Allgemeinen ist es ein schwierigesmathematisches Problem, solche selbstgravitierendenGleichgewichtssysteme zu konstruieren.

Relaxationszeitskala. Nun stellt sich die Frage, ob einsolches Gleichgewichtssystem auch zeitlich stabil blei-ben kann. Man würde vielleicht erwarten, dass naheBegegnungen von Paaren von Sternen die Verteilung derOrbits empfindlich stören können. Solche Zweier-Stößekönnten dann zu einer ,,Thermalisierung“ der Sternor-bits führen. Um diese Frage zu untersuchen, muss mandie Zeitskala solcher Stöße und der damit verbundenenRichtungsänderungen abschätzen.

Wir betrachten dazu die Relaxationszeitskala durchZweier-Stöße in einem System von N Sternen derMasse m, der Gesamtmasse M = Nm, einer Ausdeh-nung R und einer mittleren Sterndichte n = 3N/(4πR3).Wir definieren die Relaxationszeit trelax als die charak-teristische Zeit, in der ein Stern durch Zweier-Stöße mitanderen Sternen seine Richtung um ∼ 90 Grad ändert;

Page 108: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.2 Elliptische Galaxien

95

man findet durch eine einfache Betrachtung (s. u.), dass

trelax ≈ R

v

N

ln N, (3.2)

oder

trelax = tcrossN

ln N, (3.3)

wobei tcross = R/v die charakteristische Zeit einesSterns zum Durchqueren des Sternsystems ist. Wenn wirnun eine typische Galaxie betrachten, mit tcross ∼ 108 yr,N ∼ 1012 (also ln N ∼ 30), so ergibt sich, dass dieRelaxationszeit sehr viel länger ist als das Weltalter,also Zweier-Stöße in der Entwicklung der Sternorbitskeine Rolle spielen. Die Dynamik der Orbits wird alleinbestimmt durch das großräumige Gravitationsfeld derGalaxie. Wir werden in Abschn. 7.5.1 einen Prozess be-schreiben, der bei der Bildung von Galaxien ein Rollespielt und der mit großer Wahrscheinlichkeit dafür ver-antwortlich ist, dass eine Gleichgewichtskonfigurationder Orbits eingenommen wird.

Die Sterne verhalten sich also wie ein stoßfreies Gas:Elliptische Galaxien sind druckstabilisiert, und sie sindelliptisch, weil die Sternverteilung anisotrop im Ge-schwindigkeitsraum ist, was einem anisotropen Druckentspricht – wobei hier daran erinnert sei, dass der Druckeines Gases nichts anderes ist als der Impulstransportvon Gasteilchen aufgrund ihrer thermischen Bewegung.

Herleitung der Relaxationszeitskala durch Stöße.Wir betrachten den Vorbeigang eines Sterns an einemanderen, mit dem Stoßparameter b als der kleinsten Ent-fernung zwischen beiden. Der Stern erhält durch die gra-vitative Ablenkung eine Geschwindigkeitskomponentesenkrecht zur Einfallgeschwindigkeit,

v(1)⊥ ≈ a Δt ≈

(Gm

b2

)(2b

v

)= 2Gm

bv, (3.4)

wobei a die Beschleunigung bei der nächsten Annähe-rung und Δt die ,,Dauer des Stoßes“ ist, wobei letzteremit 2b/v abgeschätzt wurde (siehe Abb. 3.10). DurchIntegration entlang der Orbits kann (3.4) genauer herge-leitet werden. Ein Stern erfährt viele Stöße, wobei sichdie senkrechten Geschwindigkeitskomponenten akku-mulieren; diese sind 2-dimensionale Vektoren senkrechtzur Einfallsrichtung. Nach einer Zeit t gilt dann

Abb. 3.10. Skizze zur Herleitung der dynamischen Zeitskala

v⊥(t) =∑i v(i)⊥ . Der Erwartungswert dieses Vektors be-

trägt 〈v⊥(t)〉 =∑i

⟨v

(i)⊥⟩= 0, da die Richtungen von

v(i)⊥ zufällig sind. Aber die mittlere quadratische Ge-

schwindigkeit senkrecht zur Einfallsrichtung ist vonNull verschieden,⟨|v⊥|2(t)⟩=∑

ij

⟨v

(i)⊥ ·v( j)

⊥⟩=∑

i

⟨∣∣∣v(i)⊥∣∣∣2⟩ �= 0 , (3.5)

wobei wir⟨v

(i)⊥ ·v( j)

⊥⟩= 0 für i �= j gesetzt haben, da die

Richtungen unterschiedlicher Stöße unkorreliert sind.Die Geschwindigkeit v⊥ vollführt einen sog. randomwalk. Zur Berechnung der Summe wandeln wir diesein ein Integral um, wobei wir über alle Stoßparameter bintegrieren müssen. In der Zeitspanne t sind alle Stoß-partner innerhalb db von b in einer Zylinderschale mitVolumen (2πb db) (vt) lokalisiert, so dass⟨|v⊥|2(t)⟩= ∫ 2π b db v t n

∣∣∣v(1)⊥∣∣∣2

= 2π

(2Gm

v

)2

v t n∫

db

b. (3.6)

Das Integral kann nicht von 0 bis ∞ berechnet wer-den; es muss daher bei bmin und bmax abgeschnittenwerden und ergibt dann ln(bmax/bmin). Aufgrund derEndlichkeit der Sternverteilung ist bmax = R die na-türliche Wahl. Weiterhin bricht unsere Näherung, diezu (3.4) geführt hat, spätestens dann zusammen, wennv

(1)⊥ von der gleichen Größenordnung ist wie v, so

dass wir bmin = 2Gm/v2 setzen. Man findet damitbmax/bmin = Rv2/(2Gm). Da bmin und bmax nur loga-rithmisch auftreten, ist die genaue Wahl unwichtig.Benutzt man als nächstes den Virialsatz, |Epot| = 2Ekin,also G M/R = v2, dann wird daraus bmax/bmin ≈ N .Daher gilt

⟨|v⊥|2(t)⟩= 2π

(2Gm

v

)2

v t n ln N . (3.7)

Page 109: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

96

3. Die Welt der Galaxien

Wir definieren die Relaxationszeit trelax durch⟨|v⊥|2(trelax)⟩ = v2, also diejenige Zeit, in der die

senkrechte Geschwindigkeit etwa gleich der Einfallge-schwindigkeit ist:

trelax = 1

2πnv

(v2

2Gm

)21

ln N

= 1

2πnv

(M

2Rm

)2 1

ln N≈ R

v

N

ln N, (3.8)

woraus sich dann (3.3) ergibt.

3.2.5 Anzeichen komplexer Entwicklung

Für viele der normalen elliptischen Galaxien gilt,dass die Isophoten (also die Kurven konstanter Flä-chenhelligkeit) tatsächlich sehr gut durch Ellipsenapproximiert werden können. Diese Ellipsen als Funk-tion der Flächenhelligkeit sind sehr genau konzentrisch,die Abweichungen des Mittelpunkts einer Isophote vomMittelpunkt der Galaxie beträgt typischerweise � 1%ihrer Ausdehnung. Allerdings variiert in vielen Fällendie Elliptizität mit dem Radius, es gibt also keinen ein-heitlichen Wert für ε. Hinzu kommt, dass viele Ellipseneinen so genannten Isophotentwist zeigen: Die Orien-tierung der großen Halbachse der Isophoten ändert sichmit dem Radius. Dies deutet darauf hin, dass Ellipsenkeine Sphäroiden, sondern triaxiale Systeme sind (oderaber intrinsische Achsendrehung besitzen).

Obwohl die Lichtverteilung von Ellipsen auf den ers-ten Blick recht einfach aussieht, stellt sich bei nähererBetrachtung heraus, dass ihre Kinematik komplex seinkann. Beispielsweise sind Staubscheiben nicht notwen-digerweise senkrecht zu einer Hauptachse orientiert,und die Staubscheibe kann entgegen der galaktischenRotation rotieren. Zusätzlich können Ellipsen auch(schwache) Sternscheiben enthalten.

Boxiness und Diskiness. Die Abweichung der Formder Isophoten von der einer Ellipse wird durch den sog.Boxiness-Parameter beschrieben. Dazu betrachten wirdie Form einer Isophote. Falls diese durch eine Ellipsebeschrieben wird, so gilt nach geeigneter Wahl des Ko-ordinatensystems θ1 = a cos t, θ2 = b sin t, wobei a undb die beiden Halbachsen der Ellipse darstellen und tdie Kurve parametrisiert. Der Abstand r(t) eines Punkts

Abb. 3.11. Skizze zur Veranschaulichung von boxiness unddiskiness. Die durchgezogene Kurve zeigt eine Ellipse(a4 = 0), die gestrichelte Kurve eine disky-Ellipse (a4 > 0)und die gepunktete Kurve eine boxy-Ellipse (a4 < 0). DieAbweichungen der Isophotenform von einer Ellipse ist beiElliptischen Galaxien wesentlich kleiner als hier skizziert

vom Zentrum lautet

r(t) =√

θ21 + θ2

2 =√

a2 +b2

2+ a2 −b2

2cos(2t) .

Abweichungen der Isophotenform von dieser Ellipsekönnen nun in einer Taylor-Reihe entwickelt werden,wobei der Term ∝ cos(4t) die Korrektur niedrigsterOrdnung beschreibt, die die Symmetrie der Ellipsebezüglich Spiegelung an beiden Koordinatenachsen bei-behält. Die modifizierte Kurve wird dann beschriebendurch

θ(t) =(

1+ a4 cos(4t)

r(t)

)(a cos t

b sin t

), (3.9)

mit der oben beschriebenen Funktion r(t). Der Para-meter a4 beschreibt daher eine Abweichung von einerEllipse; falls a4 > 0, so erscheint die Isophote eherscheibenartig (disky) und für a4 < 0 eher kastenartig(boxy – siehe Abb. 3.11). Man findet bei elliptischenGalaxien typischerweise |a4/a| ∼ 0.01, also eine eherkleine Abweichung von der elliptischen Form.

Korrelationen von a4 mit Eigenschaften der El-lipsen. Überraschenderweise findet man, dass derParameter a4/a mit anderen Eigenschaften von Ellip-sen stark korreliert ist (siehe Abb. 3.12). Das Verhältnis(

vrotσv

)/(

vrotσv

)iso

(links oben in der Abb. 3.12) ist von

Page 110: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.2 Elliptische Galaxien

97

Abb. 3.12. Korrelation von a4/a mit einigenEigenschaften von Elliptischen Galaxien.100a(4)/a (entspricht a4/a) beschreibtdie prozentuale Abweichung der Isopho-tenform von Ellipsen; negative Wertebezeichnen boxy Ellipsen, positive diskyEllipsen. Oben links ist ein Rotationspa-rameter aufgetragen (siehe Text, Gl. 3.1);unten links die Abweichungen von dermittleren Masse-zu-Leuchtkraft-Relation;oben rechts die Elliptizität; unten rechts dieRadioleuchtkraft bei 1.4 GHz

der Größenordnung eins für disky Ellipsen (a4 > 0) undi. A. wesentlich kleiner als 1 für boxy Ellipsen. Dar-aus folgt, dass Diskies zum Teil rotationsabgeplattetsind, während die Abplattung der Boxies im Wesent-lichen aus der anisotropen Verteilung der Sternorbitsim Geschwindigkeitsraum herrührt. Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis ist ebenfalls mit a4 korreliert,Boxies (Diskies) haben ein größeres (kleineres) M/Lim Kern als es dem mittleren Wert bei gleicher Leucht-kraft entspricht. Eine sehr starke Korrelation bestehtzwischen a4/a und der Radioleuchtkraft von Ellip-sen: Während Diskies schwache Radiostrahler sind,zeigen Boxies eine breite Verteilung in L radio. DieseKorrelation tritt ebenso auf bei der Röntgenleucht-kraft, denn Diskies sind schwache Röntgenstrahler, aberBoxies haben eine breite Verteilung in Lx. Diese Bi-modalität wird noch deutlicher, wenn man von derGesamt-Röntgenleuchtkraft die Strahlung von kompak-ten Quellen (z. B. Röntgen-Doppelsterne) subtrahiert,also nur die Röntgenleuchtkraft der diffusen Strah-lung betrachtet. Auch in der Kinematik der Sterneunterscheiden sich Ellipsen mit unterschiedlichem Vor-

zeichen von a4: Boxies besitzen oft Kerne, die sichentgegen der allgemeinen Rotationsrichtung drehen(counter-rotating cores), was bei Diskies kaum auftritt.

Etwa 70% der Ellipsen sind Diskies. Der Übergangzwischen Diskies und S0-Galaxien ist vielleicht kon-tinuierlich, entlang einer Sequenz mit variierendemScheiben-zu-Bulge Verhältnis.

Shells und Ripples. Bei etwa 40% der Frühtyp-Galaxien, die sich nicht in Haufen befinden, wurdenscharfe Unstetigkeiten in der Flächenhelligkeit ent-deckt, eine Art Schalenstruktur (,,shells“ oder ,,ripp-les“). Diese bilden elliptische Bögen, die auf dasZentrum der Galaxie zentriert sind (siehe Abb. 3.13).Solche scharfen Kanten werden nur gebildet, wenn diezugehörige Verteilung der Sternorbits ,,kalt“ ist, d. h.sie muss eine kleine Dispersion aufweisen, weil sichandernfalls solche kohärenten Strukturen in kürzesterZeit ausschmieren würden. Zum Vergleich kann manScheibengalaxien betrachten, die ja ebenfalls scharfeStrukturen enthalten, nämlich die dünne Sternscheibe.In der Tat haben die Sterne der Scheibe eine sehr

Page 111: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

98

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.13. Bei der Galaxie NGC 474, diehier mit zwei verschiedenen Kontrastdar-stellungen zu sehen ist, findet man eineReihe von scharfen elliptische Bögen umdas Galaxienzentrum, die so genanntenripples oder shells. Der gezeigte Ausschnittentspricht einer Kantenlänge von ca. 90 kpc

kleine Geschwindigkeitsdispersion, ∼ 20 km/s, ver-glichen mit der Rotationsgeschwindigkeit von etwa200 km/s.

Solche Besonderheiten der Ellipsen sind nicht etwaselten; so findet man bei beinahe der Hälfte der Frühtyp-Galaxien Anzeichen von Shells, und etwa ein Drittelbesitzen boxy Isophoten.

Boxiness, counter-rotating cores, und Shells undRipples sind alles Anzeichen einer komplexen Ent-wicklung, die wahrscheinlich durch eine in derVergangenheit stattgefundene Verschmelzung mitanderen Galaxien hervorgerufen wurde.

Diese Interpretation werden wir in Kap. 9 weiterdiskutieren.

3.3 Spiralgalaxien3.3.1 Trends innerhalb der Spiralensequenz

Betrachtet man die Sequenz von Frühtyp-Spiralen (Sa’sbzw. SBa’s) zu Spättyp-Spiralen, so ergeben sich eineReihe von Unterschieden, die zu ihrer Klassifikationherangezogen werden (siehe auch Abb. 3.14):

• ein abnehmendes Verhältnis zwischen den Leucht-kräften von Bulge und Scheibe, mit etwaLbulge/Ldisk ∼ 0.3 für Sa’s und ∼ 0.05 für Sc’s,

• ein zunehmender Öffnungswinkel der Spiralarme,von ∼ 6◦ für Sa’s zu ∼ 18◦ bei Sc’s,

• und die Helligkeitsstruktur entlang der Spiralarmenimmt zu: Sa’s haben eine ,,glatte“ Sternverteilung

entlang der Spiralarme, bei Sc’s ist die Lichtvertei-lung in Spiralarmen in helle Klumpen von Sternenund HII-Regionen aufgelöst.

Dabei überdecken Spiralen einen wesentlich klei-neren Bereich der absoluten Helligkeit (und Masse)als Elliptische Galaxien, sie sind beschränkt auf−16� MB �−23 bzw. 109 M� � M � 1012 M�. Cha-rakteristische Parameter der verschiedenen Spiral-Typen sind in der Tabelle 3.2 zusammengefasst.

3.3.2 Helligkeitsprofil

Das Profil des Bulges von Spiralen folgt in guter Nähe-rung einem de Vaucouleurs-Profil – siehe (2.39) und(2.41) – während die Scheibe einem exponentiellenHelligkeitsprofil folgt, wie dies auch in unserer Gala-xis der Fall ist. Drückt man diese Verteilungen für dieFlächenhelligkeit in μ ∝ −2.5 log(I) aus, gemessen inmag/arcsec2, so erhält man

μbulge(R) = μe +8.3268

[(R

Re

)1/4

−1

](3.10)

und

μdisk(R) = μ0 +1.09

(R

hr

). (3.11)

Dabei ist μe die Flächenhelligkeit am Effektivradius,der so definiert ist, dass von innerhalb Re die Hälfte derLeuchtkraft stammt (siehe Gl. 2.40). Die zentrale Flä-chenhelligkeit und die Skalenlänge der Scheibe werdenmit μ0 bzw. hr bezeichnet. Dazu muss man beachten,

Page 112: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.3 Spiralgalaxien

99

Abb. 3.14. Typen von Spiralgalaxien. Oben links: M64, eineSab-Galaxie; oben Mitte: M51, eine Sbc-Galaxie; oben rechts:M101, eine Sc-Galaxie; unten links: M83, eine SBa-Galaxie;

unten Mitte: NGC 1365, eine SBb-Galaxie; unten rechts: M58,eine SBc-Galaxie

Tabelle 3.2. Charakteristische Werte für Spiralgalaxien. Vmaxist die maximale Rotationsgeschwindigkeit, charakterisiertalso den flachen Teil der Rotationskurve. Der Öffnungswin-kel ist jener, unter welchem die Spiralarme abzweigen, also

der Winkel zwischen der Tangente an die Spiralarme unddem Kreis um das Zentrum der Galaxie, der durch den Tan-gentenpunkt verläuft. SN ist die spezifische Häufigkeit vonKugelsternhaufen, die in (3.13) definiert ist

Sa Sb Sc Sd/Sm Im/Ir

MB −17 bis −23 −17 bis −23 −16 bis −22 −15 bis −20 −13 bis −18M (M�) 109 –1012 109 –1012 109 –1012 108 –1010 108 –1010

〈Lbulge/L tot〉B 0.3 0.13 0.05 – –

Durchm. (D25, kpc) 5–100 5–100 5–100 0.5–50 0.5–50〈M/LB〉 (M�/L�) 6.2±0.6 4.5±0.4 2.6±0.2 ∼ 1 ∼ 1〈Vmax〉(km s−1) 299 222 175 – –VmaxBereich (km s−1) 163–367 144–330 99–304 – 50–70Öffnungswinkel ∼ 6◦ ∼ 12◦ ∼ 18◦ – –μ0,B (mag arcsec−2) 21.52±0.39 21.52±0.39 21.52±0.39 22.61±0.47 22.61±0.47〈B − V 〉 0.75 0.64 0.52 0.47 0.37〈Mgas/Mtot〉 0.04 0.08 0.16 0.25 (Scd) –〈MH2 /MHI〉 2.2±0.6 (Sab) 1.8±0.3 0.73±0.13 0.19±0.10 –

〈SN〉 1.2±0.2 1.2±0.2 0.5±0.2 0.5±0.2 –

Page 113: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

100

3. Die Welt der Galaxien

dass μ0 nicht direkt messbar ist, denn μ0 ist nicht diezentrale Flächenhelligkeit der Galaxie, sondern nur ih-res Scheibenanteils. Um μ0 zu bestimmen, wird daherdas Exponentialgesetz (3.11) von außen hin zu R = 0extrapoliert.

Ken Freeman fand bei seiner Untersuchung einerStichprobe von Spiralgalaxien das bemerkenswerte Er-gebnis, dass die zentrale Flächenhelligkeit μ0 vonScheiben eine sehr geringe Dispersion aufweist, alsofür verschiedene Galaxien sehr ähnlich ist (Free-man’s law, 1970). Für Sa’s bis Sc’s ergibt sichein Wert von μ0 = 21.52±0.39 B−mag/arcsec2, undfür Sd-Spiralen und spätere Typen ist μ0 = 22.61±0.47 B-mag/arcsec2. Dieses Resultat wurde kontroversdiskutiert, etwa in Hinblick auf die Abhängigkeit desErgebnisses von Auswahleffekten. Solche sind viel-leicht naheliegend, denn das Erreichen von präziserPhotometrie von Galaxien ist bei Objekten mit großerFlächenhelligkeit sicherlich sehr viel einfacher. Nachder Berücksichtigung von solchen Auswahleffekten beider statistischen Analyse von Galaxiensamples bestätigtsich das Freeman Gesetz für ,,normale“ Spiralgalaxien.Es gibt aber Galaxien mit deutlich kleinerer Flächen-helligkeit, die low surface brightness galaxies (LSBs);diese scheinen eine separate Klasse von Galaxien zubilden, deren Studium aufgrund der kleinen Flächen-helligkeit sehr viel schwieriger ist als das von normalenSpiralen. In der Tat ist die Flächenhelligkeit von LSBssehr viel kleiner als die Helligkeit des Nachthimmels,so dass bereits das Auffinden dieser LSBs sehr proble-matisch ist und eine sehr präzise Datenbearbeitung undSubtraktion des Himmelhintergrunds verlangt.

3.3.3 Rotationskurven und Dunkle Materie

Die Rotationskurven für andere Spiralgalaxien sind ein-facher zu messen als die der Milchstraße, da wir jene,,von außen“ beobachten können. Die Messungen er-folgen mittels des Doppler-Effekts, wobei man für dieInklination der Scheibe, also ihrer Orientierung relativzum Sehstrahl, korrigieren muss. Den Inklinationswin-kel erhält man aus dem beobachteten Achsenverhältnisder Scheibe unter der Annahme, dass Scheiben intrin-sisch (bis auf die Spiralarme) axial-symmetrisch sind.Als ,,Probekörper“ stehen hauptsächlich Sterne und dasHI-Gas der Galaxien zur Verfügung, wobei die Ausdeh-

nung der messbaren HI-Scheibe in der Regel deutlichgrößer ist als die Ausdehnung der Sternscheibe. Dahererstrecken sich Rotationskurven, die anhand der 21 cm-Linie gemessen werden, typischerweise zu deutlichgrößeren Radien als die aus stellarer Spektroskopie.

Wie unsere Galaxis rotieren auch andere Spiralen imAußenbereich sehr viel schneller, als man aufgrund desKeplergesetzes und der sichtbaren Materieverteilungerwarten würde (siehe Abb. 3.15).

Die Rotationskurven von Spiralen fallen nicht abfür R ≥ hr , wie man aufgrund der Lichtverteilungerwartet, sondern bleiben im Wesentlichen flach.Daraus schließt man, dass Spiralen von einem HaloDunkler Materie umgeben sind. Aus den Rotations-kurven kann man die Dichteverteilung des DunklenHalos ableiten.

In der Tat kann man aus den Rotationskurven dieDichteverteilung der Dunklen Materie erschließen. Ausdem Kräftegleichgewicht zwischen Gravitation undZentrifugalbeschleunigung folgt die Kepler-Rotation,

v2(R) = G M(R)/R ,

Abb. 3.15. Beispiele von Rotationskurven von Spiralgalaxien.Alle verlaufen im äußeren Bereich flach und verhalten sichdaher nicht so, wie man es aufgrund des Kepler-Gesetzeserwarten würde, falls die gesamte Masse der Galaxien ausleuchtender Materie bestünde. Auffällig ist auch, dass dieAmplitude der Rotationskurve bei frühen Typen höher liegtals bei späten Typen

Page 114: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.3 Spiralgalaxien

101

aus der man direkt die Masse M(R) innerhalb des Ra-dius R erhält. Die Rotationskurve, die man aufgrund dersichtbaren Materie erwartet, ist2

v2lum(R) = G Mlum(R)/R .

Mlum(R) lässt sich bestimmen, wenn man einen kon-stanten, plausiblen Wert für das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis der leuchtenden Materie annimmt. DiesenWert erhält man entweder aus der spektralen Licht-verteilung der Sterne, zusammen mit der Kenntnis derEigenschaften stellarer Populationen, oder durch An-passen des innersten Teils der Rotationskurve (für dender Anteil Dunkler Materie vernachlässigbar ist) un-ter der Annahme, dass M/L für die Sternpopulationunabhängig vom Radius ist. Nachdem dieser Schrittvollzogen ist, kann man aus der Diskrepanz von v2

lumund v2 den Verlauf der Dunklen Materie erhalten,v2

dark = v2 −v2lum = G Mdark/R, oder

Mdark(R) = R

G

[v2(R)−v2

lum(R)]

. (3.12)

Ein Beispiel für diese Dekomposition der Massenbei-träge ist in der Abb. 3.16 gezeigt.

Das zugehörige Dichteprofil der Halos Dunkler Ma-terie (Dark Matter Halo) scheint flach zu sein imInnenbereich und nach außen etwa wie R−2 abzufallen.Dabei ist bemerkenswert, dass ρ ∝ R−2 ein Massenpro-fil M ∝ R impliziert, d. h. die Masse des Halos steigtnach außen linear mit dem Radius an. Solange also dieAusdehnung des Halos nicht bestimmt ist, bleibt auchdie Gesamtmasse einer Galaxie unbekannt. Da die be-obachteten Rotationskurven bis zum größten Radius,wo die 21 cm-Emission noch gemessen werden kann,flach bleiben, kann man den Radius des dunklen Haloseinschränken, Rhalo � 30h−1 kpc.

Um das Dichteprofil zu noch größeren Radien hin zumessen, bräuchte man andere beobachtbare Objekte imOrbit um die Galaxien. Als solche kommen Satelliten-Galaxien in Frage, also Begleiter anderer Spiralen,wie es für die Milchstraße die Magellanschen Wolken

2Diese Überlegung ist insofern stark vereinfacht, da die angegebenenBeziehungen in dieser Form nur für sphärische Massenverteilungengelten. Die Rotationsgeschwindigkeit, hervorgerufen durch eine fla-che (scheibenförmige) Massenverteilung, ist komplizierter; so wirdz. B. für eine exponentielle Massenverteilung in einer Scheibe das Ma-ximum von vlum bei ∼ 2.2hr erreicht, danach erfolgt der KeplerscheAbfall, vlum ∝ R−1/2.

Abb. 3.16. Die flachen Rotationskurven von Spiralgalaxienkönnen nicht durch sichtbare Materie alleine erklärt wer-den. Am Beispiel von NGC 3198 wird hier gezeigt, welcheRotationskurve aufgrund von sichtbarer Materie erwartetwürde (Kurve ,,disk“). Um die beobachtete Rotationskurvezu erklären, muss es eine Komponente dunkler Materie ge-ben (Kurve ,,halo“). Allerdings ist diese Dekomposition inScheibenmasse und Halo nicht eindeutig, da man dazu dasMasse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis der Scheibe kennen müsste.In dem hier betrachteten Fall wurde die Annahme der ,,maxi-malen Scheibe“ gemacht, d. h. es wurde angenommen, dassder innerste Teil der Rotationskurve allein durch die sichtbareMaterie in der Scheibe hervorgerufen wird

sind. Da man bei solchen Satelliten-Galaxien nicht da-von ausgehen kann, dass sie sich auf Kreisbahnen umdie Muttergalaxie bewegen, können nur Rückschlüsseauf statistischer Basis gezogen werden. Aus solchenUntersuchungen der relativen Geschwindigkeiten vonSatelliten-Galaxien um Spiralen ergibt sich ebenfallskein Anzeichen eines ,,Endes“ des Halos, was zu einerunteren Schranke des Radius von Rhalo � 100h−1 kpcführt.

Für Elliptische Galaxien ist die Massenbestimmung,und damit der Nachweis einer möglichen Kompo-nente Dunkler Materie, deutlich komplizierter, da dieOrbits ihrer Sterne sehr viel komplexer sind als inSpiralen. Insbesondere ist die Abschätzung der Massevon der Anisotropie der stellaren Orbits abhängig, diea priori nicht bekannt ist. Dennoch gelang in den letztenJahren auch der zweifelsfreie Nachweis von DunklerMaterie in Ellipsen. Zum einen konnte mit detail-lierten kinematischen Untersuchungen die Entartungzwischen der Anisotropie der Orbits und der Massen-

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102

3. Die Welt der Galaxien

bestimmung gebrochen werden. Andererseits hat manbei einigen Ellipsen die Anwesenheit heißen Gasesmit Hilfe von Röntgenemission festgestellt. Wie wirim Zusammenhang mit Galaxienhaufen in Abschn. 6.3noch sehen werden, kann man aus der Temperaturdes Gases die Tiefe des Potentialtopfes, und somit dieMasse abschätzen. Beide Methoden ergeben, dass El-lipsen ebenfalls von einem Dunklen Halo umgebensind.

Der schwache Gravitationslinseneffekt, den wir inAbschn. 6.5.2 in anderem Zusammenhang diskutierenwerden, bietet eine weitere Möglichkeit, die Massen vonGalaxien bis hin zu sehr großen Radien zu bestimmen,wobei nicht einzelne Galaxien damit untersucht wer-den können, sondern die mittleren Masseneigenschafteneiner Galaxienpopulation. Die Ergebnisse solcher Un-tersuchungen bestätigen die große Ausdehnung DunklerHalos bei Spiralen und Ellipsen.

Korrelationen der Rotationskurven mit Galaxien-eigenschaften. Form und Amplitude der Rotationskur-ven von Spiralen sind korreliert mit deren Leuchtkraftund Hubble-Typ. Je größer die Leuchtkraft einer Spi-rale, umso steiler steigt v(R) im Zentralbereich an,und umso größer ist die maximale Rotationsgeschwin-digkeit vmax. Letzteres ist ein Ausdruck dafür, dassdie Masse einer Galaxie mit der Leuchtkraft an-steigt. Als charakteristische Werte für die verschiedenenHubble-Typen findet man vmax ∼ 300 km/s für Sa’s,vmax ∼ 175 km/s für Sc’s, während Irr’s ein sehr vielkleineres vmax ∼ 70 km/s haben. Bei gleicher Leucht-kraft ist vmax größer für frühere Spiraltypen. Allerdingsist die Form (nicht die Amplitude) der Rotationskurveverschiedener Hubble-Typen ähnlich, obwohl sie einunterschiedliches Helligkeitsprofil besitzen, wie etwaaus dem Bulge/Scheiben-Verhältnis abzulesen ist. Die-ser letzte Punkt ist ein weiterer Hinweis darauf, dass dieRotationskurven nicht allein durch die sichtbare Materieerklärt werden können.

Aus diesen Resultaten ergeben sich einige offensicht-liche Fragestellungen: Was ist die Natur der DunklenMaterie? Was ist das Dichteprofil der Dunklen Halos,wodurch wird es bestimmt, und wo ist der Rand ei-nes Halos? Bedeutet die Tatsache, dass Galaxien mitvrot � 100 km/s keine ausgeprägte Spiralstruktur be-sitzen, dass eine minimale Halomasse vorhanden seinmuss, damit sich Spiralarme ausbilden?

Einige dieser Fragen werden wir später noch weiteruntersuchen, aber eines sei schon hier festgestellt: DieTatsache, dass der größte Teil der Masse einer Spiral-galaxie aus nicht-leuchtender Materie besteht, und wirdaher nicht wissen, was diese Materie ist, wirft dieFrage auf, ob diese unsichtbare Masse eine neue, bis-lang nicht bekannte Form der Materie ist, oder wenigerexotische, normale (baryonische) Materie, die aus ir-gendeinem Grund nicht leuchtet (beispielsweise, weilsie keine Sterne gebildet hat). In Kap. 4 werden wir se-hen, dass das Problem der Dunklen Materie nicht aufGalaxien beschränkt ist, sondern auch auf kosmologi-scher Skala klar erkennbar ist, und dass es sich nichtum baryonische Materie handeln kann. In den Rotati-onskurven von Spiralen zeigt sich daher die Existenzeiner bislang unbekannten Materieform.

3.3.4 Stellare Population und Gasgehalt

Je ,,später“ der Hubble-Typ, umso blauer sind dieSpiralen; so findet man etwa B − V ∼ 0.75 für Sa’s,0.64 für Sb’s, 0.52 für Sc’s und 0.4 für Irr’s. Dasbedeutet, dass der Anteil massereicher junger Sterneentlang der Hubble-Sequenz zu späteren Spiralty-pen zunimmt. Diese Schlussfolgerung ist auch inÜbereinstimmung mit dem Befund der Lichtvertei-lung entlang der Spiralarme, denn die hellen Knotenin den Spiralarmen von Sc’s zeigen deutlich aktiveSternentstehungsgebiete.

Die Entstehung von Sternen benötigt Gas, und derAnteil der Gasmasse steigt an für spätere Typen, mess-bar etwa durch die 21 cm-Emission von HI sowieHα- und CO-Emission. Das Verhältnis

⟨Mgas/Mtot

⟩be-

trägt etwa 0.04, 0.08, 0.16 und 0.25 für Sa’s, Sb’s,Sc’s und Irr’s. Dabei findet man zusätzlich, dass derAnteil von molekularem Gas relativ zur Gesamtgas-masse umso kleiner ist, je später der Hubble-Typ,während die Staubmasse weniger als 1% der Gasmassebeträgt.

Der Staub in Verbindung mit heißen Sternen isthauptverantwortlich für die Ferninfrarot (far infra-red, FIR) Emission von Galaxien. Sc-Galaxien habeneinen größeren Anteil an FIR-Strahlung als Sa’s, wäh-rend Balkenspiralen eine stärkere FIR-Emission habenals normale Spiralen. Die FIR-Emission stammt vonStaub, der von der UV-Strahlung heißer Sterne geheizt

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3.3 Spiralgalaxien

103

wird und diese Energie in Form thermischer Strahlungemittiert.

Man beobachtet einen deutlichen Farbgradienten inSpiralen: Sie sind roter im Innern und blauer nach au-ßen. Dafür sind mindestens zwei Gründe anzuführen.Zum einen handelt es sich um einen Metallizitäts-effekt, denn die Metallizität nimmt nach innen hinzu, und metallreiche Sterne sind roter als metallarme.Zweitens ist der Farbgradient eine Folge der Sternent-stehung: Der Gasgehalt im Bulge ist kleiner als in derScheibe, deshalb findet dort weniger Sternentstehungstatt, so dass sich im Bulge i. A. eine ältere und da-her rotere Sternpopulation befindet. Ferner findet man,dass die Metallizität von Spiralen mit der Leuchtkraftansteigt.

Die Anzahl der Kugelsternhaufen ist für frühereTypen und für leuchtkräftigere Galaxien größer. Mandefiniert die spezifische Häufigkeit von Kugelsternhau-fen in einer Galaxie als deren Anzahl, normiert auf eineGalaxie mit absoluter Helligkeit MV = −15, indem mandie beobachtete Anzahl Nt von Kugelsternhaufen in ei-ner Galaxie mit visueller Leuchtkraft LV bzw. absoluterHelligkeit MV auf die einer hypothetischen Galaxie mitMV = −15 skaliert:

SN = NtL15

LV= Nt 100.4(MV +15) . (3.13)

Falls die Anzahl der Kugelsternhaufen proportional zurLeuchtkraft (und somit in etwa der Sternmasse) einer

Abb. 3.17. Die Galaxie NGC 1300 imB-Filter (links) und im I-Filter (rechts).Die Spiralarme zeichnen sich sehr viel deut-licher im Blauen ab als im Roten. Auch dieEnden des Balkens sind sehr viel prägnanterim Blauen – ein Anzeichen für eine erhöhteSternentstehungsrate

Galaxie wäre, dann würde SN = const gelten. Dies istaber nicht der Fall: Für Sa’s und Sb’s findet man SN ∼1.2, für Sc’s SN ∼ 0.5. SN ist größer für Ellipsen, amgrößten für cD-Galaxien.

3.3.5 Spiralstruktur

Die Spiralarme sind die blauesten Gebiete von Spiralenund enthalten junge Sterne und HII-Regionen. Aus die-sem Grunde ist der Helligkeitskontrast der Spiralarmeumso größer, je kleiner die Wellenlänge der (optischen)Beobachtung ist. Insbesondere im blauen Filter tritt dieSpiralstruktur sehr deutlich hervor, wie die Abb. 3.17eindrucksvoll zeigt.

Natürlich stellt sich die Frage, was Spiralarmeeigentlich sind. Die vielleicht naheliegendste Möglich-keit, dass sie materielle Strukturen aus Sternen und Gassind, die wie der Rest der Scheibe um das Zentrum ro-tieren, scheidet aus, denn aufgrund der differentiellenRotation würden sich solche Spiralarme nach wenigenUmdrehungen um das Zentrum der Galaxie viel engeraufwickeln als das beobachtet ist.

Man vermutet vielmehr, dass es sich um eine Wellen-struktur handelt, deren Geschwindigkeit nicht mit dermateriellen Geschwindigkeit der Sterne zusammenfällt.Spiralarme sind quasi-stationäre Dichtewellen, also Ge-biete höherer Dichte (vielleicht 10 bis 20% höher alsin der lokalen Umgebung des Spiralarms). Wenn Gas

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104

3. Die Welt der Galaxien

beim Umlauf um das Zentrum der Galaxie in ein Gebiethöherer Dichte eintritt, wird es komprimiert, so dassSternentstehung durch die Kompression von Molekül-wolken in erhöhtem Maße möglich ist. Das erklärt dieblaue Farbe der Spiralarme; da masseärmere (und damitrotere) Sterne länger leben, ist der Helligkeitskontrastder Spiralarme im roten Licht kleiner, während mas-sereiche, blaue Sterne in Spiralarmen geboren werdenund auch dort als SN explodieren. In der Tat findet mankaum blaue Sterne außerhalb der Spiralarme.

Um diese Dichtewellen besser zu verstehen, be-trachtet man etwa Wellen auf der Oberfläche einesSees: Wellenberge bestehen zu unterschiedlichen Zeit-punkten aus unterschiedlichen Flüssigkeitselementen,und die Wellengeschwindigkeit ist keineswegs dieGeschwindigkeit der Flüssigkeit.

3.3.6 Korona von Spiralen?

Befindet sich im Halo von Spiralgalaxien ein heißes,,,koronales“ Gas? Eine solche Gaskorona wird erwartetaufgrund der Entwicklung von Supernova-Überresten,die sich aus der Scheibe hinaus ausdehnen und da-mit heißes Gas in den Halo transportieren. Währendman die Existenz solchen koronalen Gases schon langevermutet hat, gelang der Nachweis über die Rönt-genemission erst mit dem ROSAT-Satelliten: ROSATdetektierte ausgedehnte Röntgenemission von Spiralen.Die begrenzte Winkelauflösung machte aber die Un-terscheidung diffuser Emission von einer Ansammlungdiskreter Quellen sehr schwierig. Erst mit Chandra ge-lang der zweifelsfreie Nachweis des koronalen Gasesin einigen Scheibengalaxien. Exemplarisch zeigt dieAbb. 3.18 die Spiralgalaxie NGC 4631.

3.4 Skalierungsrelationen

Die kinematischen Eigenschaften von Spiralen undEllipsen sind eng mit ihrer Leuchtkraft korreliert.Für Spiralen fand man die Tully–Fisher–Relation, fürEllipsen die Faber–Jackson–Relation, später die Fun-damentalebene. Diese Skalierungsrelationen bilden einenorm wichtiges Werkzeug für Entfernungsbestim-mungen, wie wir in Abschn. 3.6 noch besprechenwerden. Weiterhin stellen diese Skalierungsrelationen

Abb. 3.18. Die Spiralgalaxie NGC 4631. In Rot ist die op-tische (HST) Aufnahme dieser Galaxie gezeigt; die vielenhellen Emissionsgebiete zeigen Bereiche sehr aktiver Stern-entstehung an. Die SN-Explosionen der massereichen Sterneschleudern heißes Gas in den Halo der Galaxie. Dieses Gas(mit einer Temperatur von T ∼ 106 K) emittiert Röntgenstrah-lung, die als bläuliche diffuse Emission dargestellt ist; siewurde mit dem Chandra-Satelliten aufgenommen. Das Bildhat eine Kantenlänge von 2.′5

eine Gesetzmäßigkeit der Galaxien dar, die von einemerfolgreichen Modell der Galaxienentwicklung erklärtwerden müssen. Hier wollen wir diese Skalierungsre-lationen beschreiben und den physikalischen Ursprungihrer Gültigkeit diskutieren.

3.4.1 Die Tully–Fisher-Relation

Im Jahre 1977 fanden R. Brent Tully und J. RichardFisher aus 21 cm-Beobachtungen, dass die maximaleRotationsgeschwindigkeit von Spiralen eng mit ihrerLeuchtkraft korreliert ist und der Relation

L ∝ vαmax (3.14)

folgt, wobei die Steigung der Tully–Fisher (TF)-Relation etwa α ∼ 4 beträgt. Je größer die Wellenlänge

Page 118: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.4 Skalierungsrelationen

105

Abb. 3.19. Die Tully–Fisher-Relationen für Galaxien der Lo-kalen Gruppe (Punkte), der Sculptor-Gruppe (Dreiecke) undder M81-Gruppe (Quadrate). Die ausgefüllten Symbole reprä-sentieren Galaxien, für die individuelle Distanzbestimmungendurch RR Lyrae, Cepheiden oder planetarische Nebel durch-geführt wurden. Für Galaxien mit offenen Symbolen wurdedie durchschnittliche Entfernung der Gruppe benutzt. Diedurchgezogene Linie ist ein Fit an ähnliche Daten für denUrsa-Major-Haufen zusammen mit den Daten für die Ga-laxien mit individuellen Distanzbestimmungen (ausgefüllteSymbole). Die Dispersion für die Sculptor-Gruppe ist aufderen Ausdehnung entlang der Sichtlinie zurückzuführen

des Filters, in dem die Leuchtkraft gemessen wird,umso kleiner ist die Streuung um die TF-Relation (sieheAbb. 3.19). Dies ist zu erwarten, da langwelligere Strah-lung weniger beeinflusst ist von Staubabsorption undvon der momentanen Sternentstehungsrate, die zwi-schen verschiedenen Spiralen stärker variieren kann.Weiterhin findet man, dass der Wert für α mit derWellenlänge des Filters ansteigt; im Roten ist die TF-

Abb. 3.20. 21 cm-Profil der Galaxie NGC 7331. Bei jeweils20% und 50% des Flussmaximums sind Punkte eingezeichnet;diese sind relevant zur Bestimmung der Linienbreite und derdaraus resultierenden Rotationsgeschwindigkeit

Relation steiler. Im nahen Infrarot (z. B. im H-Band)beträgt die Streuung um die TF-Relation ca. 10%.

Aus dieser engen Korrelation ergibt sich, dass durcheine Messung der Rotationsgeschwindigkeit von Spira-len deren Leuchtkraft recht genau abgeschätzt werdenkann. Die Bestimmung der (maximalen) Rotationsge-schwindigkeit ist unabhängig von der Entfernung einerGalaxie. Vergleicht man nun die Leuchtkraft, wie sieaus der TF-Relation ermittelt wird, mit dem gemes-senen Fluss, so kann man daher die Entfernung zurGalaxie bestimmen – ohne die Hubble-Relation zubenutzen!

Die Messung von vmax erfolgt entweder durch eineräumlich aufgelöste Rotationskurve, indem man vrot(θ)

vermisst, was bei relativ nahen Galaxien möglich ist,oder durch ein integrales Spektrum der 21 cm-Linie vonHI, deren Doppler-Breite in etwa 2vmax entspricht (sieheAbb. 3.20). Die in Abb. 3.19 dargestellte TF-Relation istmittels der Breite der 21 cm-Linie erstellt worden.

Erklärung der TF-Relation. Die Formen der Rotati-onskurven von Spiralen sind insbesondere hinsichtlichihres flachen Verlaufs einander sehr ähnlich. Die flache

Page 119: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

106

3. Die Welt der Galaxien

Rotationskurve impliziert

M = v2max R

G, (3.15)

wobei hier der Abstand R vom Zentrum der Galaxie imflachen Teil der Rotationskurve gewählt wird, der ge-naue Wert aber nicht wichtig ist, solange v(R) ≈ const.Schreibt man (3.15) etwas um,

L =(

M

L

)−1v2

max R

G, (3.16)

und ersetzt R durch die mittlere Flächenhelligkeit 〈I〉 =L/R2, so erhält man

L =(

M

L

)−2 ( 1

G2 〈I〉)

v4max . (3.17)

Dies ist die TF-Relation falls M/L und 〈I〉 für alle Spira-len gleich ist. Das Freemansche Gesetz (Abschn. 3.3.2)

Abb. 3.21. Links: Die in Sternen vorhandene Masse alsFunktion der Rotationsgeschwindigkeit Vc für Spiralen. DieseMasse in Sternen wird aus der Leuchtkraft berechnet, indemman sie mit einem geeigneten Sternmasse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis multipliziert, das filterabhängig ist und ausPopulationsmodellen berechnet werden kann. Das ist die,,klassische“ TF-Relation. Quadrate und Kreise zeigen Ga-laxien, für die Vc mittels der Breite der 21 cm-Linie bzw.aus der räumlich aufgelösten Rotationskurve bestimmt wurde.

Die Farben der Symbole zeigen die Farbfilter, in denendie Leuchtkraft gemessen wurde: H (rot), K′ (schwarz),I (grün), B (blau). Rechts: Anstatt der Masse der Sterneist hier die Summe aus Stern- und Gasmasse aufgetragen.Die Gasmasse wurde aus dem Fluss der 21 cm-Linie be-stimmt, Mgas = 1.4MHI, korrigiert für Helium und Metalle;molekulares Gas trägt wenig zur Baryonenmasse bei. DieKurve in beiden Figuren ist die TF-Relation mit Steigungα = 4

legt zumindest Letzteres nahe. Da die Form der Ro-tationskurven für Spiralen untereinander sehr ähnlicherscheint, ist die radiale Verteilung des Verhältnissesvon leuchtender und dunkler Materie vielleicht eben-falls recht ähnlich zwischen Spiralen. Da aber M/L imRoten oder im NIR für eine Sternpopulation nicht starkvon ihrem Alter abhängt, würde dann die Konstanz die-ses Verhältnisses auch unter Einbeziehung der DunklenMaterie gelten.

Obgleich die hier dargestellte Argumentation kei-nesfalls eine Herleitung der TF-Relation ist, so machtsie doch die Existenz einer solchen Skalierungsrelationplausibel.

Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von Spiralen. DieGesamtmasse von Spiralen ist nicht bestimmbar, da dieAusdehnung des Dunklen Halos unbekannt ist. Des-halb ist M/L nur innerhalb eines festen Radius messbar.Diesen definieren wir als den Radius R25, bei dem die

Page 120: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.4 Skalierungsrelationen

107

Flächenhelligkeit den Wert 25 mag/arcsec2 im B-Bandannimmt;3 dann folgen Spiralen der Relation

log

(R25

kpc

)= −0.249MB −4.00 , (3.18)

unabhängig vom Hubble-Typ. Innerhalb von R25 fin-det man M/LB = 6.2 für Sa’s, 4.5 für Sb’s und 2.6für Sc’s. Dieser Trend überrascht nicht, da späte Ty-pen von Spiralen mehr junge, blaue und leuchtkräftigeSterne enthalten.

Die baryonische TF-Relation. Die obige ,,Herleitung“der TF-Relation beruhte auf der Annahme eines kons-tanten Werts für M/L, wobei M die Gesamtmasse (d. h.inklusive Dunkler Materie) ist. Angenommen, das Ver-hältnis von Baryonen und Dunkler Materie sei konstant,und weiterhin seien die Sternpopulationen der Spira-len ähnlich, so dass das Verhältnis von Sternmasse zuLeuchtkraft konstant sei. Selbst unter diesen Annahmenwürde man die Gültigkeit der TF-Relation nur dannerwarten, wenn das Gas keinen oder nur einen gerin-gen Anteil der Baryonenmasse ausmacht, da es nichtzur (optischen) Leuchtkraft beiträgt. Spiralen kleinerMasse enthalten aber einen erheblichen Gasanteil, wes-wegen man erwarten sollte, dass die TF-Relation fürdiese nicht mehr gilt. Tatsächlich findet man, dass Spi-ralen mit kleinem vmax � 100 km/s deutlich von derTF-Relation abweichen – siehe Abb. 3.21(a).

Da in etwa L ∝ M∗, der Masse in Sternen, ist dieTF-Relation eine Beziehung zwischen vmax und M∗.Addiert man zu der Sternmasse die Masse des Ga-ses, welche aus der Stärke der 21 cm-Linie erschlossenwerden kann, so erhält man eine wesentlich bessereKorrelation, siehe Abb. 3.21(b); diese lautet

Mdisk = 2×109 h−2 M�( vmax

100 km/s

)4(3.19)

und gilt über 5 Größenordnungen in der ScheibenmasseMdisk = M∗ + Mgas. Falls es keine weiteren Baryonenin Spiralen gibt (z. B. MACHOs), bedeutet diese engeKorrelation, dass das Verhältnis von Baryonen undDunkler Materie in Spiralen über einen sehr weitenMassenbereich konstant ist.

3Es sei noch einmal explizit darauf hingewiesen, dass dieFlächenhelligkeit nicht von der Entfernung zu einer Quelle abhängt.

3.4.2 Die Faber–Jackson-Relation

Eine der TF-Relation analoge Beziehung für ElliptischeGalaxien wurde von Sandra Faber und Roger Jacksongefunden. Sie stellten fest, dass die Geschwindigkeits-dispersion im Zentrum von Ellipsen, σ0, mit derenLeuchtkraft skaliert (siehe Abb. 3.22),

Abb. 3.22. Die Faber–Jackson-Relation drückt eine Kor-relation zwischen der Geschwindigkeitsdispersion und derLeuchtkraft von elliptischen Galaxien aus; sie kann aus demVirial-Satz gefolgert werden

L ∝ σ40 ,

oder

log(σ0) = −0.1MB + const . (3.20)

Eine ,,Herleitung“ dieser FJ-Skalierungsrelation istunter den gleichen Annahmen möglich wie bei derTF-Relation. Allerdings ist die Streuung von Ellipsenum diese Relation größer als die der Spiralen um dieTF-Relation.

3.4.3 Die Fundamentalebene

Die TF- und FJ-Relationen bilden einen Zusammen-hang zwischen der Leuchtkraft und einer kinematischenGröße von Galaxien. Wie bereits andiskutiert, gibt esverschiedene Korrelationen zwischen den Parameternvon Elliptischen Galaxien. Daher stellt sich die Frage,ob es eine Relation zwischen beobachtbaren Größen von

Page 121: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

108

3. Die Welt der Galaxien

Ellipsen gibt, um die die Streuung kleiner ist als um dieFJ-Relation. Eine solche Beziehung wurde in der Tatgefunden und ist unter dem Namen Fundamentalebenebekannt.

Um diese zu erläutern, betrachten wir die verschiede-nen Korrelationen zwischen Parametern von Ellipsen.Wir haben in Abschn. 3.2.2 gesehen, dass der Effek-tivradius von normalen Ellipsen mit der Leuchtkraftkorreliert ist (siehe Abb. 3.7), was eine Korrelation zwi-schen der Flächenhelligkeit und dem Effektivradiusimpliziert,

Re ∝ 〈I〉−0.83e , (3.21)

wobei 〈I〉e die mittlere Flächenhelligkeit innerhalb desEffektivradius ist,

L = 2πR2e 〈I〉e . (3.22)

Daraus folgt, dass die Leuchtkraft und 〈I〉e korreliertsind,

L ∝ R2e 〈I〉e ∝ 〈I〉−0.66

e

Abb. 3.23. Projektionen der Fundamental-ebene auf verschiedene Zweiparameter-Ebenen. Oben links: der Zusammen-hang zwischen Radius und mittlererFlächenhelligkeit; oben rechts: Faber–Jackson-Relation; unten links: dieKorrelation zwischen Flächenhelligkeitund Geschwindigkeitsdispersion stellt dieFundamentalebene in Ansicht dar; un-ten rechts: die Fundamentalebene vonder Seite gesehen: Der lineare Zusam-menhang zwischen Radius und einerKombination aus Flächenhelligkeit undGeschwindigkeitsdispersion

oder

〈I〉e ∝ L−1.5 . (3.23)

Leuchtkräftigere Ellipsen haben also eine kleinere Flä-chenhelligkeit, wie auch in Abb. 3.7 schon gezeigtwurde. Die FJ-Relation korreliert L mit σ0, der zent-ralen Geschwindigkeitsdispersion, weswegen auch σ0,〈I〉e und Re miteinander korreliert sind. Die Verteilungder Elliptischen Galaxien im drei-dimensionalen Para-meterraum (Re, 〈I〉e, σ0) liegt nahe einer Fläche, diedurch

Re ∝ σ1.40 〈I〉−0.85

e (3.24)

beschrieben wird. Durch Logarithmieren dieser Bezie-hung erhält man die Form

log Re = 0.34 〈μ〉e +1.4 log σ0 + const , (3.25)

wobei 〈μ〉e die mittlere Flächenhelligkeit innerhalb Re

ist, gemessen in mag/arcsec2. Die Gleichung (3.25)

Page 122: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien

109

definiert eine Ebene in diesem drei-dimensionalen Pa-rameterraum, die als Fundamentalebene (fundamentalplane, FP) bezeichnet wird. Verschiedene Projektionendieser Fundamentalebene sind in Abb. 3.23 dargestellt.

Wie kann diese verstanden werden? Die Masse inner-halb Re folgt aus dem Virialsatz, M ∝ σ2

0 Re. Kombiniertman dies mit (3.22), so ergibt sich

Re ∝ L

M

σ20

〈I〉e. (3.26)

Diese Relation stimmt mit der FP in der Form (3.24)überein, falls

L

M

σ20

〈I〉e∝ σ1.4

0

〈I〉0.85e

,

oder

M

L∝ σ0.6

0

〈I〉0.15e

∝ M0.3

R0.3e

R0.3e

L0.15

gilt. Daher folgt die FP aus dem Virialsatz, falls(M

L

)∝ M0.2 bzw.

(M

L

)∝ L0.25 (3.27)

gilt, d. h. wenn das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnismit der Masse leicht ansteigt. Wie die TF-Relationist die FP ein wichtiges Werkzeug zur Entfer-nungsbestimmung, wie später noch besprochen wird.

3.4.4 Dn–σ-Relation

Eine weitere Skalierungsrelation für Ellipsen vonerheblicher praktischer Bedeutung ist die Dn–σ-Relation. Man definiert Dn als den ,,Durchmesser“einer Ellipse, innerhalb derer die mittlere Flächen-helligkeit In einem Wert von 20.75 mag/arcsec2 imB-Band entspricht. Wenn man nun annimmt, dass alleEllipsen ein selbstähnliches Helligkeitsprofil besitzen,I(R) = Ie f(R/Re), mit f(1) = 1, dann gilt für dieLeuchtkraft innerhalb von Dn

In

(Dn

2

)2

π = 2πIe

Dn/2∫0

dR R f(R/Re)

= 2πIe R2e

Dn/(2Re)∫0

dx x f(x) .

Für ein de Vaucouleurs-Profil gilt im relevanten Ra-diusbereich etwa f(x) ∝ x−1.2. Wertet man damit dasIntegral aus, so folgt

Dn ∝ Re I0.8e . (3.28)

Wenn man nun Re durch die FP (3.24) ersetzt, so ergibtsich

Dn ∝ σ1.40 〈I〉−0.85

e I0.8e .

Da wegen des angenommenen selbstähnlichen Hellig-keitsprofils 〈I〉e ∝ Ie ist, folgt

Dn ∝ σ1.40 I0.05

e . (3.29)

Dies impliziert, dass Dn fast unabhängig von Ie seinsollte und nur von σ0 abhängt. Die Dn–σ-Relation(3.29) beschreibt die Eigenschaften von Ellipsen we-sentlich besser als die FJ-Relation und ist im Gegensatzzur FP eine Beziehung zwischen nur zwei Größen.Empirisch findet man, dass Ellipsen der normiertenDn–σ-Relation

Dn

kpc= 2.05

( σ0

100 km/s

)1.33(3.30)

folgen und um sie mit einer relativen Breite von ca. 15%streuen.

3.5 Schwarze Löcher in Zentrenvon Galaxien

Wie wir in Abschn. 2.6.3 gesehen haben, befindet sichim Zentrum der Milchstraße ein Schwarzes Loch. Wei-terhin ist allgemein akzeptiert, dass die Energie für dieAGN-Aktivität durch Akkretion von Materie auf einSchwarzes Loch erzeugt wird (siehe Abschn. 5.3). Da-her ergibt sich die Frage, ob alle (oder die meisten)Galaxien in ihrem Kern ein supermassives Schwar-zes Loch (supermassive black hole, SMBH) enthalten.Dieser Frage werden wir in diesem Abschnitt nachge-hen und zeigen, dass SMBHs sehr häufig vorkommen.Daraus ergeben sich dann weitere Fragen: Was unter-scheidet eine ,,normale“ Galaxie von einem AGN? Ist esdie Masse des Schwarzen Lochs, die Rate, mit der Ma-terial auf das SMBH akkretiert, oder ist es die Effizienzdes Energieerzeugungsmechanismus?

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110

3. Die Welt der Galaxien

Wir beginnen mit einer kurzen Diskussion, wie mannach SMBHs in Galaxien suchen kann, werden danneinige Beispiele von Entdeckungen solcher SMBHsvorstellen und danach einen sehr engen Zusammenhangzwischen der Masse des SMBH und Eigenschaften derstellaren Komponente von Galaxien diskutieren.

3.5.1 Die Suche nach supermassivenSchwarzen Löchern

Wir beginnen mit der Frage, was eigentlich ein Schwar-zes Loch ist. Eine technische Antwort lautet, dassein Schwarzes Loch die einfachste Lösung der Ein-steinschen Allgemeinen Relativitätstheorie ist, die dasGravitationsfeld einer Punktmasse beschreibt. Wenigertechnisch – und für unsere Zwecke ausreichend – kannman sagen, dass ein Schwarzes Loch eine Punktmassebzw. eine kompakte Massenansammlung ist, deren Aus-dehnung kleiner als der Schwarzschild-Radius rS ist(s. u.).

Die erste Diskussion von Schwarzen Löchern fin-det man bei Laplace (1795). Er stellte folgendeÜberlegung an: Verkleinert man den Radius r einesHimmelskörpers mit Masse M, so verändert sich dieFluchtgeschwindigkeit vesc von dessen Oberfläche,

vesc =√

2G M

r.

Als Gedankenexperiment stellt man nun fest, dassbei genügend kleinem Radius vesc gleich der Lichtge-schwindigkeit c wird; dies geschieht bei

rS := 2G M

c2= 2.95×105 cm

(M

M�

). (3.31)

Der Radius rS heißt Schwarzschild-Radius zu Ehrenvon Karl Schwarzschild, der 1916 die Punktmassen-Lösung der Einsteinschen Feldgleichung entdeckte. Fürunsere Zwecke definieren wir daher ein SchwarzesLoch als eine Massenkonzentration mit Radius klei-ner als rS. Wir sehen, dass rS sehr klein ist, etwa3 km für die Sonne, und für das SMBH im Ga-laktischen Zentrum beträgt rS ∼ 1012 cm. Bei einerEntfernung von D = R0 ≈ 8 kpc entspricht dies ei-nem Winkelradius von ∼ 6×10−6 Bogensekunden.Die Beobachtungen sind zur Zeit noch weit davon

entfernt, Skalen der Größenordnung rS direkt zu unter-suchen, wobei allerdings VLBI-Beobachtungen bei sehrkurzen Radiowellenlängen in absehbarer Zeit eine ver-gleichbare Winkelauflösung erreichen können. Aus dengrößten beobachteten Geschwindigkeiten von Sternenim GC von ∼ 5000 km/s sieht man, dass diese noch weitweg sind vom Schwarzschild-Radius. In Abschn. 5.3.3werden wir zeigen, dass in AGNs relativistische Effektedirekt beobachtet werden und dort Geschwindigkeitenvon der Größenordnung c tatsächlich vorkommen – waswiederum einen sehr direkten Hinweis auf ein SMBHdarstellt.

Wenn also selbst im GC, dem uns nächsten SMBH,der Schwarzschild-Radius deutlich kleiner als die er-reichte räumliche Auflösung ist, wie kann man hoffen,in anderen Galaxien den Nachweis auf die Existenzeines SMBH zu führen? Wie im GC wird dieser Nach-weis indirekt geführt werden müssen, indem man einekompakte Massenkonzentration detektiert, die nichtmit der Massenansammlung der beobachteten Sternekompatibel ist.

Wir betrachten eine Massenkonzentration mitMasse M• im Zentrum einer Galaxie, deren cha-rakteristische Geschwindigkeitsdispersion im zentralenBereich σ betrage. Im Vergleich dazu ist die cha-rakteristische Geschwindigkeit (z. B. die KeplerscheRotationsgeschwindigkeit) um ein SMBH im Abstand rgegeben durch

√G M•/r. Daraus folgt, dass sich für

Abstände kleiner als

rBH = G M•σ2

∼ 0.4

(M•

106 M�

)( σ

100 km/s

)−2pc

(3.32)

der Einfluss des SMBH auf die Kinematik der Sterneund des Gases in der Galaxie bemerkbar macht. Derzugehörige Winkel ist

θBH = rBH

D(3.33)

∼ 0′′. 1

(M•

106 M�

)( σ

100 km/s

)−2(

D

1 Mpc

)−1

,

wobei D die Entfernung zur Galaxie ist. Daraus folgtunmittelbar, dass die erfolgreiche Suche nach SMBHssehr stark von der erreichbaren Winkelauflösung ab-hängt. Das HST hat einen riesigen Fortschritt auf diesemGebiet erlaubt. Nur für relativ nahe Galaxien wird manerfolgreich nach SMBHs suchen können. Weiterhin er-kennt man aus (3.33), dass mit steigendem Abstand D

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3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien

111

und Geschwindigkeitsdispersion σ die Masse M• grö-ßer sein muss, damit bei gegebener Winkelauflösungein SMBH nachgewiesen werden kann.

Kinematische Evidenz. Die Anwesenheit eines SMBHmacht sich innerhalb rBH bemerkbar durch ein Anstei-gen der Geschwindigkeitsdispersion für r � rBH, diedann etwa wie σ ∝ r−1/2 verlaufen sollte. Falls der in-nere Bereich der Galaxie rotiert, erwartet man weiterhin,dass auch die Rotationsgeschwindigkeit vrot wie ∝ r−1/2

nach innen ansteigt.

Probleme beim Nachweis dieser Signaturen. Diepraktischen Probleme der Beobachtung eines SMBHsind bereits oben erwähnt worden. Einerseits ist esdie Winkelauflösung: Um einen Anstieg kinemati-scher Geschwindigkeiten messen zu können, mussdie Winkelauflösung der Beobachtung besser als θBH

sein. Weiterhin gibt es Projektionseffekte, denn manmisst nur die Geschwindigkeitsdispersion der projizier-ten Verteilung. Diese Projektion ist weiterhin mit derLeuchtkraft der Objekte gewichtet. Hinzu kommt, dass

Abb. 3.24. Links ist ein HST-Bild des Kerns der Gala-xie M84 zu sehen. M84 befindet sich im Virgo-Haufen,etwa 15 Mpc von uns entfernt. Das schmale Rechteck zeigtdie Positionierung eines Spalts, durch den ein Spektrumdes zentralen Bereichs mit dem STIS (Space TelescopeImaging Spectrograph)-Instrument des HST aufgenommenwurde. Dieses Langspalt-Spektrum ist rechts zu sehen; nachoben ist dort die Position entlang des Spalts aufgetra-

gen, nach rechts die Wellenlänge des Lichts, hier auchdurch Farben illustriert. In der Nähe des Zentrums derGalaxie ändert sich die Wellenlänge plötzlich, die Ro-tationsgeschwindigkeit wird sehr viel größer und ändertihr Vorzeichen auf der anderen Seite des Zentrums. Dieszeigt die Kepler-Rotation im zentralen Gravitationsfeld ei-nes SMBH, dessen Masse zu M• ∼ 3×108 M� abgeschätztwerden kann

die Kinematik von Sternen kompliziert sein kann. Diebeobachteten Werte für σ und vrot hängen von der Ver-teilung der Orbits und der Geometrie der Verteilungab.

Trotz dieser Schwierigkeiten ist der Nachweis vonSMBHs in den letzten Jahren gelungen, zum großen Teildank der stark verbesserten Winkelauflösung optischerTeleskope (z. B. HST) und verbesserter kinematischerModelle.

3.5.2 Beispiele für SMBHs in Galaxien

Die Abb. 3.24 zeigt ein Beispiel dieser kinematischenMethode. Ein Langspalt-Spektrum, das den Kern derGalaxie M84 überdeckt, zeigt deutlich, dass sich umden Kern herum sowohl die Rotationsgeschwindigkeitals auch die Geschwindigkeitsdispersion ändern; beidesteigen dramatisch zum Zentrum hin an. Wie stark dieMessbarkeit der kinematischen Evidenz für ein SMBHvon der erreichbaren Winkelauflösung der Beobachtungabhängt, wird in Abb. 3.25 verdeutlicht. Ein weiteres

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112

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.25. Rotationsgeschwindigkeit (unten) und Geschwin-digkeitsdispersion (oben) als Funktion der Entfernungvom Zentrum entlang der großen Hauptachse der GalaxieNGC 3115. Die verschiedenfarbigen Symbole zeigen Beob-achtungen mit verschiedenen Instrumenten. In blau sind dieErgebnisse von Beobachtungen mit dem CFHT zu sehen, de-ren Winkelauflösung 0′′. 44 betrugen. Das SIS-Instrument amCFHT mit aktiver Optik erlaubt eine etwa doppelt so guteWinkelauflösung; diese Ergebnisse sind hier in grün gezeich-net. Schließlich zeigen die roten Symbole die Resultate einerHST-Beobachtung mit dem Faint Object Spectrograph (FOS).Wie erwartet erkennt man deutlich die Erhöhung der Ge-schwindigkeitsdispersion zum Zentrum hin, wenn man dieWinkelauflösung verbessert; noch dramatischer ist der Effektbei der Rotationsgeschwindigkeit. Durch Projektionseffekteist die gemessene zentrale Geschwindigkeitsdispersion klei-ner als die wahre; für diesen Effekt kann man korrigieren.Nach dieser Korrektur ergibt sich ein zentraler Wert für σ

von ∼ 600 km/s. Dieser Wert ist sehr viel größer als dieFluchtgeschwindigkeit von dem zentralen Sternhaufen, wenndessen Masse nur aus Sternen bestehen würde – er würdein ∼ 2×104 Jahren auseinanderfliegen. Deshalb muss einezusätzliche kompakte Massenkomponente mit M• ∼ 109 M�vorhanden sein

Abb. 3.26. M87 ist seit langem einer derbesten Kandidaten für ein SMBH im Zent-rum. In dieser Figur ist die Lage desSpalts zu sehen, das Spektrum der [OII]-Linie entlang des Spalts, wie in Abb. 3.24,und sechs Spektren, entsprechend sechsverschiedenen Positionen. Die daraus extra-hierte Rotationskurve und ein kinematischesModell ist oben rechts gezeigt

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3.5 Schwarze Löcher in Zentren von Galaxien

113

eindrucksvolles Beispiel ist der zentrale Bereich vonM87, der zentralen Galaxie des Virgo-Galaxienhaufens.Der Anstieg der Rotationskurve und die Verbreiterungder Hα-Linie zum Zentrum hin ist in Abb. 3.26 gezeigt.

Besonders spektakulär ist die Vermessung derKepler-Bewegung im Zentrum der Seyfert-GalaxieNGC 4258. Diese enthält Wasser-Maser – das sind

Abb. 3.27. Die Seyfert Galaxie NGC 4258 enthält in ihremZentrum eine Akkretionsscheibe, in der mehrere Wasser-Maser eingebettet sind. Im oberen Bild ist eine künstlerischeDarstellung der verbogenen Scheibe und des Jets gezeigt, zu-sammen mit dem Linienspektrum der Maser-Quellen. DerenPositionen (mittleres Bild) und Geschwindigkeiten lassen sichmit VLBI Beobachtungen vermessen. So konnte das Kepler-Gesetz für die Rotation im Schwerefeld einer Punktmassemit M• = 25×106 M� im Innern dieser Galaxie verifiziertwerden. Gezeigt ist zudem das best-passendste Modell derzentralen Scheibe. Das untere Bild ist eine 20 cm-Karte, diedie großräumige Radiostruktur der Seyfert-Galaxie zeigt

sehr kompakte Quellen, die mit VLBI-Techniken sehrgenau vermessen werden können (Abb. 3.27). Die Ab-weichungen von einer Kepler-Rotation im Feld einerPunktmasse mit M• ∼ 3.5×107 M� betragen dort weitweniger als 1%. Die Maser-Quellen sind eingebettetin eine Akkretionsscheibe, deren Dicke weniger als0.3% ihres Radius beträgt. Von diesen Maser-Quellensind bereits Änderungen der Radialgeschwindigkeitenund Eigenbewegungen vermessen worden, so dass dasModell der Keplerschen Akkretionsscheibe weiter imDetail bestätigt werden konnte.

Natürlich bieten all diese Beobachtungen keinenBeweis für die Existenz eines SMBH in diesen Ga-laxien, da die Quellen für die kinematische Evidenznoch weit vom Schwarzschild-Radius entfernt sind.Die Schlussfolgerung auf die Existenz eines SMBH isteher die der fehlenden Alternative, wie dies ja auchschon beim GC erläutert wurde (Abschn. 2.6.3). Es gibtkein anderes plausibles Modell für die nachgewiese-nen Massenkonzentrationen. Wie bei dem SMBH derMilchstraße kann man einen ultrakompakten Sternhau-fen postulieren, aber der wäre nicht lange stabil. Ausder Existenz eines SMBH in unserer Galaxis und inAGNs ist daher die SMBH-Hypothese als Erklärungdieser Massenkonzentrationen sehr plausibel.

3.5.3 Zusammenhang der SMBH-Massemit Galaxieneigenschaften

Zur Zeit hat man in ca. 35 normalen Galaxien einenstarken Hinweis auf ein SMBH gefunden und dessenMasse abschätzen können. Man kann deshalb unter-suchen, wie M• mit den Eigenschaften der Galaxiezusammenhängt. Dabei hat sich eine ganz erstaunlicheKorrelation offenbart. Es stellt sich heraus, dass M• mitder absoluten Helligkeit der Bulge-Komponente (oderder sphäroidalen Komponente) der Galaxie korreliertist, in der sich das SMBH befindet (siehe Abb. 3.28,links). Dabei ist die Bulge-Komponente entweder derBulge einer Spiralgalaxie, oder aber die gesamte Ellip-tische Galaxie. Diese Korrelation lässt sich beschreibendurch

M• = 0.93×108 M�(

LB,bulge

1010LB�

)1.11

; (3.34)

sie ist zwar sehr signifikant, aber die Abweichungender Messpunkte von diesem Potenzgesetz sind deut-

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114

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.28. Korrelation der SMBH-MasseM• mit der absoluten Helligkeit MB,bulge(links) und der Geschwindigkeitsdispersionσe (rechts) der Bulge-Komponente der Hei-matgalaxie. Kreise (Quadrate, Dreiecke)gehören zu Messungen, die auf stellarer Ki-nematik (Gas-Kinematik, Maser-Scheiben)beruhen

lich größer als ihre Fehlerbalken. Eine andere Art, dieseKorrelation auszudrücken, ergibt sich aus dem oben ge-fundenen Zusammenhang M/L ∝ L0.25 – siehe (3.27) –weswegen man diese Korrelation auch als M• ∝ M0.9

bulgebeschreiben kann.

Eine noch bessere Korrelation existiert zwischenM• und der Geschwindigkeitsdispersion der Bulge-Komponente, wie in Abb. 3.28 (rechts) zu erkennen ist.Als beste Beschreibung dieses Zusammenhangs ergibtsich

M• = 1.2×108 M�( σe

200 km/s

)3.75, (3.35)

wobei der genaue Wert des Exponenten etwas umstrit-ten ist und ein etwas höherer Wert M• ∝ σ4.75 vielleichtbesser zu den Daten passt. Der Unterschied der Ergeb-nisse verschiedener Gruppen lässt sich teilweise auf dieDefinition der Geschwindigkeitsdispersion zurückfüh-ren, die für die Korrelation benutzt wird, insbesondereüber welchen Bereich man diese misst. Das Erstaun-liche ist, dass die Abweichungen der Messpunkte vondieser Korrelation mit den Fehlerbalken der Messungenvon M• verträglich sind – es gibt also keinen Hinweisauf eine intrinsische Dispersion der M•–σ-Relation.

Bislang ist der Ursprung dieser sehr engen Kor-relation physikalisch nicht verstanden. Der vielleichtoffensichtliche Gedanke, dass sich in der Umgebungeines Schwarzen Loches mit großer Masse die Sterneschneller bewegen sollten als bei einem SMBH mit klei-nerem M•, ist nicht schlüssig, da die Masse des SMBHdeutlich weniger als ein Prozent der Masse der Bulge-Komponente beträgt und daher für das Gravitationsfeld,in dem die Sterne sich bewegen, einen vernachlässigba-

ren Beitrag liefert. Statt dessen muss diese Korrelationdamit zusammenhängen, dass die sphäroidale Kompo-nente einer Galaxie sich gemeinsam mit dem SMBHentwickelt. Ein besseres Verständnis dieses Zusammen-hangs kann nur aus Modellen der Galaxienentwicklungkommen. Wir werden auf dieses Thema in Abschn. 9.6weiter eingehen.

3.6 ExtragalaktischeEntfernungsbestimmungen

In Abschn. 2.2 haben wir Methoden zur Entfernungs-bestimmung in unserer Galaxis diskutiert. Wir werdennun Entfernungsmessungen zu anderen Galaxien be-trachten. Dazu sei bemerkt, dass das Hubble-Gesetz(1.2) eine Beziehung zwischen der Rotverschiebungund der Entfernung eines extragalaktischen Objektsangibt. Dabei ist die Rotverschiebung z aus der Ver-schiebung von Spektrallinien leicht zu messen. Ausdiesem Grund liefert das Hubble-Gesetz (und dessenVerallgemeinerung – siehe Abschn. 4.3.3) eine ein-fache Methode zur Entfernungsbestimmung. Um esallerdings anwenden zu können, muss zunächst dieHubble-Konstante H0 bekannt sein, d. h. das Hubble-Gesetz muss zuerst geeicht werden. Zur Bestimmungder Hubble-Konstanten muss man daher Entfernungenunabhängig von der Rotverschiebung messen können.Weiterhin muss berücksichtigt werden, dass es ne-ben der allgemeinen kosmischen Expansion, die imHubble-Gesetz ihren Ausdruck findet, auch Pekuliar-bewegungen von Objekten gibt, etwa die Bewegungvon Galaxien in Galaxienhaufen oder die Bewegung

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3.6 Extragalaktische Entfernungsbestimmungen

115

der Magellanschen Wolken um unsere Milchstraße.Diese Pekuliargeschwindigkeiten werden durch dieGravitationsbeschleunigung induziert, die sich aus derlokal inhomogenen Massenverteilung im Universumergibt. So bewegt sich unsere Galaxis auf den Virgo-Galaxienhaufen zu, einer dichten Ansammlung vonGalaxien. Die gemessene Rotverschiebung, und daherdie Doppler-Geschwindigkeit, ist eine Überlagerungaus der kosmischen Expansionsbewegung und derPekuliargeschwindigkeit.

CMB Dipol-Anisotropie. Die Pekuliargeschwindig-keit der Galaxis ist sehr genau bekannt: Die Strahlungdes kosmischen Mikrowellenhintergrunds ist nicht völ-lig isotrop, sondern zeigt einen Dipolanteil. Dieserstammt aus der Bewegung der Sonne relativ zu demRuhesystem, in dem der CMB isotrop erscheint (sieheAbb. 1.17). In Richtung der Bewegung der Sonne er-scheint der CMB aufgrund des Doppler-Effekts heißer,in der entgegengesetzten Richtung kühler als im Mit-tel. Die Analyse dieses Dipols des CMB erlaubt dieBestimmung unserer Pekuliarbewegung, woraus sichergibt, dass die Sonne sich mit einer Geschwindig-keit von (368±2) km/s relativ zum CMB-Ruhesystembewegt. Weiterhin bewegt sich die Lokale Gruppe(siehe Abschn. 6.1) mit vLG ≈ 600 km/s relativ zumCMB-Ruhesystem.

Entfernungsleiter. Damit die Rotverschiebung ei-ner Quelle von der kosmischen Expansion dominiertwird, muss die kosmische Expansionsgeschwindigkeitv = cz = H0 D sehr viel größer sein als typische Pekuli-argeschwindigkeiten. Dies bedeutet, um H0 bestimmenzu können, muss man zu großen Entfernungen ge-hen, damit die Pekuliargeschwindigkeiten unwichtiggegenüber H0 D werden.

Eine direkte Entfernungsbestimmung weit entfern-ter Galaxien ist sehr schwierig. Deshalb bedient mansich traditionell einer Entfernungsleiter: Man bestimmtzunächst die absoluten Entfernungen naher Galaxienauf direkte Art. Mit Methoden, die relative Entfernun-gen genügend genau messen, kann dann die Entfernungweiter entfernter Systeme relativ zu nahen Galaxien be-stimmt werden. Durch diese relativen Methoden werdendann Entfernungen von Galaxien bestimmt, die genü-gend weit entfernt sind, so dass deren Rotverschiebungvom Hubble-Fluss dominiert wird.

3.6.1 Entfernung zur LMC

Die Entfernung zur Großen Magellanschen Wolke(Large Magellanic Cloud, LMC) kann durch verschie-dene Methoden bestimmt werden. Beispielsweise kannman in der LMC Einzelsterne auflösen und beobach-ten, wie dies ja auch bei den MACHO-Experimenten(siehe Abschn. 2.5.2) durchgeführt wird. Da die Me-tallizität der LMC deutlich geringer ist als die derGalaxis, sind einige der in Abschn. 2.2 diskutiertenMethoden nur nach einer Korrektur für Metallizi-tätseffekte durchführbar, so etwa die photometrischeEntfernungsbestimmung oder die Anwendung derPerioden-Leuchtkraft-Relation für pulsierende Sterne.

Die vermutlich beste Methode zur Bestimmung derEntfernung zur LMC ist eine rein geometrische. Dieim Jahre 1987 explodierte Supernova SN1987A inder LMC beleuchtet einen nahezu perfekten ellipti-schen Ring (siehe Abb. 3.29). Dieser kommt dadurch

Abb. 3.29. Der Ring um die Supernova 1987A in der LMCwird von den Photonen der Explosion beleuchtet und da-mit zum Strahlen angeregt. Da er gegenüber der Sichtliniegeneigt ist, erscheint der kreisförmige Ring elliptisch. DasAufleuchten des Rings geschah nicht instantan, wegen derEndlichkeit der Lichtgeschwindigkeit: Teile des Rings näherzu uns leuchteten früher als die Teile, die weiter entfernt sind.Aus der zeitlichen Verzögerung des Aufleuchtens kann manden Durchmesser des Rings bestimmen, und mit dem ge-messenen Winkeldurchmesser des Rings die Entfernung zurSN 1987A – somit erhält man die Entfernung zur LMC

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116

3. Die Welt der Galaxien

zustande, dass Material, welches vom Vorläufersternder Supernova durch einen Sternwind herausgeschleu-dert wurde, durch die energetischen Photonen derSN-Explosion zum Leuchten angeregt wird. Die ent-sprechende Rekombinationsstrahlung setzt daher erstdann ein, wenn die Photonen der SN auf dieses Gas tref-fen. Da der beobachtete Ring mit ziemlicher Sicherheitintrinsisch kreisförmig ist und die beobachtete Ellipti-zität dadurch zustande kommt, dass er gegenüber derSichtlinie geneigt ist, kann man aus der Beobachtungdes Rings die Entfernung zur SN1987A ermitteln. Zu-nächst erhält man aus der Elliptizität des Rings seinenInklinationswinkel. Dieser Ring wird von den Photonender SN zum Leuchten angeregt, eine Zeit R/c nach dereigentlichen Explosion, wobei R sein Radius ist. Wirbeobachten das Aufleuchten des Rings nicht gleichmä-ßig, denn das Licht von dem Teil des Rings, der näherbei uns ist, erreicht uns früher als das Licht von denweiter entfernten Teilen, so dass erst nach und nachder gesamte Ring sichtbar wurde. Aus der gemessenenLichtlaufzeitverzögerung und dem Inklinationswinkelergibt sich somit der physikalische Durchmesser desRings. Vergleicht man diesen mit dem gemessenen Win-keldurchmesser von ca. 1′′. 7, so kann man aus demVerhältnis die Entfernung der SN1987A bestimmen,

DSN 1987A ≈ 51.8 kpc±6% .

Nimmt man nun an, dass die Ausdehnung der LMCentlang der Sichtlinie klein ist, so ist dieser Ent-fernungswert auch mit ,,der“ Entfernung zur LMCzu identifizieren. Dieser Wert ist auch mit anderenAbschätzungen kompatibel, die mit traditionellerenMethoden gewonnen wurden (wie etwa über die pho-tometrische Methode mittels der Eigenschaften derHauptreihe – siehe Abschn. 2.2.4).

3.6.2 Die Cepheiden-Entfernung

In Abschn. 2.2.7 haben wir die Perioden-Leuchtkraft-Relation von pulsierenden Sternen diskutiert. Dabeistellten sich Cepheiden aufgrund ihrer Helligkeit als be-sonders nützlich heraus, da man diese auch in größerenEntfernung beobachten kann.

Damit die PL-Relation der Cepheiden als gutesEntfernungsmaß benutzt werden kann, muss diese Re-lation zunächst geeicht werden. Eine solche Eichung

muss über ein möglichst großes Sample von Cephei-den bekannter Entfernung erfolgen. Für diesen Zweckeignen sich die Cepheiden der LMC, da man – sieheoben – die Entfernung zur LMC recht genau zu wis-sen glaubt und aufgrund der verhältnismäßig kleinenAusdehnung der LMC entlang der Sichtlinie sich alleCepheiden der LMC bei etwa der gleichen Entfernungbefinden. Aus diesem Grunde wird die PL-Relationin der LMC geeicht; aufgrund der großen Zahl vonCepheiden, die dazu zur Verfügung stehen (und von de-nen viele in Mikrolinsen-Surveys gefunden wurden),sind die resultierenden statistischen Fehler klein. Esbleiben Unsicherheiten aufgrund von systematischenFehlern, die sich durch die Metallizitätsabhängigkeitder PL-Relation ergeben; diese können durch Farb-terme weitestgehend korrigiert werden, da die Farbevon Cepheiden von deren Metallizität abhängt.

Aufgrund der hohen Winkelauflösung des HST sindindividuelle Cepheiden in Galaxien bei Entfernungenbis hin zum Virgo-Galaxienhaufen sichtbar. In der Tatwar die Bestimmung der Entfernung zu Virgo als zen-traler Schritt zur Bestimmung der Hubble-Konstanteneines der großen wissenschaftlichen Ziele des HST.Mittels eines Hubble Key Projects wurden die Entfer-nungen von zahlreichen Spiralgalaxien im Virgohaufenbestimmt, indem in ihnen Cepheiden identifiziert undderen Perioden bestimmt wurden.

3.6.3 Sekundäre Entfernungsindikatoren

Der Virgohaufen mit einer gemessenen Entfernung vonca. 16 Mpc ist nicht weit genug von uns weg, um aus sei-ner Entfernung und der gemessenen Rotverschiebungdie Hubble-Konstante direkt bestimmen zu können,da Pekuliargeschwindigkeiten bei diesen Entfernun-gen einen erheblichen Beitrag zur Rotverschiebungergeben. Um zu größeren Entfernungen zu gelangen,bedient man sich einer Reihe von relativen Entfer-nungsindikatoren. Diese beruhen darauf, dass man dasEntfernungsverhältnis von Galaxien bestimmt. Kenntman die Entfernung einer der beiden, kann man ausdiesem Verhältnis die der anderen ermitteln. Mit dieserVorgehensweise erstreckt man die Entfernungsbestim-mungen zu größeren Distanzen. Wir stellen einige derwichtigsten sekundären Entfernungsindikatoren hiervor.

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3.6 Extragalaktische Entfernungsbestimmungen

117

SN Ia. Supernovae vom Typ Ia stellen in guter Nä-herung Standard-Kerzen dar, wie wir in Abschn. 8.3.1noch näher diskutieren werden. Dies bedeutet, dass dieabsoluten Helligkeiten von SN Ia innerhalb eines en-gen Bereichs liegen. Um den Wert dieser absolutenHelligkeit zu bestimmen, benötigt man die Entfer-nung von Galaxien, in denen SN Ia explodiert sind.Aus diesem Grunde hat man die Cepheiden-Methodespeziell auf solche Galaxien angewandt und konnte da-her die Helligkeit von SN Ia eichen. Da man SN Ia zusehr großen Entfernungen hin sehen kann, erlauben sieEntfernungsmessungen auch bei solch großen Rotver-schiebungen, bei denen das einfache Hubble-Gesetz(1.6) nicht mehr gültig ist, sondern im Rahmen ei-nes kosmologischen Modells verallgemeinert werdenmuss (Abschn. 4.3.3). Wie wir noch sehen werden, bil-den solche Messungen eines der wichtigsten Standbeineunseres kosmologischen Standardmodells.

Fluktuationen der Flächenhelligkeit von Gala-xien. Eine weitere Methode zur Bestimmung vonEntferungsverhältnissen bildet die der Flächenhellig-keits-Variationen (surface brightness fluctuations). Sieberuht darauf, dass die Anzahl heller Sterne pro Flä-chenelement einer Scheibengalaxie fluktuiert – alleinaufgrund des Poisson-Rauschens: Erwartet man NSterne in einem bestimmten Flächenelement, so tre-ten relative Fluktuationen von

√N/N = 1/

√N der

Sternzahl auf. Diese sind als Fluktuationen der lo-kalen Flächenhelligkeit zu erkennen. Um zu sehen,dass sich dieser Effekt zur Entfernungsbestimmung eig-net, betrachten wir ein festes Raumwinkelelement dω.Das entsprechende Flächenelement d A = D2 dω hängtquadratisch von der Entfernung D zur Galaxie ab;je größer die Entfernung, umso größer ist daher dieAnzahl N der Sterne in diesem Raumwinkelelement,und umso kleiner sind die relativen Fluktuatio-nen der Flächenhelligkeit. Aus dem Vergleich derFlächenhelligkeits-Fluktuationen verschiedener Gala-xien lassen sich daher deren relative Entfernungenabschätzen. Wiederum muss diese Methode an Galaxienmit bekannter Cepheiden-Entfernung geeicht werden.

Planetarische Nebel. Die Helligkeitsverteilung der Pla-netarischen Nebel in einer Galaxie scheint eine obereSchranke zu haben, die bei jeder Galaxie in etwa gleichist (siehe Abb. 3.30). Wenn man in einer Galaxie ge-

Abb. 3.30. Helligkeitsverteilung der Planetarischen Nebel inAndromeda (M31), M81, drei Galaxien der Leo I Gruppe,und sechs Galaxien des Virgo-Haufens. Die aufgetrage ab-solute Helligkeit ist in der Emissionslinie bei λ = 5007 Ådes zweifach ionisierten Sauerstoffs gemessen, in der eingroßer Teil der Leuchtkraft eines Planetarischen Nebelsabgestrahlt wird; diese charakteristische Eigenschaft wirdauch zur Identifikation dieser Objekte in anderen Galaxienbenutzt. Die Verteilung ist in allen Fällen mit praktischder gleichen Leuchtkraftfunktion beschreibbar; diese scheinteine universelle Funktion in Galaxien zu sein. Daher kannman aus der Helligkeitsverteilung von Planetarischen Ne-beln in einer Galaxie deren Entfernung bestimmen. Für diegezeigten Fits wurden die mit offenen Symbolen gekenn-zeichneten Punkte nicht benutzt; bei diesen Helligkeiten istdie Verteilungsfunktion vermutlich unvollständig

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118

3. Die Welt der Galaxien

nügend viele Planetarische Nebel beobachten und ihreHelligkeit bestimmen kann, so erlaubt dies die Vermes-sung von deren Leuchtkraftfunktion, aus der wiederumdie maximale scheinbare Helligkeit ermittelt wird. Auchhier kann durch Eichung an Galaxien mit bekann-ter Cepheiden-Entfernung aus dieser oberen Schrankeder scheinbaren Helligkeit die absolute Helligkeit, unddamit die Entfernung der Galaxie gemessen werden.

Skalierungsrelationen. Die Skalierungsrelationen fürGalaxien – Fundamental-Ebene für Ellipsen, Tully–Fisher-Relation für Spiralen (siehe Abschn. 3.4) –können in lokalen Gruppen von Galaxien bzw. imVirgo-Haufen geeicht werden, deren Entfernung durchCepheiden bestimmt worden ist. Obgleich die Streuungdieser Skalierungsrelationen bei individuellen Galaxienca. 15% beträgt, können solche statistischen Fluktua-tionen durch Betrachtung von mehreren Galaxien etwagleicher Entfernung (wie bei Haufen und Gruppen) re-duziert werden. Dies ermöglicht die Bestimmung derrelativen Entfernungen zweier Galaxienhaufen.

Resultierende Hubble-Konstante. Durch diese ver-schiedenen sekundären Entfernungsmaße kann danninsbesondere das Verhältnis der Entfernungen zumVirgo- und zum Coma-Galaxienhaufen gemessen wer-den. Zusammen mit der mittels Cepheiden ermitteltenEntfernung zum Virgo-Haufen kann somit die Ent-fernung zum Coma-Haufen bestimmt werden. DessenRotverschiebung (z ≈ 0.023) ist groß genug, dass seinePekuliargeschwindigkeit keinen wesentlichen Beitragzur Rotverschiebung ergibt, sondern diese von derHubble-Expansion dominiert wird. Durch Kombina-tion der verschiedenen Methoden erhält man dann eineEntfernung zum Coma-Haufen von etwa 90 Mpc unddaraus eine Hubble-Konstante von

H0 = 72±8 km/s/Mpc . (3.36)

Der hier angegebene Fehler bezeichnet die statisti-sche Unsicherheit in der Bestimmung von H0. Danebengibt es mögliche systematische Unsicherheiten, die inetwa die gleiche Größenordnung haben können. Dabeispielt vor allem die Entfernung zur LMC eine zentraleRolle, da dies als unterste Sprosse der Entfernungslei-ter alle weiteren Entfernungsbestimmungen beeinflusst.Wir werden später (Abschn. 8.7.1) sehen, dass man dieHubble-Konstante in einer völlig verschiedenen Weise

bestimmen kann und dass diese Methode einen Wert er-gibt, der in verblüffender Übereinstimmung mit dem in(3.36) ist.

3.7 Leuchtkraftfunktion von Galaxien

Definition der Leuchtkraftfunktion. Die Leuchtkraft-funktion gibt an, wie die Mitglieder einer Klassevon Objekten bezüglich ihrer Leuchtkraft verteilt sind.Genauer gesagt ist die Leuchtkraftfunktion die An-zahldichte von Objekten (hier: Galaxien) bei einerbestimmten Leuchtkraft. Man definiert Φ(M) dM alsdie Anzahldichte von Galaxien mit absoluter Hellig-keit im Intervall [M, M +dM]. Die Gesamtdichte vonGalaxien ist dann

ν =∞∫

−∞dM Φ(M) . (3.37)

Entsprechend definiert man Φ(L) dL als die An-zahldichte von Galaxien mit Leuchtkraft zwischen Lund L +dL. Hier sei explizit darauf hingewiesen, dassbeide Definitionen der Leuchtkraftfunktion mit demgleichen Symbol bezeichnet werden, obwohl sie unter-schiedliche mathematische Funktionen darstellen, d. h.eine unterschiedliche funktionale Abhängigkeit besit-zen. Es ist daher wichtig (und meistens nicht schwierig),aus dem jeweiligen Zusammenhang herauszufinden,welche dieser beiden Funktionen gemeint ist.

Probleme bei der Bestimmung der Leuchtkraftfunk-tion. Auf den ersten Blick scheint die Aufgabe, dieLeuchtkraftfunktion von Galaxien zu bestimmen, nichtbesonders schwierig zu sein. Die Geschichte diesesFeldes zeigt allerdings, dass in der Praxis durchauseine ganze Reihe von Problemen auftreten. Zunächstist die Bestimmung der Leuchtkraft von Galaxien not-wendig, wofür neben der Messung des Flusses auchEntfernungsbestimmungen benötigt werden. Für weitentfernte Galaxien ist die Rotverschiebung ein ge-nügend verlässliches Maß der Entfernung, währendfür nahe Galaxien die in Abschn. 3.6 besprochenenMethoden benutzt werden müssen.

Für nahe Galaxien tritt zusätzlich eine weitereSchwierigkeit auf, nämlich die großräumige Strukturder Galaxienverteilung. Um eine repräsentative Stich-probe von Galaxien zu erhalten, muss man genügend

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3.7 Leuchtkraftfunktion von Galaxien

119

große Volumina betrachten, da die Galaxienverteilungauf Skalen von ∼ 100 h−1 Mpc stark strukturiert ist.Andererseits kann man besonders leuchtschwache Ga-laxien nur lokal beobachten, so dass eine Bestimmungvon Φ(L) für kleine L immer auf lokale Galaxienzurückgreifen muss. Schließlich gibt es den sog. Malm-quist Bias: In einer flussbegrenzten Stichprobe werdenleuchtkräftige Galaxien immer überrepräsentiert sein,da man diese zu größeren Entfernungen hin sehenkann (und sie deshalb aus einem größeren Volu-men stammen). Für diesen Effekt muss man stetskorrigieren.

Die Schechter-Leuchtkraftfunktion. Die globaleGalaxienverteilung wird durch die Schechter-Leuchtkraftfunktion gut angenähert,

Φ(L) =(

Φ∗

L∗

) (L

L∗

exp(−L/L∗) , (3.38)

wobei L∗ eine charakteristische Leuchtkraft darstellt,oberhalb derer die Verteilung exponentiell abfällt, α ist

Abb. 3.31. a) Leuchtkraftfunktion aus 13 Galaxienhaufen(Schechter, P.; ApJ 203, 297, 1976); für die gefüllten Kreisewurden auch cD-Galaxien berücksichtigt. b) schematischeDarstellung der Schechter-Funktion

die Steigung der Leuchtkraftfunktion für kleine L, undΦ∗ gibt die Normierung der Verteilung an. Eine sche-matische Darstellung dieser Funktion ist in Abb. 3.31gezeigt.

In Magnituden ausgedrückt, sieht diese Funktiondeutlich komplizierter aus. Beachtet man, dass je-dem Intervall dL ein Intervall dM entspricht, mitdL/L = −0.4 ln 10 dM, und benutzt man Φ(L) dL =Φ(M) dM, so folgt

Φ(M) = Φ(L)

∣∣∣∣ dL

dM

∣∣∣∣= Φ(L) 0.4 ln 10 L (3.39)

= (0.4 ln 10)Φ∗100.4(α+1)(M∗−M) (3.40)

× exp(−100.4(M∗−M)

).

Wie oben erwähnt ist die Bestimmung der Parameter derSchechter-Funktion schwierig; ein Satz von Parameternim blauen Band ist

Φ∗ = 1.6×10−2h3 Mpc−3 ,

M∗B = −19.7+5 log h

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120

3. Die Welt der Galaxien

oder

L∗B = 1.2×1010h−2L� , (3.41)

α = −1.07 .

Während das blaue Licht von Galaxien von derSternentstehung stark beeinflusst wird, misst dieLeuchtkraftfunktion bei roten Bändern die eher typischeSternverteilung. Im K-Band ergibt sich:

Φ∗ = 1.6×10−2h3 Mpc−3 ,

M∗K = −23.1+5 log h , (3.42)

α = −0.9 .

Die Gesamtanzahldichte der Galaxien ist formal un-endlich, wenn α ≤ −1, aber natürlich ist die Gültigkeitder Schechter-Funktion nicht zu beliebig kleinen Lnachgewiesen. Im übrigen bleibt die Leuchtkraftdichte

ltot =∞∫

0

dL L Φ(L) = Φ∗ L∗ Γ(2+α) (3.43)

beschränkt für α ≥ −2.4 Das Integral in (3.43) istfür α ∼ −1 dominiert von L ∼ L∗, weswegen n = Φ∗eine gute Abschätzung für die mittlere Dichte vonL∗-Galaxien darstellt.

Abweichungen der Leuchtkraftfunktion der Gala-xien von der Schechter-Form werden oft gefunden.Weiterhin gibt es keinen erkennbaren Grund für dieGültigkeit einer derart einfachen Relation zur Beschrei-bung der Leuchtkraftverteilung von Galaxien. Obwohldie Schechter-Funktion eine gute Darstellung der Ge-samtverteilung zu sein scheint, besitzt jeder Galaxientypseine eigene Leuchtkraftfunktion, deren Form sich je-weils stark von der Schechter-Funktion unterscheidet– siehe Abb. 3.32. Spiralen z. B. haben eine relativenge Verteilung in L, während die Elliptischen Gala-xien eine viel breitere Verteilung besitzen, wenn manden gesamten Bereich der großen Ellipsen bis hin zuden Zwergellipsen betrachtet. Insbesondere dominie-

4Γ(x) ist die Gamma-Funktion, die durch

Γ(x) =∞∫

0

dy y(x−1) e−y (3.44)

definiert ist. Für ganze, positive Zahlen gilt: Γ(n +1) = n!. Man findetΓ(0.7) ≈ 1.30, Γ(1) = 1, Γ(1.3) ≈ 0.90. Aus diesem Grunde ist ltot ∼Φ∗L∗ eine gute Näherung für die Leuchtkraftdichte.

Abb. 3.32. Die Leuchtkraftfunktionen verschiedener Hubble-Typen für Feldgalaxien (oben) und Galaxien des Virgo-Galaxienhaufens (unten). Gestrichelte Linien markierenExtrapolationen. Im Gegensatz zur Abb. 3.31 sind die leucht-kräftigen Galaxien nach links aufgetragen. Die Schechter-Leuchtkraftfunktion der gesamten Galaxienverteilung setztsich zusammen aus der Summe der Leuchtkraftverteilun-gen einzelner Galaxientypen, die jeweils stark von derSchechter-Funktion abweichen. Man erkennt, dass in Hau-fen die Zwerg-Ellipsen (dEs) den signifikanten Beitragzur Galaxienverteilung bei schwachen Magnituden ausma-chen, und Es und S0s zur Leuchtkraftfunktion am hellenEnde wesentlich stärker beitragen als im Feld; dieser Trendist bei regulären Galaxienhaufen noch sehr viel stärkerausgeprägt

ren E’s bei großen L; zugleich wird das schwacheEnde der Leuchtkraftfunktion von Zwergellipsen undIrr’s dominiert. Hinzu kommt die unterschiedlicheLeuchtkraft-Verteilung von Haufen- bzw. Gruppenga-laxien einerseits und Feldgalaxien andererseits. DieTatsache, dass die Gesamtleuchtkraftfunktion durch so

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3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

121

eine einfache Gleichung wie (3.38) beschrieben wer-den kann, ist vermutlich zum Teil ,,Zufall“ (,,cosmicconspiracy“) und nicht einfach modellierbar.

3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

In Abschn. 2.5 wurde der Gravitationslinseneffekt dis-kutiert, wobei wir uns dort auf die Lichtablenkungan Punktmassen konzentriert hatten. Der Linseneffektvon Sternen führt zu Bildaufspaltungen, die zu kleinsind, als dass man sie mit existierenden Teleskopenauflösen könnte. Da die Bildaufspaltung proportionalzur Wurzel der Linsenmasse ansteigt (2.79), ist derWinkelabstand der Bilder, wenn Galaxien als Gravi-tationslinsen auftreten, etwa eine Million mal größerals bei Sternen und sollte daher beobachtbar sein, wiebereits von Fritz Zwicky im Jahre 1937 vorhergesagtwurde. Tatsächlich wurden Mehrfachbilder von weit-entfernten Quellen, zusammen mit der Galaxie, diefür die Bildaufspaltung verantwortlich ist, gefunden.In diesem Abschnitt wollen wir zunächst diesen Effektbeschreiben, wobei wir an die Darstellung aus Ab-schn. 2.5.1 anknüpfen. Beispiele des Linseneffekts undseine vielfältigen Anwendungen werden dann weiterunten diskutiert.

3.8.1 Der Gravitationslinseneffekt – Teil II

Die Geometrie eines typischen Linsensystems ist inAbb. 2.21 bzw. in Abb. 3.33 skizziert. Die Beschreibungdieser Situation für eine beliebige Massenverteilungergibt sich aus den folgenden Überlegungen.

Falls das Gravitationsfeld schwach ist (was in allenhier behandelten Situationen der Fall ist), können die Ef-fekte der Gravitation linearisiert werden.5 Daher kann

5Um die Stärke eines Gravitationsfeldes zu charakterisieren, be-trachtet man das Gravitationspotential Φ. Die Größe Φ/c2 istdimensionslos und eignet sich daher zur Unterscheidung von starkenund schwachen Gravitationsfeldern. Φ/c2 1 gilt daher für schwa-che Felder. Eine andere Möglichkeit zur Charakterisierung besteht inder Anwendung des Virialsatzes: Befindet sich eine Verteilung vonMassen im virialen Gleichgewicht, so gilt v2 ∼ Φ, und schwache Fel-der sind daher durch v2/c2 1 gekennzeichnet. Da in Galaxien diecharakteristischen Geschwindigkeiten ∼ 200 km/s betragen, ist fürsie Φ/c2 � 10−6. Die typischen Geschwindigkeiten von Galaxien inGalaxienhaufen betragen ∼ 1000 km/s, so dass dort Φ/c2 � 10−5. Inbeiden Fällen sind die auftretenden Gravitationsfelder also schwach.

der Ablenkwinkel einer Linse, die aus mehreren Mas-senkomponenten besteht, durch eine Superposition derAblenkwinkel der einzelnen Komponenten dargestelltwerden,

α =∑

i

αi . (3.45)

Wir nehmen an, dass die ablenkende Masse eine kleineAusdehnung L entlang der Sichtlinie besitzt, verglichenmit den Entfernungen zwischen Beobachter und Linse(Dd) und zwischen Linse und Quelle (Dds), L Dd

und L Dds. Dann können alle Massenelemente alsbei der gleichen Entfernung Dd befindlich betrachtetwerden. Man spricht in einem solchen Fall von einergeometrisch dünnen Linse. Für den Fall einer Gala-xie als Gravitationslinse ist dies sicherlich gegeben:Die Ausdehnung von Galaxien beträgt typischerweise∼ 100 h−1 kpc, während die Entfernungen zur Linseund zur Quelle typischerweise ∼ Gpc betragen. Daherkann man (3.45) als Superposition von Einsteinwinkelnder Form (2.71) schreiben,

α(ξ) =∑

i

4Gmi

c2

ξ − ξi

|ξ − ξi |2 , (3.46)

wobei ξi die Positionsvektoren der Massenelemente mi

und ξ die Position des Lichtstrahls in der Linsenebenebeschreiben.

Für eine kontinuierliche Massenverteilung kann mandie Linse gedanklich in Massenelemente der Massedm = Σ(ξ) d2ξ aufteilen, wobei Σ(ξ) die Flächen-massendichte der Linse am Ort ξ beschreibt. Dieseerhält man durch die Projektion der räumlichen Mas-sendichte ρ entlang des Sehstrahls zur Linse. Somitkann der Ablenkwinkel (3.46) in ein Integral umgeformtwerden,

α(ξ) = 4G

c2

∫d2ξ ′ Σ(ξ ′)

ξ − ξ ′

|ξ − ξ ′|2 . (3.47)

Dieser Ablenkwinkel wird nun in die Linsengleichung(2.75) eingesetzt,

β = θ − Dds

Dsα(Ddθ) , (3.48)

wobei ξ = Ddθ den Zusammenhang zwischen der Posi-tion ξ des Lichtstrahls in der Linsenebene und seiner

Page 135: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

122

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.33. Zur Erinnerung noch einmal eine Skizze zurLinsengeometrie

scheinbaren Richtung θ angibt. Wir definieren denskalierten Ablenkwinkel wie in (2.76),

α(θ) = Dds

Dsα(Ddθ) ,

so dass sich die Linsengleichung (3.48) schreiben lässtals (siehe Abb. 3.33)

β = θ −α(θ) , (3.49)

mit

α(θ) = 1

π

∫d2θ ′ κ(θ ′)

θ − θ ′

|θ − θ ′|2 , (3.50)

wobei

κ(θ) = Σ(Ddθ)

Σcr(3.51)

die dimensionslose Flächenmassendichte und

Σcr = c2 Ds

4πG Dd Dds(3.52)

die so genannte kritische Flächenmassendichte ist.Diese hängt nur von den Entfernungen zur Linse und zurQuelle ab. Obwohl Σcr eine Kombination von kosmolo-gischen Entfernungen enthält, ist ihre Größenordnungsehr ,,menschlich“,

Σcr ≈ 0.35

(Dd Dds

Ds 1 Gpc

)−1

g cm−2 .

Eine Quelle ist an mehreren Positionen θ an der Sphäresichtbar, also mehrfach abgebildet, wenn die Linsen-gleichung (3.49) für eine gegebene Quellposition β

mehrere Lösungen θ hat. Aus einer genaueren Ana-lyse dieser Linsengleichungen erhält man das folgendeallgemeine Resultat:

Falls Σ ≥ Σcr an mindestens einem Punkt derLinse, so gibt es Quellpositionen β derart, dass eineQuelle bei β Mehrfachbilder besitzt. Daraus folgtsofort, dass κ ein ,,gutes“ Maß für die Linsenstärkeist. Eine Massenverteilung mit κ 1 überall isteine schwache Linse, die keine Mehrfachbilder er-zeugen kann, während eine mit κ � 1 für bestimmteBereiche von θ eine starke Linse darstellt.

Der Verstärkungsfaktor μ eines Bildes, der durchdie differentielle Lichtablenkung hervorgerufen wird,ist für Quellen, die klein sind gegenüber den cha-rakteristischen Skalen der Linse, wie in (2.83)gegeben,

μ =∣∣∣∣det

(∂β

∂θ

)∣∣∣∣−1

. (3.53)

Die Bedeutung des Gravitationslinseneffekts liegt in derTatsache begründet, dass die gravitative Lichtablenkungunabhängig von der Art und dem Zustand der ablenken-den Materie ist. Daher ist er gleichermaßen empfindlichfür Dunkle wie baryonische Materie, und unabhängigdavon, ob sich die Materieverteilung in einem Gleichge-wichtszustand befindet oder nicht. Der Linseneffekt istdaher speziell dazu geeignet, Massenverteilungen zu un-tersuchen, ohne dass dazu spezielle Annahmen über denGleichgewichtszustand der Materie oder den Zusam-menhang zwischen Dunkler und leuchtender Materiegemacht werden müssen.

3.8.2 Einfache Modelle

Axial-symmetrische Massenverteilungen. Die ein-fachsten Modelle für Gravitationslinsen sind solche mitaxialer Symmetrie, für die Σ(ξ) = Σ(ξ) gilt, wobeiξ = |ξ | den Abstand eines Punktes vom Zentrum derLinse bezeichnet. In diesem Fall ist der Ablenkwinkelin radialer Richtung nach innen gerichtet, und es gilt

α = 4G M(ξ)

c2 ξ, (3.54)

wobei M(ξ) die Masse innerhalb des Radius ξ ist.

Page 136: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

123

Entsprechend gilt für den skalierten Ablenkwinkel

α(θ) = m(θ)

θ:= 1

θ2

θ∫0

dθ ′ θ ′ κ(θ ′) , (3.55)

wobei im letzten Schritt m(θ) als dimensionslose Masseinnerhalb θ definiert wurde. Aufgrund der Parallelitätvon α und θ wird die Linsengleichung eindimensional,da man nur die radiale Koordinate betrachten muss,

β = θ −α(θ) = θ − m(θ)

θ. (3.56)

Eine Illustration dieser eindimensionalen Linsenabbil-dung ist in Abb. 3.34 gezeigt.

Beispiel: Punktmasse. Für eine Punktmasse M ist

m(θ) = 4G M

c2

Dds

Dd Ds,

daher wird die Linsengleichung für eine Punktmassen-linse aus Abschn. 2.5.1 reproduziert.

Beispiel: Isotherme Sphäre. In Abschn. 2.4.2 habenwir gesehen, dass unsere Milchstraße eine flache Ro-tationskurve zeigt, und aus Abschn. 3.3.3 wissen wir,dass auch andere Spiralen flache Rotationskurven be-sitzen. Dies deutet darauf hin, dass die Masse einerGalaxie proportional mit r anwächst, also ρ(r) ∝ r−2,oder genauer

ρ(r) = σ2v

2πGr2. (3.57)

Dabei ist σv die ein-dimensionale Geschwindig-keitsdispersion der Sterne in dem Potential dieserMassenverteilung, falls die Sternorbits isotrop verteiltsind. Im Prinzip ist daher σv mittels Spektroskopieaus der Linienbreite messbar. Die durch (3.57) be-schriebene Massenverteilung heißt singuläre isothermeSphäre (SIS). Da dieses Massenmodell nicht nur fürUntersuchungen des Linseneffekts eine bedeutendeRolle spielt, wollen wir seine Eigenschaften ein weniggenauer beleuchten.

Die Dichte in (3.57) divergiert für r → 0 wie r−2, sodass das Massenmodell nicht bis zum Zentrum der Ga-laxie angewandt werden kann. Allerdings zeigen diezentral steil ansteigenden Rotationskurven, dass der,,Kernbereich“ der Massenverteilung, in dem der Dich-teverlauf wesentlich von dem r−2-Gesetz abweicht,

Abb. 3.34. Skizze einer axial-symmetrischen Linse. Im oberenBild ist θ −α(θ) als Funktion des Winkelabstands θ vom Lin-senzentrum aufgetragen, zusammen mit der Geraden β = θ.Die drei Schnittpunkte der Geraden bei festem β mit der Kurveθ −α(θ) ergeben die drei Lösungen der Linsengleichung. Dasuntere Bild deutet die Lage und Größe der Bilder am Himmeldes Beobachters an. Dabei ist Q die ungelinste Quelle (dienatürlich in Anwesenheit der Lichtablenkung nicht sichtbarist!), und A, B1, B2 sind die beobachtbaren Bilder der Quelle.Die Größen der Bilder, und damit ihre Flüsse, sind sehr unter-schiedlich; insbesondere ist das innere Bild B2 sehr schwach.Der Fluss von B2, relativ zu dem von A, hängt stark vomKernradius der Linsengalaxie ab; ist dieser klein genug, wirdder Fluss von B2 so klein, dass das dritte Bild unbeobacht-bar wird. Für den speziellen Fall einer singulären isothermenSphäre ist das innerste Bild abwesend

bei Galaxien klein sein muss. Weiterhin divergiertdie Masse wie M(r) ∝ r für große r. Das Massen-profil muss also außen ,,abgeschnitten“ werden, umzu einer endlichen Gesamtmasse zu gelangen. Dieser

Page 137: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

124

3. Die Welt der Galaxien

Abschneideradius ist vermutlich sehr groß (� 100 kpcbei L∗-Galaxien), denn die Rotationskurven sind flachmindestens bis zu dem Punkt, wo sie beobachtbar sind.

Die SIS ist ein geeignetes, einfaches Modell für Gra-vitationslinsen über einen weiten Bereich des Radius,da sie grundlegende Eigenschaften von Linsensystemen(wie etwa den Bildabstand) recht gut wiederzugebenscheint. Die Flächenmassendichte erhält man aus derProjektion von (3.57) entlang der Sichtlinie,

Σ(ξ) = σ2v

2Gξ, (3.58)

woraus sich die projizierte Masse M(ξ) innerhalb desRadius ξ ergibt zu

M(ξ) = 2π

ξ∫0

dξ ′ ξ ′ Σ(ξ ′) = πσ2v ξ

G. (3.59)

Daraus erhält man mit (3.54) den Ablenkwinkel,

α(ξ) = 4π(σv

c

)2,

α(θ) = 4π(σv

c

)2(

Dds

Ds

)≡ θE . (3.60)

Der Ablenkwinkel an einer SIS ist also konstant undgleich θE, und er hängt quadratisch von σv ab; θE

Abb. 3.35. Geometrie einer ,,elliptischen“ Linse, wobei esnicht wichtig ist, ob die Massenverteilung elliptische Iso-dichtekonturen besitzt oder eine sphärische Massenverteilungdurch ein externes Gezeitenfeld gestört ist. Rechts sind jeweilsfünf verschiedene Quellpositionen relativ zum Linsenzentrumdargestellt, links die entsprechenden Bildpositionen. Je nach

Position der Quelle können 1, 3 oder 5 Bilder auftauchen. DieKurven in den linken Figuren, also auf der Linsenebene, sindkritische Kurven, der Ort aller Punkte, für die μ → ∞; dieKurven in der Quellebene (rechts) sind Kaustiken, die Abbil-dung der kritischen Kurven mittels der Linsengleichung in dieQuellebene

heißt Einsteinwinkel der SIS. Die charakteristischeGrößenordnung des Einsteinwinkels ist

θE = 1′′. 15( σv

200 km/s

)2(

Dds

Ds

), (3.61)

woraus sich ergibt, dass für massereiche Galaxien dieWinkelskala für den Linseneffekt etwa eine Bogense-kunde beträgt. Die Linsengleichung (3.56) lautet füreine SIS

β = θ − θEθ

|θ| , (3.62)

wobei berücksichtigt wurde, dass der Ablenkwinkel fürθ < 0 negativ ist, denn er ist stets nach innen gerichtet.

Lösung der Linsengleichung für die singuläreisotherme Sphäre. Falls |β| < θE, besitzt die Linsen-gleichung zwei Lösungen,

θ1 = β + θE , θ2 = β − θE . (3.63)

Ohne Beschränkung der Allgemeinheit nehmen wirβ ≥ 0 an; dann ist θ1 > θE > 0, 0 > θ2 > −θE: Auf je-der Seite des Linsenzentrums befindet sich ein Bild derQuelle, und der Bildabstand beträgt

Δθ = θ1 − θ2 = 2θE = 2′′. 3( σv

200 km/s

)2(

Dds

Ds

).

(3.64)

Page 138: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

125

Der Bildabstand hängt also nicht von der Position derQuelle ab. Bei massereichen Galaxienlinsen ist er vonder Größenordnung einer Bogensekunde. Für β > θE

gibt es nur ein Bild der Quelle bei θ1, also auf dergleichen Seite vom Linsenzentrum wie die ungelinsteQuelle.

Der Verstärkungsfaktor ergibt sich zu

μ(θ) = |θ/θE|||θ/θE|−1| . (3.65)

Falls θ ≈ θE, ist μ sehr groß; solche Lösungen der Lin-sengleichung treten für |β| θE auf, was bedeutet, dassQuellen nahe des Zentrums hoch verstärkt sein können.Falls β = 0, wird das Bild der Quelle zu einem Ring mitRadius θ = θE, ein sog. Einstein-Ring.

Realistischere Modelle. In der Natur vorkommendeMassenverteilungen werden nicht als wirklich symme-trisch erwartet. Die Elliptizität der Massenverteilungoder äußere Scherungskräfte (z. B. hervorgerufen durchbenachbarte Galaxien) stören die Symmetrie. Dadurchändern sich die Linseneigenschaften der Galaxie; bei-spielsweise können mehr als zwei Bilder auftreten.Die Abb. 3.35 illustriert die Linseneigenschaften sol-cher ,,elliptischen“ Massenverteilungen. Man erkenntz. B., dass Paare von Bildern, die beide hoch verstärktsind, einen deutlich kleineren Bildabstand besitzen alsdem Einstein-Radius der Linse entspricht. Dennoch istder charakteristische Bildabstand immer noch von derGrößenordnung (3.64).

3.8.3 Beispiele für Gravitationslinsen

Zur Zeit sind etwa 70 Gravitationslinsensysteme mitGalaxien als Linsen bekannt. Einige davon wurden eherzufällig entdeckt, die meisten jedoch in systematischenSuchen nach Linsensystemen. Die wichtigsten Linsen-surveys sind: (1) Der HST Snapshot Survey: Die ∼ 500leuchtkräftigsten Quasare wurden mit dem HST beob-achtet, und 6 Linsensysteme wurden dabei identifiziert.(2) JVAS: Etwa 2000 helle Radioquellen mit flachemRadiospektrum (solche enthalten bevorzugt kompakteRadiokomponenten; siehe Abschn. 5.1.3) wurden mitdem VLA nach Mehrfachkomponenten abgesucht, wo-bei 6 Linsensysteme gefunden wurden. (3) CLASS: Wiebei JVAS wurden Radioquellen mit flachem Spektrummit dem VLA nach Mehrfachkomponenten durchsucht,

wobei die Flussgrenze kleiner war als bei JVAS; die-ser Survey enthält 15 000 Quellen, von denen bislang13 als Linsen identifiziert wurden. In diesem Abschnittsollen exemplarisch einige Linsensysteme diskutiertwerden.

QSO 0957+561, der erste Doppelquasar. Das ersteLinsensystem wurde 1979 durch Walsh, Carswell &Weymann entdeckt, wobei die optische Identifikationeiner Radioquelle zwei punktförmige optische Quellenzeigte (siehe Abb. 3.36). Beide stellten sich als Quasareheraus, die die gleiche Rotverschiebung von zs = 1.41besitzen und dabei sehr ähnliche Spektren zeigen. Tiefeoptische Aufnahmen des Feldes zeigten eine ElliptischeGalaxie zwischen den beiden Quasaren, deren Rot-verschiebung zd = 0.36 beträgt. Diese Galaxie ist somassereich und so nahe an Bild B der Quelle, dass sieeinen Linseneffekt hervorrufen muss. Allerdings ist derbeobachtete Bildabstand von Δθ = 6′′. 1 deutlich größer,als man vom Linseneffekt einer Galaxie erwartet (3.64).Die Erklärung dafür liegt in der Tatsache, dass die Lin-sengalaxie sich in einem Galaxienhaufen befindet; diezusätzliche Linsenwirkung des Haufens addiert sich zuder der Galaxie, wodurch die große Bildaufspaltung her-gestellt wird. Das Linsensystem QSO 0957+561 wurdein allen Wellenlängenbereichen (vom Radio- bis zumRöntgenbereich) beobachtet; die beiden Bilder des Qua-sars sind sich bei allen λ sehr ähnlich, inklusive derVLBI-Struktur (Abb. 3.37) – wie es auch den Erwar-tungen entspricht, da der Linseneffekt unabhängig vonder Wellenlänge, also achromatisch ist.

QSO PG1115+080. 1980 wurde der sog. Tripelquasarentdeckt, drei optische Quasare mit einem maximalenWinkelabstand von etwas unter 3′′. Dabei war eine Kom-ponente (A) wesentlich heller als die beiden anderenBilder (B, C; siehe Abb. 3.38 links). In hochaufgelös-ten Aufnahmen zeigte sich dann, dass das hellste Bildin Wirklichkeit ein Doppelbild ist: A ist aufgespaltenin A1 und A2. Der Winkelabstand dieser beiden etwagleich hellen Bilder beträgt ∼ 0′′. 5 und ist somit deut-lich kleiner als die anderen Winkelabstände in diesemSystem. Die vier Quasarbilder haben eine Rotver-schiebung von zs = 1.72, während die Rotverschiebungder Linse zd = 0.31 beträgt. Die Bildkonfiguration isteine der von einer elliptischen Linse erwarteten, sieheAbb. 3.35.

Page 139: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

126

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.36. Oben: Optische Aufnahmen des DoppelquasarsQSO 0957+561; links eine Aufnahme mit kurzer Belich-tungszeit, auf der die beiden punktförmigen Bilder A,B desQuasars klar zu erkennen sind, rechts eine länger belichteteAufnahme, die die Linsengalaxie G1 zwischen den beidenQuasarbildern zeigt. Mehrere weitere Galaxien (G2–G5) sindebenfalls erkennbar; die Linsengalaxie befindet sich in einem

Galaxienhaufen bei zd = 0.36. Unten: Zwei Radiokarten vonQSO 0957+561, aufgenommen mit dem VLA bei 6 cm (links)bzw. 3.6 cm (rechts). Die beiden Quasarbilder sind mit A,Bgekennzeichnet, G ist Radiostrahlung der Linsengalaxie. DerQuasar hat einen Radio-Jet, der auf kleinen Skalen in beidenBildern mittels VLBI untersucht wurde (siehe Abb. 3.37), derallerdings auf großen Skalen nur einfach abgebildet wird

Page 140: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

127

Abb. 3.37. Oben: Millibogensekunden-Struktur der beidenQuasarbilder von QSO 0957+561, eine VLBI-Karte von Go-renstein et al. bei 13 cm. Beide Quasarbilder bestehen auseiner Kern-Jet-Struktur, und man sieht deutlich, dass sie spie-gelsymmetrisch angeordnet sind, wie das von Linsenmodellenauch vorhergesagt wird. Unten: Spektren der beiden Quasar-bilder QSO 0957+561A,B, aufgenommen mit der Faint ObjectCamera (FOC) auf dem HST. Die Ähnlichkeit der Spektren,insbesondere ihre identische Rotverschiebung, ist klarer Hin-weis auf eine gemeinsame Quelle der beiden Quasar-Bilder.Die breite Lyα-Linie, in deren Flügel sich eine Nv-Liniebefindet, ist praktisch immer die stärkste Emissionslinie inQuasaren

Mit der NIR-Kamera NICMOS auf dem HST wurdennicht nur die Quasarbilder und die Linsengalaxie gefun-den, sondern auch ein fast vollständiger Einstein-Ring

(Abb. 3.38 rechts). Die Quelle dieses Rings ist sehr vielröter als der Quasar selbst, denn es handelt sich hierbeium die Host-Galaxie des Quasars.

Aus der Bildkonfiguration in solchen Vierfach-Systemen kann die Masse der Linse innerhalb dieserBilder sehr genau abgeschätzt werden. Die vier Bilderdes Linsensystems zeichnen einen Kreis um das Zent-rum der Linsengalaxie nach, dessen Radius mit demEinstein-Radius der Linse identifiziert werden kann.Daraus kann man unmittelbar die Masse der Linse in-nerhalb des Einstein-Radius bestimmen, denn aus derLinsengleichung (3.56) für symmetrische Linsen ergibtsich der Einstein-Radius, wenn man β = 0 setzt. DerEinstein-Radius ist daher die Lösung der Gleichung

θ = α(θ) = m(θ)

θ,

oder

m(θE) = 4G M(θE)

c2

Dds

Dd Ds= θ2

E .

Diese Gleichung wird am besten geschrieben als

M(θE) = π (DdθE)2 Σcr : (3.66)

Die Linsenmasse innerhalb θE ergibt sich daraus,dass die mittlere Flächenmassendichte innerhalb θE

gerade gleich der kritischen FlächenmassendichteΣcr ist! Eine genauere Bestimmung der Linsenmas-sen ist mit Hilfe von detaillierten Linsenmodellenmöglich; für 4-fach-Bildsysteme kann man dieMassen bis auf wenige Prozent genau bestimmen –das sind die genauesten Massenbestimmungen der(extragalaktischen) Astronomie.

Page 141: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

128

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.38. Links ist eine NIR-Aufnahmevon QSO 1115+080 gezeigt, aufgenommenmit der NICMOS-Kamera auf dem HST.Die Doppelstruktur von Bild A (das linkeder QSO-Bilder) ist klar erkennbar, obwohlder Bildabstand zwischen den beidenA-Komponenten weniger als 0′′. 5 beträgt.Die Linsengalaxie ist ebenfalls klar er-kennbar, sie hat eine wesentlich rötlichereEnergieverteilung als die Quasarbilder. Imrechten Bild wurden die Quasarbilder unddie Linsengalaxie subtrahiert. Übrig bleibtein fast geschlossener Ring; das Licht derHost-Galaxie wird in einen Einstein-Ringabgebildet

QSO 2237+0305: Das Einstein-Kreuz. Ein spektro-skopischer Survey naher Galaxien zeigte im Spektrumdes Kerns einer nahen Spiralgalaxie einige ungewöhn-liche Emissionslinien, die nicht von dieser Galaxiestammen konnten, sondern die von einem Quasar mitder Rotverschiebung zs = 1.7 emittiert werden. Hoch-aufgelöste Aufnahmen zeigten, dass sich um den Kerndieser Galaxie vier Punktquellen anordnen mit einemBildabstand von Δθ ≈ 1′′. 8 (Abb. 3.39). Deren Spektro-

Abb. 3.39. Links: Im Zentrum einer nahen Spiralgala-xie befinden sich 4 Punktquellen, deren Spektren starkeEmissionslinien zeigen. Die Aufnahme mit dem CFHTzeigt die Balkenstruktur im Innern der Linsengalaxie

sehr deutlich. Rechts: Eine HST/NICMOS-Aufnahme desZentrums von QSO 2237+0305; die zentrale Quelle istkein fünftes Quasarbild, sondern der helle Kern derLinsengalaxie

skopie ergab, dass alle vier Bilder des gleichen Quasarssind (Abb. 3.40).

Die Bilder in diesem System sind fast symmetrischangeordnet; auch dies ist eine typische Linsenkon-figuration, wie sie durch elliptische Linsen hervor-gerufen wird (siehe Abb. 3.35). Der Einstein-Radiusder Linse beträgt θE ≈ 0′′. 9, und die Massenbestim-mung innerhalb dieses Radius ist mit ∼ 3% Genauigkeitmöglich.

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3.8 Galaxien als Gravitationslinsen

129

Abb. 3.40. Spektren der vier Bilder des Quasars 2237+0305,aufgenommen mit dem CFHT. Wie klar zu erkennen ist, sinddie spektralen Eigenschaften dieser vier Bilder sehr ähnlich,was letztlich den Beweis erbringt, dass es sich um ein Lin-sensystem handelt. Die getrennte Spektroskopie dieser vier soeng beieinander liegenden Quellen ist extrem schwierig undnur bei besten Beobachtungsbedingungen zu erreichen

Einstein-Ringe. In den Abbildungen 3.41 und 3.42 sindzwei weitere Beispiele für Einstein-Ringe dargestellt.Im ersten Fall handelt es sich um eine Radiogalaxie,deren zwei Radio-Komponenten durch eine Linsenga-laxie mehrfach abgebildet werden – die eine der beidenRadio-Quellen wird vierfach, die andere zweifachabgebildet. Im NIR ist die Radiogalaxie als vollstän-diger Einstein-Ring sichtbar. Dieses Beispiel zeigt sehrklar, dass die Bilder einer Quelle von der Größe derQuelle abhängen: Um einen Einstein-Ring zu erzeugen,benötigt man eine genügend ausgedehnte Quelle.

Abb. 3.41. Die Radioquelle 1938+666 stelltsich als Mehrfachbild dar (Konturen in derrechten Figur); dabei besteht die Quelleaus zwei Komponenten, wovon die einevierfach, die andere zweifach abgebildetwird. Eine NICMOS/HST-Aufnahme imNIR (links, rechts als Graustufen) zeigt dieLinsengalaxie im Zentrum eines Einstein-Rings, der wiederum von der Host-Galaxiedes Quasars stammt

Der Quasar MG 1654+13 besteht im Radiobereichaus einer kompakten zentralen Quelle und zwei Radio-Lobes; wie wir in Abschn. 5.1.3 noch besprechenwerden, ist dies eine typische Radio-Morphologie fürQuasare. Einer der beiden Lobes besitzt eine ring-förmige Struktur, wie man sie bis dahin noch nichtbeobachtet hatte. Eine optische Aufnahme des Fel-des zeigt zum einen den Quasar an der Position derkompakten Radio-Komponente, zum andern eine helleElliptische Galaxie, die sich genau im Zentrum desringförmigen Radio-Lobes befindet. Diese Galaxie hateine deutlich kleinere Rotverschiebung als der Quasarund ist somit die Gravitationslinse, die für die Abbil-dung des Lobes in einen Einstein-Ring verantwortlichist.

3.8.4 Anwendungen des Linseneffekts

Massenbestimmung. Wie bereits erwähnt, kann dieMasse innerhalb der Mehrfachbilder direkt und teil-weise sehr genau bestimmt werden. Da die Längenskalain der Linsenebene (bei gegebener Winkelskala) undΣcr von H0 abhängen, skaliert diese Massenbe-stimmung mit H0. Beispielsweise findet man fürQSO 2237+0305 eine Masse innerhalb von 0′′. 9 von(1.08±0.02)h−1 ×1010 M�. Für die Linsengalaxie desEinstein-Rings im System MG 1654+13 (Abb. 3.42) isteine noch genauere Bestimmung der Masse durch-geführt worden. Die Abhängigkeit von den anderenkosmologischen Parametern ist relativ schwach, insbe-sondere bei kleineren Rotverschiebungen von Quelleund Linse. Die meisten Linsengalaxien sind Frühtyp-

Page 143: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

130

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.42. Der Quasar MG1654+13 besitzt neben demkompakten Radiokern (Q) zwei Radio-Lobes (Keulen); dernördliche dieser Lobes ist mit C bezeichnet, während der süd-liche Lobe in einen Ring abgebildet wird. In Graustufen istein optisches Bild zu sehen, das neben dem Quasar bei Q(zs = 1.72) eine massive Vordergrundgalaxie bei zd = 0.25zeigt, die für die Linsenabbildung in einen Ring verantwort-lich ist. Die Masse der Galaxie innerhalb des Rings kann mit∼ 1% Genauigkeit bestimmt werden

Galaxien (Ellipsen), und die Bestimmung ihrer Masseführt zu dem Schluss, dass Ellipsen ebenfalls DunkleMaterie enthalten.

Externer Einfluss. Detaillierte Linsenmodelle zeigen,dass die meisten Gravitationslinsen von einem äuße-ren Gezeitenfeld beeinflusst werden. Die Ursache dafürliegt in dem Umstand, dass sich Linsengalaxien oft-mals in Gruppen von Galaxien befinden, die ebenfallszur Lichtablenkung beitragen. In einigen Fällen sindandere Gruppenmitglieder direkt identifiziert worden.Aus der Stärke dieses externen Einflusses können Mas-seneigenschaften der zugehörigen Gruppe bestimmtwerden.

Bestimmung der Hubble-Konstanten. Die Licht-laufzeiten entlang der verschiedenen Lichtwege (ent-sprechend der Mehrfachbilder) sind nicht gleich, dadie Lichtwege einerseits unterschiedliche geometrischeLänge aufweisen und die Lichtstrahlen anderer-seits unterschiedliche Tiefen des Gravitationspotentialsder Linse durchqueren, was zu einem (allgemein-relativistischen) Effekt der Zeitverzögerung führt. DerUnterschied der Lichtlaufzeiten Δt ist messbar, fallsdie Quelle intrinsisch variiert, denn die Variationen derQuelle werden in den verschiedenen Bildern zu ver-schiedenen Zeiten gesehen. Aus dieser Differenz derAnkunftszeit ist dann Δt bestimmbar.

Man kann sich leicht überlegen, dass Δt von derHubble-Konstanten bzw. der Größe des Universumsabhängt. Falls das Universum doppelt so groß wärewie unseres, wäre Δt ebenfalls doppelt so groß –siehe Abb. 3.43. Falls man also aus der Geometrieder Bildkonfiguration die Massenverteilung der Linsegenügend gut modellieren kann, so ist aus der Mes-sung der Lichtlaufzeitdifferenz die Hubble-Konstantebestimmbar. Bislang wurde Δt bei etwa 10 Linsensys-temen gemessen (siehe Abb. 3.44 für ein Beispiel). Mit,,plausiblen“ Linsenmodellen erhält man daraus Wertefür die Hubble-Konstante, die mit anderen Messungen

Abb. 3.43. Linsengeometrie in zwei Universen mit verschie-dener Hubble-Konstanten. Alle Observablen sind dimensions-los – Winkelabstände, Flussverhältnisse, Rotverschiebungen– außer der Lichtlaufzeitdifferenz. Diese ist im unteren Uni-versum größer als im oberen; daher Δt ∝ H−1

0 . Kann mannun Δt bestimmen, und besitzt ein gutes Modell der Massen-verteilung der Linse, kann man aus der Messung von Δt dieHubble-Konstante ermitteln

Page 144: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

3.9 Populationssynthese

131

Abb. 3.44. a) Optische Lichtkurven des Doppelquasars0957+561 in zwei Farbfiltern; Lichtkurve von Bild A ist in rotdargestellt, die von Bild B in blau, wobei letztere um 417 Tageverschoben worden ist. Durch diese Verschiebung werden diebeiden Lichtkurven zur Deckung gebracht – dieser Lichtlauf-

zeitunterschied von 417 Tagen ist auf etwa ±3 Tagen genaubestimmt. b) Radio-Lichtkurven von QSO 0957+561A,B bei6 cm; aus diesen Radio-Messungen lässt sich ebenfalls Δt be-stimmen, und der so erhaltene Wert ist mit dem aus optischenDaten erhaltenen kompatibel

(siehe Abschn. 3.6) verträglich sind, aber eine Tendenzzu etwas kleineren Werten von H0 als den durch dasHST Key Project gemessenen (3.36) zeigen. Die Haupt-schwierigkeit liegt darin, dass die Massenverteilung vonLinsengalaxien nicht eindeutig aus den Positionen derMehrfachbilder bestimmt werden kann; daher bildendiese Bestimmungen von H0 bislang noch keine Prä-zisionsmessungen. Andererseits kann man aber aus Δtinteressante Schlussfolgerungen über das radiale Mas-senprofil von Linsengalaxien ziehen, wenn man H0 alsbekannt voraussetzt.

ISM in Linsengalaxien. Da man die gleiche Quelleauf verschiedenen Sichtlinien durch Linsengalaxiensieht, gibt der Vergleich der Farben und Spektren dereinzelnen Bilder Auskunft über die Rötung und dieAbsorption durch Staub im ISM der Linsengalaxie.Aus diesen Untersuchungen konnte etwa gezeigt wer-den, dass die Extinktion in Ellipsen in der Tat sehrgering ist, wie man aus der geringen Menge interstella-ren Mediums bei ihnen auch erwarten würde, während

für Spiralen die Extinktion deutlich größer ist. SolcheUntersuchungen erlauben auch, den Zusammenhangzwischen Extinktion und Rötung zu studieren und damitnach Abweichungen vom Galaktischen Rötungsgesetz(2.21) zu suchen. In der Tat ist die Proportionalitäts-konstante in anderen Galaxien unterschiedlich, was aneiner anderen Zusammensetzung des Staubes hinsicht-lich der chemischen Elemente und der Größenverteilungder Staubteilchen liegt.

3.9 Populationssynthese

Das Licht der ,,normalen“ Galaxien stammt vonSternen. Nun ist die Sternentwicklung weitestgehendverstanden, ebenso wie die Emission von Sternen ausder Theorie der Sternatmosphären. Falls man alsodie Verteilung der Anzahldichte von Sternen bezüg-lich ihrer Masse, chemischen Zusammensetzung undEntwicklungsstadium kennt, kann man das von ihnenemittierte Licht berechnen. Die Theorie der Populati-

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132

3. Die Welt der Galaxien

onssynthese zielt darauf, das Spektrum von Galaxien alsSuperposition von Sternspektren zu verstehen. Dabei istzu berücksichtigen, dass sich die Verteilung der Sternemit der Zeit ändert; z. B. verlassen massereiche Sternenach wenigen 106 Jahren die Hauptreihe, wodurch sichdie spektrale Verteilung der Population mit der Zeit ver-ändert. Die spektrale Energieverteilung einer Galaxiespiegelt somit die Geschichte der Sternentstehung und-entwicklung wider. Aus diesem Grund liefert die Be-rechnung verschiedener Sternentstehungsgeschichtenund der Vergleich mit beobachteten Galaxienspektrenwichtige Hinweise auf die Entwicklung von Galaxien.In diesem Abschnitt wollen wir einige Aspekte der Po-pulationssynthese darstellen, die für das Verständnisvon Galaxienspektren eine enorme Wichtigkeit erlangthaben.

3.9.1 Modellannahmen

Die Prozesse der Sternentstehung sind nicht im Detailgeklärt; beispielsweise gibt es zur Zeit keine Möglich-keit, das Massenspektrum der Sterne zu berechnen,die sich gemeinsam in einer Molekülwolke bilden.Offensichtlich entstehen massereiche und massearmeSterne gemeinsam als junge (offene) Sternhaufen. De-ren Massenspektrum ist aus der Beobachtung empirischermittelbar.

Man definiert als initial mass function (IMF) die an-fängliche Massenverteilung bei der Geburt der Sterneso, dass φ(m) dm den Anteil der Sterne im Massenin-tervall der Breite dm um m angibt, wobei die Verteilungnormiert ist,

mU∫mL

dm m φ(m) = 1M� .

Die Grenzen der Integration sind nicht scharf definiert;typischerweise setzt man mL ∼ 0.1M�, da masseärmereSterne keinen Wasserstoff zünden (und daher als BrauneZwerge gelten), und mU ∼ 100M�, da schwerere Sternenicht beobachtet werden, was u. a. auch schwierig wärewegen ihrer sehr kurzen Lebensdauer. Weiterhin gibtes eine obere Schranke der Sternmasse, da Sterne mitgrößerer Masse als ∼ 100M� nicht mehr stabil wären.Auch die Form der IMF ist mit Unsicherheiten behaftet;

meistens benutzt man die Salpeter-IMF,

φ(m) ∝ m−2.35 . (3.67)

Es ist auch keineswegs klar, ob es eine universelleIMF gibt, oder ob diese von spezifischen Bedingun-gen abhängt wie etwa der Metallizität, der Masseder Galaxie oder anderer Parameter. Die Salpeter-IMFscheint eine gute Beschreibung zu sein für Sterne mitM � 1M�, während für masseärmere Sterne die IMFflacher verläuft.

Die Sternbildungsrate ist die Gasmasse, die proZeiteinheit in Sterne umgewandelt wird,

ψ(t) = −dMgas

dt.

Die Metallizität Z des ISM bestimmt die Metallizitätder neugeborenen Sterne, und die Sterneigenschaftenhängen wiederum von Z ab. Während der Stern-entwicklung wird metallangereicherte Materie durchSternwinde, Planetarische Nebel und SNe ans ISM ab-gegeben, so dass Z(t) eine ansteigende Funktion derZeit ist. Diese chemische Anreicherung muss in derPopulationssynthese selbstkonsistent mitberücksichtigtwerden.

Sei Sλ,Z(t ′) die abgestrahlte Energie proWellenlängen- und Zeitintervall, normiert auf eine an-fängliche Gesamtmasse von 1M�, die von einer Gruppevon Sternen der anfänglichen Metallizität Z und desAlters t ′ emittiert wird. Die Funktion Sλ,Z(t−t′)(t ′), diediese Abstrahlung zum Zeitpunkt t beschreibt, berück-sichtigt dabei die Entwicklungswege der Sterne imHertzsprung–Russell-Diagramm (HRD) und ihre an-fängliche Metallizität (d. h. zum Zeitpunkt t − t ′), wobeisich letztere aus der chemischen Entwicklung des ISMder entsprechenden Galaxie ergibt. Dann ist die spekt-rale Gesamtleuchtkraft dieser Galaxie zur Zeit t gegebendurch

Fλ(t) =t∫

0

dt ′ ψ(t − t ′) Sλ,Z(t−t′)(t′) , (3.68)

also als Faltung der Sternentstehungsrate mit derspektralen Energieverteilung einer Sternpopulation.Insbesondere hängt Fλ(t) von der Geschichte derSternentstehung ab.

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3.9 Populationssynthese

133

3.9.2 Entwicklungswege im HRD;integriertes Spektrum

Zur Berechnung von Sλ,Z(t−t′)(t ′) benötigt man Modelleder Sternentwicklung und der Sternatmosphären. ZurErinnerung zeigt die Abb. 3.45(a) die Entwicklungs-wege im HRD. Jede Kurve zeigt den Ort eines Sternseiner bestimmten Masse im HRD und ist parametrisiertdurch die Zeit seit seiner Geburt. Orte gleicher Zeit imHRD heißen Isochronen, die in Abb. 3.45(b) dargestelltsind. Mit fortschreitender Zeit gibt es immer wenigermassereiche Sterne, weil diese die Hauptreihe schnellverlassen und als Supernova oder als Weißer Zwergenden. Die Anzahldichte der Sterne entlang der Isochro-nen hängt von der IMF ab. Das Spektrum Sλ,Z(t−t′)(t ′)ist dann die Summe der Spektren der Sterne auf einerIsochrone – siehe Abb. 3.46(b).

Zu Beginn wird das Spektrum und die Leuchtkrafteiner Sternpopulation von den massereichsten Sternendominiert, die intensive UV-Strahlung emittieren. Doch

Abb. 3.45. a) Entwicklungswege im HRD von Sternen ver-schiedener Masse, gegeben durch Zahlen an den Kurven (inEinheiten M�). Die ZAMS (zero age main sequence) ist derGeburtsort der Sterne im HRD; ihre Entwicklung bewegt dieSterne weg von der Hauptreihe. Je nach Masse explodierensie als SN (für M ≥ 8M�) oder enden als Weißer Zwerg(white dwarf, WD). Dazwischen wandern sie durch den Roten

Riesen-Ast (red giant branch, RGB) und den asymptotischenRiesenast (AGB, asymptotic giant branch). b) Isochronen zuverschiedenen Zeitpunkten, die angegeben sind (in 109 Jah-ren); die obere Hauptreihe entvölkert sich wegen der schnellenEntwicklung der massereichen Sterne, während sich der RoteRiesen-Ast im Laufe der Zeit bevölkert

schon nach ∼ 107 Jahren ist der Fluss unterhalb von1000 Å stark vermindert und nach ∼ 108 Jahren kaummehr vorhanden. Gleichzeitig steigt der Fluss im NIRan, da sich massereiche Sterne zu roten Überriesenentwickelt haben.

Für 108 yr� t � 109 yr bleibt die Emission im NIRstark, während die energiereiche Strahlung zu immergrößeren Wellenlängen hin weiter reduziert wird. Nach∼ 109 yr übernehmen Rote Riesensterne (RGB-Sterne)die NIR-Produktion, und die UV-Strahlung nimmt nach∼ 3×109 yr wieder zu durch blaue Sterne auf dem Ho-rizontalast, auf dem sich Sterne nach der AGB-Phasehin entwickeln, sowie Weiße Zwerge, die bei ihrerGeburt heiß sind. Zwischen 4 und 13×109 Jahren fin-det nur eine sehr geringe Entwicklung des Spektrumsstatt.

Von besonderer Wichtigkeit ist die bei etwa 4000 Ågelegene Kante, die nach wenigen 107 Jahren im Spek-trum auftritt. Diese wird hervorgerufen durch die sichstark ändernde Opazität der Sternatmosphären bei die-

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134

3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.46. a) Vergleich des Spektrums eines Hauptreihen-sterns mit einem Schwarzkörperspektrum gleicher effektiverTemperatur; die Opazität der Sternatmosphäre führt imUV/Optischen zu deutlichen Unterschieden. b) Spektrum ei-

ner Sternpopulation mit solarer Metallizität, die vor einer Zeit tinstantan geboren wurde; t ist in Einheiten von 109 Jahrenangegeben

ser Wellenlänge, u. a. bedingt durch starke Übergängeim einfach ionisierten Kalzium sowie den Balmerliniendes Wasserstoffs. Dieser ,,4000 Å-break“ ist eine derwichtigsten spektralen Eigenschaften von Galaxien!

3.9.3 Farbentwicklung

Oftmals sind keine detaillierten Spektren von Galaxienverfügbar, stattdessen aber photometrische Aufnahmenin verschiedenen Breitband-Filtern, denn die Be-obachtungszeit für Spektroskopie ist um ein Vielfacheshöher als für Photometrie. Hinzu kommt, dass mit denmodernen Weitwinkelkameras die Photometrie vielerGalaxien gleichzeitig erhalten werden kann. Aus theo-retisch berechneten Spektren können photometrischeWerte berechnet werden, indem die Modellspektrenmit den Filterfunktionen, d. h. den Transmissionskur-ven der bei der Beobachtung verwendeten Farbfiltern,multipliziert und über die Wellenlänge integriert wer-den (A.25). Die spektrale Entwicklung impliziert dabeieine Farbentwicklung, wie in Abb. 3.47(a) gezeigt wird.

Zu Beginn ist die Farbentwicklung sehr schnell,die Population wird roter, wiederum weil die heißen,

blauen Sterne eine große Masse besitzen und sich daherschnell im HRD entwickeln. Aus dem gleichen Grundist die Entwicklung in B–V schneller als die in V–K .Dazu sei bemerkt, dass diese Farbentwicklung auch inSternhaufen verschiedenen Alters beobachtet wird. DasMasse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/L nimmt ebenfallszu mit der Zeit, denn M bleibt konstant, während Labnimmt.

Wie in Abb. 3.47(b) gezeigt wird, ist das blaueLicht einer Sternpopulation stets von Hauptreihen-sternen dominiert, wobei in späteren Stadien auchHorizontalaststerne einen spürbaren Beitrag liefern.Die NIR-Strahlung wird anfänglich von Sternen do-miniert, die im Zentrum Helium verbrennen (dieseKlasse beinhaltet die Überriesenphase der massereichenSterne), danach von AGB-Sternen und nach ∼ 109 yrvon Roten Riesen. Hauptreihensterne bilden nie mehrals 20% des Lichtes im K -Band. Aus den nur klei-nen zeitlichen Variationen von M/L K ergibt sich, dassdie NIR-Leuchtkraft ein guter Indikator der gesamtenSternmasse ist; sie ist viel weniger abhängig vom Al-ter der Sternpopulation als die Leuchtkraft im blauenLicht.

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3.9 Populationssynthese

135

Abb. 3.47. a) Die oberen zwei Graphen zeigen, für die gleichePopulation wie in Abb. 3.46(b), die Farben B-V und V -K alsFunktion des Alters; die unteren beiden Graphen zeigen dasMasse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/L in zwei Farbbändern,in Einheiten des solaren Wertes. Dabei zeigen die durchgezo-genen Kurven das gesamte M/L (d. h. inklusive der Masse,

die wieder ans ISM abgegeben wird), während die gestrichel-ten Kurven das M/L der Sterne zeigen. b) Der Anteil der B-(oben) und K -Leuchtkraft (unten) der verschiedenen Phasender stellaren Entwicklung (CHeB: core helium burning stars;SGB: sub-giant branch)

3.9.4 Sternbildungsgeschichteund Galaxienfarben

Bislang wurde die Entwicklung einer Population glei-chen Alters (bezeichnet als instantaneous burst of starformation) betrachtet. Allerdings findet die Sternent-stehung einer Galaxie über einen endlichen Zeitraumstatt. Man erwartet, dass die Sternentstehungsrate mitder Zeit abnimmt, weil immer mehr Materie in Ster-nen gebunden ist und so nicht mehr zur Bildung neuerSterne beitragen kann. Da man die Sternentstehungsge-schichte einer Galaxie nicht a priori kennt, muss man siegeeignet parametrisieren. Dafür hat sich ein ,,Standard-modell“ etabliert, das einer exponentiell abnehmendenSternentstehungsrate, also

ψ(t) = τ−1 exp [−(t − tf)/τ] H(t − tf) , (3.69)

wobei τ die charakteristische Dauer und tf der Zeit-punkt des Beginns der Sternbildung ist. Der letzte Faktorin (3.69) ist die Einheits-Stufenfunktion, H(x) = 1 fürx ≥ 0, H(x) = 0 für x < 0, und drückt die Tatsacheaus, dass ψ(t) = 0 für t < tf ist. Man hofft, mit die-sem einfachen Modell die wesentlichen Aspekte derSternpopulationen beschreiben zu können. Resultie-rende Modelle sind in einem Zwei-Farben-Diagrammin Abb. 3.48(a) aufgetragen.

Aus dem Diagramm erkennt man, dass die Farben derPopulation stark von τ abhängen. So werden Galaxienfür große τ nicht besonders rot, denn ihre Sternentste-hungsrate, und somit der Anteil der massiven blauenSterne, nimmt dann nicht genügend stark ab. Die Far-ben etwa von Sc-Spiralen sind nicht verträglich miteiner konstanten Sternentstehungsrate – es sei denn,das gesamte Licht von Spiralen wird stark gerötet durch

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136

3. Die Welt der Galaxien

Staubabsorption (aber es gibt gute Gründe, warumdies nicht der Fall sein sollte). Um die Farben vonFrühtyp-Galaxien zu erklären, muss τ � 4×109 yr sein.Generell schließt man aus diesen Modellen, dass einesubstantielle Rötung des Spektrums für t � τ einsetzt.Da die Leuchtkraft einer Sternpopulation im blauenSpektralbereich sehr schnell mit dem Alter der Popula-tion abnimmt, während der Einfluss des Alters auf dieLeuchtkraft bei großen Wellenlängen deutlich geringerist, ergibt sich:

Die spektrale Verteilung des Lichts von Galaxienist hauptsächlich bestimmt durch das Verhältnis derheutigen zur mittleren Sternentstehungsrate in derVergangenheit, ψ(heute)/ 〈ψ〉.

Zu den Erfolgen dieses Standardmodells gehört, dasses die Farben der heutigen Galaxien erklären kann, de-ren Alter � 10 Milliarden Jahre beträgt. Allerdings istdieses Modell nicht eindeutig, da man sich andere Stern-

Abb. 3.48. a) Entwicklung der Farben zwischen 0 ≤ t ≤17×109 yr einer Sternpopulation mit einer Entstehungsrate,die durch (3.69) gegeben ist, für fünf verschiedene Werteder charakteristischen Zeitskala τ (τ = ∞ ist Grenzfall ei-ner konstanten Sternentstehungsrate) – siehe durchgezogeneKurven. Typische Farben für 4 verschiedene morphologischeTypen von Galaxien sind eingetragen. Für jedes τ beginntdie Entwicklung unten links, also als blaue Population in bei-den Farben. Im Fall konstanter Sternentstehungsrate wird die

Population nie roter als Irr’s; um rotere Farben zu erhalten,muss τ kleiner sein. Die gestrichelte Kurve verbindet Punktemit t = 1010 yr auf den verschiedenen Kurven. Eine Salpeter-IMF und solare Metallizität ist hier angenommen worden.Die Verschiebung der Farben bei doppelter Metallizität istdurch einen Pfeil angedeutet, ebenso für einen Extinktions-koeffizienten E(B–V ) = 0.1; beides macht Galaxien roter.b) Die Abhängigkeit der Farben und M/L von der Metallizitätder Population

entstehungsgeschichten ψ(t) überlegen kann, mit denendie Farben der Galaxien ebenfalls modelliert werdenkönnen.

3.9.5 Metallizität, Staub und HII Regionen

Die Vorhersagen des Modells hängen von der Metal-lizität Z ab – siehe Abb. 3.48(b). Kleines Z führt zublaueren Farben und kleinerem M/L-Verhältnis derSternpopulation. Das Alter und die Metallizität ei-ner Sternpopulation sind entartet in dem Sinne, dasseine Erhöhung des Alters um einen Faktor X beinaheäquivalent ist zu einer Erhöhung der Metallizität umeinen Faktor 0.65X, wenn man die Farbe einer Po-pulation betrachtet. Die Abschätzung des Alters einerPopulation aus den Farben wird daher stark von dem an-genommenen Wert für Z beeinflusst. Allerdings kanndie Entartung gebrochen werden, indem man meh-rere Farben bzw. Information aus der Spektroskopieberücksichtigt.

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3.9 Populationssynthese

137

Eine mögliche intrinsische Staubabsorption ändertebenfalls die Farben einer Population. Dieser Effektist nicht einfach in den Modellen zu berücksichtigen,denn er hängt nicht nur von den Eigenschaften desStaubs ab, sondern auch von der geometrischen Vertei-lung des Staubs und der Sterne. Beispielsweise macht eseinen Unterschied, ob der Staub einer Galaxie homogenverteilt oder in einer Scheibe konzentriert ist. Empi-risch findet man, dass Galaxien mit aktiver Sternbildungeine starke Extinktion besitzen, während normale Ga-laxien vermutlich nicht sehr stark durch die Extinktionbeeinflusst sind, am wenigsten die Frühtyp-Galaxien(E/S0).

Neben dem Sternlicht trägt auch die Emissionvon HII-Regionen zum Licht von Galaxien bei. Esstellt sich aber heraus, dass nach ∼ 107 yr dieseGasnebel-Emission kaum zu den Breitband-Farbender Galaxien beiträgt. Sie ist allerdings der Ur-sprung der Emissionslinien im Spektrum von Galaxien.Daher bilden die Emissionslinien eine Diagnostikfür die Sternbildungsrate und die Metallizität einerSternpopulation.

3.9.6 Zusammenfassung

Nach diesem etwas längeren Abschnitt wollen wir diewichtigsten Ergebnisse der Populationssynthese nocheinmal zusammenfassen:

• Mit einem einfachen Modell für die Sternentste-hungsgeschichte können die Farben der heutigenGalaxien gut modelliert werden.

• Die (meisten) Sterne der Elliptischen und S0-Galaxien sind alt – je früher der Hubble-Typ, umsoälter ist die stellare Population.

• Detaillierte Modelle der Populationssynthese gebenHinweise auf die Geschichte der Sternentstehung,und Vorhersagen des Modells können mit Beobach-tungen von Galaxien bei hohen Rotverschiebungen(und daher kleinerem Alter) verglichen werden.

Die Ergebnisse der Populationssynthese werden unsnoch viel beschäftigen. So werden wir sie benutzen,um die Farben von Galaxien bei verschiedenen Rot-verschiebungen und die unterschiedlichen räumlichenVerteilungen von Frühtyp- und Spättyp-Galaxien (sieheKapitel 6) zu interpretieren. Weiterhin werden wir

eine Methode kennenlernen, mittels der Farben dieRotverschiebung von Galaxien abschätzen zu können(photometrische Rotverschiebungen). Als Spezialfalldieser Methode werden wir die effiziente Selektion vonGalaxien bei sehr hoher Rotverschiebung kennenler-nen (Lyman-Break Galaxies, LBG’s, siehe Kapitel 9).Da sich die Farben und die Leuchtkraft einer Galaxieauch dann ändern, wenn keine Sternentstehung statt-findet, erlaubt das Verfolgen einer solchen passivenEntwicklung in die Vergangenheit, diesen passiven Al-terungsprozess von Episoden der Sternentstehung undanderen Prozessen zu unterscheiden.

3.9.7 Spektren von Galaxien

Wir wollen zum Schluss dieses Abschnitts die Spekt-ren von typischen Galaxien betrachten. Diese sindfür sechs Galaxien unterschiedlichen Hubble-Typs inAbb. 3.49 dargestellt. Zum besseren Vergleich sind alleSpektren in einem Diagramm gezeichnet, wobei die lo-garithmische Flussachse beliebig normiert ist (da dieNormierung die Form des Spektrums nicht beinflusst).

Der allgemeine Trend dieser Spektren ist leicht zuerkennen: je später der Hubble-Typ, umso (1) blauerwird die gesamte spektrale Verteilung, (2) umso stär-ker werden die Emissionslinien, (3) umso schwächerwerden die Absorptionslinien, und (4) umso kleinerwird der 4000 Å-Break in den Spektren. Diese Trendskönnen wir auch nach dem oben Gesagten erwarten,wenn die Hubble-Sequenz als eine Reihung der Gala-xien nach dem Alter ihrer Sternpopulation bzw. ihrerSternbildungsrate betrachtet wird. Elliptische Galaxienund S0-Galaxien haben praktisch keine Sternentste-hung, daher keine jungen Sterne, so dass die gesamteEnergieverteilung von roten Sternen dominiert wird;weiterhin gibt es keine HII-Regionen, aus denen Emis-sionslinien stammen könnten. Die alte Sternpopulationerzeugt einen stark ausgeprägten 4000 Å-Break, der inetwa einem Sprung von einem Faktor ∼ 2 im Spektrumentspricht. Die Spektren von Ellipsen und S0-Galaxiensind dabei sehr ähnlich.

Umgekehrt zeigen Sc-Spiralen und Irreguläre Ga-laxien ein von Emissionslinien dominiertes Spektrum,wobei insbesondere die Balmer-Linien des Wasserstoffssowie Linien des Sauerstoffs und Stickstoffs hervortre-ten. Die relative Stärke dieser Linien ist charakteristisch

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3. Die Welt der Galaxien

Abb. 3.49. Spektren vonGalaxien verschiedenerTypen, wobei der Flusslogarithmisch in beliebi-gen Einheiten dargestelltist. Die Spektren sind ge-ordnet entsprechend derHubble-Sequenz, mit frü-hen Typen unten, undSpättyp-Galaxien oben

für HII-Regionen, so dass diese Emissionslinien größ-tenteils aus den ionisierten Gebieten um junge heißeSterne stammen. Bei den Irregulären Galaxien ist dasSpektrum beinahe vollständig durch das stellare Kon-tinuum von heißen Sternen und den Emissionslinienihrer HII-Regionen dominiert, während bei Sc-Galaxienauch deutliche Beiträge von kühleren Sternen zuidentifizieren sind.

Die Spektren der Sa- und Sb-Galaxien bilden eineArt Übergang zwischen den Frühtyp-Galaxien und denSc-Galaxien, und ihr Spektrum kann als Überlagerungeiner alten stellaren Population, die ein rotes Kontinuumerzeugt, und einer jungen Population mit ihrem blaue-ren Kontinuum und den Emissionslinien beschriebenwerden. Dies ist im Zusammenhang mit dem abneh-menden relativen Beitrag des Bulges in der Leuchtkraftbei späteren Spiraltypen zu sehen.

Die hier kurz beschriebenen Eigenschaften der spek-tralen Lichtverteilung verschiedener Galaxientypenwird im Rahmen der Populationssynthese beschrie-ben und interpretiert. Dadurch wurde ein detailliertesVerständnis der stellaren Population von Galaxien alsFunktion ihres Typs ermöglicht. Die Erweiterung sol-

cher Studien auf Spektren von Galaxien mit hoherRotverschiebung ermöglicht dann Aussagen über dieEntwicklungsgeschichte der stellaren Populationen.

3.10 Chemische Entwicklungvon Galaxien

Während ihrer Entwicklung ändert sich die chemischeZusammensetzung von Galaxien, so dass die beobach-tete Metallizität von der Geschichte der Sternentstehungzeugt. Dabei erwartet man, dass die Metallizität Z mitder über die Lebensdauer einer Galaxie integriertenSternentstehungsrate ansteigt. Wir wollen hier ein einfa-ches Modell der chemischen Entwicklung einer Galaxiediskutieren, welches einige der prinzipiellen Aspektebeleuchtet.

Dabei gehen wir davon aus, dass bei der Entstehungeiner Galaxie zum Zeitpunkt t = 0 keine Metalle vor-handen waren, so dass Z(0) = 0. Weiterhin enthieltdie Galaxie bei ihrer Geburt keine Sterne, weswe-gen sämtliche baryonische Materie in Form von Gas

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3.10 Chemische Entwicklung von Galaxien

139

vorlag. Zusätzlich betrachten wir die Galaxie als ge-schlossenes System, aus dem kein Gas entweichen kannoder durch spätere Akkretion oder Verschmelzungspro-zesse hinzukommt. Schließlich nehmen wir an, dassdie Zeitskalen der Sternentwicklungsprozesse, die zurMetall-Anreicherung des ISM der Galaxie führen, sehrklein sind gegenüber der Entwicklungszeitskala derGalaxie. Unter diesen Annahmen kann man nun eineRelation zwischen der Metallizität und dem Gasanteilder Galaxie herleiten.

Von der Gesamtmasse einer neu entstehenden Stern-population wird ein Teil durch Supernova-Explosionenund Sternwinde wieder an das ISM abgegeben. Wirdefinieren diesen Anteil als R, so dass der Bruchteilα = (1− R) einer neu gebildeten Sternpopulation in denSternen eingeschlossen bleibt, d. h. nicht mehr an derweiteren chemischen Entwicklung des ISM teilnimmt.Der Wert von α hängt von der IMF der Sternpopulationab und kann mit den Modellen der Populationssyn-these berechnet werden. Weiterhin sei q das Verhältnisder von einer Sternpopulation erzeugten und wieder andas ISM abgegebenen Masse an Metallen relativ zuranfänglichen Gesamtmasse der Population. Man defi-niert den Ertrag (yield) y = q/α als das Verhältnis dervon einer Sternpopulation erzeugten und wieder an dasISM abgegebenen Metallmasse relativ zu der Masse, diein der Sternpopulation eingeschlossen bleibt. Der Wertdes Ertrags kann ebenfalls aus der Populationssyntheseberechnet werden. Wenn ψ(t) die Sternbildungsrateals Funktion der Zeit ist, so ist die Masse aller inder Geschichte der Galaxie gebildeten Sterne gegebendurch

S(t) =t∫

0

dt ′ ψ(t ′) , (3.70)

und die Gesamtmasse, die in den Sternen eingeschlos-sen bleibt, ist s(t) = αS(t). Da wir angenommen hatten,dass die Baryonen ein geschlossenes System bilden, istdie Summe aus Gasmasse g(t) und Sternmasse s(t) eineKonstante, nämlich die Baryonenmasse der Galaxie,

g(t)+ s(t) = Mb ⇒ dg

dt+ ds

dt= 0 . (3.71)

Die Masse der Metalle im ISM ist gZ; diese ändertsich dadurch, dass Sterne gebildet werden, wodurchdie Masse des ISM, damit auch die seiner Metalle ab-nimmt. Andererseits werden durch die Prozesse der

Sternentwicklung Metalle wieder ans ISM zurückge-geben. Unter der oben gemachten Annahme, dass dieZeitskalen dieser Sternentwicklung klein sind, findetdiese Rückgabe quasi ,,instantan“ statt. Die von denSternen ans ISM abgegebenen Metalle setzen sich zu-sammen aus den Metallen, die bei der Entstehung derstellaren Population bereits vorhanden waren – davonkommt ein Bruchteil R zurück – sowie den neu ge-bildeten Metallen. Zusammen ergibt sich daher für dieGesamtmasse der Metalle im ISM

d(gZ)

dt= ψ (RZ +q)− Zψ ,

wobei der letzte Term die Rate der Metallmasse angibt,die dem ISM durch Sternentstehung entzogen wird,und der erste Term den Rückgewinn an Metallen durchdie Sternentwicklung darstellt. Wegen dS/dt = ψ kannman dies auch schreiben als

d(gZ)

dS= (R −1)Z +q = q −αZ .

Teilt man diese Gleichung durch α und benutzt s = αSsowie die Definition des Ertrags y = q/α, so erhält man

d(gZ)

ds= dg

dsZ + g

dZ

ds= y − Z . (3.72)

Aus (3.71) folgern wir dg/ds = −1 und dZ/ds =−dZ/dg, so dass sich eine einfache Gleichung für dieMetallizität ergibt,

gdZ

dg= dZ

d ln g= −y

⇒ Z(t) = −y ln

(g(t)

Mb

)= −y ln(μg) , (3.73)

wobei μg = g/Mb der Anteil der Baryonen ist, der sichim ISM befindet, und wir die Integrationskonstante sogewählt haben, dass zu Beginn bei μg = 1 die Metallizi-tät Z = 0 war. Aus dieser Beziehung sehen wir nun, dassmit abnehmendem Gasanteil einer Galaxie die Metalli-zität ansteigen soll, wobei im Rahmen unseres einfachenModells dieser Anstieg nur vom Ertrag y abhängt. Da yaus der Populationsynthese berechnet werden kann, ist(3.73) eine wohlbestimmte Relation.

Vergleicht man (3.73) mit den Beobachtungen vonGalaxien, so findet man durchaus starke Abweichun-gen von dieser Relation, die besonders für massearmeGalaxien sehr deutlich sind. Während die Annahmeder instantanen Entwicklung des ISM relativ gut ge-

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3. Die Welt der Galaxien

rechtfertigt ist, wissen wir aus der Strukturbildungim Universum (Kap. 7), dass Galaxien beileibe keineisolierten Systeme sind: Ihre Masse wird fortlaufenddurch Akkretion und Verschmelzungsprozesse verän-dert, während andererseits die durch Supernovae an dasISM abgegebene kinetische Energie gerade bei masse-armen Galaxien zu einem Ausströmen des ISM führt,weil dort das Gas nicht genügend stark gravitativ ge-bunden ist. Aus den beobachteten Abweichungen vonder Relation (3.73) kann man daher Rückschlüsse überdiese Prozesse erhalten.

Auch aus Beobachtungen in unserer Milchstraßefinden wir ein weiteres Indiz dafür, dass das obenskizzierte Modell der chemischen Entwicklung zu ein-fach ist. Dabei handelt es sich um das Problem der

G-Zwerge. Das oben beschriebene Modell sagt vor-her, dass etwa die Hälfte der heute vorhandenen F-und G-Hauptreihensterne eine Metallizität unterhalb ei-nes Viertels der solaren Metallizität besitzen sollten.Diese Sterne haben eine lange Lebensdauer auf derHauptreihe, so dass viele von den heute dort beobacht-baren Sternen aus der Frühzeit der Galaxis stammen undentsprechend unserem Modell eine sehr geringe Metal-lizität aufweisen sollten. Tatsächlich aber zeigen nursehr wenige dieser Sterne eine solch geringe Metallizi-tät. Diese Diskrepanz ist viel zu groß, als dass mansie durch Auswahleffekte erklären könnte. Vielmehrzeigt diese Beobachtung, dass die chemische Entwick-lung unserer Galaxis komplizierter war, als das einfacheModell vorhersagt.

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4. Kosmologie I: Homogene isotrope WeltmodelleWir wenden uns nun der Betrachtung des Universumsals Ganzem zu: Nicht mehr einzelne Objekte (wieGalaxien) sollen hier diskutiert werden, sondern derRaum und die Zeit, in dem diese Objekte sich befinden.Diese Betrachtungen werden dann zu einem Weltmodellführen, dem Modell unseres Kosmos.

In diesem Kapitel werden wir Aspekte der homoge-nen Kosmologie behandeln; wie wir noch sehen werden,kann das Universum in erster Näherung als homogenangenommen werden. Diese Tatsache scheint auf denersten Blick der Beobachtung zu widersprechen, dassdie Welt um uns herum hochgradig inhomogen undstrukturiert ist. Die Annahme der Homogenität ist dahersicher nicht auf kleinen Skalen gültig. Jedoch sind dieBeobachtungen damit verträglich, dass gemittelt übergroße Skalen das Universum homogen ist. Aspekte derinhomogenen Kosmologie, also der Bildung und Ent-wicklung von Strukturen im Universum, werden wirspäter in Kapitel 7 betrachten.

4.1 Einleitung undgrundlegende Beobachtungen

Die Kosmologie ist eine besondere Wissenschaft.Um dies einzusehen, vergegenwärtigen wir uns dentypischen Weg des Erkenntnisgewinns in den Na-turwissenschaften. Dieser beginnt in der Regel mitder Beobachtung einer Gesetzmäßigkeit, beispielsweisedass die Fallstrecke h eines Steins quadratisch mitder Fallzeit t zusammenhängt, h = (g/2)t2. Dieser Zu-sammenhang wird dann auch für andere Gegenständegefunden, man findet ihn an verschiedenen Orten derErde, und so formuliert man diesen Zusammenhangals ,,Gesetz“ des freien Falls. Dabei ist die Propor-tionalitätskonstante g/2 in diesem Gesetz stets diegleiche. Dieses Gesetz bewährt sich durch die Vor-hersage, wie ein Gegenstand fällt, und wann immerman diese Vorhersage überprüft, trifft sie zu (natür-lich vernachlässigen wir in diesem einfachen Beispielden Luftwiderstand). Zusammenhänge werden zu phy-sikalischen Gesetzen, wenn die mit ihnen gemachtenVorhersagen sich immer und immer wieder bestätigen;die Gültigkeit eines solchen Gesetzes wird als umso

stärker betrachtet, je diverser diese Überprüfungen statt-gefunden haben. Das Fallgesetz wurde nur auf derErdoberfläche überprüft (und ist auch nur dort mit die-ser Proportionalitätskonstante gültig; streng genommengilt auch dies nicht, denn der Wert der Proportiona-litätskonstanten ist leicht ortsabhängig), während dasNewtonsche Gravitationsgesetz das Fallgesetz beinhal-tet, aber auch das Fallgesetz auf der Mondoberflächeund die Bewegung der Planeten um die Sonne be-schreibt. Hätte man nur einen Stein zur Verfügung,so wüsste man nicht, ob das Fallgesetz eine Eigen-schaft dieses speziellen Steins oder von allgemeinererGültigkeit wäre.

Die Kosmologie entspricht in gewisser Weise jenemletzten Beispiel: Wir haben nur ein Universum, daswir beobachten können. Gesetzmäßigkeiten, die wir inunserem Kosmos erkennen, können wir nicht an an-deren Universen überprüfen. Es gibt daher auch nichtdie Möglichkeit, eine Eigenschaft des Universums als,,typisch“ zu bezeichnen – wir haben keinerlei Statis-tik, auf die sich eine solche Aussage empirisch stützenkönnte. Trotz dieser besonderen Situation haben wirenorme Fortschritte im Verständnis unseres Universumsgemacht, wie hier und in späteren Kapiteln beschriebenwird.

Kosmologische Beobachtungen sind im Allgemei-nen schwierig, da der größte Teil des Universums(und damit die meisten Quellen im Kosmos) sehrweit von uns weg ist. Aufgrund der großen Entfer-nungen sind diese Quellen daher sehr lichtschwach.Daraus erklärt sich die Tatsache, dass ein großer Teildes Erkenntnisgewinns mit der Entwicklung großerTeleskope und empfindlicher Detektoren einhergeht.Vieles von dem, was wir heute über das ferne Uni-versum wissen, wurde beispielsweise erst ermöglichtdurch die neue Generation von optischen Teleskopender 8-Meter-Klasse.

Der wichtigste Aspekt für die Beobachtungen inder Kosmologie ist jedoch die endliche Ausbrei-tungsgeschwindigkeit des Lichtes. Eine Quelle imAbstand D sehen wir heute in einem Zustand, in demsie Δt = (D/c) jünger war als heute. Der heutigeZustand des Universums ist nur sehr lokal beob-achtbar. Die Kehrseite dieses Effekts ist jedoch von

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142

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

entscheidender Bedeutung: Die Endlichkeit der Licht-geschwindigkeit erlaubt es, in die Vergangenheit zuschauen! Galaxien im Abstand von 10 Milliarden Licht-jahren sehen wir in einer Entwicklungsstufe, als dasUniversum nur etwa ein Drittel des heutigen Weltal-ters besaß. Wir können zwar nicht die Vergangenheitunserer Milchstraße beobachten, aber die von anderenSpiralgalaxien studieren, und wenn es gelingt, solchedarunter zu identifizieren, die sich im Laufe der kosmi-schen Entwicklung zu Objekten ähnlich unserer Galaxisherausbilden werden, dann kann man viel über die ty-pische Entwicklungsgeschichte von solchen Spiralenaussagen.

Die Endlichkeit der Lichtgeschwindigkeit in einemeuklidischen Raum, in dessen Ursprung r = 0 wiruns heute (t = t0) befinden, impliziert, dass wir nursolche Raum-Zeit-Punkte sehen können, für die gilt:|r| = c(t0 − t); ein beliebiger Raum-Zeit-Punkt (r, t) istunbeobachtbar. Die Menge der Raum-Zeit-Punkte, diedie Relation |r| = c(t0 − t) erfüllen, nennt man auchunseren rückwärtigen Lichtkegel.

Die Tatsache, dass wir nur den Teil des Universumssehen können, der sich auf unserem rückwärtigen Licht-kegel befindet, impliziert, dass wir nur dann eine Chancehaben, durch Beobachtungen das Universum zu verste-hen, wenn dessen Struktur ,,einfach“ ist. Zum Glückscheint unser Universum eine im Wesentlichen einfacheStruktur zu besitzen.

4.1.1 Grundlegende kosmologischeBeobachtungen

Wir beginnen mit einer kurzen Liste von Beobachtun-gen, die sich für die Kosmologie als besonders wichtigherausgestellt haben. Aus diesen Beobachtungstatsa-chen werden wir dann sofort einige Schlussfolgerungenziehen können; andere Beobachtungen werden späterim Rahmen eines kosmologischen Modells zu erklärensein.

1. Nachts ist der Himmel dunkel (Olbers-Paradoxon).2. Gemittelt über große Winkelskalen sind lichtschwa-

che Galaxien (z. B. solche mit R > 20) am Himmelgleichförmig verteilt (siehe Abb. 4.1).

3. Bis auf ganz wenige Ausnahmen von sehr nahen Ga-laxien (z. B. Andromeda=M31) zeigen die Spektrenvon Galaxien eine Rotverschiebung; die allermeis-

Abb. 4.1. Der APM-Survey: Galaxienverteilung in einem ca.100 mal 50 Grad großen Feld um den Galaktischen Südpol.Die Intensitäten der Pixel sind skaliert mit der Anzahl derGalaxien pro Pixel, also der an der Sphäre projizierten Ga-laxiendichte. Die ,,schwarzen Löcher“ sind nicht untersuchteGebiete um helle Sterne, Kugelsternhaufen, etc.

ten Galaxien bewegen sich von uns weg mit einerGeschwindigkeit, die linear mit der Entfernung derGalaxie anwächst (Hubble-Gesetz; siehe Abb. 1.10).

4. In fast allen kosmischen Objekten (z. B. Gasnebel,Hauptreihensterne) beträgt der Massenanteil von He-lium etwa 25–30%.

5. Die ältesten Sternhaufen in unserer Galaxis ha-ben ein Alter von ∼ 12 Gyr = 12×109 yr (sieheAbb. 4.2).

6. Es gibt eine Mikrowellenstrahlung (kosmischerMikrowellenhintergrund, cosmic microwave back-ground radiation, CMB), die uns aus allen Richtun-gen erreicht. Diese Strahlung ist bis auf sehr kleine,aber ungemein wichtige Fluktuationen der relativenStärke ∼ 10−5 isotrop.

7. Das Spektrum des CMB entspricht, soweit bishergemessen, einer perfekten Schwarzkörperstrah-lung, d. h. einer Planck-Strahlung mit TemperaturT0 = 2.728±0.004 K – siehe Abb. 4.3.

8. Die Anzahldichte von Radioquellen bei hoher Ga-laktischer Breite folgt nicht dem einfachen GesetzN(> S) ∝ S−3/2 (siehe Abb. 4.4).

4.1.2 Einfache Schlussfolgerungen

Wir wollen zunächst aus den oben aufgezählten Beob-achtungstatsachen einige einfache Schlüsse ziehen, die

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4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen

143

Abb. 4.2. Links: Farben-Helligkeits-Diagramm des Kugel-sternhaufens M 5. Die verschiedenen Bereiche in diesemDiagramm sind gekennzeichnet. A: Hauptreihe; B: Roter Rie-senast; C: hier passiert der He-Flash; D: Horizontalast; E:Schwarzschild-Lücke im Horizontalast; F: Weiße Zwerge,unterhalb des Pfeils. Dort wo die Hauptreihe zum Roten Rie-senast abknickt (der so genannte ,,Turn-Off Point“) befindensich gerade noch Sterne der Masse, für die das Lebensalterauf der Hauptreihe gleich dem Alter des Kugelsternhaufensist. Aus der Lage dieses Turn-Offs kann man daher dasAlter des Sternhaufens bestimmen, wenn man sie mit Mo-dellrechnungen der Sternentwicklung vergleicht. Im rechten

Bild sind Isochronen (Kurven von Sternen gleichen Alters)für verschiedene Alterswerte des Kugelsternhaufens 47 Tuca-nae eingezeichnet. Aus solchen Untersuchungen ergibt sich,dass die ältesten Sternhaufen in unserer Milchstraße etwa13 Milliarden Jahre alt sind, wobei dieser Wert von ver-schiedenen Gruppen leicht unterschiedlich bestimmt wird –Details der Sternentwicklung können hier eine Rolle spielen.Weiterhin hängt das ermittelte Alter auch von der Ent-fernung der Haufen ab; die Revision dieser Entfernungendurch den HIPPARCOS Satelliten etwa hat die Abschät-zung des Alters um ca. 2 Milliarden Jahre nach untenkorrigiert

Abb. 4.3. CMB-Spektrum, aufgetragen als Intensität gegenFrequenz, gemessen in Wellen pro Zentimeter. Die durchge-zogene Linie zeigt das erwartete Spektrum eines schwarzenKörpers der Temperatur T = 2.728 K. Die Fehlerbalken die-ser Daten, die mit dem FIRAS-Instrument an Bord von COBEgemessen wurden, sind so klein, dass die Datenpunkte nichtvon der theoretischen Kurve unterschieden werden können

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144

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Abb. 4.4. Zählungen der Radioquellen als Funktion des Flus-ses, normiert durch die ,,Euklidische“ Erwartung N(S) ∝S−5/2, was den integrierten Zählungen N(> S) ∝ S−3/2 ent-spricht. Ergebnisse sind für drei verschiedene Frequenzenangegeben. Man sieht, dass die Zählungen klar von derEuklidischen Erwartung abweichen

uns dann dazu motivieren werden, das kosmologischeModell zu entwickeln. Dabei beginnen wir zunächstmit der Annahme eines unendlichen, euklidischen, sta-tischen Universums und werden zeigen, dass dies sofortzu einem Widerspruch mit den Beobachtungen (1) und(8) führt.

Das Olbers-Paradoxon (1): Wir können zeigen, dassin einem solchen Universum der Himmel nachts hellwäre – ungemütlich hell sogar. Dazu sei n∗ die mittlereAnzahldichte von Sternen, die laut Annahme konstantin Raum und Zeit ist, und R∗ ihr mittlerer Radius. EineKugelschale mit Radius r und Dicke dr um uns herumenthält 4πr2 dr n∗ Sterne. Jeder dieser Sterne nimmteinen Raumwinkel von πR2∗/r2 ein, also nehmen dieSterne in der Kugelschale insgesamt den Raumwinkel

dω = 4πr2 dr n∗R2∗πr2

= 4π2 n∗ R2∗ dr (4.1)

ein. Wie man sieht, ist dieser Wert unabhängig vomRadius r der Kugelschale, da der Raumwinkel einesEinzelsterns ∝ r−2 sich gerade mit dem Volumen derKugelschale ∝ r2 kompensiert. Um nun den gesamtenRaumwinkel aller Sterne in einem statischen euklidi-schen Universum zu berechnen, muss (4.1) über alle

Entfernungen r integriert werden, aber das Integral

ω =∞∫

0

drdω

dr= 4π2 n∗ R2

∞∫0

dr

divergiert! Formal bedeutet dies, dass die Sterne einenunendlichen Raumwinkel einnehmen, was natürlichphysikalisch keinen Sinn ergibt. Der Grund für dieseDivergenz ist darin zu sehen, dass wir den Effekt vonsich überlappenden Sternscheiben an der Sphäre nichtberücksichtigt haben. Diese Betrachtung zeigt jedoch,dass der Himmel von Sternscheiben vollständig gefülltwäre, d. h. aus jeder Richtung, entlang jeder Sichtli-nie würde uns Sternlicht erreichen. Da die spezifischeIntensität Iν entfernungsunabhängig ist (die Flächen-helligkeit der Sonne ist von der Erde aus betrachtet diegleiche, die ein Beobachter sähe, der sich sehr viel näheran der Sonnenoberfläche aufhielte), wäre der Himmel∼ 104 K heiß; glücklicherweise ist er es nicht!

Quellenzählungen (8): Betrachten wir als Nächsteseine Population von Quellen mit räumlich und zeit-lich konstanter Leuchtkraftfunktion, d. h. sei n(> L)

die räumliche Anzahldichte von Quellen mit Leucht-kraft größer als L. In einer Kugelschale mit Ra-dius r und Dicke dr um uns herum befinden sich4πr2 dr n(> L) Quellen mit einer Leuchtkraft > L.Da der beobachtete Fluss S mit der Leuchtkraft überL = 4π r2 S zusammenhängt, ist die Anzahl von Quel-len mit Fluss > S in dieser Kugelschale gegeben alsdN(> S) = 4πr2 dr n(> 4π r2 S), und die gesamte Zahlvon Quellen mit Fluss > S ergibt sich aus der Integrationüber den Radius der Kugelschalen,

N(> S) =∞∫

0

dr 4π r2 n(> S 4π r2) .

Die Änderung der Integrationsvariablen auf L =S 4π r2, oder r = √

L/(4πS), mit dr = dL/(2√

4πLS)

ergibt dann:

N(> S) =∞∫

0

dL

2√

4πLS

L

4πSn(> L)

= 1

16π3/2S−3/2

∞∫0

dL√

L n(> L) . (4.2)

Daraus sieht man, dass unabhängig von der Leucht-kraftfunktion die Quellenzählungen in einem solchen

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4.1 Einleitung und grundlegende Beobachtungen

145

Universum N(> S) ∝ S−3/2 wären, im Widerspruch zuden Beobachtungen.

Aus diesen beiden Widersprüchen – das Olbers-Paradoxon und die nicht-euklidischen Quellenzählun-gen – schließen wir also, dass mindestens eine derAnnahmen falsch sein muss. Unser Universum kannnicht euklidisch, unendlich und statisch sein. DerHubble-Fluss, d. h. die Rotverschiebung der Galaxien,deutet auf ein nicht-statisches Universum hin.

Das Alter von Sternhaufen (5) zeigt, dass dasUniversum mindestens 12 Gyr alt sein muss, denndas Weltalter kann nicht kleiner sein als das derältesten Objekte. Interessanterweise ergeben die Al-tersabschätzungen von Kugelsternhaufen einen Wert,der sehr ähnlich der Hubble-Zeit H−1

0 = 10 h−1 Gyr ist.Diese Übereinstimmung suggeriert, dass die Hubble-Expansion direkt mit der Entwicklung des Universumszusammenhängen könnte.

Die über große Skalen gemittelt isotrop erscheinendeGalaxienverteilung (2) und die CMB-Isotropie (6) le-gen nahe, dass auf großen Winkelskalen das Universumum uns herum isotrop ist. Wir werden daher zunächstein Weltmodell betrachten, welches das Universum umuns herum als isotrop beschreibt. Wenn wir zusätzlichdavon ausgehen, dass unser Ort im Kosmos nicht voranderen Orten ausgezeichnet ist, so folgt aus der An-nahme der Isotropie um uns sofort, dass das Universumvon jedem Punkt aus gesehen isotrop erscheint. Aus derIsotropie um jeden Punkt folgt dann unmittelbar die Ho-mogenität des Universums, wie in der Abb. 4.5 erläutertist. Zusammengenommen bezeichnet man die Annahmeder Homogenität und Isotropie des Universums auchals kosmologisches Prinzip. Wir werden sehen, dassein auf dem kosmologischen Prinzip basierendes Welt-modell in der Tat eine exzellente Beschreibung vielerBeobachtungstatsachen liefert.

Allerdings kann die Homogenität prinzipiell nichtbeobachtet werden, da Beobachtungen weit entfernterGebiete (oder Objekte) diese zu früheren Zeiten zeigen.Falls das Universum sich zeitlich entwickelt, wie esdie obigen Betrachtungen nahe legen, können Entwick-lungseffekte nicht direkt von räumlichen Variationengetrennt werden.

Die Annahme der Homogenität ist natürlich aufkleinen Skalen hinfällig: Wir sehen Strukturen im Uni-versum wie Galaxien und Galaxienhaufen, es gibt sogarAnsammlungen von Galaxienhaufen, sog. Superhaufen.

Abb. 4.5. Aus der Isotropie um zwei Punkte folgt die Homoge-nität: Ist das Universum um B isotrop, so ist die Dichte gleichin C, D, und E. Indem man Kugeln mit unterschiedlichenRadien um A konstruiert, wird gezeigt, dass der Bereich inner-halb der gezeichneten Kugelschale um A homogen sein muss.Mit Schalen, die groß genug sind, kann man so Homogenitätfür das ganze Universum folgern

Rotverschiebungs-Surveys haben Strukturen entdeckt,die sich über ∼ 100 h−1 Mpc erstrecken. Allerdingsgibt es keine Hinweise auf Strukturen im Kosmos aufSkalen � 100 Mpc. Diese Länge können wir verglei-chen mit einer charakteristischen Skala des Universums,die sich wiederum aus der Hubble-Konstanten ergibt.Wenn H−1

0 ein charakteristisches Weltalter angibt, sokann Licht in dieser Zeit die Strecke c/H0 zurücklegen.Daraus erhält man als charakteristische Größe des Uni-versums (genauer müsste man sagen: des beobachtbarenUniversums) den Hubble-Radius

RH := c

H0= 2997 h−1 Mpc : Hubble-Länge .

(4.3)

Das Hubble-Volumen ∼ R3H kann also sehr viele Struk-

turen der Größe ∼ 100 h−1 Mpc enthalten, so dasses immer noch sinnvoll ist, von einem im Mittelhomogenen Universum auszugehen. In diesem homo-genen Universum gibt es dann Dichtestörungen, diemit den beobachteten großskaligen Strukturen zu iden-tifizieren sind; diese werden im Detail in Kapitel 7betrachtet. Aber in erster Näherung kann man für dieBeschreibung des Universums als Ganzes diese Dich-testörungen vernachlässigen. Daher werden wir alsNächstes Weltmodelle betrachten, die auf dem kos-mologischen Prinzip beruhen, d. h. in denen für alle

Page 159: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

146

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Beobachter (oder von jedem Punkt aus betrachtet) dasUniversum gleich aussieht.

Homogene und isotrope Weltmodelle sind die ein-fachsten kosmologischen Lösungen der Gleichungender Allgemeinen Relativitätstheorie (ART); man kanndaher zumindest untersuchen, wie weit solch einfa-che Modelle mit den Beobachtungen verträglich sind.Wie wir noch sehen werden, folgen aus dem kos-mologischen Prinzip die in Abschn. 4.1.1 erwähntenBeobachtungstatsachen.

4.2 Ein expandierendes Universum

Die grundlegende Kraft im Universum ist die Gravita-tion: Nur die Gravitationskraft und elektromagnetischeKräfte wirken auf großen Längenskalen. Da diekosmische Materie im Mittel neutral ist, spielen elek-tromagnetische Kräfte auf großen Skalen keine Rolle,so dass nur die Gravitation als treibende Kraft imUniversum in Frage kommt. Die Gesetze der Gravi-tation werden beschrieben durch die von A. Einstein imJahre 1915 entwickelte Allgemeine Relativitätstheorie(ART). Diese enthält die Newtonschen Gravitations-gesetze als Spezialfall für schwache Gravitationsfelderund ,,kleine“ Skalen. Die Newtonsche Gravitations-theorie hat sich hervorragend bewährt, beispielsweisebei der Beschreibung der Planetenbewegungen. Daherliegt der Versuch nahe, ein kosmologisches Weltmodellauf der Basis der Newtonschen Gravitation zu entwer-fen. Wir werden dies als ersten Schritt auch darstellen;diese Newtonsche Kosmologie ist nämlich nicht nur ausdidaktischer Sicht äußerst nützlich, sondern man kannauch begründen, warum der Newtonsche Kosmos vieleAspekte der relativistisch korrekten Kosmologie richtigbeschreibt.

4.2.1 Newtonsche Kosmologie

Die Beschreibung eines gravitativen Systems mittelsder ART ist dann nötig, wenn die betrachteten Län-genskalen mit dem Krümmungsradius der Raumzeitvergleichbar sind; dies ist in unserem Universum sicher-lich der Fall. Auch wenn hier nicht erklärt werden kann,was ,,der Krümmungsradius des Universums“ ist, sosollte doch plausibel sein, dass er von etwa der gleichenGrößenordnung wie der Hubble-Radius RH ist. Weiter

unten werden wir darauf noch etwas näher eingehen.Trotz dieser Tatsache kann man erwarten, dass die New-tonsche Beschreibung eine im Wesentlichen korrekteist: In einem homogenen Universum ist jedes kleineRaumgebiet charakteristisch für das ganze Universum;kennt man die Entwicklung eines kleinen Raumgebiets,so kennt man aufgrund der Homogenität die Geschichtedes gesamten Universums. Auf kleinen Skalen aberist die Newtonsche Betrachtung gerechtfertigt. Daherwerden wir, ausgehend vom kosmologischen Prinzip,räumlich homogene und isotrope Weltmodelle zunächstim Rahmen der Newtonschen Gravitation betrachten.

4.2.2 Kinematische Beschreibung

Mitbewegte Koordinaten. Wir betrachten eine homo-gene Kugel und erlauben eine radiale Expansion (oderKontraktion) der Kugel, aber so, dass ρ(t) räumlichhomogen bleibt. Die Dichte kann aufgrund der Expan-sion oder Kontraktion zeitlich variieren. Dazu wählenwir einen Zeitpunkt t = t0 und führen zu diesem Zeit-punkt ein räumliches Koordinatensystem x ein, dessenUrsprung sich im Mittelpunkt der Kugel befindet. EinTeilchen in dieser Kugel mit der Position x zur Zeit t0hat zu einem anderen Zeitpunkt t die räumliche Ko-ordinate r(t), die sich aus der Expansion der Kugelergibt. Da die Expansion radial ist, oder anders aus-gedrückt, der Geschwindigkeitsvektor eines Teilchensam Ort r(t) parallel zu r sein muss, ist die Richtungvon r(t) konstant. Da r(t0) = x, bedeutet dies, dass

r(t) = a(t) x . (4.4)

Die Funktion a(t) kann nur von der Zeit t abhängen; we-gen der radialen Expansion alleine könnte a im Prinzipauch eine Funktion von |x| sein, aber die Erhaltung derHomogenität der Dichte ρ impliziert, dass a räumlichkonstant sein muss. Die Funktion a(t) heißt kosmischerSkalenfaktor; wegen r(t0) = x gilt

a(t0) = 1 . (4.5)

Der Wert von t0 ist beliebig, wir wählen t0 =heute. Teilchen (oder Beobachter), die sich entspre-chend (4.4) bewegen, heißen mitbewegte Beobachter(comoving observers), und x ist die mitbewegte(comoving) Koordinate. Die Weltlinie (r, t) jedes mit-bewegten Beobachters ist durch x eindeutig gegeben,(r, t) = [a(t)x, t].

Page 160: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.2 Ein expandierendes Universum

147

Expansionsrate. Die Geschwindigkeit eines solchenmitbewegten Teilchens erhält man aus der zeitlichenAbleitung seines Ortes,

v(r, t) = d

dtr(t) = da

dtx ≡ a x = a

ar ≡ H(t) r ,

(4.6)

wobei im letzten Schritt die Expansionsrate

H(t) := a

a(4.7)

definiert wurde. Die Wahl der Notation ist nicht zufällig,da H sehr eng mit der Hubble-Konstanten verknüpft ist.Dazu betrachten wir die Relativgeschwindigkeit zweiermitbewegter Teilchen an den Positionen r und r+Δr,die sich direkt aus (4.6) ergibt:

Δv = v(r+Δr, t)−v(r, t) = H(t)Δr . (4.8)

Die Relativgeschwindigkeit ist daher proportionalzum Abstandsvektor, und die Proportionalitätskon-stante H(t) hängt nur von der Zeit, nicht aber vomOrt der beiden Teilchen ab. Offensichtlich ist (4.8) demHubble-Gesetz

v = H0 D (4.9)

sehr ähnlich, bei dem v die Relativgeschwindigkeit ei-ner Quelle im Abstand D von uns ist. Daher spezialisiertsich (4.8) auf das Hubble-Gesetz zum Zeitpunkt t = t0mit H0 ≡ H(t0), oder anders ausgedrückt, (4.8) ist dieVerallgemeinerung von (4.9) für einen beliebigen Zeit-punkt. Es sagt aus, dass jeder Beobachter, der mit derKugel expandiert, um sich herum ein isotropes Ge-schwindigkeitsfeld beobachtet, das dem Hubble-Gesetzfolgt. Da wir heute eine Expansion beobachten – Quel-len bewegen sich von uns weg – ist H0 > 0, unda(t0) > 0.

4.2.3 Dynamik der Expansion

Die obige Diskussion beschreibt die Kinematik derExpansion; um jedoch den zeitlichen Verlauf derFunktion a(t) zu erhalten, und damit auch die Be-wegung mitbewegter Beobachter und die Entwicklungder Dichte der hier betrachteten Kugel, muss einedynamische Betrachtung durchgeführt werden. DieEntwicklung der Expansionsrate wird durch die Ei-gengravitation der Kugel bestimmt; von dieser erwartetman, dass sie die Expansionsgeschwindigkeit abbremst.

Bewegungsgleichung. Wir betrachten daher eine Ku-gelschale mit Radius x zur Zeit t0, entsprechendeinem Radius r(t) = a(t) x für ein beliebiges t. DieMasse M(x), die von dieser mitbewegten Kugelschaleeingeschlossen wird, ist konstant in der Zeit und beträgt

M(x) = 4π

3ρ0 x3 = 4π

3ρ(t) r3(t)

= 4π

3ρ(t) a3(t) x3 , (4.10)

wobei ρ0 mit der Massendichte des heutigen (t = t0)Universums zu identifizieren ist. Die Dichte ist eineFunktion der Zeit und aufgrund der Massenerhaltungumgekehrt proportional zum Volumen der Kugel,

ρ(t) = ρ0 a−3(t) . (4.11)

Die Gravitationsbeschleunigung eines Teilchens aufdieser Kugelschale ist G M(x)/r2 und nach innen ge-richtet; daraus ergibt sich die Bewegungsgleichung desTeilchens zu

r(t) ≡ d2r

dt2= −G M(x)

r2= −4πG

3

ρ0 x3

r2, (4.12)

oder nach der Substitution r(t) = x a(t) eine Gleichungfür a,

a(t) = r(t)

x= −4πG

3

ρ0

a2(t)= −4πG

3ρ(t) a(t) .

(4.13)

Diese Bewegungsgleichung ist unabhängig von x! DieDynamik der Expansion, ausgedrückt durch a(t), wirddaher allein von der Materiedichte bestimmt.

,,Energieerhaltung“. Eine weitere Möglichkeit, dieDynamik der expandierenden Kugel auszudrücken, er-gibt sich durch den Energieerhaltungssatz: Die Summeaus kinetischer und potentieller Energie ist zeitlichkonstant. Diese Energieerhaltung kann direkt aus (4.13)hergeleitet werden. Dazu wird (4.13) mit 2a multi-pliziert, und die resultierende Gleichung kann nachder Zeit integriert werden, da d(a2)/dt = 2aa undd(−1/a)/dt = a/a2 ist:

a2 = 8πG

3ρ0

1

a− Kc2 = 8πG

3ρ(t) a2(t)− Kc2 ;

(4.14)

dabei ist Kc2 eine Integrationskonstante, die später in-terpretiert wird. Nach Multiplikation mit x2/2 kann

Page 161: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

148

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

(4.14) geschrieben werden als

v2(t)

2− G M

r(t)= −Kc2 x2

2,

was nun so interpretiert werden kann, dass die kine-tische + potentielle Energie (pro Einheitsmasse) einesTeilchens auf der Kugelschale eine Konstante ist; da-her drückt (4.14) in der Tat die Energieerhaltung aus.Die letzte Gleichung ergibt auch sofort eine Interpre-tation der Integrationskonstante: K ist proportional zurGesamtenergie eines mitbewegten Teilchens, und da-her ist die Geschichte der Expansion von K abhängig.Das Vorzeichen von K charakterisiert das qualitativeVerhalten der kosmischen Expansionsgeschichte.

• Wenn K < 0, so ist die rechte Seite von (4.14) im-mer positiv; da da/dt > 0 heute, bleibt da/dt > 0 füralle Zeiten, oder mit anderen Worten, das Universumexpandiert ewig weiter.

• Wenn K = 0, so ist die rechte Seite von (4.14)immer positiv, d. h. da/dt > 0 für alle Zeiten,das Universum expandiert ebenfalls ewig, aber so,dass da/dt → 0 für t → ∞ – der Grenzwert derExpansionsgeschwindigkeit für t → ∞ ist Null.

• Wenn K > 0, so wird die rechte Seite von (4.14)gleich Null wenn a = amax = (8πGρ0)/(3Kc2); fürdiesen Wert von a ist da/dt = 0, die Expansion hörtauf. Danach kehrt sich die Expansion um in eineKontraktion, das Universum rekollabiert wieder.

Im Spezialfall K = 0, der ewig expandierende Welt-modelle von denen trennt, die in der Zukunft wiederrekollabieren, hat das Universum heute eine Dichte, diekritische Dichte genannt wird und die aus (4.14) durchSpezialisierung auf t = t0 mit H0 = a(t0) abgelesenwerden kann:

ρcr := 3H20

8πG= 1.88×10−29 h2 g/cm3 . (4.15)

Offensichtlich ist ρcr eine charakteristische Dichte desheutigen Universums. Wie in vielen Situationen inder Physik ist es sinnvoll, physikalische Größen durchdimensionslose Parameter auszudrücken, so etwa diewahre Dichte des Universums heute. Man definiertdaher den Dichteparameter

Ω0 := ρ0

ρcr; (4.16)

K > 0 entspricht dabei Ω0 > 1, und K < 0 entsprichtΩ0 < 1. Daher ist Ω0 einer der zentralen kosmologi-schen Parameter, dessen Bestimmung erst in letzter Zeitgelungen ist, worauf wir später sehr ausführlich einge-hen werden. Hier sei allerdings erwähnt, dass die inSternen sichtbare Materie nur wenig zur Dichte desUniversums beiträgt, Ω∗ � 0.01. Aber wie wir schonbei den Rotationskurven von Spiralgalaxien gesehenhaben, gibt es klare Hinweise auf Dunkle Materie, dieim Prinzip den Wert von Ω0 dominieren kann.

4.2.4 Modifikation durch die ART

Die Newtonsche Betrachtungsweise enthält fast allewesentlichen Aspekte der homogenen und isotropenWeltmodelle; ansonsten hätten wir sie nicht so aus-führlich diskutiert. Die meisten der obigen Gleichungenbleiben auch in der relativistischen Kosmologie gül-tig, wenngleich sie dort anders interpretiert werdenmüssen. Insbesondere muss das Bild der expandieren-den Kugel revidiert werden – dieses Bild impliziert,dass es einen ,,Mittelpunkt“ des Universums gibt. Einsolches Bild widerspricht daher implizit dem kosmo-logischen Prinzip, nach dem kein Punkt vor anderenausgezeichnet ist – unser Universum hat weder einenMittelpunkt, noch expandiert es von einem ausgezeich-neten Punkt weg! Allerdings taucht das Bild der Kugelin den entscheidenden Gleichungen gar nicht mehr auf:Die Gleichung (4.11) für die Entwicklung der Dichtedes Universums und die Gleichungen (4.13) und (4.14)für die Entwicklung des Skalenparameters a(t) ent-halten keine Größen mehr, die auf eine Kugel Bezugnehmen.

Die ART modifiziert die Newtonsche Theorie inmehrfacher Hinsicht:

• Aufgrund der Speziellen Relativitätstheorie wissenwir, dass Masse und Energie äquivalent sind, ent-sprechend Einsteins berühmter Relation E = m c2.Daraus folgt, dass in die Bewegungsgleichungennicht nur die Materiedichte eingehen kann. Bei-spielsweise hat ein Strahlungsfeld wie der CMBeine Energiedichte, und aufgrund obiger Äquivalenzmuss diese in den Expansionsgleichungen auftre-ten. Wir werden unten sehen, dass wir ein solchesStrahlungsfeld als Materie mit Druck charakterisie-ren können. Der Druck wird dann explizit in derBewegungsgleichung für a(t) auftauchen.

Page 162: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.2 Ein expandierendes Universum

149

• Die zunächst von Einstein aufgestellte Feldgleichungder ART erlaubte keine Lösung, die einem homoge-nen, isotropen und statischen Kosmos entspricht. DaEinstein (wie die meisten seiner Zeitgenossen) voneinem statischen Universum ausging, modifizierte erseine Feldgleichungen, indem er einen zusätzlichenTerm einführte, die Kosmologische Konstante.

• Die Interpretation der Expansion wird völlig ge-ändert: Nicht die Teilchen (oder Beobachter)expandieren voneinander weg, und das Univer-sum ist keine expandierende Kugel, sondern derRaum selbst expandiert. Insbesondere ist dieRotverschiebung keine Doppler-Rotverschiebung,sondern selbst eine Eigenschaft expandierenderRaum-Zeiten. Allerdings kann man sich lokal dieRotverschiebung immer noch als Doppler-Effektvorstellen, ohne einen großen konzeptionellen Fehlerzu machen.

Die ersten zwei Aspekte werden im Folgenden nähererläutert.

Erster Hauptsatz der Thermodynamik. Wenn Luftkomprimiert wird, etwa beim Aufpumpen eines Rei-fens, so erwärmt sie sich. Die Temperatur steigt,entsprechend daher die thermische Energie der Luft. Inder Sprache der Thermodynamik wird diese Tatsachedurch den ersten Hauptsatz beschrieben: Die Änderungder inneren Energie dU bei einer (adiabatischen) Vo-lumenänderung dV ist die Arbeit dU = −P dV , wobeiP der Druck des Gases ist. Aus den Gleichungen derART, angewandt auf einen homogenen isotropen Kos-mos, folgt eine Relation, die in völliger Analogie zudiesem Hauptsatz lautet:

d

dt

(c2 ρ a3)= −P

da3

dt. (4.17)

Dabei ist ρ c2 die Energiedichte, d. h. für ,,normale“Materie ist ρ die Massendichte, und P ist der Druck derMaterie. Betrachten wir nun ein konstantes mitbewegtesVolumenelement Vx , so ändert sich dessen physikali-sches Volumen V = a3(t)Vx aufgrund der Expansion.Deshalb ist a3 = V/Vx das Volumen, und c2 ρ a3 dieEnergie in dem Volumen, jeweils dividiert durch Vx .Zusammengenommen stellt (4.17) den ersten Haupt-satz der Thermodynamik in einem expandierendenUniversum dar.

Die Friedmann-Lemaître-Expansionsgleichungen.Als Nächstes geben wir die Gleichungen für den Ska-lenfaktor a(t) an, wie sie sich aus der ART für einhomogenes isotropes Universum ergeben; danach wer-den wir diese Gleichungen aus den oben angegebenenRelationen herleiten – dabei werden wir sehen, dassdie Modifikationen durch die ART in der Tat rela-tiv gering sind, wie auch aufgrund des Arguments,dass ein kleiner Ausschnitt eines homogenen Univer-sums den gesamten Kosmos charakterisiert, zu erwartenwar. Aus den Feldgleichungen der ART folgen dieBewegungsgleichungen

(a

a

)2

= 8πG

3ρ− Kc2

a2+ Λ

3(4.18)

und

a

a= −4πG

3

(ρ+ 3P

c2

)+ Λ

3, (4.19)

wobei Λ die bereits erwähnte von Einstein eingeführteKosmologische Konstante ist. Gegenüber den Gleichun-gen (4.13) und (4.14) sind diese beiden Gleichungenan zwei Stellen verändert: Zum einen taucht die Kos-mologische Konstante in beiden Gleichungen auf, zumandern enthält die Bewegungsgleichung (4.19) nuneinen Druckterm.

Die Kosmologische Konstante. Als Einstein den Λ-Term in seine Gleichungen einführte, tat er es nur, umeine statische Lösung der resultierenden Expansions-gleichungen zu erhalten. Man kann sich leicht davonüberzeugen, dass (4.18) und (4.19) ohne den Λ-Termkeine Lösung mit a = 0 zulassen, sehr wohl aber kannmit dem Λ-Term eine solche Lösung gefunden werden(die nicht weiter relevant ist, da wir heute ja wissen, dassdas Universum expandiert). Einstein hatte keine gutephysikalische Interpretation für diese Konstante, undnachdem die Expansion des Universums von Hubbleentdeckt wurde, verwarf er sie wieder. Aber nachdem,,der Geist einmal aus der Flasche war“, blieb die Kos-mologische Konstante der Kosmologie erhalten, und dieAnsichten der Kosmologen über Λ änderte sich häufigin den letzten 90 Jahren. Um die Jahrtausendwende wur-den Beobachtungen durchgeführt, die uns eine von Nullverschiedene Kosmologische Konstante sehr nahelegen,d. h. wir glauben heute, dass Λ �= 0.

Page 163: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

150

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Allerdings wurde auch die physikalische Interpre-tation der Kosmologischen Konstante modifiziert. Ausder Quantenmechanik folgt, dass selbst ein völlig lee-rer Raum, ein so genanntes Vakuum, eine endlicheEnergiedichte besitzen kann, die Vakuumsenergie. DerWert dieser Vakuumsenergiedichte ist für physikali-sche Messungen außerhalb der Gravitation nicht vonBelang, denn solche Messungen stellen nur Ener-gieänderungen fest. Beispielsweise ist die Energie einesPhotons, das bei einem atomaren Übergang emittiertwird, die Energiedifferenz zwischen zwei Zuständendes Atoms, so dass man die absolute Energie eines Zu-stands immer nur bis auf eine additive Konstante messenkann. Nur in der Gravitation taucht die Gesamtener-gie auf, da diese aufgrund von E = m c2 einer Masseentspricht.

Man stellt nun fest, dass die KosmologischeKonstante einer endlichen Vakuumsenergiedichte äqui-valent ist – die Gleichungen der ART, und damit auchdie Expansionsgleichungen, ändern sich durch dieseneue Interpretation nicht. Wir wollen diese Tatsacheim Folgenden erläutern.

4.2.5 Die Materiekomponenten des Universums

Beginnend mit der Energieerhaltungsgleichung (4.14)wollen wir nun die relativistisch korrekten Expansions-gleichungen (4.18) und (4.19) herleiten. Die einzigeÄnderung gegenüber der Newtonschen Behandlung inAbschn. 4.2.3 wird sein, dass andere Materieformenzugelassen werden. Die wesentlichen Komponentendes Universums lassen sich beschreiben als druckfreieMaterie, Strahlung und Vakuumsenergie.

Druckfreie Materie. Der Druck eines Gases wirdbestimmt durch die thermische Bewegung seinerKonstituenten. Moleküle der Luft bei normaler Tempe-ratur bewegen sich mit einer Geschwindigkeit, die inetwa der Schallgeschwindigkeit von ∼ 300 m/s ent-spricht. Für ein solches Gas gilt P ρc2, so dassder Druck natürlich gravitativ völlig unbedeutend ist.Man bezeichnet eine Substanz mit P ρc2 in derKosmologie als (druckfreie) Materie, auch kosmolo-gischer Staub genannt,1 und benutzt die Näherung

1Die Bezeichnung Staub sollte nicht verwechselt werden mit demStaub, der für die Extinktion von Licht verantwortlich ist – der Begriff,,Staub“ in der Kosmologie bezeichnet lediglich Materie mit P = 0.

Pm = 0, wobei der Index ,,m“ für matter steht. DieKonstituenten der (druckfreien) Materie bewegen sichmit Geschwindigkeiten, die sehr viel kleiner als csind.

Strahlung. Falls diese Bedingung nicht mehr erfüllt ist,also die thermischen Geschwindigkeiten nicht vernach-lässigbar gegenüber der Lichtgeschwindigkeit sind, istauch der Druck nicht mehr länger klein gegen ρc2. Fürden Grenzfall, dass die thermische Geschwindigkeit ge-rade gleich der Lichtgeschwindigkeit ist, spricht manvon ,,Strahlung“. Ein Beispiel dafür ist natürlich dieelektromagnetische Strahlung, insbesondere die Pho-tonen des CMB. Ein weiteres Beispiel wären andereTeilchen mit verschwindender Ruhemasse. Aber auchfür Teilchen endlicher Masse sind die thermischen Ge-schwindigkeiten sehr nahe bei c, wenn die thermischeEnergie eines Teilchens sehr viel größer ist als die Ruhe-energie, kBT � mc2. In diesen Fällen ist der Druck mitder Dichte über die Zustandsgleichung für Strahlung(,,radiation“),

Pr = 1

3ρr c2 , (4.20)

verknüpft.

Vakuumsenergie. Die Zustandsgleichung für eine Va-kuumsenergie besitzt eine sehr merkwürdige Form, diesich aus dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik er-gibt. Da die Energiedichte ρv des Vakuums zeitlichund räumlich konstant ist, folgt aus (4.17) sofort dieBeziehung

Pv = −ρv c2 . (4.21)

Die Vakuumsenergie besitzt daher negativen Druck.Diese ungewöhnliche Form der Zustandsgleichungkann man sich auch auf folgende Weise plausibelmachen: Betrachte die Änderung eines Volumens V ,welches nur Vakuum enthält. Da die innere EnergieU ∝ V ist, daher eine Vergrößerung um dV eine Er-höhung von U impliziert, besagt der erste HauptsatzdU = −P dV , dass P negativ sein muss.

4.2.6 ,,Herleitung“ der Expansionsgleichung

Ausgehend von der Energieerhaltungsgleichung (4.14)sind wir nun in der Lage, die Expansionsgleichungen

Page 164: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.2 Ein expandierendes Universum

151

(4.18) und (4.19) herzuleiten. Zu diesem Zweck diffe-renzieren wir beide Seiten von (4.14) nach der Zeit underhalten

2 a a = 8πG

3

(ρ a2 +2 a a ρ

).

Als Nächstes führen wir die Differentiation in (4.17)aus, und erhalten daraus ρa3 +3ρa2a = −3Pa2a/c2.Diese Relation wird nun benutzt, um in der obigenGleichung den Term mit ρ zu ersetzen; daraus folgt

a

a= −4πG

3

(ρ+ 3P

c2

). (4.22)

Diese Herleitung zeigt also, dass sich der Druckterm inder Bewegungsgleichung ergibt, wenn man die Energie-erhaltung mit dem ersten Hauptsatz koppelt. Allerdingssei darauf hingewiesen, dass der erste Hauptsatz inder Form (4.17) explizit auf der speziell-relativistischenÄquivalenz zwischen Materie und Energie beruht. Setztman diese Äquivalenz aber voraus, so kann man in derTat die Friedmann-Gleichungen aus der NewtonschenKosmologie erhalten, wie aufgrund der Diskussion zuBeginn von Abschn. 4.2.1 zu erwarten ist.

Nun betrachten wir die drei oben genannten Kom-ponenten im Kosmos und schreiben die Dichte undden Druck als Summe von Staub, Strahlung undVakuumsenergie,

ρ = ρm +ρr +ρv = ρm+r +ρv , P = Pr + Pv ,

wobei wir mit ρm+r die Dichte in Materie und Strahlungzusammengefasst haben, und in der zweiten Gleichungvon der Druckfreiheit des Staubes Gebrauch machten,Pm = 0, so dass Pm+r = Pr. Setzen wir nun die erstedieser Gleichungen in (4.14) ein, so ergibt sich in derTat die erste Friedmann-Gleichung (4.18), wenn dortdie Dichte ρ mit ρm+r identifiziert wird (also der Dichtein ,,normaler Materie“), und wenn

ρv = Λ

8πG. (4.23)

Weiterhin setzen wir die obigen Zerlegungen vonDichte und Druck in die Bewegungsgleichung (4.22)ein und erhalten sofort (4.19), wenn wir dort ρ undP mit ρm+r und Pm+r = Pr identifizieren. Wir er-halten also beide Friedmann-Gleichungen aus dieserBetrachtung; die Dichte und der Druck, wie sie inden Friedmann-Gleichungen auftreten, beziehen sich

dabei auf ,,normale“ Materie, also auf sämtliche Mate-rie mit Ausnahme des Λ-Beitrags. Alternativ kann mandie Λ-Terme in den Friedmann-Gleichungen weglassenund dafür die Vakuumsenergiedichte und ihren Druckexplizit in P and ρ mit aufnehmen.

4.2.7 Diskussion der Expansionsgleichungen

Nach der obigen Herleitung der Expansionsgleichungenwerden wir hier die Konsequenzen dieser Gleichun-gen diskutieren. Dazu betrachten wir als Erstes dieEntwicklung der kosmischen Dichte in den verschie-denen Komponenten; diese folgt aus (4.17). Fürdruckfreie Materie ergibt sich sofort ρm ∝ a−3, inÜbereinstimmung mit (4.11). Setzt man in (4.17) dieZustandsgleichung (4.20) für Strahlung ein, so ergibtsich die Abhängigkeit ρr ∝ a−4. Die Energiedichte desVakuums ist eine zeitliche Konstante. Daraus folgt

ρm(t) = ρm,0 a−3(t) ; ρr(t) = ρr,0 a−4(t) ;ρv(t) = ρv = const , (4.24)

wobei der Index ,,0“ den heutigen Zeitpunkt t = t0 an-deutet. Die a−4-Abhängigkeit der Strahlungsdichte hatfolgende physikalische Ursache: Wie bei der Materieändert sich die Anzahldichte der Photonen ∝ a−3, dadie Zahl der Photonen in einem mitbewegten Volumenunverändert bleibt. Allerdings werden Photonen durchdie kosmische Expansion rotverschoben; sie ändern ihreWellenlänge λ proportional zu a (siehe Abschn. 4.3.2).Da die Energie eines Photons E = hP ν beträgt (hP:Plancksches Wirkungsquantum) und ν = c/λ, ändertsich die Energie jedes Photons durch die kosmische Ex-pansion wie a−1, so dass die Energiedichte der Photonensich ∝ a−4 entwickelt.

In Analogie zu (4.16) definieren wir die dimensi-onslosen Dichteparameter für Materie, Strahlung undVakuum,

Ωm = ρm,0

ρcr; Ωr = ρr,0

ρcr; ΩΛ = ρv

ρcr= Λ

3H20

,

(4.25)

so dass Ω0 = Ωm +Ωr +ΩΛ.2

Wir kennen die heutige Zusammensetzung des Uni-versums inzwischen recht gut. Die Materiedichte von

2In der Literatur werden verschiedene Definitionen für Ω0 benutzt;oftmals wird dort die Bezeichnung Ω0 für Ωm gewählt.

Page 165: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

152

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Galaxien (inklusive ihrer dunklen Halos) entsprichtΩm � 0.02, abhängig von der – weitestgehend unbe-kannten – Ausdehnung ihrer dunklen Halos. DieserWert ist daher eine untere Schranke für Ωm. Die Un-tersuchung von Galaxienhaufen, die wir in Kapitel 6besprechen, ergibt eine untere Schranke von Ωm � 0.1.In Kapitel 8 schließlich wird gezeigt, dass Ωm ∼ 0.3.

Im Vergleich dazu ist die Energiedichte der Strah-lung heute sehr viel kleiner. Sie wird dominiert durchdie Photonen der kosmischen Hintergrundstrahlung unddie Neutrinos aus dem frühen Universum, wie weiterunten noch erläutert wird. Für den Dichteparameter inStrahlung erhalten wir dann

Ωr ∼ 4.2×10−5h−2 , (4.26)

so dass im heutigen Universum die Energiedichte derStrahlung sehr viel geringer ist als die der Materie. Ausden Gleichungen (4.24) ergibt sich allerdings, dass dasVerhältnis zwischen Materie und Strahlung zu frühe-ren Zeiten ein anderes war, da sich ρr mit a schnellerentwickelt als ρm,

ρr(t)

ρm(t)= ρr,0

ρm,0

1

a(t)= Ωr

Ωm

1

a(t). (4.27)

Strahlung und Staub hatten also die gleiche Energie-dichte zu einer Epoche, in der der Skalenfaktor

aeq = Ωr

Ωm= 4.2×10−5 (Ωmh2)−1

(4.28)

betrug. Dieser Wert des Skalenfaktors, und damit ver-bunden die entsprechende Epoche in der kosmischen

Abb. 4.6. Zwei-dimensionale Analoga zu den drei möglichenRaumkrümmungen. In einem Universum mit positiver Krüm-mung (K > 0) ist die Winkelsumme im Dreieck größer als

180◦, in einem negativ gekrümmten Universum (K < 0) istsie kleiner als 180◦, und in einem flachen Universum ist dieWinkelsumme gleich 180◦

Geschichte, spielt eine sehr wichtige Rolle bei der Ent-wicklung der Strukturen im Universum, wie wir inKapitel 7 noch sehen werden.

Mit ρ = ρm+r = ρm,0 a−3 +ρr,0 a−4 und (4.25) kannman die Expansionsgleichung (4.18) schreiben als

H2(t) = (4.29)

H20

[a−4(t)Ωr +a−3(t)Ωm −a−2(t)

Kc2

H20

+ΩΛ

].

Die Spezialisierung dieser Gleichung auf heute, mitH(t0) = H0 und a(t0) = 1, liefert dann den Wert derIntegrationskonstante K ,

K =(

H0

c

)2

(Ω0 −1) ≈(

H0

c

)2

(Ωm +ΩΛ −1) ;

(4.30)

diese ergibt sich also aus den Dichteparametern der Ma-terie und des Vakuums und der oben erwähnten TatsacheΩr Ωm. K hat die Dimension (Länge)−2; im Rahmender ART wird K interpretiert als Krümmung des Uni-versums zum heutigen Zeitpunkt, oder genauer: Derhomogene, isotrope drei-dimensionale Raum zur Zeitt = t0 hat die Krümmung K . Je nach Vorzeichen von Ksind die folgenden Fälle zu unterscheiden:

• Falls K = 0, ist der Raum bei einer festen Zeit teuklidisch, d. h. flach.

• Falls K > 0, kann 1/√

K als Krümmungsradius einessphärischen Raumes interpretiert werden – das zwei-dimensionale Analogon wäre eine Kugeloberfläche.Wie bereits in Abschn. 4.2.1 spekuliert, beträgt laut(4.30) die Größenordnung des Krümmungsradiusc/H0.

Page 166: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion

153

• Falls K < 0, nennt man den Raum hyperbolisch –das zwei-dimensionale Analogon wäre dann dieOberfläche eines Sattels (siehe Abb. 4.6).

Die ART setzt also die Raumkrümmung in Zusammen-hang mit der Dichte des Universums. Tatsächlich istdies der zentrale Aspekt der ART, die die Geometrieder Raumzeit mit dem Materieinhalt verknüpft. Aller-dings sagt die Einsteinsche Theorie nichts über dieTopologie der Raumzeit aus, insbesondere also nichtüber die Topologie des Universums.3 Falls das Uni-versum eine einfache Topologie besitzt, dann ist es imFalle K > 0 endlich, während es für K ≤ 0 unendlichist. In beiden Fällen aber ist es unbegrenzt (verglei-che: eine Kugeloberfläche ist zwar ein endlicher aberunbegrenzter Raum).

Mit (4.29) und (4.30) erhält man schließlich dieExpansionsgleichung in der Form

(a

a

)2

= H2(t)

= H20

[a−4(t)Ωr +a−3(t)Ωm

+a−2(t)(1−Ωm −ΩΛ)+ΩΛ

].

(4.31)

4.3 Konsequenzender Friedmann-Expansion

Aus den kosmischen Expansionsgleichungen ergebensich eine Reihe direkter Konsequenzen, von denen ei-nige hier diskutiert werden sollen. Insbesondere werdenwir als erstes zeigen, dass das Universum zu einemfrühen Zeitpunkt sich aus einem sehr dichten und hei-ßen Zustand heraus entwickelt haben muss, den wir alsUrknall bezeichnen. Als Nächstes werden wir den Ska-lenfaktor a mit einer Observablen, der Rotverschiebung,verknüpfen und dann erläutern, welche Bedeutung derBegriff ,,Entfernung“ in der Kosmologie besitzt.

3Eine Zylinderoberfläche ist ebenfalls ein ,,flacher Raum“, genauwie eine Ebene, da die Winkelsumme in einem Dreieck auf einemZylinder ebenfalls 180◦ beträgt. Aber offensichtlich besitzt die Zylin-deroberfläche eine andere Topologie als die Ebene, insbesondere gibtes geschlossene ,,Geraden“ – wenn man auf einem Zylinder senkrechtzu seiner Achse loswandert, käme man nach endlicher Zeit wieder anseinem Ausgangspunkt zurück.

4.3.1 Die Notwendigkeit eines Big Bang

Die Terme auf der rechten Seite von (4.31) habenunterschiedliche Abhängigkeit von a:

• Für sehr kleine a dominiert der erste Term, dasUniversum ist dann strahlungsdominiert.

• Für etwas größeres a � aeq dominiert der zweiteTerm, der Staub- (oder Materie-)Term.

• Falls K �= 0 wird für größere a der dritte Term do-minieren, der auch als Krümmungsterm bezeichnetwird.

• Für sehr große a dominiert die kosmologischeKonstante, falls diese von Null verschieden ist.

Die Differentialgleichung (4.31) kann man im Allge-meinen nicht analytisch lösen, wobei allerdings dienumerische Lösung für a(t) unproblematisch ist. Wirkönnen jedoch das Verhalten der Funktion a(t) quali-tativ untersuchen und dabei die wesentlichen Aspekteder Expansion verstehen. Aus der Hubble-Expansionschließen wir, dass a(t0) > 0 ist, d. h. a ist heute einewachsende Funktion der Zeit. Die Gleichung (4.31) be-sagt, dass a(t) > 0 für alle Zeiten, es sei denn, die rechteSeite von (4.31) verschwindet für einen Wert von a, dasich das Vorzeichen von a nur an einer Nullstelle derrechten Seite umkehren kann. Falls H2 = 0 für einenWert von a > 1, kommt die Expansion zum Stillstand,und danach rekollabiert das Universum. Andererseits,falls H2 = 0 für einen Wert a = amin mit 0 < amin < 1,hatte sich bei amin das Vorzeichen von a geändert; zudiesem Zeitpunkt hat sich ein kollabierendes Universumin ein expandierendes umgekehrt.

Welche dieser Möglichkeiten realisiert ist, hängt vonden Dichteparametern ab. Man findet im Einzelnen(siehe auch Abb. 4.7):

• Falls Λ = 0, so ist H2 > 0 für alle a ≤ 1, währenddas Verhalten für a > 1 von Ωm abhängt:

– H2 > 0 für alle a, falls Ωm ≤ 1 (bzw. K ≤ 0):Das Universum expandiert für alle Zeiten.Dieses Verhalten erwarten wir aus der New-tonschen Betrachtung, denn falls K ≤ 0, ist diekinetische Energie einer jeden Kugelschale grö-ßer als der Betrag der potentiellen Energie,d. h. die Expansionsgeschwindigkeit übersteigtdie Fluchtgeschwindigkeit, und die Expansionkommt nicht zum Stillstand.

Page 167: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

154

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Abb. 4.7. Klassifikation der kosmologischen Modelle. DieGerade verbindet Modelle ohne Raumkrümmung (Ωm +ΩΛ = 1), die offene (K < 0) und geschlossene (K > 0) Mo-delle trennt. Die beinahe horizontale Kurve trennt Modelle,die ewig expandieren, von solchen, die in ferner Zukunft re-kollabieren. Modelle in der oberen linken Ecke haben eineExpansionsgeschichte, bei der a nie nahe 0 war, also keinenBig Bang hatten; bei solchen Modellen gibt es eine maximaleRotverschiebung von Quellen, die für zwei Fälle angedeutetist. Da Ωm > 0.1 ist, und wir Quellen mit Rotverschiebungen> 6 beobachtet haben, sind diese Modelle auszuschließen

– Falls Ωm > 1 (K > 0), so verschwindet H2 füra = amax = Ωm/(Ωm −1). Das Universum er-reicht dann eine maximale Expansion bei demSkalenfaktor amax, danach rekollabiert es wieder.Newtonsch gesprochen ist die Gesamtenergie je-der Kugelschale negativ, so dass diese gravitativgebunden ist.

• Falls die Kosmologische Konstante Λ > 0, ist dieDiskussion etwas komplizierter:– Falls Ωm < 1, expandiert das Universum für alle

a > 1.– Hingegen hängt für Ωm > 1 der zukünftige Ver-

lauf von a(t) von ΩΛ ab: ist nämlich ΩΛ kleingenug, so gibt es wiederum ein amax, bei dem dieExpansion zum Stillstand kommt und sich da-nach umkehrt; andernfalls, falls ΩΛ groß genugist, findet ewige Expansion statt.

– Falls ΩΛ < 1, so ist H2 > 0 für alle a ≤ 1.– Falls jedoch ΩΛ > 1, so ist es im Prinzip mög-

lich, dass H2 = 0 für ein a = amin < 1. Solche

Modelle, bei denen es in der Vergangenheit einenminimalen Wert von a gegeben hat, können aberdurch Beobachtungen ausgeschlossen werden(siehe Abschn. 4.3.2).

Bis auf den letzten Fall, der ausgeschlossen werdenkann, kommen wir also zu dem Ergebnis, dass a zueinem Zeitpunkt in der Vergangenheit wenigstens for-mal den Wert a = 0 angenommen haben muss. Zudiesem Zeitpunkt war die ,,Größe des Universums“verschwindend klein. Für a → 0 divergiert sowohl dieMateriedichte als auch die Strahlungsdichte, so dassdieser Zustand eine singuläre Dichte besitzen muss.Den Zeitpunkt mit a = 0, und die Entwicklung aus die-sem Zustand heraus, nennt man den Urknall oder BigBang. Diesen Zeitpunkt (a = 0) wählt man zweckmä-ßigerweise als Ursprung der Zeit, so dass t mit demWeltalter zu identifizieren ist, der Zeit seit dem BigBang. Wie noch gezeigt wird, sind die Vorhersagendes Big Bang-Modells in beeindruckender Weise mitden Beobachtungen in Übereinstimmung. Für den spe-ziellen Fall verschwindender Vakuumsenergie ist dieExpansionsgeschichte in Abb. 4.8 für drei Werte derKrümmung skizziert.

Abb. 4.8. Der Skalenfaktor a(t) als Funktion der kosmischenZeit t, für drei Modelle mit verschwindender KosmologischerKonstante, ΩΛ = 0. Geschlossene Modelle (K > 0) errrei-chen ein Maximum der Expansion und rekollabieren danach.Offene Modelle (K ≤ 0) expandieren dagegen ewig, und dasEinstein–de-Sitter-Modell mit K = 0 trennt diese beiden Fällevoneinander. In allen Fällen geht der Skalenfaktor in der Ver-gangenheit gegen Null; dieser Zeitpunkt wird als Urknallbezeichnet und definiert den Ursprung der Zeitachse

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4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion

155

Um zu charakterisieren, ob die Expansion desUniversums heute abgebremst wird oder aber garbeschleunigt stattfindet, definiert man den Abbremspa-rameter

q0 := −a a/a2 , (4.32)

wobei die rechte Seite bei t = t0 zu berechnen ist. Mit(4.19) und (4.31) folgt

q0 = Ωm/2−ΩΛ . (4.33)

Für den Fall ΩΛ = 0 ist q0 > 0, a < 0, d. h. die Ex-pansion wird abgebremst, wie das ja auch aufgrund derGravitation erwartet wird. Falls jedoch ΩΛ genügendgroß ist, kann der Abbremsparameter negativ werdenund sich daher die Expansion des Universums beschleu-nigen. Dieses der Intuition widersprechende Verhaltenliegt natürlich in dem negativen Druck der Vakuums-energie begründet. Nur ein negativer Druck kann zueiner beschleunigten Expansion führen – genauer gesagtlesen wir aus (4.22) ab, dass P< −ρc2/3 sein muss, da-mit a > 0 sein kann. In der Tat glauben wir heute, dassdas Universum sich zur Zeit beschleunigt ausdehnt, da-her also die Kosmologische Konstante deutlich von Nullverschieden ist.

Weltalter. Das Weltalter bei einem gegebenen Skalen-faktor a folgt aus dt = da(da/dt)−1 = da/(a H). DieseRelation kann nun integriert werden,

t(a) = 1

H0

a∫0

da[a−2Ωr +a−1Ωm (4.34)

+ (1−Ωm −ΩΛ)+a2ΩΛ

]−1/2,

wobei der Beitrag der Strahlung für a � aeq vernach-lässigt werden kann, denn dieser ist nur relevant fürsehr kleine a, daher nur für einen sehr kleinen Bruch-teil der kosmischen Zeit. Um das heutige Weltalter t0zu erhalten, setzt man a = 1 in (4.34). Für Modellemit verschwindender Raumkrümmung K = 0 und sol-che mit Λ = 0 ist t0 als Funktion von Ωm in Abb. 4.9dargestellt.

Das qualitative Verhalten der kosmologischen Mo-delle ist charakterisiert durch die Dichteparameter Ωm

und ΩΛ, während die Hubble-Konstante H0 ,,nur“ einSkalierungsfaktor ist. Heute werden hauptsächlich zweiFamilien von Modellen betrachtet:

Abb. 4.9. Oben: Skalenfaktor a(t) als Funktion der kosmi-schen Zeit, hier skaliert als (t − t0)H0, für ein Einstein–de-Sitter-Modell (Ωm = 1, ΩΛ = 0, gepunktete Kurve), einoffenes Universum (Ωm = 0.3, ΩΛ = 0; gestrichelte Kurve),und ein flaches Universum kleiner Dichte (Ωm = 0.3,ΩΛ = 0.7; durchgezogene Kurve). Zum heutigen Zeitpunktist t = t0 und a = 1. Unten: Weltalter in Einheiten der Hubble-Zeit H−1

0 für flache Weltmodelle mit K = 0 (Ωm +ΩΛ = 1,durchgezogene Kurve) und solche mit verschwindender kos-mologischer Konstanten (gestrichelter Kurve); man sieht,dass für flache Universen mit kleinem Ωm (also großemΩΛ = 1−Ωm) t0 deutlich größer als H−1

0 sein kann

• Modelle ohne kosmologische Konstante, Λ = 0; dieSchwierigkeit, einen ,,vernünftigen“ Wert für Λ ausder Teilchenphysik zu begründen, ist in manchenFällen Grund genug zur Annahme, dass die Vaku-umsenergie exakt verschwindet. Allerdings gibt essehr starke Hinweise darauf, dass tatsächlich Λ �= 0.

• Modelle, für die Ωm +ΩΛ = 1, d. h. K = 0. Diese,,flachen“ Modelle werden von sog. InflationärenModellen bevorzugt, die wir etwas weiter untenandiskutieren werden.

Page 169: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

156

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

• Ein Spezialfall ist das Einstein–de-Sitter-Modell,Ωm = 1, ΩΛ = 0; für dieses ist t0 = 2/(3H0) ≈6.7 h−1 ×109 yr.

• Für viele Weltmodelle ist t0 größer als das Alter derältesten Sternhaufen und daher kompatibel mit derenAltersbestimmung; das Einstein–de-Sitter-Modell istallerdings nur dann mit dem Sternalter verträglich,wenn H0 sehr klein wäre.

Die Werte der kosmologischen Parameter sind in-zwischen recht gut bekannt; wir werden sie hier ohneweitere Diskussion als Referenz angeben und ihre Be-stimmung im weiteren Verlauf dieses Kapitels bzw. inKapitel 8 diskutieren. Die Werte sind etwa

Ωm ∼ 0.3 ; ΩΛ ∼ 0.7 ; h ∼ 0.7 . (4.35)

4.3.2 Die Rotverschiebung

Das Hubble-Gesetz beschreibt einen Zusammenhangzwischen der Rotverschiebung, oder der radialenKomponente der Relativgeschwindigkeit, und der Ent-fernung eines Objekts von uns. Weiterhin besagt (4.6),dass jeder Beobachter ein lokales Hubble-Gesetz be-obachtet, wobei die Expansionsrate H(t) von derkosmischen Epoche abhängt. Wir wollen nun einen Zu-sammenhang herleiten zwischen der Rotverschiebungeiner Quelle, die direkt beobachtet werden kann, undder kosmischen Zeit t bzw. dem Skalenfaktor a(t), andem eine Quelle das Licht emittiert hat, welches wirheute beobachten.

Dazu betrachten wir einen Lichtstrahl, der uns heuteerreicht. Entlang dieses Lichtstrahls stellen wir unsfiktive Beobachter vor. Wir parametrisieren diesenLichtstrahl mit der kosmischen Zeit t, und zu einerEpoche te sei er von einer Quelle emittiert worden.Zwei mitbewegte Beobachter entlang dieses Licht-strahls mit relativer Entfernung dr voneinander sehenihre relative Bewegung aufgrund der kosmischen Ex-pansion entsprechend (4.6), dv = H(t) dr, und messensie als Rotverschiebung des Lichtes, dλ/λ = dz = dv/c.Das Licht benötigt die Zeit dt = dr/c, um vom einenzum anderen Beobachter zu gelangen. Weiterhin ergibtsich aufgrund der Definition des Hubble-Parameters,a = da/dt = H a, der Zusammenhang dt = da/(H a).Verknüpft man nun diese Beziehungen, so findet

mandλ

λ= dv

c= H

cdr = H dt = da

a. (4.36)

Die Relation dλ/λ = da/a kann nun leicht integriertwerden, denn offensichtlich besitzt die Gleichungdλ/da = λ/a die Lösung λ = Ca, wobei C eine Kon-stante ist. Diese wird bestimmt durch die Wellenlängeλobs des Lichtes, die wir heute (d. h. bei a = 1)beobachten, so dass

λ(a) = a λobs (4.37)

(siehe Abb. 4.10). Die Wellenlänge bei der Emissionbeträgt dann λe = a(te)λobs. Andererseits ist die Rot-verschiebung z definiert als (1+ z) = λobs/λe. Darausergibt sich nun der gesuchte Zusammenhang

1+ z = 1

a(4.38)

zwischen der Observablen z und dem Skalenfaktor a,der über (4.34) mit der kosmischen Zeit verknüpftist. Die gleiche Relation kann man ebenfalls aus derBetrachtung von Lichtstrahlen in der ART herleiten.

Die Beziehung zwischen Rotverschiebung und Ska-lenfaktor ist von ganz entscheidender Bedeutung fürdie Kosmologie, denn die Rotverschiebung ist für diemeisten weit entfernten Quellen die einzige Entfer-nungsinformation, die wir messen können. Falls derSkalenfaktor eine monotone Funktion der Zeit ist, d. h.falls die rechte Seite von (4.31) für alle a ∈ [0, 1] vonNull verschieden ist, so ist auch z monoton in t. In die-sem Fall (und der entspricht dem Universum, in demwir leben) sind a, t und z gleich gute Maße für dieEntfernung einer Quelle von uns.

Abb. 4.10. Aufgrund der kosmischen Expansion werdenPhotonen rotverschoben, d. h. ihre Wellenlänge, gemes-sen von einem mitbewegten Beobachter, wächst mit demSkalenfaktor a an

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4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion

157

Lokales Hubble-Gesetz. Für nahe Quellen gilt dasHubble-Gesetz: Aus (4.8) und v ≈ zc folgt

z = H0

cD ≈ h D

3000 Mpcfür z 1 , (4.39)

wobei D die Entfernung einer Quelle mit Rotverschie-bung z ist. Diese entspricht einer Lichtlaufzeit vonΔt = D/c. Andererseits ist aufgrund der Definitiondes Hubble-Parameters Δa = (1−a) ≈ H0 Δt, wobeia der Skalenfaktor zur Zeit t0 −Δt ist, und wir ha-ben a(t0) = 1 und H(t0) = H0 benutzt. Daraus folgtD = (1−a)c/H0. Unter Benutzung von (4.39) findetman nun z = 1−a, oder a = 1− z, was in linearer Nä-herung mit (4.38) übereinstimmt, da (1+ z)−1 = 1−z +O(z2). Wir folgern also, dass die allgemeine Re-lation (4.38) das lokale Hubble-Gesetz als Spezialfallenthält.

Energiedichte in Strahlung. Eine weitere Konsequenzvon (4.38) ist die Abhängigkeit der Strahlungsdichtevom Skalenparameter. Wie bereits erwähnt ist die An-zahldichte der Photonen ∝ a−3, wenn wir annehmen,dass Photonen weder erzeugt noch vernichtet werden.Anders ausgedrückt, die Anzahl der Photonen in ei-nem mitbewegten Volumenelement ist dann konstant.Aufgrund von (4.38) ändert sich die Frequenz ν einesPhotons durch die kosmische Expansion, und da dieEnergie eines Photons ∝ ν ist, Eγ = hPν ∝ 1/a, nimmtdie Energiedichte der Photonen ab wie ρr ∝ n Eγ ∝ a−4.Daher folgt aus (4.38) das Resultat (4.24).

Kosmischer Mikrowellenhintergrund. Wenn wir an-nehmen, dass das Universum zu einem Zeitpunkt t1eine Schwarzkörperstrahlung der Temperatur T1 ent-halten hat, so kann man mittels der Relation (4.38)die Entwicklung dieser Photonenpopulation mit derZeit untersuchen. Dazu sei daran erinnert, dass diePlanck-Funktion Bν (A.13) die Strahlungsenergie einerSchwarzkörperstrahlung angibt, die pro Sekunde, Ein-heitsfläche, Frequenzintervall und Einheitsraumwinkeldurch eine Fläche tritt. Daraus ergibt sich die An-zahldichte dNν von Photonen im Frequenzintervallzwischen ν und ν +dν als

dNν

dν= 4π Bν

c hPν= 8πν2

c3

1

exp(

hPν

kBT1

)−1

. (4.40)

Zu einem späteren Zeitpunkt t2 > t1 hat sich das Uni-versum um einen Faktor a(t2)/a(t1) ausgedehnt. EinBeobachter bei t2 sieht daher die Photonen um einenFaktor (1+ z) = a(t2)/a(t1) rotverschoben, d. h. einPhoton mit der Frequenz ν bei t1 wird dann mit derFrequenz ν′ = ν/(1+ z) gemessen. Das ursprünglicheFrequenzintervall dν transformiert sich entsprechendzu dν′ = dν/(1+ z). Die Anzahldichte der Photonennimmt mit der dritten Potenz des Skalenfaktors ab,so dass dN ′

ν′ = dNν/(1+ z)3. Zusammen ergibt sichdaher für die Anzahldichte dN ′

ν′ von Photonen imFrequenzintervall zwischen ν′ und ν′ +dν′

dN ′ν′

dν′ = dNν/(1+ z)3

dν/(1+ z)

= 1

(1+ z)2

8π(1+ z)2ν′2

c3

1

exp(

hP(1+z)ν′kBT1

)−1

= 8πν′2

c3

1

exp(

hPν′kBT2

)−1

, (4.41)

wobei im letzten Schritt T2 = T1/(1+ z) gesetzt wurde.Die Verteilung (4.41) hat die gleiche Form wie (4.40),nur mit einer um den Faktor (1+ z)−1 reduzierten Tem-peratur. Falls sich zu einem früheren Zeitpunkt einePlanck-Verteilung der Photonen eingestellt hat, so bleibtdiese während der kosmischen Expansion erhalten.Der CMB ist, wie wir oben gesehen haben, eine sol-che Schwarzkörper-Strahlung mit einer Temperatur vonheute T0 = TCMB ≈ 2.73 K. Wie wir weiter unten zei-gen werden, stammt diese Strahlung aus der Frühphasedes Kosmos. Daher ist es sinnvoll, von der ,,Tempera-tur des Universums“ als Funktion der Rotverschiebungzu sprechen; diese beträgt

T(z) = T0(1+ z) = T0 a−1 , (4.42)

d. h. das Universum war früher heißer als heute. Für dieEnergiedichte eines Planck-Spektrums gilt

ρr = aSB T 4 ≡(

π2 k4B

15�3 c3

)T 4 , (4.43)

so dass sich ρr in Übereinstimmung mit (4.24) wie (1+z)4 = a−4 verhält.

Page 171: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

158

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Ganz allgemein kann man zeigen, dass die spezifi-sche Intensität Iν sich durch Rotverschiebung verändertentsprechend

Iνν3

= I ′ν′

(ν′)3; (4.44)

dabei ist Iν die spezifische Intensität heute bei der Fre-quenz ν, und I ′

ν′ ist die spezifische Intensität bei derRotverschiebung z bei der Frequenz ν′ = (1+ z)ν.

Abschließend sei noch einmal betont, dass sich mit(4.38) alle Relationen sowohl als Funktion von a alsauch von z schreiben lassen. Beispielsweise erhält mandas Weltalter als Funktion von z durch Ersetzung deroberen Integrationsschranke, a → (1+ z)−1, in (4.34).

Die Notwendigkeit eines Big Bangs. In Abschn. 4.3.1hatten wir diskutiert, dass der Skalenfaktor irgendwannin der Vergangenheit den Wert a = 0 angenommenhatte. Bei dieser Argumentation, die zwangsläufig aufdie Notwendigkeit eines Urknalls hinausläuft, bliebnoch eine Lücke bestehen, nämlich die Möglichkeit,dass zu einem Zeitpunkt in der Vergangenheit a = 0war, das Universum dort also von einem kollabieren-den in einen expandierenden Zustand überging. DieseMöglichkeit ist nur dann gegeben, wenn ΩΛ > 1 istund der Dichteparameter in Materie genügend klein ist(siehe Abb. 4.7). In diesem Fall nimmt a in der Vergan-genheit einen minimalen Wert ein. Dieser hängt sowohlvon Ωm als auch von ΩΛ ab. Beispielsweise ist fürΩm > 0.1 der Wert amin > 0.3. Da jedoch ein minimalerWert für a eine maximale Rotverschiebung implizierenwürde, zmax = 1/amin −1, wir inzwischen Quasare undGalaxien mit z > 6 beobachtet haben, und der Dichte-parameter Ωm > 0.1 ist, ist ein solches Modell ohne BigBang ausgeschlossen.

4.3.3 Entfernungen in der Kosmologie

In den vorangegangenen Abschnitten wurden mehrereEntfernungsmaße diskutiert. Aufgrund der Monotonieder auftretenden Funktionen bilden a, t, oder z jeweilseine Möglichkeit, Objekte nach ihrer Entfernung zu ord-nen. Ein Objekt mit höherer Rotverschiebung z2 istweiter entfernt als eines mit z1 < z2, in dem Sinne,dass Licht einer Quelle bei z2 von Gas in einem Objektbei z1 absorbiert werden kann, aber nicht umgekehrt.

Das Objekt mit Rotverschiebung z1 steht zwischen unsund dem Objekt bei z2. Je weiter eine Quelle von unsweg ist, umso länger braucht das Licht, um zu uns zugelangen, umso früher wurde es emittiert, umso klei-ner ist a, umso größer ist z. Da z als einzige dieserGrößen direkt beobachtbar ist, werden Entfernungen inder extragalaktischen Astronomie fast immer durch zausgedrückt.

Aber wie kann man eine Rotverschiebung in eineEntfernung übersetzen, die die Dimension einer Längebesitzt? Anders gefragt, wie viele Megaparsec ist eineQuelle der Rotverschiebung z = 2 von uns entfernt? DieAntwort darauf ist komplizierter, als die Frage sugge-riert. Für sehr kleine Rotverschiebungen kann man dielokale Hubble-Relation (4.39) benutzen, doch die giltnur für z 1.

In euklidischen Räumen ist die Entfernung zwi-schen zwei Punkten eindeutig definiert, und es gibtmehrere ,,Messvorschriften“, diese Entfernung zu be-stimmen. Zwei Beispiele sollen hier genannt werden.Eine Kugel mit Radius R im Abstand D nimmt einenRaumwinkel ω = πR2/D2 ein. Kennt man den Radius,so kann man D mittels dieser Relation messen. AlsZweites betrachten wir eine Quelle mit Leuchtkraft Lim Abstand D, deren Fluss dann S = L/(4πD2) ist.Wiederum kann man bei bekannter Leuchtkraft dieEntfernung aus dem Fluss ermitteln. Wenn man etwamit diesen beiden Methoden die Entfernung zur Sonnebestimmen würde, kämen innerhalb der Messgenauig-keit die gleichen Werte für die Entfernung heraus – sosind diese beiden Messvorschriften ja auch definiertworden.

In nicht-euklidischen Räumen wie etwa unseremUniversum ist das nicht länger der Fall. Die Äquivalenzverschiedener Entfernungsmaße wurde nur im eukli-dischen Raum sichergestellt, und es gibt daher keinenGrund, die Gültigkeit dieser Äquivalenz in einer ge-krümmten Raumzeit zu erwarten. In der Kosmologiebenutzt man die gleichen Messvorschriften für ,,Ent-fernung“ wie im euklidischen Raum, jedoch ergebendie verschiedenen Definitionen unterschiedliche Ergeb-nisse. Die beiden wichtigsten Entfernungsdefinitionensind:

• Winkelentfernung (angular-diameter distance): Wieoben betrachte man eine Quelle mit Radius R, beob-achtet unter dem Raumwinkel ω; dann definiert man

Page 172: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.3 Konsequenzen der Friedmann-Expansion

159

die Winkelentfernung als

DA(z) =√

R2 π

ω. (4.45)

• Leuchtkraftentfernung (luminosity distance): Wir be-trachten eine Quelle mit Leuchtkraft L und Fluss Sund definieren deren Leuchtkraftentfernung als

DL(z) =√

L

4π S. (4.46)

Diese Entfernungen stimmen lokal (für z 1) über-ein (auf kleinen Skalen macht sich die Krümmung derRaumzeit nicht bemerkbar). Weiterhin sind sie ein-deutige Funktionen der Rotverschiebung. Diese kannman explizit berechnen, allerdings benötigt man dazueinige Werkzeuge der ART, die uns hier nicht zurVerfügung stehen. Die Entfernungs-Rotverschiebungs-Relationen hängen von den kosmologischen Parameternab; Abb. 4.11 zeigt die Winkelentfernung für verschie-dene Modelle. Für Λ = 0 ergibt sich die berühmte

Abb. 4.11. Winkelentfernung gegen Rotverschiebung fürverschiedene Kosmologien. Durchgezogene Kurven zeigenModelle ohne Vakuumenergie; gestrichelte Kurven zeigenflache Modelle mit Ωm +ΩΛ = 1. Für beide Fälle werdenResultate für Ωm = 1, 0.3, und 0 gezeigt

Mattig-Relation

DA(z) = c

H0

2

Ω2m (1+ z)2

(4.47)

×[Ωmz + (Ωm −2)

(√1+Ωmz −1

)].

Insbesondere ist DA nicht notwendigerweise eine mo-notone Funktion von z. Um diesen Aspekt besser zuverstehen, betrachten wir die Geometrie auf einer Ku-geloberfläche. Zwei Großkreise auf der Erde sollen sicham Nordpol unter dem Winkel ϕ 1 schneiden – essind also Längenkreise. Wir können nun die EntfernungL zwischen den beiden Großkreisen als Funktion derEntfernung vom Nordpol messen, welches die Längeder auf beiden Großkreisen senkrecht stehenden Ver-bindungslinie ist. Die Entfernung D vom Nordpol wirdgemessen als Strecke entlang eines der beiden Groß-kreise. Wenn θ die geographische Breite ist (θ = π/2am Nordpol, θ = −π/2 am Südpol), so findet manL = Rϕ cos θ, wobei R den Erdradius bezeichnet. L ver-schwindet am Nordpol, wird maximal am Äquator (woθ = 0) und wird am Südpol wieder Null – klar, da sichdie beiden Längenkreise dort ebenfalls schneiden. Wei-terhin ist D = R(π/2− θ), z. B. ist die Entfernung zumÄquator D = Rπ/2, ein Viertel des Erdumfangs. Lösenwir die letzte Relation nach θ auf, so ergibt sich für denAbstand L = Rϕ cos(π/2− D/R) = Rϕ sin(D/R). AlsWinkelentfernung auf der Erdoberfläche definieren wirnun DA(D) = L/ϕ = R sin(D/R), in völliger Analogiezu der obigen Definition. Daraus ergibt sich, dass fürWerte von D, die sehr viel kleiner sind als der Krüm-mungsradius R der Kugel, DA ≈ D gilt, für größere Dallerdings weicht DA erheblich von D ab. Insbeson-dere ist DA keine monotone Funktion von D, sondernerreicht für D = πR/2 ein Maximum.

Ganz allgemein gilt für den Zusammenhang zwi-schen Winkelentfernung und Leuchtkraftentfernung dieRelation

DL(z) = (1+ z)2 DA(z) . (4.48)

Vielleicht stellt sich der Leser nun die Frage, wel-che dieser Entfernungen denn nun die richtige sei.Die Frage ist allerdings nicht sinnvoll, es gibt nichtdie Entfernung, sondern man muss in der Kosmolo-gie die oben definierten Messvorschriften beachten.Die Wahl einer Entfernungsdefinition hängt davon ab,wozu diese Entfernung benutzt werden soll. Will man

Page 173: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

160

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

etwa den Durchmesser einer Quelle aus dem beob-achteten Winkeldurchmesser berechnen, benötigt mandie Winkelentfernung, denn so ist sie ja definiert. Willman hingegen aus der Rotverschiebung und der be-obachteten Helligkeit einer Quelle deren Leuchtkraftbestimmen, muss man die Leuchtkraftentfernung an-wenden. Aufgrund der Definition der Winkelentfernung(Länge/Winkeldurchmesser) sind dies die relevantenEntfernungen, die in der Gravitationslinsengleichung(3.48) auftauchen. Eine Aussage der Art, dass sich eineQuelle ,,im Abstand von 3 Milliarden Lichtjahren“ vonuns befindet, ist inhaltslos, solange nicht dazu gesagtwird, um welche Entfernung es sich denn nun handelt.

In der Abb. 4.12 ist ein Hubble-Diagramm dar-gestellt, das sich bis zu großen Rotverschiebungenerstreckt, wobei hier die hellsten Galaxien in Galaxien-haufen als angenäherte Standardkerzen benutzt wurden.Für konstant angenommene intrinsische Leuchtkraft

Abb. 4.12. Ein modernes Hubble-Diagramm: Für meh-rere Galaxienhaufen ist die scheinbare K-Band-Helligkeitder hellsten Haufengalaxie gegen die Fluchtgeschwindig-keit, gemessen als Rotverschiebung z = Δλ/λ, aufgetragen(Punkte). Falls diese Galaxien alle die gleiche Leucht-kraft besitzen, ist die scheinbare Helligkeit ein Maß ihrerEntfernung. Für kleine Rotverschiebungen zeigen die Kur-ven das lineare Hubble-Gesetz (4.9), bei denen z ≈ v/cgilt, während bei größeren Rotverschiebungen Modifikatio-nen dieses Gesetzes notwendig werden. Die durchgezogeneKurve entspricht einer konstanten Leuchtkraft der Galaxienbei allen Rotverschiebungen, während die beiden anderenKurven Entwicklungseffekte der Leuchtkraft berücksichti-gen, entsprechend den Modellen der Populationssynthese(Abschn. 3.9), wobei zwei unterschiedliche Epochen derSternentstehung in diesen Galaxien angenommen wurden.Diesem Diagramm liegt ein kosmologisches Modell mitAbbremsparameter q0 = 0 zugrunde (siehe 4.33)

dieser Galaxien ist die scheinbare Helligkeit ein Maßfür die Entfernung, wobei die LeuchtkraftentfernungDL(z) zur Berechnung des Flusses als Funktion derRotverschiebung benutzt werden muss.

Wir stellen hier ohne Herleitung kurz einige Aus-drücke zusammen, die man für die Berechnung vonEntfernungen in allgemeinen Friedmann-Lemaître-Modellen benötigt. Dazu definieren wir zunächst dieFunktion

fK (x) =

⎧⎪⎨⎪⎩

1/√

K sin(√

K x) K > 0

x K = 0 ,

1/√−K sinh(

√−K x) K < 0

wobei K der Krümmungsskalar (4.30) ist. Diemitbewegte radiale Entfernung x einer Quelle beider Rotverschiebung z lässt sich berechnen ausdx = a−1 dr = −a−1 c dt = −c da/(a2 H), und dahermit (4.31)

x(z) = c

H0(4.49)

×1∫

(1+z)−1

da√aΩm +a2(1−Ωm −ΩΛ)+a4ΩΛ

.

Die Winkelentfernung ist dann gegeben als

DA(z) = 1

1+ zfK [x(z)] (4.50)

und kann somit für alle Rotverschiebungen und kosmo-logische Parameter durch (i. A. numerische) Integrationvon (4.49) berechnet werden. Die Leuchtkraftentfer-nung ergibt sich dann aus (4.48). Die Winkelentfernungzu einer Quelle bei Rotverschiebung z2, wie sie von ei-nem Beobachter der Rotverschiebung z1 < z2 gemessenwürde, lautet

DA(z1, z2) = 1

1+ z2fK [x(z2)− x(z1)] . (4.51)

Dies ist die Entfernung, die in den Gleichungender Gravitationslinsentheorie als Dds benötigt wird.Insbesondere gilt DA(z1, z2) �= DA(z2)− DA(z1).

4.3.4 Spezialfall: Das Einstein–de-Sitter-Modell

Zum Abschluss dieses Abschnitts wollen wir ein spe-zifisches Modell des Universums kurz etwas genauer

Page 174: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.4 Thermische Geschichte des Universums

161

betrachten, nämlich ein Modell mit ΩΛ = 0 und ver-schwindender Krümmung, K = 0, so dass Ωm = 1 (wirvernachlässigen hier die Strahlungskomponente, die janur zu sehr frühen Zeiten, also bei kleinem a, zurExpansion wesentlich beiträgt). Dieses Modell heißtEinstein–de-Sitter-(EdS)-Universum. Lange Zeit wardies das bevorzugte Modell der Kosmologen, weil dieInflation (siehe Abschn. 4.5.3) K = 0 vorhersagt undweil ein endlicher Wert der Kosmologischen Konstanteals ,,unnatürlich“ galt. Inzwischen wissen wir, dassΛ �= 0, wir leben also nicht in einem EdS-Universum.Dennoch gibt es mindestens einen guten Grund, diesesModell etwas näher zu betrachten, da sich mit diesen Pa-rametern die Gleichungen der Expansion vereinfachenund man einfache, explizite Ausdrücke für die oben ein-geführten Größen angeben kann. Diese erlauben dannAbschätzungen, die für andere Modellparameter nurmittels numerischer Integration möglich sind.

Die resultierende Expansionsgleichung a = H0 a−1/2

kann leicht gelöst werden, indem wir ansetzena = (Ct)β . Einsetzen in die Gleichung liefert die Lösung

a(t) =(

3 H0 t

2

)2/3

. (4.52)

Das Weltalter ergibt sich daraus, indem wir a = 1setzen, zu t0 = 2/(3H0). Das gleiche Ergebnis er-hält man auch sofort aus (4.34), wenn man dort dieParameter auf die eines EdS-Modells spezialisiert.Mit H0 ≈ 70 km s−1 Mpc−1 ergibt sich ein Wert vonetwa 10 Gyr, etwas zu klein, um mit dem Alter derältesten Sternhaufen kompatibel zu sein. Die Winkel-entfernung (4.45) im EdS-Universum erhält man durchSpezialisierung der Mattig-Relation (4.38) auf Ωm = 1als

DA(z) = 2c

H0

1

(1+ z)

(1− 1√

1+ z

),

DL(z) = 2c

H0(1+ z)

(1− 1√

1+ z

), (4.53)

wobei im letzten Schritt (4.48) benutzt wurde.

4.3.5 Zusammenfassung

Nach diesen beiden längeren Abschnitten sollen diewichtigsten Punkte noch einmal zusammengestelltwerden:

• Beobachtungen sind verträglich damit, dass un-ser Universum auf großen Skalen um uns herumisotrop und homogen ist. Das kosmologische Prin-zip postuliert die Homogenität und Isotropie desUniversums.

• Die Allgemeine Relativitätstheorie erlaubt homo-gene und isotrope Weltmodelle. In ihrer Spracheliest sich das kosmologische Prinzip so: ,,Es gibteine Familie von Lösungen der Einsteinschen Feld-gleichung, so dass eine Schar von mitbewegtenBeobachtern die gleiche Geschichte des Univer-sums sehen; für jeden von diesen ist das Universumisotrop.“

• Die Form dieser Friedmann-Lemaître-Weltmodelleist charakterisiert durch den Dichteparameter Ωm

und die Kosmologische Konstante ΩΛ, die Größedurch die Hubble-Konstante H0. Die kosmologi-schen Parameter bestimmen die Expansionsrate desUniversums als Funktion der Zeit.

• Der Skalenfaktor a(t) des Universums ist eine bisheute monoton ansteigende Funktion; das Universumwar früher kleiner, dichter und heißer. Es muss einenZeitpunkt gegeben haben, wo a → 0, genannt BigBang. Die Zukunft der Expansion hängt von Ωm undΩΛ ab.

• Die Expansion des Universums bedingt eine Rotver-schiebung von Photonen; je weiter eine Quelle vonuns entfernt ist, umso stärker werden deren Photonenrotverschoben.

4.4 Thermische Geschichtedes Universums

Wegen T ∝ (1+ z) – siehe (4.42) – war das Universumfrüher heißer. Beispielsweise betrug die Temperatur beider Rotverschiebung z = 1100 etwa T ∼ 3000 K, undbei noch höherer Rotverschiebung, z = 109, betrug T ∼3×109 K, also mehr als im Innern von Sternen. Mankann daher energetische Prozesse wie etwa Kernfusionim frühen Universum erwarten.

In diesem Abschnitt sollen die wesentlichen Prozesseim frühen Universum beschrieben werden. Dabei wer-den wir annehmen, dass die Naturgesetze sich zeitlichnicht geändert haben. Dies ist bei weitem keine trivialeAnnahme – nichts garantiert uns, dass Wirkungsquer-schnitte der Kernphysik vor 13 Milliarden Jahren die

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162

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

gleichen waren wie heute. Falls sie sich aber in dieserZeit geändert haben sollten, bietet die Kosmologie dieeinzige Möglichkeit, dies herauszufinden. Ausgehendvon der Annahme der zeitlich unveränderten physika-lischen Gesetze werden wir die Konsequenzen des imletzten Abschnitt entwickelten Big Bang-Modells stu-dieren und diese dann mit Beobachtungen vergleichen.Nur dieser Vergleich ist in der Lage, den Erfolg desModells zu überprüfen. Diesem Abschnitt seien nocheinige Bemerkungen vorangeschickt.

(1) Temperatur und Energie lassen sich ineinander um-rechnen, da kBT die Dimension einer Energie hat. Wirbenutzen dafür das Elektronenvolt, abgekürzt eV, undbenutzen zur Umrechnung 1 eV = 1.1605×104 kB K.Man kann die Temperatur also in Energieeinheiten an-geben, wovon wir unten auch häufig Gebrauch machenwerden.

(2) Die Elementarteilchen-Physik ist für Energien unter-halb ∼ 1 GeV sehr gut verstanden. Für sehr viel höhereEnergien sind unsere Kenntnisse der Physik deutlichunsicherer. Wir beginnen die Beschreibung der ther-mischen Geschichte des Kosmos daher bei Energienunterhalb von 1 GeV.

(3) Die statistische Physik und Thermodynamik vonElementarteilchen wird durch die Quantenmechanik be-schrieben. Dabei unterscheidet man zwischen Bosonen,Teilchen mit ganzzahligem Spin (wie z. B. dem Pho-ton) und Fermionen, Teilchen mit halbzahligem Spin(wie z. B. Elektronen, Protonen und Neutrinos).

(4) Wenn Teilchen sich im thermodynamischen und che-mischen Gleichgewicht befinden, ist ihre Anzahldichteund ihre Energieverteilung allein durch die Temperaturgegeben – z. B. ist die Planck-Verteilung (A.13), und da-her auch die Energiedichte der Photonen (4.43), alleineine Funktion von T .

Die notwendige Bedingung für das Erreichen eineschemischen Gleichgewichts ist die Möglichkeit, dassTeilchen erzeugt und vernichtet werden können, wieetwa bei der e+-e−-Paarerzeugung und -Vernichtung(Annihilation).

4.4.1 Expansion in strahlungsdominierter Phase

Wie oben erwähnt – siehe (4.28) – ist im frühenUniversum, d. h. für Rotverschiebungen z � zeq, mit

zeq = a−1eq −1 ≈ 23 900 Ωm h2 , (4.54)

die Energiedichte der Strahlung dominant. Diese istρr ∝ T 4, wobei der Vorfaktor von der Anzahl der re-lativistischen Teilchensorten (das sind solche, für diekBT � mc2 gilt) abhängt. Wegen T ∝ 1/a und daherρr ∝ a−4 dominiert dann die Strahlung in der Expansi-onsgleichung (4.18). Diese kann gelöst werden, indemman ein Potenzgesetz ansetzt, a(t) ∝ tβ , und dies in dieExpansionsgleichung einsetzt. Daraus erhält man

a ∝ t1/2 , t =√

3

32πGρ, t ∝ T−2

in strahlungsdominierter Phase ,

(4.55)

wobei die Proportionalitätskonstante wiederum von derAnzahl der relativistischen Teilchensorten abhängt. Daunter der Annahme des thermodynamischen Gleich-gewichts diese bekannt ist, ist der Verlauf der frühenExpansion durch (4.55) eindeutig gegeben. Dies istdadurch begründet, dass für frühe Zeitpunkte wederder Krümmungsterm noch die Kosmologische Kon-stante eine Rolle spielen, denn diese machen sich erstin der späteren Phase der kosmischen Entwicklungbemerkbar.

4.4.2 Entkopplung der Neutrinos

Wir beginnen unsere Betrachtung des Universumsbei einer Temperatur von T ≈ 1012 K, entsprechend∼ 100 MeV. Diese Energie kann verglichen werden mitden Ruhemassen verschiedener Teilchen:

Proton, mp = 938.3 MeV/c2,Neutron, mn = 939.6 MeV/c2,Elektron, me = 511 keV/c2,Myon, mμ = 140 MeV/c2.

Protonen und Neutronen (also die Baryonen) sindzu schwer, als dass sie bei der betrachteten Temperaturerzeugt werden könnten. Daher müssen alle Baryonen,die es heute gibt, damals schon vorhanden gewesen sein.Auch Paare von Myonen können nicht mehr effizient inder Reaktion γ +γ → μ+ +μ− erzeugt werden, da die

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4.4 Thermische Geschichte des Universums

163

Temperatur, und somit die typischen Photonenenergien,nicht groß genug sind. Die Myonen sind instabil und zer-fallen in Elektronen (bzw. Positronen) und Neutrinos.Bei der betrachteten Temperatur sind also folgende re-lativistische Teilchensorten vorhanden: Elektronen undPositronen, Photonen, Neutrinos und ihre Antiteilchen.Diese tragen zur Strahlungsdichte ρr bei. Die Masseder Neutrinos ist nicht genau bekannt, aber seit kur-zem wissen wir, dass sie eine sehr kleine, aber endlicheRuhemasse besitzen. Wie in Abschn. 8.7 erläutert wird,kann man aus der Kosmologie sehr scharfe Grenzenan die Neutrinomasse erhalten, die z. Zt. bei unter-halb 1 eV liegen. Für die Zwecke dieser Diskussionkönnen sie also als masselos betrachtet werden. Zu-sätzlich zu den relativistischen Teilchen gibt es nochnichtrelativistische Teilchen, zum einen Protonen undNeutronen, zum anderen vermutlich die Konstituen-ten der Dunklen Materie. Wir nehmen an, dass dieseaus schwach-wechselwirkenden Teilchen (weakly in-teracting massive particles, WIMPs) bestehen, derenRuhemasse größer als ∼ 100 GeV ist, da bis zu diesenEnergien die WIMPs in irdischen Beschleunigerlaborsnoch nicht gefunden wurden. Unter dieser Annahmesind die WIMPs nichtrelativistisch bei den betrachtetenEnergien und tragen somit, genau wie die Baryonen,praktisch nicht zur Energiedichte bei.

Bis auf die WIMPs befinden sich alle diese Teilchenim Gleichgewicht, z. B. durch die folgende Reaktionen:

e± +γ ↔ e± +γ : Comptonstreuung,e+ + e− ↔ γ + γ : Paarerzeugung und Anni-hilation,ν+ ν ↔ e+ +e−: Neutrino-Antineutrino-Streuung,ν + e± ↔ ν + e±: Neutrino-Elektron-Streuung.

Reaktionen mit Baryonen werden erst späterbetrachtet. Die Energiedichte zu dieser Zeit beträgt

ρ = ρr = 10.75π2

30

(kB T)4

� c3 ,

woraus sich ergibt – siehe (4.55) –

t ≈ 0.3 s

(T

1 MeV

)−2

. (4.56)

Damit die Teilchen miteinander im Gleichgewicht blei-ben, müssen die obigen Reaktionen genügend häufig

ablaufen. Der physikalische Zustand – nämlich dieTemperatur – ändert sich fortlaufend, so dass sich dieTeilchen in einem sich kontinuierlich veränderndemGleichgewicht einstellen müssen. Dies ist nur dannmöglich, wenn die mittlere Zeit zwischen zwei Reaktio-nen sehr viel kürzer ist als die Zeitskala, auf der sich dieGleichgewichtsbedingungen ändern. Letztere ist durchdie Expansion vorgegeben; das bedeutet, dass die Re-aktionsraten (Anzahl der Reaktionen pro Teilchen proZeiteinheit) größer sein müssen als die kosmische Ex-pansionsrate H(t), damit die Teilchen im Gleichgewichtbleiben.

Die Reaktionsraten Γ sind proportional zum Produktaus der Anzahldichte n der Teilchen und dem Wirkungs-querschnitt σ der betrachteten Reaktion. Beide nehmenmit der Zeit ab: Einerseits nimmt die Anzahldichten ∝ a−3 ∝ t−3/2 wegen der Expansion ab. Andererseitssind die Wirkungsquerschnitte für die schwache Wech-selwirkung, die für die Reaktionen, an denen Neutrinosbeteiligt sind, verantwortlich ist, energieabhängig. Esgilt angenähert σ ∝ E2 ∝ T 2 ∝ a−2. Zusammen ergibtsich also Γ ∝ nσ ∝ a−5 ∝ t−5/2, während die Expansi-onsrate nur wie H ∝ t−1 abfällt. Zu frühen Zeiten warendie Reaktionsraten größer als die Expansionsrate, dieTeilchen daher im Gleichgewicht, während zu einemspäteren Zeitpunkt die Reaktionen nicht mehr schnellgenug ablaufen, damit das Gleichgewicht aufrechter-halten werden kann. Aus dem Wirkungsquerschnitt derschwachen Wechselwirkung kann man den Zeitpunktbzw. die Temperatur des Übergangs berechnen,

Γ

H≈(

T

1.6×1010 K

)3

,

so dass für T � 1010 K die Neutrinos nicht mehr mitden anderen Teilchen im Gleichgewicht sind. Nachdiesem Zeitpunkt bewegen sie sich ohne weitere Wech-selwirkung, bis zum heutigen Tage. Den Prozess desAbkoppelns von den anderen Teilchen nennt man auchAusfrieren; die Neutrinos frieren bei T ∼ 1010 K aus.Beim Ausfrieren hatten sie eine thermische Verteilung,mit der gleichen Temperatur wie die anderen Teilchen-sorten, die weiterhin miteinander im Gleichgewichtbleiben. Wegen der fehlenden Wechselwirkung behaltendie Neutrinos ihre thermische Verteilung bei, natür-lich mit abnehmender Temperatur T ∝ 1/a, bis zumheutigen Zeitpunkt. Diese Betrachtung liefert die Vor-hersage, dass die Neutrinos, die sich etwa eine Sekunde

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164

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

nach dem Urknall vom Rest der Materie entkoppelthaben, noch heute im Universum zu finden sind, mit ei-ner Anzahldichte von 113 cm−3 pro Neutrinosorte undeiner Temperatur von 1.9 K (dieser Wert wird untenbegründet). Allerdings sind diese Neutrinos wegen ih-res extrem geringen Wirkungsquerschnitts bei diesenEnergien nur sehr schwer nachweisbar.

Durch das Ausfrieren der Neutrinos ändert sich zu-nächst nichts an der Expansion, die weiterhin nach(4.56) verläuft.

4.4.3 Paarvernichtung

Für Temperaturen kleiner als ∼ 5×109 K, oderkBT ∼ 500 keV, können Elektron-Positron-Paare nichtmehr effizient erzeugt werden, da nicht mehr ge-nügend viele Photonen mit Energien oberhalb derPaarerzeugungsschwelle von 511 keV existieren. DieAnnihilation e+ + e− → γ +γ läuft allerdings weiter-hin ab, und aufgrund des großen Wirkungsquerschnittsder Annihilation nimmt die Dichte der e+e−-Paare sehrschnell ab.

Durch die Paarvernichtung gelangt zusätzliche Ener-gie in das Photonengas, die ursprünglich als kinetischeEnergie und Ruheenergie der e+e−-Paare vorhandenwar. Deshalb verändert sich die Photonenverteilung,und da die Photonen weiterhin eine Planck-Verteilungbesitzen, verändert sich deren Temperatur – relativ zuderjenigen, die sie ohne die Annihilation hätte. Dadie Neutrinos zu diesem Zeitpunkt bereits entkoppeltsind, profitieren sie nicht von der zusätzlichen Energie,so dass nach der Annihilation die Photonentemperaturdie der Neutrinos übersteigt. Aus der Thermodyna-mik dieses Prozesses berechnet man die Änderung derPhotonentemperatur zu

T (nach Annihilation)

=(

11

4

)1/3

T (vor Annihilation)

=(

11

4

)1/3

Tν . (4.57)

Dieses Temperaturverhältnis bleibt danach erhalten, sodass die Neutrinos eine um (11/4)1/3 ∼ 1.4 niedrigereTemperatur haben als die Photonen – auch heute noch.Dieses Ergebnis hatten wir bereits oben vorweggenom-

men. Auch wurde bei der Abschätzung von ρr,0 in (4.26)die Energiedichte der Neutrinos mitberücksichtigt; esgilt ρr,0 = 1.68ρCMB,0.

Nach der Annihilation gilt das Expansionsgesetz

t = 0.55 s

(T

1 MeV

)−2

, (4.58)

d. h. durch die Annihilation ändert sich die Konstantein dieser Relation, verglichen mit (4.56), weil sich dieAnzahl der relativistischen Teilchensorten reduziert hat.Weiterhin bleibt nach der Annihilation auch das Verhält-nis von Baryonendichte und Photonendichte konstant.Erstere wird parametrisiert durch den DichteparameterΩb = ρb,0/ρcr in Baryonen (heute), letztere ist durch T0

bestimmt:

η :=(

nb

)= 2.74×10−8 (Ωbh2) . (4.59)

Vor der Annihilation gab es etwa so viele Elektronenund Positronen wie Photonen, nach der Annihilationsind fast alle Elektronen zerstrahlt – aber nicht alle,denn es müssen genau so viele Elektronen übrigblei-ben wie Protonen existieren, damit das Universumelektrisch neutral bleibt. Daher ist das Verhältnis vonElektronen zu Photonen ebenfalls durch η gegeben, odergenauer gesagt, etwa 0.8η, da η sowohl Protonen alsauch Neutronen beinhaltet.

4.4.4 Primordiale Nukleosynthese

Protonen und Neutronen können sich zu Atomkernenzusammenfinden, wenn die Temperatur und die Dichtedes Plasmas groß genug ist. Im Innern von Sternen sinddiese Bedingungen für die Kernfusion gegeben. Die ho-hen Temperaturen in der Frühzeit des Universums legennahe, dass sich auch dort Atomkerne gebildet habenkönnen. Wie wir hier diskutieren werden, haben sich inden ersten wenigen Minuten nach dem Urknall einigeder leichtesten Atomkerne gebildet. Die quantitativeBetrachtung dieser primordialen Nukleosynthese (BigBang Nucleosynthesis, BBN) wird die Beobachtung (4)aus Abschn. 4.1.1 erklären.

Proton-zu-Neutron-Verhältnis. Wie bereits erwähntspielen die Baryonen (oder Nukleonen) wegen ihrer

Page 178: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.4 Thermische Geschichte des Universums

165

geringen Dichte keine Rolle für die Dynamik der Expan-sion im frühen Universum. Die wichtigsten Reaktionen,mit denen sie mit dem Rest der Teilchen im chemischenGleichgewicht bleiben, sind

p+ e ↔ n+ν ,

p+ ν ↔ n+ e+ ,

n → p+ e+ ν ;letztere ist der Zerfall des freien Neutrons, der eineZerfallszeitskala von τn = 887 s hat, während dieersten beiden Reaktionen das Protonen/Neutronen-Verhältnis im Gleichgewicht halten, solange dieseReaktionen schneller ablaufen als die Expansionszeit-skala. Die Gleichgewichtsverteilung ist gegeben durchden Boltzmann-Faktor,

nn

np= exp

(−Δm c2

kBT

), (4.60)

wobei Δm = mn −mp = 1.293 MeV/c2 den Massenun-terschied von Neutron und Proton angibt. Neutronensind also etwas schwerer als Protonen, ansonsten wäreauch der Neutronenzerfall nicht möglich. Die Gleichge-wichtsreaktionen werden selten, nachdem die Neutrinosausgefroren sind, denn die obigen Reaktionen beruhenauf der schwachen Wechselwirkung, also der gleichen,die Neutrinos im chemischen Gleichgewicht halten.Zum Zeitpunkt der Entkoppelung der Neutrinos istnn/np ≈ 1/3. Danach stehen Protonen und Neutronennicht mehr im Gleichgewicht, ihr Verhältnis wird nichtlänger durch (4.60) beschrieben, sondern wird nundurch den Zerfall des freien Neutrons auf der Zeitskalaτn modifiziert. Damit bis heute überhaupt noch Neutro-nen übrigbleiben, müssen diese schnell in Atomkernengebunden werden.

Deuteriumbildung. Der einfachste zusammengesetzteKern ist das Deuterium (D), bestehend aus einem Protonund einem Neutron, mit der Bildungsreaktion

p+n → D+γ .

Die Bindungsenergie von D beträgt Eb = 2.225 MeV,wobei diese Energie also nur etwas größer ist alsmec2 und Δm – alle diese Energien sind vergleichbargroß. Die Deuteriumbildung ist eine Reaktion der star-ken Wechselwirkung und läuft daher sehr effizient ab.

Jedoch ist zum Zeitpunkt der Entkopplung der Neu-trinos und der Paarvernichtung T nur wenig kleinerals Eb. Dieser Umstand hat eine wesentliche Kon-sequenz: Weil die Photonen so viel zahlreicher sindals die Baryonen, gibt es genügend viele energeti-sche Photonen im Wien-Schwanz der Planck-Verteilungmit Eγ ≥ Eb, die gebildetes D durch Photodissoziationwieder zerstören. Erst wenn die Temperatur deutlichniedriger wird, kBT Eb, kann Deuterium in grö-ßerer Menge vorhanden sein. Wie man mittels derentsprechenden Bilanzgleichungen ausrechnen kann,übersteigt die Bildungsrate von Deuterium die Vernich-tungsrate durch Photonen etwa bei TD ≈ 8×108 K, undt ∼ 3 min; bis zu diesem Zeitpunkt ist daher ein Teil derNeutronen zerfallen, und das Verhältnis beträgt dannnn/np ≈ 1/7.

Danach geht alles sehr schnell: Wegen der starkenWechselwirkung werden praktisch alle Neutronen zu-nächst in D gebunden. Doch sobald D in merklicherDichte vorhanden ist, bildet sich daraus Helium (He4),ein Kern mit großer Bindungsenergie (∼ 28 MeV), derdeshalb auch nicht mehr durch Photodissoziation zer-stört werden kann. Bis auf einen kleinen (aber, wiewir später sehen werden, für uns sehr wichtigen) Restverwandelt sich sämtliches Deuterium in He4. Man be-zeichnet daher die Abhängigkeit der Heliumbildung vonder kleinen Bindungsenergie von D als ,,Flaschenhalsder Kernsynthese“.

Helium-Häufigkeit. Die Anzahldichte von Heliumker-nen lässt sich nun berechnen, da praktisch sämtlichevorhandenen Neutronen in He4 gebunden werden.Zunächst ist nHe = nn/2, da jeder Heliumkern zweiNeutronen enthält. Weiterhin ist die Anzahldichte vonProtonen nach der Heliumbildung nH = np −nn, da inHe4 genau so viele Protonen wie Neutronen gebundensind. Daraus folgt für den Massenanteil Y von He4 ander Baryonendichte:

Y = 4nHe

4nHe +nH= 2nn

np +nn= 2(nn/np)

1+ (nn/np)≈ 0.25 ,

(4.61)

wobei im letzten Schritt das obige Verhältnis fürnn/np ≈ 1/7 bei TD eingesetzt wurde. Aus dieserÜberlegung folgt also:

Page 179: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

166

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Etwa 1/4 der baryonischen Masse im Univer-sum sollte als He4 gebunden sein! Dies isteine robuste Vorhersage der Big-Bang-Modelleund in hervorragender Übereinstimmung mit derBeobachtung!

Der Heliumanteil im Universum kann später durchKernfusion in Sternen geändert werden, und dabeiwerden auch schwerere Kerne (,,Metalle“) gebildet. Be-obachtungen von wenig prozessiertem Material (alsosolchem mit geringem Metallgehalt) zeigen, dass dortin der Tat Y ≈ 0.25! Die Abb. 4.13 zeigt das Ergeb-nis einer quantitativen Berechnung der BBN, wobei derMassenanteil einiger Elemente als Funktion der Zeitbzw. der Temperatur aufgetragen ist.

Abhängigkeit der primordialen Häufigkeiten vonder Baryonendichte. Am Ende der ersten drei Minuten

Abb. 4.13. Die Entwicklung der Häufigkeiten der leichten,während der BBN gebildeten Elemente, als Funktion derTemperatur (untere Achse) und der kosmischen Zeit t (obereAchse). Die Abnahme der Neutronenhäufigkeit in den ers-ten ∼ 3 Minuten ist bedingt durch den Neutronenzerfall. DieDichte von Deuterium steigt sehr steil an – verbunden miteinem steilen Abfall der Neutronendichte – und erreicht einMaximum bei t ∼ 3 min, weil dann dessen Dichte zur effizien-ten Bildung von He4 ausreicht; nur wenige Deuterium-Kernefinden keinen Reaktionspartner mehr und bleiben als Restmit einem Massenanteil von ∼ 10−5 zurück. Nur wenige an-dere leichte Kerne werden im Urknall gebildet, vor allem He3

und Li7

ist die Zusammensetzung der baryonischen Kompo-nente des Universums also etwa wie folgt: 25% derbaryonischen Masse befindet sich in Helium-Kernen,75% in Wasserstoff-Kernen (also Protonen), und es gibtSpuren von D, He3 und Li7. Schwerere Atomkerne kön-nen sich nicht bilden, weil es keine stabilen Kerneder Massenzahl 5 und 8 gibt und deshalb bei Stößenzwischen zwei Helium-Kernen oder einem Proton undeinem Helium-Kern keine neuen stabilen Kerne gebildetwerden. Dreier-Stöße zwischen den vorhandenen Ker-nen sind viel zu selten, als dass sie zur Kernsynthese

Abb. 4.14. BBN-Vorhersagen der primordialen Häufigkeitenleichter Elemente als Funktion der heutigen Baryonendichte(ρb,0, untere Achse) und des entsprechenden Dichteparame-ters Ωb, wobei h = 0.65 angenommen wurde. Die vertikaleAusdehnung der Rechtecke gibt die gemessenen Werte die-ser Häufigkeiten an (oben: He4, Mitte: D, unten: Li7); diehorizontale Ausdehnung ergibt sich durch den Überlapp die-ser Bereiche mit den aus theoretischen Modellen berechnetenKurven. Die durch die drei Elemente erlaubten Werte vonΩb überlappen, dargestellt durch den vertikalen Streifen. DieDeuterium-Messungen geben die stärksten Einschränkungenan Ωb

Page 180: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.4 Thermische Geschichte des Universums

167

beitragen könnten. Die Dichte in He4 und D hängt vonder Baryonendichte im Universum ab, wie Abb. 4.14und folgende Überlegungen zeigen:

• Je größer die Baryonendichte Ωb, also je größer dasBaryon-zu-Photon-Verhältnis η (4.59), umso früherkann sich D bilden, d. h. umso weniger Neutronensind zerfallen, was wiederum ein größeres nn/np Ver-hältnis ergibt. Daraus folgt mit (4.61), dass Y mitsteigendem Ωb anwächst.

• Ein ähnliches Argument gilt für die Häufigkeitvon Deuterium: Je größer Ωb, umso größer istdie Baryonendichte bei der Umwandlung von Din He4, und daher ist die Umwandlung effizienterund vollständiger. Das bedeutet, dass dann weni-ger Deuterium-Kerne keinen Reaktionspartner fürdie Heliumbildung finden, und daher weniger üb-rigbleiben, d. h. der Anteil von D wird dadurchgeringer.

Der Baryonenanteil im Universum. Aus Messungender primordialen Häufigkeiten von He4 und D und derenVergleich mit detaillierten Rechnungen der Kernsyn-these im frühen Universum kann daher η bzw. Ωb

bestimmt werden (siehe Abb. 4.14), wobei der Anteilvon Deuterium ein besonders empfindliches Maß fürΩb ist. Messungen der relativen Stärke der Lyα-Linienvon H und D, deren Übergangsfrequenzen aufgrund derunterschiedlichen Kernmasse leicht verschieden sind, inQSO-Absorptionssystemen (siehe Abschn. 5.6.3) erge-ben D/H ≈ 3.4×10−5. Da das Gas in diesen Systemenchemisch wenig prozessiert ist und daher das D/H-Verhältnis sehr nahe am primordialen Wert liegen sollte,folgt daraus

Ωb h2 ≈ 0.02 . (4.62)

Da die Hubble-Konstante H0 ∼ 70 km s−1 Mpc−1, alsoh ∼ 0.7 beträgt, ist Ωb ≈ 0.04! Da jedoch Ωm > 0.1 ist,bedeutet dieses Ergebnis, dass die Baryonen nur einenkleinen Teil der Materie im Universum darstellen kön-nen. Der größte Teil der Materie ist nicht-baryonischeDunkle Materie!

WIMPs als Dunkle Materie. Wir erhalten also ausder BBN den klaren Hinweis auf Dunkle Materie aufkosmologischen Skalen. Während bei der Diskussion

der Rotationskurven von Spiralgalaxien nicht ausge-schlossen werden konnte, dass die Dunkle Materieaus Baryonen besteht, zeigt die BBN, dass dies nichtder Fall sein kann. Wie bereits oben erwähnt, ist derbeste Kandidat als Konstituent der Dunklen Materieein bisher noch nicht bekanntes Elementarteilchen,ein WIMP. Tatsächlich können wir aus den obigenBetrachtungen Einschränkungen an die Eigenschafteneines solchen Teilchens erhalten. Wenn das WIMPschwach wechselwirkend ist, wird es ähnlich entkop-peln wie die Neutrinos. Falls dessen Masse mWIMP

kleiner als die Entkopplungstemperatur (T ∼ 1 MeV)ist, war das WIMP beim Ausfrieren relativistisch, unddamit seine Anzahldichte die gleiche wie die der Neu-trinos, n = 113 cm−3. Daher kann man den zugehörigenDichteparameter ausrechnen,

ΩWIMP h2 = mWIMP

91.5 eV, (4.63)

solange mWIMP � 1 MeV. Diese Gleichung gilt na-türlich auch für die Neutrinos mit mν � 1 MeV. Dasicherlich Ωm < 2 ist, folgt aus (4.63), dass es keinstabiles, schwach wechselwirkendes Teilchen im Mas-senbereich zwischen 100 eV�m � 1 MeV geben kann!Insbesondere kann keines der drei Neutrinos eine Massein diesem Bereich besitzen. Bis vor kurzem warendiese Einschränkungen an die Masse der μ- und τ-Neutrinos um viele Größenordnungen besser als dieaus Laboruntersuchungen, und erst die Messungen derNeutrino-Oszillationen in Verbindung mit Laborschran-ken an die νe-Masse ergaben eine bessere Eingrenzung.Aus der Strukturbildung im Universum, die in Kapitel 7besprochen wird, wissen wir heute, dass Neutrinos kei-nen dominanten Anteil an der Dunklen Materie habenkönnen und daher mν � 1 eV sein muss.

Falls das WIMP schwerer ist als 1 MeV, ent-koppelt es zu einem Zeitpunkt, zu dem es be-reits nichtrelativistisch ist. Dann ändert sich dieAbschätzung seiner Anzahldichte und damit dieRelation (4.63). Insbesondere gilt, wenn die WIMP-Masse die des Z-Bosons (mZ = 91 GeV) übersteigt,ΩWIMPh2 � (mWIMP/1 TeV)2; dies bedeutet, dass eineWIMP-Masse von einigen Hundert GeV gerade zu ei-nem ΩWIMP ≈ Ωm ∼ 0.3 führen würde. Die nächsteGeneration von Teilchenbeschleunigern, speziell derLarge Hadron Collider am CERN, der in 2007 seinenBetrieb aufnehmen soll, kann ein solches Teilchen imLabor nachweisen, falls es denn existiert. In der Tat

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168

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

sagt die vielleicht erfolgversprechendste Erweiterungdes Standardmodells der Teilchenphysik – das Modellder Supersymmetrie – vorher, dass es ein stabiles Teil-chen mit einer Masse von einigen hundert GeV gebensollte, das Neutralino.

Wir haben in der Behandlung der BBN implizit an-genommen, dass es nicht mehr als drei (relativistische,d. h. mit mν < 1 MeV) Neutrino-Familien gibt. FallsNν > 3, ändern sich die quantitativen Vorhersagen ausder BBN, denn dann verläuft die Expansion schneller[siehe (4.55)], weil ρ(T) größer ist, so dass weniger Zeitbis zum Abkühlen auf TD vergeht – daher zerfallen we-niger Neutronen und der Heliumgehalt steigt. Aus derBBN wurde schon vor 1990 (allerdings mit einigerma-ßen großen Unsicherheiten) geschlossen, dass Nν = 3.Im Jahre 1990 wurde aus dem Zerfall des Z-Bosons derWert Nν = 3 im Labor bestätigt.

Um die Schlussfolgerung auf einen dominanten An-teil nicht-baryonischer Materie zu umgehen, wurdeninhomogene Modelle der BBN untersucht, doch erge-ben sich auch mit ihnen zu kleine Werte von Ωb, so dasssie keine Alternative darstellen.

4.4.5 Rekombination

Nach ca. 3 Minuten ist die BBN abgeschlossen. DasUniversum ist dann etwa T ∼ 8×108 K heiß, bestehtaus Photonen, Protonen, Helium-Kernen, Spuren ande-rer leichter Elemente und Elektronen; hinzu kommenNeutrinos, die gemeinsam mit den Photonen die Ener-giedichte und damit die Expansionsrate dominieren,und (wahrscheinlich) WIMPs. Bis auf die Neutrinosund die WIMPs haben alle Teilchensorten die gleicheTemperatur, was durch Wechselwirkung der geladenenTeilchen mit den Photonen, die eine Art ,,Wärmebad“darstellen, erreicht wird.

Bei z = zeq ≈ 23 900 Ωm h2 beginnt die Materie (d. h.der Staub), die Energiedichte im Universum, und damitdie Expansionsrate, zu dominieren. In (4.31) ist da-nach der zweite Term der größte, also H2 ≈ H2

0 Ωm/a3.Indem wir wieder ein Potenzgesetz ansetzen, a ∝ tβ ,erhalten wir durch Einsetzen β = 2/3, und damit

a(t) =(

3

2

√Ωm H0 t

)2/3

für aeq a 1 .

(4.64)

Dieses Verhalten gilt so lange, bis entweder der Krüm-mungsterm oder, falls dieser Null ist, der Λ-Term zudominieren beginnt.

Nach weiterer Abkühlung können sich die freienElektronen mit den Kernen zu neutralen Atomen verbin-den. Man nennt diesen Prozess Rekombination, obwohldies ein etwas irreführender Begriff ist: Da das Uni-versum bis dahin vollständig ionisiert war, handelt essich nicht um eine Rekombination – aber der Begriffhat sich eingebürgert. Die Rekombination zwischenElektronen und Kernen konkurriert mit der Ionisationneutraler Atome durch energetische Photonen (Pho-toionisation); die Ionisation durch Stöße ist dagegenvöllig unwichtig, weil η – (4.59) – so klein ist. DaPhotonen so viel zahlreicher sind als Elektronen, mussmit dem gleichen Argument wie bei der Bildungvon Deuterium die Abkühlung bis weit unter die Io-nisationstemperatur fortschreiten, bevor sich neutraleAtome effizient bilden können. Die Ionisationsenergiedes Wasserstoffs beträgt χ = 13.6 eV, entsprechend ei-ner Temperatur T > 105 K, aber aus oben genanntemGrund muss T erst auf ∼ 3000 K sinken, bevor derIonisationsgrad

x = Anzahldichte der freien Elektronen

Anzahldichte der insgesamt vorh. Protonen

(4.65)

deutlich unter 1 fällt. Für Temperaturen T > 104 K istx ≈ 1, praktisch alle Elektronen sind ungebunden. Erstbei z ∼ 1300 ist x merklich von 1 verschieden.

Der Beginn der Rekombination kann wiederumdurch eine Gleichgewichtsbetrachtung beschriebenwerden, die auf die sog. Saha-Gleichung führt,

1− x

x2≈ 3.84 η

(kBT

mec2

)3/2

exp

kBT

),

die den Ionisationsgrad als Funktion der Tempera-tur beschreibt. Allerdings ist nach dem Einsetzen derRekombination die Annahme des thermodynamischenGleichgewichts nicht mehr gerechtfertigt, wie folgendeÜberlegung ergibt:

Jede Rekombination direkt in den Grundzustandsetzt ein Photon der Energie Eγ > χ frei. Diese Pho-tonen können jedoch andere bereits rekombinierte (alsoneutrale) Atome ionisieren. Aufgrund des großen Wir-kungsquerschnitts der Photoionisation geschieht dies

Page 182: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.4 Thermische Geschichte des Universums

169

auch, so dass für jede Rekombination in den Grundzu-stand ein neutrales Atom ionisiert wird, der Netto-Effektalso verschwindet. Die Rekombination kann aber auchschrittweise erfolgen, erst in einen angeregten Zustand,danach geht das Atom durch Strahlungsübergänge inden Grundzustand über. Jede solche Rekombinationsetzt beim Übergang vom ersten angeregten Zustandin den Grundzustand ein Lyα-Photon frei. Dieses Lyα-Photon wird sofort ein anderes Atom vom Grundzustandin den ersten angeregten Zustand heben, von dem ausdie Ionisationsenergie nur noch χ/4 beträgt. Dadurchkönnen also netto keine Atome im Grundzustand er-zeugt werden, und da die Dichte von Photonen mitEγ > χ/4 sehr viel größer ist als die mit Eγ > χ, sindangeregte Atome deutlich einfacher zu ionisieren, wasdann auch wieder geschieht. Also ist auch diese stu-fenweise Rekombination kein Weg zu einem kleinenIonisationsgrad.

Diese Prozesse führen dazu, dass die kleine Störungdes Planck-Spektrums durch Rekombinationsstrahlung(im Bereich χ � kBT ) die Rekombination erschwert.Diese Störungen des Planck-Spektrums können nichtschnell genug ausgeglichen werden – im Gegen-satz zu Gasnebeln wie HII-Regionen, bei denendie Lyα-Photonen aufgrund der endlichen Geometrieentkommen können.

Die Rekombination findet letztendlich über einensehr seltenen Prozess statt, dem Zwei-Photonen-Zerfalldes ersten angeregten Zustands. Dieser ist zwar etwa108 mal seltener als der direkte Lyα-Übergang, erzeugtaber zwei Photonen, die beide nicht mehr energetischgenug sind, um ein Atom vom Grundzustand aus anre-gen zu können. Dieser 2γ -Übergang ist also eine Senkeenergetischer Photonen. Die Betrachtung aller relevan-ten Prozesse in einer Bilanzgleichung ergibt für denIonisationsgrad im relevanten Rotverschiebungsbereich800� z � 1200

x(z) = 2.4×10−3

√Ωm h2

Ωb h2

( z

1000

)12.75. (4.66)

Der Ionisationsgrad ist also eine sehr starke Funktionder Rotverschiebung, denn über einen relativ kleinenRotverschiebungsbereich ändert sich x von 1 – voll-ständiger Ionisation – zu x ∼ 10−4, wo dann praktischnur noch neutrale Atome vorhanden sind. Allerdings

ist die Rekombination nicht vollständig. Ein kleinerIonisationsgrad von x ∼ 10−4 bleibt übrig, da die Re-kombinationsrate für kleine x kleiner wird als dieExpansionsrate – ein paar Kerne finden nicht schnellgenug ein Elektron, bevor die Dichte des Universumszu klein wird. Aus (4.66) kann man die optische Tiefefür die Thompson-Streuung (Streuung von Photonen anfreien Elektronen) berechnen,

τ(z) = 0.37( z

1000

)14.25, (4.67)

die praktisch unabhängig von den kosmologischen Pa-rametern ist. Aus (4.67) folgt, dass sich Photonenvon z ∼ 1000 (der ,,last-scattering surface“) bis heuteausbreiten, ohne wesentlich mit der Materie zu wech-selwirken – jedenfalls solange die Wellenlänge größerals 1216 Å ist. Für Photonen kleinerer Wellenlängeist der Wirkungsquerschnitt für die Absorption anneutralen Atomen groß. Wenn wir diese sehr energe-tischen Photonen hier vernachlässigen – ihre Energieist � 10 eV, verglichen mit Trec ∼ 0.3 eV, also weitim Wien-Schwanz der Planck-Verteilung – so folgernwir, dass sich die Photonen, die im frühen Univer-sum vorhanden waren, bis heute ungestört ausbreitenkönnen. ,,Damals“ besaßen sie ein Planck-Spektrum,und wie wir in Abschn. 4.3.2 diskutiert haben, bleibtdie Verteilung ein Planck-Spektrum, nur mit sichänderndem T – diese Photonen sollten also heuterotverschoben im Mikrowellenbereich zu beobachtensein.

Die Betrachtung des frühen Universums sagt einethermische Strahlung aus dem Urknall vorher, wievon George Gamow 1946 erkannt wurde – derkosmische Mikrowellenhintergrund; der CMB istdaher ein sichtbares Überbleibsel des Big Bang.

Der CMB wurde 1965 durch Arno Penzias & RobertWilson entdeckt (siehe Abb. 4.15), die dafür 1978 denPhysik-Nobelpreis erhielten. Der Satellit COBE hat An-fang der 90er Jahre das Spektrum des CMB sehr genauvermessen – es ist der genaueste je gemessene Schwarz-körper (siehe Abb. 4.3). Aus der oberen Schranke vonAbweichungen vom Planck-Spektrum kann man sehrenge Grenzen an mögliche spätere Energie-Einspeisung

Page 183: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

170

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Abb. 4.15. Die ersten Zeilen des Artikels von Penzias &Wilson 1965, ApJ 142, 419

in das Photonengas und damit an energetische Prozesseim Universum erhalten.4

Wir haben hier nur die Rekombination vonWasserstoff betrachtet. Da Helium eine höhere Io-nisationsenergie besitzt, rekombiniert es früher alsWasserstoff. Obwohl die Rekombination einen relativscharfen Übergang darstellt, besagt (4.67), dass wirPhotonen aus einer Rekombinationsschicht endlicherDicke (Δz ∼ 60) erhalten. Dieser Aspekt wird späternoch von Bedeutung sein.

Das Gas im intergalaktischen Medium bei klei-neren Rotverschiebungen ist hochgradig ionisiert.Wäre das nicht der Fall, könnten wir keine UV-Photonen von Quellen großer Rotverschiebung erhalten(,,Gunn–Peterson-Test“, siehe Abschn. 8.5.1). Heutesind Quellen mit z > 6 bekannt, und von diesen sehenwir auch Photonen auf der blauen Seite der Lyα-Linie.Spätestens zu diesem Zeitpunkt muss das Universumfast vollständig ionisiert worden sein, denn ansons-ten würden diese Photonen durch Photoionisation vonneutralem Wasserstoff absorbiert. Dies bedeutet, ir-gendwann zwischen z ∼ 1000 und z ∼ 6 muss eineReionisation des intergalaktischen Mediums stattge-funden haben, vermutlich durch eine erste Generationvon Sternen oder durch die ersten AGNs. Die Ergeb-nisse des neuen CMB-Satelliten WMAP legen eineReionisations-Rotverschiebung von z ∼ 17 nahe. Wirwerden in Abschn. 8.7 näher darauf eingehen.

4Beispielsweise gibt es einen Röntgen-Hintergrund (X-ray back-ground, XRB), eine zunächst als isotrop gemessene Strahlung. Einemögliche Erklärung dafür war lange Zeit ein heißes intergalaktischesMedium bei einer Temperatur von kBT ∼ 40 keV, welches Brems-strahlung emittiert. Ein solches heißes intergalaktisches Gas würdeallerdings das Spektrum des CMB durch Streuung der CMB-Photonenan energetischen Elektronen (inverse Compton-Streuung) modifizie-ren und ist als Quelle des XRB durch COBE ausgeschlossen worden.Nach den Beobachtungen der Röntgensatelliten ROSAT, Chandra undXMM-Newton mit ihrer guten Winkelauflösung wissen wir, dass derXRB eine Überlagerung der Strahlung von diskreten Quellen ist,hauptsächlich AGNs.

4.4.6 Zusammenfassung

Auch diesen längeren Abschnitt wollen wir kurzzusammenfassen:

• Unser Universum begann aus einem sehr dich-ten, sehr heißen Zustand, dem sog. Urknall (BigBang); kurz darauf bestand es aus einer Mischungder verschiedendsten Elementarteilchen, die allemiteinander wechselwirkten.

• Nachdem sich das Universum durch die Expan-sion soweit abgekühlt hat, dass nur noch die unsvertrauten Teilchen übrig geblieben sind (Elektro-nen, Protonen, Neutronen, Neutrinos, und Photonen),kann man die Geschichte des Universums im Detailuntersuchen. Wegen ihrer schwachen Wechselwir-kung und der abnehmenden Dichte wechselwirkendie Neutrinos sehr wenig bei Temperaturen unterhalbvon ∼ 1010 K, man sagt, sie ,,entkoppeln“.

• Bei T ∼ 5×109 K annihilieren Elektronen undPositronen zu Photonen, wegen der niedrigen Tem-peratur findet dann keine Paarerzeugung mehrstatt.

• Protonen und Neutronen wechselwirken und bildenzunächst Deuterium-Kerne; sobald T ∼ 109 K wer-den diese nicht mehr von den hochenergetischenPhotonen zerstört. Weitere Kernreaktionen erzeu-gen im wesentlichen Helium-Kerne. Etwa 25% derMasse in Nukleonen wird zu He umgewandelt,Spuren von Lithium werden erzeugt, aber keineschwereren Elemente.

• Bei etwa T ∼ 3000 K verbinden sich die Protonenund Helium-Kerne mit den Elektronen, und das Uni-versum wird neutral (man sagt, es ,,rekombiniert“).Danach können sich die Photonen ungehindert ohneWechselwirkung ausbreiten. Die Photonen besitzennach der Rekombination eine Schwarzkörperver-teilung (d. h. ein thermisches Spektrum, oder einePlanck-Verteilung). Durch die Expansion ändert sichdie Temperatur, T ∝ (1+ z)−1, nicht jedoch diePlanck-Eigenschaft der spektralen Verteilung.

• Nach der Rekombination ist die Materie im Uni-versum fast vollständig neutral. Allerdings wissenwir aus Beobachtungen von Quellen sehr hoher Rot-verschiebung, dass das intergalaktische Medium imWesentlichen vollständig ionisiert ist für z � 6. Ir-gendwann vor z > 6 muss das Universum daherionisiert worden sein. Dieser Effekt ist nicht mehr im

Page 184: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells

171

Rahmen der strikt homogenen Weltmodelle zu erklä-ren, sondern muss im Rahmen der Strukturbildungim Universum und der Bildung der ersten Sterne undAGNs untersucht werden. Wir werden diese Aspektein Abschn. 9.4 diskutieren.

4.5 Erfolge und Problemedes Standardmodells

Zum Abschluss dieses Kapitels wollen wir den In-halt unseres hier dargestellten kosmologischen Modellsbewerten; wir betrachten dazu seine Erfolge, aberauch scheinbare Probleme, und zeigen Wege auf, wiediese möglicherweise zu verstehen sind – wie immerin den Naturwissenschaften bilden Probleme mit ei-nem ansonsten sehr erfolgreichen Modell oftmals denSchlüssel für neue, tiefergehende Erkenntnisse.

4.5.1 Erfolge

Das oben beschriebene Standardmodell des Friedmann-Lemaître-Universums hat viele beeindruckende Erfolgevorzuweisen:

• Es sagt vorher, dass relativ wenig prozessiertes (d. h.metallarmes) Gas einen Heliumanteil von ∼ 25% ha-ben sollte, in hervorragender Übereinstimmung mitden Beobachtungen.

• Es sagt vorher, dass Quellen mit niedriger Rotver-schiebung näher bei uns sind als solche größererRotverschiebung.5 Daher muss, modulo Pekuliarge-schwindigkeiten, eine Absorption von Strahlung vonQuellen großer Rotverschiebung bei kleineren Rot-verschiebungen erfolgen, und bislang ist noch keineinziges Gegenbeispiel gefunden worden.

• Es sagt die Existenz des Mikrowellenhintergrundsvorher, der dann auch gefunden wurde.

• Es sagt die richtige Anzahl von Neutrino-Familienvorher, wie durch den Zerfall des Z-Bosons bestätigtwurde.

Weitere Erfolge werden dann besprochen, wenn wir dieStrukturentwicklung im Universum diskutieren.5Wir ignorieren an dieser Stelle Pekuliarbewegungen, die eine zu-sätzliche (Doppler-)Rotverschiebung erzeugen können; diese sindtypischerweise � 1000 km/s und daher meist klein gegenüber derkosmologischen Rotverschiebung.

Ein gutes physikalisches Modell ist immer auchfalsifizierbar. Auch in dieser Hinsicht ist das Friedmann-Lemaître-Universum ein sehr gutes Modell, denn durcheine einzige Beobachtung könnte dieses Modell min-destens in große Schwierigkeiten geraten, wenn nichtgar zu Fall gebracht werden. Es wäre mit dem Modellunverträglich,

1. wenn der Helium-Gehalt einer Gaswolke oder einesSterns mit kleiner Metallizität deutlich unter 25% be-trüge;

2. wenn man feststellen würde, dass eines der Neutri-nos eine Ruhemasse von � 100 eV hätte;

3. wenn der Wien-Teil des CMB gegenüber demPlanck-Spektrum eine kleinere Amplitude hätte;

4. wenn eine Quelle mit Emissionslinien bei ze Absorp-tionslinien mit za � ze besäße;

5. wenn die kosmologischen Parameter so wären, dasst0 � 10 Gyr.

Zu (1): Während der Helium-Gehalt sich durchdie Sternentwicklung erhöhen kann, indem Wasser-stoff zu Helium fusioniert wird, verbrennt seinerseitsnur ein kleiner Bruchteil von Helium in Sternen. Beidiesem Prozess werden natürlich schwerere Elementeerzeugt. Eine Gaswolke oder ein Stern mit kleinerMetallizität kann daher nicht aus Material bestehen,wo Helium vorher vernichtet wurde, so dass seinHelium-Anteil mindestens den Wert aus der BBN habenmuss. Zu (2): Ein solches Neutrino würde zu Ωm > 2führen, in scharfem Widerspruch zu den abgeleite-ten Modellparametern. Zu (3): Es ist zwar möglich,durch energetische Prozesse im Universum zusätzli-che Photonen zu erzeugen, so dass der Wien-Teildes summierten Spektrums größer sein kann als dereiner Planck-Funktion, es ist aber thermodynamischnicht möglich, dem Wien-Teil Photonen zu entnehmen.Zu (4): Eine solche Beobachtung würde die Rotver-schiebung als monotones Maß der relativen Entfernungin Frage stellen und daher einen der Pfeiler des Modellsbeseitigen. Zu (5): Unsere Kenntnisse der Sternent-wicklung reichen aus, das Alter der ältesten Sternemit mindestens 20% Genauigkeit zu bestimmen. EinWeltalter unterhalb von ∼ 10 Gyr wäre unverträglichmit dem Alter von Kugelsternhaufen – diese müssenjünger sein als das Weltalter, d. h. die Zeit seit demUrknall.

Page 185: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

172

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Obwohl diese Vorhersagen seit mehr als 30 Jahrenbekannt sind, ist bislang keine Beobachtung gemachtworden, die das Standardmodell widerlegt. Dabeihat es zu jeder Zeit Astronomen gegeben, die demStandardmodell gegenüber kritisch eingestellt wa-ren und die daher versucht haben, eine solche,das Modell in große Schwierigkeiten bringendeEntdeckung zu machen – sie ist aber bislang nichtgemacht worden (was nicht heißt, dass in der Li-teratur solche Ergebnisse nicht zu finden sind, siehielten aber einer genaueren Prüfung nicht stand). Esist diese leichte Falsifizierbarkeit und das Fehlen einesentsprechenden Beobachtungsbefunds, die zusammenmit den oben genannten Erfolgen das Friedmann-Lemaître-Modell zum Standardmodell der Kosmologiehaben werden lassen. Alternative kosmologische Mo-delle sind entweder bereits durch Beobachtungenausgeschlossen worden (wie z. B. die ,,steady-stateKosmologie“), oder aber sind nicht vorhersagekräf-tig – zurzeit gibt es keine ernsthafte Alternative zumStandardmodell.

4.5.2 Probleme des Standardmodells

Neben diesen Erfolgen gibt es einige Aspekte diesesModells, die zumindest weiter zu hinterfragen sind. Wirbetrachten zwei Probleme des Standardmodells etwasgenauer, das Horizont-Problem und das Problem derFlachheit.

Horizonte. Die endliche Ausbreitungsgeschwindigkeitdes Lichts impliziert, dass wir nur einen endlichenAusschnitt des Universums überhaupt beobachten kön-nen, nämlich die Regionen, von denen aus das Lichtuns in der Zeit t0 erreichen konnte. Da t0 ≈ 13.5 Gyr,hat – grob gesprochen – das für uns sichtbare Uni-versum einen Radius von 13.5 Milliarden Lichtjahren.Bereiche des Universums, die weiter von uns ent-fernt sind, bleiben bis heute für uns unbeobachtbar.Es gibt also einen Horizont, über den hinaus wirnicht schauen können. Solche Horizonte gibt es nichtnur für uns: Zu einem früheren Zeitpunkt t wardie Größe des Horizonts etwa ct, also kleiner alsheute. Wir wollen diesen Aspekt nun quantitativbeschreiben.

Im Zeitintervall dt legt das Licht die Strecke c dtzurück, wobei dies bei dem Skalenfaktor a einem

mitbewegten (comoving) Längenintervall dx = c dt/aentspricht. Seit dem Urknall bis zur Zeit t (bzw. biszur Rotverschiebung z) kann das Licht eine mitbewegteEntfernung von

rH,com(z) =t∫

0

c dt

a(t)

zurücklegen. Mit a = da/dt folgt dt = da/a =da/(aH), so dass

rH,com(z) =(1+z)−1∫

0

c da

a2 H(a). (4.68)

Falls zeq � z � 0, kommt der Hauptbeitrag des In-tegrals von Zeiten (oder Werten von a), in denenStaub die Expansionsrate H dominiert. Dann ist nach(4.31) H(a) ≈ H0

√Ωma−3/2, und mit (4.68) ergibt sich

dann

rH,com(z) ≈ 2c

H0

1√(1+ z)Ωm

für zeq � z � 0 .

(4.69)

Für frühere Phasen, z � zeq, ist H strahlungsdominiert,H(a) ≈ H0

√Ωr/a2, und dann ergibt (4.68)

rH,com(z) ≈ c

H0√

Ωr

1

(1+ z)für z � zeq .

(4.70)

Je weiter man in die Vergangenheit zurückgeht, umso kleiner wird die mitbewegte Länge des Horizonts,wie auch zu erwarten war. Speziell betrachten wir nunden Zeitpunkt der Rekombination, zrec ∼ 1000, für den(4.69) gilt (siehe Abb. 4.16). Der mitbewegten LängerH,com entspricht die physikalische Eigenlänge (properlength) von rH,prop = a rH,com , somit also

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4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells

173

Abb. 4.16. Das Horizont-Problem: Der Raumbereich, der vorder Rekombination im kausalen Kontakt stand, hat einen sehrviel kleineren Radius als die räumliche Entfernung zwischenzwei Bereichen, von denen aus uns der CMB erreicht. Daherstellt sich die Frage, woher diese beiden Bereiche voneinan-der ,,wissen“, welche Temperatur sie haben. Im Rahmen desinflationären Modells jedoch standen diese Bereiche in derFrühzeit des Universums miteinander im kausalen Kontakt,so dass sie ihre Temperaturen ,,abgleichen“ konnten

rH,prop(zrec) = 2c

H0Ω−1/2

m (1+ zrec)−3/2 (4.71)

als Horizontlänge bei der Rekombination. Man kannnun ausrechnen, welchem Winkel am Himmel dieseLänge entspricht,

θH,rec = rH,rec

DA(zrec),

wobei DA die Winkelentfernung (4.45) zur ,,last scat-tering surface“ des CMB ist. Mit (4.47) findet man fürz � 1, dass im Falle ΩΛ = 0

DA(z) ≈ c

H0

2

Ωm zfür z � 1 ,

so dass

θH,rec ≈√

Ωm

zrec∼

√Ωm

30∼√Ωm 2◦ für ΩΛ = 0 .

(4.72)

Das bedeutet, die Horizontlänge bei der Rekombinationnimmt heute einen Winkel von etwa einem Grad amHimmel ein.

Das Horizont-Problem: Da sich kein Signalschneller als Licht ausbreiten kann, bedeutet (4.72),dass die CMB-Strahlung aus zwei Richtungen, diemehr als etwa ein Grad getrennt sind, aus Ge-bieten stammt, die bis zu dem Zeitpunkt, als dieCMB-Photonen das letzte Mal mit Materie wech-selwirkten, nicht im kausalen Kontakt standen –d. h., diese beiden Gebiete konnten nie miteinanderInformation austauschen, z. B. über ihre Tempera-tur. Trotzdem ist ihre Temperatur gleich, denn derCMB ist bis auf kleine Anisotropien der relativenAmplitude ∼ 10−5 isotrop!

Dichteparameter als Funktion der Rotverschiebung.Wir haben die Dichteparameter Ωm und ΩΛ defi-niert als heutige Dichte, dividiert durch die kritischeMassendichte ρcr heute. Man kann diese Definitio-nen verallgemeinern: Falls wir zu einem anderenZeitpunkt existierten, hätten die Dichten und dieHubble-Konstante andere Werte, und wir kämen zuanderen Werten für die Dichteparameter. Daher definie-ren wir den totalen Dichteparameter für eine beliebigeRotverschiebung

Ω0(z) = ρm(z)+ρr(z)+ρv

ρcr(z), (4.73)

wobei die kritische Dichte ρcr ebenfalls eine Funktionder Rotverschiebung ist,

ρcr(z) = 3H2(z)

8πG. (4.74)

Setzt man nun (4.24) in (4.73) ein, so findet man

Ω0(z) =(

H0

H

)2 (Ωm

a3+ Ωr

a4+ΩΛ

).

Unter Benutzung von (4.31) ergibt sich daraus

1−Ω0(z) = F [1−Ω0(0)] , (4.75)

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174

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

wobei Ω0(0) der totale Dichteparameter heute ist, und

F =(

H0

a H(a)

)2

. (4.76)

Aus (4.75) kann man nun zwei wichtige Schlussfolge-rungen ziehen. Da F > 0 für alle a, bleibt das Vorzeichenvon Ω0 −1 stets erhalten und ist daher zu allen Zeitendas gleiche wie heute. Weil das Vorzeichen von Ω0 −1das gleiche ist wie das der Krümmung, siehe (4.30),bleibt das Vorzeichen der Krümmung des Universum er-halten: Ein flaches Universum ist zu allen Zeiten flach,ein geschlossenes Universum mit K > 0 ist zu allenZeiten positiv gekrümmt.

Die zweite Schlussfolgerung ergibt sich durch dieBetrachtung des Faktors F zu frühen kosmischen Epo-chen, z. B. bei z � zeq, also im strahlungsdominiertenUniversum. Dort gilt mit (4.31)

F = 1

Ωr(1+ z)2,

so dass für sehr frühe Zeiten F sehr klein wird. Bei-spielsweise bei z ∼ 1010, der Epoche des Ausfrierensder Neutrinos, ist F ∼ 10−15. Heute ist Ω0 von der Grö-ßenordnung 1, aber nicht notwendigerweise genau 1.Aus Beobachtungen wissen wir, dass 0.1�Ω0(0)� 2ist, wobei dies eine sehr großzügige Abschätzung ist(seit den neueren CMB-Messungen können wir die-ses Intervall auf etwa [0.97,1.04] einschränken), also|1−Ω0(0)|� 1. Da F so klein wird für große Rot-verschiebungen, bedeutet dies, dass Ω0(z) sehr sehrnahe bei 1 gewesen sein muss, z. B. bei z ∼ 1010 musste|Ω0 −1|� 10−15 gelten.

Flatness-Problem: Damit der totale Dichtepara-meter heute von der Größenordnung 1 sein kann,muss er zu sehr frühen Zeiten extrem nahe bei 1gewesen sein, das bedeutet, dass eine sehr präzise,,Feinabstimmung“ dieser Größe notwendig war.

Diesen Aspekt kann man sich sehr gut anhand einesanderen physikalischen Beispiels klarmachen. Wennwir ein Objekt in die Höhe werfen, so dauert es einpaar Sekunden, bis es wieder den Erdboden erreicht,umso länger, je größer die Wurfgeschwindigkeit ist.Wollen wir die Flugzeit verlängern, muss die Anfangs-geschwindigkeit erhöht werden, etwa mit einer Kanone;damit kann die Flugzeit auf bis zu etwa einer Minute

vergrößert werden. Angenommen, wir wollten, dass einObjekt frühestens nach einem Tag wieder hinabstürzt,dann muss es mit einer Rakete hochgeschossen werden.Nun wissen wir aber, dass, wenn die Anfangsgeschwin-digkeit der Rakete den Wert der Fluchtgeschwindigkeitvon vesc ∼ 11.2 km/s übersteigt, sie für immer demSchwerefeld der Erde entkommt, also nicht zurückfällt.Falls die Anfangsgeschwindigkeit aber deutlich untervesc liegt, fällt das Objekt in deutlich weniger als einemTag zurück. Man muss die Anfangsgeschwindigkeitalso sehr genau wählen, damit das Objekt zurückkehrt,aber mindestens einen Tag lang fliegt.

Das Flatness-Problem ist dazu völlig analog. WäreΩ0 bei z ∼ 1010 nicht so extrem nahe bei 1 gewesen,so wäre das Universum schon lange wieder rekolla-biert, oder aber hätte sich deutlich stärker ausgedehnt,als dies der Fall ist. Die Konsequenzen wären in bei-den Fällen katastrophal für die Entwicklung von Lebenim Universum. Im ersten Fall wäre die Gesamtlebens-dauer des Universums sehr viel kürzer, als man zurBildung der ersten Sterne, der ersten Planetensystemebenötigte, so dass sich in einer solchen Welt kein Le-ben bilden könnte. Im zweiten Fall wäre aufgrund derextremen Expansion die Bildung von Strukturen imUniversum verhindert gewesen, d. h. auch in einemsolchen Universum könnte sich kein Leben gebildethaben.

Diese Betrachtung kann folgendermaßen interpre-tiert werden: Wir leben in einem Universum, das zueinem sehr frühen Zeitpunkt einen sehr fein abgestimm-ten Dichteparameter hatte, da sich nur in einem solchenUniversum Leben bildet und es Astronomen gibt, diedie Flachheit des Universums untersuchen. In anderendenkbaren Universen gäbe es das nicht. Eine solche Be-trachtungsweise wäre nur dann sinnvoll, wenn es einegroße Anzahl von Universen gäbe – dann sollten wiruns nicht allzusehr wundern, in einem von denen zu le-ben, wo diese anfängliche Feinabstimmung stattfand –in allen anderen gäbe es uns und die Frage nach denkosmologischen Parametern ja nicht. Diese Betrach-tungsweise nennt man das anthropische Prinzip. Eskann entweder als ,,Erklärung“ für die Flachheit unseresUniversums betrachtet werden, oder aber als Kapitula-tion – als ein Aufgeben vor der Lösung der Frage nachder Ursache für die Flachheit des Universums.

Das obige Beispiel hilft, einen weiteren Aspekt derkosmischen Expansion zu verstehen. Falls die Rakete

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4.5 Erfolge und Probleme des Standardmodells

175

eine sehr lange Flugzeit haben, aber nicht aus demSchwerefeld der Erde entkommen soll, muss ihre An-fangsgeschwindigkeit sehr sehr nahe bei vesc liegen. Mitanderen Worten, die Summe aus kinetischer und poten-tieller Energie muss betragsmäßig sehr viel kleiner seinals beide Komponenten. Dies gilt auch für einen Groß-teil der anfänglichen Flugbahn. Unabhängig von demgenauen Wert der Flugzeit kann man daher den Beginnder Trajektorie sehr gut durch den Grenzfall v0 = vesc

approximieren, bei dem die Gesamtenergie gerade Nullist. Übertragen auf die Hubble-Expansion liest sich dasso: Unabhängig von den genauen Werten der kosmolo-gischen Parameter kann zu Beginn der Expansion stetsder Krümmungsterm vernachlässigt werden (wie wir jaauch bereits oben gesehen haben). Das liegt daran, dassunser Universum nur dann das heutige Alter erreichenkann, wenn in seiner Frühzeit die potentielle und ki-netische Energie betragsmäßig fast genau gleich waren,d. h. der Krümmungsterm in (4.14) sehr viel kleiner warals die beiden anderen Terme.

4.5.3 Erweiterung des Standardmodells; Inflation

Wir wollen das Horizont- und das Flatness-Problemhier zunächst aus einer anderen, technischeren Sicht be-trachten. Die Einsteinschen Feldgleichungen der ART,deren Lösung hier als Weltmodell beschrieben wordenist, sind ein System gekoppelter partieller Differen-tialgleichungen. Wie stets bei Differentialgleichungensind die Lösungen bestimmt (1) durch das Gleichungs-system selbst und (2) durch die Anfangsbedingungen.Wenn z. B. bei t = 1 s die Anfangsbedingungen so sind,wie sie hier beschrieben wurden, dann gibt es die bei-den obigen ,,Probleme“ nicht. Aber warum sind dieBedingungen bei t = 1 s so, dass sie ein homogenes,isotropes, fast flaches Modell erlauben? Die Mengeder homogenen und isotropen Lösungen der Einstein-Gleichung ist vom Maße Null (d. h. fast alle Lösungender Einstein-Gleichung sind nicht homogen und iso-trop), sie sind also sehr speziell. Die Sichtweise, dassdie Anfangsbedingungen ,,nun einmal so waren“, istnatürlich unbefriedigend, da sie nichts erklärt. Nebendem anthropischen Prinzip kann eine Antwort auf dieseFrage nur so lauten: Noch frühere Prozesse (mit bekann-ter oder bislang unbekannter Physik) haben zu solchen,,Anfangsbedingungen“ geführt, es gibt also einen phy-sikalischen Grund dafür. Einen solchen Grund glauben

die Kosmologen in dem Modell der Inflation gefundenzu haben.

Inflation. Anfang der 80er Jahre wurde ein Modellentwickelt, welches diese beiden Probleme (und ei-nige andere mehr) physikalisch löst. Dazu stellt manzunächst fest, dass die physikalischen Gesetze der Ele-mentarteilchen gut bekannt sind bis hin zu Energien∼ 100 GeV, denn diese wurden experimentell mit Be-schleunigern überprüft. Für größere Energien sind dieTeilchen und ihre Wechselwirkungen unbekannt. Diesbedeutet, dass die Geschichte des Universums, wie obenskizziert, nur ab Energien von etwa 100 GeV als gut ge-sichert gelten kann. Die Extrapolation zu noch früherenZeiten (also bis zum Urknall) ist deutlich unsicherer.Aus der Teilchenphysik erwartet man neue Phänomenebei der Energieskala der ,,Grand Unified Theories“(GUTs), etwa bei 1014 GeV, entsprechend t ∼ 10−34 s.

Im Szenario der Inflation nimmt man an, dassbei sehr frühen Zeiten die Vakuumsenergiedichte sehrviel größer war als heute, so dass dann ΩΛ dieHubble-Expansion dominiert hat. Dann folgt aus (4.18),dass a/a ≈ √

Λ/3. Das impliziert eine exponentielleExpansion des Universums,

a(t) = C exp

(√Λ

3t

). (4.77)

Offensichtlich kann diese exponentielle Expansion(oder inflationäre Phase) nicht ewig andauern: nimmtman an, dass es zu einem Phasenübergang kommt, beidem die Vakuumsenergiedichte in normale Materie undStrahlung umgewandelt wird, stoppt die exponentielleExpansion, und die normale Friedmann-Entwicklungdes Universums beginnt. Die Abb. 4.17 skizziert dieExpansionsgeschichte des Universums im inflationärenModell.

Inflation löst das Horizont-Problem. Während der In-flation ist H(a) = √

Λ/3 konstant, so dass das Integral(4.68) für die mitbewegte Horizontlänge formal diver-giert. Daraus folgt, dass durch die inflationäre Phase derHorizont beliebig groß werden kann, abhängig von derDauer der exponentiellen Expansion. Zur Illustrationbetrachten wir ein sehr kleines Raumgebiet mit Aus-dehnung L < cti zur Zeit ti ∼ 10−34 s vor Beginn derInflation, welches im kausalen Kontakt ist. Durch dieInflation dehnt es sich um ein Vielfaches aus, z. B. um

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176

4. Kosmologie I: Homogene isotrope Weltmodelle

Abb. 4.17. Während einer inflationären Phase, die hier durchden grauen Balken angedeutet ist, expandiert das Universumexponentiell; siehe (4.77). Diese Phase wird beendet, wenndurch einen Phasenübergang die Vakuumsenergie in Materieund Strahlung umgewandelt wird, und danach das Universumnormale Friedmann-Expansion durchläuft

einen Faktor ∼ 1040; aus ursprünglich L ∼ 10−24 cmwerden dann am Ende der inflationären Phase beitf ∼ 10−32 s etwa 1016 cm. Die danach (für t > tf) er-folgende ,,normale“ kosmische Expansion dehnt diesesRaumgebiet bis heute um einen weiteren Faktor ∼ 1025

aus, auf ∼ 1041 cm – und dies ist wesentlich größerals das heutige sichtbare Universum, also als c/H0!Nach diesem Szenario war also das gesamte heute sicht-bare Universum vor Beginn der Inflation in kausalemKontakt, so dass die Homogenität der physikalischenBedingungen bei der Rekombination, und daher diebeinahe perfekte Isotropie des CMB, durch kausaleProzesse gewährleistet werden kann.

Die Inflation löst auch das Flatness-Problem. Durchdie gewaltige Ausdehnung wird jede ursprünglicheKrümmung ,,weggeglättet“ (siehe Abb. 4.18). Formalsieht man dies so, dass während der inflationärenPhase

ΩΛ = Λ

3H2= 1 ,

und da angenommen wird, die inflationäre Phase dauerelange genug, so dass Vakuumsenergie gegen deren Ende

Abb. 4.18. Durch die gewaltige Ausdehnung während der In-flation wird auch ein Universum mit Raumkrümmung wie einflaches Universum aussehen

völlig dominiert, ist dann Ω0 = 1, das Universum istalso in extrem guter Näherung flach.

Daher macht das inflationäre Modell des sehr frü-hen Universums die Vorhersage, dass auch heutenoch sehr genau Ω0 = 1 gilt (alle anderen Wertefür Ω0 würden wiederum einer ,,Feinabstimmung“bedürfen), das Universum also flach ist.

Die physikalischen Einzelheiten des inflationärenSzenarios sind nicht genau bekannt, insbesondere ver-steht man nicht, wie der Phasenübergang am Ende derinflationären Phase zustande kommt und warum er nichtbereits früher stattgefunden hat. Aber die beiden obendargestellten (und weitere) Erfolge lassen eine infla-tionäre Phase im Universum als sehr plausibles Bilderscheinen. Wie wir noch sehen werden, ist die Vor-hersage eines flachen Universums seit kurzem sehr gutüberprüft und hat sich in der Tat bestätigt. Weiterhinbietet das inflationäre Modell eine natürliche Erklärungfür den Ursprung der Dichteschwankungen im Univer-sum, die als Keime der Strukturbildung schon zu frühenEpochen vorhanden gewesen sein mussten. Wir werdendiese Aspekte in Kapitel 7 weiter verfolgen.

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177

5. Aktive GalaxienkerneDas Licht von normalen Galaxien im optischen und na-hen infraroten Licht ist dominiert von Sternen (und zugeringerem Teil von Gas und Staub). Es handelt sichdabei um thermische Strahlung, da sich das emittie-rende Plasma in den Sternatmosphären im Wesentlichenim thermischen Gleichgewicht befindet. In erster Nä-herung lassen sich die spektralen Eigenschaften einesSterns durch ein Planck-Spektrum beschreiben, des-sen Temperatur von der Masse des Sterns und seinemEntwicklungszustand abhängt. Wie wir in Abschn. 3.9gesehen haben, kann man das Spektrum von Galaxiengut als Überlagerung von Sternspektren beschreiben.Die Temperatur von Sternen variiert über einen re-lativ kleinen Bereich, man findet kaum Sterne mitT � 40 000 K, und solche mit T � 3000 K tragen auf-grund ihrer geringen Leuchtkraft kaum zum Spektrumeiner Galaxie bei. Daraus folgt, dass die Lichtvertei-lung einer Galaxie in erster Näherung beschreibbarist als eine Überlagerung von Planck-Spektren auseinem Temperaturbereich, der in etwa einer Dekadeentspricht. Da das Planck-Spektrum eine sehr engeEnergieverteilung um das Maximum bei hPν ∼ 3kBTbesitzt, ist das Spektrum einer Galaxie im Wesent-lichen auf einen Bereich zwischen ∼ 4000 Å und∼ 20 000 Å beschränkt. Es gibt aber Galaxien, derenEnergieverteilung sehr viel breiter ist. Einige von ih-nen zeigen signifikante Emission im gesamten Bereichvon Radio-Wellenlängen bis hin zum Röntgen- undgar Gamma-Bereich (siehe Abb. 3.3). Diese Emissionstammt von einem meistens sehr kleinen zentralen Ge-biet einer solchen Aktiven Galaxie, welches man alsAktiven Galaxienkern (Active Galactic Nucleus, AGN)bezeichnet. Das optische Spektrum dreier AGNs ist inder Abb. 5.1 dargestellt.

Einige der AGNs (z. B. die Quasare) gehören zuden leuchtkräftigsten Quellen im Universum, und siesind bis zu den größten gemessenen Rotverschiebun-gen (z ∼ 6) beobachtet worden. Die Leuchtkraft vonQuasaren kann das Tausendfache der Leuchtkraft vonnormalen Galaxien übersteigen, und diese Leuchtkraftkommt aus einem sehr kleinen Raumgebiet, r ≤ 1 pc.Die optischen/UV-Spektren von Quasaren sind domi-niert von einer Vielzahl von starken und sehr breitenEmissionslinien, die zum Teil von hochionisierten Ato-

Abb. 5.1. Optische Spektren dreier AGNs. Im oberen Bild istdas Spektrum eines Quasars mit Rotverschiebung z ∼ 2 darge-stellt, welches die charakteristischen breiten Emissionslinienaufweist. Die stärksten davon sind Lyα des Wasserstoffs, dieCIV-Linie und die CIII]-Linie des dreifach bzw. zweifach io-nisierten Kohlenstoffs (wobei die eckige Klammer bedeutet,dass es sich um einen halbverbotenen Übergang handelt; dieswird in Abschn. 5.4.2 näher erläutert). Das mittlere Bild zeigtdas Spektrum einer nahen Seyfert-Galaxie von Typ 1; hiersind sowohl sehr breite Emissionslinien als auch schmale Li-nien, insbesondere des zweifach ionisierten Sauerstoffs, zuerkennen. Im Gegensatz dazu zeigt das unten dargestellteSpektrum einer Seyfert-Galaxie von Typ 2 nur relativ schmaleEmissionslinien

Page 191: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

178

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.2. Zusammengesetztes Spektrum aus einem Samplevon 718 individuellen QSOs, die dem Large Bright QuasarSurvey entnommen sind. Dieses ,,mittlere“ Spektrum hat eindeutlich besseres Signal-zu-Rausch-Verhältnis und eine grö-ßere Wellenlängenüberdeckung als individuelle Spektren. Eswurde aus den einzelnen Quellspektren erstellt, indem dieseauf die Wellenlänge im Ruhesystem der Quellen transformiertwurden. Die stärksten Linien sind gekennzeichnet

men stammen (siehe Abb. 5.2 und 5.3). Prozesse inAGNs gehören zu den energiereichsten in der Astrophy-sik. Die enorme Bandbreite des Spektrums von AGNsdeutet darauf hin, dass die Strahlung nicht-thermischer

Abb. 5.3. Vergrößerung desin Abb. 5.2 dargestellten zu-sammengesetzten Spektrumsvon QSOs. Hier sind auchschwächere Linien zu erken-nen. Deutlich zeigt sich derAbfall des spektralen Flussesauf der blauen Seite der Lyα-Linie, der durch den Lyα-Wald(Abschn. 5.6.3) hervorgerufenwird. Die gestrichelte Kurvezeigt das mittlere Kontinuum,während die gepunktete KurveLinienkomplexe von einfachionisiertem Eisen zeigt, des-sen Liniendichte so groß ist,dass diese bei der hier ge-zeigten spektralen Auflösungzu einem quasi-Kontinuumverschmelzen

Natur ist. Wir werden später diskutieren, dass in AGNsProzesse vonstatten gehen, die hochenergetische Teil-chen erzeugen, welche für die Emission der Strahlungverantwortlich sind.

Nach einer Einleitung, in der kurz die Geschichte derEntdeckung von AGNs und ihre grundlegenden Eigen-schaften dargestellt werden, stellen wir in Abschn. 5.2die wichtigsten Untergruppen der AGN-Familie vor.In Abschn. 5.3 werden wir Argumente zusammen-stellen, weshalb die Energie eines AGN aus derAkkretion von Materie auf ein supermassives Schwar-zes Loch (SMBH) stammt. Insbesondere werden wirdas Phänomen scheinbar überlichtschneller Bewegungkennenlernen. Danach widmen wir uns der Betrach-tung der unterschiedlichen Komponenten eines AGN,aus denen die Strahlung in den verschiedenen Wel-lenbändern stammt. Von besonderer Wichtigkeit sinddie im folgenden diskutierten Modelle der Vereinheitli-chung der AGNs. Wir werden sehen, dass die scheinbarso unterschiedlichen Erscheinungsformen von AGNszum großen Teil auf geometrische bzw. Projektionsef-fekte zurückzuführen sind. Abschließend beschäftigenwir uns mit den AGNs als kosmologische Sonden; dasie aufgrund ihrer gewaltigen Leuchtkraft bis zu sehrhohen Rotverschiebungen hin beobachtet werden kön-

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5.1 Einleitung

179

nen, erlauben diese Beobachtungen Rückschlüsse aufEigenschaften des frühen Universums.

5.1 Einleitung

5.1.1 Kurze Geschichte der AGNs

Bereits im Jahre 1908 wurden starke und breite Emis-sionslinien in NGC 1068 entdeckt, aber erst diesystematische Untersuchung von Carl Seyfert im Jahre1943 lenkte die Aufmerksamkeit der Astronomen aufdiese neue Klasse von Galaxien. Der Kern dieserSeyfert-Galaxien besitzt eine extrem große Flächenhel-ligkeit, wie das in Abb. 5.4 demonstriert ist, und dasSpektrum ihres Zentralbereichs ist dominiert von Emis-sionslinien sehr hoher Anregung. Einige dieser Liniensind extrem breit (siehe Abb. 5.1). Interpretiert man dieLinienbreite als Dopplerverbreiterung, Δλ/λ = Δv/c,so ergeben sich Werte bis zu Δv ∼ 8500 km/s alsvolle Linienbreite. Die hohe Anregungsenergie einigerAtome, von denen diese Spektrallinien stammen, zeigt,dass sie nur von Photonen angeregt werden können, dieenergetischer sind als die Photonen von jungen Sternen,die für die Ionisation von HII-Regionen verantwortlichsind. Die Linien des Wasserstoffs sind oftmals breiterals andere Spektrallinien. Die meisten der von Sey-fert aufgeführten Galaxien sind Spiralen, aber es findetsich auch eine cD-Galaxie in seinem Katalog. Im Jahre1959 argumentierte Lodewijk Woltjer, dass die Ausdeh-nung der Kerne von Seyfert-Galaxien nicht größer seinkann als r � 100 pc, da sie auf optischen Aufnahmen

Abb. 5.4. Drei Aufnahmen der Seyfert-Galaxie NGC4151 mitnach rechts zunehmender Belichtungszeit. Bei kurzen Be-lichtungen erscheint die Quelle punktförmig, bei längererBelichtungszeit ist die Galaxie zu erkennen

als Punktquelle erscheinen, d. h. sie sind räumlich nichtaufgelöst. Falls das Gas, welches die Linien emittiert,gravitativ gebunden ist, muss der Zusammenhang

G M

r� v2

zwischen der zentralen Masse M(< r), dem Abstandr und der typischen Geschwindigkeit v gelten. Letz-tere erhält man aus der Linienbreite, typischerweisev ∼ 1000 km/s. Deshalb ergibt sich aus r � 100 pcsofort eine Massenabschätzung,

M � 1010( r

100 pc

)M� : (5.1)

Entweder ist r ∼ 100 pc, was eine enorme Massenkon-zentration im Zentrum dieser Galaxien impliziert, oderr ist viel kleiner als die abgeschätzte obere Schranke,was dann eine enorme Energiedichte innerhalb des AGNimpliziert.

Ein wesentlicher Schritt in der Geschichte derAGNs wurde eingeläutet durch die 3C- und 3CR-Radiokataloge, die etwa um 1960 fertiggestellt wurden.Dabei handelt es sich um Durchmusterungen desnördlichen (δ > −22◦) Himmels bei 158 MHz und178 MHz mit einer Flussgrenze von Smin = 9 Jy(1 Jy = 10−23 erg s−1 cm−2 Hz−1). Viele dieser 3C-Quellen konnten mit relativ nahen Galaxien identifiziertwerden, aber die schlechte Winkelauflösung der Ra-dioteleskope bei diesen kleinen Frequenzen und diedaraus resultierende große Positionsungenauigkeit derentsprechenden Quellen machte die Identifikation miteinem optischen Gegenstück sehr schwierig. Wenn sichinnerhalb der Positionsungenauigkeit keine nahe, auf-fällige Galaxie auf optischen Photoplatten befand, galtdie Quelle zunächst als nicht identifiziert.1

Thomas Matthews und Allan Sandage zeigten 1963,dass 3C48 eine punktförmige (,,stellar-like“) Quelle mitm = 16 mag ist. Sie besitzt ein komplexes optischesSpektrum, bestehend aus einem blauen Kontinuum undstarken, breiten Emissionslinien, die allerdings keinenatomaren Übergängen zugeordnet werden konnten, so-mit also als nicht identifizierbar galten! Im gleichen Jahr

1Die vollständige optische Identifikation des 3CR-Katalogs, die durchdie enorm verbesserte Winkelauflösung interferometrischer Radiobe-obachtungen und damit deutlich verbesserter Positionsgenauigkeitermöglicht wurde, konnte erst in den 90er Jahren abgeschlossen wer-den – einige dieser leuchtkräftigen Radioquellen sind sehr schwacheoptische Quellen.

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180

5. Aktive Galaxienkerne

gelang es Maarten Schmidt mit Hilfe einer Mondbede-ckung die Radioquelle 3C273 mit einer punktförmigenoptischen Quelle zu identifizieren, die ebenfalls starkeund breite Emissionslinien bei ungewöhnlichen Wel-lenlängen zeigte. Ihm gelang die Identifikation derEmissionslinien mit der Balmer-Serie des Wasserstoffs,aber mit einer für die damalige Zeit extrem hohen Rot-verschiebung von z = 0.158. Setzt man die Gültigkeitdes Hubble-Gesetzes voraus und interpretiert man dieRotverschiebung als kosmologische Rotverschiebung,so befindet sich 3C273 bei der großen Entfernungvon D ∼ 500 h−1 Mpc. Diese riesige Entfernung im-pliziert dann eine absolute Helligkeit der Quelle vonMB = −25.3+5 log h, d. h. sie ist ∼ 100 Mal hellerals normale (Spiral)galaxien. Da die optische Quellenicht aufgelöst war sondern punktförmig erschien, mussdiese enorme Leuchtkraft aus einem kleinen Raum-gebiet stammen. Nach verbesserter Bestimmung derPositionen von Radioquellen wurden danach in kur-zer Folge viele solcher Quasare (quasi-stellar radiosource = quasars) identifiziert, deren Rotverschiebun-gen zum Teil noch deutlich größer waren als die von3C273.

5.1.2 Grundlegende Eigenschaften von Quasaren

Wir wollen im Folgenden einige der wichtigsten Ei-genschaften von Quasaren zusammenstellen. ObwohlQuasare nicht die einzige Klasse von AGNs dar-stellen, konzentrieren wir uns zunächst auf sie, dasie die meisten Eigenschaften anderer AGNs in sichvereinigen.

Wie bereits erwähnt, wurden Quasare durch dieIdentifikation von Radioquellen mit punktförmigen op-tischen Quellen gefunden. Quasare strahlen bei allenWellenlängen zwischen dem Radiobereich bis hin zumRöntgenbereich. Der Fluss der Quelle variiert, und zwarbei (fast) allen Frequenzen, wobei die Zeitskala derVariation von Objekt zu Objekt verschieden ist undebenfalls von der Wellenlänge abhängt. Dabei findetman im allgemeinen, dass die Zeitskala der Variatio-nen umso kleiner und ihre Amplitude umso größerist, je höher die Frequenz der betrachteten Strahlung.Das optische Spektrum ist sehr blau, die meisten Qua-sare mit Rotverschiebung z � 2 haben U − B < −0.3(zum Vergleich: nur heiße Weiße Zwerge haben einenähnlich blauen Farbindex). Neben diesem blauen Kon-

tinuum weist das optische Spektrum als Besonderheitsehr breite Emissionslinien auf. Dabei handelt es sichum Linien von Übergängen mit zum Teil sehr hoherIonisationsenergie (siehe Abb. 5.3).

Das Kontinuumspektrum eines Quasars ist oftmalsstückweise beschreibbar durch ein Potenz-Gesetz derForm

Sν ∝ ν−α , (5.2)

wobei α der Spektralindex ist. α = 0 entspricht ei-nem flachen Spektrum, während α = 1 ein Spektrumbeschreibt, bei dem die gleiche Energie pro logarith-mischem Frequenzintervall emittiert wird. Schließlichsei noch einmal die häufig hohe Rotverschiebung derQuasare hervorgehoben.

5.1.3 Quasare als Radioquellen;Synchrotron-Strahlung

Die Morphologie von Quasaren im Radiobereich hängtvon der betrachteten Frequenz ab und ist oftmals sehrkomplex, bestehend aus ausgedehnten und einer kom-pakten Quellkomponente. Die ausgedehnte Quelle istmeistens als Doppelquelle zu beobachten, in Formzweier Radiokeulen (radio lobes), die mehr oder weni-ger symmetrisch um die optische Position des Quasarsplatziert sind. Diese Lobes sind oftmals mit der zent-ralen Kernkomponente durch Jets verbunden, dünneEmissionsstrukturen, die vermutlich mit dem Energie-transport vom Kern zu den Lobes zusammenhängen.Dabei sind die auftretenden Längenskalen oftmals be-achtlich, die Gesamtausdehnung im Radiobereich kannbis zu 1 Mpc betragen. Die Position des optischenQuasars stimmt mit der der kompakten Radioquelleüberein, deren Winkelausdehnung 1′′ beträgt undteilweise nicht einmal mit VLBI-Methoden aufgelöstwerden kann, so dass die Ausdehnung dieser Quellen� 1 mas ist, entsprechend r � 1 pc. Auch dieser großedynamische Bereich der Ausdehnung von Quasaren istextrem.

Klassifikation der Radioquellen. Ausgedehnte Ra-dioquellen werden oft in zwei Klassen eingeteilt:Fanaroff–Riley-Typ I (FR I) sind nahe des Kerns amhellsten, und die Flächenhelligkeit fällt nach au-ßen ab. Sie haben eine typische Leuchtkraft vonLν(1.4 GHz)� 1032 erg s−1 Hz−1. Im Gegensatz dazu

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5.1 Einleitung

181

nimmt die Flächenhelligkeit von Fanaroff–Riley-Typ IIQuellen (FR II) nach außen hin zu, und ihre Leuchtkraftist im Allgemeinen größer als die von FR I-Quellen,Lν(1.4 GHz)� 1032 erg s−1 Hz−1. Jeweils ein Beispielfür diese beiden Klassen ist in der Abb. 5.5 gezeigt.FR II-Radioquellen besitzen häufig Jets, ausgedehnte li-neare Strukturen, die den kompakten Kern mit einem der

Abb. 5.5. Radiokarten bei λ = 6 cm für zwei Radiogalaxien:oben M84, eine FR I-Radioquelle, unten 3C175, eine FR II-Quelle. Die Radiostrahlung von M84 ist zum Zentrum hinam stärksten und nimmt nach außen hin ab, während die auf-fälligsten Komponenten von 3C175 die beiden Radio-Lobessind. Der rechte Radio-Lobe ist mit dem kompakten Kerndurch einen langen und sehr dünnen Jet verbunden; auf derGegenseite ist kein Jet (Counter-Jet) erkennbar

Radio-Lobes verbinden. Die Jets zeigen häufig innereStruktur und Knicke. Ihr Erscheinungsbild deutet an,dass sie vom Kern ausgehend Energie zur Radiokeuletransportieren; eines der beeindruckendsten Beispieledafür ist in der Abb. 5.6 dargestellt.

Die Jets sind nicht symmetrisch. Oftmals sieht mannur einen Jet, und wenn zwei Jets beobachtet wer-

Abb. 5.6. Die Radiogalaxie NGC 6251, mit nach untenhin steigender Winkelauflösung. Auf großen Skalen (undniedrigen Frequenzen) dominieren die beiden Radio-Lobes,während für höhere Frequenzen der Kern und die Jets klarhervortreten. NGC 6251 hat einen Counter-Jet, aber mit deut-lich geringerer Leuchtkraft als der Hauptjet. Selbst bei derhöchsten Auflösung mit VLBI ist noch Struktur zu erkennen.Die Jets haben einen sehr kleinen Öffnungswinkel, sie sinddaher stark kollimiert

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182

5. Aktive Galaxienkerne

den, ist meistens einer von ihnen (der ,,Counter-Jet“)viel schwächer als der andere. Die relative Stärke vonKern, Jet und ausgedehnten Komponenten variiert zwi-schen Quellen und innerhalb der gleichen Quelle mit derFrequenz, weil diese Komponenten einen unterschiedli-chen Spektralindex besitzen. Aus diesem Grunde zeigenRadio-Kataloge von AGNs starke Auswahleffekte, dennKataloge, die bei niedrigen Frequenzen erstellt werden,selektieren bevorzugt Quellen mit steilem Spektrum,d. h. mit dominanten ausgedehnten Strukturen, währendsolche, die bei hohen Frequenzen selektieren, Kern-dominierte Quellen mit flachem Spektrum bevorzugtenthalten.2

Synchrotronstrahlung. Das Radiospektrum folgt(stückweise) einem Potenzgesetz der Form (5.2), wo-bei α ∼ 0.7 für die ausgedehnten Komponenten undα ∼ 0 für die kompakte Kernkomponente (core) ist.Die Radiostrahlung ist oftmals linear polarisiert, wobeidie ausgedehnte Radioquelle einen Polarisationsgradvon bis zu 30% oder gar mehr erreichen kann. Diespektrale Form und der hohe Grad der Polarisa-tion wird so interpretiert, dass die Radiostrahlungdurch Synchrotron-Emission relativistischer Elektronenzustande kommt. Dabei vollführen Elektronen im Ma-gnetfeld eine helikale, also schraubenartige Bewegung,sie werden daher durch die Lorentz-Kraft kontinuierlichbeschleunigt. Da beschleunigte Ladungen elektroma-gnetische Strahlung emittieren, führt diese Bewegungder Elektronen zu einer Emission. Aufgrund ihrer Wich-tigkeit für das Verständnis der Radiostrahlung vonAGNs wollen wir im Folgenden einige Aspekte derSynchrotronstrahlung darstellen.

Wir können diese Strahlung wie folgt charakterisie-ren. Falls ein Elektron die Energie E = γ me c2 besitzt,ist die charakteristische Frequenz der Emission

νc = 3γ 2eB

4πmec∼ 4.2×106 γ 2

(B

1 G

)Hz , (5.3)

wobei B die Magnetfeldstärke, e die Elektronenladungund me = 511 keV/c2 die Masse des Elektrons bezeich-net. Der Lorentzfaktor γ , und somit die Energie eines

2Aus diesem Grunde haben sich die Radio-Surveys für Gravitations-linsensysteme, die in Abschn. 3.8.3 erwähnt worden sind, auf Quellenmit flachem Spektralindex konzentriert, weil diese von der kompaktenKern-Komponente dominiert werden und daher Mehrfach-Systemebesser als solche erkannt werden können.

Elektrons, hängt mit seiner Geschwindigkeit v über

γ := 1√1− (v/c)2

(5.4)

zusammen. Für Frequenzen deutlich unterhalb von νc

ist das Spektrum eines einzelnen Elektrons ∝ ν1/3, wäh-rend es für größere Frequenzen exponentiell abfällt. Inerster Näherung kann man das Spektrum eines einzel-nen Elektrons als quasi-monochromatisch beschreiben.Die Synchrotronstrahlung eines einzelnen Elektronsist linear polarisiert, wobei die Richtung der Polarisa-tion von der projizierten Richtung des Magnetfelds aufdie Sphäre abhängt. Der Polarisationsgrad der Strah-lung eines Ensembles von Elektronen hängt von derKomplexität des Magnetfelds ab: Wenn das Magnet-feld homogen ist in dem Raumbereich, aus dem dieStrahlung gemessen wird, dann kann die beobachtetePolarisation bis zu 75% betragen. Falls aber das mitder Teleskopkeule gemessene Raumgebiet ein komple-xes Magnetfeld enthält, dessen Richtung sich innerhalbdieses Gebiets stark ändert, so heben sich die Polari-sationen teilweise auf, und der beobachtete Grad derlinearen Polarisation ist deutlich reduziert.

Um Strahlung bei cm-Wellenlängen (ν ∼ 10 GHz)zu erzeugen, benötigt man bei Magnetfeldern derStärke B ∼ 10−4 G etwa γ ∼ 105, d. h. die Elektronenmüssen hoch-relativistisch sein! Damit man Teilchenbei so hohen Energien erhält, müssen sehr effizi-ente Teilchenbeschleunigungs-Prozesse im Innern vonQuasaren ablaufen. Es sei in diesem Zusammenhangerwähnt, dass wir Teilchen der kosmischen Höhenstrah-lung beobachten (siehe Abschn. 2.3.4), deren Energiennoch deutlich größer sind. Die meisten der kosmischenStrahlenteilchen werden vermutlich in den Stoßfron-ten von Supernova-Überresten erzeugt. Es liegt daherdie Vermutung nahe, dass die energetischen Elek-tronen in Quasaren (und anderen AGN) ebenfallsdurch solche ,,diffuse Schockbeschleunigung“ zustandekommen, wobei die Stoßfronten nicht durch Supernova-Explosionen hervorgerufen werden, sondern durchandere hydrodynamische Phänomene. Wie wir späternoch sehen werden, haben wir klare Hinweise auf Strö-mungsgeschwindigkeiten in AGNs, die deutlich überder Schallgeschwindigkeit des Plasmas liegen, so dassdie Voraussetzung für das Entstehen von Stoßfrontengegeben ist.

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5.1 Einleitung

183

Das Potenzgesetz der Synchrotronstrahlung wirddann erzeugt, wenn die relativistischen Elektronenebenfalls ein Potenzgesetz besitzen (siehe Abb. 5.7).Falls N(E) dE ∝ E−s dE die Anzahldichte der Elek-tronen mit Energie zwischen E und E +dE darstellt, soergibt sich ein Index des Potenzgesetzes der resultieren-den Strahlung von α = (s −1)/2, d. h. die Steigung desPotenzgesetzes der Elektronen bestimmt die spektraleForm der resultierenden Synchrotron-Emission. Insbe-sondere ergibt sich ein Index von α = 0.7, wenn s = 2.4.Eine Elektronenverteilung mit N(E) ∝ E−2.4 ist derEnergieverteilung der kosmischen Strahlung in unsererGalaxis sehr ähnlich, was ein weiteres Indiz dafür seinkann, dass der gleiche oder zumindest ein ähnlicher Me-chanismus für die Erzeugung dieses Energiespektrumsverantwortlich ist.

Für niedrige Frequenzen ist das Synchrotron-Spektrum selbstabsorbiert, d. h. die optische Tiefegegenüber der Absorption durch den Synchrotronpro-zess ist nahe oder größer als Eins. In diesem Fall wirddas Spektrum flacher und kann sogar für kleine ν an-steigen. Im Grenzfall großer optischer Tiefe bezüglichSelbstabsorption ergibt sich Sν ∝ ν2.5 für ν → 0. Dieausgedehnten Radiokomponenten sind optisch dünnbei cm-Wellenlängen, so dass α ∼ 0.7, während diekompakte Kernkomponente oftmals optisch dick und

Abb. 5.7. Elektronen bei einer festen Energie emittieren einSynchrotron-Spektrum, wie es jeweils durch eine der Kur-ven dargestellt ist; das Maximum der Strahlung befindet sichetwa bei νc (5.3). Die Überlagerung vieler solcher Spektren,entsprechend einer Energieverteilung der Elektronen, wird zueinem Potenzspektrum, wenn die Verteilung der Elektronenin der Energie ein Potenzspektrum ist

daher selbstabsorbiert ist, α ∼ 0, oder gar ,,invertiert“,α < 0.

Durch die Abstrahlung verlieren die Elektronen anEnergie; aus diesem Grund ,,kühlen“ die Elektronen undsind daher nur eine beschränkte Zeit in der Lage, bei derdurch (5.3) beschriebenen Frequenz zu emittieren. Dieüber alle Frequenzen integrierte abgestrahlte Leistungeines Elektrons mit dem Lorentzfaktor γ ist

P = −dE

dt= 4

9

e4 B2γ 2

m2ec3

. (5.5)

Die charakteristische Zeit, über die ein Elektron seineEnergie verliert, ergibt sich dann aus seiner EnergieE = γmec2 und seiner Energieverlustrate E = −P als

tcool = E

P= 2.4×105

( γ

104

)−1(

B

10−4G

)−2

yr .

(5.6)

Für relativ niederfrequente Radiostrahlung ist diese Le-bensdauer lang oder vergleichbar mit dem Alter vonRadioquellen. Wie wir aber später noch sehen wer-den, wird auch hochfrequente Synchrotronstrahlungbeobachtet, für die tcool deutlich kleiner ist als dasAlter einer Quellkomponente, so dass die entsprechen-den relativistischen Elektronen lokal erzeugt werdenmüssen. Dies bedeutet, dass die Teilchenbeschleuni-gungsprozesse nicht nur im innersten Kern eines AGNablaufen müssen, sondern auch in den ausgedehntenQuellkomponenten.

Da die charakteristische Frequenz (5.3) derSynchrotron-Strahlung von einer Kombination des Lo-rentzfaktors γ und des Magnetfelds B abhängt, kannman diese beiden Größen nicht getrennt bestimmen.Es ist daher sehr schwierig, das Magnetfeld einerSynchrotron-Quelle abzuschätzen. Meistens bedientman sich der (plausiblen) Annahme der Gleich-verteilung der Energiedichte in Magnetfeld undrelativistischen Teilchen, d. h. man nimmt an, dass dieEnergiedichte B2/(8π) des Magnetfeldes in etwa mitder Energiedichte∫

dγ ne(γ) γmec2

der relativistischen Elektronen übereinstimmt. DieseGleichverteilung ist in etwa gegeben zwischen denkosmischen Strahlen in unserer Galaxis und de-ren Magnetfeld. Eine weitere Möglichkeit besteht

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184

5. Aktive Galaxienkerne

darin, das Magnetfeld so abzuschätzen, dass dieGesamtenergie von relativistischen Elektronen undMagnetfeld bei gegebener Leuchtkraft einer Quelle mi-nimiert wird. Der sich dabei ergebende Wert für Bstimmt praktisch mit dem überein, den man aus derGleichverteilungsannahme erhält.

5.1.4 Breite Emissionslinien

Das Spektrum von Quasaren im UV- und im opti-schen Bereich zeichnet sich aus durch die Anwesenheitvon starken und sehr breiten Emissionslinien. Ty-pischerweise treten als Linien die der Balmer-Seriesowie Lyα des Wasserstoffs, und Metalllinien vonIonen wie MgII, CIII, CIV auf3 – diese erscheinenpraktisch in allen Quasar-Spektren. Hinzu kom-men eine ganze Reihe weiterer Emissionslinien, dienicht immer in jedem Spektrum zu beobachten sind(Abb. 5.2).

Um die Stärke einer Emissionslinie zu charakte-risieren, definiert man die Äquivalentbreite Wλ einerLinie als

Wλ =∫

dλSl(λ)− Sc(λ)

Sc(λ)≈ Fline

Sc(λ0), (5.7)

wobei Sl(λ) den gesamten spektralen Fluss im Be-reich der Linie und Sc(λ) den spektralen Fluss derKontinuumsstrahlung bezeichnet, interpoliert über denWellenlängenbereich der Linie. Fline ist der Gesamtflussin der Linie und λ0 ihre Wellenlänge. Wλ ist also dieBreite des Wellenlängen-Intervalls, über das man dasKontinuum integrieren müsste, um den gleichen Flusswie den der Linie zu erhalten. Die Äquivalentbreite istdaher ein Maß für die Stärke einer Linie relativ zumKontinuum.

Die Breite einer Linie wird wie folgt charakteri-siert: nach Subtraktion des Kontinuums, interpoliertüber den Wellenlängenbereich der Linie, wird die Breitebei der Hälfte der maximalen Linienintensität gemes-sen. Diese Breite Δλ wird als FWHM bezeichnet (fullwidth at half maximum). Man kann die Breite ent-weder in Å angeben oder in km/s, wenn man die

3Die Ionisationsstufen eines Elements werden durch römische Ziffernbezeichnet. Ein neutrales Atom erhält die ,,I“, ein einfach ionisiertesAtom die ,,II“, usw. CIV bezeichnet daher den dreifach ionisiertenKohlenstoff.

Linienbreite als Doppler-Verbreiterung betrachtet, mitΔλ/λ0 = Δv/c.

Breite Emissionslinien in Quasaren haben oftmalseine FWHM von ∼ 10 000 km/s, schmalere Emissions-linien immerhin noch mehrere 100 km/s. Also sind auchdie ,,schmalen“ Emissionslinien immer noch breit ver-glichen mit typischen Geschwindigkeiten in normalenGalaxien.

Rotverschiebung. Quasar-Surveys sind stets flussli-mitiert, d. h. man versucht, alle Quasare in einembestimmten Bereich des Himmels zu finden, derenFluss einen bestimmten Grenzwert überschreitet. Nurdurch ein solches Selektionskriterium sind die erhalte-nen Stichproben statistisch aussagekräftig. Zusätzlichkönnen weitere Kriterien für die Auswahl von Quel-len herangezogen werden, wie etwa Farbe, Variabilität,Radiostrahlung oder Röntgenfluss. Radio-Surveys sindbeispielsweise durch Sν > Slim bei einer spezifiziertenWellenlänge definiert. Die optische Identifikation sol-cher Radioquellen ergibt, dass Quasare eine sehr breiteRotverschiebungsverteilung besitzen. Für Jahrzehntewaren Quasare die einzigen Quellen mit z > 3. Wir wer-den später noch andere Surveys für AGNs besprechen.

In der Ausgabe von 1993 des Katalogs von Hewitt &Burbidge sind 7236 Quellen verzeichnet, wobei dieserKatalog eine ganze Palette unterschiedlichster AGNsenthält. Obgleich in keinster Weise statistisch wohl-definiert, gibt dieser Katalog einen Eindruck von derBreite der Rotverschiebungs- und Helligkeitsverteilungder AGN (siehe Abb. 5.8).

Die Leuchtkraftfunktion von Quasaren erstrecktsich über einen sehr großen Bereich in der Leucht-kraft, beinahe drei Größenordnungen in L. Sie iststeil am hellen Ende und deutlich flacher bei klei-neren Leuchtkräften (siehe Abschn. 5.6.2). Dies kannmit der Leuchtkraftfunktion von Galaxien verglichenwerden, die durch eine Schechter-Funktion beschrie-ben wird (siehe Abschn. 3.7). Während auch bei ihnenam leuchtschwachen Ende der Verteilung ein rela-tiv flaches Potenzgesetz die Verteilung beschreibt,fällt die Schechter-Funktion für große L exponen-tiell ab, aber die der Quasare fällt nur wie einPotenzgesetz ab. Aus diesem Grunde findet man auchQuasare, deren Leuchtkraft um ein Vielfaches größerist als diejenige Leuchtkraft, bei der der Knick in derLeuchtkraftfunktion auftritt.

Page 198: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

5.2 Zoologie der AGNs

185

Abb. 5.8a,b. Die Rotverschiebungsverteilung (a) und Hel-ligkeitsverteilung (b) der QSOs aus dem Hewitt &Burbidge-Katalog von 1993. Diese Verteilungen sind sta-tistisch nicht aussagekräftig, zeigen aber die Breite derVerteilungen. Der Abfall der Häufigkeiten für z ≥ 2.3 ist

ein Auswahleffekt: Viele QSO-Surveys beginnen mit einerFarbselektion, typischerweise U − B < −0.3; wenn z ≥ 2.3,gelangt die starke Lyα-Emissionslinie in den B-Filter, in die-sem Farbindex wird der QSO dann roter und fällt damit durchdie Farbselektion

5.2 Zoologie der AGNs

Quasare sind nur die leuchtkräftigsten Vertreter derAGN-Klasse. Seyfert-Galaxien sind ein anderes schonfrüher bekanntes Beispiel. Tatsächlich fasst man unterdem Begriff AGN eine breite Klasse von Objekten zu-sammen, denen eine starke, nicht-thermische Emissionim Kern einer Galaxie (Heimatgalaxie, oder Host Ga-laxy) gemein ist. Wir werden in diesem Abschnitt diewichtigsten dieser AGNs aufzählen. Dabei ist wichtig,sich stets daran zu erinnern, dass die Art der Beobach-tung die Klassifizierung der Quellen mitbestimmt. Wirkommen auf diesen Punkt gegen Ende des Abschnittsnoch zurück.

Die hier zu besprechende Klassifikation der AGNs istauf den ersten Blick sehr verwirrend. Die verschiede-nen Klassen beschreiben zunächst nur unterschiedlicheErscheinungsformen der AGNs, sagen aber nicht unbe-dingt etwas über die physikalische Natur dieser Quellenaus. Wie wir in Abschn. 5.5 diskutieren werden, hängtdie Erscheinungsform eines AGN im Rahmen der ver-einheitlichter Modelle sehr stark von der Orientierung

der Quelle relativ zum Sehstrahl ab. Wir werden danndie Gelegenheit haben, Ordnung in die Vielfalt derKlassen zu bringen.

5.2.1 QSOs

Die außergewöhnlich blaue Farbe der Quasare legtedie Möglichkeit nahe, nach ihnen nicht nur im Radio-bereich, sondern auch im Optischen zu suchen, alsonach punktförmigen Quellen mit sehr blauem U − BFarbindex. Solche auf der Photometrie basierende Su-chen waren sehr erfolgreich. In der Tat fand man vielmehr solcher Quellen, als aufgrund der Radiozählun-gen erwartet werden konnte. Dabei stellte sich heraus,dass die meisten dieser Quellen im Radio-Bereich desSpektrums nicht (oder kaum) sichtbar waren. Mannennt solche Quellen radioruhig. Ihre optischen Ei-genschaften sind von denen der Quasare praktischununterscheidbar. Insbesondere besitzen sie eine blaueoptische Energieverteilung (natürlich, denn das war jadas Suchkriterium!), starke und breite Emissionslinienund im Allgemeinen eine hohe Rotverschiebung.

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186

5. Aktive Galaxienkerne

Diese Quellen, abgesehen von ihren Radioeigen-schaften, verhalten sich also wie Quasare. Manbezeichnete sie deshalb als radioruhige Quasare,oder aber als quasi-stellar objects, QSOs. DieseTerminologie ist heute nicht mehr so gebräuch-lich, weil die klare Zweiteilung in Quellen mit undohne Radio-Emission nicht mehr gilt. Auch radioru-hige Quasare zeigen Radioemission, wenn man sienur mit genügender Empfindlichkeit beobachtet; siesind daher eher ,,radioleise“. In der neueren Ter-minologie summiert man unter dem Begriff QSOsowohl die Quasare als auch die radioruhigen QSOs.Es gibt etwa 10 mal mehr radioruhige QSOs alsQuasare.

Die QSOs sind die leuchtkräftigsten Vertreter derAGNs. Ihre Kernleuchtkraft kann das Tausendfachevon L∗-Galaxien erreichen, sie überstrahlen damit ihreHost-Galaxie und erscheinen auf optischen Aufnahmenpunktförmig. Für QSOs mit kleinerem L wurden mitdem HST die Host-Galaxien entdeckt und räumlich auf-gelöst (siehe Abb. 1.11). Unserem heutigen Verständnisnach sind AGNs die aktiven Kerne von (ansonstennormalen?) Galaxien.

5.2.2 Seyfert-Galaxien

Die zuerst bekannten AGNs waren die Seyfert-Galaxien. Ihre Leuchtkraft ist wesentlich kleiner als dievon QSOs. Sie sind als Spiralgalaxien auf optischenAufnahmen identifizierbar, besitzen aber einen außer-gewöhnlich hellen Kern (Abb. 5.4), dessen Spektrumstarke und breite Emissionslinien aufweist.

Man unterscheidet zwischen Seyfert-Galaxien vomTyp 1 und Typ 2: Seyfert 1-Galaxien haben sowohlsehr breite als auch schmalere Emissionslinien, wobei,,schmaler“ hier immer noch mehrere Hundert km/s be-deutet, also eine deutlich größere Breite, als es normalenGeschwindigkeiten in Galaxien (wie etwa Rotationsge-schwindigkeiten) entspricht. Seyfert 2-Galaxien habennur die schmaleren Linien. Später fand man dann, dassauch Zwischenstufen existieren – man spricht beispiels-weise von Seyfert 1.5 und Seyfert 1.8-Galaxien – indenen sehr breite Linien zwar vorhanden, aber vielschwächer sind als in Seyfert 1-Galaxien. Der Prototypeiner Seyfert 1-Galaxie ist NGC 4151 (siehe Abb. 5.4),während NGC 1068 eine typische Seyfert 2-Galaxiedarstellt.

Das optisches Spektrum von Seyfert 1-Galaxien istdem von QSOs sehr ähnlich. Es gibt einen fließendenÜbergang zwischen (radioruhigen) QSOs und Seyfert 1.Formal trennt man diese beiden Klassen von AGNs beieiner absoluten Helligkeit von MB = −21.5+5 log h.Die Trennung von Seyfert 1-Galaxien und QSOs ist his-torisch bedingt, denn diese beiden Kategorien wurdenaufgrund der unterschiedlichen Methoden der Entde-ckung beider Typen eingeführt. Hingegen scheint eskeinen grundlegenden physikalischen Unterschied zugeben außer der unterschiedlichen Kernleuchtkraft. Oft-mals fasst man beide Klassen zusammen unter demBegriff Typ 1-AGNs.

5.2.3 Radiogalaxien

Radiogalaxien sind Elliptische Galaxien mit Aktivi-täten im Kern. Sie waren die ersten Quellen, dieaufgrund der frühen Radio-Surveys mit optischen Quel-len identifiziert werden konnten. Charakteristisch fürRadiogalaxien sind die Prototypen Cygnus A oderCentaurus A.

Ähnlich wie bei Seyfert-Galaxien unterscheidet manbei Radiogalaxien solche mit (broad-line radio galaxies,BLRG) und ohne (narrow-line radio galaxies, NLRG)breite Emissionslinien. Im Prinzip kann man die beidenTypen von Radiogalaxien als radiolaute Seyfert 1- undSeyfert 2-Galaxien betrachten, wobei die Morphologieder Host-Galaxie allerdings unterschiedlich ist. Eben-falls scheint es einen fließenden Übergang von BLRGund Quasaren zu geben, wiederum getrennt durch dieoptische Leuchtkraft wie bei den Seyfert-Galaxien.

Neben der Klassifizierung der Radiogalaxien be-züglich ihres optischen Spektrums in BLRG undNLRG unterscheidet man sie hinsichtlich ihrer Radio-Morphologie; wie schon in Abschn. 5.1.2 diskutiert,teilt man die Radioquellen ein in FR I und FR II Quellen.

5.2.4 OVVs

Eine Unterklasse von QSOs zeichnet sich durch sehrstarke und kurzzeitige Variabilität der optischen Strah-lung aus. Dabei kann der Fluss solcher Quellen, dieman als Optically Violently Variables (OVVs) bezeich-net, auf Zeitskalen von Tagen um einen erheblichenBruchteil variieren (siehe Abb. 5.9). Neben dieser star-ken Variabilität zeichnen sich OVVs durch die relativ

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5.2 Zoologie der AGNs

187

Abb. 5.9. Quasare, BL Lac-Objekte und Seyfert-Galaxienzeigen deutliche Variabilität bei den verschiedensten Wellen-längen. Oben links ist die Lichtkurve der Seyfert 1 IRAS13225−3809 im Röntgenlicht dargestellt (beobachtet mitROSAT); auf Zeitskalen von Tagen variiert die Quelle oft-mals um mehr als einen Faktor 20. Die Radio-Lichtkurve vonBL Lacertae bei λ = 3.8 cm über einen Zeitraum von 28 Jah-ren ist unten links dargestellt. Die Variationen solcher OVVserscheinen als eine Reihe von Ausbrüchen, die sich teilweiseüberlappen (siehe z. B. den Ausbruch von 1981). Die mit demSatelliten IUE beobachtete UV-Variation von NGC 5548, ei-

ner Seyfert 1-Galaxie, ist bei drei Wellenlängen unten rechtsdargestellt; Variationen bei diesen Frequenzen erscheinen inPhase, aber die Amplitude ist größer, wenn man zu kleinerenWellenlängen geht. Simultan dazu wurden die Linienstärkendreier breiter Emissionslinien dieser Seyfert 1 gemessen, dieoben rechts dargestellt sind. Dabei zeigt sich, dass Linien mithohem Ionisationspotential, wie CIV, größere Amplituden zei-gen als solche mit niedrigem Ionisationspotential, wie MgII.Aus der relativen zeitlichen Verschiebung von Linienvariabi-lität und Kontinuumfluss kann man die Größe der Broad LineRegion abschätzen – siehe Abschn. 5.4.2

hohe Polarisation ihres optischen Lichts aus, welchetypischerweise einige Prozent beträgt, während die nor-male Polarisation von QSOs unterhalb von ∼ 1% liegt.OVVs sind in der Regel starke Radiostrahler. Nebenihrer optischen Leuchtkraft variiert die Strahlung auchin anderen Wellenlängenbereichen, wobei die Zeitskalaumso kürzer und die Amplitude umso größer ist, jekürzer die Wellenlänge des Lichtes ist.

5.2.5 BL Lac-Objekte

Die Klasse der AGNs, die man als BL Lac-Objekte(oder kurz: BL Lacs) bezeichnet, ist benannt nachder prototypischen Quelle BL Lacertae. Es handelt

sich um AGNs mit sehr stark variierender Strahlung,wie bei den OVVs, aber ohne die starken Emissions-oder Absorptionslinien. Wie bei den OVVs ist dieoptische Strahlung der BL Lacs ebenfalls stark pola-risiert. Da man bei BL Lacs keine Emissionslinien imSpektrum beobachtet, ist die Bestimmung ihrer Rot-verschiebung oftmals schwierig oder gar unmöglich.In einigen Fällen sind im Spektrum Absorptionsli-nien zu erkennen, von denen man vermutet, dass sievon der Host-Galaxie des AGN stammen und diedann mit der Rotverschiebung des BL Lac identifiziertwerden.

Die optische Leuchtkraft einiger BL Lacs kann ummehrere Magnituden variieren, wenn sich die Beobach-

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188

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.10. Variabilität des Blazars 3C279 im Röntgenbereich(unten) und in der γ -Strahlung, bei Photonenenergien oberhalbvon 100 MeV; auf Zeitskalen von wenigen Tagen variiert dieLeuchtkraft um einen Faktor ∼ 10

Tabelle 5.1. Überblick der Klassifikation der Aktiven Galaxienkerne

Normale Galaxie Radiogalaxie Seyfert-Galaxie Quasar Blazar

Beispiel Milchstraße M87, Cygnus A NGC 4151 3C273 BL Lac, 3C279Galaxientyp Spirale Ellipse, Irreguläre Spirale Irreguläre Ellipse?L/L� < 104 106 −108 108 −1011 1011 −1014 1011 −1014

MBH/M� 2.6×106 3×109 106 −109 106 −109 106 −109

Radiostrahlung schwach Kern, Jets, Lobes nur ≈ 5% radiolaut nur ≈ 5% radiolaut stark, schnell variabelStrahlung im Optischen/NIR

vollständigabsorbiert

alte Sterne, Konti-nuum

breiteEmissionslinien

breiteEmissionslinien

schwache oder keineLinien

Röntgenstrahlung schwach stark stark stark starkGammastrahlung schwach schwach mäßig stark starkVariablität unbekannt Monate-Jahre Stunden-Monate Wochen-Jahre Stunden- Jahre

tung auf genügend lange Zeiträume erstreckt. Besondersbeachtenswert ist die Tatsache, dass in Zeiten kleinerLeuchtkraft manchmal Emissionslinien erkennbar sind,und in solchen Epochen erscheint ein BL Lac dannwie ein OVV. Aus diesem Grunde fasst man die OVVsund die BL Lacs zusammen in die Klasse der Blazare.Alle bekannten Blazare sind Radioquellen. Neben ihrerheftigen Variabilität zeigen Blazare auch hochenerge-tische und stark variable γ -Strahlung (Abb. 5.10). DieTabelle 5.1 fasst die grundlegenden Eigenschaften derverschiedenen AGN-Klassen zusammen.

5.3 Die zentrale Maschine:ein Schwarzes Loch

Schon mehrmals wurde erwähnt, dass die Energieerzeu-gung in AGNs mittels eines supermassiven Schwarzen

Loches (SMBH) erfolgen muss. In diesem Abschnittwollen wir die Argumente für diese Schlussfolgerungaufzeigen. Dazu stellen wir zunächst noch einmal einigeder relevanten fundamentalen Beobachtungstatsachenfür AGNs zusammen.

• Die Ausdehnung einiger Radioquellen in AGNs be-trägt bis zu � 1 Mpc. Aus dieser Längenskala kannman eine untere Schranke für die Dauer der Akti-vität im Kern dieser Objekte ableiten, denn selbstwenn sich die Radioquelle vom Kern her mit bei-nahe Lichtgeschwindigkeit ausdehnen würde, wäredas Lebensalter einer solchen Quelle τ � 107 yr.

• Leuchtkräftige QSOs haben eine Leuchtkraft biszu Lbol ∼ 1047 erg/s. Nimmt man an, dass sichdie Leuchtkraft nicht substantiell über den Le-benszeitraum der Quelle ändert, so kann manaus der Leuchtkraft und dem Mindestalter eine

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5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch

189

Gesamtenergie abschätzen,

E � 1047 erg/s×107 yr ∼ 3×1061 erg , (5.8)

wobei allerdings darauf hinzuweisen ist, dass dieAnnahme einer im Wesentlichen unverändertenLeuchtkraft nicht unbedingt gerechtfertigt ist.

• Einige AGNs variieren auf Zeitskalen von einem Tagum mehr als 50% in ihrer Leuchtkraft. Aus dieserVariabilitätszeitskala kann man eine obere Schrankefür die Ausdehnung der Quelle angeben, denn eineQuelle kann ihre Leuchtkraft substantiell nur aufsolchen Zeitskalen ändern, auf der die Quelle alsGanzes, oder zumindest ein großer Teil ihres Emis-sionsgebiets, in kausalem Kontakt steht (sonst weißdas ,,eine Ende“ der Quelle ja nicht, dass das ,,andereEnde“ gerade variiert). Daraus ergibt sich, dass diecharakteristische Ausdehnung der zentralen QuelleR � 1 Lichttag ∼ 3×1015 cm beträgt.

5.3.1 Warum Schwarzes Loch?

Wir werden nun die oben genannten Beobachtungenverknüpfen und daraus ableiten, dass die prinzipielleEnergiegewinnung in AGNs gravitativer Natur seinmuss. Dazu stellen wir zunächst fest, dass die effizien-teste ,,klassische“ Methode der Energieerzeugung dieKernfusion ist, wie sie in Sternen abläuft. Wir machendaher die provisorische Annahme (die bald zu einemWiderspruch führen wird), dass die Energieerzeugungin AGNs durch thermonukleare Prozesse vonstattengeht.

Bei der Verbrennung von Wasserstoff zu Eisen, demKern mit der größten Bindungsenergie pro Nukleon,werden 8 MeV/Nukleon frei, oder 0.008 mpc2 pro Nu-kleon. Die maximale Effizienz der Kernfusion ist daherε� 0.8%, wobei wir ε als den Massenanteil des ,,Brenn-stoffs“ definieren, der in Energie umgewandelt wird,entsprechend

E = ε mc2 . (5.9)

Um durch Kernfusion eine Energie von E =3×1061 erg zu erzeugen, braucht man eine Gesamt-masse m an Brennstoff, die gegeben ist durch

m = E

εc2∼ 4×1042 g ∼ 2×109 M� , (5.10)

wobei wir die in (5.8) abgeschätzte Energie einge-setzt haben. Falls also die Energie des AGN durchKernfusion erzeugt worden ist, muss die Masse m [ge-nauer: (1− ε)m] als ,,Schlacke“ im Innern des AGNübriggeblieben sein.

Der Schwarzschild-Radius dieser Masse ist aber(siehe Abschn. 3.5.1)

rS = 2Gm

c2= 2G M�

c2

m

M�= 3×105 cm

m

M�∼ 6×1014 cm ,

d. h. der Schwarzschild-Radius der ,,nuklearen Asche“ist von der gleichen Größenordnung wie die obigeAbschätzung der Ausdehnung der zentralen Quelle.Dieses Argument zeigt, dass gravitative Effekte eineentscheidende Rolle spielen müssen – die Annahme derthermonuklearen Energiegewinnung hat sich als falscherwiesen, da ihre Effizienz ε zu klein ist. Der einzige be-kannte Mechanismus mit größerem ε ist die gravitativeEnergiegewinnung.

Beim Einfall von Materie auf ein zentrales Schwar-zes Loch wird potentielle Energie in kinetische Energieumgesetzt. Falls es gelingt, einen Teil der nach innen ge-richteten Bewegungsenergie in innere Energie (Wärme)umzuwandeln und diese dann abzustrahlen, dann kannε größer sein als das der thermonuklearen Prozesse. Ausder Theorie der Akkretion auf Schwarze Löcher folgt,dass die maximale Effizienz dieses Akkretionsprozes-ses ε ∼ 6% beträgt für ein SMBH, welches nicht rotiert(man bezeichnet ein Schwarzes Loch, welches kei-nen Drehimpuls besitzt, auch als Schwarzschild-Loch),und ε ∼ 29% für ein SMBH mit maximal erlaubtemDrehimpuls.

5.3.2 Akkretion

Aufgrund seiner astrophysikalischen Relevanz, nichtnur im Zusammenhang mit AGNs, wollen wir nun denProzess der Akkretion etwas genauer betrachten.

Gas, das in ein Schwarzes Loch einfällt, verliert seinepotentielle Energie, die zunächst in kinetische Energieumgesetzt wird. Falls der Einfall durch nichts behindertwird, fällt das Gas in das Loch, ohne dass es Energie ab-strahlen kann. Im Allgemeinen erwartet man, dass dasGas Drehimpuls besitzt. Dadurch kann es nicht direktauf das SMBH fallen, da es eine Drehimpulsbarriere

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190

5. Aktive Galaxienkerne

gibt. Durch Reibung mit anderen Gasteilchen und demdamit verbundenen Impulsaustausch wird sich das Gasin einer Scheibe ansammeln, die senkrecht zur Richtungseines Drehimpulsvektors orientiert ist. Man erwartet,dass die Reibungskräfte im Gas sehr viel kleiner sindals die Gravitationskraft. Deshalb wird die Scheibe lo-kal etwa mit der Keplergeschwindigkeit rotieren. Daaber eine Keplerscheibe differentiell rotiert (d. h. dieWinkelgeschwindigkeit hängt vom Radius ab), sorgtdie innere Reibung für eine Aufheizung des Gases inder Scheibe. Gleichzeitig wird durch diese Reibungdie Rotationsgeschwindigkeit etwas abgebremst, wo-durch das Material nach innen strömt. Die Energiezum Heizen des Gases der Scheibe stammt wiederumaus diesem Einströmen – nämlich der Umsetzung derpotentiellen Energie in kinetische Energie, die danndurch Reibung in innere Energie (Wärme) verwandeltwird.

Entsprechend dem Virialsatz wird die Hälfte derfreigesetzten potentiellen Energie in kinetische Ener-gie umgesetzt; diese ist im hier betrachteten Fall dieRotationsenergie der Scheibe. Die andere Hälfte derpotentiellen Energie kann in innere Energie umgewan-delt werden. Wir wollen diesen Prozess nun quantitativnäherungsweise beschreiben.

Wenn eine Masse m vom Radius r +Δr nach r fällt,wird eine Energie

ΔE = G M•m

r− G M•m

r +Δr≈ G M•m

r

Δr

r

frei, wobei M• die Masse des SMBH bezeichnet undwir annehmen, dass diese Masse das Gravitationspo-tential dominiert, also die Selbstgravitation der Scheibevernachlässigbar ist. Die Hälfte dieser Energie wird inWärme umgewandelt, Eheat = ΔE/2. Wenn wir davonausgehen, dass diese Energie lokal abgestrahlt wird,dann beträgt die zugehörige Leuchtkraft

ΔL = G M•m

2r2Δr , (5.11)

wobei m die Akkretionsrate bezeichnet, also dieje-nige Masse, die pro Zeiteinheit auf das Loch einfällt.Diese ist im stationären Zustand vom Radius unabhän-gig, da sich ansonsten bei bestimmten Radien Materieansammeln würde: Durch jeden Zylinder strömt proZeiteinheit gleich viel Materie.

Falls die Scheibe optisch dick ist, entspricht die lo-kale Abstrahlung der eines schwarzen Körpers. DerRing zwischen r und r +Δr strahlt dann die Leuchtkraft

ΔL = 2×2πr Δr σSBT 4(r) (5.12)

ab, wobei der Faktor 2 daher stammt, dass die Scheibezwei Seiten hat. Die Kombination von (5.11) und(5.12) liefert für die Temperatur der Scheibe die radialeAbhängigkeit

T(r) =(

G M•m

8πσSBr3

)1/4

.

Eine genauere Herleitung betrachtet die Dissipationdurch Reibung explizit und berücksichtigt die Tatsa-che, dass ein Teil der erzeugten Energie zum Aufheizendes Gases benutzt wird, wobei die entsprechende Wär-meenergie ebenfalls transportiert wird. Es ergibt sichaber bis auf einen Korrekturfaktor das gleiche Resultat,

T(r) =(

3G M•m

8πσSBr3

)1/4

, (5.13)

das im Bereich r � rS gültig ist. Skaliert man nun r mitdem Schwarzschild-Radius rS, so ergibt sich

T(r) =(

3G M•m

8πσSBr3S

)1/4 ( r

rS

)−3/4

.

Durch Ersetzen von rS im ersten Faktor mit (3.31) lässtsich dies auch schreiben als

T(r) =(

3c6

64πσSBG2

)1/4

m1/4 M−1/2•

(r

rS

)−3/4

.

(5.14)

Aus dieser Betrachtung ergeben sich direkt eineganze Reihe von Schlussfolgerungen. Am überra-schendsten ist vielleicht die Unabhängigkeit desTemperaturprofils der Scheibe vom detaillierten Me-chanismus der Dissipation, da die Gleichungen dieViskosität nicht explizit enthalten. Dieser Umstand er-möglicht quantitative Vorhersagen aus dem Modellder geometrisch dünnen, optisch dicken Akkretions-

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5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch

191

scheibe.4 Die Temperatur der Scheibe nimmt nach innenhin zu, wie zu erwarten war, und zwar ∝ r−3/4. DieGesamtemission der Scheibe ist daher in erster Nähe-rung eine Überlagerung von Schwarzkörperstrahlern,bestehend aus Ringen bei verschiedenen Radien mitverschiedenen Temperaturen. Aus diesem Grunde hatdas resultierende Spektrum keine Planck-Form, sonderneine sehr viel breitere Energieverteilung.

Für ein festes Verhältnis r/rS steigt die Temperaturmit der Akkretionsrate an, was wiederum erwartet wer-den kann: Da die lokale Abstrahlung ∝ T 4 und die lokaldissipierte Energie ∝ m, muss T ∝ m1/4 sein. Weiter-hin fällt für ein festes Verhältnis r/rS die Temperaturmit steigender Masse M• des Schwarzen Loches ab.Das bedeutet, dass die maximal erreichbaren Tempera-turen der Scheiben umso niedriger sind, je massereicherdas Schwarze Loch ist. Dieser Umstand ist vielleichtunerwartet und erklärt sich dadurch, dass die Gezei-tenkräfte für festes r/rS mit steigendem M• abnehmen.Vor allem folgt aus diesem Umstand, dass die maximaleTemperatur der Scheibe in AGNs sehr viel niedriger istals bei Akkretionsscheiben stellarer Quellen. Akkreti-onsscheiben um Neutronensterne und stellare SchwarzeLöcher strahlen im harten Röntgenbereich und sindals Röntgen-Binärquellen (X-ray binaries) bekannt. Diethermische Strahlung der Scheibe in AGNs erstrecktsich dagegen nur bis in den UV-Bereich (s. u.).

5.3.3 Superluminal Motion

Neben den Betrachtungen über die Energiegewinnungergibt sich ein weiterer Hinweis auf SMBHs im Zentrumvon AGNs durch die Beobachtung von Relativbewe-gungen zwischen Quellkomponenten mit scheinbarerÜberlichtgeschwindigkeit. Diese Beobachtungen der

4Der physikalische Mechanismus, der für die Viskosität verantwort-lich ist, ist unbekannt. Die molekulare Viskosität ist viel zu klein,um als primärer Prozess in Frage zu kommen. Vielmehr wird dieViskosität vermutlich durch Turbulenzen in der Scheibe oder durchMagnetfelder erzeugt, die sich durch die differentielle Rotation auf-wickeln und dadurch verstärken, so dass diese Felder als effektiveReibungskraft wirken können. Weiterhin können hydrodynamischeInstabilitäten als Quelle der Viskosität dienen. Obwohl die hier dar-gestellten Eigenschaften der Akkretionsscheibe – Leuchtkraft undTemperaturprofil – nicht vom speziellen Mechanismus der Viskositätabhängen, sind andere Eigenschaften sehr wohl von ihr bestimmt. Sohängt z. B. das zeitliche Verhalten von Scheiben bei Störungen, diefür die Variabilität einiger Binärsysteme verantwortlich sind, von derGröße der Viskosität ab; aus der Beobachtung solcher Systeme kannman dann die Viskosität abschätzen.

zentralen Radiokomponenten von AGNs werden haupt-sächlich mit VLBI-Methoden gemacht, da diese diehöchsten Winkelauflösungen bereitstellen. Dabei wirdeine zeitliche Abhängigkeit der relativen Winkelpositio-nen von Quellkomponenten gemessen, die, wenn mandie Winkelgeschwindigkeit in eine transversale räum-liche Geschwindigkeit umrechnet, häufig zu Werten> c führt (Abb. 5.11). Diese überlichtschnellen Be-wegungen haben bei ihrer Entdeckung eine gewisseUnruhe hervorgerufen. Insbesondere haben sie anfäng-lich Zweifel daran genährt, dass die Rotverschiebungvon QSOs aus der kosmischen Expansion herrührt –denn nur in diesem Fall lässt sich von der Rotver-schiebung auf die Entfernung der Quelle schließen,die wiederum benötigt wird, um die beobachtete Win-kelgeschwindigkeit in eine lineare Geschwindigkeitumzurechnen.

Wir betrachten zwei Quellkomponenten (z. B. denRadiokern und eine Komponente im Jet), die mitdem zeitlich variablen Winkelabstand θ(t) beobachtetwerden. Falls D die Entfernung zur Quelle bezeich-net, so ist die scheinbare Relativbewegung der beidenKomponenten

vapp = dr

dt= D

dt, (5.15)

wobei r = Dθ der transversale Abstand der beidenKomponenten ist. Der letzte Ausdruck in (5.15) zeigt,dass vapp direkt beobachtbar ist, falls die Entfernung Dals bekannt vorausgesetzt wird.

VLBI-Beobachtungen von kompakten Radioquellenergeben häufig Werte für vapp, die größer als c sind!Charakteristische Werte für Quellen mit dominanterKernkomponente betragen vapp ∼ 5c (siehe Abb. 5.11).Aber nach der Speziellen Relativitätstheorie kommenGeschwindigkeiten > c nicht vor! Es überrascht dahernicht, dass der Effekt der überlichtschnellen Bewe-gungen (Superluminal Motion) bei seiner Entdeckungzu unterschiedlichen Erklärungen Anlass gegeben hat.Inzwischen wurde Superluminal Motion auch durchoptische Beobachtungen von Jets gemessen, wie inAbb. 5.12 gezeigt ist.

Als mögliche Erklärung wurde u. a. vorgeschlagen,dass die kosmologische Interpretation der Rotverschie-bungen falsch sein könnte, da sich bei hinreichendkleinem D aus (5.15) Geschwindigkeiten unterhalb derLichtgeschwindigkeit ergeben. Plausible alternative Er-

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192

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.11. Scheinbare Überlichtgeschwindigkeiten vonQuellkomponenten im Radio-Jet der Quelle 3C120. VLBA-Beobachtungen dieser Quelle sind hier bei 16 verschiedenenEpochen (angegeben durch die Zahlen links von derjeweiligen Radiokarte) gezeigt, aufgenommen bei 7 mm Wel-lenlänge. Die Ellipse unten links deutet die Radiokeule desVLBA-Interferometers und damit die Winkelauflösung beidiesen Beobachtungen an. Bei der Entfernung von 3C120 von140 Mpc entspricht eine Millibogensekunde einer Strecke von0.70 pc. Die vier Geraden, die mit l, o, t und u bezeichnet sind,verbinden gleiche Quellkomponenten zu verschiedenen Epo-chen. Die lineare Bewegung dieser Komponenten ist deutlichzu erkennen. Aus der so beobachteten Winkelgeschwindig-keit der Komponenten ergeben sich scheinbare transversaleGeschwindigkeiten im Bereich zwischen 4.1c und 5c

Abb. 5.12. Auch im Optischen können scheinbare Überlicht-geschwindigkeiten nachgewiesen werden: der optische Jet inM87, basierend auf HST-Aufnahmen über einen Zeitraum vonetwa vier Jahren. Die Winkelgeschwindigkeit der Kompo-nenten beträgt bis zu 23 mas/yr. Unter der Annahme, dassdie Entfernung zu M87 D = 16 Mpc beträgt, ergeben sichGeschwindigkeiten der Komponenten von bis zu ∼ 6c

klärungen für die beobachtete Rotverschiebung vonQSOs gibt es jedoch nicht, und die mehr als 40 Jahre derBeobachtung von QSOs haben immer wieder bestätigt,dass die Rotverschiebung ein exzellentes Maß für dieEntfernung der Quellen darstellt – siehe Abschn. 4.5.1.

Allerdings besagt die Relativitätstheorie nur, dasssich Signale nicht mit Geschwindigkeiten > c aus-breiten können. Es ist leicht, ein Gedankenexperimentzu konstruieren, in dem überlichtschnelle Geschwin-digkeiten erzeugt werden: Man betrachte etwa einenLaserstrahl oder eine Taschenlampe, die senkrecht zuihrer Symmetrieachse rotiert. Der entsprechende Licht-punkt auf einem Schirm verändert seine Position miteiner Geschwindigkeit, die proportional zur Rotations-geschwindigkeit und zum Abstand des Schirms vonder Lichtquelle ist. Macht man letzteren nur großgenug, kann man ,,leicht“ einen überlichtschnellenLichtpunkt auf dem Schirm erzeugen. Allerdings trans-portiert der Lichtpunkt kein Signal entlang seiner Bahn.Ein solcher Bildschirmeffekt könnte also die über-

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5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch

193

lichtschnellen Bewegungen in kompakten Radioquellenerklären, aber was ist der ,,Schirm“, und was der,,Laserstrahl“?

Die allgemein anerkannte Erklärung der schein-bar überlichtschnellen Bewegungen kombiniert sehrschnelle Bewegungen von Quellkomponenten mit derEndlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Dazu betrachtenwir eine Quellkomponente, die sich mit der Geschwin-digkeit v im Winkel φ relativ zum Sehstrahl bewegt(siehe Abb. 5.13). Wir wählen den Ursprung der Zeitt = 0 beliebig, z. B. als den Zeitpunkt, an dem sichdie bewegte Komponente nahe an der Kernkomponenteder Quelle befindet. Zum Zeitpunkt t = te befindet sichdie Quelle dann im Abstand v te von der ursprüngli-chen Position; der beobachtbare Abstand ist davon die

Abb. 5.13. Erklärung der Superluminal Motion: Eine Quell-komponente bewegt sich mit Geschwindigkeit v im Winkel φ

relativ zum Sehstrahl. Wir betrachten die Emission von Pho-tonen zu zwei Zeitpunkten t = 0 und t = te; Photonen, die beit = te emittiert werden, erreichen uns eine Zeit Δt = te(1−β cos φ) später als die bei t = 0 emittierten. Der schein-bare Abstand der Quellpositionen zu den beiden Zeitpunktenist Δr = vte sin φ; daraus ergibt sich die scheinbare Ge-schwindigkeit am Himmel von vapp = Δr/Δt = v sin φ/(1−β cos φ)

transversale Komponente,

Δr = v te sin φ .

Da die Quelle zum Zeitpunkt te einen kleineren Abstandzur Erde hat als bei t = 0, benötigt das Licht entspre-chend etwas weniger Zeit, uns zu erreichen. Photonen,die zu den Zeitpunkten t = 0 und t = te emittiert werden,erreichen uns mit einem Zeitabstand von

Δt = te − v te cos φ

c= te (1−β cos φ) ,

wobei wir

β := v

c(5.16)

als Geschwindigkeit in Einheiten der Lichtgeschwin-digkeit definiert haben. Aus (5.15) ergibt sich dann diescheinbare Geschwindigkeit,

vapp = Δr

Δt= v sin φ

1−β cos φ. (5.17)

Aus dieser Gleichung lassen sich direkt einigeSchlüsse ziehen. Die scheinbare Geschwindigkeit vapp

ist eine Funktion der Richtung der Bewegung relativ zurSichtlinie und der wahren Geschwindigkeit der Kom-ponente. Für einen festen Wert von v tritt die maximaleGeschwindigkeit vapp auf, wenn

(sin φ)max = 1

γ, (5.18)

wobei wir den Lorentz-Faktor γ = (1−β2)−1/2 bereitsin (5.4) definiert hatten. Der entsprechende Wert dermaximalen scheinbaren Geschwindigkeit ist dann(

vapp)

max = γ v . (5.19)

Da γ für Werte von v → c beliebig groß wird, kann da-her die scheinbare Geschwindigkeit ebenfalls sehr vielgrößer als c werden, auch wenn die wahre Geschwin-digkeit v – wie von der Speziellen Relativitätstheorieverlangt – kleiner als c ist. In der Abb. 5.14 ist vapp alsFunktion von φ dargestellt, für verschiedene Werte desLorentz-Faktors γ . Damit bei einem Winkel φ Wertemit vapp > c auftreten, muss

β >1

sin φ+ cos φ≥ 1√

2≈ 0.707

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194

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.14. Scheinbare Geschwindigkeit βapp = vapp/c einerQuellkomponente, die sich mit Lorentz-Faktor γ in einemWinkel φ relativ zur Sichtlinie zu uns bewegt, für vier ver-schiedene Werte von γ . Über einen weiten Bereich in θ

ist βapp > 1, treten also scheinbare Überlichtgeschwindigkei-ten auf. Die maximalen Werte für βapp ergeben sich, wennsin φ = 1/γ

gelten. Superluminal Motion ist also eine Folge derEndlichkeit der Lichtgeschwindigkeit. Ihr Auftreten im-pliziert, dass Quellkomponenten in Radiojets von AGNsauf Geschwindigkeiten nahe der Lichtgeschwindigkeitbeschleunigt werden. Nun findet man in verschiede-nen Situationen, dass die Ausflussgeschwindigkeitenin astronomischen Objekten von der Größenordnungder jeweiligen Fluchtgeschwindigkeiten sind. Beispieledafür sind etwa der Sonnenwind, Sternwinde im All-gemeinen, oder Jets von Neutronensternen, wie indem berühmten Beispiel von SS433 (bei dem dieJet-Geschwindigkeit 0.26 c beträgt). Wenn also die Aus-strömgeschwindigkeiten von Jets in AGNs nahe an derLichtgeschwindigkeit sind, so sollten die Jets in einemBereich entstehen, bei dem die Fluchtgeschwindigkeitebenfalls diese Größe hat. Die einzigen Objekte, diegenügend kompakt sind und daher dafür in Frage kom-men, sind Neutronensterne oder Schwarze Löcher. Dadie zentrale Masse in AGNs wesentlich größer ist alsdie maximale Masse eines Neutronensterns, kommt nurein SMBH als zentrales Objekt in Frage. Diese Argu-mentation liefert zusätzlich die Aussage, dass die Jets inAGNs sehr nahe am Schwarzschild-Radius des SMBHgebildet und beschleunigt werden müssen.

Die Prozesse, die zur Bildung der Jets führen, sindimmer noch ein Gegenstand intensiver Forschung. Mit

großer Wahrscheinlichkeit spielen Magnetfelder eineganz zentrale Rolle. Solche Felder können in der Ak-kretionsscheibe verankert sein, sie werden durch diedifferentielle Rotation der Scheibe aufgewickelt undverstärken sich dadurch. Die aufgewickelten Feldlinienkönnen dann wie eine Art Feder wirken, die Plasma ent-lang der Rotationsachse der Scheibe wegbeschleunigt.Weiterhin gibt es die Möglichkeit, Rotationsenergieaus einem rotierenden Schwarzen Loch zu extrahieren,wobei auch hier die Magnetfelder die zentrale Rollespielen. Wie stets in der Astrophysik sind detaillierteVorhersagen in Situationen, wo Magnetfelder eine do-minante dynamische Bedeutung haben (wie z. B. bei derSternentstehung), äußerst schwierig, denn die entspre-chenden gekoppelten Gleichungen für das Plasma unddas magnetische Feld sind extrem schwer zu lösen.

5.3.4 Weitere Argumente für SMBHs

Ein Schwarzes Loch ist nicht nur die einfachste Lö-sung der Gleichungen der Einsteinschen AllgemeinenRelativitätstheorie, sondern ebenfalls der natürlicheEndzustand einer sehr kompakten Massenverteilung.Das Auftreten von SMBHs ist daher aus theoretischerSicht etwas sehr Plausibles. Die in den letzten Jahrenvermehrt gefundenen Hinweise auf SMBHs in den Zen-tren von normalen Galaxien (siehe Abschn. 3.5) liefernzusätzliche Argumente für SMBHs in AGNs als derenzentrale Objekte.

Weiterhin findet man, dass die Richtung der Jets aufMillibogensekunden-Skala, wie sie mit VLBI beobach-tet werden, praktisch identisch ist mit der Richtung vonJets auf sehr viel größeren Skalen und mit der Richtungzu den entsprechenden Radio-Lobes. Diese Lobes besit-zen oftmals einen riesigen Abstand vom Kern, was aufdie große Lebensdauer der Quelle hinweist. Die zentraleMaschine muss also ein ,,Langzeitgedächtnis“ besit-zen, denn die Ausströmrichtung ist stabil über ∼ 107 yr.Ein rotierendes SMBH ist ein ideales Gyroskop, wel-ches eine Richtung durch seinen Drehimpulsvektorfestlegt.

Röntgen-Beobachtungen einer Eisenlinie mit Ru-heenergie hPν = 6.35 keV in Seyfert-Galaxien gebeneinen klaren Hinweis darauf, dass die Emission auseinem Bereich einer Akkretionsscheibe innerhalb we-niger Schwarzschild-Radien von einem SMBH stammt.Ein Beispiel dafür ist in Abb. 5.15 dargestellt. Die Form

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5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch

195

Abb. 5.15. Die spektrale Form der breiten Eisenlinie in derSeyfert 1-Galaxie MCG-6-30-15, wie sie mit dem ASCA-Satelliten aufgenommen wurde. Falls das Material, das dieLinie emittiert, in Ruhe wäre, sähe man eine schmale Liniebei hPν = 6.35 keV. Man sieht, dass die Linie (a) breit ist,(b) starke Asymmetrie aufweist und (c) zu kleineren Ener-gien hin verschoben ist. Ein Modell für diese Linienform,basierend auf einer Scheibe um ein Schwarzes Loch, die imRadiusbereich rS ≤ r ≤ 20rS strahlt, ist in Abb. 5.16 szizziert

Abb. 5.16. Das Profil der breiten Eisenlinie wird hervorge-rufen durch eine Kombination von Doppler-Verschiebung,relativistischem Beaming und der gravitativen Rotverschie-bung. Links ist die beobachtete Energie der Linie als Funktionder Position auf einer rotierenden Scheibe durch Farbengekennzeichnet; dabei ist die Energie am rechten Randder Scheibe, der sich auf uns zu bewegt, blauverscho-ben, während der linke Teil der Scheibe rotverschobeneStrahlung emittiert. Neben diesem Dopplereffekt wird diegesamte Strahlung rotverschoben, da die Photonen auseinem tiefen Potentialtopf entkommen müssen; diese gra-

vitative Rotverschiebung ist umso stärker, je kleiner derRadius der Emission ist. Die Linienform eines ringförmi-gen Ausschnitts der Scheibe (gestrichelte Ellipsen) ist in denrechten Abbildungen gezeigt. Dabei ist oben die Form derLinie aufgetragen, die man erhielte, wenn keine relativisti-schen Effekte im Spiel wären. Darunter ist das Linienprofilunter Berücksichtigung des Doppler-Effektes und des bea-ming [siehe Gl. (5.30)] aufgetragen. Das Linienprofil wirddurch die gravitative Rotverschiebung zu kleineren Ener-gien verschoben, so dass sich insgesamt das untere Profilergibt

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196

5. Aktive Galaxienkerne

der Linie wird durch eine Kombination eines starkenDoppler-Effekts durch hohe Rotationsgeschwindigkei-ten in der Scheibe sowie dem starken Gravitationsfelddes Schwarzen Lochs hervorgerufen, wie dies in derAbb. 5.16 erläutert wird.

Diese Eisenlinie kann man nicht nur in individu-ellen AGNs nachweisen, sondern auch im mittlerenSpektrum eines Ensembles von AGNs. In einertiefen (∼ 7.7×105 s) XMM-Newton-Aufnahme desLockman-Feldes, einem Gebiet mit sehr kleiner Ga-laktischer Wasserstoff-Säulendichte, konnte eine großeZahl von AGNs identifiziert und spektroskopisch veri-fiziert werden. Das Röntgenspektrum dieser AGNs imEnergiebereich zwischen 0.2 und 3 keV sowie zwischen8 und 20 keV (jeweils im Ruhesystem des AGN) wurdedurch ein Potenzgesetz und eine intrinsische Absorptionmodelliert. Das Verhältnis des gemessenen Spektrumsjedes einzelnen AGN und des angepassten Modellspek-trums wurde dann über die AGN-Population gemittelt,nachdem die Spektren in das Ruhesystem der jeweili-gen Quelle transformiert wurden. Wie in der Abb. 5.17gezeigt ist, zeigt dieses Verhältnis sehr deutlich diePräsenz einer starken und breiten Linie. Die Form die-ser ,,mittleren“ Emissionslinie kann sehr gut durch dieEmission einer Akkretionsscheibe um ein SchwarzesLoch modelliert werden, wobei die Strahlung aus einemBereich zwischen ∼ 3 und ∼ 400 Schwarzschildradien

Abb. 5.17a,b. Das Verhältnis der Röntgenspektren von AGNsund einem angepassten Potenzgesetz, gemittelt über 53 Typ-1AGNs (a) und 41 Typ-2 AGNs (b). Die grauen bzw. schwarzenMesspunkte stammen von zwei verschiedenen Detektoren desXMM-Newton-Observatoriums. In beiden AGN-Samples ist

eine breite relativistische Eisenlinie zu erkennen; bei den Typ-2 AGNs ist zusätzlich noch eine schmale Linienkomponentebei 6.4 keV zu identifizieren. Die Stärke der Linie deutet an,dass die mittlere Eisenhäufigkeit in diesen Quellen etwa dasDreifache der solaren Häufigkeit beträgt

herstammt. Die Stärke der Eisenlinie zeigt eine hoheMetallizität des Gases in diesen AGNs.

5.3.5 Erste Massenabschätzung des SMBH:die Eddington-Leuchtkraft

Die Strahlungskraft. Wie wir gesehen haben, findetdie primäre Energieerzeugung in AGNs durch die Ak-kretion von Materie auf ein SMBH statt, wobei dergrößte Teil der Energie im innersten Bereich, also naheam Schwarzschild-Radius, erzeugt wird. Die im zentra-len Bereich erzeugte Strahlung propagiert nach außenund kann dabei mit der einfallenden Materie über Ab-sorption oder Streuung wechselwirken. Durch dieseWechselwirkung von nach außen gerichteter Strahlungmit Materie wird Impuls der Strahlung auf die Mate-rie übertragen, d. h. es wirkt eine nach außen gerichteteStrahlungskraft auf die einfallende Materie. Damit dieMaterie überhaupt auf das SMBH einfallen kann, mussdiese Strahlungskraft kleiner sein als die Gravitations-kraft. Diese Bedingung übersetzt sich in eine minimaleMasse, die das SMBH besitzen muss, um bei gegebenerLeuchtkraft die Kraftbilanz zu dominieren.

Wir betrachten ein vollständig ionisiertes Gas, sodass die Wechselwirkung von Strahlung mit diesemeinströmenden Plasma im Wesentlichen durch dieStreuung von Photonen mit den freien Elektronen statt-

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5.3 Die zentrale Maschine: ein Schwarzes Loch

197

findet, die man als Thomson-Streuung bezeichnet. Diemittlere Strahlungskraft auf ein Elektron beim Radius rist dann

Frad = σTL

4π r2 c, (5.20)

wobei

σT = 8π

3

(e2

mec2

)2

= 6.65×10−25 cm2 (5.21)

den Thomsonschen Wirkungsquerschnitt (in cgs-Einheiten) bezeichnet. Dieser Wirkungsquerschnitt istunabhängig von der Frequenz der Photonen. Um (5.20)herzuleiten, stellt man zunächst fest, dass der FlussS = L/(4πr2) die durch eine Einheitsfläche im Abstandr von der zentralen Quelle pro Zeiteinheit durchflie-ßende Energie der Strahlung ist. Damit ist S/c der durchdiese Einheitsfläche pro Zeit durchströmende Impulsder Photonen, also der Strahlungsdruck, da der Photo-nenimpuls durch Photonenenergie dividiert durch dieLichtgeschwindigkeit gegeben ist. Der Impulsübertragauf ein Elektron pro Zeiteinheit, also die Strahlungs-kraft, ist daher gegeben durch σTS/c. Man erkenntaus (5.20), dass die Strahlungskraft die gleiche Radi-usabhängigkeit hat wie die Gravitationskraft, ∝ r−2,so dass das Verhältnis der beiden Kräfte vom Radiusunabhängig ist.

Eddington-Leuchtkraft. Damit Materie einfallenkann – die Voraussetzung für die Energieerzeu-gung – muss die Strahlungskraft kleiner sein als dieGravitationskraft. Für jedes Elektron existiert ein Pro-ton (diese beiden Teilchensorten sind elektromagnetischaneinander gekoppelt), und die Gravitationskraft proElektron-Proton-Paar ist gegeben durch (wobei wirdie um fast 2000 Mal kleinere Masse des Elektronsvernachlässigen können)

Fgrav = G M•mp

r2.

Die Bedingung

Frad < Fgrav (5.22)

für die Dominanz der Gravitation lautet daher

σTL

4π r2 c<

G M•mp

r2,

oder

L < Ledd := 4πGcmp

σTM•

≈ 1.3×1038(

M•M�

)erg/s , (5.23)

wobei wir die Eddington-Leuchtkraft Ledd einesSchwarzen Loches der Masse M• definiert haben.Da σT unabhängig von der Photonenfrequenz ist, istdie Leuchtkraft in der obigen Betrachtung immer alsbolometrische Leuchtkraft zu verstehen.

Damit Akkretion überhaupt stattfinden kann, mussL < Ledd sein. Man beachte, dass die Eddington-Leuchtkraft proportional zu M• ist. Das obige Argumentkann man umkehren: Falls die Leuchtkraft L beobachtetwird, kann man daraus Ledd > L folgern, oder aber

M• > Medd := σT

4πGcmpL

≈ 8×107(

L

1046 erg/s

)M� .

(5.24)

Aus der Leuchtkraft kann man daher eine untereSchranke für die Masse des SMBH ableiten. Fürleuchtkräftige AGNs, wie etwa QSOs, erhält mantypische Massen von M• � 108 M�, während fürSeyfert-Galaxien untere Schranken von M• � 106 M�gelten. Das SMBH in unserer Galaxis könnte also imPrinzip eine Seyfert-Galaxie mit Energie versorgen.

In der Betrachtung, die zur Definition der Eddington-Leuchtkraft führte, wurde implizit angenommen, dassdie Emission der Strahlung isotrop ist. Im Prinzip kannman das obige Argument einer maximalen Leucht-kraft umgehen und damit Leuchtkräfte größer als dieEddington-Leuchtkraft erhalten, wenn die Emissionsehr stark anisotrop ist. Ein geometrisches Bild da-für wäre etwa die Akkretion in einer Scheibe in derÄquatorialebene und die Emission des größten Teilsder Strahlung entlang der Polachsen (siehe Abb. 5.18).In der Tat wurden Modelle dieser Art konstruiert und ge-zeigt, dass man das Eddington-Limit dadurch umgehenkann, aber um keinen sehr großen Faktor. Die Mög-lichkeit der anisotropen Emission hat eine weitere sehrwichtige Konsequenz. Um aus dem beobachteten Flusseiner Quelle die Leuchtkraft abzuleiten, benutzt man die

Page 211: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

198

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.18. Vorstellung vom innersten Bereich der Akkretions-scheibe. Durch die hohen Temperaturen im Innersten kann derDruck dominiert werden vom Strahlungsdruck innerhalb derScheibe, der dann den ,,normalen“ Gasdruck übersteigt. Diesführt zu einem Aufblähen zu einer dicken Scheibe. Strah-lung vom dicken Teil der Scheibe kann dann auf den dünnenTeil der Scheibe treffen und dort reflektiert werden. Diese Re-flektion ist eine plausible Erklärung der Röntgenspektren vonAGNs

Beziehung L = 4πD2L S, die implizit auf der Annahme

einer isotropen Emission beruht. Wenn aber die Ab-strahlung anisotrop ist und daher von der Richtung zumBeobachter abhängt, dann kann die wahre Leuchtkraftdeutlich von derjenigen abweichen, die man unter derAnnahme der isotropen Emission ableitet. Wir werdenspäter noch genauer auf die Evidenz für eine anisotropeAbstrahlung eingehen.

Eddington-Akkretionsrate. Falls die Umsetzung dereinfallenden Masse in Energie mit der Effizienz ε

geschieht, kann man die Akkretionsrate bestimmen,

m = L

ε c2≈ 0.18

1

ε

(L

1046 erg/s

)(M�1 yr

); (5.25)

da die maximale Effizienz von der Größenordnungε ∼ 0.1 ist, impliziert dies bei sehr leuchtkräftigenQSOs Akkretionsraten von typischerweise einigen Son-nenmassen pro Jahr. Misst man L in Einheiten derEddington-Leuchtkraft, so ergibt sich mit (5.23)

m = L

Ledd

(1.3×1038 erg/s

εc2

)( M•M�

)≡ L

Leddmedd ,

(5.26)

wobei im letzten Schritt die Eddington-Akkretionsratedefiniert wurde,

medd = Ledd

εc2≈ 1

ε2×10−9 M• yr−1 . (5.27)

Anwachsrate der Masse des SMBH. Die Eddington-Akkretionsrate ist die maximale Akkretionsrate, fallsisotrope Emission angenommen wird, und sie hängt vonder angenommenen Effizienz ε ab. Wir können nun einecharakteristische Zeit abschätzen, in der die Masse desSMBH signifikant anwächst, durch

tevo := M•m

≈ ε

(L

Ledd

)−1

5×108 yr , (5.28)

d. h. selbst bei effizienter Energieerzeugung (ε ∼ 0.1)kann die Masse des SMBH auf kosmologisch kurzenZeitskalen durch Akkretion stark anwachsen. Dies istaber nicht der einzige Mechanismus, der SMBHs großerMasse erzeugen kann, sondern sie können auch bei derVerschmelzung zweier Schwarzer Löcher mit jeweilskleinerer Masse gebildet werden, wie man das nachder Verschmelzung zweier Galaxien erwarten würde,wenn beide Partner ein SMBH im Zentrum besessenhaben. Wir werden später diesen Punkt noch genauerdiskutieren.

5.4 Komponenten eines AGN

Im Gegensatz zu Sternen, die eine einfache Geometriebesitzen, erwartet man in AGNs mehrere Quellkompo-nenten mit verschiedener, eventuell ziemlich komplexergeometrischer Anordnung, die die verschiedenen Kom-ponenten des Spektrums erzeugen, wie sie in derAbb. 5.19 skizziert sind. Akkretionsscheiben und Jets inAGN sind klare Hinweise auf deutliche Abweichungenvon der sphärischen Symmetrie in diesen Quellen. DieRelation zwischen den Quellkomponenten und den ent-sprechenden spektralen Komponenten ist nicht immeroffensichtlich, aber eine Kombination von theoretischenÜberlegungen und detaillierten Beobachtungen hat zuteilweise recht befriedigenden Modellen geführt.

5.4.1 Das IR, optische und UV-Kontinuum

In Abschn. 5.3.2 haben wir eine Akkretionsscheibe be-trachtet, deren charakteristische Temperatur aus (5.14)folgt,

T(r) ≈ 6.3×105 K

(m

medd

)1/4

×(

M•108 M�

)−1/2 ( r

rS

)−3/4

. (5.29)

Page 212: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

5.4 Komponenten eines AGN

199

Abb. 5.19. Skizze des typischen spektralen Verlaufs einesQSOs; dabei wird unterschieden zwischen radiolauten (gestri-chelt) und radioruhigen (durchgezogen) QSOs. Aufgetragenist νSν (in beliebigen Einheiten), so dass ein flacher Ver-lauf des Spektrums gleiche Energie pro logarithmischenFrequenzintervallen entspräche. Am deutlichsten sticht derBig Blue Bump heraus, ein breites Maximum im UV bishin zum weichen Röntgenbereich des Spektrums. Weiterhinsieht man ein weniger deutlich ausgeprägtes Maximum imIR. Zu höheren Energien im Röntgenbereich steigt das Spek-trum an – typischerweise ∼ 10% der Gesamtenergie wird imRöntgenbereich abgestrahlt

Die thermische Emission einer Akkretionsscheibe mitdiesem Temperaturverlauf ergibt ein breites Spektrummit einem Maximum im UV-Bereich. Das Konti-nuumsspektrum von QSOs zeigt tatsächlich einendeutlichen Anstieg zum UV, bis hin zu der Grenzeder beobachtbaren Wellenlängen, d. h. λ � 1000 Å(wobei dies die beobachtete Wellenlänge ist; QSOsmit großer Rotverschiebung kann man bei erheb-lich kleinerer Wellenlänge im Ruhesystem des QSOsbeobachten). Für Wellenlängen λ ≤ 912 Å setzt photo-elektrische Absorption des neutralen Wasserstoffs imISM der Galaxis ein, weshalb unsere Milchstraße fürdiese Strahlung undurchlässig ist. Erst bei deutlichhöheren Frequenzen, nämlich im weichen Röntgenbe-reich (hPν � 0.2 keV), kann man den extragalaktischenHimmel wieder beobachten.

Wenn die UV-Strahlung eines QSOs im Wesent-lichen von einer Akkretionsscheibe stammt, wie daswegen des beobachteten Anstiegs des Spektrums zumUV hin zu vermuten ist, so stellt sich die Frage,

ob man diese thermische Emission der Scheibe auchnoch im Röntgenbereich wiederfindet, so dass dasSpektrum über den unbeobachtbaren Bereich zwischen13 eV � hPν � 0.2 keV mit einem solchen Akkreti-onsscheibenspektrum interpoliert werden kann. Diesscheint in der Tat der Fall zu sein. Das Röntgenspektrumvon QSOs zeigt oftmals einen sehr einfachen Verlauf inForm eines Potenzgesetzes, Sν ∝ ν−α, wobei α ∼ 0.7ein charakteristischer Wert ist. Das Spektrum folgtdiesem Potenzgesetz allerdings erst ab Energien von∼ 0.5 keV, und für kleinere Energien ist der spektraleFluss größer als durch die Extrapolation des Potenz-spektrums von höheren Energien vorhergesagt wird.Eine Interpretation dieses Befundes besteht nun darin,dass man annimmt, die Quelle der Röntgenemissionproduziere ein einfaches Potenzspektrum und der zu-sätzliche Fluss bei kleinen Röntgenenergien stammevon der thermischen Emission der Akkretionsscheibe(siehe Abb. 5.19).

Vermutlich gehören daher diese beiden spektralenEigenschaften – der Anstieg des Spektrums hin zumUV und der Überschuss der Strahlung im weichenRöntgenbereich – zusammen und sind die beiden Flü-gel eines breiten Maximums der Energieverteilung,welches sich selbst im für uns nicht beobachtbarenspektralen Bereich befindet. Man nennt dieses Maxi-mum den Big Blue Bump (BBB). Die Beschreibung desBBB ist mittels detaillierter Modelle von Akkretions-scheiben möglich (Abb. 5.20). Allerdings ist dafür dieAnnahme eines lokalen Planckspektrums an jeder Stelleder Scheibe zu einfach, da die Struktur der Akkretions-scheibe komplizierter ist. Die spektralen Eigenschafteneiner Akkretionsscheibe müssen an jedem Radius durcheine ,,Atmosphäre“, ähnlich wie bei Sternen, modelliertwerden.

Neben dem BBB gibt es zusätzlich ein weiteres Ma-ximum im MIR (IR-Bump). Dieser ist beschreibbar alsthermische Emission von warmem Staub (T � 2000 K).Weiter unten werden wir weitere Hinweise auf solchenStaub auch aus anderen Beobachtungen diskutieren.

Das optische Kontinuum von Blazaren ist gegen-über den Seyfert-Galaxien und den QSOs verschieden.Es zeichnet sich häufig durch einen spektralen Verlaufaus, der in sehr guter Näherung einem Potenzgesetzfolgt, und ist stark variabel und polarisiert. All diesdeutet darauf hin, dass es sich vorwiegend um nicht-thermische Strahlung handelt. Der Ursprung dieser

Page 213: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

200

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.20. Spektrum des QSOs PKS0405−123 bei z = 0.57(Datenpunkte mit Fehlerbalken) vom NIR- über den sicht-baren bis hin zum UV-Bereich, und ein Modell für diesesSpektrum (durchgezogene Kurve). Dieses setzt sich zusam-men aus der Strahlung einer Akkretionsscheibe, die den BigBlue Bump hervorruft und deren Spektrum aus drei unter-schiedlichen Radius-Bereichen auch getrennt gezeigt ist, demBalmer-Kontinuum und einem unterliegenden Potenzspek-trum, welches etwa aus der Synchrotron-Emission stammenkann

Strahlung ist daher vermutlich nicht in einer Akkre-tionsscheibe zu finden, sondern man vermutet, dassdiese Strahlung aus den relativistischen Jets stammt,die wir bereits im Radio-Bereich kennengelernt habenund deren Synchrotronstrahlung sich bis hin zu opti-schen Wellenlängen erstreckt. Diese Annahme konntein vielen Fällen durch die (HST-)Beobachtung optischerStrahlung von Jets untermauert werden (siehe Abb. 5.12und Abschn. 5.5.4).

5.4.2 Die breiten Emissionslinien

Charakteristika der Broad Line Region. Eines derüberraschenden Charakteristika von AGNs ist dieExistenz sehr breiter Emissionslinien. Als Dopplerge-schwindigkeiten interpretiert ergeben sich Werte fürdie Breite der Geschwindigkeitsverteilung der Kom-ponenten im Emissionsgebiet von Δv � 10 000 km/s(oder Δλ/λ � 0.03). Es kann sich dabei nicht umeine thermische Linienverbreiterung handeln, da dannkBT ∼ mp(Δv)2/2 ∼ 1 MeV, oder T ∼ 1010 K wäre –bei solchen Temperaturen gibt es keine Emissionsli-

nien mehr, weil die Atome dann vollständig ionisiertwären (ganz abgesehen davon, dass bei solchen Tem-peraturen ein Plasma e+e−-Paare effizient erzeugenwürde und die entsprechende Annihilationslinie bei511 keV in der Gamma-Strahlung eventuell sichtbarwäre). Daher interpretiert man die beobachtete Lini-enbreite als Doppler-Verbreiterung. Das Gas, welchesdiese Linien emittiert, hat demnach großskalige Ge-schwindigkeiten von etwa 10 000 km/s. Solch hoheGeschwindigkeiten deuten auf die Anwesenheit einesstarken Gravitationsfeldes hin, wie es etwa nahe an ei-nem SMBH existiert. Wenn die Emission der Liniendurch Gas geschieht, welches sich im Abstand r von ei-nem SMBH bewegt, dann ergeben sich charakteristischeGeschwindigkeiten von

vrot ∼√

G M•r

= c√2

(r

rS

)−1/2

,

so dass sich für Bewegungen mit v ∼ c/30 eine radialeEntfernung ergibt von(

r

rS

)∼ 500 .

Die Dopplerverbreiterung der breiten Emissionslinienkann also durch Keplersche Rotation bei Radien vonetwa 1000 rS erzeugt werden. Diese Abschätzungberuht zwar auf der Annahme einer Rotationsbewe-gung, aber die Einfallgeschwindigkeit beim freienFall unterscheidet sich von der Rotationsgeschwin-digkeit um nicht mehr als einen Faktor

√2, so

dass für diese grobe Abschätzung der kinemati-sche Zustand des emittierenden Gases unerheblichist, solange nur die Gravitation für das Vorhanden-sein der hohen Geschwindigkeiten verantwortlich ist.

Man bezeichnet den Bereich, in dem die breitenEmissionslinien erzeugt werden, als die Broad Line Re-gion (BLR). Die Dichte des Gases in der BLR kannman aus den beobachteten Linien abschätzen. Dazustellt man zunächst fest, dass unter den breiten Liniensowohl erlaubte Übergänge, wie etwa Lyα, MgII undCIV, als auch halbverbotene (z. B. CIII], NIV]) vorkom-men, aber keine Linien von verbotenen Übergängen.Die Unterscheidung von erlaubten, halbverbotenen undverbotenen Übergängen erfolgt mittels der quantenme-chanischen Übergangswahrscheinlichkeiten bzw. dersich daraus ergebenden mittleren Zeit für einen sponta-nen Strahlungsübergang. Bei den erlaubten Übergängen

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5.4 Komponenten eines AGN

201

handelt es sich um elektrische Dipolstrahlung, die einegroße Übergangswahrscheinlichkeit besitzt und derenLebensdauer im angeregten Zustand daher typischer-weise nur 10−8 s beträgt. Bei verbotenen Übergängenist die Zeitskala deutlich größer, typischerweise 1 s,weil deren quantenmechanische Übergangswahrschein-lichkeit deutlich geringer ist. Halbverbotene Übergängebesitzen eine Lebensdauer, die zwischen diesen Wertenliegt. Um die verschiedenen Arten der Übergänge zukennzeichnen, benutzt man bei verboten Übergängeneine Doppelklammer, wie bei [OIII], während halb-verbotene Übergänge durch eine einfache Klammergekennzeichnet werden, etwa bei CIII].

Ein angeregtes Atom kann entweder durch spontaneEmission eines Photons oder durch Stöße mit ande-ren Atomen durch Energieabgabe in den Grundzustandübergehen. Die Wahrscheinlichkeit für einen Strah-lungsübergang ist durch atomare Parameter bestimmt,während die Stoßabregung von der Dichte des Gasesabhängt. Falls die Dichte des Gases groß ist, ist die mitt-lere Zeit zwischen zwei Stößen sehr viel kleiner als diemittlere Lebensdauer von verbotenen oder halbverbote-nen Strahlungsübergängen, so dass die entsprechendenLinienphotonen nicht beobachtet werden.5 Aus der Ab-wesenheit von verbotenen Linien erhält man daher eineuntere Schranke an die Gasdichte, und das Vorhan-densein halbverbotener Linien beschränkt die Dichtenach oben. Um dieses Argument von der chemischenZusammensetzung des Gases möglichst unabhängigmachen zu können, benutzt man für diese Abschätzun-gen Übergänge des gleichen Elements, was allerdingsnicht immer möglich ist. Aus der Anwesenheit vonCIII] und der nichtbeobachteten [OIII]-Linie ergibt sichmittels Modellrechnungen eine Dichteabschätzung vonne ∼ 3×109 cm−3.

Weiterhin kann man aus den Ionisationsstufen derElemente, aus denen die Linien stammen, eine Tem-peratur abschätzen, die typischerweise T ∼ 20 000 Kbeträgt. Detaillierte Photoionisationsmodelle der BLRsind sehr erfolgreich und können Details von Linienver-hältnissen sehr gut wiedergeben.

Wiederum kann man aus der Dichte des Gases undseiner Temperatur das Emissionsmaß berechnen (d. h.

5Damit verbotene Linienübergänge sichtbar werden, muss die Gas-dichte sehr klein sein. Solche kleinen Dichten kann man im Labornicht herstellen, so dass verbotene Linien in Laborspektren tatsächlichnicht beobachtet werden können, also ,,verboten“ sind.

die Anzahl der Linienphotonen pro Volumenelement).Aus der beobachteten Linienstärke und der Entfernungzum AGN kann man dann die Anzahl der insgesamtemittierten Linienphotonen berechnen und nach Divi-sion durch das Emissionsmaß das Volumen bestimmen,welches das emittierende Gas einnimmt. Dabei stelltsich heraus, dass dieses Volumen sehr viel kleiner istals das gesamte Volumen (∼ r3) der BLR. Daraus fol-gert man, dass die BLR nicht homogen mit Gas gefülltist, sondern einen sehr kleinen Füllfaktor hat. Das Gas,aus dem die breiten Linien stammen, nimmt nur etwa10−7 des Volumens der BLR ein, ist also in ,,Wolken“konzentriert.

Geometrisches Bild der BLR. Aus den oben beschrie-benen Überlegungen erhält man also die Vorstellung,dass die BLR Gas-,,Wolken“ mit einer charakteris-tischen Teilchendichte von ne ∼ 109 cm−3 enthält. Indiesen Wolken finden Heizungs- und Kühlungsprozessestatt. Der vermutlich wesentliche Kühlungsprozess istdie beobachtete Emission in Form von breiten Emis-sionslinien. Die Heizung des Gases geschieht durchdie energetische Kontinuumsstrahlung des AGN, diedas Gas photoionisiert, ähnlich wie in GalaktischenGaswolken. Die Differenz zwischen der Energie einesPhotons und der Ionisationsenergie ergibt die Energiedes von ihm freigesetzten Elektrons, die dann durchStöße thermalisiert wird und daher zur Aufheizung desGases führt. Im stationären Zustand ist die Heizrategerade gleich der Kühlung, und aus dieser Gleichge-wichtsbedingung ergibt sich die Temperatur, die sich inden Wolken einstellt.

Aus dem Vergleich von Kontinuumsstrahlung undLinienemission erhält man den Bruchteil der ionisie-renden Kontinuumsphotonen, die von den Wolken derBLR absorbiert werden. Dieser ergibt sich zu etwa 10%.Falls die Wolken optisch dick sind, was der Fall ist,so ist der Bruchteil der absorbierten Kontinuumsphoto-nen gleichzeitig der Anteil des Raumwinkels, den dieWolken, von der zentralen Kontinuumsquelle her be-trachtet, einnehmen. Aus dem Füllfaktor und diesemeingenommenen Raumwinkel kann man dann die cha-rakteristische Größe der Wolken abschätzen, wobei sichtypische Werte von etwa 1011 cm ergeben. Weiterhinkann man mit diesen Überlegungen die Anzahl von Wol-ken in der BLR abschätzen, wobei sich etwa 1010 alstypischer Wert herausstellt.

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202

5. Aktive Galaxienkerne

Die charakteristische Geschwindigkeit der Wolkenentspricht der Linienbreite, also mehrere Tausend km/s.Allerdings ist die Kinematik der Wolken unbekannt.Wir wissen nicht, ob diese um das SMBH rotieren, obsie einfallen oder ausströmen, oder ob sie eine eherchaotische Bewegung vollführen. Es ist auch denkbar,dass es innerhalb der BLR verschiedene Gebiete gibt,deren kinematische Eigenschaften sich voneinanderunterscheiden.

Eine direkte Methode zur Untersuchung der Aus-dehnung der BLR stellt das Reverberation Mappingdar. Dabei macht man sich zunutze, dass die Hei-zung und die Ionisation des Gases in der BLR ausder Kontinuumsemission des AGN stammt. Da dieUV-Strahlung von AGNs variiert, erwartet man eineentsprechende Variation der physikalischen Bedingun-gen innerhalb der BLR. Abnehmender Kontinuumsflusssollte in diesem Bild dann zu einem kleineren Linien-fluss führen, wie dies in Abb. 5.21 auch gezeigt ist. Dadie BLR eine endliche Ausdehnung hat, wird die Varia-bilität in den Linien etwas zeitverzögert zu beobachtensein. Diese Zeitverzögerung Δt ist mit der Lichtlauf-

Abb. 5.21. Links ist dasUV-Spektrum der Sey-fert 1-Galaxie NGC 5548zu zwei verschiedenenEpochen aufgetragen, indenen die Quelle starkbzw. schwach strahlte.Man erkennt deutlich, dassnicht nur die Kontinu-umsstrahlung in dieserQuelle variiert, sondernauch die Stärke der Emis-sionslinien. Rechts ist derFluss des Kontinuums bei∼ 1300 Å, der CIV-Liniebei λ = 1549 Å, und derHeII-Linie bei λ = 1640 Åaufgetragen, als Funktiondes Flusses im nahen UV,zu verschiedenen Zeit-punkten innerhalb einer8-monatigen Beobach-tungskampagne mit demIUE

zeit durch die BLR zu identifizieren, Δt ∼ r/c. Andersausgedrückt, die BLR ,,weiß“ erst nach einer Zeit Δt,dass die Kontinuumsquelle variiert hat. Aus der beob-achteten korrelierten Variabilität von Kontinuums- undLinienstrahlung kann man Δt für verschiedene Lini-enübergänge bestimmen und daher die entsprechendenWerte für r abschätzen.

Solche Untersuchungen des Reverberation Mappingssind extrem aufwendig, da man das Kontinuumslichtund gleichzeitig die Linienflüsse von AGNs über einenlangen Zeitraum kontinuierlich überwachen muss. Diehier relevanten Zeitskalen betragen typischerweise Mo-nate für Seyfert 1-Galaxien (siehe Abb. 5.22). ZurDurchführung solcher Messreihen sind koordinierteKampagnen an vielen Observatorien notwendig, da manmöglichst lückenlose Lichtkurven aufnehmen muss undvom lokalen Wetter an einem Observatorium dabeinicht abhängig sein will. Aus den Ergebnissen sol-cher Kampagnen und der Korrelation der Lichtkurvenim UV-Kontinuum und den verschiedenen Linienflüs-sen (Abb. 5.23) erhält man das Bild einer inhomogenenBLR, die einen breiten Bereich in r einnimmt und da-

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5.4 Komponenten eines AGN

203

Abb. 5.22. Lichtkurve vonNGC 5548 über einen Zeit-raum von 8 Monaten, beiverschiedenen Wellenlän-gen. Im linken Bild sinddas, von oben nach un-ten, das Kontinuum beiλ = 1350 Å, λ = 1840 Åund λ = 2670 Å, die brei-ten starken EmissionslinienLyα und CIV, sowie dieoptische Lichtkurve. Imrechten Bild sind die Lini-enstärken der schwächerenLinien NV bei λ = 1240 Å,SiIV+OIV] bei λ = 1402 Å,HeII bei λ = 1640 Å, CIII]bei λ = 1909 Å und MgIIbei λ = 2798 Å dargestellt

bei geschichtet ist. Die Ausdehnung der BLR skaliertmit der Leuchtkraft des AGN. Die Ionisationsstrukturder BLR variiert mit r; je größer die Ionisationsenergievon Übergängen, umso kleiner ist der entsprechendeRadius r. Für die Seyfert 1-Galaxie NGC 5548 findetman Δt ∼ 12 d für Lyα, etwa Δt ∼ 26 d für CIII] undca. 50 d für MgII. Das mag auch nicht verwundern,da die Stärke des Ionisationsflusses mit kleinerem rzunimmt. Weiterhin sind die relativen Flussvariatio-

nen bei Linien höherer Ionisationsenergie größer, wiedas auch in Abb. 5.9 zu erkennen ist. Dieses Bild istauch damit verträglich, dass die Breite der verschie-denen Linien unterschiedlich ist: Linien der höherenIonisationsstufen sind breiter. Weiterhin haben Linienhöherer Ionisationsenergie gegenüber den schmalerenEmissionslinien eine systematisch zum Blauen hin ver-schobene mittlere Rotverschiebung. Dies deutet auf eineradiale Bewegung der Wolken hin, zusammen mit ei-

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204

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.23. Die verschie-denen Lichtkurven ausAbb. 5.22 werden korreliertmit dem Kontinuumflussbei λ = 1350 Å. Die Auto-Korrelationsfunktion istals durchgezogene Kurvein den mittleren Figu-ren zu sehen, das anderesind Kreuz-Korrelationen.Man sieht, dass das Maxi-mum der Korrelation nachpositiven Zeiten hin ver-schoben ist – Variationenim Kontinuumfluss spie-geln sich nicht simultan inden Emissionslinien wider,sondern erst nach einer zeit-lichen Verzögerung. Diesezeitliche Verzögerung ent-spricht der Lichtlaufzeitvom ,,Zentrum“ des AGNzu den Wolken der BLR, indenen die entsprechendenLinien emittiert werden. Jekleiner der Ionisationsgraddes entsprechenden Ions,umso größer ist die Ver-zögerung. So erhält manfür Lyα eine Verzögerungvon 12 Tagen, für CIII] 26Tage, und für MgII etwa50 Tage, wobei letztererWert nicht genau bestimmtwerden kann, da die relati-ven Flussvariationen dieserLinie klein sind und da-her die Korrelationfunktionein recht flaches Maximumaufweist

ner intrinsischen Absorption eines Teils der BLR durchdazwischenliegendes absorbierendes Material. Als ein-faches aber keineswegs einziges Bild bietet sich hiereine ausströmende Bewegung der Wolken in der BLRan, wobei wir diejenigen Wolken, die sich von uns ausgesehen ,,hinter“ der Akkretionsscheibe befinden, durch

Absorption nur abgeschwächt sehen können. Dadurchwird die empfangene Linienstrahlung von den Wolkendominiert, die sich auf uns zubewegen, weswegen siesystematisch blauverschoben ist.

Die Natur der Wolken in der BLR ist unbekannt. Ihrekleine Ausdehnung und ihre hohe Temperatur implizie-

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5.4 Komponenten eines AGN

205

ren, dass sie auf sehr kurzen Zeitskalen verdampfen,wenn sie nicht stabilisiert werden. Daher müssen dieseWolken sich entweder stets erneuern oder aber stabi-lisiert werden, entweder durch externen Druck, z. B.eines sehr heißen aber dünnen Mediums in der BLRzwischen den Wolken, Magnetfelder, oder gar gravita-tiv. Eine Möglichkeit besteht darin, dass die ,,Wolken“die ausgedehnten Atmosphären von Sternen sind, wasallerdings eine sehr große (zu große?) Gesamtmasse derBLR implizieren würde.

5.4.3 Schmale Emissionslinien

Neben den breiten Emissionslinien, die in QSOs,Seyfert 1-Galaxien und BLRGs auftreten, zeigen diemeisten AGNs (außer den BL Lacs) schmalere Emissi-onslinien. Deren typische Breite beträgt etwa 400 km/s,also wesentlich schmaler als die Linien der BLR, aberdennoch wesentlich breiter als charakteristische Ge-schwindigkeiten in normalen Galaxien. In Analogie zurBLR bezeichnet man das Gebiet, in dem diese Linienerzeugt werden, als Narrow Line Region (NLR). Vonden Linien der NLR ist neben Lyα und CIV die ver-botene [OIII]-Linie bei λ = 5007 Å am stärksten. DasAuftreten von verbotenen Linien zeigt, dass die Dichte

Abb. 5.24. Bild der Seyfert-Galaxie NGC 5728; links einegroßskalige Aufnahme, die die Scheibengalaxie zeigt, rechtseine HST-Aufnahme des zentralen Bereichs im Filter einerschmalen Emissionslinie. Diese Aufnahme zeigt die räum-lich aufgelöste NLR. Man sieht, dass diese nicht sphärisch

ist, sondern im Wesentlichen aus zwei Kegeln besteht. Darausschließt man, dass die ionisierende Strahlung des AGN nichtisotrop, sondern bevorzugt entlang zweier Richtungen, senk-recht zur Scheibe der Galaxie (und damit vermutlich senkrechtzur zentralen Akkretionsscheibe) emittiert wird

des Gases in der NLR wesentlich kleiner ist als in derBLR.

Aus Abschätzungen in Analogie zu denen in der BLRkönnen die charakteristischen Eigenschaften der NLRbestimmt werden, wobei aufgrund der Ausdehnung derNLR von ∼ 100 pc kein Reverberation Mapping durch-geführt werden kann. Aufgrund dieser Ausdehnung derNLR erwartet man keine Variabilität der Linienintensi-täten auf den der Beobachtung zugänglichen Zeitskalen,und diese wurden auch nicht gefunden. Aus den Lini-enverhältnissen von erlaubten und verbotenen Linienfolgt ne ∼ 103 cm−3 für die typische Dichte des Ga-ses, aus dem die Linien stammen. Die charakteristischeTemperatur des Gases ergibt sich ebenfalls aus Linien-verhältnissen, T ∼ 16 000 K, ist also etwas niedriger alsin der BLR. Der Füllfaktor ist ebenfalls deutlich klei-ner als eins und beträgt etwa 10−2. Daher ergibt sichauch das Bild von ,,Wolken“ in der NLR. Wie bei derBLR sind die Eigenschaften der NLR nicht homogen,sondern variieren mit r.

Da die Ausdehnung der NLR in Seyfert-Galaxienvon der Größenordnung r ∼ 100 pc ist, kann man siefür nahe Seyfert-Galaxien räumlich auflösen. Die Mor-phologie der NLR ist sehr interessant: Sie ist nichtsphärisch, sondern erstreckt sich in zwei kegelförmigen

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206

5. Aktive Galaxienkerne

Bereichen (Abb. 5.24). Es scheint, als ob die Ionisa-tion der NLR durch die Kontinuumsstrahlung des AGNnicht isotrop, sondern stark richtungsabhängig ist.

5.4.4 Die Röntgenemission

Da man erwartet, dass die energiereichste Strahlung ei-nes AGN ganz in der Nähe des SMBHs erzeugt wird,ist die Röntgenemission von AGNs besonders inter-essant, um das Innerste dieser Objekte zu erproben.Tatsächlich ist die Variabilität auf sehr kurzen Zeit-skalen (siehe Abb. 5.9) ein deutliches Zeichen für einekleine Ausdehnung der Röntgenquelle.

In erster Näherung ist das Röntgenspektrum charak-terisiert durch ein Potenzgesetz Sν ∝ ν−α mit Steigungα ∼ 0.7. Bei Energien hPν � 10 keV liegt das Spektrumüber der Extrapolation dieses Potenzgesetzes, ist alsoflacher. Zu kleineren Röntgenenergien hin scheint dasSpektrum steiler als das Potenzgesetz anzusteigen, wasvermutlich auf den blauen Teil des BBB zurückzuführenist, wie bereits oben erwähnt.

Neben dieser Kontinuumsstrahlung findet man imRöntgenbereich Emissions- und Absorptionslinien, wo-bei die stärksten Linien von hochionisiertem Eisenstammen. Die Empfindlichkeit und spektrale Auflösungder neuen Röntgenteleskope Chandra und XMM-Newton haben die Röntgenspektroskopie von AGNsenorm befördert; die Abb. 5.25 zeigt ein Beispiel fürdie Qualität solcher Spektren.

Abb. 5.25. Röntgenspektrum des QuasarsIRAS 13349+2438 (z = 0.108), auf-genommen mit dem XMM-Satelliten.Verschiedene Absorptionslinien sindgekennzeichnet

Die Röntgenemission von Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxien ist sehr unterschiedlich. Im Energiebereich desRöntgensatelliten ROSAT (0.1 keV ≤ hPν ≤ 2.4 keV)wurden deutlich mehr Seyfert 1-Galaxien entdecktals Seyfert 2. Die Ursache dafür wurde mit Chandraund XMM-Newton aufgeklärt. Diese beiden Satelli-ten sind, im Gegensatz zu ROSAT, bis zu Energienvon hPν ∼ 10 keV empfindlich und haben Seyfert 2-Galaxien in großer Zahl nachgewiesen. Allerdings istderen Spektrum von dem der Seyfert 1-Galaxien ver-schieden, denn es ist zu kleinen Röntgenenergien hinabgeschnitten. Das Spektrum deutet auf die Anwe-senheit eines Absorbers hin, dessen Säulendichte imWasserstoff � 1022 cm−2 beträgt, in einigen Fällen so-gar um Größenordnungen mehr. Wir werden diesesFaktum im Rahmen von Vereinheitlichungsmodellen(Abschn. 5.5) der AGN benutzen.

5.4.5 Die Host-Galaxie

Wie schon der Begriff ,,Aktive Galaxienkerne“ im-pliziert, werden AGNs als zentrale ,,Maschine“ inansonsten ziemlich normalen Galaxien betrachtet.Diese Aktivität im Kern wird durch die Akkretion vonMaterie auf ein SMBH gespeist. Da scheinbar alle Ga-laxien (zumindest diejenigen mit einer sphäroidalenKomponente) ein SMBH beherbergen, ist die Frage derAktivität die nach der Akkretionsrate. Was also machteine Seyfert-Galaxie zu einer solchen, warum sind die

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5.4 Komponenten eines AGN

207

meisten SMBHs praktisch inaktiv? Und wodurch ge-langt Material in die Nähe des SMBH, um dann alsBrennstoff zur Verfügung zu stehen?

Lange Zeit war nicht klar, ob auch QSOs in einer Ga-laxie beheimatet sind. Ihre große Leuchtkraft macht esschwierig, die umgebende Galaxie auf Aufnahmen zuerkennen, wenn diese vom Boden aus gemacht werdenund die Auflösung durch das Seeing auf ∼ 1′′ begrenztist. In den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts wurdenzum ersten Mal die umgebenden Galaxien von eini-gen QSOs abgebildet, aber erst mit dem HST wurdees möglich, von den Host-Galaxien der QSOs deutliche

Abb. 5.26. HST-Aufnahmen von QSOs. In allen Fällen istdeutlich die Host-Galaxie zu erkennen, während der QSOselbst als (zentrale) Punktquelle in diesen Bildern zu sehenist. Oben links: PG 0052+251 befindet sich im Zentrum eineranscheinend normalen Spiralgalaxie. Unten links: PHL 909befindet sich anscheinend im Zentrum einer normalen Ellipse.Mitte oben: Der QSO IRAS 04505−2958 ist offensichtlichTeil einer Kollision zweier Galaxien und wird vielleicht vondem aufgrund von Gezeitenkräften herausgerissenen Mate-

rial der Galaxien mit Energie versorgt. Um den QSO-Kernherum befindet sich ein Gebiet aktiver Sternentstehung. AuchPG 1012+008 (Mitte unten) ist Teil eines Paares verschmel-zender Galaxien. Rechts oben: Die Host-Galaxie des QSOs0316−346 scheint gerade einen Gezeitenarm einzufangen.Rechts unten: Der QSO IRAS 13218+0552 scheint in einerGalaxie zu liegen, die gerade einen Verschmelzungprozessdurchlaufen hat

Aufnahmen zu erhalten (siehe Abb. 5.26) und sie da-mit eindeutig in die Klasse der galaktischen Kerne mitaufzunehmen. Dabei stellt sich heraus, dass die Host-Galaxien von QSOs oftmals stark gestört sind, z. B.durch Gezeitenwechselwirkung mit anderen Galaxienoder gar durch Verschmelzungsprozesse. Diese Stö-rungen des Gravitationspotentials werden als essentiellangesehen, damit Gas die Drehimpulsbarriere über-winden und ins Zentrum der Galaxie gelangen kann.Gleichzeitig scheinen solche Störungen auch die Stern-entstehungsrate enorm ansteigen zu lassen, da auchStarburst-Galaxien sehr häufig durch Störungen und

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208

5. Aktive Galaxienkerne

Wechselwirkungen charakterisiert sind. Es scheint alsoein enger Zusammenhang zwischen der AGN-Aktivitätund Starbursts zu existieren. Aus den optischen oderNIR-Aufnahmen von QSOs (siehe Abb. 5.26) wirddie Frage nicht eindeutig beantwortet, ob QSO-HostsSpiralen oder Ellipsen sind.

5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs5.5.1 Vereinheitlichungsmodelle

In Abschn. 5.2 wurden die verschiedenen Typen derAGNs aufgelistet. Dabei hat sich gezeigt, dass es vieleEigenschaften gibt, die ihnen gemeinsam sind, doch esexistieren auch deutliche Unterschiede. Daher liegt dieFrage nahe, worin sich die verschiedenen Typen vonAGNs unterscheiden, also warum einige als Broad LineRadio Galaxies erscheinen, andere dagegen als BL Lac-Objekte. Die Frage zielt natürlich auf die physikalischenUnterschiede der Klassen der AGNs.

Gemeinsamkeiten. Als Gemeinsamkeiten bei allenAGN vermutet man ein SMBH als zentrale Maschineim Zentrum der Host-Galaxie und dazu eine Akkreti-onsscheibe, durch die das Loch gefüttert wird. Das legtnahe, eine Klassifizierung bezüglich M• und der Akkre-tionsrate m, oder, vielleicht relevanter, des Verhältnissesm/medd durchzuführen. M• gibt über die Eddington-Leuchtkraft die maximale (isotrope) Leuchtkraft desSMBHs an, während das Verhältnis m/medd die Ak-kretionsrate relativ zur maximal möglichen beschreibt.Weiterhin legen die beobachteten Eigenschaften, ins-besondere der scheinbar fließende Übergang zwischenden verschiedenen Klassen, nahe, dass radioruhige Qua-sare und Seyfert-Typ 1-Galaxien sich im Wesentlichennur in ihrer zentralen Leuchtkraft unterscheiden. Dar-aus würde man folgern, dass sie einen ähnlichen Wertfür m/medd haben sollten, sich aber in M• unterschei-den. Eine analoge Argumentation gilt vielleicht auch fürden Übergang von BLRG zu den radiolauten Quasaren.

Der Unterschied zwischen diesen beiden Klassenbesteht vielleicht in der Natur der Host-Galaxie: Radio-galaxien sind (und radiolaute QSOs sind in?) ElliptischeGalaxien, Seyfert-Galaxien sind (und radioruhige QSOssind in?) Spiralen. Es scheint auch eine Korrelation zwi-schen der Leuchtkraft des AGN und der Host-Galaxiezu geben, was man aufgrund der Korrelation zwi-

schen der Masse des SMBH und den Eigenschaften derGalaxie in ,,normalen Galaxien“ (Abschn. 3.5.3) aucherwarten würde, wenn die Leuchtkraft des AGN mitder entsprechenden Eddington-Leuchtkraft stark kor-reliert ist. Als weitere Frage stellt sich, inwieweit dieBlazare und die Seyfert 2-Galaxien in dieses Schemahineinpassen.

Anisotrope Abstrahlung. Im Rahmen des Modells ei-nes SMBH plus einer Akkretionsscheibe gibt es einenweiteren Parameter, der einen Einfluss auf die beobach-teten Charakteristika eines AGN haben wird, nämlichden Winkel zwischen der Rotationsachse der Scheibeund der Richtung, aus der wir den AGN beobach-ten. Dazu ist zu bemerken, dass es viele Hinweisedarauf gibt, dass die Abstrahlung eines AGN nicht iso-trop ist, sein Erscheinungsbild also abhängig ist vondieser Richtung. Dazu gehören u. a. der beobachteteIonisationskegel in der NLR (siehe Abb. 5.24) und dieMorphologie der Radioemission, denn die Radio-Lobesund Jets definieren eine Vorzugsachse. Weiterhin hat un-sere Diskussion der Superluminal Motion gezeigt, dassdie beobachteten überlichtschnellen Bewegungen nurdann zustande kommen, wenn die Richtung der Be-wegung der Quellkomponenten nahe an der Richtungdes Sehstrahls verläuft. Das Röntgenspektrum vielerAGNs zeigt intrinsische (photoelektrische) Absorption,die durch große Säulendichten von Gas hervorgerufenwerden, wobei dieser Effekt hauptsächlich bei Seyfert-Galaxien vom Typ 2 auftritt. Aufgrund dieser deutlichenHinweise ist es naheliegend, die Abhängigkeit desErscheinungsbildes eines AGN von der jeweiligen Seh-richtung zu untersuchen. So könnte beispielsweise derUnterschied zwischen Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxienim Wesentlichen in der Orientierung des AGNs relativzur Sichtlinie bestehen.

Breite Emissionslinien im polarisierten Licht. In derTat hält eine weitere Beobachtung der Anisotropie derEmission einen Schlüssel zum Verständnis der Rela-tion zwischen den AGN-Typen bereit, der die geradegeäußerte Vermutung stützt. Die Galaxie NGC 1068hat keine breiten Emissionslinien und wird daher alsSeyfert 2-Galaxie eingruppiert. Ein optisches Spektrumvon NGC 1068 im polarisierten Licht zeigt hingegenbreite Emissionslinien (Abb. 5.27), wie man sie beieiner Seyfert 1-Galaxie finden würde. Offensichtlich

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5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs

209

Abb. 5.27. Spektrum der Seyfert 2-Galaxie NGC 1068. Imoberen Bild ist der Gesamtfluss dargestellt, der neben demKontinuum schmale Emissionslinien (insbesondere [OIII] beiλ = 5007 Å und λ = 4959 Å) zeigt. Im polarisierten Licht (un-ten) sieht man jedoch breite Emissionslinien (wie Hβ und Hγ ),wie sie für eine Seyfert 1-Galaxie typisch sind. Man schließtdaher darauf, dass im durch Streuung polarisierten Licht dieBLR sichtbar wird; daher sieht man die BLR nur über einen,,Umweg“

besitzt die Galaxie eine BLR, die allerdings nur im po-larisierten Licht zu sehen ist. Die Photonen, die von derBLR emittiert werden, sind zunächst unpolarisiert. EinePolarisation kann jedoch durch Streuung des Lichtes zu-stande kommen, wobei die Richtung senkrecht zu denRichtungen von einfallendem und gesteutem Photoneine Vorzugsrichtung definiert, die dann die Richtungder Polarisation vorgibt.

Die Interpretation dieser Beobachtung (sieheAbb. 5.28) besteht nun darin, dass NGC 1068 eine BLRbesitzt, aber der direkte Blick auf sie für uns durchabsorbierendes Material verdeckt ist. Dieser Absorber

umgibt aber die BLR nicht in allen Richtungen, son-dern nimmt vom zentralen Kern aus betrachtet einenRaumwinkel < 4π ein. Unter dieser Annahme wäre dieBLR von einer anderen Richtung aus zu sehen. FallsPhotonen von der BLR an Staub oder Elektronen in derWeise gestreut werden, dass wir die gestreute Strahlungsehen können, dann wäre also im gestreuten Licht dieBLR sichtbar. Das direkte Licht vom AGN überstrahltdas gestreute Licht völlig, weswegen letzteres im tota-len Fluss nicht erkannt werden kann. Aber durch dieStreuung wird die Strahlung auch polarisiert. Im polari-sierten Licht wird die (unpolarisierte) direkte Strahlungunterdrückt, so dass man im gestreuten Licht die BLRsehen kann.

Diese Interpretation wird weiterhin gestützt durcheine starke Korrelation der räumlichen Verteilung derPolarisation und der Farbe der Strahlung in NGC 1068(siehe Abb. 5.29). Dies lässt den Schluss zu, dass derUnterschied zwischen Seyfert 1- und Seyfert 2-Galaxienin der Orientierung der Akkretionsscheibe und damitder Orientierung des absorbierenden Materials relativzu unserem Sehstrahl besteht.

Aus dem Zahlenverhältnis von Seyfert 1- zu Seyfert2-Galaxien (welches etwa 1:2 beträgt) kann man denBruchteil des Raumwinkels abschätzen, der vom AGNaus betrachtet unseren direkten Blick auf die BLR be-hindert. Dieses Verhältnis besagt dann, dass ca. 2/3 desRaumwinkels ,,versperrt“ ist. Ein solches Abblockendes Lichtes kann durch Staub erreicht werden. Mannimmt an, dass sich Staub in der Ebene der Akkretions-scheibe in Form eines ,,dicken Torus“ befindet (sieheAbb. 5.28 und Abb. 5.30 für ein suggestives Bild dieserGeometrie).

Suche nach Typ 2-QSOs. Wenn also der Unterschiedzwischen Seyfert-Galaxien vom Typ 1 und Typ 2 alleinedurch ihre Orientierung hervorgerufen wird, und gleich-zeitig der Unterschied zwischen Seyfert 1-Galaxien undQSOs im Wesentlichen einer der absoluten Leuchtkraftist, so stellt sich Frage, ob es ein leuchtkräftiges Ana-logon zu den Seyfert 2-Galaxien gibt, eine Art Typ2-QSO. Bis vor wenigen Jahren wurden solche Typ 2-QSOs nicht beobachtet, was darauf schließen ließ, dassentweder wegen der hohen Leuchtkräfte in QSOs keinStaubtorus vorhanden ist (somit also keine Typ 2-QSOsexistieren), oder aber Typ 2-QSOs sich als solche nichtleicht identifizieren lassen.

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210

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.28. Skizze zur momentanen Vorstellung der Verein-heitlichung der AGN-Typen. Die eigentliche Akkretions-scheibe ist umgeben von einem dicken Torus, der Staub enthältund daher den Blick auf das Zentrum des AGN versperrt.Schaut man in Scheibenrichtung, ist daher der direkte Blickauf das Kontinuum und die BLR blockiert, während man sie

aus Richtungen näher an der Symmetrieachse der Scheibe di-rekt sehen kann. Der Unterschied zwischen Seyfert 1 (undBLRG) und Seyfert 2 (und NLRG) ist daher allein durch dieOrientierung relativ zur Sichtlinie gegeben. Schaut man direktentlang der Jet-Achse, erscheint der AGN als Blazar

Abb. 5.29. Die Konturen zeigen die Farbe der optischenEmission in der Seyfert 2-Galaxie NGC 1068, nämlich dasVerhältnis der Flüsse im U-Band und im R-Band. Die Stri-che geben Stärke und Orientierung der Polarisation desB-Band-Lichtes an. Das Zentrum der Galaxie befindet sichbei Δα = 0 = Δδ. An dem Maximum der Bläulichkeit, linksoberhalb des Zentrums, ist die Polarisation am stärksten undsenkrecht zur Verbindungslinie zum Galaxienzentrum; dies istdie Polarisationsrichtung, die durch lokale Streuung an Elek-tronen erwartet wird. Dort also, wo die Streuung am stärkstenist, sieht man den größten Anteil des direkten Lichtes vomAGN, und das optische Spektrum von AGN ist wesentlichblauer als das Sternlicht von Galaxien

Inzwischen ist allerdings diese Frage eindeutigentschieden worden, da die neuen RöntgensatellitenChandra und XMM-Newton die Population der Typ

2-QSOs identifiziert haben. Aufgrund der hohen Säu-lendichte des Wasserstoffs, der gemeinsam mit demStaub in einem Torus verteilt ist, wird die niederener-

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5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs

211

Abb. 5.30. Die Ellipti-sche Galaxie NGC 4261.Links ist eine optischeAufnahme dieser Gala-xie zu sehen, zusammenmit der in Orange gezeig-ten Radiostrahlung. Derinnerste Bereich der Ga-laxie ist rechts in einerHST-Aufnahme zu sehen.Der Jet ist praktisch senk-recht zur zentralen Gas-und Staubscheibe, was inEinklang mit den theo-retischen Vorstellungenim Rahmen des Ver-einheitlichungsmodellssteht

getische Röntgenstrahlung entlang des Sehstrahls zumZentrum dieser Quellen fast vollständig durch den pho-toelektrischen Effekt absorbiert. Diese Quellen warendaher mit ROSAT (E ≤ 2.4 keV) nicht sichtbar, aberder Energiebereich von Chandra und XMM-Newton bis10 keV erlaubt die Röntgendetektion und Identifikationsolcher Typ 2-QSOs.

Als weitere Kandidaten für Typ 2-QSOs kommen dieULIRGs in Frage, bei denen die extreme IR-Leuchtkraftvon großen Mengen warmen Staubs emittiert wird,der entweder von sehr starker Sternentstehung oderaber von einem AGN geheizt wird. Da die ULIRGsvergleichbare Gesamtleuchtkräfte wie die QSOs besit-zen, wäre letztere Interpretation möglich. In der Tatist die Unterscheidung zwischen beiden Möglichkei-ten in individuellen ULIRGs nicht einfach zu treffen,und man findet Hinweise sowohl auf starke Sternentste-hung als auch auf nicht-thermische Emission (etwa inForm von Röntgenemission) in vielen dieser Quellen.Dieser Befund weist darauf hin, dass starke Sternent-stehung und die Akkretion auf ein SMBH in vielenObjekten verknüpfte Prozesse sind. Für beide Prozessesind große Mengen an Gas notwendig, und die Tatsache,dass sowohl Starburst-Galaxien als auch AGNs häufigin wechselwirkenden Galaxien gefunden werden, wo-

bei durch diese Störung des Gravitationsfeldes Gas indas Zentrum der Galaxie einströmen kann, legt einenZusammenhang zwischen beiden Phänomenen nahe.

Als Nächstes wollen wir untersuchen, wie die Bla-zare in dieses vereinheitlichte Schema passen. Einenersten Hinweis darauf liefert die Tatsache, dass alle Bla-zare Radioquellen sind. Weiterhin haben wir mit unsererInterpretation der Superluminal Motion gesehen, dassderen Erscheinung und scheinbare Geschwindigkeitvon der Orientierung der Quelle zu uns abhängt und einerelativistische Bewegung von Quellkomponenten vor-aussetzt. Um eine Interpretation des Blazar-Phänomenszu erhalten, der in das obige Schema hineinpasst, müs-sen wir uns zunächst mit einem Effekt beschäftigen, dersich aus der Speziellen Relativitätstheorie ergibt.

5.5.2 Beaming

Durch die relativistischen Geschwindigkeiten derQuellkomponenten relativ zu uns kommt ein weitererEffekt zustande, den man als Beaming bezeichnet. Dar-unter versteht man den Effekt, dass der beobachteteFluss einer Quelle, die sich bewegt, von ihrem Be-wegungszustand relativ zum Beobachter abhängt. EinAspekt dieses Phänomens ist die Dopplerverschiebung

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5. Aktive Galaxienkerne

im Frequenzraum: Der gemessene Fluss bei einer gege-benen Frequenz ist allein schon deshalb von dem einerunbewegten Quelle verschieden, weil der gemessenenFrequenz einer Doppler-verschobene Frequenz im Ru-hesystem der Quelle entspricht. Ein weiterer Effekt, denman mittels der Speziellen Relativitätstheorie erhält,besteht darin, dass eine bewegte Quelle, die in ihrem Ru-hesystem isotrop emittiert, eine anisotrope Abstrahlunghat, deren Winkelverteilung von ihrer Geschwindigkeitabhängt. Die Strahlung wird bevorzugt in Richtung desGeschwindigkeitsvektors der Quelle (also in Vorwärts-richtung) emittiert, so dass eine Quelle dem Beobachterheller erscheint, wenn sie sich auf ihn zubewegt. Wirhaben in Abschn. 4.3.2 die Relation (4.44) zwischender Strahlungsintensität im Ruhesystem der Quelle undderjenigen im System des Beobachters bereits erwähnt.Diese impliziert aufgrund der starken Dopplerverschie-bung, dass eine sich auf uns zu bewegende Quelle umeinen Faktor

D+ =(

1

γ(1−β cos φ)

)2+α

(5.30)

heller erscheint als die ruhende Quelle, wobei α derSpektralindex ist; β = v/c, φ als Winkel zwischen demGeschwindigkeitsvektor der Quellkomponente und demSehstrahl zwischen Quelle und uns, und der Lorentz-Faktor γ = (1−β2)−1/2 wurden bereits in Abschn. 5.3.3definiert. Schon für relativ schwach-relativistische Ge-schwindigkeiten (β ∼ 0.9) kann dies ein bedeutendgroßer Faktor sein, d. h. die Strahlung des relativisti-schen Jets kann sehr verstärkt erscheinen. Als weitereKonsequenz dieses Beamings findet man, dass, falls eseinen zweiten Jet gibt, der sich von uns wegbewegt (dersog. Counter-Jet), dessen Strahlung um einen Faktor

D− =(

1

γ(1+β cos φ)

)2+α

(5.31)

abgeschwächt ist relativ zur nicht-bewegten Quelle. Of-fensichtlich erhält man D− aus D+, indem man denWinkel φ durch φ+π ersetzt, da sich der Counter-Jet indie entgegengesetzte Richtung bewegt. Insbesondere istdann das Helligkeitsverhältnis von Jet und Counter-Jet

D+D−

=(

1+β cos φ

1−β cos φ

)2+α

, (5.32)

und dieser Faktor kann leicht mehrere Hundert betra-gen oder mehr (Abb. 5.31). Das große Flussverhältnis

Abb. 5.31. Der Logarithmus des Flussverhältnisses von Jetund Counter-Jet (5.32) ist als Funktion des Winkels φ aufge-tragen, für verschiedene Werte des Lorentz-Faktors γ . Schonbei relativ kleinen Werten von γ nimmt dieses Verhältnis einengroßen Wert an, wenn φ nahe 0 liegt, aber selbst bei φ ∼ 30◦ist dieses Verhältnis immer noch sehr groß. Diese Figur zeigtalso den Doppler-Favouritism und erklärt, warum in den meis-ten kompakten Radio-AGNs nur ein Jet sichtbar ist, nicht aberder Counter-Jet

(5.32) bei relativistischen Jets ist die kanonische Erklä-rung dafür, dass VLBI-Jets praktisch immer einseitigsind; man bezeichnet diesen Effekt auch als ,,Doppler-Favouritism“ – der auf uns zu zeigende Jet wirdaufgrund des Beaming-Effekts und der daraus re-sultierenden Vergrößerung seines Flusses bevorzugtbeobachtet.

Beaming und das Blazar-Phänomen. Wenn wir ziem-lich genau entlang der Jet-Achse blicken und der Jetrelativistisch ist, kann dessen Strahlung sämtliche an-dere Strahlung des AGN überscheinen, weil D+ dannsehr groß werden kann. Speziell wenn sich die gebeamteStrahlung bis ins Optische/UV des Spektrums erstreckt,kann auch die Linienemission überstrahlt werden, unddie Quelle erscheint uns als BL Lac-Objekt. Wenn dieLinienstrahlung nicht völlig überstrahlt wird, kann dieQuelle als OVV erscheinen. Die Synchrotron-Natur desoptischen Lichts ist dann auch die Erklärung für dieoptische Polarisation von Blazaren.

Der starke Beaming-Faktor bietet auch eine na-türliche Erklärung für die schnelle Variabilität vonBlazaren. Falls die Geschwindigkeit der emittieren-den Komponente nahe der Lichtgeschwindigkeit ist,

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5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs

213

β � 1, dann können bereits sehr kleine Veränderun-gen der Jet-Geschwindigkeit oder der Jet-Richtung denDoppler-Faktor D+ merklich ändern. Solche kleinenRichtungsänderungen erwartet man, weil es keinenGrund für ein glattes Ausströmen von Material entlangdes Jets mit konstanter Geschwindigkeit gibt. Weiter-hin haben wir argumentiert, dass Magnetfelder für dieErzeugung und die Kollimation von Jets mit großerWahrscheinlichkeit eine wichtige Rolle spielen. DieseMagnetfelder sind aufgewickelt (toroidal), und emittie-rendes Plasma kann den Feldlinien auf helikalen Orbitswenigstens teilweise folgen (siehe Abb. 5.32).

Beaming erklärt also die Dominanz der Strahlung derJet-Komponente, wenn diese relativistisch ist und damitdie Abwesenheit oder relative Schwäche von Emissi-onslinien; gleichzeitig erhält man dadurch ein plausiblesBild für die starke Variabilität der Blazare. Die relativeStärke der Kernemission und der ausgedehnten Radio-

Abb. 5.32. Darstellung des relativistischen Jet-Modells. DieBeschleunigung des Jets auf Geschwindigkeiten nahe derLichtgeschwindigkeit wird vermutlich durch eine Kombina-tion sehr starker Gravitationsfelder in der Nähe des SMBHund starker Magnetfelder, die durch ihre Verankerung in derAkkretionsscheibe schnell rotieren, hervorgerufen. Stoßfron-ten innerhalb des Jets führen zu Beschleunigungsprozessenrelativistischer Elektronen, die dann dort stark strahlen undals ,,Blobs“ in den Jets sichtbar sind. Durch die Rotationder Akkretionsscheibe, in der die Magnetfeldlinien verankertsind, erhalten die Feldlinien eine charakteristische Schrauben-form. Man vermutet, dass dieser Prozess für die Bündelung(Kollimation) des Jets verantwortlich ist

emission hängt dabei stark von der Blickrichtung ab. BeiBlazaren erwartet man die Dominanz der Kernemission,wie sie auch beobachtet wird.

5.5.3 Beaming auf großen Skalen

Als Konsequenz dieses Modells ergibt sich, dass auchdie Jets auf kpc-Skala, wie sie vor allem mit demVLA beobachtet werden, zumindest semi-relativistischsein müssen: Auch kpc-Jets sind meistens einseitig unddabei stets auf der gleichen Seite des Kerns wie derVLBI-Jet auf pc-Skala. Wenn also die Einseitigkeit desVLBI-Jets durch das Beaming und dem damit verbun-denen Doppler-Favouritism einer ansonsten intrinsischsymmetrischen Quelle hervorgerufen wird, so muss dieentsprechende Einseitigkeit der großskaligen Jets diegleiche Ursache haben, was für diese ebenfalls relati-vistische Geschwindigkeiten impliziert. Diese müssennicht ganz so nahe bei c liegen wie für die Komponen-ten, die Superluminal Motion zeigen, aber doch einigeZehntel der Lichtgeschwindigkeit betragen. Weiterhinfolgt, dass der kpc-Jet sich auf uns zu bewegt und dahersich näher an uns befindet als der Kern des AGN; dasUmgekehrte gilt für den Counter-Jet. Diese Vorhersagekann man empirisch überprüfen, und sie wurde durchPolarisationsmessungen bestätigt; die Strahlung desCounter-Jets durchquert das ISM der Host-Galaxie, wo-bei sie eine zusätzliche Faraday-Rotation erfährt (sieheAbschn. 2.3.4). In der Tat wird beobachtet, dass dieFaraday-Rotation des Counter-Jets systematisch größerist als die des Jets, was sich dadurch erklären lässt, dasssich der Counter-Jet ,,hinter“ der Host-Galaxie befindet,wir diesen also durch das Gas der Galaxie beobachten.

5.5.4 Jets bei höheren Frequenzen

Optische Jets. Wir haben in Abschn. 5.1.2 die Jetsbesprochen, wie sie im Radiobereich des Spektrumsbeobachtbar sind, und in Abschn. 5.3.3 wurde be-schrieben, wie ihre relativistische Bewegung durchzeitliche Strukturänderungen nachgewiesen wird. Al-lerdings sind die Jets nicht nur bei Radiofrequenzenzu beobachten, sondern sie emittieren auch bei deut-lich kürzeren Wellenlängen. In der Tat wurden dieersten beiden Jets im Optischen entdeckt, nämlich imQSO 3C273 (Abb. 5.33) und in der Radiogalaxie M87(Abb. 5.34), als lineare Quelle, die vom Kern der je-weiligen Galaxie radial nach außen zeigt. Mit der

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214

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.33. Jets sind nicht nur im Radio-Bereich sichtbar, son-dern manchmal auch bei anderen Wellenlängen. Links einHST-Bild des Quasars 3C273, mit dem punktförmigen Quasarim Zentrum und (blau dargestellt) jetförmige optische Emis-

sion, räumlich koinzident mit dem Radio-Jet (rot dargestellt).Rechts ein Röntgenbild dieses Quasars, aufgenommen mitdem Chandra-Satelliten; der Jet ist also auch bei sehr hohenEnergien sichtbar

Abb. 5.34. Links oben eine Radiokarte der zentralen GalaxieM87 im Virgo-Galaxienhaufen, rechts oben eine HST-Aufnahme der gleichen Region. Der Radio-Jet ist auch imOptischen erkennbar. Im unteren Bild ist eine VLBI-Kartedes zentralen Gebiets zu sehen; der Jet bildet sich inner-

halb weniger 1017 cm vom Kern der Galaxie, der vermutlichein Schwarzes Loch mit M• ∼ 3×109 M� enthält. Direkt imZentrum ist der Öffnungswinkel des Jets wesentlich größerals weiter draußen; das deutet darauf hin, dass er erst in etwasgrößerer Entfernung kollimiert wird

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5.5 Familiäre Beziehungen der AGNs

215

Inbetriebnahme des VLA (Abb. 1.21) als empfindli-ches und hochauflösendes Radiointerferometer wurdedie Entdeckung und Untersuchung von Hunderten vonJets bei Radiofrequenzen möglich.

Das HST hat aufgrund seiner einzigartigen Winkel-auflösung seinerseits eine Vielzahl an Jets im Optischenentdeckt (siehe auch Abb. 5.12). Diese befinden sichauf der gleichen Seite der entsprechenden AGNs wieder Hauptjet der Radioquelle. Optische Gegenstückeder Counter-Jets wurden bislang nicht gefunden. Dieoptischen Jets sind dabei stets kürzer, schmaler undstrukturierter als die Radio-Jets. Das Spektrum der op-tischen Jets ist ein Potenzgesetz (5.2), ähnlich wie imRadiobereich, mit einem Index α, der i. A. ein etwassteileres Spektrum beschreibt. In einigen Fällen konnteauch eine lineare Polarisation der optischen Strah-lung von ∼ 10% nachgewiesen werden. Nimmt manhinzu, dass die Knoten im optischen und im Radio-Jetsehr gut miteinander übereinstimmen, so kommt manzwangsläufig zu dem Schluss, dass auch die optischeStrahlung Synchrotron-Emission ist. Dieser Schlusswird weiterhin durch die annähernde Konstanz desFlussverhältnisses von Radio- und optischer Strahlungentlang der Jets untermauert.

Wie in Abschn. 5.1.3 erwähnt, verlieren die rela-tivistischen Elektronen, die die Synchrotronstrahlungerzeugen, aufgrund ihrer Abstrahlung an Energie. Invielen Fällen ist die Kühlzeit (5.6) der Elektronen, diefür die Radiostrahlung verantwortlich sind, größer alsdie Strömungszeit des Materials vom zentralen AGNentlang des Jets, insbesondere wenn diese Strömung(semi-)relativistisch ist. Daher ist es möglich, dass dierelativistischen Elektronen in der unmittelbaren Nähedes AGN erzeugt bzw. beschleunigt werden und dannmit dem Jet von dort aus transportiert werden. Für dieElektronen, welche die optische Synchrotron-Strahlungproduzieren, ist dies jedoch nicht der Fall, da die Kühl-zeit nur tcool ∼ 103 (B/10−4 G)−3/2 yr für Emission beioptischen Wellenlängen beträgt. Selbst wenn die rela-tivistischen Elektronen in einem (semi-)relativistischenJet transportiert werden, kann der Transportweg nichtlänger als etwa ∼ 1 kpc sein, bevor sie ihre Energieverloren haben. Die beobachtete Länge der optischenJets ist allerdings sehr viel größer. Aus diesem Grundekönnen die entsprechenden Elektronen nicht im AGNselbst beschleunigt worden sein, sondern müssen im Jet,,lokal“ erzeugt werden. Die Knoten der Jets, bei de-

nen es sich vermutlich um Stoßfronten der Strömunghandelt, werden als Ort der Beschleunigung relativis-tischer Teilchen vermutet. Quantitative Abschätzungender Kühlzeit werden durch den unbekannten Beaming-Faktor (5.30) erschwert. Da die optischen Jets alleeinseitig sind und zum größten Teil in Radioquellen miteinem flachen Spektrum beobachtet werden, wird i. A.ein sehr großer Beaming-Faktor vermutet. Zurückge-rechnet auf das Ruhesystem der Elektronen ergibt sichdadurch eine niedrigere Frequenz der emittierten Strah-lung sowie eine kleinere Leuchtkraft. Da letztere fürdie Abschätzung der Magnetfeldstärke herangezogenwird (etwa durch das Argument der Gleichverteilungder Energie), ändert sich auch dadurch die abgeschätzteKühlzeit.

Röntgenstrahlung von Jets. Eine Überraschung wardie Entdeckung vieler der in Radiobereich identi-fizierten Jets auch im Röntgenlicht, wie sie mitdem Chandra-Satelliten beobachtet wurden (Abb. 5.35).Diese Entdeckung und die starke Korrelation derräumlichen Verteilung der Radio-, optischen und Rönt-genstrahlung impliziert, dass alle aus den gleichenGebieten des Jets stammen müssen, d. h. dass die Ur-sachen ihrer Emission miteinander verknüpft sind. Wiewir diskutiert haben, stammt die Radiostrahlung unddie optische Strahlung aus der Synchrotron-Emission,der Abstrahlung relativistischer Elektronen in einemMagnetfeld. Die gleichen Elektronen, die für die Ra-dioemission verantwortlich sind, können mittels der,,inversen“ Compton-Streuung Röntgenphotonen er-zeugen. Dabei werden niederenergetische Photonendurch Stöße mit relativistischen Elektronen auf sehrviel höhere Energien gestreut – ein Photon der Fre-quenz ν kann nach der Streuung mit einem Elektronder Energie γmec2 eine Frequenz ν′ = γ 2ν besit-zen. Da als charakteristische Lorentz-Faktoren beider Synchrotronstrahlung in Radiojets γ ∼ 104 auftre-ten, können diese gleichen Elektronen durch inverseCompton-Streuung die Radiophotonen in den Rönt-genbereich hineinstreuen. Man nennt diesen Effektauch Synchrotron-Selbst-Compton Strahlung. Alterna-tiv können die relativistischen Elektronen auch optischePhotonen des AGNs streuen, wobei dazu wenigerenergiereiche Elektronen notwendig wären. Auch derallgegenwärtige CMB kommt als Quelle der Photonenfür den inversen Compton-Effekt in Frage und ist wahr-

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216

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.35. Röntgenaufnahmen von AGN-Jets. Links ist eineChandra-Aufnahme des Jets im QSO PKS 1127−145 zusehen, dem Konturen der Radioemission (1.4 cm, VLA) über-lagert wurden. Die Richtung des Jets und seine Unterstrukturist in beiden Wellenlängenbereichen sehr ähnlich; das legt die

Interpretation nahe, dass die Strahlung durch die gleiche Popu-lation relativistischer Elektronen hervorgerufen wird. Rechtsein Chandra-Bild der Aktiven Galaxie Centaurus A; hier ist derJet zu erkennen, sowie eine große Anzahl kompakter Quellen,die als Röntgen-Doppelsterne interpretiert werden

scheinlich in vielen Fällen die Ursache der beobachtetenRöntgenstrahlung.

Allerdings ist das inverse Compton-Modell nichtfür alle Röntgenjets ohne große Probleme anwend-bar. Beispielsweise wurde in den Knoten des Jets inM87 eine Variabilität dieser Röntgenemission beobach-tet, was auf eine sehr kurze Kühlzeit der Elektronen

Abb. 5.36. Ein Versuch zur Vereinheitlichung der verschie-denen AGN-Typen, indem sie nach dem Drehimpuls desSchwarzen Lochs und nach der Orientierung relativ zur Sicht-linie geordnet sind. Je kleiner der Winkel zwischen derSymmetrieachse des AGN (also etwa der seiner Akkreti-onsscheibe) und der Sichtlinie ist, umso mehr dominiert

die Strahlung der Jet-Komponente. Weiterhin ist die rela-tive Stärke der Radioemission in diesem speziellen Modellmit dem Drehimpuls des Schwarzen Lochs verknüpft. Diehier gezeigte Klassifikation ist nur eine von mehreren Mög-lichkeiten, wobei die Abhängigkeit von der Orientierung alsallgemein akzeptiert gilt

hinweist. Da die Elektronen einen sehr viel größerenLorentz-Faktor γ besitzen müssen, wenn die Strahlungeiner gegebenen Frequenz aus der Synchrotronstrah-lung stammt als beim inversen Compton-Prozess, wärederen Kühlzeit tcool (5.6) auch viel kürzer. In solchenQuellen, die typischerweise FR I-Radioquellen sind, istdaher vermutlich der Synchrotron-Prozess selbst für

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5.6 AGNs und Kosmologie

217

die Röntgenemission verantwortlich. Dies implizierteinerseits sehr kurze Kühlzeitskalen und daher die er-höhte Notwendigkeit einer lokalen Beschleunigung derElektronen, andererseits ist die notwendige Energie derElektronen sehr groß, ∼ 100 TeV. Welche Beschleu-nigungsprozesse dafür in Frage kommen, ist zurzeitungeklärt.

Abschließend sei bemerkt, dass die Versuche, dieverschiedenen Klassen der AGN zu vereinheitlichen,recht erfolgreich sind. Das Schema der Vereinheitli-chung ist allgemein akzeptiert, auch wenn einige Detailsimmer noch in der Diskussion sind. Ein speziellesModell ist in Abb. 5.36 skizziert.

5.6 AGNs und Kosmologie

AGNs, insbesondere QSOs, sind bis zu sehr großenRotverschiebungen hin sichtbar. Seit ihrer Entdeckung1963 haben QSOs fast durchgehend den Rotver-schiebungsrekord gehalten, nur in den letzten Jahrenwechselten sich QSOs und Galaxien als Rekordhalterimmer wieder ab. Man kennt bislang mehrere hundertQSOs mit z ≥ 4, und die Zahl derjenigen mit z > 5wächst stetig, seitdem ein Suchkriterium zum Auffin-den dieser Objekte gefunden wurde. Es liegt daher nahe,QSOs als kosmologische Sonden zu betrachten, also zufragen, was man aus Beobachtungen von QSOs überdas Universum lernen kann. Beispielsweise ist eine derspannenden Fragen, wie sich die QSO-Population mitder Rotverschiebung entwickelt – gab es bei hohen Rot-verschiebungen, also in der Frühzeit des Kosmos, genauso viele QSOs wie heute?

5.6.1 Die K-Korrektur

Um diese Frage zu beantworten, benötigt man dieLeuchtkraftfunktion der QSOs und ihre Rotverschie-bungsabhängigkeit. Wie bei Galaxien definiert manΦ(L, z) dL als die räumliche Anzahldichte von QSOsmit einer Leuchtkraft zwischen L und L +dL. Man be-zieht Φ meistens auf ein mitbewegtes Volumenelement,so dass eine QSO-Population, die sich intrinsisch nichtentwickeln würde, ein z-unabhängiges Φ hätte. Einesder Probleme, die hier auftreten, ist die Frage, wel-che Leuchtkraft hier mit L gemeint ist. Das Problembesteht darin, dass eine optische Beobachtung von na-

hen QSOs die Leuchtkraft im optischen Bereich desSpektrums misst, während die gleiche Beobachtung fürQuasare hoher Rotverschiebung die Strahlung im hartenUV-Bereich detektiert – aufgrund der Rotverschiebung.Eine prinzipiell denkbare Möglichkeit wäre, die bolo-metrische Leuchtkraft zu benutzen, doch dies ist keinepraktikable Idee, da sie wegen der sehr breiten spektra-len Energieverteilung von AGNs nur sehr schwer (wennüberhaupt) messbar ist. Man bräuchte dafür Beobach-tungen bei allen Frequenzen, vom Radio- bis hin zumGamma-Bereich, und offensichtlich kann man solcheBeobachtungen nur für einzelne ausgewählte Quellenerhalten.

Das gleiche Problem stellt sich natürlich bei allenQuellen großer Rotverschiebung. Wenn man bei-spielsweise die Leuchtkraft von Galaxien bei hoherRotverschiebung mit der von nahen Galaxien verglei-chen will, so muss man sich stets darüber bewusst sein,dass man bei gleicher beobachteter Wellenlänge un-terschiedliche spektrale Bereiche im Ruhesystem derGalaxien misst. Will man etwa die optische Emissionvon Galaxien bei z ∼ 1 untersuchen, so benötigt manBeobachtungen im NIR-Bereich des Spektrums.

Deshalb bleibt häufig nichts anderes übrig, als dieLeuchtkraft in einem spektralen Band zu benutzen undden oben genannten Effekt so gut wie möglich da-durch zu kompensieren, dass man die Beobachtungenin mehreren Bändern durchführt. Legt man sich z. B.auf den blauen Filter fest, der seine maximale Effizi-enz bei ∼ 4500 Å hat, so kann man die Leuchtkraft imBlauen mit diesem Filter bei nahen Objekten vermessen,während man bei Objekten der Rotverschiebung z ∼ 1die intrinsisch blaue Leuchtkraft mit dem I-Band Filtererhält, und für noch größere Rotverschiebungen müs-sen die Beobachtungen ins nahe IR ausgedehnt werden.Die dabei auftretenden Probleme der Beobachtung undder zugehörigen Korrekturen für die unterschiedlichenEmpfindlichkeitsprofile der Filter sind nicht zu unter-schätzen und bilden stets eine Quelle systematischerUnsicherheiten. Eine alternative Möglichkeit ist es, dieBeobachtungen nur in einem (oder wenigen) Filterndurchzuführen und für den Effekt der Rotverschiebungnäherungsweise zu korrigieren.

Wir hatten in Abschn. 4.3.3 verschiedene Entfer-nungsmaße in der Kosmologie definiert. Insbesonderedefiniert die Beziehung S = L/(4πD2

L) zwischen dembeobachteten Fluss S und der Leuchtkraft L einer Quelle

Page 231: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

218

5. Aktive Galaxienkerne

die Leuchtkraftentfernung DL. Dabei beziehen sichsowohl der Fluss als auch die Leuchtkraft auf bolome-trische, d. h. über alle Frequenzen integrierte Größen.Der gemessene spektrale Fluss Sν hängt aufgrund derRotverschiebung mit der spektralen Leuchtkraft Lν′bei der Frequenz ν′ = ν(1+ z) zusammen, wobei manfindet

Sν = (1+ z)Lν′

4πD2L

. (5.33)

Diese Relation schreiben wir nun in etwas anderer Form,

Sν = Lν

4πD2L

[Lν′

(1+ z)

], (5.34)

wobei der erste Faktor von der gleichen Form ist wiebeim Zusammenhang zwischen den bolometrischenGrößen, während der zweite Faktor für die spektraleVerschiebung korrigiert. Dieser Faktor wird als K-Korrektur bezeichnet. Offensichtlich hängt diese vomSpektrum der Quelle ab, d. h. um die K-Korrektur einerQuelle zu ermitteln, muss man deren Spektrum kennen.Weiterhin hängt dieser Faktor von dem verwendetenFilter ab. Da in der optischen Astronomie Magnitudenals Maß der Helligkeit verwendet werden, schreibt man(5.34) meistens in der Form

mint = mobs + K(z)

mit K(z) = −2.5 log

[Lν′

(1+ z)

], (5.35)

wobei mint die gemessene Magnitude in Abwesenheitder Rotverschiebung wäre, während mobs die tatsäch-lich gemessene Helligkeit beschreibt. Die K-Korrekturist natürlich nicht nur für QSOs relevant, sondern,wie bereits erwähnt, für alle Objekte mit großer Rot-verschiebung, also insbesondere auch für Galaxien.

5.6.2 Die Leuchtkraftfunktion der QSOs

Die Zählungen von QSOs ergeben die AnzahldichteN(> S) von QSOs mit einem Fluss größer als S. Da-bei findet man für große Flüsse ein Verhalten von etwaN(> S) ∝ S−2, während für kleinere Flüsse die Quel-lenzählungen wesentlich flacher verlaufen. Der Fluss,bei dem steile Zählungen in flachere übergehen, ent-spricht einer scheinbaren Helligkeit von etwa B ∼ 19.5.Bis zu dieser Magnitude findet man etwa 10 QSOs proQuadratgrad.

Aus den QSO-Zählungen, verbunden mit der Mes-sung der Rotverschiebung der QSOs, kann man dieLeuchtkraftfunktion Φ(L, z) bestimmen. Dabei ist, wieoben schon definiert, Φ(L, z) dL die Anzahldichte (immitbewegten Volumenelement) von QSOs bei der Rot-verschiebung z mit einer Leuchtkraft zwischen L undL +dL.

Es gibt zwei wesentliche Probleme bei der Be-stimmung der Leuchtkraftfunktion. Zum einen folgtaus der obigen Diskussion, dass ein fester Wellenlän-genbereich, in dem die Helligkeit gemessen wird, jenach Rotverschiebung der QSOs verschiedenen Be-reichen in ihren intrinsischen Spektren entsprechen.Für diesen Effekt muss man korrigieren, wenn mandie Anzahldichte von QSOs oberhalb einer gegebe-nen Leuchtkraft in einem bestimmten Frequenzintervallzwischen lokalen und entfernten QSOs vergleichenwill. Eine Möglichkeit, dies zu erreichen, ist die An-nahme einer universellen spektralen Form von QSOs;diese Annahme ist in der Tat über begrenzte Bereiche(z. B. im optischen und UV-Bereich) recht gut erfüllt.Dieses universelle Spektrum erhält man durch Mitte-lung über Spektren einer großen Zahl von QSOs. Mitdessen Hilfe kann dann eine sinnvolle K-Korrekturfür QSOs als Funktion der Rotverschiebung berechnetwerden.

Die zweite Schwierigkeit bei der Bestimmung vonΦ(L, z) liegt darin, QSO-Samples zu konstruieren, dievollständig sind. Da QSOs punktförmig sind, könnensie von Sternen nur durch Farbeigenschaften und nach-folgender Spektroskopie unterschieden werden. Weilaber die Sterndichte sehr viel größer ist als die derQSOs, ist die Auswahl von QSO-Kandidaten durchFarbselektion und die nachfolgende spektroskopischeVerifikation sehr zeitaufwendig. Erst neuere Surveys,die große Flächen des Himmels mit mehreren Filternabgebildet haben, sind bei der Farbselektion und deranschließenden Verifikation so erfolgreich, dass sehrgroße Samples von QSOs erzeugt werden konnten. Eineenorme Vergrößerung statistisch wohldefinierter QSO-Samples wurde durch die beiden großen Surveys mitdem 2dF-Spektrographen und dem Sloan Digital SkySurvey erreicht, die wir im Zusammenhang mit Rot-verschiebungssurveys von Galaxien in Abschn. 8.1.2diskutieren werden.

Die sich aus solchen Untersuchungen ergebendeLeuchtkraftfunktion wird typischerweise wie folgt

Page 232: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

5.6 AGNs und Kosmologie

219

parametrisiert:

Φ(L, z) = Φ∗

L∗(z)

[(L

L∗(z)

+(

L

L∗(z)

)β]−1

;(5.36)

d. h. für festes z ist Φ ein Doppel-Potenzgesetz in L.Bei L � L∗(z) überwiegt der erste Term in der ecki-gen Klammer in (5.36), falls α > β, und dann istΦ ∝ L−α. Andererseits überwiegt der zweite Term fürL L∗(z), so dass dann Φ ∝ L−β gilt. Typische Wertefür die Koeffizienten lauten etwa α ≈ 3.9, β ≈ 1.5. Diecharakteristische Leuchtkraft L∗(z), bei der sich dieAbhängigkeit von L ändert, hängt sehr stark von derRotverschiebung ab. Ein guter Fit an die Daten für z � 2wird erreicht durch

L∗(z) = L∗0(1+ z)k , (5.37)

mit k ≈ 3.45, wobei der Wert von k von den angenom-menen Dichteparametern Ωm und ΩΛ abhängt. DieseNäherung ist gültig für z � 2, während für größereRotverschiebungen L∗(z) weniger stark mit z zu va-riieren scheint. Die Normierungskonstante ergibt sichzu Φ∗ ≈ 5.2×103 h3 Gpc−3, und L∗

0 entspricht etwaMB = −20.9+5 log h.

Aus dieser Form der Leuchtkraftfunktion, die inAbb. 5.37 auch durch Beobachtungsdaten dargestellt ist,ergeben sich eine Reihe von Schlussfolgerungen. DieLeuchtkraftfunktion von QSOs ist wesentlich breiterals die von Galaxien, die ja für große L exponentiellabfällt. Die empfindliche Abhängigkeit der charakte-ristischen Leuchtkraft L∗(z) von der Rotverschiebungzeigt eine sehr starke kosmologische Entwicklung derLeuchtkraftfunktion. Beispielsweise ist L∗(z) bei z ∼ 2etwa 50 mal größer als heute. Weiterhin gilt für großeLeuchtkräfte Φ ∝ [L∗(z)]α−1 L−α, das heißt die räum-liche Anzahldichte leuchtkräftiger QSOs war bei z ∼ 2mehr als 1000 mal größer als heute (siehe Abb. 5.38).

Für Rotverschiebungen z � 3 scheint sich die Ent-wicklung der QSO-Population wieder umzukehren,d. h. die räumliche Dichte nimmt dann scheinbar wie-der ab, wobei der genaue Wert von z, bei dem dieQSO-Dichte ihr Maximum erreicht, wegen der Schwie-rigkeiten, ein vollständiges Sample von QSOs bei hoherRotverschiebung zu bekommen, noch etwas unsicherist. Da einer Rotverschiebung z ∼ 3 eine Epoche ent-spricht, in der das Universum nur ca. 20% des heutigenWeltalters besaß (der genaue Wert hängt von den

Abb. 5.37. Die Leuchtkraftfunktion von QSOs in sechs Rot-verschiebungsintervallen zwischen 0.4 ≤ z ≤ 2.1, wie ausdem 2dF QSO Redshift Survey aus der Spektroskopie vonüber 23 000 QSOs bestimmt worden ist. Die gepunktetenKurven stellen den besten Fit an die Daten dar, der mit ei-nem Doppelpotenzgesetz wie in (5.36) erzielt wird, wobeifür die Selektionsfunktion des Surveys korrigiert wurde. Manerkennt deutlich die Zunahme der QSO-Dichte mit wachsen-der Rotverschiebung. Die gestrichelte Linie stellt die formaleGrenze zwischen Seyfert-Galaxien und QSOs dar

Abb. 5.38. Die relative Dichte von QSOs als Funktion desWeltalters. Man sieht, dass die QSO-Dichte ein deutli-ches und schmales Maximum annimmt, entsprechend einerRotverschiebung von etwa z ∼ 2.5; zu noch größeren Rotver-schiebungen scheint die Dichte wieder abzunehmen. DieseFigur legt nahe, von einer QSO-Epoche zu sprechen

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220

5. Aktive Galaxienkerne

kosmologischen Parametern ab), scheint es eine ArtQSO-Epoche gegeben zu haben, in dem Sinne, dassdie QSO-Population sich schnell gebildet hat und danngrößtenteils bis heute wieder erloschen ist.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Leucht-kraftfunktion der QSOs zu interpretieren. Eine davonbesteht darin, dass die Leuchtkraft eines jeden QSOsmit der Zeit variiert, in Einklang mit der Entwick-lung von L∗(z). Mit großer Wahrscheinlichkeit ist dieseInterpretation aber falsch, da sie impliziert, dass einleuchtkräftiger QSO stets ein solcher ist. Obwohl dieEffizienz der Energieumwandlung in Strahlung bei derAkkretion deutlich größer als beim thermonuklearenBrennen sein kann, würde sich trotzdem in diesemFall eine extrem große Masse ansammeln, die dannals Masse des SMBH bei lokalen QSOs vorhandensein müsste.6 Massenabschätzungen von M• in QSOsergeben aber selten Werte oberhalb von ∼ 3×109 M�.

Es ist aber keineswegs klar, dass eine gegebeneQuelle immer ein QSO ist: Eine Quelle kann als QSOaktiv sein für eine begrenzte Zeit und danach wiederals normale Galaxie erscheinen. Beispielsweise ist esmöglich, dass praktisch jede massereiche Galaxie einpotentieller AGN ist. Diese Vermutung wird natürlichdadurch gestützt, dass anscheinend jede massive Ga-laxie ein zentrales SMBH besitzt. Wird das SMBHdurch akkretierende Materie gefüttert, so erscheintdiese Galaxie als AGN. Wenn aber kein Material mehrnachgeliefert wird, kann der Kern nicht strahlen, unddie Galaxie ist nicht länger aktiv. Unsere Milchstraßemag ein Beispiel für diesen Effekt sein, denn obwohldie Masse des SMBH im Zentrum der Galaxis aus-reicht, eine AGN-Leuchtkraft von mehr als 1044 erg/szu erzeugen, wenn man dessen Eddington-Leuchtkraft(5.23) betrachtet, ist die beobachtete Leuchtkraft vieleGrößenordnungen kleiner.

AGNs befinden sich oft in der Nähe von anderenGalaxien, was dahingehend interpretiert werden kann,dass aufgrund der Störung des Gravitationsfeldes einerGalaxie durch eine andere die Bahnen des Gases inner-halb der Hostgalaxie des QSO gestört werden, das ISMkann dann in das Zentrum der gestörten Galaxie strömenund dort teilweise akkretiert werden – ,,das Monsterbeginnt zu leuchten“. Sollte dies der Fall sein, besagt

6Vergleiche hierzu die Abschätzung in Abschn. 5.3.1, wobei dieLebensdauer statt 107 yr hier das Weltalter, also ∼ 1010 yr beträgt.

die Leuchtkraftfunktion (5.36) nichts über die Entwick-lung individueller AGNs, sondern nur etwas über diePopulation als Ganzes.

Die Interpretation der z-Entwicklung ist naheliegend.Der Anstieg der QSO-Dichte mit der Rotverschiebungstammt in diesem Bild daher, dass in früheren Phasendes Universums wesentlich mehr Wechselwirkungenzwischen Galaxien und Verschmelzungsprozesse statt-gefunden haben als heute. Andererseits ist der Abfallbei sehr großen z zu erwarten, da sich die SMBHs inden Galaxienzentren erst bilden müssen, und offensicht-lich geschieht dies in den ersten ∼ 109 Jahren nach demUrknall.

5.6.3 Absorptionslinien in Quasaren

Die optischen/UV-Spektren von QSOs sind zum we-sentlichen Teil durch starke Emissionslinien charakteri-siert. Daneben zeigen sie aber auch Absorptionslinien,die wir bislang noch nicht erwähnt haben. Abhängigvon der Rotverschiebung des QSOs, dem Wellenlängen-bereich des Spektrums und der spektralen Auflösungkönnen QSO-Spektren eine große Vielzahl von Ab-sorptionslinien aufweisen. Für diese gibt es im Prinzipmehrere mögliche Ursachen. Zum einen können siedurch absorbierendes Material im AGN selbst oder inseiner Host-Galaxie hervorgerufen werden, also eine in-trinsische Ursache haben, zum anderen können sie aufdem langen Weg zwischen dem QSO und uns durchGas auf der Sichtlinie erzeugt werden. Wir werdensehen, dass es verschiedene Sorten von Absorptions-linien gibt und beide Möglichkeiten tatsächlich auchvorkommen. Die Untersuchung von Absorptionslinien,die nicht aus dem QSO selbst stammen, liefert daherInformation über das Gas im Universum, und für dieseZwecke ist ein QSO in erster Linie eine sehr weit ent-fernte helle Lichtquelle, die man zum Durchleuchtendieses Gases benutzt.

Die Identifikation einer Spektrallinie mit einem Li-nienübergang und einer Rotverschiebung ist i. A. nurdann möglich, wenn mindestens zwei Linien bei dergleichen Rotverschiebung vorkommen; daher sind Dop-pellinien besonders nützlich, wie z. B. die von MgII

(λ = 2795 Å und λ = 2802 Å) und CIV (λ = 1548 Å undλ = 1551 Å). Das Spektrum praktisch jeden QSOs mitgroßer (Emissions)Rotverschiebung zem zeigt schmaleAbsorptionslinien von CIV und MgII mit Absorptions-

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5.6 AGNs und Kosmologie

221

rotverschiebung zabs < zem. Falls das Spektrum sich zukürzeren Wellenlängen erstreckt als die beobachteteLyα-Emissionslinie des QSOs, dann gibt es zahlloseschmale Absorptionslinien bei λobs � λobs(Lyα) = (1+zem)1216 Å. Die Ansammlung dieser Absorptionslinienbezeichnet man als Lyα-Wald (Lyα forest). In ca. 15%aller QSOs findet man sehr breite Absorptionslinien,deren Breite die der breiten Emissionslinien zum Teildeutlich übersteigen kann.

Klassifikation von QSO-Absorptionslinien. Die un-terschiedlichen Absorptionslinien in QSOs werdenunterteilt in Klassen, entsprechend ihrer Wellenlängeund ihrer Breite.

• Metall-Systeme: Dabei handelt es sich im Allge-meinen um schmale Absorptionslinien, von denenMgII und CIV am häufigsten auftreten (und amleichtesten zu identifizieren sind), aber danebengibt es auch eine ganze Reihe von Linien andererElemente (Abb. 5.39). Die Rotverschiebung dieserAbsorptionslinien beträgt 0 < zabs < zem, sie werdendaher durch Material entlang der Sichtlinie hervor-gerufen und sind nicht mit dem QSO assoziiert.Ein Metall-System besteht in der Regel aus vie-len verschiedenen Linien verschiedener Ionen beider gleicher Rotverschiebung. Aus der Linienstärke

Abb. 5.39. Spektrum des QSOs 1331+17 mit zem = 2.081,aufgenommen mit dem Multi-Mirror-Telescope in Arizona.Im Spektrum sind eine ganze Serie von Absorptionslinienzu erkennen, die alle mit einem System bei zabs = 1.776

identifiziert werden können. Die zugehörige Lyα-Linie beiλ ≈ 3400 Å ist sehr breit; sie gehört zu den gedämpftenLyα-Linien

kann die Säulendichte der absorbierenden Ionenabgeleitet werden. Für angenommene chemische Zu-sammensetzung und Ionisationsgrad des Gases kanndann die entsprechende Säulendichte im Wasserstoffbestimmt werden. Man erhält aus diesen Abschät-zungen für solche Metall-Systeme typische Wertevon 1017 cm−2 � NH � 1021 cm−2, wobei die un-tere Grenze von der Empfindlichkeit der spektralenBeobachtung abhängt.

• Assoziierte Metall-Systeme: Diese Systeme ha-ben ganz ähnliche Charakteristika wie die obenerwähnten normalen Metall-Systeme, aber ihre Rot-verschiebung beträgt zabs ∼ zem. Da solche Systemeüberhäufig vorkommen, verglichen mit einer statisti-schen z-Verteilung der Metall-Systeme, interpretiertman diese Systeme als zum QSO selbst gehörig.Daher ist der Absorber mit dem QSO physikalischassoziiert und kann z. B. durch die Absorption in derHost-Galaxie des QSOs oder in mit ihm assoziiertenGalaxien erzeugt werden.

• Lyα-Wald: Die Vielzahl von Linien bei λ < (1+zem) 1216 Å, wie sie etwa in Abb. 5.40 zu sehenist, wird interpretiert als Lyα-Absorption durchWasserstoff entlang der Sichtlinie zum QSO. Die sta-tistischen Eigenschaften dieser Linien sind in jedemQSO praktisch die gleichen und scheinen nur vonder Rotverschiebung der Lyα-Linien, nicht aber von

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222

5. Aktive Galaxienkerne

Abb. 5.40. Keck-Spektrum des Lymanα-Waldes desQSO1422+231, eines QSOs bei z = 3.62 – im Übrigen eindurch den Linseneffekt vierfach abgebildeter QSO. Die Wel-lenlängenauflösung beträgt etwa 7 km/s. Auf der blauenSeite der Lyα-Emissionslinie zeigen sich eine große Vielzahl

von schmalen Absorptionlinien des neutralen Wassenstoffsim intergalaktischen Medium, deren statistische Analyse In-formation über die Gasverteilung im Kosmos liefert (sieheAbschn. 8.5)

zem abzuhängen. Diese Interpretation wird bestätigtdurch die Tatsache, dass man für beinahe jede der Li-nien im Lyα-Wald auch die entsprechende Lyβ-Liniefindet, wenn die Qualität und der Wellenlängen-bereich des beobachteten Spektrums dies zulassen.Den Lyα-Wald unterteilt man weiter hinsichtlich derStärke der Absorption in schmale Linien, Lyman-Limit-Systeme und in gedämpfte Lyα-Systeme. Dieschmalen Lyα-Linien werden hervorgerufen durchabsorbierendes Gas mit Säulendichten des neutralenWasserstoffs von NH � 1017 cm−2. Die Lyman-Limit-Systeme erhalten ihren Namen dadurch, dassbei Säulendichten von NH � 1017 cm−2 neutralerWasserstoff die Strahlung bei λ� 912 Å (im Ruhe-system des Wasserstoffs) praktisch völlig absorbiert,wobei diese Photonen den Wasserstoff ionisieren(Abb. 5.41). Falls ein solches System sich bei zlimit

im Spektrum eines QSOs befindet, wird das Spek-trum für λ < (1+ zlimit) 912 Å praktisch vollständigunterdrückt. Gedämpfte (damped) Lyα-Systemeentstehen, falls die Säulendichte im neutralen Was-serstoff NH � 1021 cm−2 beträgt; dann wird dieAbsorptionslinie aufgrund des Dämpfungsflügelsdes Voigt-Profils sehr breit.7

7Das Voigt-Profil φ(ν) einer Linie, das die spektrale Energieverteilungder Photonen um die zentrale Frequenz ν0 der Linie angibt, ist dieFaltung des intrinsischen Linienprofils, welches als Lorentz-Profildargestellt wird,

φL(ν) = Γ/4π2

(ν −ν0)2 + (Γ/4π)2,

mit der Maxwellschen Geschwindigkeitsverteilung der Atome in ei-nem thermischen Gas der Temperatur T . Daraus ergibt sich das

• Breite Absorptionslinien: Bei etwa 15% der QSOsfindet man im Spektrum sehr breite Absorptions-linien bei etwas kleinerer Rotverschiebung als zem

(Abb. 5.42). Die Linien zeigen ein Profil, wie estypisch ist für Quellen mit ausströmendem Ma-terial und etwa von Sternwinden erzeugt wird.Im Gegensatz zu diesen ist allerdings die Dopp-lerbreite der Linien bei den broad absorptionline (BAL)-QSOs ein erheblicher Bruchteil derLichtgeschwindigkeit.

Interpretation. Die Metall-Systeme mit deutlich vonzem verschiedener Rotverschiebung stammen entwe-der aus überdichten Regionen im intergalaktischenRaum, oder sie sind mit entlang der Sichtlinie befind-lichen Galaxien(halos) assoziiert. In der Tat scheinen

Voigt-Profil zu

φ(ν) = Γ

4π2

∞∫−∞

dv

√m/2πkBT exp

(−mv2/2kBT)

(ν−ν0 −ν0v/c)2 + (Γ/4π)2, (5.38)

wobei sich das Integral über die Geschwindigkeitskomponente ent-lang des Sehstrahls erstreckt. In diesen Gleichungen ist Γ dieintrinsische Breite der Linie, die sich aus der natürlichen Breite (diemit der Lebensdauer der atomaren Zustände zusammenhängt) undder Druckverbreiterung ergibt, und m ist die Masse des Atoms, diezusammen mit der Temperatur T des Gases die Maxwellsche Ge-schwindigkeitsverteilung bestimmt. Wenn die natürliche Linienbreiteklein ist gegenüber der thermischen Breite, so dominiert im Zentrumder Linie das Doppler-Profil, d. h. für Frequenzen nahe ν0 wird dasLinienprofil durch eine Gauss-Funktion gut approximiert, während inden Linienflügeln das Lorentz-Profil dominiert. Um die Linienflügel,bei denen φ(ν) klein ist, beobachten zu können, muss die optischeTiefe groß sein. Dies ist für die gedämpften Lyα-Systeme der Fall.

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5.6 AGNs und Kosmologie

223

Abb. 5.41. Ein Lyman-Limit-System entlang der Sichtliniezum QSO 2000−330 absorbiert praktisch sämtliche Strahlung

mit Wellenlänge λ ≤ 912 Å im Ruhesystem des Absorbers,hier rotverschoben bei etwa 4150 Å

Abb. 5.42. Spektren dreier BAL-QSOs, QSOs mit breitenAbsorptionslinien. Auf der ,,blauen“ Seite jeder starken Emis-sionslinie befindet sich eine sehr breite Absorption, wie sieetwa von ausströmendem Material erzeugt werden kann; sol-che Linienformen, natürlich mit sehr viel geringerer Breite,findet man in Spektren von Sternen mit starken Winden

MgII-Systeme stets mit einer Galaxie bei der gleichenRotverschiebung verbunden zu sein. Aus der Statistikder Winkelabstände dieser assoziierten Galaxien zumQSO und der Rotverschiebungen ergibt sich die charak-teristische Ausdehnung des Gashalos solcher Galaxien

Abb. 5.43. Ein VLT-Spektrum des QSO SDSS 1030+0524,der mit z = 6.28 eine der z. Zt. höchsten QSO-Rotverschiebungen besitzt. Die blaue Seite der Lyα-Emissionslinie und das daran anschließende Kontinuum wirdfast völlig weggefressen vom dichten Lyα-Wald

zu ∼ 25 h−1 kpc. Bei den CIV-Systemen scheint dieAusdehnung sogar noch größer zu sein, ∼ 40 h−1 kpc.

Der Lyα-Wald wird hervorgerufen durch die diffuseintergalaktische Verteilung von Gas. Wir werden in Ab-schn. 8.5 auf die Modelle des Lyα-Waldes und seinekosmologische Relevanz noch näher eingehen (sieheauch Abb. 5.43).

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224

5. Aktive Galaxienkerne

Die breiten Absorptionslinien stammen von Materialdes AGN selbst, wie man aufgrund ihrer Rotverschie-bung und der enormen Breite unmittelbar schließenkann. Da die Rotverschiebung der breiten Absorpti-onslinien etwas kleiner als die der Emissionslinien ist,bewegt sich das absorbierende Material auf uns zu. DieVorstellung ist, dass es sich um mit hoher Geschwin-digkeit ausströmendes Material handelt. BAL-QSOs(broad absorption line QSOs) sind praktisch immer ra-dioruhig. Die Stellung der BAL-QSOs innerhalb derAGN-Familie ist unklar. Eine plausible Interpretationbesagt, dass die BAL-Eigenschaft von der Orientie-rung des QSOs abhängt. In diesem Fall wäre jeder QSOein BAL, wenn man ihn aus der ,,richtigen“ Richtungbeobachten würde.

Diskussion. Die meisten Absorptionslinien in QSO-Spektren sind mit dem AGN-Phänomen nicht phy-sikalisch verknüpft. Sie bieten uns vielmehr eineGelegenheit, die Materie auf dem Sehstrahl zum QSOzu untersuchen. Der Lyα-Wald wird exemplarisch inAbschn. 8.5 in dieser Hinsicht diskutiert. Weiterhinhat die Absorptionsspektroskopie von QSO mit UV-Satelliten den Nachweis eines sehr heißen Gases imHalo unserer Milchstraße erbracht, und sie bietet eineder wenigen Möglichkeiten, das intergalaktische Me-dium zu untersuchen, wenn dessen Temperatur vonder Größenordnung ∼ 106 K ist. Da sich vermutlichder größte Teil der Baryonen heute in dieser Gas-phase befindet, ist dieser Nachweis von sehr großemkosmologischen Interesse.

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6. Galaxienhaufen und GalaxiengruppenDie Galaxien sind nicht gleichförmig im Raum verteilt,sondern zeigen die Tendenz, sich in Galaxiengruppen(galaxy groups) und Galaxienhaufen (clusters of gala-xies) zusammenzufinden. Dieser Effekt ist bereits in derProjektion der hellen Galaxien an der Sphäre deutlichzu erkennen (siehe Abb. 6.1 und 6.2). Die Milchstraße

Abb. 6.1. Die Galaxienverteilung am nördlichen Himmel, wiesie im Lick-Katalog enthalten ist. Dieser Katalog enthält Ga-laxienzählungen in ,,Pixeln“ von jeweils 10′ ×10′. Man siehtdeutlich, dass die Verteilung der Galaxien an der Sphärekeineswegs homogen ist, sondern starke Strukturen aufweist

Abb. 6.2. Die Verteilung aller Galaxien heller als B < 14.5 ander Sphäre

ist selbst Mitglied einer Gruppe, der Lokalen Gruppe(Abschn. 6.1), d. h. wir leben in einem lokal überdichtenGebiet des Universums.

Es gibt einen fließenden Übergang zwischen Grup-pen und Haufen. Sie werden in der Anzahl der Galaxienunterschieden, die zu ihnen gehören. Grob gesprochenhandelt es sich um Gruppen, wenn die Galaxienan-sammlung aus N � 50 Mitgliedern besteht, die sichinnerhalb einer Sphäre mit einem Durchmesser vonD� 1.5h−1 Mpc befinden. Haufen haben N � 50 Mit-glieder und einen Durchmesser von D � 1.5h−1 Mpc.Eine formalere Definition eines Haufens wird weiter un-ten gegeben. Jeweils ein Beispiel für eine Gruppe undeinen Haufen sind in der Abb. 6.3 dargestellt.

Galaxienhaufen sind die massereichsten gravita-tiv gebundenen Strukturen im Universum. TypischeWerte für die Masse betragen M � 3 × 1014 M�für massereiche Haufen, und M ∼ 3 × 1013 M� istcharakteristisch für Gruppen, wobei der gesamte Mas-senbereich von Gruppen und Haufen den Bereich1012 M� � M � 1015 M� einnimmt.

Ursprünglich wurden Galaxienhaufen aufgrund derin ihnen versammelten Galaxien charakterisiert. Wirwissen heute, dass diese Galaxien zwar die optischeErscheinung von Haufen bestimmen, aber die in ihnenenthaltene Masse nur einen kleinen Bruchteil der Ge-samtmasse von Haufen ausmacht. Mit der Entwicklungder Röntgenastronomie stellte man fest, dass Galaxien-haufen intensive Quellen von Röntgenstrahlung sind,die von einem heißen Gas (T ∼ 3×107 K), das sichzwischen den Galaxien befindet, emittiert wird. Die-ses intergalaktische Gas (intracluster medium, ICM)enthält mehr Baryonen als die in den Galaxien sicht-baren Sterne. Aus der Dynamik der Galaxien, denEigenschaften der Röntgenemission von Haufen so-wie deren Gravitationslinseneffekt schließt man aufdie Existenz von Dunkler Materie in Galaxienhaufen,die, ähnlich wie bei Galaxien, die Masse der Haufendominiert.

Galaxienhaufen spielen eine sehr wichtige Rolle inder beobachtenden Kosmologie. Zum einen sind sie,wie schon erwähnt, die massereichsten gebundenen undrelaxierten Strukturen im Universum und zeichnen da-her die deutlichsten Maxima der großräumigen Struktur

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6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.3. Links: HCG40,eine kompakte Gruppevon Galaxien, mit demSubaru-Teleskop auf demMauna-Kea aufgenom-men. Rechts: der Gala-xienhaufen Cl 0053−37,aufgenommen mit demWFI am ESO/MPG 2.2Meter-Teleskop

des Universums nach. Ihre kosmologische Entwicklungzeugt deshalb von der Entwicklung dieser großräumi-gen Strukturen. Weiterhin bilden Haufen und Gruppenaufgrund ihrer großen Galaxiendichte ideale Laborato-rien für das Studium von Wechselwirkungen zwischenGalaxien und deren Auswirkungen auf die Galaxien-population. Beispielsweise gibt die Tatsache, dass manElliptische Galaxien bevorzugt in Haufen findet, einenHinweis auf den Einfluss der lokalen Galaxiendichteauf die Morphologie und Entwicklung von Galaxien.

6.1 Die Lokale Gruppe

Die Galaxiengruppe, deren Mitglied die Milchstraße ist,nennt man die Lokale Gruppe (Local Group). Innerhalbeiner Entfernung von ∼ 1 Mpc der Galaxis sind etwa 35Galaxien bekannt; diese sind in der Tabelle 6.1 aufge-listet. Eine Skizze ihrer räumlichen Verteilung ist in derAbb. 6.4 gezeigt.

6.1.1 Phänomenologie

Die Milchstraße (Milky Way, MW), M31 (Andromeda)und M33 sind die drei Spiralgalaxien der LokalenGruppe, und sie sind auch deren leuchtkräftigste Mit-glieder. Die Andromeda-Galaxie befindet sich in einerEntfernung von 770 kpc von uns. Das nächst leucht-

kräftigste Mitglied der Lokalen Gruppe ist die GroßeMagellansche Wolke (Large Magellanic Cloud, LMC;siehe Abb. 6.5), die sich gemeinsam mit der Klei-nen Magellanschen Wolke (Small Magellanic Cloud,SMC) im Abstand von ∼ 50 kpc (bzw. ∼ 60 kpc fürdie SMC) um die Milchstraße bewegt. Beide sindSatellitengalaxien der Milchstraße und gehören zurKlasse der Irregulären Galaxien (wie ca. 11 wei-tere Mitglieder der Lokalen Gruppe). Die anderenMitglieder der Lokalen Gruppe sind Zwerggalaxien,

Abb. 6.4. Schematische Verteilung der Galaxien in derLokalen Gruppe, mit der Milchstraße im Zentrum der Figur

Page 240: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.1 Die Lokale Gruppe

227

Tabelle 6.1. Die Mitglieder der Lokalen Gruppe. Angegebenist der Name der Galaxie, ihr Typ, die absolute Helligkeit imB-Band, ihre Position an der Sphäre, sowohl in Rektaszensionund Deklination als auch in Galaktischen Koordinaten, ihre

Entfernung von der Sonne und ihre Radialgeschwindigkeit.Eine Skizze ihrer räumlichen Anordnung wird in der Abb. 6.4gezeigt

Galaxie Typ MB RA/Dec. �, b D (kpc) vr (km/s)

Milchstraße Sbc I-II −20.0 1830−30 0 , 0 8 0LMC Ir III-IV −18.5 0524−60 280, −33 50 270SMC Ir IV-V −17.1 0051−73 303, −44 63 163Sgr I dSph? 1856−30 6, −14 20 140Fornax dE0 −12.0 0237−34 237,−65 138 55Sculptor Dwarf dSph −9.8 0057−33 286, −84 88 110Leo I dSph −11.9 1005+12 226, +49 790 168Leo II dSph −10.1 1110+22 220, +67 205 90Ursa Minor dSph −8.9 1508+67 105, +45 69 −209Draco dSph −9.4 1719+58 86, +35 79 −281Carina dSph −9.4 0640−50 260, −22 94 229Sextans dSph −9.5 1010−01 243, +42 86 230M31 Sb I-II −21.2 0040+41 121, −22 770 −297M32=NGC 221 dE2 −16.5 0039+40 121, −22 730 −200M110=NGC 205 dE5p −16.4 0037+41 121, −21 730 −239NGC 185 dE3p −15.6 0036+48 121, −14 620 −202NGC 147 dE5 −15.1 0030+48 120, −14 755 −193And I dSph −11.8 0043+37 122, −25 790 —And II dSph −11.8 0113+33 129, −29 680 —And III dSph −10.2 0032+36 119, −26 760 —Cas = And VII dSph 2326+50 109, −09 690 —Peg = DDO 216 dIr/dSph −12.9 2328+14 94, −43 760 —Peg II = And VI dSph −11.3 2351+24 106, −36 775 —LGS 3 dIr/dSph −9.8 0101+21 126, −41 620 −277M33 Sc II-III −18.9 0131+30 134, −31 850 −179NGC 6822 dIr IV-V −16.0 1942−15 025, −18 500 −57IC 1613 dIr V −15.3 0102+01 130, −60 715 −234Sagittarius dIr V −12.0 1927−17 21, +16 1060 −79WLM dIr IV-V −14.4 2359−15 76, −74 945 −116IC 10 dIr IV −16.0 0017+59 119, −03 660 −344DDO 210, Aqr dIr/dSph −10.9 2044−13 34, −31 950 −137Phoenix Dwarf dIr/dSph −9.8 0149−44 272, 68 405 56Tucana dSph −9.6 2241−64 323, −48 870 —Leo A = DDO 69 dIr V −11.7 0959+30 196, 52 800 —Cetus Dwarf dSph −10.1 0026−11 101, −72 775 —

die sehr klein und leuchtschwach sind. Aufgrundihrer kleinen Leuchtkraft und ihrer kleinen Flächen-helligkeit wurden viele der bekannten Mitglieder derLokalen Gruppe erst in den letzten Jahren entdeckt.So wurde im Jahre 1997 die Antlia-Galaxie ge-funden, die eine zwergsphäroidale Galaxie ist. IhreLeuchtkraft ist etwa 104 Mal kleiner als die derMilchstraße.

Viele der Zwerggalaxien gruppieren sich um dieGalaxis und um M31; man nennt sie Satellitengala-xien. Um die Milchstraße verteilen sich LMC, SMCund 9 Zwerggalaxien, mehrere davon im sog. Magel-lanschen Strom (siehe Abb. 6.6), einem langen Band

aus neutralem Wasserstoff, das vor ∼ 2×108 yr durchGezeitenwechselwirkung mit der Galaxis aus denMagellanschen Wolken herausgerissen wurde. Der Ma-gellansche Strom enthält etwa 2×108 M� an neutralemWasserstoff.

6.1.2 Massenabschätzung

Wir wollen hier eine einfache Abschätzung der Masseder Lokalen Gruppe darstellen, aus der hervorgehenwird, dass sie deutlich massereicher ist, als man aus derbeobachteten Leuchtkraft der sich in ihr befindlichenGalaxien schließen würde.

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228

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.5. Aufnahme der Großen Magellanschen Wolke(LMC) mit dem CTIO 4 m-Teleskop

M31 gehört zu den ganz wenigen Galaxien, derenSpektrum eine Blauverschiebung zeigen. Andromedaund die Milchstraße bewegen sich daher mit einer Re-lativgeschwindigkeit von v ≈ 120 km/s aufeinander zu.Dieser Wert ergibt sich aus der Relativgeschwindigkeitv ≈ 300 km/s von M31 zur Sonne und der Bewegungder Sonne um das Galaktische Zentrum. Zusammenmit der Entfernung von D ∼ 770 kpc zu M31 kommtman daher zu dem Schluss, dass beide Galaxien aufeiner Zeitskala von ∼ 6×109 yr miteinander kollidie-ren werden (wenn wir die transversale Komponente derRelativgeschwindigkeit außer Acht lassen).

Die Leuchtkraft der Lokalen Gruppe wird von derMilchstraße und M31 dominiert, die zusammen etwa90% der gesamten Leuchtkraft erzeugen. Falls die Mas-sendichte der Lichtverteilung folgt, sollte daher auch dieDynamik der Lokalen Gruppe von diesen beiden Gala-xien dominiert sein. Man kann deshalb versuchen, ausder Relativbewegung dieser beiden Galaxien ihre Masseund damit die Masse der Lokalen Gruppe abzuschätzen.

In der Frühzeit des Universums waren die Galaxisund M31 nahe beieinander und nahmen an der Hubble-Expansion teil. Ihre gegenseitige Gravitationsanziehungbremste die relative Fluchtgeschwindigkeit ab, bis siezum Stillstand kam – zu einem Zeitpunkt tmax, bei demdiese beiden Galaxien die maximale Entfernung rmax

voneinander hatten. Von da an bewegten sie sich auf-einander zu. Die Relativgeschwindigkeit v(t) und derAbstand r(t) folgen aus der Energieerhaltung

v2

2= G M

r−C , (6.1)

Abb. 6.6. HI-Karte einer großen Himmelsregion, welche dieMagellanschen Wolken enthält. Diese Karte stammt aus einemgroßen HI-Survey, der mit dem Parkes-Teleskop in Australiendurchgeführt wurde und der etwa ein Viertel des südlichenHimmels mit einer Pixelgröße von 5′ und einer Geschwindig-keitsauflösung von ∼ 1 km/s enthält. Emission von Gas mitGalaktischer Geschwindigkeit wurde bei dieser Karte her-ausgenommen. Neben der HI-Emission der MagellanschenWolken selbst ist Gas zwischen ihnen zu erkennen, die Magel-lansche Brücke, sowie der Magellansche Strom, der mit denMagellanschen Wolken über die ,,interface region“ verbun-den ist. In Richtung der Bahnbewegung der MagellanschenWolken um die Milchstraße findet man ebenfalls Gas, den,,leading arm“

wobei M die Summe der Massen von Milchstraße undM31 bezeichnet und C eine Integrationskonstante ist.Diese kann bestimmt werden, wenn man in (6.1) den

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6.1 Die Lokale Gruppe

229

Zeitpunkt der maximalen Separation einsetzt, bei demr = rmax und v = 0. Daraus folgt sofort

C = G M

rmax.

Da v = dr/dt, ist (6.1) eine Differentialgleichung fürr(t),

1

2

(dr

dt

)2

= G M

(1

r− 1

rmax

).

Diese kann gelöst werden mit der Anfangsbedingungr = 0 bei t = 0. Für unsere Zwecke reicht eine nähe-rungsweise Betrachtung aus. Löst man die Gleichungnach dt auf, so kann man durch Integration eineBeziehung zwischen rmax und tmax erhalten,

tmax =tmax∫0

dt =rmax∫0

dr√2G M

√1/r −1/rmax

= π r3/2max

2√

2G M. (6.2)

Da die Differentialgleichung symmetrisch bezüglichder Vertauschung v → −v ist, findet die Kollision bei2tmax statt. Schätzt man die Zeit von heute bis zur Kolli-sion dadurch ab, dass man die relative Geschwindigkeitals konstant zwischen jetzt und der Kollision annimmt,so folgt r(t0)/v(t0) = D/v = 770 kpc/120 km/s, undman erhält 2tmax ≈ t0 + D/v oder

tmax ≈ t02

+ D

2v, (6.3)

wobei t0 unser heutiges Weltalter bezeichnet. Zusam-men mit (6.2) ergibt sich daher

v2

2= G M

r− G M

rmax= G M

r− 1

2

(πG M

tmax

)2/3

. (6.4)

Setzt man nun die Werte r(t0) = D und v = v(t0) ein, soerhält man die Masse M,

M ∼ 3×1012 M� , (6.5)

wobei t0 ≈ 14×109 yr angenommen wurde. Die Masseist sehr viel größer als die beobachtete Masse in Sternenund Gas in den beiden Galaxien. Diese Massenab-schätzung ergibt für die Lokale Gruppe ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von M/L ∼ 70 M�/L�. Darausergibt sich ein zusätzlicher Hinweis auf Dunkle Mate-rie, da wir nur etwa 5% dieser Masse in der Milchstraße

und Andromeda sehen. Eine weitere Massenabschät-zung der Milchstraße folgt aus der Kinematik derBewegung des Magellanschen Stroms, die ebenfallsM/L � 80M�/L� ergibt.

6.1.3 Weitere Komponenten der Lokalen Gruppe

Eine der interessantesten Galaxien der Lokalen Gruppeist die Sagittarius-Zwerggalaxie, die erst im Jahre 1994entdeckt wurde. Diese ist auf optischen Aufnahmennicht, oder nur sehr schwer, als Überdichte von Sternensichtbar, u. a. weil sie sich in Richtung des GalaktischenBulges befindet. Sie wurde durch eine kinematischeUntersuchung von Sternen in Richtung des Bulgesentdeckt, bei der eine kohärente Gruppe von Sternengefunden wurde, deren Geschwindigkeit sich deutlichvon der der Bulge-Sterne abhebt. Weiterhin sind die zudieser Überdichte gehörenden Sternen durch eine sehrviel geringere Metallizität ausgezeichnet, die sich in ih-ren Farben widerspiegelt. Die Sagittarius-Zwerggalaxiebefindet sich nahe der Galaktischen Ebene in einemAbstand von etwa 16 kpc vom Galaktischen Zentrum,beinahe in der direkten Verlängerung unserer Sichtliniezum GC. Diese Nähe impliziert, dass auf ihrem Or-bit um die Milchstraße starke Gezeitenkräfte wirksamsein müssen; diese führen dazu, dass die Sagittarius-Zwerggalaxie im Laufe der Zeit langsam zerrissen wird.Tatsächlich wurde in den letzten Jahren ein relativ dün-nes Band von Sternen um die Milchstraße gefunden,die sich auf dem Orbit der Sagittarius-Galaxie befin-den, ähnliche chemische Zusammensetzung haben wieihre Sterne, und die als durch Gezeitenkräfte heraus-getrennte Sterne interpretierbar sind. Weiterhin wurdenKugelsternhaufen identifiziert, die vermutlich früher zurSagittarius-Zwerggalaxie gehörten, aber durch die Ge-zeitenkräfte aus ihr herausgerissen wurden und nunTeil der Kugelhaufen-Population im Galaktischen Halosind.

Kompakte Hochgeschwindigkeitswolken (compacthigh velocity clouds, CHVCs) sind Hochgeschwin-digkeitswolken (siehe Abschn. 2.3.6) mit einem Win-keldurchmesser von � 1◦. Die Entfernung dieserWolken ist nur schwer zu bestimmen, da sieanscheinend keine Sterne enthalten, für die man Me-thoden der Entfernungsbestimmung anwenden könnte.In denjenigen Fällen, wo man im Spektrum ei-nes Hintergrundobjekts eine Absorptionslinie bei der

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230

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

gleichen Geschwindigkeit wie die durch die 21-cm-Linie gemessene Radialgeschwindigkeit der Wolkebeobachtet, kennt man eine obere Schranke derEntfernung, nämlich die Entfernung des Objekts,in dessen Spektrum die Absorptionslinie gefundenwurde.

Indirekte Argumente liefern zum Teil recht großeAbschätzungen der Entfernung von einigen Hundertkpc. Falls ihre Entfernung wirklich so groß ist, deutendie Rotationskurven der CHVCs, d. h. ihre differenti-ellen Einfallgeschwindigkeiten, auf große Massen derWolken hin. In diesem Modell würden CHVCs einengroßen Anteil Dunkler Materie enthalten, M ∼ 107 M�,also sehr viel mehr als die Masse des neutralenWasserstoffs ausmacht. CHVCs wären dann weitereeigenständige Mitglieder der Lokalen Gruppe und be-säßen eine Masse, die der von Zwerggalaxien nichtunähnlich wäre, deren Sternentstehung aber irgendwieunterdrückt worden ist, so dass sie keine oder kaumSterne enthalten.

Dieses Modell der CHVCs ist allerdings umstrit-ten und seine Bestätigung oder Falsifizierung wärevon großem kosmologischen Interesse, wie wir späternoch näher begründen werden. Falls es eine Konzen-tration von CHVCs um die Milchstraße gibt bei denEntfernungen, von denen in diesem Modell ausgegan-gen wird, so sollte es eine ähnliche Konzentration umunsere Schwestergalaxie M31 geben. Eine intensive Su-che nach diesen Systemen wird zur Zeit durchgeführt.Während man HVCs um M31 gefunden hat, war dieSuche nach CHVCs bislang erfolglos, so dass manwahrscheinlich von einer relativ geringen Entfernungder Galaktischen CHVCs von ∼ 50 kpc ausgehen muss.In diesem Fall wären sie keine Objekte mit großerMasse.

Umgebung der Lokalen Gruppe. Die Lokale Gruppeist in der Tat eine Konzentration von Galaxien: Währendsie ca. 35 Mitglieder innerhalb von ∼ 1 Mpc enthält,werden die nächsten Galaxien erst in der Sculptor-Gruppe gefunden, die etwa 6 Mitglieder besitzt undsich in einer Entfernung von D ∼ 1.8 Mpc befindet.Die nächste Galaxiengruppe danach ist die M81-Gruppe mit ∼ 8 Galaxien bei D ∼ 3.1 Mpc, deren beideprominentesten Galaxien in Abb. 6.7 dargestellt sind.

Als weitere nahe Assoziationen von Galaxien inner-halb 10 Mpc von uns sind zu nennen: die Centaurus-

Abb. 6.7. M81 (links) und M82 (rechts), zwei Galaxien derM81-Gruppe, die etwa 3.1 Mpc entfernt ist. Diese beiden Ga-laxien bewegen sich umeinander, wobei die entsprechendegravitative Wechselwirkung die heftige Sternentstehung inM82 bewirkt haben könnte – M82 ist einer der Prototypen derStarburst-Galaxien

Gruppe mit 17 Mitgliedern und D ∼ 3.5 Mpc, dieM101-Gruppe mit 5 Mitgliedern und D ∼ 7.7 Mpc, dieM66- und M96-Gruppen, die zusammen 10 Mitgliederenthalten und sich bei D ∼ 9.4 Mpc befinden, sowie dieNGC 1023-Gruppe mit 6 Mitgliedern bei D = 9.6 Mpc.Die hier genannte Anzahl von Mitgliedern bezieht sichnatürlich nur auf die bekannten Galaxien. Zwerggala-xien, wie etwa Sagittarius, sind bei den Entfernungendieser Gruppen nur schwer nachweisbar.

Die meisten Galaxien befinden sich innerhalb vonGruppen. Es gibt sehr viel mehr Zwerggalaxien alsleuchtkräftige Galaxien, und Zwerggalaxien befindensich bevorzugt in der Nähe von größeren Galaxien. Ei-nige Mitglieder der Lokalen Gruppe sind so schwach,dass man solche Galaxien kaum außerhalb der LokalenGruppe beobachten könnte.

Eine große Galaxienkonzentration war schon im18. Jahrhundert bekannt (W. Herschel) – der Virgo-Haufen. Seine Galaxien nehmen ein etwa 10◦ ×10◦großes Gebiet am Himmel ein, und seine Entfernungbeträgt D ∼ 16 Mpc. Der Virgo-Haufen besteht ausetwa 250 großen Galaxien und mehr als 2000 klei-neren. In der Klassifikation von Galaxienhaufen wirdVirgo als ein irregulärer Haufen eingeordnet. Der unsnächste reguläre massive Galaxienhaufen ist der Coma-Haufen (siehe Abb. 1.14), in einer Entfernung von etwaD ∼ 90 Mpc.

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

231

6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

6.2.1 Der Abell-Katalog

George Abell erstellte einen 1958 veröffentlichten Kata-log von Galaxienhaufen, indem er Gebiete am Himmelmit einer Überdichte von Galaxien identifizierte. DieseIdentifikation führte er visuell auf den Photoplatten desPalomar Observatory Sky Surveys (POSS) durch, ei-nem photographischen Atlas des nördlichen (δ > −30◦)Himmels.1 Dabei sparte er die Galaktische Scheibeaus, weil dort aufgrund der Extinktion und der ho-hen Sterndichte die Beobachtung von Galaxien deutlichproblematischer ist.

Abells Kriterien und sein Katalog. Die Kriterienfür Abell für die Existenz eines Haufens bezogensich auf die Überdichte der Galaxien innerhalb einesbestimmten Raumwinkels. Nach diesen Kriterien ent-hält ein Haufen ≥ 50 Galaxien im Magnitudenintervallm3 ≤ m ≤ m3 +2, wobei m3 die scheinbare Helligkeitder dritthellsten Galaxie des Haufens ist.2 Diese Ga-laxien müssen sich innerhalb eines Kreises mit einemWinkelradius von

θA = 1.′7z

(6.6)

1Der POSS, oder genauer, der erste Palomar Sky Survey, bestehtaus 879 Paaren von Photoplatten, aufgenommen in zwei Farbbän-dern, und deckt den nördlichen Himmel bei Deklinationen �−30◦ab. Er wurde 1960 fertiggestellt. Die Abdeckung des südlichen Teilsdes Himmels wurde in Form des ESO/SERC Southern Sky Surveysim Jahre 1980 abgeschlossen, wobei dieser Survey etwa zwei Ma-gnituden tiefer ist (B � 23, R� 22) als der POSS. Die Photoplattenbeider Surveys wurden digitalisiert und bilden den Digitized Sky Sur-vey (DSS), der den gesamten Himmel abdeckt. Ausschnitte aus demDSS kann man direkt im Internet erhalten, wobei der gesamte DSSein Datenvolumen von ca. 600 GB besitzt. Zurzeit wird der zweitePalomar Sky Survey (POSS-II) durchgeführt, der gegenüber dem ers-ten etwa eine Magnitude tiefer gehen wird und dabei Daten in drei(anstatt zwei) Farbbändern aufnimmt. Dies wird voraussichtlich derletzte photographische Himmelsatlas sein, denn durch die Entwick-lung großer CCD-Kameras können solche Surveys nun auch digitalerstellt werden. Das bekannteste Beispiel dafür ist der Sloan Digi-tal Sky Survey, den wir in anderem Zusammenhang in Abschn. 8.1.2diskutieren werden.2Der Grund für die Wahl der dritthellsten Galaxie besteht darin, dassdie Leuchtkraft der hellsten Galaxie von Haufen zu Haufen stark va-riieren kann. Noch wichtiger ist die Tatsache, dass die hellste Galaxiein der betrachteten Himmelsregion eine nicht zu vernachlässigendeWahrscheinlichkeit hat, nicht zum Haufen zu gehören, sondern sichbei kleineren Abständen von uns zu befinden.

befinden, wobei z die abgeschätzte Rotverschiebungist. Diese wird durch die Annahme ermittelt, dassdie Leuchtkraft der zehnthellsten Galaxie eines Hau-fens in allen Haufen gleich sei. Die ,,Kalibration“dieser Entfernung wird mittels Haufen mit bekannterRotverschiebung erreicht. θA heißt Abell-Radius einesHaufens und entspricht einem physikalischen Radiusvon RA ≈ 1.5h−1 Mpc.

Die so abgeschätzte Rotverschiebung soll für die Se-lektion der Abell-Haufen im Bereich 0.02 ≤ z ≤ 0.2liegen. Die untere Schranke ist so gewählt, dass einHaufen auf einer Photoplatte (∼ 6◦ ×6◦) des POSS zufinden ist und sich nicht über mehrere Platten erstreckt,was die Suche schwieriger gestalten würde, u. a. weil dieEmpfindlichkeit der einzelnen Platten verschieden ist.Die obere Schranke der Rotverschiebung wurde wegender Empfindlichkeitsgrenze der Photoplatten gewählt.

Der Abell-Katalog enthält 1682 Haufen, die allediese Kriterien erfüllen. Zusätzlich listet er 1030 Haufenauf, die während der Suche entdeckt wurden, die abernicht alle Kriterien erfüllen (die meisten von ihnen ent-halten zwischen 30 und 49 Galaxien). Eine Erweiterungdieses Katalogs auf den südlichen Himmel wurde vonAbell, Corwin & Olowin 1989 veröffentlicht. DieserACO-Katalog enthält einschließlich des ursprünglichenKatalogs insgesamt 4076 Haufen. Ein weiterer wichti-ger Haufen-Katalog stellt der Zwicky-Katalog (1961–68) dar, der mehr Haufen enthält, dessen Selektionskri-terien aber als weniger verlässlich eingeschätzt werden.

Probleme der optischen Haufensuche. Die Selektionvon Galaxienhaufen aufgrund einer Überdichte von Ga-laxien an der Sphäre ist natürlich nicht unproblematisch,insbesondere wenn man die dadurch erzeugten Kata-loge für statistische Zwecke auswerten möchte. Ein,,idealer“ Katalog sollte zwei Merkmale besitzen: Zumeinen sollte er vollständig sein, in dem Sinne, dass alleObjekte, die den Selektionskriterien genügen, in demKatalog enthalten sind. Zum zweiten sollte er ,,zuver-lässig“ sein, d. h. er sollte keine Objekte enthalten, dienicht in den Katalog gehören, weil sie die Kriterien nichterfüllen (sog. false positives). Der Abell-Katalog ist we-der vollständig noch zuverlässig; wir wollen hier kurzdiskutieren, warum dies auch keinesfalls zu erwarten ist.

Ein Galaxienhaufen ist ein drei-dimensionales Ob-jekt, während die Galaxienzählung notwendigerweiseauf der Projektion der Galaxienpositionen am Himmel

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232

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

basiert. Dadurch sind Projektionseffekte unvermeidlich:Zufällige, durch Projektion zustande kommende Über-dichten an der Sphäre können somit leicht als Haufenklassifiziert werden. Der umgekehrte Effekt ist ebenfallsmöglich: Durch Fluktuationen der Anzahl von Vorder-grundgalaxien kann ein Haufen hoher Rotverschiebungzu einer insignifikanten – und daher unentdeckten –Fluktuation reduziert werden.

Natürlich sind nicht alle als solche klassifizier-ten Mitglieder eines Haufens tatsächlich Galaxien imHaufen, denn auch hier spielen Projektionseffekteeine wichtige Rolle. Weiterhin ist die Abschät-zung der Rotverschiebung einigermaßen grob. Inder Zwischenzeit wurde eine Spektroskopie vielerAbell-Haufen durchgeführt, wobei sich zeigte, dassdie von Abell gewählte Methode der Rotverschie-bungsabschätzung einen Fehler von ca. 30% hat –erstaunlich gut, wenn man die Grobheit der Annahmenbetrachtet!

Der Abell-Katalog basiert auf einer visuellen Unter-suchung von Photoplatten und ist daher z. T. subjektiv.Heute kann man die Abell-Kriterien mittels digitalisier-ter Aufnahmen objektiv in einer automatisierten Sucheanwenden. Dabei stellt sich heraus, dass die Ergebnissenicht allzu unterschiedlich sind. Die visuelle Sucheist demnach mit großer Sorgfalt durchgeführt worden

Tabelle 6.2. Definitionen der Richness-Klassen. N ist die Anzahl von Haufengalaxien mit Magnituden zwischen m3 und m3 +2,wobei m3 die Helligkeit der dritthellsten Haufengalaxie ist.

Richness class R N Anzahl in Abells Katalog

(0) (30–49) (≥ 1000)1 50–79 12242 80–129 3833 130–199 684 200–299 65 ≥ 300 1

Tabelle 6.3. Definitionen der Entfernungs-Klassen. m10 gibt die Magnitude der zehnthellsten Haufengalaxie an.

Entfernungs- m10 geschätzte durch- Anzahl in AbellsKlasse schnittliche Rotverschiebung Katalog mit R ≥ 1

1 13.3–14.0 0.0283 92 14.1–14.8 0.0400 23 14.9–15.6 0.0577 334 15.7–16.4 0.0787 605 16.5–17.2 0.131 6576 17.3–18.0 0.198 921

und stellt eine phantastische Leistung dar. Aus diesemGrunde und trotz der oben diskutierten potentiellen Pro-bleme werden der Abell- und der ACO-Katalog immernoch sehr häufig benutzt. Abell 851 ist der 851ste Ein-trag des Katalogs, auch als A851 bezeichnet (A851 istmit einer Rotverschiebung von z = 0.41 der entferntesteder Abell-Haufen).

Abell-Klassen. Die Abell- und ACO-Kataloge untertei-len Haufen in sog. Richness- und Entfernungsklassen.Tabelle 6.2 gibt die Kriterien für die Richness-Klassen an, während Tabelle 6.3 die Entfernungsklassenauflistet.

Die Unterteilung findet in 6 Richness-Klassen statt,die mit 0 bis 5 bezeichnet werden, entsprechend derAnzahl der Haufenmitglieder. Richness-Klasse 0 hatzwischen 30 und 49 Mitglieder und gehört somit nichtzum eigentlichen Haufen-Katalog. Aus der Tabelle 6.2erkennt man, dass die Anzahl der Haufen mit steigenderRichness-Klasse sehr schnell abnimmt, es gibt also nurwenige Haufen mit sehr vielen Haufengalaxien. Dabeisei noch einmal daran erinnert, dass der Raumwinkel,aus dem die Abell-Haufen stammen, etwa 2/3 der ge-samten Sphäre einnimmt. Es gibt also in der Tat nursehr wenige sehr reiche Haufen (mit Rotverschiebung� 0.2).

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

233

Die Unterteilung in die 7 Entfernungsklassen basiertauf der scheinbaren Magnitude der zehnthellsten Ga-laxie, entsprechend der Rotverschiebungsabschätzungder Haufen. Deshalb gibt die Entfernungsklasse einegrobe Abschätzung der Entfernung an.

6.2.2 Leuchtkraftverteilung der Haufengalaxien

Wie in Abschn. 3.7 für die gesamte Galaxienpo-pulation definiert man die Leuchtkraftfunktion derGalaxien eines Haufens. Bei vielen Haufen stellt dieSchechter-Leuchtkraftfunktion (3.38) einen sehr gutenFit an die Daten dar, wenn man die jeweils hellsteGalaxie vernachlässigt (siehe Abb. 3.32 für den Virgo-Galaxienhaufen). Die Steigung α am leuchtschwachenEnde ist nicht leicht bestimmbar, weil die Projek-tionseffekte umso stärker werden, je schwächer diebetrachteten Galaxien sind. Außerdem scheint die Stei-gung α in verschiedenen Haufen unterschiedlich zusein, aber auch hier ist nicht völlig klar, ob dieentsprechenden Resultate durch in verschiedenen Hau-fen unterschiedlich starke Projektionseffekte beeinflusstwerden. So ist bisher noch nicht endgültig geklärt, obdie Leuchtkraftfunktion bei L L∗ steil ansteigt odernicht, also ob es viel mehr leuchtschwache Galaxien gibtals ∼ L∗-Galaxien (man vergleiche dazu den Galaxien-gehalt der Lokalen Gruppe). L∗ ist für viele Haufen sehrähnlich, weshalb die Entfernungsabschätzung durch diescheinbare Helligkeit von Haufenmitgliedern einiger-maßen verlässlich ist. Allerdings gibt es eine Reihe vonHaufen mit einem stark abweichenden Wert von L∗.

Viele Haufen enthalten cD-Galaxien im Zentrum,wobei diese sich von großen Ellipsen in mehrerer Hin-

Abb. 6.8. Grobe Klassifikation von Haufen,nach Rood & Sastry: cD sind solche, dievon einer zentralen cD-Galaxie dominiertwerden, B enthalten ein Paar von hellenGalaxien im Zentrum. L sind Haufen miteiner fast linearen Anordnung der dominan-ten Galaxien, C haben einen einzelnen Kernvon Galaxien, F sind Haufen mit abgeflach-ter Galaxienverteilung, und I sind Haufenmit irregulärer Verteilung

sicht unterscheiden. Sie haben eine sehr ausgedehntestellare Hülle, deren Größe R ∼ 100 kpc übersteigenkann und deren Flächenhelligkeit weit oberhalb der ei-nes de Vaucouleurs-Profils liegt (siehe Abb. 3.8). Manfindet cD-Galaxien nur im Zentrum von Haufen oderGruppen, also nur in Gebieten sehr stark erhöhter Gala-xiendichte. Viele cD-Galaxien haben Mehrfachkerne,die ansonsten bei anderen Haufenmitgliedern rechtselten sind.

6.2.3 Morphologische Klassifikation von Haufen

Haufen werden auch aufgrund der Morphologie ihrerGalaxienverteilung klassifiziert. Es werden mehrere sol-cher Klassifikationen benutzt, von denen eine in derAbb. 6.8 dargestellt ist. Da es sich um eine Beschreibungdes visuellen Eindrucks der Galaxienverteilung handelt,ist die genaue Klasse eines Haufens nicht von besondersgroßem Interesse. Eine grobe Einteilung jedoch vermit-telt eine Idee über den Zustand eines Haufens, ob er sichin einem dynamischen Gleichgewicht befindet oder ober gerade durch einen Verschmelzungsprozess mit ei-nem anderen Haufen stark gestört worden ist. Deshalbunterscheidet man vor allen Dingen zwischen regulärenund irregulären Haufen, und denen, die ,,dazwischen lie-gen“, die also weder regulär, noch völlig irregulär sind;natürlich sind die Übergänge zwischen den Klassen flie-ßend. Reguläre Haufen sind kompakt, irreguläre Haufendagegen ,,offen“ (Zwickys Unterscheidungsmerkmal).

Diese morphologische Einteilung weist in der Tatauf physikalische Unterschiede zwischen den Haufenhin, wie die Korrelationen zwischen der Morphologieund anderen Eigenschaften von Galaxienhaufen zei-

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234

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

gen. So findet man, dass reguläre Haufen völlig vonFrühtyp-Galaxien (Ellipsen und S0-Galaxien) domi-niert werden, während irreguläre Haufen einen fast sogroßen Spiralen-Anteil enthalten wie die allgemeineVerteilung von Feldgalaxien. Reguläre Haufen werdensehr häufig von einer cD-Galaxie im Zentrum domi-niert, und die zentrale Galaxiendichte ist dort sehr hoch.Im Gegensatz dazu sind irreguläre Haufen wesentlichweniger dicht im Zentrum. Irreguläre Haufen zeigenoft eine starke Substruktur, die bei regulären Haufenselten zu finden ist. Weiterhin haben reguläre Hau-fen eine große Richness, während irreguläre Haufenweniger Haufenmitglieder besitzen. Zusammenfassendkann man dies so interpretieren, dass sich reguläre Hau-fen in einem relaxierten Zustand befinden, wohingegenirreguläre Haufen noch in einer Entwicklung sind.

6.2.4 Räumliche Verteilung der Galaxien

Die meisten regulären Haufen zeigen eine zentrierteDichteverteilung der Haufengalaxien, d. h. die Gala-xiendichte nimmt nach innen hin stark zu. Falls derHaufen nicht zu elliptisch ist, kann diese Dichtevertei-lung als sphärisch symmetrisch angenommen werden.Zu beobachten ist nur die projizierte Dichtevertei-lung N(R). Diese hängt mit der drei-dimensionalenAnzahldichte n(r) zusammen über die Relation

N(R) =∞∫

−∞dz n

(√R2 + z2

)= 2

∞∫R

dr r n(r)√r2 − R2

,

(6.7)

wobei im zweiten Schritt eine einfache Transformationder Integrationsvariablen von der Sichtlinienkoordinatez auf den drei-dimensionalen Radius r = √

R2 + z2

durchgeführt wurde.Natürlich kann man keine Funktion N(R) beobach-

ten, sondern nur Punkte (die Positionen der Galaxien),die in bestimmter Weise verteilt sind. Man kann N(R)

durch eine Glättung der Punktverteilung erhalten, wenndie Anzahldichte der Galaxien genügend groß ist. Alter-nativ betrachtet man parametrisierte Formen von N(R)

und passt die Parameter an die Beobachtung der Gala-xienpositionen an. Dieser zweite Weg wird meistensbeschritten, weil er robustere Resultate liefert. Eineparametrisierte Verteilung muss mindestens fünf Pa-rameter enthalten, damit wenigstens die wesentlichen

Charakteristika eines Haufens beschrieben werden kön-nen. Zwei dieser Parameter geben die Position desHaufenzentrums am Himmel an. Ein weiterer Para-meter wird benutzt, um die Amplitude der Dichtezu beschreiben, wofür man z. B. die zentrale DichteN0 = N(0) angeben kann. Eine charakteristische Skalaeines Haufens ist der ,,Kernradius“ rc, den man übli-cherweise so definiert, dass bei R = rc die projizierteDichte auf die Hälfte des zentralen Wertes abgefal-len ist, N(rc) = N0/2. Schließlich benötigt man einenParameter, der angibt, ,,wo der Haufen aufhört“; derAbell-Radius RA ist eine erste Näherung für einensolchen Parameter.

Bei den parametrisierten Haufenmodellen kann manunterscheiden zwischen solchen, die physikalisch moti-viert sind, und anderen, die rein mathematischer Natursind. Ein Beispiel für letzteres ist das de Vaucouleurs-Profil, das nicht aus dynamischen Modellen herausabgeleitet wird. Wir betrachten als Nächstes eine Klassevon Verteilungen, die aus einem dynamischen Modellstammen.

Isotherme Verteilungen. Diese Modelle beruhen aufder Annahme, dass die Geschwindigkeitsverteilung derMasseteilchen (dies können sowohl die Galaxien desHaufens sein als auch Teilchen der Dunklen Materie)eines Haufens lokal einer Maxwell-Verteilung folgen,also ,,thermalisiert“ sind. Wie die spektroskopischeUntersuchung der Häufigkeitsverteilung der Radialge-schwindigkeiten von Haufengalaxien ergibt, ist dieskeine schlechte Annahme. Nimmt man weiterhin an,dass das Massenprofil des Haufens dem der Gala-xien folgt (oder umgekehrt) und dass die ,,Temperatur“(bzw. die Geschwindigkeitsdispersion) der Verteilungnicht vom Radius abhängt (so dass man eine isothermeVerteilung der Galaxien vorliegen hat), so ergibt sicheine ein-parametrige Schar von Modellen, die sog. iso-thermen Sphären. Diese kann wie folgt physikalischbeschrieben werden.

Im Gleichgewicht muss der Druckgradient geradegleich der Gravitationsbeschleunigung sein, so dass

dP

dr= −ρ

G M(r)

r2, (6.8)

wobei ρ(r) die Dichte der Verteilung, z. B. die Dichteder Galaxien, angibt. Über ρ(r) = 〈m〉 n(r) verknüpft

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

235

man diese Massendichte mit der Anzahldichte n(r),wobei 〈m〉 die mittlere Teilchenmasse bezeichnet.M(r) = 4π

∫ r0 dr ′ r ′2 ρ(r ′) ist die Masse des Haufens

innerhalb des Radius r. Durch Differentiation von (6.8)erhält man

d

dr

(r2

ρ

d P

dr

)+4πGr2ρ = 0 . (6.9)

Der Zusammenhang zwischen dem Druck und derDichte lautet P = nkBT . Andererseits ist die Tempe-ratur mit der Geschwindigkeitsdispersion der Teilchenverknüpft,

3

2kBT = 〈m〉

2

⟨v2⟩ , (6.10)

wobei⟨v2⟩

die mittlere quadratische Geschwindigkeitist, also die Geschwindigkeitsdispersion, wenn man diemittlere vektorielle Geschwindigkeit Null setzt. Letz-tere Annahme bedeutet, dass der Haufen nicht rotiertoder kontrahiert bzw. expandiert. Falls T (bzw.

⟨v2⟩)

unabhängig von r ist, gilt

dP

dr= kBT

〈m〉dρ

dr=⟨v2⟩

3

dr= σ2

v

dr, (6.11)

wobei σ2v die ein-dimensionale Geschwindigkeitsdi-

spersion ist, also z. B. die Geschwindigkeitsdispersionin Richtung der Sichtlinie, die man durch dieRotverschiebung der Haufengalaxien messen kann.Falls die Geschwindigkeitsverteilung einer isotro-pen (Maxwell-)Verteilung entspricht, ist die ein-dimensionale Geschwindigkeitsdispersion gerade 1/3der drei-dimensionalen Geschwindigkeitsdispersion,wegen

⟨v2⟩= σ2

x +σ2y +σ2

z , oder

σ2v =

⟨v2⟩

3. (6.12)

Mit (6.9) ergibt sich daraus

d

dr

(σ2

v r2

ρ

dr

)+4πGr2ρ = 0 . (6.13)

Singuläre isotherme Sphäre. Die Differentialglei-chung (6.13) für ρ(r) kann im Allgemeinen nicht

analytisch gelöst werden. Die physikalisch sinnvol-len Randbedingungen sind ρ(0) = ρ0, also die zentraleDichte, und (dρ/dr)|r=0 = 0, damit das Dichteprofilim Zentrum flach verläuft. Eine spezielle analytischeLösung der Differentialgleichung existiert allerdings:Durch Einsetzen findet man, dass

ρ(r) = σ2v

2πGr2(6.14)

die Gleichung (6.13) löst. Diese Dichteverteilungheißt singuläre isotherme Sphäre und ist uns schonbei der Diskussion von Gravitationslinsenmodellen inAbschn. 3.8.2 begegnet. Dieses Verteilung hat eine di-vergierende Dichte bei r → 0 und eine unendlicheGesamtmasse, M(r) ∝ r. Bemerkenswert ist die Tat-sache, dass diese Dichteverteilung für große Radiengenau diejenige ist, die man zur Erklärung der flachenRotationskurven von Galaxien braucht.

Numerische Lösungen von (6.13) mit den oben ge-nannten Randbedingungen (also einem flachem Kern)ergeben, dass die zentrale Dichte und der Kernradiusmiteinander über

ρ0 = 9σ2v

4πGr2c

(6.15)

verknüpft sind. Diese physikalischen Lösungen von(6.13) vermeiden daher die unendliche Dichte der sin-gulären isothermen Sphäre. Allerdings fallen auch dieseLösungen wie ρ ∝ r−2 nach außen hin ab, besitzenalso ebenfalls eine divergierende Masse. Der Ursprungdieser Massendivergenz ist leicht zu verstehen, dadiese isothermen Verteilungen auf der Annahme be-ruhen, dass die Geschwindigkeitsverteilung isotherm,also Maxwellsch mit räumlich konstanter Temperaturist. Eine Maxwell-Verteilung hat Flügel, sie enthältalso Teilchen mit beliebig hoher Geschwindigkeit. Dadie Verteilung als stationär angenommen wird, dür-fen solche Teilchen nicht ,,entkommen“, so dass ihreGeschwindigkeit kleiner sein muss als die Flucht-geschwindigkeit aus dem Gravitationspotential desHaufens. Für eine Maxwell-Verteilung lässt sich dasaber nur durch unendliche Gesamtmasse erreichen.

King-Modelle. Um das Problem der divergenten Ge-samtmasse zu beseitigen, führt man selbst-gravitierende

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236

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

dynamische Modelle mit abgeschnittener Geschwin-digkeitsverteilung ein. Diese werden als King-Modellebezeichnet, können aber nicht analytisch darge-stellt werden. Allerdings existiert eine analytischeNäherungsformel für den zentralen Bereich desMassenprofils:

ρ(r) = ρ0

[1+(

r

rc

)2]−3/2

. (6.16)

Mit (6.7) erhält man daraus die projizierte Flächenmas-sendichte

Σ(R) = Σ0

[1+(

R

rc

)2]−1

mit Σ0 = 2ρ0rc .

(6.17)

Auch der analytische Fit (6.16) des King-Profils hat einedivergente Gesamtmasse, allerdings ist diese Divergenz,,nur“ logarithmisch.

Diese analytischen Modelle für die Dichteverteilungder Galaxien in Haufen sind natürlich nur Näherun-gen, da die Galaxienverteilung in Haufen oftmals starkstrukturiert ist. Weiterhin sind diese dynamischen Mo-delle nur dann auf die Galaxienverteilung anwendbar,wenn die Galaxiendichte der Materiedichte folgt. Nunstellt man aber fest, dass die Verteilung der Galaxienin Haufen oftmals vom jeweiligen Galaxientyp abhän-gig ist. Der Anteil der Frühtyp-Galaxien (Es und S0s)ist häufig im Zentrum des Haufens am höchsten. Dar-aus sollte man zumindest als Möglichkeit ableiten, dassdie Galaxien nicht wie die Materie in Haufen verteiltsind. Ein typischer Wert für den Kernradius beträgt etwarc ∼ 0.25h−1 Mpc.

6.2.5 Dynamische Masse von Haufen

Die obige Betrachtung hat die Geschwindigkeitsvertei-lung von Haufengalaxien mit dem Massenprofil desHaufens verknüpft, und dadurch haben wir physika-lische Modelle für die Dichteverteilung erhalten. Dasimpliziert die Möglichkeit, aus den beobachteten Ge-schwindigkeiten der Haufengalaxien auf die Masse bzw.das Massenprofil eines Haufens zu schließen. Diese Me-thode der Massenbestimmung soll hier kurz vorgestelltwerden. Dazu betrachten wir zunächst die dynamische

Zeitskala von Haufen, definiert als die Zeit, die einetypische Galaxie benötigt, um den Haufen einmal zudurchqueren,

tcross ∼ RA

σv

∼ 1.5h−1 ×109 yr , (6.18)

wobei als (ein-dimensionale) Geschwindigkeitsdi-spersion σv ∼ 1000 km/s angenommen wurde. Diedynamische Zeitskala tcross ist kleiner als das Weltalter.Daraus schließt man, dass Galaxienhaufen gravitativgebundene Systeme sind. Wären sie es nicht, wür-den sie sich auf einer Zeitskala tcross auflösen. Wegentcross t0 nimmt man viriales Gleichgewicht an, alsodie Gültigkeit des Virialtheorems, so dass im zeitlichenMittel

2Ekin + Epot = 0 ; (6.19)

dabei sind

Ekin = 1

2

∑i

mi v2i ; Epot = −1

2

∑i �= j

Gmim j

rij

(6.20)

die kinetische bzw. die potentielle Energie der Hau-fengalaxien, mi ist die Masse der i-ten Galaxie, vi

der Betrag ihrer Geschwindigkeit und rij der räumli-che Abstand zwischen der i-ten und j-ten Galaxie. DerFaktor 1/2 in der Definition von Epot taucht auf, weiljedes Galaxienpaar in der Summe doppelt vorkommt.

Man definiert die Gesamtmasse des Haufens als

M :=∑

i

mi , (6.21)

sowie die massengewichtete Geschwindigkeitsdisper-sion⟨

v2⟩ := 1

M

∑i

mi v2i (6.22)

und den gravitativen Radius

rG := 2M2

⎛⎝∑

i �= j

mi m j

rij

⎞⎠

−1

. (6.23)

Daraus erhält man für die kinetische und potentielleEnergie

Ekin = M

2

⟨v2⟩ ; Epot = −G M2

rG, (6.24)

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

237

und mit dem Virialtheorem (6.19) ergibt sich dieMassenabschätzung

M = rG⟨v2⟩

G. (6.25)

Übergang zu projizierten Größen. Die obige Herlei-tung benutzt die drei-dimensionalen Abstände ri derGalaxien vom Haufenzentrum, die allerdings nicht be-obachtbar sind. Um diese Gleichungen anwenden zukönnen, müssen sie auf die projizierten Abstände um-geschrieben werden. Falls die Galaxienpositionen unddie Richtung der Geschwindigkeitsvektoren der Gala-xien unkorreliert sind, wie das z. B. bei einer isotropenGeschwindigkeitsverteilung der Fall ist, gilt⟨

v2⟩= 3σ2v ,

rG = π

2RG mit RG = 2M2

⎛⎝∑

i �= j

mim j

Rij

⎞⎠

−1

,

(6.26)

wobei Rij den projizierten Abstand zwischen den Ga-laxien i und j bezeichnet. Die Größen σv und RG sinddirekt beobachtbar, und somit kann die Gesamtmassedes Haufens bestimmt werden. Man findet

M = 3πRGσ2v

2G

= 1.1×1015 M�( σv

1000 km/s

)2(

RG

1 Mpc

).

(6.27)

Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass diese Mas-senabschätzung nicht mehr von den Massen mi

der Einzelgalaxien abhängt – die Galaxien sind da-her quasi Testteilchen des Gravitationspotentials. Daσv ∼ 1000 km/s und RG ∼ 1 Mpc typisch für reicheGalaxienhaufen sind, findet man eine charakteristischeMasse von ∼ 1015 M� für reiche Haufen.

Das ,,missing mass“ Problem bei Galaxienhaufen.Aus M und der Anzahl N der Galaxien kann man danneine charakteristische Masse m = M/N der leuchtkräf-tigen Galaxien berechnen. Diese Masse stellt sich alssehr groß heraus, m ∼ 1013 M�. Alternativ kann man

M mit der optischen Gesamtleuchtkraft der Haufenga-laxien vergleichen, L tot ∼ 1012–1013 L�, woraus danndas Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis berechnet werdenkann. Die sich daraus ergebenden charakteristischenWerte sind(

M

L tot

)∼ 300 h

(M�L�

). (6.28)

Dieser Wert übersteigt das M/L-Verhältnis vonFrühtyp-Galaxien um mindestens einen Faktor 10.Daraus schloss Fritz Zwicky schon 1933 (durch Un-tersuchung des Coma-Haufens), dass Galaxienhaufenmehr Masse enthalten müssen als in Galaxien sicht-bar ist – der Beginn des missing mass Problems. Wiewir weiter unten noch sehen werden, hat sich diesesProblem inzwischen fest etabliert, denn auch andereMethoden zur Bestimmung von Haufenmassen erge-ben vergleichbar große Werte und zeigen, dass derHauptanteil der Masse in Galaxienhaufen aus nicht-baryonischer, Dunkler Materie besteht. Die in Galaxiensichtbaren Sterne machen weniger als etwa 5% derGesamtmasse von Galaxienhaufen aus.

6.2.6 Weitere Bemerkungen zur Haufendynamik

In Bezug auf obige Argumentation stellt sich natür-lich die Frage, ob die Anwendung des Virialtheoremsnoch gerechtfertigt ist, wenn der Hauptanteil derMasse sich nicht in Galaxien befindet. Die Herleitungbleibt in dieser Form gültig, solange die räumlicheVerteilung der Galaxien der Verteilung der Gesamt-masse folgt. Die dynamische Massenbestimmung kannbeeinflusst werden durch eine anisotrope Geschwin-digkeitsverteilung der Haufengalaxien und durch diemöglicherweise nicht-sphärische Massenverteilung desHaufens. In beiden Fällen sind die Projektionseffekte,die sich im sphärisch-symmetrischen Fall relativ leichtbehandeln lassen, deutlich komplizierter. Auch diesist ein Grund für die Notwendigkeit von alternativenMassenbestimmungen.

Zweikörperstöße von Galaxien in Haufen sind dy-namisch unwichtig, wie man aus der entsprechendenRelaxationszeitskala (3.3) ablesen kann,

trelax = tcrossN

ln N,

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238

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

die viel größer als das Weltalter ist. Die Bewegung vonGalaxien wird daher vom kollektiven Gravitationspo-tential des Haufens bestimmt. Die Geschwindigkeits-dispersion der verschiedenen Galaxientypen ist in etwagleich, und es gibt auch keine klare Tendenz einer Ab-hängigkeit von σv von der Leuchtkraft der Galaxien.Daraus erkennt man, dass die Galaxien im Haufen nicht,,thermalisiert“ sind, da das bedeuten würde, dass siealle die gleiche mittlere kinetische Energie hätten, alsoσv ∝ m−1/2 gelten müsste. Auch diese Tatsache lässtdarauf schließen, dass Stöße der Galaxien untereinanderdynamisch irrelevant sind; vielmehr wird die Ge-schwindigkeitsverteilung der Galaxien durch kollektiveProzesse bei der Bildung der Haufen bestimmt.

Violent relaxation. Der Prozess, der dabei eine wich-tige Rolle spielt, heißt violent relaxation. Darunterversteht man das sehr schnelle Erreichen des viria-len Gleichgewichts beim gravitativen Kollaps einerMassenkonzentration. Der Grund dafür besteht inkleinskaligen Dichteinhomogenitäten der kollabieren-den Materie, die entsprechende Fluktuationen desGravitationsfeldes bewirken. Diese streuen dann dieeinfallenden Teilchen, wodurch die Dichteinhomoge-nitäten weiter verstärkt werden. Die Fluktuationen desGravitationsfeldes wirken wie Streuzentren für die Ma-terie. Weiterhin sind diese Fluktuationen des Feldeszeitlich variabel, so dass ein Energieaustausch zwischenden Teilchen stattfinden kann. Im statistischen Mittelerhalten dadurch die Galaxien die gleiche Geschwindig-keitsverteilung. Wie man durch Simulationen bestätigenkann, findet dieser Prozess auf der Zeitskala von tcross

statt, also etwa gleich schnell wie der Kollaps selbst.

Dynamische Reibung. Ein weiterer wichtiger Prozessfür die Dynamik von Galaxien in Haufen ist die dynami-schen Reibung (dynamical friction). Das einfachste Bildder dynamischen Reibung erhält man aus folgender Be-trachtung: Wenn ein massives Teilchen der Masse msich durch eine statistisch homogene Verteilung vonMasseteilchen bewegt, so verschwindet aufgrund derHomogenität die Gravitationskraft, welches das Teil-chen spürt. Da aber dieses Teilchen Masse besitzt,zieht es die anderen Masseteilchen an, sorgt also da-für, dass die Verteilung inhomogen wird. Wenn sich dasTeilchen nun bewegt, werden sich durch sein Gravi-tationsfeld die anderen Teilchen langsam in Richtung

der Trajektorie des Teilchens bewegen. Die dadurchzustande kommende Inhomogenität der Massenvertei-lung wird aufgrund der Trägheit der Materie derartsein, dass sich eine Überdichte der Materieverteilungentlang der Teilchenbahn bildet, wobei die Dichte aufder der Geschwindigkeit entgegengesetzten Seite (also,,hinter“ dem Teilchen) größer sein wird als in der Rich-tung der Bewegung (siehe Abb. 6.9). Dadurch bildetsich ein Gravitationsfeld aus, das zu einer Beschleuni-gung entgegen der Bewegungsrichtung des Teilchensführt, das Teilchen wird dadurch also abgebremst. Dadiese Polarisation des Mediums durch die Gravitationdes Teilchens hervorgerufen wird, die proportional zuseiner Masse ist, wird die Beschleunigung ebenfallsproportional zu m sein. Weiterhin wird ein schnellesTeilchen eine geringere Polarisation des Mediums her-vorrufen als ein langsames, weil jedes Massenelementdes Mediums die Gravitation des Teilchen dann einekürzere Zeit spürt und dadurch das Medium wenigerpolarisiert wird. Zusätzlich befindet sich das Teilchenim Mittel ,,weiter weg“ von der Dichteansammlungauf seiner rückwärtigen Bahn und verspürt daher einegeringere Beschleunigung, wenn es schneller ist. Zu-sammengefasst ergibt sich dann die Abhängigkeit dieserdynamischen Reibung zu

dv

dt∝ −m ρ v

|v|3 , (6.29)

wobei ρ die Massendichte des Mediums bezeichnet.Angewandt auf Haufen bedeutet dies, dass die mas-sereichsten Galaxien die stärkste dynamische Reibung

Abb. 6.9. Das Prinzip der dynamischen Reibung. Durch dieMasse eines Teilchens (hier groß dargestellt) wird die um-gebende Materie zur Bahn des Teilchens hin beschleunigt.Dadurch bildet sich auf der rückwärtigen Seite seines Or-bits eine Überdichte, deren Gravitationskraft das Teilchenabbremst

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

239

erleiden, so dass diese signifikante Abbremsung er-fahren können, wodurch sie tiefer in den Potentialtopfsinken. Die massereichsten Haufengalaxien sollten sichdaher um das Haufenzentrum konzentrieren, so dasseine räumliche Trennung der Galaxienpopulation ent-sprechend ihrer Masse (mass segregation) stattfindet.Falls die dynamische Reibung über eine genügend langeZeitskala wirken kann, können die massiven Haufenga-laxien im Zentrum zu einer Galaxie verschmelzen. Dieswird als mögliche Erklärung für die Entstehung voncD-Galaxien herangezogen.

Dynamische Reibung spielt auch bei anderen dyna-mischen Prozessen der Astrophysik eine wichtige Rolle.Beispielsweise erleiden die Magellanschen Wolken beiihrem Orbit um die Milchstraße ebenfalls eine dynami-sche Reibung und verlieren daher kinetische Energie.Der Orbit wird also im Laufe der Zeit kleiner werden,und in ferner Zukunft werden diese beiden Satelliten-galaxien mit der Galaxis verschmelzen. Tatsächlich istdie dynamische Reibung wohl für die Verschmelzungs-prozesse bei der Entwicklung der Galaxienpopulationvon entscheidender Bedeutung, und wir werden daraufin Abschn. 9.6 zurückkommen.

6.2.7 Intergalaktische Sterne in Galaxienhaufen

Der Raum zwischen den Galaxien in einem Haufenist angefüllt mit heißem Gas, wie aus Röntgenbeob-achtungen zu sehen ist. In den letzten Jahren hat sichzusätzlich herausgestellt, dass es zwischen den Galaxienauch Sterne gibt. Der Nachweis einer solchen interga-laktischen Sternpopulation ist auf den ersten Blick sehrüberraschend, denn unsere Vorstellung von der Entste-hung von Sternen geht ja davon aus, dass sie sich nur inden dichten Zentren von Molekülwolken bilden können.Da sich zwischen den Galaxien keine Molekülwolkenbefinden, können sich Sterne nicht im intergalaktischenRaum selbst bilden. Aber dies ist auch nicht notwen-dig, denn Sterne können durch die Wechselwirkungvon Galaxien in Haufen den Galaxien entrissen wer-den und danach eine intergalaktische Population bilden.Das Schicksal der Sterne ist also vergleichbar mit demdes interstellaren Mediums, das in den Galaxien durchProzesse der Sternentwicklung mit Metallen angerei-chert wird, bevor es aus den Galaxien herausgerissenwird und zum intergalaktischen Medium in den Haufen

beiträgt, da die erhebliche Metallizität des ICM andersnicht zu verstehen ist.

Die Beobachtung des optischen Lichts in Galaxien-haufen, und damit der Nachweis dieser stellaren Popu-lation, ist äußerst schwierig. Obgleich erste Hinweiseschon durch Messungen mit Photoplatten gewonnenwurden, ist die Flächenhelligkeit dieser Komponentein Haufen so gering, dass selbst mit CCD-Detektorenihre Beobachtung eine extreme Herausforderung dar-stellt. Um dies zu quantifizieren, sei hier bemerkt,dass die Flächenhelligkeit dieser diffusen Lichtkom-ponente bei einigen Hundert kpc vom Haufenzentrumin etwa 30 mag arcsec−2 beträgt. Dies muss vergli-chen werden mit der Helligkeit des Nachthimmels, dieetwa 21 mag arcsec−2 im V-Band beträgt. Daraus folgt,dass man den Einfluss des Nachthimmels auf deut-lich besser als ein Promille korrigieren muss, damit dieintergalaktische stellare Komponente in Haufen sicht-bar wird. Weiterhin müssen die Galaxien des Haufens,sowie Vordergrund- und Hintergrundobjekte, auf denAufnahmen maskiert werden, damit das Profil dieserdiffusen Komponente messbar wird. Dies ist natürlichnur bis zu einer bestimmten Grenzhelligkeit möglich,bis zu der man Einzelobjekte identifizieren kann. DieExistenz schwächerer Quellen muss durch statistischeMethoden berücksichtigt werden, die wiederum dieLeuchtkraftfunktion der Galaxien beinhalten.

Die diffuse Lichtkomponente ist am besten durcheine statistische Superposition der Bilder vieler Ga-laxienhaufen sichtbar. Statistische Fluktuationen desHimmelshintergrunds bzw. Unsicherheiten der Bestim-mung des Flatfields3 mitteln sich dann heraus. Beidiesen Untersuchungen findet man für die Lichtver-teilung im Innern von Haufen ein r−1/4-Gesetz, d. h.man misst das Helligkeitsprofil der zentralen Gala-xie. Für Radien größer als etwa 50 kpc übersteigt dasHelligkeitsprofil die Extrapolation des de Vaucouleurs-Profils und ist bis zu sehr großen Entfernungen von denHaufenzentren nachgewiesen worden. Diese Tatsacheist in Verbindung mit der Existenz von cD-Galaxienzu sehen, die ja gerade durch diesen Helligkeitsex-

3Das Flatfield einer Aufnahme (genauer: des Systems aus Teleskop,Filter und Detektor) ist definiert als die Abbildung einer homogen aus-geleuchteten Fläche, so dass im Idealfall jedes Pixel des Detektors dasgleiche Signal anzeigt. Dies ist nicht der Fall, da die Empfindlichkeitder individuellen Pixel unterschiedlich ist. Aus diesem Grunde misstdas Flatfield diese Empfindlichkeitsverteilung der Pixel, die dann beider Bildanalyse berücksichtigt werden muss.

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240

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

zess definiert wurden. Die Trennung zwischen diffuserLichtkomponente und dem ausgedehnten Lichtprofil ei-ner cD-Galaxie ist nicht leicht möglich, aber die großenEntfernungen vom Haufenzentrum, bei denen die dif-fuse Komponente nachgewiesen wurde, schließen aus,dass die zugehörigen Sterne gravitativ an die zentraleHaufengalaxie gebunden sind. Neben dieser diffusenKomponente konnten in einigen benachbarten Gala-xienhaufen auch Einzelsterne bzw. Planetarische Nebelnachgewiesen werden, die nicht einer Haufengalaxiezugeordnet werden können. Die diffuse Haufenkom-ponente macht in etwa 10% des gesamten optischenLichts eines Galaxienhaufens aus. Modelle der Gala-xienentwicklung in Haufen sollten daher in der Lagesein, diese Beobachtungen zu erklären.

6.2.8 Galaxiengruppen

Ansammlungen von Galaxien, die Abells Kriteriennicht erfüllen, sind meist Galaxiengruppen. Gruppensind daher die Fortsetzung von Haufen mit weni-ger Mitgliedern und daher vermutlich auch geringererMasse, kleinerer Geschwindigkeitsdispersion und klei-

Abb. 6.10. Links: Stephans Quintett, auch als HicksonCompact Group 92 bekannt, ist eine sehr dichte An-sammlung von Galaxien, mit einem Durchmesser von etwa80 kpc. Rechts: Seyferts Sextett, eine Ansammlung vonscheinbar sechs Galaxien, die sehr eng an der Sphäre bei-einanderstehen. Nur vier Galaxien (a–d) sind allerdings

Galaxien der Gruppe; die Spiralgalaxie (e) befindet sichbei deutlich größerer Entfernung von uns. Ein weiteres ur-sprünglich als Galaxie klassifiziertes Objekt ist keine Galaxie,sondern ein Gezeitenarm (tidal tail), der durch die Wech-selwirkung der Galaxien in der Gruppe herausgeschleudertwurde

nerer Ausdehnung. Die Trennung zwischen Gruppenund Haufen ist zumindest zum Teil willkürlich undwurde von Abell so festgesetzt, um bei der Identifika-tion von Haufen nicht allzusehr von Projektionseffektenbeeinflusst zu werden. Gruppen sind natürlich schwie-riger zu finden als Haufen, da das Überdichtekriteriumbei ihnen deutlich mehr durch Projektionseffekte vonVordergrund- und Hintergrund-Galaxien beeinflusstwird als bei Haufen.

Eine besondere Klasse von Gruppen sind die kom-pakten Gruppen, Ansammlungen von (meist wenigen)Galaxien mit sehr kleinem projizierten Abstand. Diebekanntesten Beispiele für kompakte Gruppen sind Ste-phans Quintett und Seyferts Sextett (siehe Abb. 6.10).Im Jahre 1982 wurde ein Katalog von 100 kompaktenGruppen (Hickson Compact Groups, HCGs) veröffent-licht, wobei eine Gruppe aus vier und mehr hellenMitgliedern besteht. Auch sie wurden auf den Photo-platten des POSS selektiert, wiederum mit einem reinenÜberdichtekriterium. Der Median der Rotverschiebun-gen der HCGs beträgt etwa z = 0.03. Beispiele füroptische Aufnahmen von HCGs sind in den Abb. 6.3und 1.16 zu finden.

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6.2 Galaxien in Haufen und Gruppen

241

In neuerer Zeit wurden Galaxiengruppen in spek-troskopischen Surveys selektiert. Damit war eindrei-dimensionales Überdichtekriterium anwendbar,welches Projektionseffekte wesentlich reduziert unddie Detektion von Gruppen auch in Gebieten höherermittlerer Galaxiendichte erlaubt. Die Geschwindig-keitsdispersion von Gruppen ist wesentlich kleinerals die von Haufen, typische Werte sind etwaσv ∼ 300 km/s.

Kompakte Gruppen haben eine Lebensdauer, diesehr viel kleiner als das Weltalter ist. Die dyna-mische Zeitskala beträgt tdyn ∼ R/σv ∼ 0.02 H−1

0 , istalso klein gegenüber t0 ∼ H−1

0 . Durch die dynami-sche Reibung (siehe Abschn. 6.2.6) verlieren Galaxienin diesen Gruppen Bahnenergie und nähern sich da-her dem dynamischen Zentrum, wo Wechselwirkungenund Verschmelzungen mit anderen Gruppengalaxienstattfinden. In der Tat zeigen etwa 40% der Galaxienvon HCGs Anzeichen von Wechselwirkungen. Da dieLebensdauer von kompakten Gruppen kleiner als dasWeltalter ist, müssen sie sich vor nicht allzu langerZeit gebildet haben. Falls wir nicht in einer speziel-len Ära der kosmischen Geschichte leben, müssen sichdaher auch noch heute solche Gruppen bilden. Ausdynamischen Untersuchungen findet man, dass – ge-

Abb. 6.11. Der zahlenmäßige Anteil von Galaxien unter-schiedlicher Morphologie ist aufgetragen, links als Funktionder lokalen Galaxiendichte, rechts für Galaxien in Haufenals Funktion des mit dem Virialradius skalierten Abstandsvom Haufenzentrum. Galaxien wurden in vier verschiedeneKlassen unterteilt. Die ,,early-types“ enthalten hauptsächlichEllipsen, ,,intermediate-types“ sind vor allem S0-Galaxien,

,,early und late Discs“ sind vor allem Sa- bzw. Sc-Spiralen. Inbeiden Fällen ist eine deutliche Abhängigkeit der Galaxien-mischung als Funktion der Dichte bzw. des Abstands vomHaufenzentrum zu erkennen. In den beiden Histogrammen istjeweils oben die Anzahl von Galaxien in den verschiedenenBins aufgetragen

nau wie bei Haufen – die Gesamtmasse von Gruppenwesentlich größer ist als die Summe der Masse der Ga-laxien; ein typisches Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnisist M/L ∼ 50h (in solaren Einheiten), vergleichbar mitder Lokalen Gruppe.

Der Anteil von Spiralen in Gruppen ist, wie auchin Haufen, geringer als ihr Anteil an Feldgalaxien, wo-bei der Anteil an Spiralgalaxien mit steigendem σv derGruppe abnimmt. Ebenfalls wie Haufen sind auch Ga-laxiengruppen Röntgenstrahler, die ebenfalls ein heißesintergalaktisches Gas enthalten, allerdings mit niedri-geren Temperaturen und kleinerer Metallizität als beiHaufen.

6.2.9 Die Morphologie-Dichte-Relation

Wie bereits mehrmals erwähnt, ist die Mischung vonGalaxientypen in Haufen von der isolierter Galaxienrecht verschieden: Während ca. 70% der FeldgalaxienSpiralen sind, dominieren in den Haufen, speziell in deninneren Bereichen, die Frühtyp-Galaxien. Weiterhin istder Anteil an Spiralen in einem Haufen vom Abstandzum Haufenzentrum abhängig und steigt für größerer an. Offensichtlich beeinflusst die lokale Dichte diemorphologische Mischung von Galaxien.

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242

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Allgemeiner kann man sich die Frage stellen, obdie Mischung der Galaxienpopulation von der loka-len Galaxiendichte abhängt. Während frühe Studiendieses Effekts oftmals auf Galaxien in und um Hau-fen beschränkt waren, erlauben die neuen extensivenRotverschiebungssurveys wie der 2dFGRS und derSDSS (siehe Abschn. 8.1.2) eine systematische Un-tersuchung dieser Frage mit einem sehr großen undsorgfältig ausgewählten Galaxiensample. Die mor-phologische Klassifikation solcher großen Samplesgeschieht mittels automatisierter Software, die imWesentlichen die Lichtkonzentration der Galaxien ver-messen. Ein Vergleich der so klassifizierten Galaxienmit einer visuellen Klassifikation ergibt sehr guteÜbereinstimmung.

Als Beispiel einer solchen Untersuchung sind inAbb. 6.11 Resultate aus dem Sloan Digital Sky Surveygezeigt. Aufgrund der Photometrie im SDSS wurdendie Galaxien morphologisch klassifiziert und in vierKlassen unterteilt, entsprechend den Elliptischen Ga-laxien, S0-Galaxien, sowie frühen (Sa) und späten (Sc)Spiraltypen. In diese Betrachtung wurden nur solcheGalaxien mit einbezogen, für die spektroskopisch dieRotverschiebung gemessen wurde. Dadurch kann dieräumliche Galaxiendichte abgeschätzt werden. Aller-dings ist dabei zu berücksichtigen, dass die gemesseneRotverschiebung eine Überlagerung der kosmischenExpansion und der Pekuliargeschwindigkeit einer Ga-laxie ist. Insbesondere in Galaxienhaufen kann diePekuliargeschwindigkeit recht große Werte annehmen(∼ 1000 km/s). Aus diesem Grunde wurde am Ort je-der Galaxie des Samples die Flächenanzahldichte vondenjenigen Galaxien bestimmt, deren Rotverschiebunginnerhalb von ±1000 km/s der Zielgalaxie liegt. Dielinke Figur in Abb. 6.11 zeigt den Anteil der ver-schiedenen Galaxienklassen als Funktion dieser lokalenGalaxiendichte. Man erkennt eine sehr deutliche Ab-hängigkeit speziell des Anteils der späten Spiralen vonder lokalen Dichte: In Gebieten hoher Galaxiendichtemachen Sc-Spiralen weniger als 10% der Galaxienaus, während ihr Anteil in Gebieten kleiner Dichteca. 30% beträgt. Zusammen reduziert sich der Anteilvon Spiralen von ∼ 65% im Feld auf etwa 35% in Ge-bieten hoher Galaxiendichte. Im Gegenzug nimmt derAnteil an Ellipsen und S0-Galaxien zu höheren Dich-ten hin zu, wobei der Anstieg bei den Ellipsen amstärksten ist.

Im rechten Teil der Abb. 6.11 wurde die Mischungder Galaxienmorphologien als Funktion des Abstandszum Zentrum des nächsten Galaxienhaufen aufgetra-gen, wobei der Abstand mit dem Virialradius desentsprechenden Haufens skaliert wurde. Wie erwartetsieht man auch hier eine sehr starke Abhängigkeit desAnteils von Ellipsen und Spiralen von diesem Abstand.Sc-Spiralen sind mit nur noch 5% in der Nähe von Hau-fenzentren zu finden, während der Anteil von Ellipsenund S0-Galaxien nach innen hin stark zunimmt.

Diese beiden Diagramme in Abb. 6.11 sind natür-lich nicht unabhängig voneinander: Ein Gebiet miteiner großen Galaxiendichte hat eine große Wahr-scheinlichkeit, sich in der Nähe eines Haufenzentrumszu befinden, und das Umgekehrte gilt entsprechend.Es ist daher nicht unmittelbar klar, ob die Mischungder Galaxienmorphologien primär von der jeweili-gen Umgebungsdichte der Galaxien abhängt oderdurch morphologische Transformationen im Innern vonGalaxienhaufen zustande kommt.

Eine genauere Betrachtung der Abb. 6.11 kann einenHinweis darauf geben, welche physikalischen Prozessefür die Abhängigkeit der morphologischen Mischungvon der Umgebungsdichte verantwortlich sind. Dazubetrachten wir zunächst den rechten Teil der Abbildung.Man kann drei unterschiedliche Bereiche im Radiusdaraus erkennen: für R � Rvir ist der Anteil der ver-schiedenen Galaxientypen im Wesentlichen konstant.Im mittleren Bereich, 0.3� R/Rvir � 1, steigt der An-teil von S0-Galaxien nach innen stark an, während derAnteil der späten Spiralen entsprechend abnimmt. Die-ses Resultat ist mit der Interpretation verträglich, dassin den äußeren Bereichen von Galaxienhaufen den Spi-ralen das Gas abhanden kommt (etwa aufgrund derBewegung durch das intergalaktische Medium) unddiese sich dann in passive S0-Galaxien verwandeln.Unterhalb von R � 0.3Rvir nimmt der Anteil von S0-Galaxien stark ab, während der Anteil der Ellipsendeutlich ansteigt. Tatsächlich ist das Verhältnis der An-zahldichte von S0-Galaxien zu Ellipsen eine unterhalbvon R � 0.3Rvir nach innen hin sehr stark abfallendeFunktion. Als Funktion der lokalen Galaxiendichte (inder linken Figur) ist ein ähnliches Verhalten zu erken-nen, wobei es auch hier zwei charakteristische Werteder Galaxiendichte zu geben scheint, bei denen sichdie morphologische Mischung der Galaxien deutlichändert. Interessanterweise scheint sich die Beziehung

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6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

243

Abb. 6.12. Röntgenaufnahme des Coma-Haufens mit demROSAT-PSPC (links) und dem XMM-EPIC (rechts). DieFeldgröße links ist 2.7◦ ×2.5◦. Bemerkenswert ist das se-kundäre Maximum der Röntgenemission rechts unterhalb des

Haufenzentrums, was zeigt, dass auch der reguläre Coma-Haufen sich nicht vollständig im Gleichgewicht befindet,sondern vermutlich durch die Akkretion einer Galaxiengruppesich dynamisch entwickelt

zwischen Morphologie und Dichte zwischen z = 0.5und dem lokalen Universum kaum zu entwickeln.

6.3 Röntgenstrahlungvon Galaxienhaufen

Eine der wichtigsten Entdeckungen des im Jahre1970 gestarteten UHURU-Röntgensatelliten war dasAuffinden der Röntgenstrahlung von massereichenGalaxienhaufen. Durch den Einstein-Satelliten wurdeab 1978 auch von masseärmeren Haufen und Grup-pen Röntgenstrahlung entdeckt. Drei Beispiele fürdie Röntgenemission von Galaxienhaufen sind in denAbb. 6.12–6.14 dargestellt. Die Abb. 6.12 zeigt denComa-Galaxienhaufen, aufgenommen mit zwei ver-schiedenen Röntgenobservatorien. Obgleich Coma alsvollständig relaxierter Haufen galt, zeigt die Rönt-genstrahlung deutliche Unterstruktur. Der HaufenRXJ 1347−1145 (Abb. 6.13) gilt als der leuchtkräf-tigste Haufen im Röntgenbereich. Die Abschätzungeiner großen Masse für diesen Haufen ergibt sich auchaus der Analyse der Arcs (siehe Abschn. 6.5), die inAbb. 6.13 sichtbar sind. Schließlich zeigt die Abb. 6.14die Röntgenemission superponiert auf einem optischen

Abb. 6.13. RXJ 1347−1145 ist der leuchtkräftigste Gala-xienhaufen im Röntgenbereich. Codiert in Farben ist eineROSAT/HRI-Aufnahme dieses Haufens, welche die Vertei-lung des intergalaktischen Gases zeigt, überlagert auf eineoptische Aufnahme des Haufens. Die beiden Pfeile zeigenGiant Arcs, durch den Gravitationslinseneffekt stark verzerrteBilder von Hintergrundgalaxien

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244

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.14. Der Gala-xienhaufen MS1054−03besitzt mit z = 0.83die größte Rotverschie-bung der Haufen imEinstein Medium Sen-sitivity Survey, deraus Beobachtungen mitdem Einstein-Satellitenerstellt wurde (siehe Ab-schn. 6.3.5). Rechts isteine Aufnahme des Hau-fens mit dem HST zusehen, während links eineoptische Aufnahme mitdem 2.2-Meter-Teleskopder Universität Hawaiizu sehen ist, und dieRöntgenemission desHaufens, gemessen mitdem ROSAT-HRI, in Blaudarübergelegt wurde

Bild des Haufens MS 1054−03, der sich bei der Rotver-schiebung z = 0.83 befindet und den wir weiter untennoch häufiger als Beispiel heranziehen werden.

6.3.1 Allgemeine Eigenschaftender Röntgenstrahlung

Galaxienhaufen sind neben den AGNs die hellsten ex-tragalaktische Röntgenquellen. Ihre charakteristischeLeuchtkraft beträgt LX ∼ 1043 bis hin zu ∼ 1045 erg/sfür die massereichsten Haufen. Dabei ist die Röntgen-strahlung von Haufen räumlich ausgedehnt, sie kommtalso nicht von einzelnen Galaxien. Der räumliche Be-reich, aus dem die Emission stammt, kann 1 Mpc undsogar größer sein. Weiterhin ist die Röntgenstrahlungvon Haufen nicht variabel auf den Zeitskalen, über dieman sie beobachtet hat (� 30 yr). Dies ist auch nicht zuerwarten, wenn sie aus einem so ausgedehnten Gebietstammt.

Kontinuum-Strahlung. Das Spektrum der Strahlunglässt auf optisch dünne thermische Bremsstrahlung(frei-frei-Strahlung) eines heißen Gases schließen. Da-bei handelt es sich um Strahlung, die durch dieBeschleunigung von Elektronen im Coulombfeld der

Protonen und Atomkerne hervorgerufen wird. Da be-schleunigte elektrisch geladene Teilchen Strahlungemittieren, führen solche Steuprozesse zwischen Elek-tronen und Protonen in einem ionisierten Gas zurAbstrahlung. Aufgrund der spektralen Eigenschaftender Emission kann man die Temperatur des Gases inGalaxienhaufen bestimmen, die für Haufen im Massen-bereich zwischen ∼ 1014 M� und ∼ 1015 M� im Bereichvon 107 K bis 108 K liegen, oder entsprechend zwischen1 keV und 10 keV.

Die Bremsstrahlungs-Emissivität wird beschriebendurch

εffν = 32πZ2e6neni

3mec3

√2π

3kBTmee−hPν/kBT gff(T, ν) ,

(6.30)

wobei e die Elementarladung, ne und ni die Dichte derElektronen und Ionen, Z die Ladung der Ionen undme die Elektronenmasse bezeichnet. Die Funktion gff

heißt Gaunt-Faktor und ist ein quantenmechanischerKorrekturfaktor, der von der Größenordnung 1 ist, odergenauer

gff ≈ 3√π

ln

(9kBT

4hPν

).

Page 258: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

245

Das durch (6.30) beschriebene Spektrum ist also flachfür hPν kBT und exponentiell abfallend für hPν �kBT , wie dies auch in der Abb. 6.15 dargestellt ist.

Die Temperatur des Gases in massereichenHaufen beträgt typischerweise T ∼ 5×107 K, oderkBT ∼ 5 keV – Röntgen-Astronomen geben Tempe-raturen und Frequenzen meistens in keV an (sieheAnhang C). Für ein thermisches Plasma mit solarenHäufigkeiten ergibt sich die Gesamtemission zu

εff =∞∫

0

dν εffν

≈ 3.0×10−27

√T

1 K

( ne

1 cm−3

)2erg cm−3 s−1 .

(6.31)

Die Energie- und Winkelauflösung der Röntgensa-telliten vor Chandra und XMM-Newton, die beide1999 gestartet wurden, ließen keine detailliertenUntersuchungen der räumlichen Abhängigkeit derGastemperatur zu. Daher wird in Modellen oftmals an-genommen, dass T räumlich konstant ist. Allerdingszeigen die Ergebnisse dieser beiden neuen Satelliten,dass diese Annahme in vielen Fällen nicht gerechtfertigtist, sondern deutliche Temperaturgradienten vorhandensind.

Linienstrahlung. Die Annahme, dass die Röntgen-strahlung aus einem heißen, diffus verteilten Gas(intra-cluster gas) stammt, wird durch die Entdeckungvon Linien-Emission bestätigt. Die stärkste Linie inmassereichen Haufen befindet sich bei Energien etwasunterhalb von 7 keV: Dies ist die Lymanα-Linie des 25-fach ionisierten Eisens (also dem Eisen-Kern mit nureinem Elektron). Etwas weniger ionisiertes Eisen hateinen starken Übergang bei etwas kleineren Energienvon E ∼ 6.4 keV. Später wurden auch andere Linienim Röntgenspektrum von Haufen entdeckt. Dabei gilt,dass es umso weniger Linienemission gibt, je heißer dasGas ist, das Gas daher umso vollständiger ionisiert ist.Die Röntgenstrahlung von Haufen mit relativ niedrigenTemperaturen, kBT � 2 keV, kann von Linienstrahlunghochionisierter Atome (C, N, O, Ne, Mg, Si, S, Ar, Ca)dominiert sein (siehe Abb. 6.15). Die Emissivität einesthermischen Plasmas mit solarer Häufigkeit kann im Be-reich 105 K� T � 4×107 K grob angenähert werden

Abb. 6.15. Röntgenemission eines heißen Plasmas. Im oberenBild ist das Bremsstrahlungs-Spektrum bei drei verschiede-nen Gastemperaturen gezeigt; die Strahlung von heißeremGas erstreckt sich zu höheren Photonenenergien, und ober-halb E ∼ kBT wird das Spektrum exponentiell abgeschnitten.Im mittleren Bild sind zusätzlich die atomaren Übergängeund Rekombinationsstrahlung mit berücksichtigt. Diese zu-sätzlichen Strahlungsmechanismen werden bei kleineren Timmer wichtiger, wie aus der T = 1 keV Kurve zu erkennenist. Im unteren Bild wird dann zusätzlich die Photoabsorptionbetrachtet, mit unterschiedlichen Säulendichten in Wasser-stoff und einer Metallizität von 0.4 in solaren Einheiten.Diese Absorption schneidet das Spektrum zu kleinen Energienhin ab

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246

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

durch

ε ≈ 6.2×10−19(

T

1 K

)−0.6( ne

1 cm−3

)2erg cm−3 s−1 .

(6.32)

Die Gleichung (6.32) berücksichtigt sowohl frei-frei-Emission als auch Linienstrahlung. Verglichen mit(6.31) findet man eine andere Temperaturabhängigkeit:Während für die Bremsstrahlung die Emissivität ∝ T 1/2

verläuft, steigt die Emissivität bei kleineren Tempera-turen wieder an, wenn Linienstrahlung wichtig wird.Es soll besonders darauf hingewiesen werden, dassdie Emissivität quadratisch von der Dichte des Plas-

Abb. 6.16. Konturen der Flächenhelligkeit der Röntgen-strahlung für vier verschiedene Gruppen bzw. Haufen:Oben links die Galaxiengruppe NGC5044, mit einer Rot-verschiebung von z = 0.009, einer Röntgentemperatur vonT ≈ 1.07 keV und einer Virialmasse von M200 ≈ 0.32h−1 ×1014 M�. Oben rechts die Gruppe MKW4, mit z = 0.02,T ≈ 1.71 keV und M200 ≈ 0.5h−1 ×1014 M�. Unten links

der Galaxienhaufen A 0754, mit z = 0.053, T ≈ 9.5 keV undM200 ≈ 13.1h−1 ×1014 M�. Unten rechts der Galaxienhau-fen A 3667, mit z = 0.056, T ≈ 7.0 keV und M200 ≈ 5.6h−1 ×1014 M�. Die Röntgendaten stammen von ROSAT, dieoptischen Aufnahmen sind dem Digitized Sky Survey ent-nommen. Diese Haufen sind Teil des HIFLUGCS-Surveys,den wir in Abschn. 6.3.5 näher besprechen werden

mas abhängt, da sowohl Bremsstrahlung als auch diefür die Linienemission verantwortliche StoßanregungZweiteilchen-Prozesse sind. Daraus folgt, dass man dieräumliche Verteilung des Gases kennen muss, um ausder Röntgenleuchtkraft die Masse des heißen Gases ab-zuschätzen. Wie wir später noch sehen werden, erfüllenGalaxienhaufen eine Reihe von Skalierungsrelationen,und man findet empirisch einen Zusammenhang zwi-schen Gasmasse und Röntgenleuchtkraft, aus der mandann die Gasmasse abschätzen kann.

Morphologie der Röntgenstrahlung. Die Morpholo-gie der Röntgenstrahlung kann grob eingeteilt werden in

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6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

247

reguläre und irreguläre Haufen, wie bereits bei der Ein-teilung der Galaxienverteilung. In der Abb. 6.16 sindRöntgenkonturen superponiert auf optischen Aufnah-men von vier Galaxienhaufen bzw. -gruppen dargestellt,die einen weiten Bereich in Haufenmasse und Rönt-gentemperatur abdecken. Reguläre Haufen haben eineglatte Helligkeitsverteilung, zentriert auf das opti-sche Zentrum des Haufens, und eine nach außen hinabfallende Flächenhelligkeit. Reguläre Haufen habencharakteristischerweise eine große RöntgenleuchtkraftLX und hohe Temperaturen. Hingegen können irre-guläre Haufen mehrere Helligkeitsmaxima besitzen,die oftmals jeweils auf Haufengalaxien oder Unter-gruppen von Haufengalaxien zentriert sind. IrreguläreHaufen haben teilweise ebenfalls eine große Tempera-tur, was man als Folge von Verschmelzungsprozessenzwischen Haufen interpretiert, bei denen das Gasdurch Stoßfronten aufgeheizt wird. Es zeigt sich derTrend, dass für Haufen mit einem größeren Anteilvon Spiralen LX und T kleiner sind. Irreguläre Hau-fen haben auch eine kleinere zentrale Galaxiendichteim Vergleich zu regulären Haufen. Galaxienhaufen, dieeine zentrale dominante Haufengalaxie besitzen, zeigenhäufig einen starken zentralen Peak der Röntgenemis-sion. Die Röntgenemission weicht oftmals von eineraxialen Symmetrie ab, weshalb die Annahme, dass Hau-fen sphärisch symmetrisch sind, nicht gut begründetist.

6.3.2 Modelle der Röntgenemission

Hydrostatische Annahme. Um aus der beobachtetenRöntgenstrahlung von Haufen Schlüsse auf die Eigen-schaften des intergalaktischen (intra-cluster) Mediumsund auf die Massenverteilung des Haufens zu erhalten,muss die Verteilung des Gases modelliert werden. Dazubetrachten wir zunächst die Schallgeschwindigkeit imHaufengas,

cs ≈√

P

ρg=√

nkBT

ρg=√

kBT

μ mp∼ 1000 km s−1 ,

wobei P den Gasdruck, ρg die Dichte des Gases undn die Anzahldichte der Gasteilchen bezeichnet. Mandefiniert die mittlere molekulare Masse

μ := 〈m〉mp

(6.33)

als die mittlere Masse eines Gasteilchens in Einhei-ten der Protonenmasse, so dass ρg = n 〈m〉 = nμmp.Für ein vollständig ionisiertes Wasserstoffgas wäreμ = 1/2, da man dann ein Proton und ein Elektronpro ∼ Protonenmasse hat. Da das Haufengas auch He-lium und schwerere Elemente enthält, ist μ ∼ 0.63. DieSchalllaufzeit durch den Haufen beträgt

tsc = 2RA

cs∼ 7×108 yr

und ist für einen Haufen mit T ∼ 108 K wesentlichkleiner als die Lebensdauer des Haufens, die in etwamit dem Weltalter abgeschätzt werden kann. Da dieSchalllaufzeit die Zeitskala angibt, in der ein Druckun-gleichgewicht ausgeglichen wird, kann sich das Gas ineinem hydrostatischen Gleichgewicht befinden, für dasdie Gleichung

∇ P = −ρg ∇Φ (6.34)

gilt, wobei Φ das Gravitationspotential bezeichnet.Die Gleichung (6.34) besagt, dass die Gravitations-kraft gerade durch die Druckkraft kompensiert wird.Im sphärisch-symmetrischen Fall, für den alle Größennur vom Radius r abhängen, gilt dann

1

ρg

dP

dr= −dΦ

dr= −G M(r)

r2, (6.35)

wobei M(r) die Masse innerhalb des Radius r ist. Dabeiist M(r) die gesamte eingeschlossene Masse, d. h. nichtnur die Gasmasse, da die gesamte Masse das PotentialΦ bestimmt. Setzt man nun P = nkBT = ρgkBT/(μmp)

in (6.35) ein, so ergibt sich

M(r) = − kBTr2

Gμmp

(d ln ρg

dr+ d ln T

dr

). (6.36)

Diese Gleichung ist von zentraler Wichtigkeit für dieRöntgenastronomie von Galaxienhaufen, da sie besagt,dass aus dem radialen Verlauf von ρg und T das Massen-profil M(r) bestimmt werden kann. Falls es also gelingt,Dichte- und Temperaturprofil zu vermessen, so kann dieMasse des Haufens, und somit die Gesamtdichte, alsFunktion des Radius vermessen werden.

Allerdings sind diese Messungen mit Schwierigkei-ten behaftet. ρg(r) und T(r) müssen aus der Röntgenhel-ligkeit und der spektralen Temperatur bestimmt werden,

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248

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

unter Benutzung der Bremsstrahlungsemissivität (6.30).Natürlich sind diese nur projiziert beobachtbar, in Formder Flächenhelligkeit

Iν(R) = 2

∞∫R

drεν(r) r√r2 − R2

, (6.37)

aus der dann durch Deprojektion die Emissivität unddamit Dichte und Temperatur bestimmt werden müs-sen. Weiterhin waren die Winkel- und Energieauflösungder Röntgenteleskope vor XMM-Newton und Chandranicht ausreichend, um sowohl ρg(r) als auch T(r)genügend genau zu vermessen, außer für die unsnächsten Haufen. Aus diesem Grunde wird die Mas-senbestimmung häufig unter weiteren vereinfachendenAnnahmen durchgeführt.

Isotherme Gasverteilung. Aus dem radialen Verlaufvon I(R) kann man ε(r) durch Inversion von (6.37) be-stimmen. Da aufgrund von (6.30) für hPν kBT diespektrale Bremsstrahlungsemissivität nur schwach vonT abhängt, kann man aus ε(r) den radialen Verlaufder Gasdichte ρg erhalten. Der Röntgensatellit ROSATwar für Strahlung mit 0.1 keV� E � 2.4 keV empfind-lich, so dass die von ihm detektierten Röntgenphotonentypischerweise aus dem Bereich hPν kBT stammten.

Nimmt man nun an, dass die Gastemperatur räum-lich konstant ist, T(r) = Tg, so vereinfacht sich (6.36),und man kann aus dem Dichteprofil des Gases dasMassenprofil des Haufens bestimmen.

Das β-Modell. Weit verbreitet ist das Anpassen derRöntgendaten an das so genannte β-Modell. Dieses Mo-dell basiert auf der Annahme, dass das Dichteprofil dergesamten Materie (dunkle und leuchtende) durch eineisotherme Verteilung gegeben ist, d. h. es wird ange-nommen, dass die Temperatur des Gases vom Radiusunabhängig ist und gleichzeitig die Massenverteilungdes Haufens durch das isotherme Modell beschriebenwird, das im Abschn. 6.2.4 besprochen wurde. Aus (6.8)und (6.11) erhält man dann für die Gesamtdichte ρ

d ln ρ

dr= − 1

σ2v

G M

r2. (6.38)

Andererseits reduziert sich (6.36) im isothermen Fallauf

d ln ρg

dr= −μmp

kBTg

G M

r2. (6.39)

Ein Vergleich von (6.38) und (6.39) zeigt dann, dass

ρg(r) ∝ [ρ(r)]β mit β := μmpσ2v

kBTg(6.40)

gelten muss, die Gasdichte also einer Potenz der Ge-samtdichte folgen muss. Dabei hängt der Index β vondem Verhältnis der dynamischen Temperatur, gemes-sen durch σv, und der Gastemperatur ab. Benutzt mannun die King-Näherung für die isotherme Massenver-teilung – siehe (6.16) – als Modell für die Verteilungder Gasmasse, so erhält man

ρg(r) = ρg0

[1+(

r

rc

)2]−3β/2

, (6.41)

wobei ρg0 die zentrale Gasdichte ist. Das Hellig-keitsprofil der Röntgenemission dieses Modells istdann, entsprechend (6.37),

I(R) ∝[

1+(

R

rc

)2]−3β+1/2

. (6.42)

Die Röntgenemission vieler Haufen kann gut mit die-sem Profil beschrieben werden4 und ergibt Werte fürrc von 0.1 bis 0.3h−1 Mpc und einen Wert für den In-dex β = βfit ≈ 0.65. Andererseits kann β mittels derDefinition (6.40) aus der Gastemperatur Tg und derGeschwindigkeitsdispersion der Galaxien σv gemessenwerden, wobei sich typische Werte von β = βspec ≈ 1ergeben. Einen solchen Wert würde man auch erwarten,wenn die Massen- und Gasverteilung beide isothermwären. Sie sollten dann die gleiche Temperatur ein-nehmen, die bei der Entstehung des Haufens festgelegtwird. Die Tatsache, dass sich die beiden so bestimm-ten Werte von β unterscheiden (die sog. β-Diskrepanz),ist bisher noch nicht im Detail verstanden. Die gemes-senen Werte für βfit hängen häufig vom Winkelbereichab, über den das Helligkeitsprofil gefittet wird; je wei-ter dieser Bereich, umso größer wird βfit, also umso

4Es sei darauf hingewiesen, dass das Gleichungspaar (6.41) und (6.42)gültig ist unabhängig von der Gültigkeit der Annahmen, unter denen(6.41) erhalten wurde. Falls die beobachtete Röntgenemission sehrgut durch (6.42) beschrieben wird, so kann man daraus auch dasGasmassenprofil (6.41) erhalten, unabhängig von der Richtigkeit dervorher gemachten Annahmen.

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6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

249

kleiner die Diskrepanz. Weiterhin sind die Tempera-turmessungen von Haufen oftmals nicht sehr genau,da man die emissionsgemittelte Temperatur misst, diewegen der quadratischen Abhängigkeit der Emissivitätvon ρg von den Bereichen der größten Gasdichte do-miniert wird. Zusätzlich macht die Unabhängigkeit vonεffν von T für hPν kBT die Messung von T schwie-

rig. Erst mit Chandra und XMM-Newton kann auchdie Röntgenemission bei Energien bis zu E � 10 keVvermessen werden, was zu deutlich verbesserten Tem-peraturmessungen führt. Solche Untersuchungen habengezeigt, dass das Gas nicht wirklich isotherm ist. DieTemperatur nimmt typischerweise zum Zentrum hinund nach außen ab, während über einen größeren Be-reich im Radius die Temperatur einigermaßen konstantist. Allerdings findet man auch viele Haufen, bei denendie Temperaturverteilung in keinster Weise radialsym-metrisch ist, sondern sehr starke Unterstruktur besitzt.Schließlich sei als weitere mögliche Ursache für dieβ-Diskrepanz erwähnt, dass die Geschwindigkeitsver-teilung der Galaxien, mit denen σv gemessen wird,anisotrop sein kann.

Neben all dieser Kritik an der Gültigkeit des β-Modells muss allerdings auch erwähnt werden, dassnumerische Simulationen von Galaxienhaufen, dieneben der Dunklen Materie auch das Gas mit be-trachten, wiederholt zu dem Schluss gelangt sind,dass die Massenbestimmung von Galaxienhaufen mit-tels des β-Modells mit einer Genauigkeit von besserals ∼ 20% möglich sein sollte, wobei allerdings ver-schiedene gasdynamische Simulationen zu durchausunterschiedlichen Resultaten gelangen.

Aus der Messung der Röntgenemission erfolgt eineMassenabschätzung von Galaxienhaufen. Man findet, inÜbereinstimmung mit der dynamischen Methode, dassHaufen sehr viel mehr Masse enthalten als in Galaxiensichtbar ist. Dabei ist die Gasmasse des intergalak-tischen Mediums deutlich zu klein, um die fehlendeMasse zu erklären. Diese Gasmasse beträgt etwa 15%der Gesamtmasse eines Haufens.

Die Masse von Galaxienhaufen ist zu etwa 3% inForm von Sternen in Galaxien enthalten, zu ca. 15%im intergalaktischen Gas, während der Rest, also∼ 80%, aus Dunkler Materie besteht, die somit dieMasse von Haufen dominiert.

6.3.3 Cooling Flows

Bei der Untersuchung des intergalaktischen Mediumshaben wir ein hydrostatisches Gleichgewicht angenom-men, dabei aber den Effekt vernachlässigt, dass dasGas durch seine Emission abkühlt, also innere Energieverliert. Aus diesem Grunde kann ein einmal eingestell-tes hydrostatisches Gleichgewicht nicht über beliebiggroße Zeiten aufrechterhalten bleiben. Um herauszu-finden, ob diese Kühlung des Gases einen dynamischwichtigen Effekt darstellt, muss man die Zeitskala derAbkühlung betrachten. Diese Kühlzeit stellt sich alssehr groß heraus,

tcool := u

εff

≈ 8.5×1010 yr( ne

10−3 cm−3

)−1(

Tg

108 K

)1/2

,

(6.43)

wobei u = (3/2)nkBTg die Energiedichte des Gases undne die Elektronendichte ist. Die Kühlzeit ist also fastüberall im Haufen länger als die Hubble-Zeit, weswe-gen ein hydrostatisches Gleichgewicht ermöglicht wird.Allerdings kann im Zentrum von Haufen die Dichteso groß sein, dass tcool � t0 ∼ H−1

0 gilt. Dort kann dasGas also effizient kühlen, wobei sich sein Druck verrin-gert. Das wiederum impliziert, dass das hydrostatischeGleichgewicht dann zumindest in der Nähe des Zen-trums nicht mehr aufrecht erhalten werden kann. Umdas Druckgleichgewicht wieder herzustellen, muss dasGas nach innen strömen und sich dabei komprimie-ren. Es sollte also zu einem nach innen gerichtetenMassenfluss kommen, und die dadurch erfolgende Er-höhung der Dichte beschleunigt die Kühlung. Da fürein relativ kühles Gas die Emissivität (6.32) mit ab-nehmender Temperatur zunimmt, sollte dieser Prozesssehr schnell zu einer starken Kompression und Abküh-lung des Gases im Zentrum von dichten Haufen führen.Die dadurch erzeugte Verdichtung des Gases führt zu ei-ner starken Erhöhung der Röntgenemission, da εff ∝ n2

e.Als Ergebnis dieses Prozesses sollte sich also eineradiale Dichte- und Temperaturverteilung einstellen,deren Druckverteilung im Wesentlichen unverändertbleibt. In der Abb. 6.17 ist das kühlere Gas im Zentrumdes Centaurus-Haufens gut zu erkennen.

Diese sog. Cooling Flows sind im Zentrum massi-ver Haufen tatsächlich beobachtet worden, in der Formeines scharfen zentralen Maximums in I(R). Es muss

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250

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.17. Chandra-Aufnahme des Centaurus-Haufens; dieGröße des Feldes ist 3′ ×3′. Durch die exzellente Winkel-auflösung des Chandra-Satelliten kann die Komplexität derMorphologie der Röntgenemission von Haufen untersuchtwerden. Farben zeigen Photonenenergien an, von niedrigenzu hohen Energien in Rot, Gelb, Grün und Blau. Der relativkühle innere Bereich kann das Ergebnis eines Cooling-flowssein

betont werden, dass bislang keine Einströmbewegun-gen (also ,,Flows“) gemessen wurden, was aufgrundder Kleinheit ihrer erwarteten Geschwindigkeit auchsehr schwierig wäre. Die Menge an kühlendem Gaskann beträchtlich sein, wobei die Modelle Werte von biszu mehreren 100M�/yr vorhersagen. Allerdings wis-sen wir seit den spektroskopischen Beobachtungen mitXMM-Newton, dass diese sehr großen Kühlraten vonden Modellen stark überschätzt worden sind.

Was passiert mit dem kühlenden Gas? Das so ab-gekühlte Gas muss sich im Innern eines Haufensansammeln, aber trotz der erwarteten großen Massenan kaltem Gas wurden keine eindeutigen Hinweise dar-auf gefunden. In Haufen mit einer cD-Galaxie kann daskühlende Gas innerhalb der Hubble-Zeit einen beträcht-lichen Anteil der Masse dieser Galaxie ausmachen. Esstellt sich daher die Frage, ob cD-Galaxien durch Ak-kretion in Cooling Flows entstanden sind. In diesemFall würde sich das Gas in der cD-Galaxie in Sterne

verwandeln. Die Sternentstehungsrate dieser zentralenGalaxien ist aber sehr viel geringer als die Rate, mit derdas Haufengas entsprechend der ,,alten“ Modelle vonCooling Flows kühlt.

Die Empfindlichkeit und spektrale Auflösung, diemit XMM erreicht werden kann, hat das Bild der Coo-ling Flows erheblich modifiziert. Im Standardmodellder Cooling Flows kühlt das Gas von der Tempera-tur des Haufens bis zu Temperaturen deutlich unterhalbvon 1 keV ab. In diesem Prozess werden eine Vielzahlvon atomaren Linien emittiert, die durch mit T sinken-der Ionisationsstufe z. B. des Eisens erzeugt werden.Abb. 6.18 zeigt im oberen Bild das erwartete Spek-trum eines Cooling Flows, bei dem sich Gas von derHaufentemperatur Tg ≈ 8 keV auf T = 0 abkühlt, wobeieine chemische Zusammensetzung von 1/3 der sola-ren Häufigkeit angenommen wurde. In der mittlerenFigur ist dieses theoretische Spektrum mit dem Spek-trum des Haufens Abell 1835 verglichen, wobei sehrdeutliche Diskrepanzen zu erkennen sind. Im unterenBild wurde das Modell dahingehend modifiziert, dassdas Gas nur bis hinunter auf T = 3 keV abkühlt; die-ses Modell ist deutlich besser mit dem beobachtetenSpektrum verträglich.

Kühleres Gas wurde also im Innern von Hau-fen inzwischen direkt spektroskopisch nachgewiesen.Allerdings sind die Temperaturmessungen durch dieRöntgenspektroskopie deutlich verschieden von dem,was man erwarten würde. Die obige Argumentationwürde implizieren, dass es in dem Gas zu einerdrastischen Kühlung kommt, weil der Prozess der Kom-pression und der Kühlung sich für immer kleinere Tg

beschleunigen sollte. Man erwartet daher, Gas bei allenTemperaturen unterhalb der Temperatur des Haufens zufinden. Dies scheint aber nicht der Fall zu sein: Wäh-rend man Gas mit Tg � 1 keV findet, scheint es keinGas bei noch kleineren Temperaturen zu geben, ob-wohl die Cooling Flow-Modelle die Existenz solchenGases vorhersagen. Es scheint so etwas wie eine mi-nimale Temperatur zu geben, unter die das Gas nichtabkühlen kann, oder aber die Menge des Gases, dasbis hinunter zu T = 0 kühlen kann, ist deutlich klei-ner als die Erwartungen aus dem Cooling Flow-Modell.Diese kleinere Massenrate von Gas, das vollständigabkühlt, könnte dann auch kompatibel sein mit denSternentstehungsraten in den zentralen Galaxien derHaufen. In der Tat hat man inzwischen eine Korrela-

Page 264: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

251

Abb. 6.18. Im oberen Bild ist ein Modell-spektrum eines Cooling Flows gezeigt, beidem Gas von 8 keV auf T = 0 abkühlt. Diestarken Linien des FeXVII sind zu erken-nen. Im mittleren Bild wurde dieses Modellmit dem Spektrum von Abell 1835 superpo-niert, wobei klare Diskrepanzen erkennbarsind, insbesondere die Abwesenheit starkerEmissionslinien des FeXVII. Erlaubt manaber dem Gas nicht, unterhalb von 3 keVabzukühlen (unteres Bild), so ist die Über-einstimmung mit der Beobachtung deutlichverbessert

tion zwischen kühlendem Gas und den Bereichen derSternentstehung in Haufen nachgewiesen. Die aus denXMM-Beobachtungen abgeschätzten Kühlraten sindmit der Rate der Sternentstehung im zentralen Bereichvon Haufen verträglich.

Eine Möglichkeit zur Erklärung der deutlich un-terdrückten Kühlung in Cooling Flows besteht in derFeststellung, dass viele Galaxienhaufen im Zentrumeine aktive Galaxie beherbergen, deren Aktivität, z. B.in Form von (Radio-)Jets, das ICM beeinflussen kann.Beispielsweise kann durch den Jet Energie auf das ICMübertragen werden, wodurch das ICM geheizt wird.Durch diese Heizung wird vielleicht verhindert, dassdie Temperatur des Gases beliebig weit sinken kann.Diese Hypothese findet Unterstützung darin, dass man

viele Haufen kennt, in denen ein zentraler AGN deut-lichen Einfluss auf das ICM zeigt – siehe Abb. 6.19.Plasma des Jets scheint das Röntgenstrahlung emittie-rende Gas lokal zu verdrängen. Durch Reibung undMischung an der Grenzfläche zwischen dem Jet unddem ICM wird letzteres sicherlich geheizt. Allerdingsist unklar, ob diese Erklärung für alle Haufen gültig ist,da nicht jeder Haufen, in dem man ein sehr kaltes ICMerwartet, auch einen sichtbaren AGN besitzt. Anderer-seits ist dies nicht unbedingt ein Argument gegen dieHypothese eines AGN als Heizung, da AGNs oftmalseine beschränkte Aktivitätszeit haben und je nach Ak-kretionsrate an- und wieder abgeschaltet sein können.Das Gas in einem Haufen kann also sehr wohl von ei-nem AGN geheizt worden sein, auch wenn dieser zum

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252

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

jetzigen Zeitpunkt (d. h. dem Zeitpunkt der Beobach-tung) selbst nicht mehr aktiv ist. Ein weiteres Beispielfür scheinbar unterdichte Gebiete im Röntgengas einerGruppe ist in der Abb. 6.20 dargestellt.

In der Tat sind Galaxienhaufen exzellente Labora-torien für hydrodynamische und plasmaphysikalischeProzesse auf großen Skalen. Man beobachtet in ihnenStoßfronten, etwa beim Verschmelzen zweier Haufen,Kühlfronten (die in der Hydrodynamik auch Kontakt-diskontinuitäten genannt werden) und die Propagationvon Schallwellen. Ein prominentes Beispiel ist der inder Abb. 6.21 dargestellte Galaxienhaufen 1E 0657−56,der ,,bullet cluster“. Rechts vom Haufenzentrum isteine starke und relativ kompakte Röntgenemission(,,bullet“) zu erkennen, weiter rechts davon eine bogen-förmige Diskontinuität der Flächenhelligkeit. Aufgrundder Temperaturverteilung auf beiden Seiten dieser Dis-kontinuität stellt man fest, dass es sich um eine Stoßfront

Abb. 6.19. Ein ROSAT-HRI-Bild des zentralen Gebietes desPerseus-Haufens, mit der zentralen Galaxie NGC 1275. Dieseist das Zentrum der Radio- und Röntgenemission, die hier inKonturen bzw. in der Farbkarte dargestellt sind. Deutlich zuerkennen ist der Einfluss der Radio-Jets auf die Röntgenemis-sion – am Ort der Radiokeulen ist die Röntgenemission starkunterdrückt

handelt: offensichtlich bewegt sich der ,,bullet“ mit etwav ∼ 3500 km/s von links nach rechts durch das inter-galaktische Medium des Haufens. Die Interpretationdieser Beobachtung besteht nun darin, dass wir hierZeuge einer Verschmelzung zweier Haufen sind, wobeiein weniger massereicher Haufen nach rechts durch denmassereicheren Haufen durchgelaufen ist; der ,,bullet“ist dann zu verstehen als das Gas im zentralen Gebietdes masseärmeren Haufens, welches immer noch rechtkompakt ist. Diese Interpretation wird eindrucksvoll ge-stützt durch die Gruppierung von Galaxien rechts vonder Stoßfront, die vermutlich ehemals die Mitglieds-galaxien im masseärmeren Haufen waren. Durchquertdieser Haufen den massereicheren, so verhalten sichseine Galaxien und die Dunkle Materie stoßfrei, wäh-rend das Gas durch die Reibung mit dem Gas desmassereichen Haufens abgebremst wird: Die Galaxienund die Dunkle Materie können sich also schnellerdurch den Haufen bewegen, das Gas hinkt hinterher.

Abb. 6.20. Auch Galaxiengruppen sind Röntgen-Strahler, al-lerdings schwächere als Haufen; auch ist die Temperatur desICM kleiner als bei Haufen. Diese 4′ ×4′-Chandra-Aufnahmezeigt HCG 62. Zu beachten ist die Komplexität der Rönt-genemission, sowie die beiden symmetrisch angeordnetenGebiete, die praktisch frei von heißem ICM erscheinen – viel-leicht Löcher, wie sie durch Jets der zentralen Galaxie dieserGruppe (NGC 4761) freigeblasen wurden

Page 266: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

253

Abb. 6.21. Der Galaxienhaufen 1E 0657−56 ist ein Mus-terbeispiel eines verschmelzenden Haufens. Links ist eineChandra-Aufnahme des Haufens gezeigt, rechts die Super-position der Röntgenkonturen auf eine optische R-Band-Aufnahme, die mit dem NTT der ESO gewonnen wurde.Das Bemerkenswerteste der Röntgenkarte ist die kompakteRegion rechts (westlich) vom Haufenzentrum (diese ver-leiht dem Haufen den Namen ,,bullet cluster“), sowie der

scharfe Sprung der Flächenhelligkeit weiter rechts davon.Aus der Untersuchung des Helligkeitsprofiles und der Vertei-lung der Röntgentemperatur ergibt sich, dass es sich hier umeine Stoßfront handelt, die sich mit etwa zweieinhalbfacherSchallgeschwindigkeit, also mit v ∼ 3500 km/s, durch dasGas bewegt. Rechts von dieser Stoßfront ist eine Gruppierungvon Galaxien zu erkennen

6.3.4 Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt

Die Elektronen des heißen Gases in einem Galaxienhau-fen können Photonen der kosmischen Hintergrundstrah-lung streuen. Die optische Tiefe für diese Compton-Streuung ist zwar relativ klein, dennoch ist dieser Effektbeobachtbar und von großer Bedeutung für die Unter-suchung von Haufen, wie wir nun diskutieren werden.

Ein Photon, welches sich durch einen Galaxienhau-fen auf uns zu bewegt, wird nach der Streuung eineandere Richtung erhalten und uns nicht erreichen. Dadie kosmische Hintergrundstrahlung aber isotrop ist,wird – statistisch gesehen – für jedes Photon des CMB,das aus dem Sichtstrahl herausgestreut wird, ein andereshineingestreut, wodurch die Gesamtzahl der Photonen,die uns erreichen, erhalten bleibt. Allerdings ändert sichdurch die Streuung mit den heißen Elektronen die Ener-gie der Photonen ein wenig, denn nach der Streuunghaben sie (im Mittel) eine höhere Frequenz. Durchdie Compton-Streuung wird daher im Mittel Energievon den Elektronen auf die Photonen übertragen (sieheAbb. 6.22).

Insgesamt führt diese Streuung also dazu, dassdie Zahl niederenergetischer Photonen relativ zu demPlanck-Spektrum reduziert wird und höherenergeti-

sche Photonen dafür hinzukommen. Dieser Effekt heißtSunyaev–Zeldovich-Effekt (SZ-Effekt). Er wurde 1970vorhergesagt und ist inzwischen in vielen Haufenvermessen worden.

Abb. 6.22. Die Auswirkungen des Sunyaev–Zeldovich-Effekts auf die kosmische Hintergrundstrahlung: Diegestrichelte Linie stellt das normale CMB-Spektrum (Planck-Verteilung) dar, die durchgezogene das Spektrum, nachdemdie Strahlung eine Wolke heißer Elektronen passiert hat. DieStärke des Effekts ist in dieser Abbildung sehr stark vergrößertdargestellt

Page 267: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

254

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Das Spektrum des CMB, gemessen in Rich-tung eines Galaxienhaufens, weicht vom Planck-Spektrum ab; der Grad der Abweichung hängt vonder Temperatur des Haufengases und seiner Dichteab.

Aus dem Rayleigh–Jeans-Bereich des CMB-Spektrums, also bei Wellenlängen größer als etwa 1 mm,werden durch den SZ-Effekt Photonen weggestreut. DieÄnderung der spezifischen Intensität im RJ-Teil ergibtsich zu

ΔIRJν

IRJν

= −2y , (6.44)

wobei

y =∫

dlkBTg

mec2σT ne mit σT = 8π

3

(e2

mec2

)2

(6.45)

der Compton-y-Parameter und σT der Thomson-Wirkungsquerschnitt für Elektronenstreuung ist. Of-fensichtlich ist y proportional zur optischen Tiefegegenüber Compton-Streuung, die sich als Integral überne σT entlang der Sichtlinie ergibt. Weiterhin ist y pro-portional zur Gastemperatur, weil diese den mittlerenEnergieübertrag pro Streuung bestimmt. Insgesamt isty proportional zum Integral über den Gasdruck entlangder Sichtlinie durch den Haufen.

Abb. 6.23. Sunyaev–Zeldovich-Karten von 3 Galaxienhaufenmit 0.37 < z < 0.55. Dargestellt ist die Temperaturdifferenzdes gemessenen CMB relativ zur mittleren CMB-Temperatur(oder, bei fester Frequenz, die Differenz der Strahlungsin-tensität). Die schwarze Ellipse in jedem Bild gibt die Größedes instrumentellen Beams an. Für jeden der hier gezeigtenHaufen ist die räumliche Abhängigkeit des SZ-Effekts klar zu

erkennen. Da der SZ-Effekt proportional zur Elektronendichteist, kann man den Massenanteil von Baryonen in Haufen mes-sen, wenn man andererseits die Gesamtmasse des Haufensaus dynamischen Methoden oder aus der Röntgentemperaturkennt. Die Untersuchung der hier gezeigten Haufen ergibt alsMassenanteil des intergalaktischen Gases fg ≈ 0.08 h−1

Die Beobachtung des SZ-Effekts bietet eine weitereMöglichkeit zur Untersuchung des Gases in Hau-fen. Kann man beispielsweise den SZ-Effekt räumlichauflösen, was mit radiointerferometrischen Methodeninzwischen geschieht (siehe Abb. 6.23), erhält manaufgelöste Information über die Dichte- und Tempera-turverteilung. Dabei ist von entscheidender Bedeutung,dass die Abhängigkeit von der Temperatur und der Gas-dichte eine andere ist als bei der Röntgenemission.Wegen der quadratischen Abhängigkeit der Emissivi-tät im Röntgenbereich ist die Röntgenleuchtkraft nichtnur von der Gesamtmasse des Gases abhängig, sondernauch von dessen räumlicher Verteilung. KleinskaligeKlumpung des Gases würde z. B. die Röntgenemis-sion stark beeinflussen. Im Gegensatz dazu ist derSZ-Effekt linear in der Gasdichte und daher deutlichunempfindlicher gegenüber Inhomogenitäten des ICM.

Die nächste Generation von Radioteleskopen, die immm-Bereich des Spektrums operieren, wird SZ-Surveysdurchführen und so nach Galaxienhaufen aufgrund desSZ-Effekts suchen. Von diesen Surveys erwartet maneine besonders nützliche Stichprobe von Galaxienhau-fen, da dieses Selektionskriterium von Haufen nichtvon der detaillierten Gasverteilung abhängt. Weiterhinzeigen (6.44) und (6.45), dass der SZ-Effekt von derRotverschiebung der Haufen unabhängig ist, solangedie Änderung der CMB-Temperatur räumlich aufge-löst wird. Aus diesem Grunde erwartet man von denSZ-Surveys, dass sie viele Galaxienhaufen bei großenRotverschiebungen finden.

Page 268: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.3 Röntgenstrahlung von Galaxienhaufen

255

Entfernungsbestimmung. Über lange Zeit wurde derSZ-Effekt hauptsächlich in Zusammenhang mit derMöglichkeit betrachtet, mit ihm Entfernungen von Ga-laxienhaufen, und damit die Hubble-Konstante, messenzu können. Wir wollen hier schematisch zeigen, wie derSZ-Effekt in Verbindung mit der Röntgenemission eineBestimmung der Entfernung eines Haufens erlaubt. DieÄnderung der CMB-Intensität hat die Abhängigkeit

|ΔIRJν |

IRJν

∝ ne L Tg ,

wobei L die Ausdehnung des Haufens entlang der Sicht-linie ist. Um diese Relation zu erhalten, haben wir dieIntegration in (6.45) durch Multiplikation mit L ersetzt,was die richtige funktionale Abhängigkeit widerspie-geln soll. Andererseits besitzt die Flächenhelligkeit derRöntgenstrahlung die Abhängigkeit

IX ∝ Ln2e .

Aus diesen beiden Relationen kann ne eliminiert wer-den. Da man Tg aus dem Röntgenspektrum messenkann, bleibt dann noch die Abhängigkeit

|ΔIRJν |

IRJν

∝√L IX .

Nimmt man nun an, dass der Haufen sphärisch ist,so ist die Ausdehnung L entlang der Sichtlinie gleichseiner transversalen Ausdehnung R = θDA, wobei θ

seine Winkelausdehnung und DA die Winkelentfernung(4.45) zum Haufen bezeichnet. Unter dieser Annahmegilt dann

DA = R

θ∼ L

θ∝(

ΔIRJν

IRJν

)2 1

IX. (6.46)

Man kann also die Winkelentfernung aus dem gemes-senen SZ-Effekt, der Röntgentemperatur des ICM undder Flächenhelligkeit im Röntgenbereich bestimmen. Inder Praxis ist diese Methode natürlich komplizierter, alssie hier dargestellt wurde, wird aber zur Entfernungs-bestimmung von Haufen benutzt. Insbesondere ist dieAnnahme einer gleichen Ausdehnung des Haufens ent-lang und senkrecht der Sichtlinie bei jedem einzelnenHaufen nicht gut gerechtfertigt, aber bei einem Samplevon Haufen wird man erwarten, dass diese Annahme imMittel gültig ist. Daher ist der SZ-Effekt eine weitereMethode der Entfernungsbestimmung, die unabhängigvon der Rotverschiebung des Haufens ist, und ist somitzur Messung der Hubble-Konstanten geeignet.

Diskussion. Man kann die berechtigte Frage stellen,ob diese Methode aufgrund der in ihr eingehenden An-nahmen konkurrenzfähig ist mit der Bestimmung derHubble-Konstanten mittels der Entfernungsleiter undden Cepheiden. Die gleiche Frage stellt sich auch für dieBestimmung von H0 mit Hilfe der Lichtlaufzeitverzö-gerung bei Gravitationslinsen, die wir in Abschn. 3.8.4besprochen haben. In beiden Fällen ist die Antwort aufdie Frage die gleiche: Vermutlich werden beide Me-thoden nicht zu einer ähnlich genauen Bestimmung derHubble-Konstanten führen, wie sie mit dem Hubble KeyProject – und den Winkelfluktuationen des CMB (sieheAbschn. 8.6) – offensichtlich erreicht worden ist. Den-noch sind beide Methoden von großem Wert für dieKosmologie. Zum einen beinhaltet die Entfernungslei-ter eine ganze Reihe von Sprossen. Es muss nur einedieser Sprossen eine bislang unentdeckte Systematikenthalten, um den resultierenden Wert für H0 zu ver-fälschen. Weiterhin misst das Hubble Key Project dieExpansionsrate im lokalen Universum, typischerweiseinnerhalb von ∼ 100 Mpc (der Entfernung zum Coma-Haufen). Wir werden noch sehen, dass das UniversumInhomogenitäten auf diesen Längenskalen enthält. Eskönnte also durchaus sein, dass wir in einem etwasüberdichten oder unterdichten Gebiet des Universumsleben, in dem die Hubble-Konstante vom globalen Wertabweicht. Demgegenüber misst sowohl der SZ-Effektals auch die Linsenmethode die Hubble-Konstante aufwirklich kosmischen Skalen, und beide Methoden tundies in einem Schritt – es gibt also keine Entfernungs-leiter. Deshalb sind diese beiden Methoden von großerBedeutung zur zusätzlichen Bestätigung der Messungvon H0. Hinzu kommt ein Aspekt, den man nicht un-terschätzen darf: Selbst wenn sich aus den Messungender Hubble-Konstanten ein gleicher oder ähnlicher Wertergibt wie der aus dem Hubble Key Project, hat manimmer noch etwas Entscheidendes gelernt, nämlichdass die lokale Hubble-Konstante mit der auf kosmi-schen Skalen gemessenen übereinstimmt – dies ist eineVorhersage des kosmologischen Modells, die dadurcheindrucksvoll getestet werden kann.

6.3.5 Röntgenkataloge von Haufen

Galaxienhaufen wurden ursprünglich mit optischen Me-thoden als Überdichte von Galaxien an der Sphäreselektiert. Wie wir bereits diskutiert haben, können

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256

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

dabei Projektionseffekte eine entscheidende Rolle spie-len, wie etwa zufällige Überdichten der projiziertenGalaxienverteilung, die nicht zu einer räumlichen Über-dichte gehören. Dazu kommt die Überlagerung vonVordergrund- und Hintergrundgalaxien, welche dieseoptische Selektion umso schwieriger gestalten, je weiterdie Haufen von uns entfernt sind.

Eine verlässlichere Selektion von Haufen ist durchihre Röntgenemission möglich, da das heiße Rönt-gengas einen tiefen Potentialtopf signalisiert, also tat-sächlich eine drei-dimensionale Materieansammlung,so dass Projektionseffekte praktisch vernachlässigbarsind. Die Röntgenemission ist ∝ n2

e , was wiederum Pro-jektionseffekte unwahrscheinlich macht. Hinzu kommt,dass die Röntgenemission, insbesondere ihre Tempera-tur, ein sehr gutes Maß für die Masse von Haufen zusein scheint, wie wir weiter unten noch darstellen wer-den. Die Selektion von Haufen geschieht zwar nichtüber ihre Temperatur, sondern entsprechend der Rönt-genleuchtkraft, aber auch LX ist ein guter Indikator fürdie Haufenmasse (siehe Abschn. 6.4).

Der erste interessante Röntgenkatalog von Galaxien-haufen war der EMSS (Extended Medium SensitivitySurvey) Katalog. Für ihn wurden Archiv-Aufnahmendes Einstein-Satelliten dahingehend untersucht, ob esneben dem primären Target der jeweiligen Beobachtungweitere Quellen innerhalb des Bildfeldes gab. Diesewurden zusammengestellt und mit optischen Methoden,d. h. mit Photometrie und Spektroskopie, untersucht.Der EMSS-Katalog enthält 835 Quellen, wovon die

Abb. 6.24. (a): Chandra-Aufnahme eines 6′ ×6′-Feldes mit zwei Ga-laxienhaufen bei hoherRotverschiebung. (b): Ein2′ ×2′-Feld mit einemder links gezeigten Hau-fen (RX J0849+4452)in B, I, und K, so-wie mit Konturen derRöntgenemission

meisten AGNs sind, aber er enthält auch 104 Galaxien-haufen. Darunter gibt es 6 Haufen mit Rotverschiebung≥ 0.5; der entfernteste davon ist MS1054−03 beiz = 0.83 (siehe Abb. 6.14). Da die Einstein-Aufnahmenunterschiedliche Belichtungszeiten haben, ist der EMSSkein strikt flusslimitierter Katalog. Aber da das Fluss-limit für jede Aufnahme bekannt ist, kann man darausdie Leuchtkraftfunktion von Haufen bestimmen.

Dieselbe Methode wie beim EMSS wurde vonverschiedenen Gruppen auf Archiv-Aufnahmen vonROSAT angewandt, woraus einige Kataloge vonröntgenselektierten Haufen entstanden sind. Die Selek-tionskriterien der verschiedenen Gruppen, und damitder resultierenden Kataloge, unterscheiden sich. DaROSAT ein empfindlicherer Satellit war als derEinstein-Satellit, enthalten diese Kataloge eine größereAnzahl von Haufen, auch solche bei größerer Rotver-schiebung (Abb. 6.24). Weiterhin führte ROSAT eineDurchmusterung des gesamten Himmels durch, denROSAT All Sky Survey (RASS).5 Der RASS enthältetwa 105 Quellen, die über den ganzen Himmel verteiltsind. Die Identifikation von ausgedehnten Quellen imRASS (im Gegensatz zu nicht-ausgedehnten – man er-wartet etwa 5 Mal so viele AGNs wie Haufen) ergabebenfalls einen Haufenkatalog, der aufgrund der relativkurzen Belichtungszeit des RASS die hellsten Hau-

5Der RASS ist der wohl auf absehbare Zeit einzige All Sky Surveymit einem abbildenden Röntgenteleskop, nachdem mehrere Projekte,eine solche Durchmusterung bei höheren Energien durchzuführen,gescheitert sind bzw. angehalten wurden.

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6.4 Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen

257

fen enthält. Wiederum ist die Belichtungszeit im RASSkeine Konstante, sondern seine Beobachtungsstrategieführte dazu, dass insbesondere die Gebiete um den nörd-lichen und südlichen ekliptikalen Pol besonders langebelichtet wurden (siehe Abb. 6.25).

Einer der Haufenkataloge, der aus dem RASS ex-trahiert wurde, ist der HIFLUGCS-Katalog. Er bestehtaus den 63 Röntgen-hellsten Haufen und ist ein striktflussbegrenzter Survey, mit fX(0.1–2.4 keV) ≥ 2.0×10−11 erg s−1 cm−1. Dabei wurde die Galaktische Ebeneausgespart, |b| ≥ 20◦, sowie weitere Regionen um dieMagellanschen Wolken und den Virgo-Galaxienhaufen.

Abb. 6.25. Oben: Gesamtbelichtungszeit im ROSAT All SkySurvey, als Funktion der Position. An den ekliptikalen Polenist die Belichtungszeit am größten, bedingt durch die Beob-achtungsstrategie. Wegen der Südatlantischen Anomalie istdie Belichtungszeit im Norden i.A. größer als im Süden. Un-ten: Der Röntgenhimmel, wie er im RASS beobachtet wurde.Die Farbe spiegelt die Form der spektralen Energieverteilungwider, wobei Blau Quellen mit härterem Spektrum andeutet

Der erweiterte HIFLUGCS-Survey enthält zusätzlichnoch weitere Haufen, für die eine gute Messungdes Helligkeitsprofils und der Röntgentemperaturvorliegen.

Aus der Leuchtkraftfunktion von Röntgenhaufenkann dann über die Relation zwischen LX und derHaufenmasse, die wir im nächsten Abschnitt diskutie-ren werden, eine Massenfunktion erstellt werden. Wiewir in Abschn. 8.2 noch im Detail erläutern werden, istdie Massenfunktion von Galaxienhaufen ein wichtigerIndikator für kosmologische Parameter.

6.4 Skalierungsrelationenvon Galaxienhaufen

Wir haben bei der Untersuchung von Galaxien fest-gestellt, dass diese verschiedene Skalierungsrelationenerfüllen, wie etwa die Tully–Fisher-Relation. Diese ha-ben sich als äußerst nützlich erwiesen, nicht nur zurEntfernungsbestimmung von Galaxien, sondern auch,weil jedes erfolgreiche Modell der Galaxienentwick-lung die beobachteten Skalierungsrelationen erklärenkönnen muss. Es ist daher von großem Interesse zuuntersuchen, ob Galaxienhaufen ebenfalls solche Ska-lierungsrelationen erfüllen. Dabei werden wir sehen,dass die Röntgeneigenschaften der Haufen eine zentraleRolle spielen.

6.4.1 Masse-Temperatur-Beziehung

Man erwartet, dass die räumliche Ausdehnung, die Ge-schwindigkeitsdispersion der Galaxien, die Temperaturdes Röntgengases und dessen Leuchtkraft umso grö-ßer sein sollten, je massereicher ein Haufen ist. Inder Tat leitet man aus theoretischen Überlegungen dieExistenz von Relationen zwischen diesen Größen ab.Die Röntgentemperatur T gibt die thermische Ener-gie pro Gasteilchen an, die bei Haufen im virialenGleichgewicht proportional zur Bindungsenergie seinsollte,

T ∝ M

r.

Da diese Relation auf dem Virialtheorem beruht, sollte rderjenige Radius sein, innerhalb dessen die Materie desHaufens virialisiert ist. Man nennt diesen Wert für r den

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258

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Virialradius rvir. Aus theoretischen Überlegungen zurBildung von Haufen (siehe Kapitel 7) findet man, dassder Virialradius rvir derjenige ist, innerhalb dessen diemittlere Massendichte des Haufens etwa δvir ≈ 200 Malso hoch ist wie die kritische Dichte ρcr des Universums.Die Masse innerhalb von rvir nennt man VirialmasseMvir, die aufgrund dieser Definition

Mvir = 4π

3δvir ρcr r3

vir (6.47)

beträgt. Fasst man die beiden obigen Relationenzusammen, erhält man

T ∝ Mvir

rvir∝ r2

vir ∝ M2/3vir . (6.48)

Diese Relation kann nun mit Beobachtungen überprüftwerden, wenn man eine Stichprobe von Galaxienhau-fen mit gemessener Temperatur und mit den Methodenaus Abschn. 6.3.2 bestimmter Masse betrachtet. EinBeispiel dafür ist in der Abb. 6.26 dargestellt, wo fürHaufen des erweiterten HIFLUGCS-Samples die Massegegen die Temperatur aufgetragen ist. Da die Masse fürkleinere Radien besser zu bestimmen ist als die Vi-rialmasse, wurde hier die Masse M500 innerhalb des

Abb. 6.26. Für Galaxienhaufen des erweiterten HIFUGCS-Samples (siehe Abschn. 6.3.5) ist hier die Masse innerhalbeiner mittleren Überdichte von 500 gegen die Röntgentempe-ratur aufgetragen, wobei eine Hubble-Konstante von h = 0.5angenommen wurde. Im linken Bild wurde für die Mas-senbestimmung ein isothermes β-Modell benutzt, währendim rechten Bild das radiale Temperaturprofil T(r) zur Be-stimmung der Masse mittels (6.36) herangezogen wurde.Die meisten Temperaturmessungen stammen vom ASCA-Satelliten. Die durchgezogene und die strich-gepunktete

Kurve im linken Bild zeigen den besten Fit an die Daten, wobeibei letzterer nur die Haufen des eigentlichen HIFLUGCS-Samples benutzt wurden. Im rechten Bild ist die gepunkteteKurve ein Fit an alle dort gezeigten Daten, während diedurchgezogene Kurve nur Haufen mit Masse ≥ 5×1013 M�berücksichtigt. In beiden Bildern zeigt die obere gestrichelteKurve die Massen-Temperatur-Relation, wie sie aus einerSimulation mit vereinfachter Gasphysik erhalten wurde –die Steigung stimmt mit der beobachteten überein, aber dieAmplitude ist deutlich zu groß

Radius r500 aufgetragen, innerhalb dessen die mitt-lere Überdichte 500 Mal der kritischen Dichte ist. Diegemessenen Werte zeigen eine sehr starke Korrela-tion, und die verschiedenen Kurven in der Abbildungsind Ausgleichsgeraden, die ein Potenzgesetz der FormM = ATα beschreiben. Die genauen Werte der beidenFit-Parameter hängen von der Auswahl der Haufen ab;insbesondere zeigt der rechte Teil der Abb. 6.26, dassGalaxiengruppen (also ,,Haufen“ mit kleiner Masse undTemperatur) unterhalb der Ausgleichsgeraden liegen,die sich aus den Haufen größerer Masse ergeben. Be-schränkt man sich auf Haufen mit M ≥ 5×1013 M�, soergibt sich als bester Fit

M500 = 3.57×1013 M�(

kBT

1 keV

)1.58

, (6.49)

mit einer Unsicherheit von etwas mehr als 10%. DieseRelation kommt der aus theoretischen Überlegungenhergeleiteten, M ∝ T 1.5 sehr nahe. Die Beziehung(6.49) erhält man sowohl aus dem Haufensample,bei dem die Masse mit einem isothermen β-Modellbestimmt wurde, als auch aus den Haufen, bei de-nen das gemessene radiale Temperaturprofil T(r) beider Bestimmung der Masse mit einbezogen werdenkonnte (siehe Gl. 6.36), mit nur kleinen Variationender Parameter. Beschränkt man sich nur auf Haufen

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6.4 Skalierungsrelationen von Galaxienhaufen

259

mit Temperaturen oberhalb von 3 keV, so ergibt sicheine Steigung von 1.48±0.1, in sehr guter Überein-stimmung mit der theoretischen Erwartung. Deutlichsteilere Masse-Temperatur-Relationen ergeben sich un-ter Einschluss der Galaxiengruppen, die daher dem obenskizzierten Skalierungsargument nicht im Detail folgen.

Die Röntgentemperatur von Galaxienhaufenscheint ein sehr genaues Maß für deren Virialmassezu liefern, besser als die Geschwindigkeitsdisper-sion (s. u.).

Durch die neuen Röntgenobservatorien wird es mög-lich sein, diese Masse-Temperatur-Beziehung nochgenauer zu prüfen, und die ersten schon erhaltenen Er-gebnisse bestätigen das oben genannte Resultat, wobeidie erhöhte Genauigkeit der Messungen zu noch klei-nerer Dispersion der Messwerte um das Potenzgesetzführen.

6.4.2 Masse-Geschwindigkeitsdispersion-Beziehung

Ebenfalls kann die Geschwindigkeitsdispersion der Ga-laxien im Haufen mit der Masse in Beziehung gesetztwerden: Aus (6.25) folgt

Mvir = 3rvirσ2v

G. (6.50)

Zusammen mit T ∝ σ2v folgt dann

Mvir ∝ σ3v . (6.51)

Diese Relation kann man nun an solchen Haufenüberprüfen, von denen die Masse mittels der Rönt-genmethode bestimmt und für die die Geschwindig-keitsdispersion der Haufengalaxien gemessen wurde.Alternativ kann man die Beziehung T ∝ σ2

v testen. Esstellt sich heraus, dass im Wesentlichen diese Rela-tionen für beobachtete Haufen erfüllt sind. Allerdingsist die Korrelation zwischen σv und M nicht so engwie die M-T -Relation. Weiterhin gibt es zahlreicheHaufen, die sehr weit weg von dieser Korrelation lie-gen. Dabei handelt es sich um Galaxienhaufen, dienicht relaxiert sind, wie man aus der Geschwindig-keitsverteilung der Haufengalaxien (die dann stark voneiner Maxwell-Verteilung abweicht) oder der bimoda-len oder noch komplexeren Verteilung der Galaxien

im Haufen erschließen kann. Solche Ausreißer müssenidentifiziert werden, wenn man die Skalierungsrela-tion zwischen Masse und Geschwindigkeitsdispersionanwenden möchte.

6.4.3 Masse-Leuchtkraft-Beziehung

Die gesamte aus der Bremsstrahlung stammendeRöntgenleuchtkraft ist proportional zum Quadrat derGasdichte sowie dem Gasvolumen; sie sollte sich daherverhalten wie

LX ∝ ρ2g T 1/2 r3

vir ∝ ρ2g T 1/2 Mvir . (6.52)

Schätzt man nun die Gasdichte ab durch ρg ∼ Mg r−3vir =

fg Mvir r−3vir , wobei fg = Mg/Mvir den Gasanteil an der

Gesamtmasse des Haufens bezeichnet, so erhält manmit (6.48)

LX ∝ f 2g M4/3

vir . (6.53)

Diese Relation muss modifiziert werden, wenn dieRöntgenleuchtkraft in einem festen Energieintervallgemessen wird. Insbesondere für Beobachtungen mitROSAT, der nur niederenergetische Photonen unterhalb2.4 keV messen konnte, haben die empfangenen Photo-nen typischerweise Eγ < kBT , so dass die gemesseneRöntgenleuchtkraft unabhängig von T wird. Deshalberwartet man eine modifizierte Skalierungsrelation zwi-schen der mit ROSAT gemessenen RöntgenleuchtkraftL<2.4 keV und der Haufenmasse,

L<2.4 keV ∝ f 2g Mvir . (6.54)

Auch diese Skalierungsrelation kann empirisch über-prüft werden, wie dies in der Abb. 6.27 gezeigt ist,wobei hier die Röntgenleuchtkraft im Energiebereichdes ROSAT-Satelliten aufgetragen ist. Zunächst er-kennt man, dass Galaxienhaufen in der Tat eine starkeKorrelation zwischen der Leuchtkraft und der Massebesitzen, die Streuung aber deutlich größer ist als beider Masse-Temperatur-Relation.6 Die Temperatur desintergalaktischen Gases ist also ein besserer Indika-tor für die Masse als die Röntgenleuchtkraft und dieGeschwindigkeitsdispersion der Haufengalaxien. Wenn

6Dabei muss allerdings bedacht werden, dass die Bestimmungen vonLX und M voneinander unabhängig sind, während in die Massenbe-stimmung die Temperatur explizit eingeht, so dass die Messung dieserbeiden Größen miteinander korreliert sind.

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260

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.27. Für die Galaxienhaufen des vergrößertenHIFLUGCS-Samples ist hier die Röntgenleuchtkraft im Ener-giebereich des ROSAT-Satelliten gegen die Masse der Haufenaufgetragen. Die gefüllten Punkte zeigen die Haufen des ei-gentlichen HIFLUGCS-Samples. Für das gesamte Sampleund das eigentliche HIFLUGCS-Sample ist mit der durch-gezogenen bzw. gestrichelten Kurve ein best-passendstesPotenzgesetz eingezeichnet

man allerdings die Steigung der Relation aus den Mess-daten bestimmt, so ergibt sich in etwa L<2.4 keV ∝ M1.5,anstatt des erwarteten Verhaltens, L<2.4 keV ∝ M1.0.Offensichtlich sind die obigen Skalierungsargumentenicht gültig, wenn man einen konstanten Gasanteilfg annimmt. Diese Diskrepanz zwischen theoretischerErwartung und den Beobachtungen ist in mehrerenStichproben von Galaxienhaufen gefunden worden undgilt als gut etabliert. Eine Erklärung für diese Dis-krepanz wird darin gesucht, dass das intergalaktischeGas nicht nur durch den gravitativen Einfall des Ga-ses in den Potentialtopf des Haufens geheizt worden ist,sondern dass noch andere Quellen der Heizung vorhan-den waren oder noch vorhanden sind. Für ,,kühlere“,masseärmere Haufen sollte diese Heizung einen größe-ren Effekt bewirken als für sehr massereiche Haufen,was etwa die in Abb. 6.27 zu sehende Abweichungder Haufen mit kleinem M von der Masse-Leuchtkraft-Relation der massereichen Haufen erklären könnte. Wieschon in unserer Diskussion der Cooling Flows in Ab-schn. 6.3.3 diskutiert wurde, ist ein AGN im Innern desHaufens eine mögliche Heizquelle. Auch die Heizungund die zusätzliche kinetische Energie durch Super-novae in den Haufengalaxien gilt als mögliche Quellevon zusätzlicher Heizung des intergalaktischen Gases.

Es ist offensichtlich, dass eine Lösung dieses Rätselseine bessere Einsicht in die Entstehung und Entwick-lung der Gaskomponente von Galaxienhaufen gebenwird.

Trotz dieser Diskrepanz zwischen den einfachen Mo-dellen und der Beobachtung zeigt die Abb. 6.27 eineklare Korrelation zwischen Masse und Leuchtkraft, diedaher empirisch benutzt werden kann, nachdem sie kali-briert worden ist. Obgleich die Temperatur ein besseresMaß für die Haufenmasse ist, wird man in vielen Fällenauf die Beziehung ziwschen Masse und Röntgenleucht-kraft zurückgreifen müssen, da die Bestimmung derLeuchtkraft (in einem festen Energiebereich) wesent-lich einfacher ist als die Messung der Temperatur, fürdie deutlich längere Belichtungszeiten notwendig sind.

6.4.4 Nah-Infrarot-Leuchtkraftals Massenindikator

Während die optische Leuchtkraft von Galaxien nichtnur von der Sternmasse abhängt, sondern auch vonder Geschichte der Sternentstehung, ist das Licht imNIR von letzterer wesentlich unabhängiger; die NIR-Leuchtkraft ist ein recht verlässliches Maß für dieGesamtmasse in Sternen. Daher könnte man erwarten,dass die NIR-Leuchtkraft eines Haufens sehr stark kor-reliert ist mit der gesamten Sternmasse des Haufens,und wenn diese eine enge Korrelation mit der Hau-fenmasse besitzt, dann kann die NIR-Leuchtkraft zurAbschätzung von Haufenmassen herangezogen werden.

Der Two Micron All Sky Survey (2MASS) bietetzum ersten Mal die Gelegenheit, eine solche Untersu-chung an einer großen Stichprobe von Galaxienhaufenvorzunehmen. Dazu wählt man Galaxienhaufen aus,deren Masse mit Röntgenmethoden bestimmt wur-den, und misst von diesen die K-Band-Leuchtkraft derHaufengalaxien. Die Abb. 6.28 zeigt das resultierendeMasse-Leuchtkraft-Diagramm für 93 Galaxienhaufenund -gruppen innerhalb von r500, wobei die Masse ausder Röntgentemperatur der Haufen (dargestellt auf deroberen Achse) mittels (6.49) bestimmt wurde. Es zeigtsich eine erstaunlich enge Korrelation zwischen diesenbeiden Größen, die durch ein Potenzgesetz der Form

L500

1012 L�= 3.95

(M500

2×1014 M�

)0.69

(6.55)

Page 274: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen

261

Abb. 6.28. Die Korrelation zwischen K-Band-Leuchtkraft undder Masse von Galaxienhaufen, gemessen jeweils innerhalbdes Radius, innerhalb dessen die mittlere Dichte des Haufensdas 500-fache der kritischen Dichte des Universums beträgt.Die Haufenmasse wurde aus der Relation zwischen Masseund Temperatur bestimmt

beschreibbar ist, wobei eine Hubble-Konstante vonh = 0.7 angenommen wurde. Die Streuung der ein-zelnen Haufen um dieses Potenzgesetz beträgt etwa32%, wobei zumindest ein Teil dieser Streuung ausden Unsicherheiten der Bestimmung der Masse her-rührt – die intrinsische Streuung ist daher sogar nochgeringer. Dieses Resultat ist daher potentiell von großerBedeutung für zukünftige Studien von Galaxienhaufenund befördert die NIR-Leuchtkraft als eine konkurrenz-fähige Methode zur Bestimmung von Haufenmassen,was in Hinblick auf die nächste Generation von NIR-Weitwinkelinstrumenten (wie etwa VISTA auf demParanal) von starkem Interesse ist.

6.5 Galaxienhaufenals Gravitationslinsen

6.5.1 Leuchtende Bögen (Arcs)

1986 entdeckten zwei Gruppen unabhängig von-einander merkwürdige, langgestreckte, bogenförmige

Quellen in zwei Galaxienhaufen mit großer Rotver-schiebung (siehe Abb. 6.29 und 6.30). Die Natur dieserQuellen war zunächst unbekannt; sie erhielten den Na-men Arcs, oder Giant Luminous Arcs, was zunächstkeine Interpretation implizierte. Verschiedene Hypothe-sen für die Herkunft der Arcs wurden aufgestellt, wieetwa die Emission von Stoßfronten im ICM, die vonexplosiven Ereignissen stammen sollten. All diese Sze-narien wurden widerlegt, nachdem die Spektroskopiedes Arcs im Haufen Abell 370 zeigte, dass die Quelleeine viel größere Rotverschiebung besitzt als der Haufen

Abb. 6.29. Der Galaxienhaufen A 370 mit Rotverschiebungz = 0.375 war einer der beiden ersten, in denen 1986 GiantLuminous Arcs gefunden wurden. Diese HST-Aufnahme zeigtden Arc sehr deutlich; er ist etwa 20′′ lang, orientiert tangentialzum Haufenzentrum (das sich etwa in der Mitte zwischenden beiden hellen Haufengalaxien befindet), und nach innengekrümmt. Erst mit dem HST hat man erkennen können, wiedünn diese Arcs sind. Auf dieser Aufnahme sind noch mehrereandere Linseneffekte sichtbar, z. B. eine Hintergrundgalaxie,die dreifach abgebildet wird. Der Arc gehört zu einer Galaxiebei zs = 0.724

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262

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.30. Der Galaxienhaufen Cl 2244−02 bei Rotverschie-bung z = 0.33 war der zweite Haufen, in dem ein Arc entdecktwurde; die Spektroskopie dieses Arcs ergab eine Rotverschie-bung der zugehörigen Quelle von zs = 2.24 – zum damaligenZeitpunkt die wohl erste normale Galaxie mit Rotverschie-bung > 2. Diese Aufnahme wurde mit der IR-Kamera ISAACam VLT aufgenommen. Oberhalb des Arcs sieht man eineweitere, stark elongierte Quelle, die vermutlich ebenfalls voneiner Galaxie mit sehr großer Rotverschiebung stammt

selbst. Der Arc ist also eine Hintergrundquelle, die demGravitationslinseneffekt des Haufens unterliegt. Durchdie differentielle Lichtablenkung wird das Lichtbündelder Quelle derart verzerrt, dass solche langgestrecktenbogenförmige Bilder erzeugt werden können.

Die Entdeckung, dass Galaxienhaufen als starkeGravitationslinsen wirken können, war damals eineÜberraschung. Aufgrund des Wissens über die Mas-senverteilung von Haufen, das man vor ROSAT durchRöntgenuntersuchungen hatte, schätzte man ab, dass diezentrale Flächenmassendichte von Haufen nicht ausrei-chend groß wäre, damit starke Effekte der gravitativenLichtablenkung vorkommen könnten. Diese falscheAbschätzung der zentralen Massendichte in Haufen be-ruhte auf Analysen mit dem β-Modell, das, wie wiroben andiskutiert haben, von sehr stark vereinfachendenAnnahmen ausgeht.7

7Eine weitere Lehre, die man sofort aus der Entdeckung der Arcsziehen konnte, war eine hinsichtlich der Psychologie von Forschern.Nachdem die ersten Beobachtungen von Arcs publiziert wurden, ha-ben mehrere Astronomen ihre eigenen Aufnahmen dieser beidenHaufen nochmal betrachtet und die Arcs auf ihnen auch deutlichentdeckt. Der Grund, warum dieses sehr viel früher aufgenommene

Arcs sind also stark verzerrte und hoch verstärkteBilder von Galaxien hoher Rotverschiebung. In einigenmassereichen Haufen wurden mehrere Arcs gefunden,wobei die einzigartige Winkelauflösung des HST eineganz entscheidende Rolle spielte. Einige dieser Arcssind so dünn, dass sie selbst mit HST in ihrer Breitenicht aufgelöst werden können, was daher ein extremesLängen-zu-Breitenverhältnis anzeigt. Bei vielen Arcswurden weitere Bilder der gleichen Quelle entdeckt, diemanchmal als ,,counter arcs“ bezeichnet werden. DieIdentifikation von Mehrfachbildern geschieht entwederdurch optische Spektroskopie (dies ist i. A. schwie-rig, da ein Arc hochverstärkt ist, andere Bilder dergleichen Quelle aber viel weniger verstärkt und da-her schwächer sind; außerdem ist Spektroskopie vonschwachen Quellen sehr zeitaufwändig), Mehrfarben-photometrie (alle Bilder der gleichen Quelle sollten diegleichen Farben besitzen) oder durch morphologischeGemeinsamkeiten.

Linsenmodelle. Das einfachste Massenmodell für Ga-laxienhaufen als Linsen ist wiederum die singuläreisotherme Sphäre (SIS). Dieses Linsenmodell wurde inAbschn. 3.8.2 bereits besprochen. Deren charakteristi-sche Winkelskala ist durch den Einstein-Radius (3.60)gegeben, oder

θE = 28′′. 8( σv

1000 km/s

)2(

Dds

Ds

). (6.56)

Sehr hohe Verstärkungen (und Verzerrungen) von Bil-dern treten nur nahe am Einstein-Radius auf. Daherist sofort eine erste Massenabschätzung eines Hau-fens möglich, indem man den Abstand des Arcs vomHaufenzentrum mit dem Einstein-Radius identifiziert.Dadurch wird die projizierte Masse des Haufens in-nerhalb des Einstein-Radius nach (3.66) bestimmt. DaGalaxienhaufen im Allgemeinen nicht sphärisch sym-metrisch sind und signifikante Unterstruktur enthaltenkönnen, ist diese Massenabschätzung nicht sehr genau;man schätzt ab, dass sie mit etwa 30% Unsicherheit

Phänomen nicht vorher publiziert wurde, kann so erklärt werden, dassman sich der Realität dieser Quellen nicht so ganz sicher war. Es be-steht eine gewisse Tendenz, Phänomene, die unerwartet in Datenvorkommen, nicht in dem Maße wahrzunehmen wie etwa erwar-tete Ergebnisse. Allerdings gibt es auch Forscher, die genau dasGegenteil tun und selbst von der Theorie erwartete Phänomene inaußergewöhnlicher Art interpretieren.

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6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen

263

behaftet ist. Modelle mit asymmetrischer Massenvertei-lung sagen eine Vielzahl von möglichen Morphologiender Arcs und der Lage ihrer Mehrfachbilder vorher, wiedies für eine elliptische Linse in der Abb. 6.31 gezeigtist. Sind mehrere Arcs in einem Haufen entdeckt wor-den, oder weitere Bilder der Quelle eines Arcs, so kannman detaillierte Massenmodelle für solche Haufen un-tersuchen. Die Genauigkeit dieser Modelle hängt vonder Anzahl und Lage der beobachteten Linsenbilder ab,also etwa wie viele Arcs und wie viele Mehrfachbild-systeme für die Modellierung zur Verfügung stehen.Die resultierenden Massenmodelle sind zwar nicht ein-deutig, aber robust: Haufen mit vielen Linsenbildernhaben sehr gut bestimmte Masseneigenschaften wie

Abb. 6.31. Verzerrungen durch den Linseneffekt eines ellip-tischen Potentials als Funktion der Position der Quelle. Daserste Bild zeigt die Quelle selber. Das zweite Bild gibt zehnPositionen der Quelle in der Quellenebene (nummeriert von 1bis 10) relativ zur Linse an. Die durchgezogenen Linien zei-gen die inneren und äußeren Kaustiken. Die Bilder 3 bis 12zeigen die inneren und äußeren kritischen Kurven sowie dieresultierenden Bilder der Quelle

etwa die Masse und das Massenprofil innerhalb der Ra-dien, bei denen Arcs gefunden werden, die Elliptizitätder Massenverteilung und ihre Unterstruktur.

In der Abb. 6.32 sind zwei Galaxienhaufen darge-stellt, die mehrere Arcs enthalten. Lange Zeit warA 2218 derjenige Haufen, der als Musterbeispiel für dieExistenz vieler Arcs in einem einzigen Galaxienhaufenhergehalten hat. Nach der Installation der ACS-Kameraauf dem HST wurde 2002 eine spektakuläre Auf-nahme des Haufens A 1689 erhalten, auf dem über 100Arcs und Mehrfachbilder identifiziert werden konnten.Ausschnitte aus dieser Aufnahme, die auch als Co-ver dieses Buches dient, sind in der Abb. 6.33 gezeigt.Für Galaxienhaufen, die ein derart reiches Inventar anLinsenphänomenen aufweisen, können sehr detaillierteMassenmodelle erstellt werden.

Solche Massenmodelle haben eine Vorhersagekraft,weshalb die Modellierung iterativ erfolgen kann. An dieBeobachtung der deutlichsten Linsenbilder (Giant Arcsoder klar erkennbare Mehrfachbilder) wird ein erstes,einfaches Massenmodell angepasst. Dieses Modell sagti. A. weitere Bilder derjenigen Quelle vorher, die denArc erzeugt. In der Nähe der so vorhergesagten Posi-tion wird nach einem Gegenbild gesucht, wobei mandie Morphologie der Lichtverteilung und die Farbe be-nutzt. Wenn das erste Modell nicht allzuweit von derWirklichkeit entfernt ist, so wird ein solches Gegen-bild auch gefunden. Die genaue Position dieses neuenBildes gibt dann eine weitere Einschränkung an dasLinsenmodell, das dann verfeinert wird. Dieses neueModell sagt dann weitere Mehrfachbildsysteme vorher,usw. Mit diesem Verfahren ergeben sich teilweise sehrdetaillierte Modelle. Da die Linseneigenschaft einesHaufens von der Entfernung bzw. der Rotverschiebungder Quelle abhängt, kann man aus der Identifikationvon Mehrfachsystemen in Haufen mit einem detaillier-ten Massenmodell die Rotverschiebung von gelinstenQuellen vorhersagen. Diese Vorhersagen können danndurch Spektroskopie verifiziert werden, und die Erfolgedieser Methode geben Vertrauen in die Genauigkeit derLinsenmodelle.

Resultate. Die wichtigsten Ergebnisse der Untersu-chungen von Arcs und Mehrfachbildern in Haufenlassen sich wie folgt zusammenfassen: Die Massevon Galaxienhaufen ist in der Tat sehr viel größerals die Masse der leuchtenden Materie. Die Lin-

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264

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.32. Oben: Der GalaxienhaufenA 2218 (zd = 0.175) enthält eines der spek-takulärsten Arc-Systeme. Die meisten derhier sichtbaren Galaxien gehören zu demHaufen, und die Rotverschiebung vielerder stark verzerrten Arcs ist inzwischengemessen worden. Unten: Der Galaxien-haufen Cl 0024+17 (z = 0.39) enthält einreiches System von Arcs. Diese sind hierals bläuliche, in tangentialer Richtung zumHaufenzentrum langgestreckte Bögen zuerkennen. Die drei Arcs links vom Haufen-zentrum, und der Arc rechts vom und näheram Haufenzentrum, sind Bilder der gleichenHintergrundgalaxie, deren Rotverschiebungz = 1.62 beträgt. Ein weiteres Bild der glei-chen Quelle wird nahe am Haufenzentrumgefunden. Zu beachten ist auch die glei-che Morphologie (,,Brezel“-förmig) dieserBilder

senmethode ergibt eine Masse, die in recht guterÜbereinstimmung mit den aus der Röntgenmethode unddynamischen Methoden bestimmten Massen ist. Aller-dings ist der Kernradius von Haufen, d. h. die Skala,auf der das Massenprofil innen abflacht, deutlich klei-ner als der aus den Röntgenbeobachtungen bestimmte.Typische Werte sind etwa rc ∼ 30h−1 kpc, im Gegen-satz zu ∼ 150h−1 kpc aus der Röntgenmethode. DieserUnterschied bewirkt eine Diskrepanz der Massenbe-stimmung beider Methoden auf Skalen unterhalb von∼ 200h−1 kpc. Dabei muss betont werden, dass dieMassenbestimmung durch Arcs und Mehrfachbilder imPrinzip wesentlich genauer ist, da keine Annahmen überdie Symmetrie der Massenverteilung, hydrostatischesGleichgewicht des Röntgengases oder einer isothermen

Temperaturverteilung gemacht werden müssen. Ande-rerseits misst der Linseneffekt die Masse in Zylindern,da nur die projizierte Massenverteilung in der Linsen-gleichung auftritt, während die Röntgenmethode dieMasse in Kugeln bestimmt. Die Umrechnung zwischenbeiden ist mit Unsicherheiten behaftet, insbesondere fürHaufen, die deutlich von der sphärischen Geometrieabweichen. Die Überschätzung des Kernradius durchdie Röntgenmethode war der wesentliche Grund da-für, dass die Entdeckung der Arcs überraschend war, daHaufen mit den aus den frühen Röntgenuntersuchun-gen bestimmten Kernradien in der Tat keine starkenGravitationslinsen wären. Das Auftreten von Arcs al-leine zeigt daher schon, dass der Kernradius klein seinmuss.

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6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen

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Abb. 6.33. Der Galaxienhaufen Abell 1689hat das reichste System von Arcs undMehrfachbildern, das bisher gefunden wor-den ist. Mit einer tiefen ACS-Aufnahmedieses Haufens konnten bislang mehr alshundert solcher gelinsten Bilder nachge-wiesen werden. Diese Abbildung zeigtsechs Ausschnitte aus dieser Aufnahme,auf denen verschiedene Arcs zu erkennensind, teilweise mit extremen Längen-zu-Breiten-Verhältnis, was auf sehr großeVerstärkungsfaktoren hindeutet

Eine genauere Analyse von Galaxienhaufen mit Coo-ling Flows zeigt, dass in diesen Haufen das aus demRöntgengas abgeschätzte Massenprofil mit den Beob-achtungen der Arcs verträglich ist. Solche Haufen geltenals dynamisch relaxiert, so dass bei ihnen die Annahmedes hydrostatischen Gleichgewichts gut begründet ist.Allerdings muss die Röntgenanalyse die Existenz einesCooling Flows und das dadurch modifizierte Profil derRöntgenemission explizit beinhalten und damit deutlichüber ein β-Modell hinausgehen. Haufen ohne CoolingFlows sind dynamisch deutlich komplexer. Neben derDiskrepanz in der Massenbestimmung ergeben auchdie Bestimmungen des Massenzentrums mit den bei-den Methoden unterschiedliche Resultate bei solchenunrelaxierten Haufen. Dies deutet darauf hin, dass dasGas seit der letzten starken Wechselwirkung bzw. ei-nem Verschmelzungsprozess nicht genügend Zeit hatte,sich in einen Gleichgewichtszustand zu begeben.

Die Massenverteilung von Haufen enthält häufig si-gnifikante Substruktur. Galaxienhaufen, in denen Arcsbeobachtet werden, sind oftmals nicht relaxiert. DieseHaufen befinden sich noch in der dynamischen Ent-wicklung, es sind dynamisch junge Systeme, derenAlter nicht viel größer sein kann als tcross, oder die vornicht allzu langer Zeit durch einen Verschmelzungs-prozess in ihrem Gleichgewicht gestört worden sind.Für solche Haufen ist daher die Röntgenmethode nichtgut fundiert, da die Annahmen der Symmetrie und desGleichgewichts nicht erfüllt sind. Aus den Linsenmo-dellen stellt man fest, dass, falls der Haufen eine zentrale

cD-Galaxie besitzt, die Orientierung der Massenvertei-lung der der cD-Galaxie folgt. Daraus schließt man,dass die Entwicklung der cD-Galaxie eng verknüpft seinmuss mit der Entwicklung des Haufens, z. B. durch dieAkkretion eines Cooling Flows auf die cD-Galaxie. DieForm der Massenverteilung ist oftmals sehr ähnlich derder Galaxienverteilung und der Röntgenemission.

Die Untersuchung von Galaxienhaufen mit derGravitationslinsenmethode ergibt eine dritte, völ-lig unabhängige Methode zur Massenbestimmungvon Haufen. Mit ihr wird bestätigt, dass die Massevon Haufen wesentlich größer ist als die sicht-bare Materie in Sternen und im intergalaktischenGas. Hieraus schließt man, dass Galaxienhaufenvon Dunkler Materie dominiert sind.

6.5.2 Der Schwache Linseneffekt

Das Prinzip des Schwachen Linseneffekts. Wir hat-ten in Abschn. 3.8 gesehen, dass durch die gravitativeLichtablenkung Lichtbündel nicht nur als Ganzes abge-lenkt werden, sondern die differentielle Lichtablenkungauch zur Verzerrung von Lichtbündeln führt. Diese dif-ferentielle Lichtablenkung führt z. B. dazu, dass Quellenheller erscheinen, als sie ohne den Linseneffekt wären.Die oben diskutierten Arcs sind ein sehr gutes Bei-spiel für diese Verzerrungen und die entsprechendenVerstärkungen.

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6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Wenn es einige Hintergrundquellen gibt, die so ex-trem verzerrt werden, dass sie als Giant Luminous Arcssichtbar sind, so ist es plausibel, dass es sehr viel mehrHintergrundgalaxien geben sollte, die weniger stark ver-zerrt werden. Diese befinden sich dann typischerweisebei größeren Winkelabständen vom Haufenzentrum,wo der Linseneffekt schwächer ist als am Ort derArcs. Ihre Verzerrung ist dann so schwach, dassman sie nicht mehr in jedem einzelnen Galaxienbildidentifizieren kann, da die intrinsische Lichtverteilungvon Galaxien nicht kreisförmig ist. Aber die Verzer-rung benachbarter Galaxienbilder sollte sehr ähnlichsein, da deren Lichtbündel durch ein ähnliches Gra-vitationsfeld propagieren. Durch Mittelung über vielesolche Galaxienbilder kann dann die Verzerrung ge-messen werden (siehe Abb. 6.34), da die intrinsischeOrientierung von Galaxien zufällig ist, also keine Vor-

Abb. 6.34. Das Prinzip des schwachen Linseneffekts ist hier ineiner Simulation demonstriert. Durch den Gezeitenanteil desGravitationsfeldes eines Haufens werden die Formen der Bil-der von dahinterliegenden Galaxien (Ellipsen) verzerrt, undwie bei den Arcs richten sich die Galaxienbilder im Mittel tan-gential zum Haufenzentrum aus. Durch lokale Mittelung überdie Elliptizitäten der Galaxienbilder kann dann eine lokaleAbschätzung des Gezeitenfeldes gewonnen werden (Striche –deren Richtung gibt die Orientierung des Gezeitenfeldes an,die Länge dessen Stärke). Aus diesem Gezeitenfeld kann danndie projizierte Massenverteilung rekonstruiert werden

zugsrichtung aufweist. Spätestens seit den Resulatenaus dem Hubble Deep Field (Abb. 1.27) wissen wir,dass der Himmel dicht bedeckt ist von kleinen undlichtschwachen Galaxien. Auf tiefen optischen Auf-nahmen sollte man deshalb eine große Anzahldichtesolcher Galaxien finden, die sich hinter einem Galaxien-haufen befinden und deren Form für die Messung desSchwachen Linseneffekts des Haufens benutzt werdenkann.

Die durch die Mittelung erhaltene Verzerrung spie-gelt den Gezeitenanteil des lokalen Gravitationsfeldesdes Haufens wider. Diesen bezeichnet man in diesemZusammenhang als Scherung. Sie ist durch die Projek-tion des Gezeitenanteils des Gravitationsfeldes entlangder Sichtlinie gegeben. Die Scherung ergibt sich als Ab-leitung des Ablenkwinkels, wobei der Ablenkwinkel(3.47) linear von der Flächenmassendichte der Linseabhängt. Daher ist es möglich, aus der gemessenenScherung völlig parameterfrei die Flächenmassendichtevon Galaxienhaufen zu rekonstruieren: Man kann alsodie (Dunkle) Materie in Haufen dadurch abbilden.

Beobachtungen. Da die Messung der Scherung auf derMittelung von Bildelliptizitäten von entfernten Gala-xien beruht, erfordert diese Methode des SchwachenLinseneffekts (weak lensing) optische Aufnahmen mitmöglichst großer Dichte von Galaxien. Dies implizierterstens, dass die Aufnahmen sehr tief sein müssen,damit man zu möglichst schwachen Magnituden vor-dringen kann. Da aber sehr schwache Galaxien weit wegsind und daher eine kleine Winkelausdehnung besitzen,muss zweitens die Aufnahme bei sehr guten Beobach-tungsbedingungen aufgenommen werden, damit mandie Form von Galaxienbildern genau vermessen kannund nicht alle durch das Seeing zu kreisförmigenBildern ausgeschmiert werden. Typisch für die Anwen-dung dieser Methode sind Aufnahmen mit Teleskopender 4-Meter-Klasse von ein bis drei Stunden. Dabeierhält man eine Dichte von ca. 30 Galaxien pro Qua-dratbogenminute (also 105 pro Quadratgrad), von denenman die Form gut genug vermessen kann. Das ent-spricht einer Grenzhelligkeit von etwa R ∼ 25. DasSeeing der Aufnahme sollte ∼ 0′′. 8 nicht überschreiten,damit man die Effekte des Seeings noch korrigierenkann.

Systematische Beobachtungen des Schwachen Lin-seneffekts wurden erst in den letzten Jahren durch die

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6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen

267

Abb. 6.35. Links ist das Gezeiten- (oder Scherungs)felddes Haufens Cl 0024+17 zu sehen, rechts die mittelsdes Schwachen Gravitationslinseneffektes rekonstruierte Flä-chenmassendichte. Die hellen Galaxien dieses Haufens folgen

der Verteilung der (Dunklen) Materie; die Orientierung derIsodichte-Konturen ist die gleiche wie die Orientierung desLichts im Zentrum des Haufens

Entwicklung von Weitwinkelkameras8 praktikabel. DieVerbesserung des Kuppel-Seeings bei vielen Telesko-pen, wobei von den besten Teleskopen an den bestenObservatorien regelmäßig ein Seeing von unterhalb1′′ erreicht wird, und die Entwicklung spezieller Soft-ware zur Datenanalyse, spezialisiert auf die Vermessungder Form von extrem lichtschwachen Galaxienbil-dern und ihrer Korrektur für Effekte des Seeings undder Anisotropie der Punktbildfunktion, haben syste-matische Beobachtungen des Schwachen Linseneffektsermöglicht.

Massenrekonstruktion von Galaxienhaufen. Mittelsdieser Methode hat man die Massendichte mehrererHaufen rekonstruiert. Die wichtigsten Ergebnisse dieserUntersuchungen stellen sich wie folgt dar: Das Zent-rum der Massenverteilung stimmt mit dem optischen

8Prominente Beispiele für solche Kameras sind etwa die ∼ 12000×8000-Pixel-Kamera CFH12k, montiert am Canada-France-HawaiiTelescope (CFHT) oder der Wide Field Imager (WFI), eine∼ (8000)2-Pixel-Kamera am ESO/MPG 2.2-Meter-Teleskop auf LaSilla. Im Jahre 2003 wurde die erste Quadratgrad-Kamera am CFHTmontiert, Megacam, die immerhin ∼ (18000)2 Pixel besitzt. Eineweitere Quadratgrad-Kamera wird mit OmegaCAM am neugebau-ten VLT Survey Telescope (VST) der ESO im Jahre 2006 in Betriebgehen.

Abb. 6.36. Radiales Massenprofil des Galaxienhaufens Abell2218. Die Punkte mit Fehlerbalken sind Massenabschätzun-gen aus dem Schwachen Linseneffekt, die durchgezogeneund gestrichelte Linie sind Modelle (isotherme Sphäre) mitunterschiedlichen Geschwindigkeitsdispersionen. Das Kreuzgibt eine Massenabschätzung aufgrund der Luminous Arcsan, das Dreieck eine aufgrund der Masse der zentralencD-Galaxie

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6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.37. Untersuchung des Galaxienhaufens MS 1054−03mittels des Schwachen Linseneffektes. Links oben ist einebodengebundene Aufnahme zu sehen; das Feld ist 7.′5×7.′5groß. Auf dieser Aufnahme werden ca. 2400 schwacheObjekte detektiert, von denen die meisten Galaxien hoherRotverschiebung sind. Aus den gemessenen Elliptizitäten derGalaxien lässt sich das Gezeitenfeld des Haufens und dar-aus die projizierte Massenverteilung Σ(θ) rekonstruieren,wie links unten dargestellt; diese ist hier durch die schwar-zen Konturlinien angegeben, während die weißen Konturen

die gemittelte Lichtverteilung der Haufengalaxien angibt.Ein Mosaik von HST-Aufnahmen erlaubt, die Elliptizitätenvon wesentlich mehr Galaxien und mit größerer Genauig-keit zu vermessen. Das Gezeitenfeld aus diesen Messungenist rechts oben dargestellt und die rekonstruierte Flächenmas-sendichte rechts unten. Man sieht deutlich, dass der Haufenstark strukturiert ist, mit drei Dichtemaxima, die Gebietenheller Haufengalaxien entsprechen. Dieser Haufen scheintsich gerade erst durch Verschmelzung kleinerer Einheiten zubilden

Zentrum des Haufens überein (siehe Abb. 6.35). WennRöntgeninformation vorhanden ist, so ist die Massen-verteilung im Allgemeinen auf dem Röntgenmaximumzentriert. Die Form der Massenverteilung – z. B. ihre

Elliptizität und Orientierung – ist der Verteilung derhellen Haufengalaxien in den meisten Fällen sehr ähn-lich. Der Vergleich des aus dieser Methode ermitteltenMassenprofils mit dem aus Röntgendaten bestimmten

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6.5 Galaxienhaufen als Gravitationslinsen

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Abb. 6.38. Der Galaxienhaufen Cl 0939+4713 (A851) ist derHaufen mit der größten Rotverschiebung im Abell-Katalog.Das HST-Bild oben links wurde kurz nach der Reparatur desHST 1994 aufgenommen; in dieser Aufnahme ist Norden nachunten. Daraus wurde die Massenverteilung des Haufens re-konstruiert, wie sie oben rechts zu sehen ist. Man erkennt,dass die Verteilung heller Galaxien und der (Dunklen) Mate-

rie sehr ähnlich sind: Die Zentren stimmen überein, es gibtein sekundäres Maximum der Licht- und Materieverteilung,sowie ein ausgeprägtes Minimum, an dem auch keine hellenGalaxien zu erkennen sind. Dieser Haufen zeigt auch starkenLinseneffekt, wie im unteren Bild zu sehen ist: Ein Dreifach-Bildsystem bei z ≈ 3.98 und ein Arc mit z = 3.98 wurden dortspektroskopisch bestätigt

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6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

zeigt eine gute Übereinstimmung, und innerhalb einesFaktors von ∼ 1.5 ergeben sich die gleichen Resul-tate (siehe Abb. 6.36 für ein Beispiel). Auch durch denSchwachen Linseneffekt erkennt man in einigen Haufeneine Unterstruktur der Massenverteilung (Abb. 6.37),die sich nicht in allen Fällen in der Verteilung derHaufengalaxien widerspiegelt, aber im Allgemeinengibt es eine gute Übereinstimmung zwischen Lichtund Masse (Abb. 6.38). Aus diesen Linsenuntersuchun-gen findet man ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnisfür Haufen, das mit dem aus Röntgenuntersuchungenübereinstimmt, also etwa M/L ∼ 250h in solaren Ein-heiten. Es gibt aber Galaxienhaufen, die von diesemmittleren Wert sehr stark abweichen: Zwei unabhän-gige Untersuchungen haben gezeigt, dass der HaufenMS 1224+20 ein Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis vonM/L ≈ 800h in solaren Einheiten besitzt, also mehrals doppelt so groß, wie man normalerweise in Haufenfindet.

Die Ähnlichkeit der Massenverteilung und der Gala-xienverteilung ist alles andere als selbstverständlich, da

Abb. 6.39. Links oben: eine VLT/FORS1-Aufnahme, die im Rahmen eines Surveysvon ,,empty fields“ aufgenommen wurde.Rechts oben ist die Massenrekonstruktionzu sehen, wie sie mittels des Schwa-chen Linseneffekts aus den optischenDaten gewonnen wurde. Klar zu erken-nen ist ein Maximum der Massenverteilung;betrachtet man dieses Gebiet auf der op-tischen Aufnahme, so erkennt man dorteine Konzentration von Galaxien. Hiermitwurde also erstmals ein Galaxienhaufenaufgrund seiner Linseneigenschaft ent-deckt. Unten: Ähnlich wie oben wurdehier ein Galaxienhaufen aufgrund seinesLinseneffekts entdeckt. Links eine op-tische Weitwinkel-Aufnahme, gewonnenmit der Big Throughput Camera, rechtsdie Massenrekonstruktion. Der Peak inder Massenrekonstruktion stimmt mit ei-ner Konzentration von Galaxien überein.Spektroskopische Messungen ergeben, dassdiese einen Galaxienhaufen bei z = 0.276bilden

der Linseneffekt die gesamte Massenverteilung misst,also hauptsächlich die Dunkle Materie von Galaxien-haufen. Die Ähnlichkeit der Verteilungen bedeutet, dassdie Galaxien in Haufen im Wesentlichen der Vertei-lung der Dunklen Materie zu folgen scheinen, wobei esallerdings Ausnahmen gibt.

Die Linsensuche nach Galaxienhaufen. Mit demSchwachen Linseneffekt kann man nicht nur die Mas-senverteilung bekannter Haufen vermessen, sondernauch nach Haufen suchen. Massenkonzentrationen er-zeugen um sich herum ein tangentiales Scherungsfeld,nach dem gezielt gesucht werden kann. Der Vorteildieser Methode besteht darin, dass man damit Hau-fen allein aufgrund ihrer Masseneigenschaften (imGegensatz zu ihrer Lichtemission) detektieren kann.Insbesondere Haufen mit besonders kleinem Gas- oderGalaxiengehalt könnten so nachgewiesen werden, fallses solche gibt.

Mit dieser Methode wurden bereits einige Galaxien-haufen entdeckt – siehe Abb. 6.39. Weitere Kandidaten

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6.6 Entwicklungseffekte

271

existieren, in dem Sinne, dass man aufgrund desScherungssignals anscheinend deutliche Massenkon-zentrationen gefunden hat, die aber auf optischenAufnahmen nicht mit einer Konzentration von Gala-xien zu identifizieren sind. Die Aufklärung der Naturdieser Linsensignale ist von enormer Wichtigkeit: Fallses tatsächlich Massenkonzentrationen gibt, die etwaHaufenmassen entsprechen, die aber keine leuchtkräf-tigen Galaxien enthalten, dann müssten die Modelleder Galaxienentwicklung revidiert werden. Allerdingsist nicht auszuschließen, dass es sich bei den (je-denfalls formal) signifikanten Signalen um statistischeAusreißer sowie um Projektionseffekte handelt. Zu-sammen mit der Suche nach Galaxienhaufen mittelsdes SZ-Effekts (Abschn. 6.3.4) stellt der SchwacheLinseneffekt eine gegenüber den traditionellen Me-thoden verschiedene und interessante Alternative zumAuffinden von Massenkonzentrationen dar.

6.6 Entwicklungseffekte

Da man Galaxienhaufen inzwischen auch bei Rot-verschiebungen z ∼ 1 und größer entdecken unduntersuchen kann, stellt sich die Frage, ob diese Hau-fen die gleichen Eigenschaften besitzen wie die lokalen

Abb. 6.40. Röntgen-Leuchtkraftfunktion von Galaxienhau-fen, wie sie in der Region um den Ekliptikalen Nordpol (NEP),dem Gebiet mit der längsten Belichtungszeit des ROSATAll Sky Surveys (siehe Abb. 6.25), gefunden wurden. Auf-getragen ist dN/dLX, die (mitbewegte) Anzahldichte proLeuchtkraftintervall, für Haufen mit 0.02 ≤ z ≤ 0.3 (links)bzw. 0.3 ≤ z ≤ 0.85 (rechts); die Leuchtkraft wurde aus dem

Fluss im Energiebereich der Photonen von 0.5 keV bis 2 keVermittelt. Die drei verschiedenen Kurven geben die lokaleLeuchtkraftfunktion von Haufen an, wie sie in anderen Hau-fensurveys bei kleiner Rotverschiebung gefunden wurde.Man sieht, dass die Entwicklungseffekte der Leuchtkraft-funktion relativ klein sind und erst bei großen LX sichtbarwerden

Haufen – denn bei z ∼ 1 beträgt das Weltalter nur etwadie Hälfte des heutigen. Man sollte daher vielleicht eineEntwicklung von Haufeneigenschaften erwarten.

Leuchtkraftfunktion. Zunächst betrachten wir diemitbewegte Anzahldichte von Haufen als Funktionder Rotverschiebung, oder genauer, die Entwicklungder Leuchtkraftfunktion von Haufen mit z. Wie dieAbb. 6.40 zeigt, sind solche Entwicklungseffekte nichtsehr ausgeprägt, und nur bei den größten Leuchtkräftenbzw. den massereichsten Haufen ist eine Entwicklungsichtbar. Diese zeigt sich darin, dass bei hoher Rot-verschiebung Haufen mit sehr großer Leuchtkraft odersehr großer Masse seltener sind als heute. Die Interpre-tation und die Bedeutung dieser Tatsache wird späterdiskutiert (siehe Abschn. 8.2.1).

Butcher–Oemler-Effekt. In Kapitel 3 hatten wir fest-gestellt, dass sich Frühtyp-Galaxien vornehmlich inHaufen und Gruppen befinden, während Spiralen imWesentlichen Feldgalaxien sind. Beispielsweise enthältein massereicher Haufen wie Coma nur zu etwa 10%Spiralen, der Rest der leuchtkräftigen Galaxien sindEllipsen oder S0-Galaxien (siehe auch Abschn. 6.2.9).Neben der morphologischen Unterscheidung sind dieFarben von Galaxien für ihre Charakterisierung sehr

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272

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

nützlich: Frühtyp-Galaxien (Ellipsen und S0-Galaxien)haben wenig aktuelle Sternentstehung und bestehen da-her hauptsächlich aus alten, daher massearmen, daherkühlen Sternen. Sie sind also rot, während Spiralen ak-tuelle Sternentstehung aufweisen und daher blauer sind.Der Anteil von blauen Galaxien in nahen Haufen ist sehrklein.

Butcher und Oemler stellten fest, dass sich diesändert, wenn man Galaxienhaufen bei höheren Rotver-schiebungen betrachtet: Diese enthalten einen größerenAnteil von blauen Galaxien, also von Spiralen (siehe

Abb. 6.41. Butcher–Oemler-Effekt: Im oberen Diagramm istder Anteil von blauen Galaxien fb in einem Sample von 295Galaxienhaufen als Funktion der Rotverschiebung des Hau-fens aufgetragen, wobei offene (gefüllte) Kreise Haufen mitphotometrischer (spektroskopischer) Rotverschiebungsinfor-mation bezeichnen. Das untere Diagramm zeigt eine Auswahlvon Haufen mit spektroskopisch bestimmter Rotverschiebungund gut definierter Red Cluster Sequence. Zur Bestimmungvon fb müssen Vordergrund- und Hintergrundgalaxien mit-tels Kontrollfeldern statistisch subtrahiert werden, was auchzu negativen Werten von fb führen kann. Man erkennteine deutliche Zunahme von fb mit der Rotverschiebung,und eine Ausgleichsgerade durch die Datenpunkte ergibtfb = 1.34z −0.03

Abb. 6.41). Das bedeutet, dass sich die Galaxienmi-schung mit der Zeit ändert. In Haufen müssen Spiralenmit zunehmender kosmischer Zeit seltener werden, z. B.sich in Frühtyp-Galaxien umwandeln.

Eine plausible Möglichkeit ist, dass Spiralen ihrinterstellares Gas verlieren. Da sie sich mit großer Ge-schwindigkeit durch das intergalaktische Gas (das dieRöntgenstrahlung emittiert) bewegen, kann das ISM derGalaxien weggerissen werden und sich mit dem ICMvermischen. Dies ist allein schon daher plausibel, weildas ICM eine hohe Metallizität besitzt; diese Metallekönnen nur aus einer Sternpopulation kommen, alsoaus dem angereicherten Material des ISM von Gala-xien. Weitere Hinweise auf Transformationen zwischenGalaxientypen werden später noch besprochen.

Farben-Helligkeits-Diagramm. Trägt man die Farbevon Haufengalaxien gegen ihre Helligkeit auf, so findetman eine sehr gut definierte, fast waagerechte Sequenz(Abb. 6.42). Diese rote Sequenz (Red Cluster Sequence,RCS) wird bevölkert von den Frühtyp-Galaxien desHaufens.

Die Streuung der Frühtyp-Galaxien um diese Se-quenz ist sehr gering, was darauf schließen lässt,dass alle Frühtyp-Galaxien eines Haufens beinahe die

Abb. 6.42. Farben-Helligkeits-Diagramm des Galaxienhau-fens Abell 2390, aufgenommen mit dem HST. Stern-Symbolerepräsentieren Frühtyp-Galaxien, wie sie aus der Morphologieidentifiziert wurden, während die Diamanten andere Gala-xien des Feldes darstellen. Die Red Cluster Sequence ist sehrdeutlich erkennbar

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6.6 Entwicklungseffekte

273

Abb. 6.43. Die Radiogalaxie LBDS 53W091 hat eine Rot-verschiebung von z = 1.552 und besitzt eine sehr roteLichtverteilung (R − K ≈ 5.8). Optische Spektroskopie derGalaxie ergibt die spektrale Lichtverteilung der UV-Emissionim Ruhesystem der Galaxie. Das UV-Licht einer Sternpo-pulation wird fast vollständig von Sternen der Hauptreiheerzeugt – siehe Abb. 3.47. Oben links wird das Spektrum vonLBDS 53W091 mit dem von verschiedenen F-Sternen ver-glichen; man erkennt, dass F6-Sterne die Lichtverteilung derGalaxie fast perfekt wiedergeben. Im unteren Bild sind syn-thetische Spektren aus Rechnungen der Populationssynthesemit dem beobachteten Spektrum verglichen. Eine Popula-

tion mit einem Alter von etwa 4 Gyr gibt den besten Fitan das beobachtete Spektrum; dieses ist auch mit der Le-bensdauer von F6 Sternen vergleichbar: Die leuchtkräftigsten(noch existierenden) Sterne dominieren die Lichtverteilungeiner Sternpopulation im UV. Zusammen ergibt sich also,dass diese Galaxie bei z = 1.552 mindestens 3 Gyr alt seinmuss – anders ausgedrückt: Das Weltalter bei z = 1.55 mussmindestens 3 Gyr betragen. Im oberen rechten Bild ist dasWeltalter bei z = 1.55 als Funktion von H0 und ΩΛ (fürΩm +ΩΛ = 1) dargestellt. Diese eine Galaxie ergibt da-her signifikante Einschränkungen an die kosmologischenParameter

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274

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

gleiche, nur leicht von der Leuchtkraft abhängigeFarbe haben. Noch überraschender ist vielleicht, dassdie Farben-Helligkeits-Diagramme verschiedener Hau-fen gleicher Rotverschiebung eine sehr ähnliche roteSequenz definieren: Haufengalaxien gleicher Rotver-schiebung und gleicher Leuchtkraft besitzen praktischdie gleiche Farbe. Vergleicht man diese rote Sequenzbei Haufen verschiedener Rotverschiebung, so findetman, dass die rote Sequenz von Haufengalaxien umsoröter ist, je größer die Rotverschiebung ist. In der Tat istdie Charakterisierung der roten Sequenz so genau, dassman allein aus dem Farben-Helligkeits-Diagramm einesHaufens die Rotverschiebung abschätzen kann, wobeiman eine typische Genauigkeit von Δz ∼ 0.1 erzielt.Dabei hängt die Genauigkeit der abgeschätzten Rotver-schiebung stark von der Wahl der Farbfilter ab: Da diewichtigste spektrale Signatur von Frühtyp-Galaxien der4000 Å-Sprung ist, kann die Rotverschiebung dann amgenauesten bestimmt werden, wenn diese Kante geradezwischen zwei der benutzten Farbbänder fällt.

Diese so gut definierte rote Sequenz ist von entschei-dender Bedeutung für das Verständnis der Entwicklungvon Galaxien. Aus Abschn. 3.9 wissen wir, dass dieZusammensetzung einer Sternpopulation von dem Mas-senspektrum bei ihrer Geburt (der initial mass function,IMF) und ihrem Alter abhängt: Je älter eine Populationist, umso roter wird sie. Die Tatsache, dass Haufen-galaxien bei gleicher Rotverschiebung alle in etwa diegleiche Farbe aufweisen, deutet darauf hin, dass ihre

Abb. 6.44. Der GalaxienhaufenMS1054−03, aufgenommen mit dem HST,ist der weitest entfernte Haufen des EMSS-Röntgensurveys (z = 0.83). Die rötlichenGalaxien im linken Bild bilden eine bei-nahe lineare Struktur. Dieser Haufen istkeineswegs sphärisch, er ist nicht relaxiert.Die kleineren Bilder rechts zeigen Detailsder Aufnahme, auf denen Verschmelzungenvon Galaxien sichtbar sind: In diesem Hau-fen kann das Merging von Galaxien direktbeobachtet werden

Sternpopulationen alle etwa gleich alt sind. Das ein-zige ausgezeichnete Alter ist aber das Weltalter selbst.Tatsächlich ist die Farbe von Haufengalaxien damitverträglich, dass ihre Sternpopulationen in etwa so altsind wie das Weltalter bei der jeweiligen Rotverschie-bung. Dies erklärt auch, warum die rote Sequenz beihöheren Rotverschiebungen zu blaueren Farben hinverschoben ist – dort war das Weltalter kleiner, dieSternpopulation war daher jünger. Dieser Effekt ist na-türlich insbesondere bei großen Rotverschiebungen vonBedeutung. Die Tatsache, dass das Farben-Helligkeits-Diagramm der Frühtyp-Galaxien in Haufen nicht flachverläuft, sondern leuchtkräftigere Galaxien etwa rotersind, stammt aus der Abhängigkeit der Galaxienfarbenvon der Metallizität ihrer Sternpopulation. Je größer dieGalaxienleuchtkraft, und daher ihre Sternmasse, umsogrößer ist auch ihre Metallizität.

Tatsächlich kann man aus den Farben von Hau-fengalaxien sehr enge obere Schranken an derenSternentstehung in jüngerer Zeit erhalten. Die Farbe vonHaufengalaxien bei hoher Rotverschiebung gibt sogarinteressante Einschränkungen an kosmologische Para-meter – nur solche Modelle sind akzeptabel, die einWeltalter (bei der jeweiligen Rotverschiebung) haben,das größer als das abgeschätzte Alter der Sternpopula-tion ist. Ein interessantes Beispiel dafür ist in Abb. 6.43zu sehen.

Aus diesen Beobachtungen schließt man daher, dassdie Sterne, die sich in Haufengalaxien befinden, sich

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6.6 Entwicklungseffekte

275

zu einem sehr frühen Zeitpunkt im Universum gebildethaben. Das bedeutet aber nicht zwangsweise, dass dieGalaxien selbst ebenso alt sind, denn durch Verschmel-zungsprozesse (siehe Abb. 6.44) können sich Galaxienineinander transformieren. Das ändert die Morphologieder Galaxien, besagt aber zunächst nichts über derenSternpopulationen.

Galaxienhaufen bei sehr hohen Rotverschiebungen.Die Suche nach Haufen bei hohen Rotverschiebun-gen ist von großem kosmologischen Interesse. Wie inAbschn. 7.5.2 gezeigt wird, ist die Anzahldichte vonHaufen als Funktion von z stark vom kosmologischenModell abhängig. Es besteht daher also eine Möglich-keit, kosmologische Parameter mit der Statistik vonGalaxienhaufen einzuschränken.

Die Suche nach Haufen im Optischen (also derGalaxienüberdichte) wird bei hohen z aufgrund der Pro-jektionseffekte sehr viel schwieriger. Dennoch haben

Abb. 6.45. Der Galaxienhaufen XMMU J2235.2−2557wurde im Gesichtsfeld einer XMM-Newton-Aufnahme ent-deckt, die eine andere Quelle als eigentliches Ziel hatte. Daslinke Bild zeigt die Röntgenkonturen, superponiert auf einerR-Band Aufnahme, während das rechte Bild den zentralenAusschnitt zeigt, diesmal einer K-Band Aufnahme überla-gert. Galaxien im Feld zeigen eine Red Cluster Sequence,

wenn die Farbe in R − z gemessen wird. Die Symbole be-zeichnen Galaxien mit Rotverschiebung 1.37 < z < 1.40. Diestarke Röntgenquelle rechts oberhalb des Haufens ist eineSeyfert-Galaxie bei kleinerer Rotverschiebung. Der Haufenist der zurzeit am weitesten entferne Röntgen-selektierteHaufen, besitzt eine Temperatur von ∼ 6 keV und eineGeschwindigkeitsdispersion von σ ∼ 750 km/s

mehrere Gruppen mit dieser Technik Haufen bei z ∼ 0.8entdecken können. Insbesondere kann man die Über-dichte von Galaxien in einem drei-dimensionalen Raumuntersuchen, wenn man neben den Winkelkoordinatenauf der Sphäre noch die Farbe der Galaxien mitberück-sichtigt. Wegen der roten Haufensequenz (Red ClusterSequence) ist die Überdichte in diesem Raum sehr vielausgeprägter als in der Himmelsprojektion allein.

Projektionseffekte spielen eine wesentlich geringereRolle bei einer Röntgensuche nach Haufen. Mit emp-findlichen Röntgensatelliten wie ROSAT wurden einigeHaufen mit z ∼ 1.2 gefunden (siehe Abb. 6.24). Dieneuen Röntgensatelliten Chandra und XMM-Newtonsind noch empfindlicher. Man erwartet daher, dass Hau-fen bei noch höherer Rotverschiebung gefunden werdenkönnen; ein Beispiel eines Haufens bei z = 1.393 istin Abb. 6.45 gezeigt. Dieses Beispiel zeigt, dass eineKombination von tiefen Röntgenaufnahmen mit opti-schen und NIR-Beobachtungen eine effiziente Methode

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276

6. Galaxienhaufen und Galaxiengruppen

Abb. 6.46. Die am weitesten entfernte bekannte Grup-pierung von Galaxien: Das Gebiet um die RadiogalaxieTN J1338−1942 (z = 4.1) wurde nach Galaxien gleicher Rot-verschiebung untersucht; 20 solcher Galaxien wurden mit

dem VLT gefunden (eingekreist im linken Bild). Für 10dieser Galaxien sind rechts die Spektren dargestellt; die Lyα-Emissionslinie ist in allen klar zu erkennen. Galaxiengruppenbilden sich also bereits in der Frühphase des Universums

zur Erstellung einer Stichprobe von entfernten Haufendarstellt.

Auch durch optische Methoden können Gala-xienkonzentrationen mit sehr hoher Rotverschiebunggefunden werden. Ein Ansatz dazu besteht in derAnnahme, dass sich leuchtkräftige AGNs hoher Rotver-schiebung in Gebieten stark erhöhter Dichte aufhalten,wie man das aus Modellen der Galaxienentwicklungauch erwarten würde. Aus der Rotverschiebung desAGNs ergibt sich dann die Rotverschiebung der Ga-laxien, nach denen man in seiner Umgebung suchensollte. Tatsächlich sind solche Suchen recht erfolgreich;man kann sie etwa mit Schmalbandfilter-Photometrie

durchführen, wobei der Filter auf die rotverschobeneLyα-Linie zentriert wird. Kandidaten müssen danachspektroskopisch verifiziert werden. Ein Beispiel füreine starke Galaxienkonzentration bei z = 4.1 ist in derAbb. 6.46 gezeigt. Allerdings ist die starke räumlicheKonzentration noch nicht ausreichend, um von einemGalaxienhaufen zu sprechen, denn es ist keineswegsklar, ob es sich hierbei um ein gravitativ gebunde-nes System von Galaxien (und entsprechender DunklerMaterie) handelt. Vielmehr gelten solche Galaxienkon-zentrationen als Vorläufer von Galaxienhaufen, die sicherst in der zukünftigen kosmischen Entwicklung zugebundenen Systemen entwickeln.

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277

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

7.1 Einleitung

In Kapitel 4 haben wir homogene Weltmodelle dis-kutiert und das Standard-Modell der Kosmologievorgestellt. Es basiert auf dem kosmologischen Prin-zip, der Annahme eines (räumlich) homogenen undisotropen Universums. Die Annahme der Homogenitätist natürlich nur auf großen Skalen gerechtfertigt, dennwir beobachten, dass das Universum auf kleinen Ska-len inhomogen ist – denn sonst gäbe es keine Galaxienoder Sterne.

Die Verteilung der Galaxien am Himmel ist nichtgleichförmig oder zufällig (siehe Abb. 6.1), sondernsie bilden Galaxienhaufen und -gruppen. Auch Gala-xienhaufen sind nicht gleichförmig verteilt, sondernkorreliert; sie finden sich zusammen zu Superhau-fen (superclusters). Die drei-dimensionale Verteilungvon Galaxien, wie sie aus Rotverschiebungsdurch-musterungen gewonnen wird, zeigt eine interessantegroßräumige Struktur, wie dies in der Abb. 7.1 an-hand des two-degree-Field Galaxy Redshift Surveys(2dFGRS) demonstriert ist.

Auch noch größere Strukturen wurden entdeckt.Die Great Wall ist eine Galaxienstruktur mit einerAusdehnung von ∼ 100h−1 Mpc, die in einem Rotver-schiebungssurvey von Galaxien gefunden worden ist(Abb. 7.2). Solche Surveys haben auch zur Entdeckung

Abb. 7.1. Die Verteilung der Galaxien imvollständigen 2dF-Galaxiensurvey; in radia-ler Richtung ist die Fluchtgeschwindigkeitbzw. die Rotverschiebung aufgetragen, alsWinkel die Rektaszension. In diesem Sur-vey sind weit mehr als 350 000 Spektrenaufgenommen worden, und die Verteilungvon mehr als 200 000 Galaxien mit verlässli-cher Rotverschiebung ist hier eingezeichnet.Die Daten des vollständigen Surveys sindöffentlich zugänglich

der sog. Voids geführt, beinahe sphärische Gebiete, diepraktisch keine (hellen) Galaxien enthalten und derenDurchmesser typischerweise 50h−1 Mpc beträgt. DieEntdeckung solch großskaliger Inhomogenitäten wirftdie Frage auf, ob es vielleicht noch größere Strukturenim Universum gibt, oder präziser: Gibt es eine Skaladerart, dass über sie gemittelt das Universum homo-gen erscheint? Die Existenz einer solchen Skala ist eineVoraussetzung dafür, dass die homogenen Weltmodelleeine realistische Beschreibung des mittleren Verhaltensdes Universums liefern.

Es gibt z. Zt. keine Anzeichen für Strukturenmit linearer Dimension � 100h−1 Mpc, wie manauch aus der Abb. 7.1 erkennen kann. Also scheintdas Universum im Wesentlichen homogen zu sein,wenn man über Skalen von R ∼ 200h−1 Mpc mit-telt. Diese ,,Homogenitätsskala“ muss man mit demHubble-Radius RH ≡ c/H0 ≈ 3000h−1 Mpc verglei-chen. Daraus folgt also R c/H0, so dass es nach dieserMittelung noch [(c/H0)/R]3 ∼ (15)3 ∼ 3000 unabhän-gige Volumenelemente pro Hubble-Volumen gibt. Dasrechtfertigt die Näherung eines homogenen Weltmo-dells in der Behandlung der mittleren Geschichte desUniversums.

Auf kleinen Skalen ist das Universum inhomogen.Hinweise dafür bieten die am Himmel projizierte Gala-xienverteilung, die 3-dimensionale Galaxienverteilung,

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278

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Abb. 7.2. Die Great Wall: In einem Rotverschiebungs-Survey von Galaxien mit einer Fluchtgeschwindigkeit voncz ≤ 15 000 km/s wurde eine Galaxienstruktur entdeckt, diesich bei der Rotverschiebung cz ∼ 6000 km/s und in der Rek-taszension zwischen 9h ≤ α ≤ 16h befindet. Dargestellt sindGalaxien mit 8.5◦ ≤ δ ≤ 42◦

wie sie aus Rotverschiebungssurveys ermittelt wird,die Existenz von Galaxienhaufen, Superhaufen, ,,GreatWalls“ und Voids. Zusätzlich zeigt die Anisotropie derkosmischen Hintergrundstrahlung (CMB), mit relativenFluktuationen von ΔT/T ∼ 10−5, dass das Universumschon bei der Rotverschiebung z ∼ 1000 kleine Inhomo-genitäten aufgewiesen hat, auf die wir noch genauer inAbschn. 8.6 eingehen werden. In diesem Kapitel wirddie Entwicklung von solchen Dichteinhomogenitätenund ihre Beschreibung untersucht.

7.2 Gravitative Instabilität

7.2.1 Überblick

Die Kleinheit der CMB-Anisotropie (ΔT/T ∼ 10−5;siehe Abschn. 8.6) legt nahe, dass die Dichteinhomo-genitäten bei der Rotverschiebung z ∼ 1000 – dennaus dieser Zeit stammen die CMB-Photonen – sehrkleine Amplituden hatten. Heute sind die Ampli-tuden der Dichteinhomogenitäten wesentlich größer;beispielsweise enthält ein massereicher Galaxienhau-fen innerhalb eines Radius von ∼ 1.5h−1 Mpc mehr als200 Mal so viel Masse wie eine mittlere Kugel diesesRadius im Universum. Dabei handelt es sich daher nichtmehr um kleine Dichtefluktuationen.

Offensichtlich ist das Universum im Laufe seinerEntwicklung inhomogener geworden; wie wir sehen

werden, wachsen Dichtestörungen mit der Zeit an. Mandefiniert den relativen Dichtekontrast

δ(r, t) := ρ(r, t)− ρ(t)

ρ(t), (7.1)

wobei ρ(t) die mittlere kosmische Materiedichte imUniversum zur Zeit t bezeichnet. Aus der Defini-tion von δ liest man sofort ab, dass δ ≥ −1, daρ ≥ 0. Die Kleinheit der CMB-Anisotropie legt nahe,dass |δ| 1 bei z ∼ 1000. Das Gravitationsfeld dermittleren Massendichte ρ(t) kontrolliert die Dynamikder kosmischen Hubble-Expansion, während Dichte-fluktuationen Δρ(r, t) = ρ(r, t)− ρ(t) ein zusätzlichesGravitationsfeld erzeugen.

Wir werden uns hier nur für sehr schwache Gra-vitationsfelder interessieren, für die die NewtonscheBeschreibung der Gravitation anwendbar ist. Da diePoisson-Gleichung, welche die Beziehung zwischender Materiedichte und dem Gravitationspotential an-gibt, linear ist, kann man die Effekte der homogenenMaterieverteilung und der Dichtefluktuationen getrenntbehandeln. Das Gravitationsfeld der gesamten Materie-verteilung ist dann die Summe des Feldes der mittlerenMaterieverteilung und dem der Dichtefluktuationen.

Betrachten wir ein Gebiet, in dem Δρ > 0, alsoδ > 0 ist, so ist dort das Gravitationsfeld stärker alsim kosmischen Mittel. Ein überdichtes Gebiet erzeugtein stärkeres Gravitationsfeld, als es der mittlerenHubble-Expansion entspricht. Durch diese zusätzli-che Selbstgravitation expandiert das überdichte Gebietlangsamer als die mittlere Hubble-Expansion. Wegender verlangsamten Expansion nimmt die Dichte in die-sem Gebiet auch langsamer ab als im kosmischenMittel, ρ(t) = (1+ z)3ρ0 = a−3(t)ρ0, und daher steigtder Dichtekontrast dort an. Dies wiederum impliziert,dass die relative Dichte anwächst, diese erzeugt einnoch stärkeres Gravitationsfeld ... es ist offensicht-lich, dass dies eine instabile Situation darstellt. Mankann natürlich auch umgekehrt argumentieren: In ei-nem unterdichten Gebiet mit δ < 0 ist das dort erzeugteGravitationsfeld schwächer als im kosmischen Mittelund daher die Selbstgravitation schwächer, als es derHubble-Expansion entspricht. Dort wird die Expansionweniger stark gebremst als im kosmischen Mittel, dasunterdichte Gebiet expandiert schneller als die Hubble-Expansion, und dadurch nimmt die Dichte dort schneller

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7.2 Gravitative Instabilität

279

ab als im Mittel. Dadurch nimmt der Dichtekontrast ab,d. h. δ wird negativer mit der Zeit.

Dichtefluktuationen wachsen zeitlich an aufgrundihrer Selbstgravitation; überdichte Gebiete erhöhenmit der Zeit ihren Dichtekontrast, unterdichte Ge-biete verkleinern ihren Dichtekontrast. In beidenFällen wächst |δ| an. Dieser Effekt der gravitati-ven Instabilität führt daher zu einem Anwachsender Dichtefluktuationen mit der Zeit. Die Entwick-lung der Strukturen im Universum wird mit diesemModell der gravitativen Instabilität beschrieben.

Im Rahmen dieses Modells kann man die Ent-wicklung der Strukturen im Universum verstehen.Wir werden in diesem Kapitel die Strukturbildungquantitativ beschreiben. Dazu gehört zum einen dieUntersuchung der zeitlichen Entwicklung von Dichte-störungen, zum andern eine statistische Beschreibungsolcher Dichtefluktuationen. Wir werden dann sehen,dass die Entwicklung der Inhomogenitäten direkt be-obachtbar ist, dass also das Universum bei höherenRotverschiebungen weniger inhomogen war als es heuteist. Da die Entwicklung der Störungen vom kosmolo-gischen Modell abhängt, werden wir zu untersuchenhaben, ob man diese Entwicklung nicht zur Abschät-zung kosmologischer Parameter benutzen kann, und wirwerden diese Frage in Kapitel 8 positiv beantworten.Schließlich werden wir die Frage nach dem Ursprungder Dichtefluktuationen anreißen.

7.2.2 Lineare Störungstheorie

Wir betrachten zunächst das Anwachsen von Dich-testörungen. Dabei werden wir uns zunächst aufLängenskalen konzentrieren, die sehr viel kleiner als derHubble-Radius sind. Auf solchen Skalen kann diesesAnwachsen im Rahmen der Newtonschen Gravitations-theorie beschrieben werden. Erst bei Dichtestörungenauf Längenskalen, die von der Größenordnung desHubble-Radius sind, spielen Krümmungseffekte derRaumzeit und daher Effekte der Allgemeinen Re-lativitätstheorie eine Rolle. Weiterhin nehmen wirzur Vereinfachung an, dass die Materie im Uni-versum nur aus Staub (also druckfreier Materie)besteht, dessen Dichte ρ(r, t) sei. Der Staub werde be-

schrieben durch die Flüssigkeitsnäherung, wobei dasGeschwindigkeitsfeld dieser Flüssigkeit v(r, t) sei.1

Bewegungsgleichungen. Das Verhalten dieser Flüssig-keit wird beschrieben durch die Kontinuitätsgleichung

∂ρ

∂t+∇ · (ρ v) = 0 , (7.2)

die besagt, dass Materie erhalten bleibt: Die Dichtenimmt ab, wenn die Flüssigkeit ein divergentes Ge-schwindigkeitsfeld hat (also Teilchen voneinander wegströmen); umgekehrt führt ein konvergentes Geschwin-digkeitsfeld zur Erhöhung der Dichte. Weiterhin gilt dieEuler-Gleichung

∂v

∂t+ (v ·∇) v = −∇ P

ρ−∇Φ , (7.3)

die die Impulserhaltung und das Verhalten der Flüs-sigkeit unter dem Einfluss von Kräften beschreibt. Dielinke Seite von (7.3) ist die zeitliche Ableitung derGeschwindigkeit, die von einem Beobachter gemessenwürde, der mit der Strömung schwimmt, denn ∂v/∂tist die Ableitung an einem festen Raumpunkt, wäh-rend die gesamte linke Seite von (7.3) die zeitlicheAbleitung der Geschwindigkeit, gemessen entlang derStrömungskurve, ist. Diese wird beeinflusst vom Druck-gradienten und vom Gravitationsfeld Φ, welches diePoisson-Gleichung erfüllt,

∇2Φ = 4πGρ . (7.4)

Da wir hier nur Staub betrachten, verschwindet derDruck, P ≡ 0. Diese drei Gleichungen zur Beschrei-bung einer selbstgravitierenden Flüssigkeit können i. A.nicht gelöst werden. Wir werden allerdings zeigen,dass eine spezielle und kosmologisch relevante ex-akte Lösung gefunden werden kann und dass im

1Streng genommen kann der kosmische Staub nicht als Flüssigkeitbeschrieben werden, denn die Materie wird als stoßfrei angenommen.Das bedeutet, zwischen den einzelnen Teilchen des Staubs findet keineWechselwirkung statt außer der Gravitation. Zwei Ströme von sol-chem Staub können sich also durchdringen. Diese Situation kann nunverglichen werden mit der einer Flüssigkeit, in der die Moleküle mit-einander durch Stöße wechselwirken. Diese Stöße bewirken, dass dieGeschwindigkeitsverteilung der Moleküle an jedem Ort in etwa eineMaxwell-Verteilung annimmt, mit einer wohldefinierten mittleren Ge-schwindigkeit, die dann die Strömungsgeschwindigkeit an diesemPunkt darstellt. Eine solche eindeutige Geschwindigkeit gibt es beiStaub nicht. Allerdings sind zu frühen Zeiten, wenn die Abweichun-gen vom Hubble-Fluss noch sehr klein sind, keine Mehrfachströme zuerwarten, so dass in diesem Fall das Geschwindigkeitsfeld eindeutiggegeben ist.

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280

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Abb. 7.3. Wachstumsfaktor D+ für drei verschiedene kosmo-logische Modelle, als Funktion des Skalenfaktors a (links)und als Funktion der Rotverschiebung (rechts). Deutlich zusehen ist, wie schnell D+ für wachsende Rotverschiebungenim EdS-Modell relativ zu den Modellen kleiner Dichte abfällt

Rahmen einer Linearisierung des GleichungssystemsNäherungslösungen für |δ| 1 konstruiert werdenkönnen.

Hubble-Expansion. Die spezielle exakte Lösung ist dieStrömung, die wir schon in Kapitel 4 kennen gelernthaben: der homogen expandierende Kosmos. DurchEinsetzen in die obigen Gleichungen kann man leichtzeigen, dass

v(r, t) = H(t)r

eine Lösung der Gleichungen ist, wenn ρ ho-mogen ist, der Gleichung (4.11) genügt und dieFriedmann-Gleichung (4.13) für den Skalenfaktor gilt.

Solange der Dichtekonstrast |δ| 1, sind dieAbweichungen des Geschwindigkeitsfeldes von derHubble-Expansion klein. Man erwartet daher, dass fürdiesen Fall solche Lösungen der obigen Gleichungen re-levant sind, die nur wenig von der homogenen Lösungabweichen.

Es ist zweckmäßig, das Problem in mitbewegtenKoordinaten zu betrachten; wie in (4.4) definiert mandaher

r = a(t) x .

Im homogenen Kosmos ist x für jedes Materieteilchenkonstant, und seine räumliche Position r ändert sich nur

aufgrund der Expansion. Ebenfalls schreibt man dasGeschwindigkeitsfeld in der Form

v(r, t) = a

ar+u

( ra, t)

, (7.5)

wobei u(x, t) eine Funktion der mitbewegten Ko-ordinate x ist. In (7.5) beschreibt der erste Termdie homogene Hubble-Expansion, während der zweiteTerm die Abweichungen von dieser homogenen Expan-sion beschreibt. Aus diesem Grunde nennt man u diePekuliargeschwindigkeit.

Umschreiben der Flüssigkeitsgleichungen auf mit-bewegte Koordinaten. Wir zeigen hier, wie die obigenGleichungen in mitbewegten Koordinaten lauten. Dazusei zuerst bemerkt, dass die partielle Ableitung ∂/∂t in(7.2) eine Ableitung nach der Zeit bei festem r bedeu-tet. Wenn die Gleichungen in mitbewegten Koordinatengeschrieben werden sollen, muss man diese partiellezeitliche Ableitung in eine solche umschreiben, bei derdann x festgehalten wird. Beispielsweise gilt(

∂t

)r

ρ(r, t) =(

∂t

)r

ρx

( ra, t)

=(

∂t

)x

ρx(x, t)− a

ax ·∇xρx(x, t) ,

(7.6)

wobei ∇x der Gradient bezüglich mitbewegter Koor-dinaten ist und wir die Funktion ρx(x, t) ≡ ρ(ax, t)definiert haben. Nach Ausführung der Umrechnungenwird (7.2) zu

∂ρ

∂t+ 3a

aρ+ 1

a∇ · (ρu) = 0 , (7.7)

wobei von nun an alle räumlichen Ableitungen bezüg-lich x zu nehmen sind, wir nun ρ ≡ ρx und δ ≡ δ(x, t)setzen und die partielle zeitliche Ableitung bei festem xzu verstehen ist. Setzt man nun ρ = ρ(1+δ) und benutztρ ∝ a−3, wird (7.7) zu

∂δ

∂t+ 1

a∇ · [(1+ δ) u] = 0 . (7.8)

Entsprechend schreibt man das Gravitationspotential Φ

als

Φ(r, t) = 2π

3Gρ(t)|r|2 +φ(x, t) ; (7.9)

Page 294: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

7.2 Gravitative Instabilität

281

der erste Term ist das Newtonsche Potential für einehomogene Massendichte, während φ die Poisson-Gleichung für die Dichteinhomogenitäten erfüllt,

∇2φ(x, t) = 4πGa2(t)ρ(t)δ(x, t) . (7.10)

Dann wird die Euler-Gleichung (7.3) zu

∂u∂t

+ u ·∇a

u+ a

au = − 1

ρ a∇ P − 1

a∇φ , (7.11)

wobei (4.13) benutzt wurde.

Linearisierung. Im homogenen Fall ist δ ≡ 0, u ≡ 0,φ ≡ 0, ρ = ρ, und aus (7.7) folgt dann ˙ρ+3Hρ = 0, wasfür P = 0 auch sofort aus (4.17) folgt. Wir suchen nunNäherungslösungen des obigen Gleichungssystems, dienur eine kleine Abweichung von dieser homogenenLösung beschreiben. Aus diesem Grunde betrachtenwir nur Terme der Gleichungen, die von erster Ord-nung in den kleinen Parametern δ und u sind, d. h. wirvernachlässigen Terme, die uδ oder die Geschwindig-keit u quadratisch enthalten. Nach dieser Linearisierungkann man die Pekuliargeschwindigkeit u und das Gra-vitationspotential φ aus den Gleichungen eliminieren2

und erhält damit eine Differentialgleichung zweiterOrdnung für den Dichtekontrast δ,

∂2δ

∂t2+ 2a

a

∂δ

∂t= 4πGρδ . (7.12)

Dabei ist bemerkenswert, dass diese Gleichung wederAbleitungen nach den räumlichen Koordinaten enthält,noch die Koeffizienten der Gleichung von x abhängen.Deshalb hat (7.12) Lösungen der Form

δ(x, t) = D(t) δ(x) ,

d. h. die räumliche und die zeitliche Abhängigkeit fak-torisieren in diesen Lösungen. Dabei ist δ(x) einebeliebige Funktion des Ortes, und die Funktion D(t)erfüllt die Gleichung

D + 2a

aD −4πGρ(t) D = 0 . (7.13)

2Dazu wird die linearisierte Form der Gleichung (7.8), ∂δ/∂t +a−1∇ ·u = 0 nach der Zeit differenziert und mit der Divergenz der lineari-sierten Form der Gleichung (7.11) für den druckfreien Fall, ∂u/∂t +Hu = −a−1∇φ, verknüpft. Schließlich wird der Laplace-Operatorauf φ durch die Poisson-Gleichung (7.10) ersetzt.

Der Wachstumsfaktor. Die Differentialgleichung(7.13) hat zwei linear unabhängige Lösungen. Man kannzeigen, dass eine davon mit der Zeit anwächst, wäh-rend die andere mit der Zeit abfällt. Wenn zu einemfrühen Zeitpunkt beide funktionalen Abhängigkeitenvorhanden gewesen sind, so wird nach einiger Zeit dieanwachsende Lösung dominieren, während die mit tfallende Lösung irrelevant wird. Wir betrachten deshalbnur diese anwachsende Lösung, die als D+(t) bezeich-net wird, und normieren diese so, dass D+(t0) = 1.Daraus folgt für den Dichtekontrast

δ(x, t) = D+(t) δ0(x) . (7.14)

Aus dieser mathematischen Betrachtung können bereitseine ganze Reihe von Schlüssen gezogen werden. Alserstes zeigt die Lösung (7.14), dass in der linearenStörungstheorie die räumliche Form der Dichtefluk-tuationen in mitbewegten Koordinaten eingefroren istund nur ihre Amplitude anwächst. Der Wachstumsfak-tor (growth factor) D+(t) der Amplitude gehorcht einereinfachen Differentialgleichung, die für jedes kosmolo-gische Modell leicht gelöst werden kann.3 EntsprechendD+(t0) = 1 wäre δ0(x) die Verteilung der Dichtefluk-tuationen heute, wenn die Entwicklung in der Tat bisheute linear verlaufen würde. Man bezeichnet δ0(x)

daher als linear extrapoliertes Dichtefluktuationsfeld.Allerdings bricht die lineare Näherung zusammen,wenn |δ| von der Größenordnung 1 wird. Dann sinddie oben vernachlässigten Terme nicht mehr kleinund müssen berücksichtigt werden. Das Problem wirddann wesentlich schwieriger und ist analytisch nichtmehr handhabbar, sondern man ist i. A. auf numeri-sche Verfahren zur Untersuchung des Anwachsens vonDichtestörungen angewiesen. Nebenbei sei noch einmalbemerkt, dass bei großen Dichtestörungen die Flüssig-keitsnäherung nicht mehr gültig ist und dass wir bisherein materiedominiertes Universum angenommen haben.Zu frühen Zeiten, d. h. für z � zeq (siehe Gl. 4.54),ist diese Annahme nicht mehr gegeben, und die obi-

3Man kann zeigen, dass für beliebige Werte der Dichteparameter inMaterie und Vakuumsenergie der Wachstumsfaktor die Form

D+(a) ∝ H(t)

H0

a∫0

da′[Ωm/a′ +ΩΛa′2 − (Ωm +ΩΛ −1)

]3/2

besitzt, wobei der Proportionalitätsfaktor aus der BedingungD+(t0) = 1 bestimmt wird.

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282

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

gen Gleichungen müssen für diese frühen Epochenmodifiziert werden.

Beispiel: Einstein–de-Sitter-Universum. Für den spe-ziellen Fall eines Universums mit Ωm = 1, ΩΛ = 0kann man (7.13) explizit lösen. In diesem Fall ista(t) = (t/t0)2/3, so dass(

a

a

)= 2

3t, und ρ(t) = a−3ρcr = 3H2

0

8πG

(t

t0

)−2

;weiterhin ist in diesem Modell t0 H0 = 2/3, so dass sich(7.13) spezialisiert auf

D + 4

3tD − 2

3t2D = 0 . (7.15)

Diese Gleichung kann leicht gelöst werden, indem manals Ansatz D ∝ tq probiert.4 Einsetzen in (7.15) ergibteine quadratische Gleichung für q,

q(q −1)+ 4

3q − 2

3= 0 ,

mit den Lösungen q = 2/3 und q = −1. Die letztereLösung entspricht zeitlich abnehmenden Fluktuationenund soll daher nicht weiter betrachtet werden. Alsofinden wir für das Einstein–de-Sitter-Universum diewachsende Lösung

D+(t) =(

t

t0

)2/3

= a(t) , (7.16)

d. h. in diesem Fall ist der Wachstumsfaktor gleichdem Skalenfaktor. Bei anderen kosmologischen Para-metern ist das nicht mehr der Fall, aber das qualitativeVerhalten ist sehr ähnlich und ist für drei Modelle inAbb. 7.3 dargestellt. Insbesondere können Fluktuatio-nen seit der Rekombination bei z ∼ 1000, woher dieCMB-Photonen stammen, bis heute um etwa einenFaktor ∼ 1000 anwachsen.

Evidenz für Dunkle Materie auf kosmischen Skalen.Heute ist sicherlich δ � 1 auf Skalen von Galaxienhau-fen (∼ 2 Mpc) und δ ∼ 1 auf Skalen von Superhaufen(∼ 10 Mpc). Daher sollte man wegen (7.14) in Ver-bindung mit Abb. 7.3 δ� 10−3 bei z = 1000 erwarten,damit diese Störungen bis heute auf nichtlineare Struk-turen anwachsen können. Aus diesem Grunde würde

4Dieser Ansatz wird nahegelegt, weil die Gleichung (7.15) äqui-dimensional in t ist, d. h. jeder Term hat die Dimension vonD/(Zeit)2.

man ebenfalls erwarten, dass die CMB-Fluktuationenvon ähnlicher Größenordnung sind, ΔT/T � 10−3. Be-obachtet wird aber ΔT/T ∼ 10−5. Die zugehörigenDichtefluktuationen können bis heute nicht genügendstark anwachsen, um nichtlineare Strukturen zu bilden.

Dieser Widerspruch kann durch die Dominanz vonDunkler Materie aufgelöst werden, denn da Photo-nen nur mit der baryonischen Materie wechselwirken,sagt die CMB-Anisotropie (zumindest auf Winkel-skalen unterhalb von ∼ 1◦) im Wesentlichen etwasüber deren Dichtekontrast aus. Die Dunkle Materiekann bei der Rekombination einen größeren Dichtekon-trast haben und Potentialtöpfe bilden, in die nach derRekombination die Baryonen ,,hineinfallen“ können.

7.3 Beschreibungder Dichtefluktuationen

Wir wollen nun die Frage untersuchen, wie manein inhomogenes Universum beschreibt. Diese Auf-gabe klingt zunächst einfacher, als sie in Wirklichkeitist. Denn man muss sich im Klaren darüber sein,dass das Ziel einer solchen theoretischen Beschrei-bung nicht sein kann, die vollständige Funktion δ(x, t)für ein bestimmtes Universum zu beschreiben. KeinModell des Universums wird etwa die Materie-verteilung in der Nähe der Milchstraße im Detailbeschreiben können. Zum Beispiel wird kein Modell,ausgehend von den physikalischen Gesetzen, vorher-sagen können, dass sich im Abstand von ∼ 800 kpcvon der Galaxis eine weitere massereiche Spiralga-laxie befindet. Was man bestenfalls erhoffen kann,ist eine Vorhersage der statistischen Eigenschaftender Materieverteilung, wie beispielsweise die mittlereAnzahldichte von Galaxienhaufen oberhalb einer be-stimmten Masse, oder die Wahrscheinlichkeit, dasses innerhalb eines Abstands von 800 kpc einer mas-sereichen Spiralgalaxie eine weitere gibt. Genausokönnen numerische Modellrechnungen des Univer-sums (s. u.) nicht unser Universum reproduzieren,sondern bestenfalls kosmologische Modelle erzeugen,die die gleichen statistischen Eigenschaften wie unserUniversum besitzen.

Nun ist ziemlich offensichtlich, dass es eine sehrgroße Menge statistischer Eigenschaften des Dichte-feldes gibt, die wir alle betrachten können und von

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7.3 Beschreibung der Dichtefluktuationen

283

denen wir hoffen, dass sie durch das richtige Modellder Strukturbildung im Universum quantitativ erklärtwerden. Damit überhaupt Fortschritt erzielt werdenkann, muss man die statistischen Eigenschaften ,,sortie-ren“ oder klassifizieren. Wie kann man die statistischenEigenschaften eines Dichtefeldes beschreiben?

Man betrachtet zwei Universen, deren Dichtefelder δ

die gleichen statistischen Eigenschaften haben, als äqui-valent. Man könnte sich dann vorstellen, ein ganzes(statistisches) Ensemble von Universen zu betrachten,deren Dichtefelder alle die gleichen statistischen Ei-genschaften haben, wobei jede einzelne Funktion δ(x)

verschieden ist. Man bezeichnet dieses statistische En-semble als Zufallsfeld, und jede spezielle Verteilung, diealle entsprechenden statistischen Eigenschaften besitzt,als Realisation des Zufallfeldes.

Ein Beispiel mag diese Konzepte verdeutlichen. Wirbetrachten die Wellen auf einem großen See. Die statis-tischen Eigenschaften der Wellen – etwa wie viele gibtes mit einer bestimmten Wellenlänge, und wie groß istihre Amplitude – hängen von der Form des Sees, seinerTiefe und der Stärke und Richtung des Windes ab, derüber seine Oberfläche streift. Wenn wir nun annehmen,die Windverhältnisse ändern sich zeitlich nicht, dannsind die statistischen Eigenschaften der Wasseroberflä-che zeitlich konstant. Das heißt aber keineswegs, dassdie Amplitude der Oberfläche als Funktion des Orteskonstant ist. Vielmehr bedeutet es, dass zwei Photo-graphien der Oberfläche, die zu verschiedenen Zeitenaufgenommen werden, statistisch nicht unterschiedenwerden können: Die Verteilung der Amplituden derWellen wird die gleiche sein, und es gibt keine Mög-lichkeit zu entscheiden, welche der beiden Aufnahmenzuerst gemacht wurde. Mit genügend genauer Kenntnisder Topographie und der Windverhältnisse wird man dieVerteilung der Amplituden der Wellen berechnen kön-nen, aber es gibt keinerlei Möglichkeit, die Amplitudeder Wasseroberfläche als Funktion des Ortes zu einembestimmten Zeitpunkt vorherzusagen. Jede Aufnahmedes Sees ist eine Realisierung des Zufallsfeldes, wel-ches durch die statistischen Eigenschaften der Wellencharakterisiert ist.

7.3.1 Korrelationsfunktionen

Galaxien sind nicht zufällig im Raum verteilt, sondernbefinden sich häufig in Gruppen, Haufen oder größe-

ren Strukturen. Anders ausgedrückt bedeutet das, dassdie Wahrscheinlichkeit, am Ort x eine Galaxie zu fin-den, nicht unabhängig davon ist, eine Galaxie in derNähe von x zu finden. Es ist wahrscheinlicher, eine Ga-laxie in der Nähe einer anderen Galaxie zu finden alsan einem beliebigen Punkt. Dieses Phänomen wird sobeschrieben, dass man zwei Punkte x und y betrachtetund zwei Volumenelemente dV an diesen beiden Orten.Falls n die mittlere Dichte von Galaxien ist, so ist dieWahrscheinlichkeit, im Volumenelement dV um x eineGalaxie zu finden,

P1 = n dV ,

unabhängig von x, wenn wir annehmen, dass das Uni-versum statistisch homogen ist. Wir wählen dV so, dassP1 1, die Wahrscheinlichkeit also verschwindend ge-ring ist, in diesem Volumenelement zwei oder mehrGalaxien zu finden.

Die Wahrscheinlichkeit, eine Galaxie im Volumen-element dV am Ort x und gleichzeitig eine Galaxie imVolumenelement dV am Ort y zu finden, ist dann

P2 = (n dV)2 [

1+ ξg(x, y)]

. (7.17)

Wenn die Verteilung der Galaxien unkorreliert wäre,dann ergäbe sich die Wahrscheinlichkeit P2 einfach alsProdukt der Wahrscheinlichkeiten P1, am Ort x und amOrt y jeweils eine Galaxie in den Volumenelementen dVzu finden, P2 = P2

1 . Da die Verteilung aber korreliertist, gilt diese einfache Beziehung nicht, sondern musskorrigiert werden, wie dies in (7.17) geschehen ist.Durch (7.17) wird die Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion(oder oftmals kurz: Korrelationsfunktion) der Galaxienξg(x, y) definiert.

Analog dazu kann auch die Korrelationsfunktion dergesamten Materie definiert werden durch

〈ρ(x) ρ(y)〉 = ρ2 〈[1+ δ(x)] [1+ δ(y)]〉= ρ2 (1+〈δ(x) δ(y)〉)=: ρ2 [1+ ξ(x, y)] , (7.18)

da der Mittelwert (oder Erwartungswert) 〈δ(x)〉 = 0 füralle Orte x.

In diesen Gleichungen bedeuten die spitzen Klam-mern eine Mittelung über ein Ensemble von Verteilun-gen, die alle die gleichen statistischen Eigenschaftenbesitzen. In unserem Beispiel des Sees würde man die

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284

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Korrelationsfunktion der Wellenamplituden an den Or-ten x und y beispielsweise so ermitteln, dass man sehrviele Photographien seiner Oberfläche betrachtet unddas Produkt der Amplituden an diesen beiden Ortenüber diese Realisationen mittelt.

Da das Universum als statistisch homogen betrachtetwird, kann ξ nur von der Differenz x− y abhängen, nichtaber von x und y individuell. Weiterhin kann aufgrundder angenommenen statistischen Isotropie des Univer-sums ξ nur vom Abstand r = |x− y| abhängen, nichtaber von der Richtung des Abstandsvektors x− y. Da-her ist ξ = ξ(r) nur eine Funktion des Abstands zweierPunkte.

Bei einem homogenen Zufallsfeld kann dann dieEnsemble-Mittelung durch ein räumliches Mittel er-setzt werden, d. h. man kann die Korrelationsfunktionbestimmen, indem man über sehr viele Paare vonPunkten mit gegebenem Abstand r das Produkt derDichten mittelt. Die Äquivalenz des Ensemble-Mittelsund des räumlichen Mittels bezeichnet man als Ergodi-zität des Zufallfeldes. Nur sie erlaubt die Messung derKorrelationsfunktion (und aller anderen statistischen

Abb. 7.4. Die Korrelationsfunktion ξg vonGalaxien, wie sie aus dem Las CampanasRedshift Survey ermittelt worden ist. Inder oberen Abbildung ist ξg für kleine bismittlere Abstände zu sehen, in der unte-ren für große Abstände. Gestrichelte undgepunktete Kurven sind jeweils für dennördlichen bzw. südlichen Teil des Surveys,während die gefüllten Dreiecke die Korre-lationsfunktion aus der Kombination beiderangeben. Ein Potenzgesetz mit Steigungγ = 1.52 ist zum Vergleich eingezeichnet(dicke durchgezogene Kurve)

Eigenschaften) in unserem Universum, da wir ja nureine – unsere – Realisation dieses gedachten Ensemblesbeobachten können. Aus den gemessenen Korrelationenzwischen Galaxienpositionen, wie man sie aus spek-troskopischen Rotverschiebungssurveys von Galaxienbestimmt (siehe Abschn. 8.1.2), findet man für Galaxienmit Leuchtkraft ∼ L∗ etwa die Relation (siehe Abb. 7.4)

ξg(r) =(

r

r0

)−γ

, (7.19)

wobei r0 � 5h−1 Mpc die Korrelationslänge bezeichnetund die Steigung etwa γ � 1.8 beträgt. Diese Beziehungist näherungsweise gültig über einen Abstandsbereichvon 2h−1 Mpc� r � 30h−1 Mpc.

Die Korrelationsfunktion bietet also eine Mög-lichkeit, die Struktur der Verteilung der Materieim Universum zu charakterisieren. Neben dieserZwei-Punkt-Korrelationsfunktion kann man auch Kor-relationen höherer Ordnung definieren und kommt dannzu allgemeinen n-Punkt-Korrelationsfunktionen. Diesesind allerdings schwieriger durch Beobachtungen zuermitteln. Man kann zeigen, dass die statistischen Ei-

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7.4 Entwicklung der Dichtefluktuationen

285

genschaften eines Zufallsfeldes vollständig durch dieMenge aller n-Punkt-Korrelationen bestimmt sind.

7.3.2 Das Leistungsspektrum

Eine alternative (und äquivalente) Beschreibung der sta-tistischen Eigenschaften eines Zufallfeldes, und somitder Struktur im Universum, ist das Leistungsspektrum(power spectrum) P(k). Grob gesprochen beschreibtdas Leistungsspektrum P(k) den Grad der Struktur alsFunktion der Längenskala L � 2π/k; je größer P(k),umso größer ist die Amplitude der Fluktuationen aufder Längenskala 2π/k. Dabei ist k eine Wellenzahl.In anderen Worten, man zerlegt die Dichtefluktuatio-nen in eine Summe von ebenen Wellen in der Formδ(x) =∑ ak cos(x ·k) mit Wellenvektor k und Amp-litude ak, und das Leistungsspektrum P(k) beschreibtdie Verteilung der Amplituden mit gleichem k = |k|.Technisch gesprochen handelt es sich um eine Fou-riertransformation. Zurück zum Beispiel der Welleneiner Wasseroberfläche stellt man fest, dass es eine cha-rakteristische Wellenlänge Lc gibt, die sich u. a. ausder Windgeschwindigkeit ergibt. In diesem Fall be-sitzt das Leistungsspektrum ein ausgeprägtes Maximumbei k = 2π/Lc.

Das Leistungsspektrum P(k) und die Korrelations-funktion hängen direkt über eine Fouriertransformationzusammen; formal ergibt sich

P(k) = 2π

∞∫0

dr r2 sin kr

krξ(r) , (7.20)

also als Integral über die Korrelationsfunktion, mit ei-nem von k ∼ 2π/L abhängenden Gewichtsfaktor. Mankann diese Relation auch invertieren und ξ(r) aus P(k)berechnen.

Im Allgemeinen reicht das Leistungsspektrum nichtaus, um die statistischen Eigenschaften des Zufallsfel-des eindeutig zu beschreiben – ebenso wie auch dieKorrelationsfunktion ξ(r) nur eine unvollständige Cha-rakterisierung darstellt. Es gibt aber Zufallsfelder, sogenannte Gaußsche Zufallsfelder, die durch P(k) ein-deutig bestimmt sind. Solche Gaußschen Zufallsfelderspielen in der Kosmologie eine große Rolle, weil manannimmt, dass zu sehr frühen Epochen das Dichtefelddieser Gaußschen Statistik gehorcht.

7.4 Entwicklungder Dichtefluktuationen

P(k) und ξ(r) hängen beide von der kosmologischenZeit bzw. der Rotverschiebung ab, da sich das Dichte-feld im Universum zeitlich entwickelt. Man schreibtdaher die Abhängigkeit von t explizit, P(k, t) undξ(r, t). Nun hängt nach (7.20) P(k, t) linear mit ξ(r, t)zusammen, und ξ wiederum hängt quadratisch vomDichtekontrast δ ab. Wenn wir x als mitbewegtenAbstandsvektor auffassen, so kennen wir die Zeitab-hängigkeit von δ(x, t) aus (7.14), δ(x, t) = D+(t)δ0(x).Daher ist im Rahmen der Gültigkeit von (7.14)

ξ(x, t) = D2+(t) ξ(x, t0) , (7.21)

und dementsprechend

P(k, t) = D2+(t) P(k, t0) =: D2

+(t) P0(k) , (7.22)

wobei k eine mitbewegte Wellenzahl ist. Es sei nochmalsbetont, dass diese Relationen nur gelten im Rahmender Newtonschen, linearen Störungstheorie in der ma-teriedominierten Phase des Universums, auf die wir unsbei der Betrachtung in Abschn. 7.2.2 beschränkt hatten.Gleichung (7.22) besagt, dass die Kenntnis von P0(k)ausreicht, um das Leistungsspektrum P(k, t) für alleZeiten zu kennen, wiederum im Rahmen der linearenStörungstheorie.

7.4.1 Das anfängliche Leistungsspektrum

Das Harrison–Zeldovich-Spektrum. Es mag zuerstso erscheinen, als sei P0(k) eine willkürlich wähl-bare Funktion, aber ein Ziel der Kosmologie ist es,dieses Leistungsspektrum zu berechnen und es mitder Beobachtung zu vergleichen. Bereits vor mehrals dreißig Jahren wurden Argumente entwickelt, diefunktionale Form des anfänglichen Leistungsspektrumsfestzulegen.

Die Expansion des Universums folgt zu frühenZeiten einem Potenzgesetz, a(t) ∝ t1/2 in der strah-lungsdominierten Ära. Es gab damals keine natürlicheLängenskala im Universum, mit der man eine Wellen-länge vergleichen könnte. Die einzigen mathematischenFunktionen, die von einer Länge abhängen, aber keine

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286

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

charakteristische Skala enthalten, sind Potenzgesetze,so dass man zu sehr frühen Zeiten

P(k) ∝ kn (7.23)

erwarten sollte. Schon vor vielen Jahren argumentiertenHarrison, Zeldovich und andere aufgrund von Skalie-rungsrelationen, dass n = 1 sein sollte – das Spektrum(7.23) mit n = 1 nennt man daher Harrison–Zeldovich-Spektrum. Beispielsweise kann man einen Zeitpunkt tiirgendwann nach Abschluss der Inflation wählen undschreiben

P(k, ti) = D2+(ti) A k , (7.24)

wobei A eine Normierungskonstante ist, die nicht ausder Theorie bestimmt werden kann, sondern durch Be-obachtungen festgelegt werden muss. Nimmt man dieGültigkeit von (7.22) an, so würde gelten

P0(k) = A k .

Die Transferfunktion. Allerdings muss diese Relationaus verschiedenen Gründen modifiziert werden. In derlinearen Störungstheorie, die zu δ(x, t) = D+(t) δ0(x)

führte, haben wir die Gültigkeit der NewtonschenDynamik angenommen, allein die materiedominierteEpoche des Universums betrachtet und Druckterme ver-nachlässigt. Die Entwicklung von Störungen verläuftjedoch anders im strahlungsdominierten Kosmos, ab-hängig auch von der Skala der Störungen im Vergleichzur Länge des Horizonts, so dass ein Korrekturtermeingeführt werden muss von der Form

P0(k) = A k T 2(k) . (7.25)

T(k) heißt Transferfunktion; diese kann für jedes kos-mologische Modell berechnet werden, wenn man denMaterieinhalt des Universums spezifiziert. Insbeson-dere hängt T(k) von der Natur der Dunklen Materieab. Man unterscheidet zwischen Kalter Dunkler Ma-terie (cold dark matter, CDM) und Heißer DunklerMaterie (hot dark matter, HDM). Diese beiden Artender Dunklen Materie unterscheiden sich hinsichtlichder thermischen Geschwindigkeiten ihrer Konstituentenzum Zeitpunkt teq, wo Materie und Strahlung die gleicheDichte hatten. Die Teilchen der CDM waren zu diesemZeitpunkt nicht-relativistisch, während die der HDMGeschwindigkeiten der Größenordnung c besaßen. Falls

die Dunkle Materie aus schwach-wechselwirkendenElementarteilchen besteht, ist der Unterschied zwi-schen CDM und HDM von der Masse m der Teilchenabhängig. Falls m die Relation

mc2 � kBT(teq) � kB ×2.73 K (1+ zeq)

= kB ×2.73 K×23 900 Ωmh2 ∼ 6Ωmh2 eV

erfüllt, handelt es sich um CDM, während die umge-kehrte Ungleichung die HDM charakterisieren würde;beispielsweise gehören die Neutrinos zur HDM. Diewichtige Unterscheidung zwischen HDM und CDMfolgt aus den nachfolgenden Überlegungen.

Falls die Dichtefluktuationen auf einer bestimmtenSkala zu groß werden, bricht die lineare Störungstheoriezusammen und (7.25) gilt nicht mehr. Dann weicht daswahre heutige Leistungsspektrum P(k, t0) von P0(k)ab. Trotzdem ist die Größe P0(k) auch in diesem Fallnützlich zu betrachten – man nennt sie dann das linearextrapolierte Leistungsspektrum.

7.4.2 Anwachsen der Dichtestörungen

Im Rahmen der linearen Newtonschen Störungstheorieder ,,kosmischen Flüssigkeit“ gilt δ(x, t) = D+(t) δ0(x).Modifikationen dieses Verhaltens sind aus mehrerenGründen notwendig:

• Falls die Dunkle Materie aus relativistischen Teil-chen besteht, werden diese nicht im Potentialtopfeiner Dichtekonzentration gravitativ gebunden. Siekönnen in diesem Fall frei strömen, entkommen so-mit dem Potentialtopf und lösen diesen dabei auf,falls sie selbst die Materieüberdichte dominieren.Daraus folgt sofort, dass sich für HDM keine klein-skaligen Dichtestörungen bilden können. Für CDMdagegen tritt dieser Effekt nicht auf.

• Bei Rotverschiebungen z � zeq dominiert die Strah-lung im Universum. Weil dann das Expansions-gesetz a(t) stark verschieden ist von dem in dermateriedominierten Phase, ändert sich auch dieAnwachsrate der Dichtefluktuationen.

• Wie in Abschn. 4.5.2 diskutiert wurde, gibt es einenHorizont der mitbewegten Ausdehnung rH,com(t).Physikalische Wechselwirkungen können nur aufSkalen kleiner als rH,com(t) stattfinden. Die Newton-sche Störungstheorie ist sicherlich nicht mehr gültigfür Fluktuationen mit Längenskalen L ∼ 2π/k �

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7.4 Entwicklung der Dichtefluktuationen

287

rH,com(t), und man muss lineare Störungstheorieim Rahmen der Allgemeinen Relativitätstheoriebetrachten.

CDM und HDM. Aus dem ersten dieser Punkte schließtman sofort, dass es einen klaren Unterschied gebenmuss zwischen der Strukturbildung und -entwicklung inHDM- und CDM-Modellen. In HDM-Modellen werdenkleinskalige Fluktuationen durch das freie Strömen derrelativistischen Teilchen ausgewaschen, d. h. das Leis-tungsspektrum wird für große k vollständig unterdrückt,was sich dadurch ausdrückt, dass die Transferfunk-tion T(k) exponentiell abfällt für große k. Im Rahmeneiner solchen Theorie bilden sich sehr große Struktu-ren zuerst, und Galaxien können sich erst später durchFragmentation aus den großen Strukturen bilden. Einsolches Szenario der Strukturbildung ist aber im Wider-spruch mit Beobachtungen, denn wir sehen Galaxienund QSOs schon bei z ∼ 6.

Heiße Dunkle Materie führt zu einer Struktur-bildung, die der beobachteten nicht entspricht;man kann daher HDM als dominante Komponenteder Dunklen Materie ausschließen. Deshalb wirdheute allgemein angenommen, dass die DunkleMaterie kalt ist. Die Erfolge des CDM-Szenariosbeim Vergleich zwischen Modell und Beobachtungrechtfertigen dies, wie wir noch erläutern werden.

Im Rahmen der linearen Störungstheorie wachsendie Fluktuationen auf jeder Skala, oder mit jeder Wel-lenzahl, voneinander unabhängig an. Dies gilt nicht nurim Newtonschen Fall, sondern bleibt auch in Rahmender Allgemeinen Relativitätstheorie gültig, solange dieFluktuationsamplituden klein sind. Man kann daher dasVerhalten auf einer (mitbewegten) Längenskala unab-hängig von allen anderen Skalen betrachten. Störungenmit einer mitbewegten Skala L sind zu sehr frühen Zei-ten größer als der (mitbewegte) Horizont, und erst fürz < zenter(L) ist der Horizont größer als die betrach-tete Skala L. Dabei ist die Rotverschiebung zenter(L)

definiert durch die Gleichung

rH,com(zenter(L)) = L , (7.26)

also als diejenige Rotverschiebung, bei der der(mitbewegte) Horizont gleich der (mitbewegten) Län-

genskala L ist. Man sagt, bei zenter(L) tritt diebetrachtete Störung in den Horizont ein, wobei derProzess eigentlich umgekehrt verläuft – der Horizontwächst über die Störung hinaus. Die relativistischeStörungstheorie ergibt, dass Dichtefluktuationen derSkala L anwachsen, solange L > rH,com ist, undzwar ∝ a2, falls die Strahlung dominiert (also fürz > zeq), und ∝ a, wenn die Materie dominiert (alsobei z < zeq). Frei strömende Teilchen oder Druckgra-dienten können das Anwachsen auf Skalen oberhalbder Horizontlänge nicht behindern, denn entsprechendder Definition des Horizonts können sich physikalischeWechselwirkungen – wie etwa Druck oder freiströ-mende Teilchen – nicht auf Skalen ausbreiten, diegrößer als die Horizontlänge sind.

Qualitatives Verhalten der Transferfunktion. DasVerhalten des Anwachsens einer Dichtestörung derSkala L für z < zenter(L) hängt von zenter selbst ab.Falls zeq � zenter(L) ist, kann die Fluktuation in derEpoche zeq � z � zenter(L) nicht anwachsen. In die-ser Periode wird die Energiedichte im Universum vonder Strahlung dominiert, und die resultierende Ex-pansionsrate verhindert ein effizientes Anwachsen derStörung, die erst für z � zeq wieder wachsen kann.Falls zenter(L)� zeq, also die Störungen in der mate-riedominierten Epoche des Universums in den Horizonteintreten, wachsen diese Störungen wie in Abschn. 7.2.2beschrieben an, also δ ∝ D+(t). Daraus ergibt sich, dasses eine ausgezeichnete Längenskala L0 gibt, nämlichdie, für die

zeq = zenter(L0) (7.27)

gilt, oder

L0 = rH,com(zeq) = c√2H0

1√(1+ zeq)Ωm

� c√2H0

1√23 900 Ωmh

� 12(Ωmh2)−1

Mpc ,

(7.28)

wobei der Ausdruck für rH,com(z) die Relation (4.69)verallgemeinert und (4.54) für zeq benutzt wurde.

Dichtefluktuationen mit L > L0 treten in den Ho-rizont ein, nachdem die Materie die Energiedichteim Universum dominiert; ihr Anwachsen wird alsonicht behindert durch eine Phase der Strahlungsdomi-nanz. Im Gegensatz dazu treten Dichtefluktuationen mit

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288

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

L < L0 zu einem Zeitpunkt in den Horizont ein, wodie Strahlung dominiert. Diese können dann zunächstnicht weiter anwachsen, so lange z > zeq gilt, und erstin der materiedominierten Epoche steigt ihre Ampli-tude wieder an. Ihr relatives Anwachsen bis heute istalso kleiner als für Fluktuationen mit L > L0 (sieheAbb. 7.5). Die quantitative Betrachtung dieser Effekteerlaubt es, die Transferfunktion T(k) zu berechnen. ImAllgemeinen muss dies numerisch geschehen, aber esgibt sehr genaue Näherungsformeln. Zwei Grenzfällesind analytisch leicht handhabbar,

T(k) ≈ 1 für k 1/L0 ,

T(k) ≈ (kL0)−2 für k � 1/L0 ; (7.29)

entscheidend ist jedoch:

Im Rahmen des CDM-Modells kann die Trans-ferfunktion, und damit mittels (7.25) auch dasLeistungsspektrum der Dichtefluktuationen alsFunktion der Längenskala und der Rotverschiebungberechnet werden, bis auf die Amplitude, die ausBeobachtungen ermittelt werden muss.

Abb. 7.5. Eine Dichtestörung, die in der strahlungsdominier-ten Epoche des Universums in den Horizont eintritt, kanndanach so lange nicht weiter anwachsen, bis die Materie denEnergieinhalt des Universums dominiert. Im Vergleich zu ei-ner Störung, die erst in der materiedominierten Epoche inden Horizont eintritt, ist daher die Amplitude der kleinerenStörung um einen Faktor (aeq/aenter)

2 unterdrückt, was dasqualitative Verhalten (7.29) der Transferfunktion erklärt

Der Formparameter. Die Transferfunktion hängt vonder Kombination kL0 ab, also von k(Ωmh2)−1. Da mit-tels der Rotverschiebung bestimmte Entfernungen inEinheiten von h−1 Mpc gemessen werden, hängt dieForm der Transferfunktion, also auch das Leistungs-spektrum, von Γ = Ωmh ab. Man bezeichnet Γ als denFormparameter (shape parameter) des Leistungsspek-trums und benutzt ihn manchmal als freien Parameter,anstatt ihn mit Ωmh gleichzusetzen. Eine detaillierteBetrachtung zeigt, dass Γ auch von Ωb abhängt, aberda Ωb entsprechend der primordialen Nukleosynthese(siehe Abschn. 4.4.4) klein ist (Ωb � 0.05), ist dieserEinfluss relativ gering und wird oftmals vernachlässigt.

Falls die Galaxienverteilung der Verteilung derDunklen Materie folgt, kann man aus ihr die Korrela-tionsfunktion bzw. das Leistungsspektrum bestimmen.Sowohl aus der an der Sphäre projizierten Verteilungder Galaxien (Winkelkorrelationsfunktion) als auch ausderen drei-dimensionaler Verteilung (die aus Rotver-schiebungssurveys bestimmt wird) findet man Werteim Bereich Γ ∼ 0.15–0.25. Aus T(k) ≈ 1 für kL0 1findet man mit (7.25), dass P(k) ∝ k für kL0 1. Die-ses Verhalten ist mit den CMB-Anisotropiemessungenvon COBE auf großen Skalen verträglich, wie wirin Kapitel 8 noch im Detail erläutern werden. InAbb. 7.6 ist das Leistungsspektrum für mehrere kos-mologische Modelle aufgetragen, die sich in denDichteparametern, dem Formparameter und der Nor-mierung des Leistungsspektrums unterscheiden. Diedünnen Kurven zeigen P(k), wie man es aus der linea-ren Störungstheorie berechnet, während die dickerenKurven das Leistungsspektrum unter Berücksichtigungder nichtlinearen Strukturentwicklung darstellen. Diedargestellten Leistungsspektren haben eine charakteris-tische Wellenzahl, bei der sich die Steigung von P(k)ändert, und diese ist durch ∼ 2π/L0 gegeben, wo-bei die charakteristische Länge L0 in (7.28) definiertwurde.

Neben reinen CDM- und (allerdings durch Beob-achtungen ausgeschlossenen) HDM-Modellen gibt essolche, die von CDM dominiert sind, die aber einen(kleinen) Beitrag von HDM haben; solche werden alsmixed dark matter (MDM)-Modelle bezeichnet. Ein sol-cher kleiner Beitrag ist inzwischen durch die endlicheRuhemasse der Neutrinos tatsächlich Teil des Mo-dells, denn diese impliziert 0 < Ων 1. Dadurch wirdT(k) dahingehend verändert, dass kleine Skalen (d. h.

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

289

Abb. 7.6. Das heutige Leistungsspektrum der Dichtefluktua-tionen für CDM-Modelle. Die Wellenzahl k ist in Einheitenvon H0/c gegeben, und (c/H0)

3 P(k) ist dimensionslos. Dieverschiedenen Kurven unterscheiden sich in den kosmolo-gischen Parametern: EdS hat Ωm = 1, ΩΛ = 0; OCDM hatΩm = 0.3, ΩΛ = 0; ΛCDM hat Ωm = 0.3, ΩΛ = 0.7; dieZahlen in den Klammern bedeuten (σ8, Γ), wobei σ8 die nochspäter zu besprechende Normierung des Leistungsspektrumsangibt und Γ der Formparameter ist. Die dünnen Kurvenentsprechen dem linear nach heute extrapolierten Leistungs-spektrum P0(k), während die dicken Kurven die nichtlineareEntwicklung berücksichtigen

große k) im Leistungsspektrum etwas unterdrückt wer-den. Wir werden später noch sehen, dass man aufgrundder Beobachtungen des Leistungsspektrums die Ruhe-masse der Neutrinos sehr gut einschränken kann, und inder Tat ergeben kosmologische Beobachtungen die beiweitem besten Massenschranken an die Neutrinos.

Dichteverteilung der Baryonen. Die Entwicklung derDichtefluktuationen der Baryonen unterscheidet sichvon der der Dunklen Materie. Der wesentliche Grunddafür besteht in der Wechselwirkung der Baryonenmit den Photonen: Obwohl für z < zeq die Materie-dichte dominiert, ist die Dichte der Baryonen auchnoch längere Zeit danach kleiner als die der Strah-lung, etwa bis zur Rekombination. Da Photonen undBaryonen durch Photonenstreuung an freien Elektro-nen, die wiederum elektromagnetisch an Protonen undHelium-Kerne gekoppelt sind, miteinander wechselwir-ken und die Strahlung nicht in die Potentialtöpfe derDunklen Materie hineinfallen kann, werden Baryonenebenfalls daran gehindert. Die Baryonen sind also dem

Druck der Photonen ausgesetzt. Die Dichteverteilungder Baryonen ist daher sehr viel glatter als die derDunklen Materie. Erst nach der Rekombination entfälltdie Wechselwirkung mit den Photonen, und die Ba-ryonen können dann in die Potentialtöpfe der DunklenMaterie fallen, d. h. einige Zeit später wird die Ver-teilung der Baryonen und der Dunklen Materie sehrähnlich sein.

Die lineare Theorie der Entwicklung von Dichte-fluktuationen bricht spätestens dann zusammen, wenn|δ| ∼ 1; deshalb gelten die obigen Gleichungen für dasLeistungsspektrum P(k, t) ebenfalls nur dann, wenndie entsprechenden Fluktuationen klein sind. Es exis-tieren aber inzwischen sehr genaue Näherungsformelnfür P(k, t), die auch für den nichtlinearen Bereich gül-tig sind. Für einige kosmologische Modelle ist dasnichtlineare Leistungsspektrum in Abb. 7.6 dargestellt.

7.5 Nichtlineare Strukturbildung

Die lineare Störungstheorie ist nur begrenzt anwendbar;insbesondere ist die Entwicklung von Strukturen wiez. B. Galaxienhaufen nicht mit der linearen Störungs-theorie erfassbar. Man könnte nun auf die Idee kommen,die Gleichungen (7.2–7.4) zu höheren Ordnungen in den,,kleinen“ Größen δ und |u| zu entwickeln und somitnichtlineare Störungstheorie zu betreiben. Tatsächlichgibt es dazu eine relativ umfangreiche Literatur, wo diesauch durchgeführt worden ist. Es ist aber zu bemerken,dass man mit dieser höheren Störungstheorie die Dich-tefluktuationen zwar zu etwas größeren Werten von |δ|verfolgen kann, aber der Erfolg dieser Theorie recht-fertigt i. A. den großen mathematischen Aufwand nicht.Hinzu kommt, dass die Flüssigkeitsnäherung nicht mehrgültig ist, wenn sich gravitativ gebundene Systemebilden, weil dann Mehrfachströmungen auftreten, wiebereits erwähnt.

Es gibt allerdings analytische Beschreibungen, diedie nichtlineare Evolution der Massenverteilung imUniversum in einigen Grenzfällen wiedergeben. Einspezielles und sehr wichtiges solches nichtlineares Mo-dell soll hier betrachtet werden. Im Allgemeinen mussdie nichtlineare Strukturentwicklung allerdings mitnumerischen Methoden studiert werden, und wir wer-den einige Aspekte solcher numerischen Simulationendiskutieren.

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290

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

7.5.1 Modell des sphärischen Kollaps

Wir betrachten innerhalb eines expandierenden Uni-versums ein sphärisches Gebiet, dessen Dichte ρ(t)gegenüber der mittleren kosmischen Dichte ρ(t) erhöhtist,

ρ(t) = [1+ δ(t)] ρ(t) , (7.30)

wobei wir den Dichtekontrast δ wie in (7.1) definiertbenutzt haben. Der Einfachheit halber nehmen wir an,dass die Dichte innerhalb der Kugel homogen ist; dochwerden wir später sehen, dass dies keine wirklicheEinschränkung bedeutet. Für kleine t sei die Dichte-störung klein, so dass sie zunächst linear anwächst,δ(t) ∝ D+(t), solange δ 1 ist. Wenn wir einen sol-chen frühen Zeitpunkt ti betrachten, so dass δ(ti) 1,dann ist δ(ti) = δ0 D+(ti), wobei δ0 der linear nach heuteextrapolierte Dichtekontrast ist. Dabei sei nochmals be-merkt, dass δ0 �= δ(t0), da letzterer durch die nichtlineareEntwicklung bestimmt ist.

Sei Rcom der anfängliche mitbewegte Radius derüberdichten Kugel; solange δ 1, ändert sich der mit-bewegte Radius nur sehr wenig. Die Masse innerhalbder betrachteten Kugel ist

M = 4π

3R3

comρ0 (1+ δi) ≈ 4π

3R3

comρ0 , (7.31)

da der physikalische Radius R = aRcom und ρ = ρ0/a3

ist. Das bedeutet, es gibt eine eindeutige Relation zwi-schen dem mitbewegten Radius und der Masse dieserKugel, unabhängig von der Wahl von ti und von δ0,solange nur δ(ti) = δ0 D+(ti) 1 gewählt wird.

Wegen der erhöhten Gravitationskraft wird die Ku-gel etwas langsamer expandieren als das Universumals Ganzes, und dies führt zu einer Erhöhung desDichtekontrasts, was wiederum die Expansionsrateweiter verlangsamt relativ zur kosmischen Expansions-rate. Tatsächlich sind die Bewegungsgleichungen fürden Radius der Kugel identisch mit den Friedmann-Gleichungen für die kosmische Expansion, nur dass dieKugel ein anderes effektives Ωm hat als das Universumim Mittel. Falls die anfängliche Dichte genügend großist, kommt die Expansion der Kugel zum Stillstand, d. h.R(t) erreicht ein Maximum; danach kollabiert die Kugelwieder.

Sei tmax der Zeitpunkt der maximalen Expansion, sofällt die Kugel zum Zeitpunkt tcoll = 2tmax theoretisch

auf einen Punkt zusammen. Die Relation tcoll = 2tmax

folgt aus der Zeitsymmetrie der Bewegungsgleichung:Die Zeit bis zur maximalen Expansion ist gleich derZeit von dort bis zum Kollaps. Die Frage, ob die Ex-pansion der Kugel zum Stillstand kommt, hängt vomDichtekontrast δ(ti) bzw. δ0 ab – vergleiche die Diskus-sion der Expansion des Universums in Abschn. 4.3.1 –und vom kosmischen Hintergrundmodell.

Spezialfall: Einstein–de-Sitter-Universum. Für denSpezialfall Ωm = 1 und ΩΛ = 0 kann man dieses Ver-halten analytisch leicht quantifizieren, weswegen dieserFall hier gesondert behandelt wird. In diesem Uni-versum ist jede Kugel mit δ0 > 0 ein ,,geschlossenesUniversum“ und wird daher irgendwann rekollabieren.Damit der Kollaps vor einem Zeitpunkt t1 stattfin-det, muss allerdings δ(ti) bzw. δ0 einen Grenzwertüberschreiten. Beispielsweise benötigt man für einenKollaps mit tcoll ≤ t0 eine linear extrapolierte Überdichtevon

δ0 ≥ δc = 3

20(12π)2/3 � 1.69 . (7.32)

Allgemeiner findet man, dass δ0 ≥ δc (1+ z) geltenmuss, damit der Kollaps schon vor der Rotverschie-bung z stattgefunden hat.

Violent Relaxation und viriales Gleichgewicht. Na-türlich fällt die Kugel nicht wirklich auf einen Punktzusammen. Dies wäre nur dann der Fall, falls die Ku-gel perfekt homogen und die Teilchen der Kugel eineperfekte radiale Bewegung ausführen würden. Tatsäch-lich wird es innerhalb einer solchen Kugel kleinskaligeDichte- und gravitative Fluktuationen geben. Dieseführen zu einer Abweichung der Teilchenbahnen vonperfekten radialen Orbits, ein Effekt, der umso wich-tiger wird, je größer die Dichte der Kugel wird. DieTeilchen ,,streuen“ an diesen Fluktuationen des Gravi-tationsfeldes und virialisieren; dieser Prozess der violentrelaxation wurde bereits in Abschn. 6.2.6 beschriebenund findet auf kleinen Zeitskalen statt, in etwa der dy-namischen Zeitskala, also der Zeit, die die Teilchenbrauchen, um einmal die Kugel zu durchqueren. In die-sem Fall ist die Virialisierung praktisch abgeschlossenzum Zeitpunkt tcoll. Dann befindet sich die Kugel im vi-

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

291

rialen Gleichgewicht, und ihre mittlere Dichte beträgtdanach

〈ρ〉 = (1+ δvir) ρ(tcoll) ,

wobei (1+ δvir) � 178Ω−0.6m (7.33)

ist.5 Diese Beziehung ist der Grund, weshalb manbeispielsweise bei einem Galaxienhaufen sagt, dassdas virialisierte Gebiet eine Sphäre ist, deren mitt-lere Dichte ∼ 200 Mal der kritischen Dichte ρcr desUniversums zum Zeitpunkt des Kollaps ist. Eine wei-tere Schlussfolgerung aus dieser Betrachtung ist, dassein massereicher Galaxienhaufen mit einem Virialra-dius von 1.5 h−1 Mpc aus dem Kollaps eines Gebietesstammt, dessen mitbewegter Radius etwa sechs Malgrößer war, also knapp 10 h−1 Mpc. Man bezeichneteine solche virialisierte Massenkonzentration DunklerMaterie als Halo Dunkler Materie.

Wir haben bisher den Kollaps einer homogenenKugel betrachtet. Aus den oben dargestellten Überle-gungen kann man sich leicht davon überzeugen, dassdieses Modell auch noch dann gültig ist, wenn die Ku-gel einen radialen Dichtegradienten besitzt, etwa wenndie Dichte nach außen hin abnimmt. Dadurch nimmtauch der anfängliche Dichtekontrast als Funktion desRadius nach außen hin ab. In diesem Fall kollabierendie inneren Teile der Kugel schneller als die äußeren,es bildet sich zuerst ein Halo kleinerer Masse, und erstspäter, wenn auch die äußeren Gebiete kollabiert sind,entsteht ein Halo größerer Masse. Daraus folgt, dassHalos mit anfänglich kleiner Masse durch Akkretionweiterer Materie an Masse zunehmen.

Das sphärische Kollapsmodell ist ein einfachesModell für die nichtlineare Entwicklung einer Dichte-störung im Universum. Obgleich sehr vereinfacht, gibtes die wesentlichen Züge des gravitativen Kollaps wie-der, wie sie auch in numerischen Simulation gefundenwerden.

5Dieses Ergebnis erhält man aus der Energieerhaltung und dem Vi-rialsatz. Die Gesamtenergie Etot der Kugel ist eine Konstante, undzum Zeitpunkt der maximalen Ausdehnung allein durch die dann ent-haltene gravitative Bindungsenergie der Kugel gegeben, da in diesemMoment die Expansionsgeschwindigkeit, und damit die kinetischeEnergie, verschwindet. Andererseits folgt aus dem Virialsatz, dassim virialen Gleichgewicht Ekin = −Epot/2, und zusammen mit derEnergieerhaltung Etot = Ekin + Epot kann dann Epot im Gleichge-wicht berechnet werden, und daher auch der Radius und die Dichteder kollabierten Kugel.

7.5.2 Anzahldichte von Halos Dunkler Materie

Press–Schechter-Modell. Das Modell des sphärischenKollaps erlaubt eine näherungsweise Berechnung derAnzahldichte von Halos Dunkler Materie in Abhängig-keit von deren Masse und ihrer Rotverschiebung; diesesModell wird Press–Schechter-Modell genannt.

Wir betrachten dazu ein Dichtefluktuationsfeldδ0(x), welches Fluktuationen auf allen Skalen auf-weist, entsprechend dem Leistungsspektrum P0(k).Angenommen, wir glätten dieses Feld mit einer mit-bewegten Glättungslänge R, indem wir es mit einerFilterfunktion dieser Skala falten. In unserem Beispielder Wellen auf einem See könnten wir eine Aufnahmeder Oberfläche des Sees durch eine Milchglasscheibebetrachten, wodurch alle Konturen auf kleinen Ska-len verschwimmen würden. Dann sei δR(x) das sogeglättete, linear nach heute extrapolierte Dichtefluk-tuationsfeld. Dieses Feld weist keine Fluktuationenauf Skalen � R auf, denn über diese wurde ja ge-mittelt. Jedes Maximum von δR(x) entspricht einemPeak mit einer charakteristischen Skala � R, undentsprechend (7.31) gehört zu diesem Maximum einMassenpeak der Masse M ∼ (4πR3/3)ρ0. Falls dieAmplitude δR des Dichtemaximums genügend großist, wird eine Kugel mit (mitbewegtem) Radius Rum den Peak vom linearen Wachstum der Dichtefluk-tuationen abkoppeln und nichtlinear anwachsen. IhreExpansion wird dann zum Stillstand kommen und da-nach rekollabieren. Dieser Prozess findet in ähnlicherWeise statt wie im sphärischen Kollapsmodell und wirddurch dieses angenähert beschrieben. Der zum Kol-laps notwendige Dichtekontrast δR ≥ δmin lässt sich fürjedes kosmologische Modell und für jeden Zeitpunktberechnen.

Falls die statistischen Eigenschaften von δ0(x)

Gaußsch sind – was aus vielen verschiedenen Grün-den erwartet wird – sind alle statistischen Eigenschaftendes Fluktuationsfeldes δ0 durch das Leistungsspek-trum P(k) festgelegt, und man kann die Anzahldichtevon Dichtemaxima mit δR ≥ δmin berechnen und daherdie (mitbewegte) Anzahldichte n(M, z) von relaxiertenHalos Dunkler Materie im Universum als Funktion derMasse M und der Rotverschiebung z bestimmen.

Das Massenspektrum. Die wichtigsten Resultate die-ses Press–Schechter-Modells kann man leicht erläutern

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292

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

(siehe Abb. 7.7). Die Anzahldichte von Halos mitMasse M hängt natürlich von der Amplitude der Dich-tefluktuationen δ0 ab – d. h. von der Normierung desLeistungsspektrums P0(k). Daher kann die Normie-rung von P0(k) durch den Vergleich der Vorhersagedes Press–Schechter-Modells mit der beobachteten An-zahldichte von Galaxienhaufen festgelegt werden, wiewir noch in Abschn. 8.2.1 diskutieren werden. Manspricht in diesem Fall von der ,,Haufennormierungdes Leistungsspektrums“ (cluster-normalized powerspectrum).

Weiterhin findet man, dass je größer M, umsokleiner ist n(M, z). Dies folgt sofort aus der obigenBetrachtung, denn zu größerem M gehört eine grö-ßere Glättungslänge R. Die Anzahl der Maxima mit

Abb. 7.7. Aus dem Press-Schechter-Modell berechnete An-zahldichte von Halos Dunkler Materie mit Masse > M.Die mitbewegte Anzahldichte der Halos ist für drei ver-schiedene Rotverschiebungen gezeigt, z = 0 (jeweils obereKurven), z = 0.33 und z = 0.5 (jeweils untere Kurven), fürdrei verschiedene kosmologische Modelle: einem Einstein–deSitter-Modell (durchgezogene Kurven), einem offenen Modellmit Ωm = 0.3 und ΩΛ = 0 (gepunktete Kurven) sowie einemflachen Universum kleiner Dichte, mit Ωm = 1−ΩΛ = 0.3(gestrichelte Kurven). Die Normierung des Dichtefluktua-tionsfeldes wurde so gewählt, dass in allen Modellen dieAnzahldichte der Halos mit M > 1014h−1 M� mit der lo-kalen Anzahldichte von Galaxienhaufen übereinstimmt. Zubeachten ist die dramatische z-Entwicklung im EdS-Modell

fester Amplitude δmin nimmt aber mit größerer Glät-tungslänge ab. Für große M fällt n(M, z) exponentiellab, da genügend hohe Peaks bei großer Glättungslängesehr selten werden. Daher gibt es sehr wenige Hau-fen mit einer Masse � 2×1015 M�. Aus der Abb. 7.7entnehmen wir, dass die Anzahldichte von Haufen mitM � 1015 M� heute etwa 10−7 Mpc−3 beträgt, der mitt-lere Abstand zweier solcher Haufen daher größer ist als100 Mpc, was verträglich ist mit der Beobachtung, dassder nächste massereiche Haufen (Coma) etwa 90 Mpcvon uns entfernt ist.

Der notwendige Dichtekontrast δmin für einen Kol-laps vor der Rotverschiebung z ist eine Funktion von z,wie wir oben gesehen haben. Insbesondere gilt fürdas Einstein–de-Sitter-Universum δmin � 1.69(1+ z).Im Allgemeinen ist δmin = δc/D+(z), wobei δc undD+(z) jeweils vom kosmologischen Modell abhän-gen. Das bedeutet, die Rotverschiebungsabhängigkeitvon δmin ist abhängig vom kosmologischen Modellund wird im Wesentlichen durch den WachstumsfaktorD+(z) beschrieben. Da D+(z) bei festem z [wir erin-nern daran, dass D+(0) = 1 laut Definition] größer istfür kleinere Ωm (siehe Abb. 7.3), ist das Verhältnis derAnzahldichte von Halos bei Rotverschiebung z zu derheutigen, n(M, z)/n(M, 0), umso größer, je kleiner Ωm

ist. Für Haufenmassen (M ∼ 1015 M�) ist die Entwick-lung dieses Verhältnisses im Einstein–de-Sitter-Modelldramatisch, während sie in offenen und in flachen,Λ-dominierten Universen weniger stark ausfällt (sieheAbb. 7.7).

Durch einen Vergleich der Anzahldichte von Ga-laxienhaufen bei hoher Rotverschiebung und der vonheute kann man daher Einschränkungen an Ωm undin gewisser Weise auch an ΩΛ erhalten. Schon we-nige sehr massereiche Haufen bei z � 0.5 reichenaus, um das Einstein–de-Sitter-Modell mit diesemArgument auszuschließen. In der Tat ist die Exis-tenz des Haufens MS1054−03 (Abb. 6.14), dessenMasse mit dynamischen Methoden, durch die Rönt-genemission und mittels des Linseneffekts vermessenwurde – siehe Kapitel 6 – beinahe bereits ausreichend,das Einstein–de-Sitter-Modell zu falsifizieren (sieheAbb. 7.8). Allerdings gibt es mindestens ein Problemdieser Methode, nämlich die genügend genaue Mas-senbestimmung von entfernten Haufen und zusätzlichdie Feststellung, dass sie relaxiert sind und daher vomPress–Schechter-Modell berücksichtigt werden. Eben-

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

293

Abb. 7.8. Erwartete (mitbewegte) Anzahldichte von Gala-xienhaufen mit Masse > 8×1014h−1 M� innerhalb eines(mitbewegten) Radius von R < 1.5h−1 Mpc, für flachekosmologische Modelle und verschiedene Werte des Dich-teparameters Ωm. Die Normierung des Leistungsspektrumsin den Modellen wurde so gewählt, dass sie die heutige Hau-fendichte in etwa richtig wiedergeben. Die eingezeichnetenPunkte stammen aus Beobachtungen von Galaxienhaufen ver-schiedener Rotverschiebung – obgleich die Fehlerbalken beihoher Rotverschiebung sehr groß sind, scheint ein Universumhoher Dichte ausgeschlossen zu sein

falls ist die Vollständigkeit des lokalen Haufensamplesein mögliches Problem.

Ein Spezialfall. Um einen konkreten Eindruck vomPress–Schechter-Massenspektrum zu erhalten, betrach-ten wir den Spezialfall, dass das LeistungsspektrumP0(k) als Potenzgesetz geschrieben werden kann,P0(k) ∝ kn . Aus der Abb. 7.6 entnimmt man, dass diesüber einen weiten Bereich von k eine recht gute Be-schreibung ergibt, wenn man sich entweder auf Skalenweit oberhalb oder weit unterhalb des Maximums vonP0 konzentriert. Die Längenskala, bei der P0 das Ma-ximum annimmt, ist in etwa durch (7.28) gegeben.Wie wir weiterhin aus der Abb. 7.6 ablesen können,ist die nichtlineare Entwicklung, auf die sich ja dasPress–Schechter-Modell bezieht, nur für Skalen deut-lich kleiner als dieses Maximum relevant, so dassdie Annahme des Potenzgesetzes eine brauchbare Nä-herung darstellt, mit n ∼ −1.5. In diesem Fall kann

die Massenfunktion in geschlossener Form dargestelltwerden,

n(M, z) = ρcrΩm√π

γ

M2

(M

M∗(z)

)γ/2

× exp

[−(

M

M∗(z)

)γ], (7.34)

wobei γ = 1 + n/3 ∼ 0.5, und M∗(z) ist die z-abhängige Massenskala, oberhalb derer das Massen-spektrum exponentiell abgeschnitten wird. Für Massendeutlich unterhalb von M∗(z) ist das Press–Schechter-Massenspektrum im Wesentlichen ein Potenzgesetzin M. Die charakteristische Massenskala M∗(z) hängtvon der Normierung des Leistungsspektrums sowieseinem zeitlichen Anwachsen ab,

M∗(z) = M∗0 [D+(z)]2/γ = M∗

0 (1+ z)−2/γ , (7.35)

wobei der letzte Ausdruck für ein Einstein–de-Sitter-Universum gilt. Die charakteristische Massenskalawächst also im Laufe der Zeit an und beschreibtim Wesentlichen die Massenskala, auf der dieMassenverteilung im Universum bei der gegebenenRotverschiebung gerade nichtlinear wird.

Das Press–Schechter-Modell beschreibt weiterhineine sehr allgemeine Eigenschaft der Strukturbildungin einem CDM-Modell, nämlich dass sich Strukturen –etwa Dunkle Halos – kleiner Masse zu frühen Zeitenbilden, während große Massenansammlungen sich erstspäter entwickeln. Der Grund dafür liegt in der Form desLeistungsspektrums P(k), wie es in (7.25) zusammenmit der asymptotischen Form (7.29) der Transfer-funktion T(k) beschrieben ist. Man bezeichnet einsolches Modell auch als hierarchische Strukturbildung,oder als ,,bottom-up“ Szenarium. Darin verschmelzenkleine, früh gebildete Strukturen sich später zu großenStrukturen.

Vergleich mit numerischen Simulationen. Das Press–Schechter-Modell ist sehr einfach und beruht aufAnnahmen, die im Detail eigentlich nicht zu recht-fertigen sind. Dennoch sind dessen Vorhersagen inverblüffender Übereinstimmung mit der aus numeri-schen Simulationen erhaltenen Anzahldichte von Halos,und dieses 1974 veröffentlichte Modell hat beinahe25 Jahre die Dichte von Halos mit einer Genauigkeitvorhergesagt, wie sie in numerischen Simulationen nurschwer zu erreichen war. Erst seit Mitte der 1990er

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294

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Abb. 7.9. Das Massenspektrum der Halos Dunkler Materieist hier für fünf verschiedene Rotverschiebungen aufgetragen,wie es aus der Millennium-Simulation (über die wir weiterunten noch näher eingehen werden – siehe Abb. 7.12) be-stimmt wurde (Punkte mit Fehlerbalken). Die durchgezogenenKurven beschreiben eine Näherungsformel für das Massen-spektrum, die aus anderen Simulationen bestimmt worden istund die offensichtlich eine exzellente Beschreibung der Si-mulationsergebnisse darstellt. Für z = 0 und z = 10 ist alsgepunktete Kurve das Press–Schechter-Modell eingetragen,welches die Häufigkeit sehr massereicher Halos unterschätzt,während die Dichte von masseärmeren Halos überschätzt wird

Jahre konnten die Genauigkeit und die Statistik vonnumerischen Simulationen der Strukturbildung soweitverbessert werden, dass sich signifikante Diskrepanzenmit dem Press–Schechter-Modell ergaben. Allerdingswurde auch die analytische Beschreibung verfeinert;anstelle des sphärischen Kollaps kann man den rea-listischeren ellipsoiden Gravitationskollaps betrachten,wodurch die Anzahldichte von Halos gegenüber demPress–Schechter-Modell modifiziert wird. Dieses ver-feinerte Modell stellt sich dann wiederum als sehrgenaue Näherung der numerischen Resultate dar, wiedies etwa in Abb. 7.9 demonstriert ist, so dass wir heuteeine gute Beschreibung von n(M, z) besitzen, die dieResultate von numerischen Simulationen sehr präzisewiedergibt.

7.5.3 Numerische Simulationen

Analytische Betrachtungen – wie etwa die lineareStörungstheorie oder das sphärische Kollapsmodell –

können nur Grenzfälle der Strukturentwicklung be-schreiben. Die gravitative Dynamik ist im Allgemeinenzu kompliziert, um im Detail analytisch untersuchtzu werden. Aus diesem Grunde wurden schon seitlanger Zeit Versuche zur Simulation der Strukturent-wicklung mittels numerischer Methoden unternommen.Die Resultate solcher Simulationen haben zu einemganz erheblichen Teil dazu beigetragen, das CDM-Modell als das Standard-Modell der Kosmologie zuetablieren, weil nur mit ihnen die Vorhersagen die-ses Modells von denen anderer Modelle quantitativunterschieden werden konnten. Natürlich haben dieenormen Entwicklungen im Harwarebereich zu ent-sprechenden Fortschritten in den Simulationen geführt;hinzu kommen die stetig verbesserten numerischen Al-gorithmen, die immer höhere räumliche Auflösungender Simulationen erlauben.

Da das Universum von Dunkler Materie domi-niert wird, reicht es oftmals aus, das Verhalten dieserDunklen Materie zu berechnen und daher die Gravita-tion als einzigen wirkenden Prozess zu betrachten. Erstin den letzten Jahren ist die Rechnerkapazität soweitgestiegen, dass man auch hydrodynamische Prozessenäherungsweise mit berücksichtigen und daher auchdie baryonische Komponente des Universums verfol-gen kann. Zusätzlich kann man in solchen Simulationenden Strahlungstransport mitrechnen und damit auch denEinfluss von Strahlung auf die Heizung und Kühlung derbaryonischen Komponente betrachten.

Das Prinzip der Simulationen. Repräsentative Teil-chen der Dunklen Materie. Wir wollen hier einekurze Beschreibung des Prinzips solcher Simulationengeben, wobei wir uns auf die Dunkle Materie alleinbeschränken werden. Natürlich kann man in solchenSimulationen nicht die einzelnen Teilchen der DunklenMaterie verfolgen; da diese vermutlich aus Elementar-teilchen besteht, die daher eine große Anzahldichtebesitzen, könnte man nur einen extrem kleinen, mikro-skopischen Ausschnitt des Universums so simulieren.Vielmehr untersucht man das Verhalten der DunklenMaterie im expandierenden Universum, indem mandie Teilchen der Dunklen Materie durch Körper derMasse M repräsentiert und annimmt, dass sich solche,,makroskopischen“ Teilchen so wie die Teilchen derDunklen Materie in einem Volumen V = M/ρ verhal-ten. Effektiv entspricht das der Annahme, die Dunkle

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

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Materie bestünde aus Teilchen der Masse M. DieseAnnahme kann im Detail nicht richtig sein, weswe-gen eine gewisse Modifikation später eingeführt werdenmuss.

Wahl des numerischen Volumens. Der nächste Punkt,über den man sich sofort klar sein muss ist, dass mannicht das gesamte räumliche Volumen des Universums(das ja möglicherweise unendlich ist) simulieren kann,sondern nur einen repräsentativen Ausschnitt davon. Ty-pischerweise wählt man einen mitbewegten Würfel derKantenlänge L. Damit dieser Ausschnitt auch tatsäch-lich repräsentativ ist, sollte die lineare Ausdehnung Lgrößer sein als die größten beobachteten Strukturen imUniversum. Andernfalls würde man den Einfluss vongroßskaligen Fluktuationen vernachlässigen. Beispiels-weise findet man wenig Struktur im Universum aufSkalen � 200 h−1 Mpc, so dass L = 200 h−1 Mpc einguter Wert für die mitbewegte Ausdehnung des Wür-fels ist. Da der numerische Aufwand mit der Anzahlvon Stützstellen oder Gitterpunkten, an denen man etwadie Gravitationskraft berechnet (siehe unten), skaliertund durch die Geschwindigkeit und Speicherkapazitätdes Rechners beschränkt ist, impliziert die Wahl von Lunmittelbar auch die Längenskala der numerischen Auf-lösung. Weiterhin ist die Gesamtmasse innerhalb desnumerischen Volumens ∝ ΩmL3, so dass bei gegebenermaximaler Teilchenzahl auch die minimale Masse be-stimmt ist, die durch die Simulationen aufgelöst werdenkann.

Periodische Randbedingungen. Da die Gravitations-kraft auf ein Teilchen in der Nähe des Randes desWürfels auch von Materie außerhalb des Würfels be-einflusst wird, kann man nicht einfach so tun, als wäredas Gebiet außerhalb des Würfels ,,leer“. Man mussdaher Annahmen über die Materieverteilung außerhalbdes numerischen Volumens machen. Da man annimmt,auf Skalen > L sei das Universum praktisch homogen,setzt man den Würfel periodisch fort – beispielsweiselässt man ein Teilchen, dass sich durch die obere Seiteaus dem Würfel herausbewegt, direkt durch die untereSeite wieder eintreten. Die Massenverteilung (und da-her auch das Kraftfeld) ist in diesen Simulationen alsoperiodisch, mit Periode L. Diese Annahme der Periodi-zität wirkt sich auf die Ergebnisse der Massenverteilungauf Skalen aus, die vergleichbar mit L sind; daher sollte

sich die quantitative Auswertung der Resultate aus denSimulationen auf Skalen � L/2 beschränken.

Softening length. Mit diesen Annahmen kann nun dieBewegungsgleichung aller Teilchen betrachtet werden.Die Kraft auf das i-te Teilchen ist

Fi =∑j �=i

M2 (r j − ri)

|r j − ri |3 , (7.36)

also die Summe der Kräfte aller anderen Teilchen, wo-bei diese periodisch fortgesetzt werden. Dieser Aspektklingt auf dem ersten Blick schwieriger, als er praktischist, wie weiter unten noch erläutert wird. Insbesondereschließt dieses Kraftgesetz ein, dass zwei Teilchen starkstoßen können, z. B. ihre Richtung in einer Kollisionum 90◦ ändern können, wenn sie nur nahe genug zu-sammenkommen. Dieser Effekt ist natürlich eine Folgedes Ersetzens der Teilchen Dunkler Materie durch ma-kroskopische ,,Teilchen“ der Masse M. Wie wir inAbschn. 3.2.4 gesehen haben, ist die typische Relaxa-tionszeit eines Systems ∝ N/ ln N , und da die Massein dem numerischen Volumen durch L festgelegt ist,ist N ∝ 1/M. Würde man also die Teilchenmasse redu-zieren und entsprechend N erhöhen, reduzierte sich dieHäufigkeit von starken Stößen, wobei allerdings durchdie Numerik hier Grenzen gesetzt sind. Um für dasArtefakt der starken Kollisionen zu korrigieren, mo-difiziert man das Kraftgesetz für kleine Abstände, sodass solche starken Stöße nicht vorkommen können.Die Längenskala, unterhalb derer das Kraftgesetz mo-difiziert (,,aufgeweicht“) wird und von ∝ 1/r2 abweicht,wird softening length genannt und wird gewählt als etwadem mittleren Abstand zweier Teilchen der Masse M –je kleiner M, umso kleiner ist die softening length. Diesegibt dann auch eine Grenze an die räumliche Auflösungder Simulationen: Skalen kleiner oder vergleichbar dersoftening length sind nicht aufgelöst, und das Verhal-ten auf diesen kleinen Skalen wird von numerischenArtefakten begleitet.

Die Berechnung des Kraftfelds. Die Berechnung derKraft auf die einzelnen Teilchen durch eine Summationwie in (7.36) ist nicht praktisch durchführbar, wie fol-gende Überlegung zeigt. Angenommen, die Simulationverfolge 108 Teilchen, dann müssten 1016 Summan-den in (7.36) berechnet werden – für jeden Zeitschritt.Das ist selbst mit den leistungsfähigsten Rechnern nicht

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7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

durchführbar. Um dieses Problem zu bewältigen, musseine genäherte Berechnung der Kraft gemacht werden.Dazu stellt man zunächst fest, dass die Kraft auf das i-te Teilchen, die von dem j-ten Teilchen ausgeübt wird,nicht sehr empfindlich gegenüber leichten Variationendes Abstandsvektors ri − r j ist, solange diese Variatio-nen sehr viel kleiner sind als der Abstand selbst. MitAusnahme der nächstgelegenen Teilchen kann man da-her die Kraft auf das i-te Teilchen berechnen, indemman ein Gitter in dem betrachteten Würfel einführt unddie Teilchen der Simulation auf den jeweils nächstge-legenen Gitterpunkt verschiebt.6 Dadurch ergibt sicheine diskrete Massenverteilung auf einem regulären Git-ter. Das Kraftfeld dieser Massenverteilung kann dannmit der Methode der Fast Fourier Transform (FFT)berechnet werden, einem schnellen und effizienten Al-gorithmus. Allerdings ergibt sich durch die Einführungdes Gitters eine untere Schranke der räumlichen Auflö-sung der Kraft; diese wird oft so gewählt, dass sie mit dersoftening length übereinstimmt. Da der Gitterabstandebenfalls die natürliche Auflösung der Kraft angibt,wählt man diesen in etwa gleich dem mittleren Abstandzweier Teilchen, so dass die Anzahl die Gitterpunkte ty-pischerweise von der gleichen Größenordnung gewähltwerden sollte wie die Anzahl der Teilchen. Eine solcheMethode wird als PM (particle-mesh) bezeichnet. Umzu besserer räumlicher Auflösung zu gelangen, kannman die Wechselwirkung eng benachbarter Teilchen ge-trennt betrachten. Dieser Anteil der Kraft muss dannnatürlich zunächst aus dem Kraftfeld, wie es durch dieFFT berechnet wird, herausgenommen werden. DieseArt der Kraftberechnung heißt P3M (particle-particleparticle-mesh) Methode.

Anfangsbedingungen und Entwicklung. Die An-fangsbedingungen der Simulationen werden bei sehrhohen Rotverschiebungen gesetzt. Man verteilt dieTeilchen dann so, dass das Leistungsspektrum der re-sultierenden Massenverteilung gerade dem theoretischbekannten (linearen) Leistungsspektrum P(k, z) ent-spricht. Die Bewegungsgleichungen der Teilchen mitdem oben beschriebenen Kraftfeld werden dann inder Zeit integriert. Die Wahl des Zeitschritts in die-ser Integration ist dabei kritisch. Dies erkennt man

6In Wirklichkeit wird die Masse eines Teilchens auf die 8 benachbar-ten Gitterpunkte verteilt, wobei die relative Verteilung der Masse vonder Entfernung des Teilchens von diesen Gitterpunkten abhängt.

daraus, dass die Kraft auf Teilchen mit relativ nahenNachbarn sich schneller ändert als die auf ziemlichisolierte Teilchen. Entweder wird daher der Zeitschrittso gewählt, dass er für erstere Teilchen kurz genugist – das ist aber rechenzeitaufwendig – oder aber dieZeitschritte werden für verschiedene Teilchen individu-ell variiert, was die deutlich effizientere Strategie ist.Für verschiedene Zeitpunkte der Entwicklung werdendann die Teilchenpositionen und -geschwindigkeitenabgespeichert; diese Resultate können dann analysiertwerden.

Beispiele von Simulationen. Die Größe der Simu-lationen, gemessen an der Anzahl der berechnetenTeilchen, ist in den letzten Jahren mit der Kapa-zität der Rechner und der Entwicklung effizienterAlgorithmen enorm angestiegen; in modernen Simula-tionen können 5123 Teilchen oder gar mehr verfolgtwerden. Ein Beispiel für solche Simulationen ist inAbb. 7.10 dargestellt, bei denen die Strukturentwick-lung in vier verschiedenen kosmologischen Modellenberechnet wurde. Die Parameter der Simulationen sowiedie Anfangsbedingungen (d. h. die anfängliche Realisa-tion des Zufallsfeldes) wurden so gewählt, dass die sichergebenden Dichteverteilungen heute (bei z = 0) mög-lichst ähnlich sind; dadurch kann man die Abhängigkeitder Entwicklung des Dichtefeldes mit der Rotverschie-bung von den kosmologischen Parametern besondersklar erkennen. Simulationen wie diese haben durch denVergleich mit Beobachtungen in erheblichem Maße zurErkenntnis beigetragen, dass die Materiedichte in un-serem Universum deutlich kleiner ist als die kritischeDichte.

Massereiche Galaxienhaufen besitzen eine sehrkleine Anzahldichte, wie man etwa daraus erkennt, dassder uns nächstgelegene massereiche Haufen (Coma)etwa 90 Mpc entfernt ist. In Simulationen, wie siein Abb. 7.10 gezeigt sind, ist das Simulationsvolu-men noch zu gering, um gute statistische Aussagenüber solche seltenen Massenkonzentrationen erhaltenzu können. Dies war einer der Gründe, weswegenwesentlich größere Volumina simuliert wurden. DieHubble-Volume-Simulationen (siehe Abb. 7.11) benut-zen einen numerischen Würfel mit einer Kantenlängevon 3000h−1 Mpc, also nicht viel kleiner als das heutesichtbare Universum. Diese Simulation ist vor allemzum Studium der statistischen Eigenschaften sehr mas-

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

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Abb. 7.10. Simulationen der Verteilung der Dunklen Materieim Universum, für vier verschiedene kosmologische Mo-delle: Ωm = 0.3, ΩΛ = 0.7 (ΛCDM), Ωm = 1.0, ΩΛ = 0.0(SCDM und τCDM) und Ωm = 0.3, ΩΛ = 0 (OCDM). Diebeiden Einstein–de Sitter-Modelle unterscheiden sich durchden Γ -Parameter, der die Form des LeistungsspektrumsP(k) angibt. Für jedes der Modelle ist die Materievertei-lung bei drei verschiedenen Rotverschiebungen dargestellt,z = 3, z = 1 und heute, z = 0. Während die Materiever-teilung heute in allen vier Modellen sehr ähnlich aussieht

(so sind die Modellparameter gewählt worden), unterschei-den sie sich deutlich bei hoher Rotverschiebung. Mansieht z. B., dass im SCDM-Modell bei hoher Rotverschie-bung deutlich weniger Struktur ausgebildet ist als bei denanderen Modellen. Aus der Untersuchung der Materie-verteilung bei hohen Rotverschiebungen kann man daherzwischen den verschiedenen Modellen unterscheiden. Beidiesen Simulationen der VIRGO-Kollaboration wurden 2563

Teilchen verfolgt; die Kantenlänge des Simulationsvolumensist ∼ 240h−1 Mpc

sereicher Strukturen geeignet, wie etwa die Verteilungvon Galaxienhaufen. Andererseits bedingt das großeVolumen, zusammen mit den Einschränkungen an dieinsgesamt berechenbaren Teilchen, dass die Massen-und Längenauflösung dieser Simulation zum Studiumvon Galaxien nicht ausreicht.

Die zur Zeit (2005) bei Weitem größte Simulationist die Millennium-Simulation für ein kosmologischesModell mit Ωm = 0.25, ΩΛ = 0.75, einer Normie-rung des Leistungsspektrums von σ8 = 0.9 und derHubble-Konstanten h = 0.73. Dabei wurde ein Wür-fel der Kantenlänge 500h−1 Mpc als Volumen benutzt

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7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Abb. 7.11. Die Hubble-Volume-Simulationen: Simuliertwurde eine (3000h−1 Mpc)3 große Box, mit 109 Teilchen, wo-bei ein ΛCDM-Modell mit Ωm = 0.3 und ΩΛ = 0.7 gewähltwurde. Dargestellt ist die Projektion der Dichteverteilung ei-ner 30h−1 Mpc dicken Schicht dieses Würfels. Simulationendieser Art können benutzt werden, um die statistischen Ei-genschaften der Materieverteilung im Universum auf großenSkalen zu analysieren. Das Kreissegment in der linken unterenEcke stellt etwa die Größe des CfA-Rotverschiebungssurveys(vgl. Abb. 7.2) dar

und (2160)3 ≈ 1010 Teilchen verfolgt, deren Masse je-weils 8.6×108h−1 M� beträgt. Mit diesen Parameternkann man einerseits die Halos von Galaxien auflösen,andererseits ist das Volumen genügend groß, dass maneine große Zahl von massereichen Haufen in der Simu-lation findet und deren Entwicklungsgeschichte verfolgtwerden kann. Die räumliche Auflösung der Simulationist ∼ 5h−1 kpc, so dass sich ein linearer dynamischer

Bereich von ∼ 105 ergibt. Die resultierende Verteilungder Materie bei z = 0 in jeweils 15h−1 Mpc dickenSchichten ist in Abb. 7.12 gezeigt, wobei die lineareSkala von einer Darstellung zur nächsten sich um je-weils einen Faktor vier unterscheidet. Dabei wurde aufeinen Bereich um einen massereichen Galaxienhaufenhin vergrößert, der mitsamt seiner reichen Unterstruk-tur im obersten Diagramm zu erkennen ist, ebenso wiedie Filamente der Materieverteiung, an deren Kreu-zungspunkten sich die massereichen Halos bilden. DieMassenverteilung der Millennium-Simulation sind fürzahlreiche verschiedene Untersuchungen von großemInteresse, und wir werden in Kapitel 9 noch einigeResultate diskutieren.

Analyse der numerischen Resultate. Die Analyse dernumerischen Ergebnisse ist beinahe ebenso aufwen-dig wie die Simulationen selbst, denn die Positionenund Geschwindigkeiten von ∼ 109 Teilchen alleineergeben noch keinen Erkenntnisgewinn. Man mussdaher zunächst mit konkreten Fragestellungen diese nu-merischen Resultate analysieren. Offensichtlich kannman aus der räumlichen Verteilung der Teilchen das(nichtlineare) Leistungsspektrum P(k, z) der Mate-rieverteilung berechnen; aus den Ergebnissen dieserUntersuchungen wurden die in Abb. 7.6 dargestell-ten analytischen Fit-Formeln erstellt. Weiterhin kannman in den numerischen Resultaten nach Voids su-chen und mit der beobachteten Häufigkeit und typischenGröße von Voids vergleichen. Andererseits kann mannach kollabierten Massenkonzentrationen suchen unddie Anzahldichte von diesen mit den Vorhersagendes Press–Schechter-Modells und den Beobachtun-gen vergleichen. Dabei hat sich herausgestellt, dassdie Press–Schechter-Massenfunktion zwar die wesentli-chen Aspekte des Massenspektrums erstaunlich präzisewiedergibt, aber noch genauere Formeln für das Mas-senspektrum von Halos wurden aus den Simulationenerstellt (siehe Abb. 7.9). Allerdings ist die Identifika-tion eines Halos und die Bestimmung seiner Masseaus den Positionen und Geschwindigkeiten der Teil-chen keineswegs trivial, und verschiedene Methodenwerden dafür benutzt. Beispielsweise kann man sich aufräumliche Überdichten von Teilchen konzentrieren unddefiniert einen Halo als ein sphärisches Gebiet, inner-halb dessen die mittlere Dichte gerade das 200-facheder kritischen Dichte beträgt – diese Definition eines

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

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Abb. 7.12. Die Vertei-lung der Materie injeweils 15h−1 Mpc dickenSchichten, wie sie in derMillennium-Simulationberechnet wurde

Halos wird durch das sphärische Kollapsmodell nahege-legt. Andererseits kann man auch solche Teilchen einemHalo zuordnen, die gravitativ gebunden sind, was unterBenutzung der Teilchengeschwindigkeiten zu ermittelnist.

Der direkte Kontakt zwischen den Ergebnissen derSimulationen Dunkler Materie mit beobachteten Eigen-schaften des Universums benötigt ein Verständnis überden Zusammenhang der Dunklen Materie mit der leuch-tenden Materie. Beispielsweise können Halos DunklerMaterie in den Simulationen nicht ohne weiteres mit derbeobachteten Verteilung von Galaxien verglichen wer-den. Auf diese Aspekte werden wir später noch genauereingehen.

7.5.4 Profil von Halos Dunkler Materie

In durch numerische Simulationen generierten Mas-senverteilungen kann man, wie bereits oben erwähnt,Halos Dunkler Materie identifizieren. Neben der An-zahldichte von Halos als Funktion ihrer Masse undder Rotverschiebung kann man auch das radiale Mas-senprofil untersuchen, falls ein Halo durch genügendviele Teilchen der Dunklen Materie repräsentiert wird– dies ist also eine Frage der Massenauflösung der Si-mulationen. Dabei hat sich ein erstaunliches Ergebnisherausgestellt, nämlich dass Halos eine Art universellesDichteprofil besitzen. Dieses Resultat wollen wir hierkurz beschreiben.

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7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Wenn wir einen Halo so definieren wie oben be-schrieben, also als sphärisches Gebiet, innerhalb dessendie mittlere Dichte ∼ 200 Mal der kritischen Dichtebei der betrachteten Rotverschiebung ist, dann ist dieMasse M des Halos mit seinem (Virial-)Radius r200 wiefolgt verknüpft:

M = 4π

3r3

200 200 ρcr(z) .

Da die kritische Dichte bei der Rotverschiebung zdurch ρcr(z) = 3H2(z)/(8πG) gegeben ist, kann diesumgeschrieben werden,

M = 100r3200 H2(z)

G, (7.37)

d. h. es existiert ein eindeutiger Zusammenhangzwischen Masse und Radius des Halos.

Das NFW-Profil. Das über Kugelschalen gemittelteDichteprofil von Halos scheint eine universelle funk-tionale Form zu besitzen, wie zuerst von Julio Navarro,

Abb. 7.13. Aus acht verschiedenen kosmo-logischen Simulationen ist das Dichteprofildes jeweils massereichsten und masse-ärmsten Halos als Funktion des Radiusgezeigt, zusammen mit dem besten Fitentsprechend dem Dichteprofil (7.38).Die kosmologischen Modelle entspre-chen einem EdS-Modell (hier mit SCDMbezeichnet), einem ΛCDM-Modell, undverschiedenen Modellen, deren Leistungs-spektrum lokal als Potenzgesetz, P(k) ∝ kn ,angenommen wurde. Die Pfeile geben diesoftening length im Gravitationsgesetz fürdie jeweiligen Halos an; der größte Teil desProfils ist also sehr gut numerisch aufgelöst

Carlos Frenk & Simon White in einer Reihe von Ar-beiten Mitte der 1990er Jahre berichtet wurde. DiesesNFW-Profil wird beschrieben durch

ρ(r) = ρs

(r/rs)(1+r/rs)2, (7.38)

wobei ρs die Amplitude des Dichteprofils und rs einencharakteristischen Radius angibt. Für r rs ist ρ ∝ r−1,während für r � rs das Profil wie ρ ∝ r−3 verläuft.Daher ist rs derjenige Radius, wo sich die Steigungdes Dichteprofils ändert (siehe Abb. 7.13). ρs kannausgedrückt werden durch rs, denn entsprechend derDefinition von r200 gilt

ρ = 200ρcr(z) = 3

4πr3200

r200∫0

4πr2 dr ρ(r)

= 3ρs

1∫0

dx x2

c x (1+ cx)2, (7.39)

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

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wobei im letzten Schritt die Integrationsvariable nachx = r/r200 geändert und der Konzentrationsindex

c := r200

rs(7.40)

definiert wurde. Je größer c, umso stärker ist die Masseim Innern konzentriert. Die Gleichung (7.39) impliziert,dass ρs durch ρcr(z) und c ausgedrückt werden kann, undnach Ausführung der Integration in (7.39) ergibt sich

ρs = 200

3ρcr(z)

c3

ln(1+ c)− c/(1+ c).

Da M durch r200 bestimmt ist, wird das NFW-Profilparametrisiert durch r200 (oder der Masse des Halos)und der Konzentration c, welche die Form der Vertei-lung angibt. Aus den Simulationen findet man, dassder Konzentrationsindex c stark mit der Masse und derRotverschiebung des Halos korreliert ist; man findet inetwa

c ∝ M−1/9 (1+ z)−1 .

Abb. 7.14. Die Dichteprofile aus Abb. 7.13,diesmal in skalierten Einheiten dargestellt:die Dichte ist skaliert durch die kritischeDichte, der Radius durch r200. Durchge-zogene (gestrichelte) Kurven entsprechenHalos kleiner (großer) Masse – Halos klei-ner Masse sind also relativ dichter nahedes Zentrums und haben einen größerenKonzentrationsindex c

Dieses Resultat kann man unter der Annahme einesuniversellen Dichteprofils auch aus analytischen Ska-lierungsargumenten erhalten. In der Abb. 7.14 ist dasDichteprofil Dunkler Halos als Funktion des skalier-ten Radius r/r200 aufgetragen, wobei nun die ähnlicheForm der Profile in den verschiedenen Simulationensehr gut zu erkennen ist, sowie die Abhängigkeit desKonzentrationsindex von der Halomasse sichtbar wird.Der Bereich, über den das Profil (7.38) die Dichtever-teilung von numerisch simulierten Halos beschreibt, istbeschränkt nach außen hin durch den Virialradius r200,während im zentralen Bereich von Halos die numeri-sche Auflösung nicht ausreicht und daher (7.38) für sehrkleine r mit den Simulationen nicht überprüft werdenkann. Der letzte Punkt betrifft etwa 1% der Halomasse.

Verallgemeinerung. Allerdings gibt es bislang nochkein gutes analytisches Argument für die Existenzeines solchen universellen Dichteprofils und insbe-sondere nicht für die spezielle funktionale Form desNFW-Profils. Tatsächlich finden andere numerische Si-

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7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

mulationen ein leicht verschiedenes Dichteprofil, wassich schreiben lässt als

ρ ∝ 1

(r/rs)α (1+r/rs)3−α,

mit α ∼ 1.5, wohingegen das NFW-Profil durch α = 1charakterisiert ist. Der Grund für den Unterschied zwi-schen den verschiedenen Simulationen ist bislang nichtendgültig geklärt, aber vermutlich ist das Dichteprofilim zentralen Bereich (der numerisch schwer aufzulösenist) komplizierter als ein Potenzgesetz. Einig sind sichdie verschiedenen Forschergruppen aber in der Formdes Profils ∝ r−3 für große Radien.

Vergleich mit Beobachtungen. Der Vergleich diesertheoretischen Profile mit einem beobachteten Dichte-profil ist keineswegs einfach, denn man kann ja dasDichteprofil Dunkler Materie nicht direkt beobach-ten. Weiterhin ist ρ(r) in normalen Spiralgalaxien beikleinen Radien von baryonischer Materie dominiert(beispielsweise bei der Milchstraße besteht etwa dieHälfte der Materie innerhalb von R0 aus Sternen und

Abb. 7.15. Die Rotationskurven in denNFW-Dichteprofilen von Abb. 7.13, inEinheiten der Rotationsgeschwindigkeitbei r200. Alle Kurven steigen zunächstan, erreichen ein Maximum, um danachwieder abzufallen; über einen weiten Be-reich im Radius sind die Rotationskurvenannähernd flach. Die durchgezogenen Kur-ven stammen direkt aus der Simulation,gestrichelte Kurven zeigen die aus demNFW-Profil erwarteten Rotationskurven.In diesen skalierten Einheiten haben Haloskleiner Masse eine relativ größere maximaleRotationsgeschwindigkeit

Gas), so dass nur wenig Aufschluss über ρDM im zent-ralen Bereich erhalten werden kann. Im Allgemeinennimmt man an, dass Galaxien mit sehr kleiner Flä-chenhelligkeit (low surface brightness galaxies, LSBs)bis hin zum Zentrum von Dunkler Materie dominiertwerden. Die Rotationskurven von LSB-Galaxien sindnicht in Übereinstimmung mit den Erwartungen desNFW-Modells (Abb. 7.15); insbesondere geben sie kei-nen Hinweis auf eine Kuspe der Dichteverteilung (alsoρ → ∞ für r → 0) im Zentrum. Diese Diskrepanzkann zum Teil durch die endliche Winkelauflösung der21 cm-Messungen der Rotationskurven erklärt werden,sowie durch eine kompliziertere Kinematik dieser Ga-laxien, deren dynamisches Zentrum auch nur schwerexakt feststellbar ist. Dennoch könnte sich dieses Re-sultat als ein ernsthaftes Problem für das CDM-Modellerweisen – diese potentielle Diskrepanz muss daheraufgeklärt werden.

Als weitere Komplikation kommt hinzu, dass nichtnur baryonische Materie im Innern von Galaxien(und Haufen) vorhanden ist und zur Dichte beiträgt,sondern diese Baryonen im Laufe der kosmischen Ent-

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

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wicklung auch das Dichteprofil der Dunklen Materiemodifiziert haben. Baryonen sind dissipativ, könnenkühlen, eine Scheibe bilden und nach innen akkretieren.Die Änderung der daraus resultierenden Dichtevertei-lung der Baryonen durch dissipative Prozesse führtzu einer zeitlichen Änderung des Gravitationspoten-tials, auf das auch die Dunkle Materie reagiert.Das Profil Dunkler Materie in Galaxien wird da-her gegenüber den reinen Dark Matter-Simulationenmodifiziert.

Trotz dieser Schwierigkeiten stellt sich heraus, dassdie Röntgendaten vieler Haufen mit einem NFW-Profilkompatibel sind; ebenfalls zeigen Untersuchungen desSchwachen Linseneffekts (siehe Abschn. 6.5.2), dassein NFW-Massenprofil die Scherungsdaten sehr gut be-schreiben können. In Abb. 7.16 ist gezeigt, dass auchder radiale Verlauf der Galaxiendichte in Haufen imMittel einem NFW-Profil folgt, wobei der mittlere Kon-zentrationsindex mit c ≈ 3 kleiner ist, als er für dasMassenprofil von Haufen erwartet wird. Eine Interpreta-tion dieses Ergebnisses ist, dass die Galaxienverteilungin Haufen weniger stark konzentriert ist als die Dichteder Dunklen Materie.

7.5.5 Das Problem der Substruktur

Wie wir im nächsten Kapitel noch detailliert ausführenwerden, erweist sich das CDM-Modell der Kosmologieals enorm erfolgreich bei der Beschreibung und Vorher-sage von kosmologischen Beobachtungen. Gerade weildieses Modell diese Erfolge erzielen konnte und daherals Standardmodell gilt, neben dem kaum noch alter-native Modelle diskutiert werden, sind Resultate vonbesonderem Interesse, die nicht ohne weiteres in die-ses Standardmodell hineinpassen. Die oben erwähntenRotationskurven von LSB-Galaxien gehören zu diesenResultaten. Entweder findet man eine gute Erklärung fürdie scheinbare Diskrepanz zwischen den Beobachtun-gen mit den Vorhersagen des CDM-Modells – in diesemFall hätte dieses Modell eine weitere Hürde zur De-monstration seiner Gültigkeit überwunden und könntesomit weiter bestätigt werden. Oder aber Resultatedieser Art zeigen die Notwendigkeit von Erweiterun-gen des CDM-Modells auf, woraus wir dann neuephysikalische Erkenntnisse gewinnen würden.

Abb. 7.16. Die gemittelte Galaxienverteilung in 93 nahenGalaxienhaufen als Funktion des projizierten Abstands vomHaufenzentrum. Galaxien wurden im NIR selektiert, und dieMassen der Haufen, und somit r200, wurden aus Röntgendatenbestimmt. Aufgetragen ist hier die projizierte Anzahldichtevon Haufengalaxien, gemittelt über die verschiedenen Hau-fen, gegen den skalierten Radius r/r200. Im oberen Bildwurde das Galaxiensample in leuchtkräftige und leucht-schwächere Galaxien unterteilt, im unteren Bild wurde dasHaufensample entsprechend der Haufenmasse unterteilt. Diedurchgezogenen Kurven geben jeweils einen Fit mit demprojizierten NFW-Profil an, der sich in allen Fällen als ex-zellente Beschreibung herausstellt. Der Konzentrationsindexist mit c ≈ 3 in allen Fällen etwa der gleiche und da-mit kleiner, als für das Massenprofil von Haufen erwartetwird

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7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Sub-Halos von Galaxien und Galaxienhaufen. Ne-ben den Rotationskurven von LSB-Galaxien gibt es eineweitere Beobachtung, die jedenfalls auf den ersten Blicknicht in das Bild des CDM-Modells hineinpassen will.Aus den numerischen Simulationen der Strukturbildungergibt sich, dass ein Halo der Masse M zahlreiche Halosmit sehr viel kleinerer Masse enthält, sog. Sub-Halos.Ein Halo mit der Masse eines Galaxienhaufens bei-spielsweise enthält Hunderte oder gar Tausende vonHalos mit Massen, die mehrere Größenordnungen klei-

Abb. 7.17. Dichteverteilung zweier simulierter Halos Dunk-ler Materie. Im oberen Bild hat der Halo eine Virialmasse von5×1014 M� und entspricht daher einem Galaxienhaufen. DerHalo im unteren Bild hat eine Masse von 2×1012 M� und re-präsentiert eine massereiche Galaxie. Man erkennt in beidenFällen die Präsenz von Unterstruktur der Massenverteilung,die bei einem Galaxienhaufen mit den einzelnen Haufen-galaxien identifiziert werden kann. Die Substruktur in einerGalaxie ist nicht ohne Weiteres mit beobachtbaren Quellenidentifizierbar; man würde erwarten, dass es sich hierbei umSatelliten-Galaxien handelt, aber diese sind deutlich selte-ner als die hier gefundenen Unterstrukturen. Abgesehen vonder Längenskala (und damit auch der Massenskala) sehen diebeiden Halos qualitativ sehr ähnlich aus

ner sind. In der Tat sollte man dies auch erwarten, dennGalaxienhaufen enthalten Unterstruktur, die in Formder Haufengalaxien auch direkt sichtbar ist. Im obe-ren Teil der Abb. 7.17 ist die Simulation eines Haufensund seiner Substruktur dargestellt, und diese Massen-verteilung sieht in der Tat so aus, wie man sich dieVerteilung in einem Galaxienhaufen vorstellt. Weiter-hin zeigt die Abb. 7.17 im unteren Teil die Simulationeines Halos der Masse ∼ 2×1012 M�, der einer mas-sereichen Galaxie entspricht. Wie man erkennen kann,zeigt auch deren Massenverteilung eine große Anzahlvon Sub-Halos. Tatsächlich lassen sich die beiden Mas-senverteilungen fast nicht unterscheiden, außer in ihrerSkalierung der Gesamtmasse.7 Das Vorhandensein vonSubstruktur über einen sehr weiten Bereich in der Masseist eine direkte Folge der hierarchischen Strukturbil-dung, bei der Objekte größerer Masse jeweils kleinereStrukturen enthalten, die sich früher in der kosmischenEntwicklung gebildet haben.

Während man die Unterstruktur in Haufen leicht mitden Haufengalaxien identifizieren kann, stellt sich dieFrage, womit die Sub-Halos der Galaxien identifiziertwerden sollen. Diese besitzen ein breites Massenspek-trum, wie in Abb. 7.18 dargestellt ist. Einige solcherSub-Halos können in unserer Milchstraße erkannt wer-den, nämlich die bekannten Satellitengalaxien, wie etwadie Magellanschen Wolken. In ähnlicher Weise könnendie Satellitengalaxien der Andromeda-Galaxie mit Sub-Halos identifiziert werden. Wie wir aber in Abschn. 6.1gesehen haben, kennt man weniger als 40 Mitgliederder Lokalen Gruppe – während die numerischen Simu-lationen Hunderte von Satellitengalaxien in der Galaxisvorhersagen. Das scheinbare Fehlen von beobachtba-ren Sub-Halos wird als weiteres mögliches Problem derCDM-Modelle angesehen.

Allerdings muss man sich stets vergegenwärtigen,dass die Simulationen nur die Massenverteilung, nichtaber die (der Beobachtung zugängliche) Lichtvertei-lung vorhersagen. Eine Möglichkeit, die scheinbareDiskrepanz aufzulösen, besteht nun darin, dass diese

7Der Grund dafür liegt in der in Abschn. 7.5.2 diskutierten Eigen-schaft des Leistungsspektrums der Dichtefluktuationen, nämlich dassP(k) über einen weiten Bereich in k durch ein Potenzgesetz dargestelltwerden kann. Ein solches Potenzgesetz besitzt keine charakteristi-sche Skala. Aus diesem Grund skalieren die Eigenschaften von Halosgroßer und kleiner Masse, wie dies in der Abb. 7.17 auch deutlich zuerkennen ist.

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7.5 Nichtlineare Strukturbildung

305

Abb. 7.18. Anzahldichte der Sub-Halos als Funktion ih-rer Masse. Dabei wird die Masse ausgedrückt durchdie entsprechende Keplersche Rotationsgeschwindigkeit vcund gemessen als Verhältnis zur entsprechenden Rotati-onsgeschwindigkeit des großen Halos. Die Kurven zeigendiese Anzahldichte von Sub-Halos mit Rotationsgeschwin-digkeit ≥ vc jeweils für einen Halo mit Haufen- bzw.Galaxienmasse. Die beobachtete Anzahl der Sub-Halos (d. h.die Galaxien) des Virgo-Haufens sind als offene Kreise mitFehlerbalken eingezeichnet, ebenso wie die Anzahl der Satel-litengalaxien der Milchstraße als Punkte. Man erkennt, dassdie Simulationen die Anzahldichte von Haufengalaxien rechtgut beschreiben, aber dass es deutlich weniger Satelliten-galaxien um die Galaxis gibt, als von einem CDM-Modellvorhergesagt wird

Sub-Halos zwar existieren, aber die meisten von ihnennicht oder nur schwach leuchten. Was auf dem erstenBlick wie eine billige Ausrede aussieht, ist in Wirklich-keit in den Modellen zur Entstehung und Entwicklungvon Galaxien enthalten. Wie in Abschn. 9.6.3 näher be-sprochen wird, können Halos mit Massen unterhalb∼ 109 M� nur sehr schwer eine ansehnliche stellare Po-pulation entwickeln. Die meisten Halos unterhalb dieserMasse sollten daher aufgrund ihrer geringen Leucht-kraft kaum nachweisbar sein. In diesem Bild wären zwardie Sub-Halos in Galaxien vorhanden, wie es die CDM-Modelle vorhersagen, aber die meisten von ihnen wärenwirklich ,,dunkel“.

Evidenz für die Existenz der CDM-Substruktur inGalaxien. In der Tat gibt es einen direkten Hinweis aufdie Anwesenheit von Substruktur in der Massenvertei-lung von Galaxien, der aus Gravitationslinsensystemenstammt. Wie wir in Abschn. 3.8 gesehen haben, lässtsich die Bildkonfiguration von Mehrfachquasaren durchein einfaches Massenmodell für die Gravitationslinsebeschreiben. Konzentriert man sich auf Systeme mitvier Bildern einer Quelle, bei denen auch die Posi-tion der Linse beobachtet werden konnte (etwa mitdem HST), so hat ein einfaches Massenmodell für dieLinse weniger freie Parameter als die anzupassendenKoordinaten der beobachteten Quasarbilder. Trotzdemist es bis auf ganz wenige Ausnahmen möglich, dieWinkelpositionen der Bilder mit einem solch einfachenModell mit großer Genauigkeit zu beschreiben. Diesist ein nicht-triviales Resultat, denn bei einigen Linsen-systemen sind aufgrund von VLBI-Beobachtungen dieBildpositionen mit einer Unsicherheit von weniger als10−4 Bogensekunden bekannt, bei einem Bildabstandder Größenordnung 1′′. Dieses Resultat zeigt daher,dass einfache Linsenmodelle die Massenverteilung derLinsengalaxien auf Skalen des Bildabstands recht gutbeschreiben.

Neben den Bildpositionen sagen solche Linsenmo-delle auch die Verstärkungsfaktoren μ der einzelnenBilder vorher. Das Verhältnis der Verstärkungsfakto-ren zweier Bilder sollte daher mit dem Flussverhältnisdieser Bilder der Hintergrundquelle übereinstimmen.Das erstaunliche Ergebnis der Linsenuntersuchungen istnun, dass zwar die Bildpositionen (fast) aller Vierfach-Systeme mit einem einfachen Massenmodell sehr genaubeschreibbar sind, aber bei keinem von ihnen kön-nen mit dem gleichen Modell die Flussverhältnisse derBilder reproduziert werden!

Die vielleicht einfachste Erklärung dieser Tatsache,dass nämlich die verwendeten einfachen Massenmo-delle der Linse nicht richtig sind und man andereLinsenmodelle benutzen sollte, scheidet in vielen derbeobachteten Systeme aus. Einige dieser Systeme ent-halten nämlich zwei oder drei Bilder der Quelle, diesehr nahe beieinander stehen und von denen man da-her weiß, dass sie in der Nähe einer kritischen Kurvepositioniert sind. In einem solchen Fall kann man dasVerstärkungsverhältnis analytisch recht genau abschät-zen; insbesondere hängt es dann nicht mehr von dergenauen Form des verwendeten Linsenmodells ab. Die

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306

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

Abb. 7.19. 8.5 GHz-Karte des Linsensystems 2045+265. DieQuelle bei zs = 1.28 wird von der Linse bei zd = 0.867vierfach abgebildet (Komponenten A–D), während Kompo-nente E Emission der Linse ist, wie aus dem unterschiedlichenRadiospektrum ersichtlich ist. Aufgrund der Eigenschaftender Gravitationslinsenabbildung kann man zeigen, dass jedes,,glatte“ Massenmodell der Linse vorhersagt, dass der Flussvon B etwa gleich der Summe der Flüsse der KomponentenA und C sein sollte. Offensichtlich ist diese Gesetzmäßigkeitin diesem Linsensystem stark verletzt, denn B ist schwächerals A und C. Diese Tatsache kann nur durch kleinskaligeStruktur der Massenverteilung in der Linsengalaxie erklärtwerden

Existenz solcher ,,universellen Eigenschaften“ der Lin-senabbildung schließt also aus, dass es andere einfache(d. h. ,,glatte“) Massenmodelle gibt, die die Flussver-hältnisse beschreiben können. Ein Beispiel dafür ist inder Abb. 7.19 dargestellt.

Die natürliche Erklärung dieser Flussdiskrepanzenbesteht darin, dass die Linse neben einem großska-ligen, glatten Massenprofil kleinskalige Unterstrukturin der Dichte enthält. Dafür kämen bei Spiralgalaxienetwa die Spiralarme in Frage, die ja eine kleinska-lige Störung eines ansonsten glatten Massenprofilsdarstellen. Nun sind die meisten Linsengalaxien aberEllipsen. Die Sub-Halos, die vom CDM-Modell vor-

hergesagt werden, könnten dann die Unterstruktur derMassenverteilung darstellen. Dazu sei zunächst ange-merkt, dass eine kleinskalige Störung des Massenprofilsden Ablenkwinkel der Linse nur leicht ändert, wäh-rend die Verstärkung μ deutlich stärker modifiziertwerden kann. In der Tat konnte mit Hilfe von Si-mulationen gezeigt werden, dass Linsengalaxien, diedie vom CDM-Modell postulierten Sub-Halos besitzen,eine sehr ähnliche statistische Verteilung der Diskre-panzen der Flussverhältnisse vorhersagen, wie sie beiden beobachteten Linsensystemen auch auftreten. Wei-terhin zeigen diese Simulationen, dass ein speziellesBild der Quelle im statistischen Mittel deutlich abge-schwächt werden sollte gegenüber den Vorhersagen dereinfachen, glatten Linsenmodelle, ebenfalls in Über-einstimmung mit den Ergebnissen der Beobachtungen.Schließlich sollten in dem Fall, dass ein relativ masse-reicher Sub-Halo nahe einem der Bilder positioniert ist,auch diese Bildposition etwas verschoben sein im Ver-gleich zum glatten Massenmodell, und dieser Effektist in zwei Linsensystemen auch direkt nachgewie-sen worden: In diesen Fällen existiert ein Sub-Haloin der Linsengalaxie, der genügend Masse besitzt, umSterne gebildet zu haben und daher beobachtet werdenkonnte. Dessen Einfluss auf den Verstärkungsfaktor unddie Bildposition konnte direkt nachgewiesen werden(siehe Abb. 7.20).

Aus diesen Gründen ist es wahrscheinlich, dass Ga-laxien Sub-Halos enthalten, wie es das CDM-Modellvorhersagt, aber die meisten Sub-Halos, insbesonderedie mit kleiner Masse, kaum Sterne enthalten und dahernicht sichtbar sind.

7.6 Pekuliargeschwindigkeiten

Wie bereits an verschiedenen Stellen erwähnt, fol-gen kosmische Quellen nicht exakt der allgemeinenHubble-Expansion, sondern besitzen darüber hin-aus eine Pekuliargeschwindigkeit. Abweichungen vomHubble-Fluss kommen durch lokale Gravitationsfelderzustande, und solche Felder wiederum werden durchlokale Dichtefluktuationen erzeugt. Diese führen un-weigerlich zu einem Beschleunigungsfeld, welches aufdie Materie wirkt und somit Pekuliargeschwindigkei-

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7.6 Pekuliargeschwindigkeiten

307

Abb. 7.20. Rechts ist eine H-Band-Aufnahme des Lin-sensystems MG 2016+112 gezeigt, bestehend aus einerLinsengalaxie im Zentrum, sowie vier Bildern der Hinter-grundquelle, von denen die beiden südlichen in dieserAufnahme beinahe verschmolzen sind. Links sind von diesenKomponenten die VLBI-Karten dargestellt; die Radioquellebesteht aus einem kompakten Kern und einer Jet-Komponente,wie in den Bildern A und B klar zu erkennen ist. DieVLBI-Karte der Komponente C zeigt in der Tat, dass essich um ein Doppelbild der Quelle handelt, in dem Kern

und Jet-Komponente jeweils zweifach auftreten. Jedes glatteMassenmodell der Linsengalaxie sagt vorher, dass der Ab-stand C12–C11 etwa gleich dem Abstand C13–C2 seinsollte, was offensichtlich der Beobachtung widerspricht. Indiesem Fall ist die Substruktur der Massenverteilung so-gar sichtbar: Wenn man die schwache Emission südlich derKomponente C, wie sie im rechten Bild zu erkennen ist,als Massenkomponente im Linsenmodell mit einbezieht, solassen sich die Abstände der Komponenten im Bild C gutmodellieren

ten erzeugt. In numerischen Simulationen werden diePekuliargeschwindigkeiten der einzelnen Teilchen au-tomatisch mitberechnet. In diesem kurzen Abschnittwollen wir die großräumigen Pekuliargeschwindigkei-ten betrachten, wie sie aus der linearen Störungstheoriehergeleitet werden können.

Da die räumliche Abhängigkeit des Dichtekontrasts δ

zeitlich konstant ist, δ(x, t) = δ0(x) D+(t) – siehe(7.14) – hat der Beschleunigungsvektor g im Rahmender linearen Störungstheorie eine konstante Richtung.Deshalb erhält man die Pekuliargeschwindigkeit in derForm

u(x) ∼∫

dt g(x, t) ,

und sie ist parallel zu g(x). Quantitativ ergibt sichfür heute, also t = t0, der Zusammenhang zwischenGeschwindigkeits- und Beschleunigungsfeld

u(x) = 2

3H0Ωmf(Ωm) g(x) , (7.41)

wobei wir die Funktion

f(Ωm) := a(t)

D+(t)

dD+da

(7.42)

definiert haben. Es stellt sich heraus, dass die Funktionf(Ωm) für t = t0 durch eine sehr einfache und ge-naue Näherung dargestellt werden kann, f(Ωm) ≈ Ω0.6

m .Diese wurde zunächst für den Fall ΩΛ = 0 gefunden,aber es stellt sich heraus, dass eine kosmologische Kon-stante diesen Zusammenhang nur wenig beeinflusst.Bringt man Korrekturen hinsichtlich ΩΛ an, so ergibtsich eine etwas genauere Näherung,

f ≈ Ω0.6m + ΩΛ

70

(1+ Ωm

2

). (7.43)

Aus der Kleinheit des letzten Terms sieht man, dass dieKorrekturen durch Λ tatsächlich gering sind, weshalbman meistens f = Ω0.6

m setzen kann.Andererseits ist g(x) der Gradient des Gravita-

tionspotentials, g ∝ −∇φ. Daraus folgt, dass u(x)

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308

7. Kosmologie II: Inhomogenitäten im Universum

ein Gradientenfeld ist, d. h. es existiert eine skalareFunktion ψ(x), so dass u = ∇ψ, wobei der Gradientbezüglich der mitbewegten Raumkoordinate x genom-men wird. Deswegen ist ∇ · g ∝ −∇2φ ∝ −δ, so dassauch ∇ ·u ∝ −δ; dabei wurde die Poisson-Gleichung(7.10) benutzt. Fasst man diese Ergebnisse zusammen,so ergibt sich für heute

∇ ·u(x) = −H0 Ω0.6m δ0(x) . (7.44)

Wir wollen dieses Ergebnis noch etwas genauer her-leiten und beginnen mit der linearisierten Form derGleichung (7.8),

∂δ

∂t+ 1

a∇ ·u = 0 , (7.45)

wobei hier und im Folgenden der Gradient immer bzgl.mitbewegter Koordinaten zu nehmen ist. Wegen derFaktorisierung (7.14) von δ(x, t) folgt sofort

∂δ

∂t= D+

D+δ .

Kombiniert man diese Gleichung mit (7.45) unddefiniert wie oben u = ∇ψ, so ergibt sich

∇2ψ = ∇ ·u = −aD+D+

δ = −a a1

D+dD+da

δ

= −a H(a) f(Ωm)δ ≈ −a H(a)Ω0.6m δ , (7.46)

wobei die oben definierte Funktion f(Ωm) hier be-nutzt wurde. Diese Poisson-Gleichung für ψ kann gelöstwerden, und durch Gradientenbildung kann daraus dasPekuliargeschwindigkeitsfeld berechnet werden,

u(x, t) = Ω0.6m

4πa H(a)

∫d3 y δ(y, t)

y − x|y − x|3 .

(7.47)

Die Gleichung (7.47) besagt, dass das Geschwindig-keitsfeld aus dem Dichtefeld bestimmt werden kann.Könnte man das Dichtefeld im Universum beobach-ten, so erhielte man aus den obigen Relationen direkteine Vorhersage des zugehörigen Geschwindigkeitsfel-des. Dieses hängt von der Materiedichte Ωm ab, so dassman aus einem Vergleich mit dem beobachteten Ge-schwindigkeitsfeld daraus den Wert für Ωm abschätzenkann. Wir kommen darauf in Abschn. 8.1.6 zurück.

7.7 Der Ursprungder Dichtefluktuationen

Wir haben in Abschn. 4.5.3 gesehen, dass das Horizont-und das Flatness-Problem der normalen Friedmann-Lemaître-Entwicklung des Universums gelöst werdenkönnen, wenn man eine frühe Phase der sehr schnellen– exponentiellen – Ausdehnung des Kosmos postuliert.Durch diese inflationäre Phase des Universums werdenjegliche anfänglichen Krümmungen des Raumes durchdie gewaltige Ausdehnung weggeglättet, und weiterhinsorgt die exponentielle Expansion dafür, dass unser ge-samtes heute sichtbares Universum vor der inflationärenPhase in kausalem Kontakt gestanden hat. Diese bei-den Aspekte des inflationären Modells sind so attraktiv,dass die meisten Kosmologen heutzutage die Inflationals Teil des Standardmodells betrachten, selbst wenndie Physik der Inflation nicht im Detail bekannt ist.

Das inflationäre Modell hat eine weitere Eigenschaft,welche als sehr vielversprechend angesehen wird.Durch die ungeheure Ausdehnung des Universumswerden mikroskopische Skalen zu makroskopischerDimension aufgeblasen. Die großräumigen Strukturenim heutigen Universum entsprechen mikroskopischenSkalen vor und während der inflationären Phase.Aufgrund der Quantenmechnik wissen wir, dassdie Materieverteilung nicht wirklich homogen seinkann, sondern Quantenfluktuationen unterworfen ist,wie das beispielsweise durch die HeisenbergscheUnschärferelation ausgedrückt wird. Diese kleinenQuantenfluktuationen werden durch die Inflation zugroßskaligen Fluktuationen der Dichte. Aus diesemGrunde bietet das inflationäre Modell auch eine na-türliche Erklärung für das Auftreten der anfänglichenDichtefluktuationen.

Tatsächlich kann man diese Überlegungen auchquantitativ weiterführen und versuchen, das anfänglicheLeistungsspektrum dieser Fluktuationen zu berechnen.Das Ergebnis solcher Untersuchungen hängt ein wenigvon den Details des jeweils betrachteten inflationärenModells ab. Übereinstimmend jedoch sagen diese Mo-delle vorher, dass das ursprüngliche Leistungsspektrumeine Form haben sollte, die dem Harrison–Zeldovich-Spektrum sehr ähnlich ist. In diesem Sinne kann manaus der Vermessung des Leistungsspektrums das Modellder Inflation direkt testen.

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7.7 Der Ursprung der Dichtefluktuationen

309

Die verschiedenen inflationären Modelle unterschei-den sich auch in der Vorhersage der relativen Stärkeder Fluktuationen der Raum-Zeit, die nach der In-flation vorhanden sein sollten. Solche Fluktuationensind nicht direkt mit Dichteschwankungen verbunden,sondern sind eine Folge der Allgemeinen Relativitäts-theorie, nach der die Raum-Zeit selbst eine dynamischeGröße ist. Eine Konsequenz daraus ist die Existenzvon Gravitationswellen. Obwohl bisher noch keineGravitationswellen direkt nachgewiesen wurden, zeigtdie Untersuchung des Doppelpulsars PSR J1915+1606,dass es solche Wellen gibt.8 Primordiale Gravitations-wellen stellen daher eine Möglichkeit dar, zwischenverschiedenen Modellen der Inflation empirisch zuunterscheiden. Solche Gravitationswellen hinterlasseneinen Abdruck in der Polarisation des kosmischen Mi-krowellenhintergrunds, der im Prinzip messbar ist. Eine

Satelliten-Mission, die diese Messungen erlauben soll,wird zurzeit geplant.

8 Der Doppelpulsar PSR J1915+1606 wurde 1974 entdeckt.Durch die Bahnbewegung des Pulsars und seines Begleitsternwerden nach der Allgemeinen Relativitätstheorie Gravitati-onswellen abgestrahlt. Dadurch verliert dieses System anBahnenergie, so dass die Größe des Orbits mit der Zeitschrumpft. Da Pulsare exzellente Uhren darstellen und Zeit-messungen mit extremer Präzision durchgeführt werdenkönnen, kann man die Änderung der Bahnbewegung sehrgenau verfolgen und mit den Vorhersagen der AllgemeinenRelativitätstheorie vergleichen. Die phantastische Überein-stimmung von Theorie und Beobachtung kann als sichererBeweis für die Existenz von Gravitationswellen betrachtetwerden. Für die Entdeckung des Doppelpulsars und die de-taillierten Untersuchungen dieses Systems wurden RussellHulse und Joseph Taylor 1993 mit dem Physik-Nobelpreisausgezeichnet.

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311

8. Kosmologie III: Die kosmologischen ParameterIn den Kapiteln 4 und 7 haben wir die wesentli-chen Aspekte des kosmologischen Standardmodellsbeschrieben. Zusammen mit den erworbenen Kennt-nissen über Galaxien, Galaxienhaufen und AGNs sindwir nun in der Lage, die Bestimmung der verschiede-nen kosmologischen Parameter diskutieren zu können.Dabei werden wir eine Reihe von Methoden kennenlernen, wobei jede für sich für die Abschätzung von kos-mologischen Parametern nützlich ist, und wir werdendie entsprechenden Ergebnisse dieser Methoden ange-ben. Der wichtigste Aspekt dieses Kapitels wird sein,dass wir heute für alle kosmologischen Parameter mehrals eine unabhängige Abschätzung haben und so dieBestimmung dieser Parameter eine große Redundanzbesitzt. Dieser Aspekt an sich ist deutlich wichtiger fürdie Kosmologie als die präzisen Werte der Parameterselbst, denn er wirkt gleichsam als Test der Konsistenzdes kosmologischen Modells.

Wir wollen diesen Aspekt an einem Beispiel verdeut-lichen. In Abschn. 4.4.4 haben wir diskutiert, wie manaus der primordialen Nukleosynthese und der Beobach-tung des Verhältnisses von Deuterium zu Wasserstoff imUniversum die kosmische Baryonendichte bestimmenkann. Diese Bestimmung beruht also auf der Richtigkeitunserer Vorstellung von der thermischen Geschichtedes frühen Universums sowie der Gültigkeit der Ge-setze der Kernphysik kurz nach dem Urknall. Wie wirspäter sehen werden, kann die Baryonendichte auchaus den Winkelfluktuationen der kosmischen Hinter-grundstrahlung abgeleitet werden, wobei man dafür dieim letzten Kapitel behandelte Strukturbildung in einemCDM-Modell als Grundlage benötigt. Falls unser Stan-dardmodell des Universums nicht stimmig wäre, gäbees keinen Grund, warum diese beiden so bestimmtenDichten in hervorragender Übereinstimmung miteinan-der sein sollten wie sie es sind. Aus diesem Vergleicherhält man deshalb nicht nur einen genaueren Wert alsmit jeder einzelnen Methode, sondern die Übereinstim-mung ist eine starke Aussage über die Gültigkeit desStandardmodells.

Wir beginnen in Abschn. 8.1 mit der Beobachtungder großräumigen Materieverteilung, der Large-ScaleStructure (LSS). Die großräumige Struktur der Materie-verteilung kann nicht direkt vermessen werden, sondern

nur die der sichtbaren Galaxien. Falls man annimmt,dass die Galaxienverteilung wenigstens ungefähr (dieswerden wir später noch genauer spezifizieren) der Ver-teilung der Dunklen Materie folgt, kann man aus ihr dasLeistungsspektrum der Dichtefluktuationen abschätzen,welches wiederum von den kosmologischen Parameternabhängt, wie wir im letzten Kapitel gesehen haben. Da-nach werden wir die für die kosmologischen Parameterrelevanten Aspekte der Galaxienhaufen in Abschn. 8.2zusammenfassen.

In Abschn. 8.3 werden Supernovae vom Typ Ia alsWerkzeuge der Kosmologie behandelt und ihr Hubble-Diagramm betrachtet. Da SN Ia als Standardkerzengelten, gibt ihr Hubble-Diagramm Aufschluss über dieDichteparameter Ωm und ΩΛ. Aus diesen Beobach-tungen wurde um 1998 zum ersten Mal ein deutlicherHinweis auf eine von Null verschiedene KosmologischeKonstante erhalten. Danach werden wir in Abschn. 8.4den Linseneffekt der LSS untersuchen, mit dessenHilfe man Information direkt über die LSS der Materieerhalten kann, ohne Annahmen hinsichtlich des Zusam-menhangs zwischen Materie und Galaxien machen zumüssen. In der Tat kann dieser Zusammenhang mittelsdes Linseneffekts direkt untersucht werden. Als Nächs-tes wenden wir uns in Abschn. 8.5 den Eigenschaftendes intergalaktischen Mediums zu, wobei insbeson-dere der Lyman-α-Wald in den Spektren von QSOs alskosmologische Sonde vorgestellt werden soll.

Schließlich beschäftigen wir uns in Abschn. 8.6mit der Diskussion der Anisotropie des kosmi-schen Mikrowellenhintergrunds, in der wir insbeson-dere zeigen werden, dass aus den Beobachtungendes CMB und dessen Analyse sehr umfangrei-che und genaue Informationen über die kosmolo-gischen Parameter zu erhalten sind. Insbesonderewerden wir über die neuesten und Aufsehen er-regenden Ergebnisse zu den CMB-Anisotropienberichten und die aus ihnen gewonnenen Erkennt-nisse zusammen mit den Resultaten der ande-ren Methoden betrachten. Aus dieser Kombinationkönnen dann die Parameter des kosmologischenModells spezifiziert werden; dieses kosmologischeStandardmodell beschreibt beinahe sämtliche kosmo-logisch relevanten Beobachtungen selbstkonsistent.

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312

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

8.1 Rotverschiebungssurveysvon Galaxien

8.1.1 Einleitung

Die inhomogene großräumige Verteilung der Materie,wie sie in Kapitel 7 beschrieben wurde, ist nicht di-rekt beobachtbar, da sie zum größten Teil aus DunklerMaterie besteht. Falls man annehmen könnte, dass dieVerteilung von Galaxien die darunterliegende Vertei-lung der Dunklen Materie treu nachzeichnet, so könnteman mit der Beobachtung der Galaxienverteilung imUniversum direkt die Eigenschaften der LSS studieren.Es gibt gute Gründe, warum diese Annahme nicht ganzunplausibel ist. Beispielsweise sehen wir eine großeDichte von Galaxien in Galaxienhaufen, und mit denin Kapitel 6 diskutierten Methoden kann man verifizie-ren, dass Haufen auch eine starke Konzentration derMasse darstellen. Rein qualitativ ist diese Annahmedaher begründet. Wir werden sie weiter unten etwasmodifizieren.

Auf alle Fälle erscheint die Verteilung der Galaxienan der Sphäre inhomogen zu sein und großräumigeStrukturen aufzuweisen, und da die Galaxien sichaus dem allgemeinen kosmischen Dichtefeld herausentwickelt haben, sollten sie Information über diesesbeinhalten. Es ist daher von großem Interesse, die Ei-genschaften der Galaxienverteilung zu untersuchen undzu quantifizieren.

Dazu gibt es zwei prinzipielle Möglichkeiten: Durchphotometrische Durchmusterungen des Himmels kanndie zwei-dimensionale Verteilung der Galaxien ander Sphäre beobachtet werden. Will man die dritteOrtskoordinate ebenfalls bestimmen, so muss mittelsSpektroskopie der Galaxien ihre Rotverschiebung be-stimmt werden, denn daraus kann unter Benutzung desHubble-Gesetzes die Entfernung berechnet werden. Esist offensichtlich, dass man aus der drei-dimensionalenVerteilung deutlich mehr über die statistischen Eigen-schaften der Galaxienverteilung lernen kann, so dassRotverschiebungssurveys von besonderem Interessesind.

Die graphische Darstellung der Galaxienpositionenwird mittels sog. Wedge-Diagramme erzielt. Diese stel-len den Sektor eines Kreises dar, mit der Milchstraßeim Zentrum, die Radialkoordinate ist proportional zu

Abb. 8.1. Der CfA-Rotverschiebungssurvey, in äquatorialenKoordinaten. Dieses ,,Wedge-Diagramm“ zeigt in radialerRichtung die Fluchtgeschwindigkeit cz bis zu 12 000 km/s,während der Polarwinkel die Rektaszension angibt. Die GreatWall erstreckt sich von 9h bis 15h. Die Überdichte bei 1h undcz = 4000 km/s ist der Pisces-Perseus-Superhaufen

z (bzw. cz – dadurch wird die Entfernung in km/s ge-messen), und der Polarwinkel des Diagramms stellt eineWinkelkoordinate am Himmel (z. B. die Rektaszension)dar, wobei ein Intervall in der zweiten Winkelko-ordinate betrachtet wird. Ein Beispiel eines solchenWedge-Diagramms ist in Abb. 8.1 zu sehen.

8.1.2 Rotverschiebungssurveys

Die Durchführung von Rotverschiebungssurveys isteine sehr zeitaufwändige Aufgabe im Vergleich zuphotometrischen Durchmusterungen, da die Aufnahmeeines Spektrums sehr viel mehr Beobachtungszeitverlangt als die bloße Bestimmung der scheinbarenHelligkeit einer Quelle. Die Geschichte der Rotver-schiebungssurveys ist daher, wie in so vielen anderenGebieten der Astronomie, von der Entwicklung vonTeleskopen und Instrumenten getrieben. Die Einfüh-rung von CCDs in der Astronomie zu Beginn der 80erJahre steigerte deutlich die Empfindlichkeit und Genau-

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8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien

313

igkeit optischer Detektoren und erlaubte dadurch dieDurchführung von Rotverschiebungssurveys mit meh-reren Tausend Galaxien im nahen Universum (sieheAbb. 8.1). Die Benutzung eines Einzelspalts im Spek-trographen implizierte, dass bei jeder Beobachtung nureine oder sehr wenige Galaxien spektroskopiert werdenkonnte. Die Situation änderte sich mit der Einfüh-rung von Spektrographen mit großer Multiplexität, diespeziell für Rotverschiebungssurveys entwickelt wur-den und mit denen viele (bis zu Tausend) Objekteim Gesichtsfeld gleichzeitig spektroskopiert werdenkönnen.

Strategie von Rotverschiebungssurveys. Ein solcherSurvey wird im Wesentlichen durch zwei Kriterien de-finiert. Zum einen seine Geometrie: Man wählt einenHimmelsausschnitt, in dem der Survey durchgeführtwerden soll. Das zweite ist die Auswahl von Objektenin dieser Region, für die ein Spektrum aufgenommenwerden soll. Aus praktischen Gründen wählt man infast allen Fällen Objekte nach ihrer Helligkeit aus, d. h.man spektroskopiert Galaxien heller als eine vorgege-bene Grenzhelligkeit. Diese bestimmt die Anzahldichtevon Galaxien im Survey, aber auch die notwendigeBelichtungszeit. Zur Anwendung des zweiten Kriteri-ums ist als Ausgangspunkt ein photometrischer Katalogvon Quellen nötig. Dieses Kriterium kann dann in ei-nigen Fällen weiter verfeinert werden. Beispielsweisekann eine Mindestausdehnung des Objekts vorgegebenwerden, um Sterne auszuschließen. Der Spektrographkann Einschränkungen an die Objektauswahl ergeben;z. B. kann man mit Multi-Objekt-Spektrographen häu-fig keine zwei Quellen spektroskopieren, die sich zunahe sind.

Beispiele von Rotverschiebungssurveys. In den 80erJahren wurde der Center for Astrophysics (CfA)-Survey durchgeführt, der die Rotverschiebungen vonüber 14 000 Galaxien im nahen Universum vermessenhat (Abb. 8.1). Die größten Entfernungen der Gala-xien entsprechen etwa cz ∼ 15 000 km/s. Eines derspektakulären Ergebnisse des CfA-Surveys war die Ent-deckung der ,,Great Wall“, einer riesigen Struktur in derGalaxienverteilung (siehe auch Abb. 7.2).

Der Las Campanas Redshift Survey (LCRS), durch-geführt in der ersten Hälfte der 90er Jahre, bestimmtedie Rotverschiebung von über 26 000 Galaxien in sechs

schmalen Streifen von jeweils 80◦ Länge und 1.5◦Breite, wobei mit Entfernungen bis zu ∼ 60 000 km/sdieser Survey deutlich tiefer ist als der CfA-Redshift-Survey. Die Verteilung der Galaxien ist in Abb. 8.2dargestellt. Man erkennt dort die typische Blasen- oderWabenstruktur. Galaxien sind verteilt auf Filamenten,die ihrerseits große Gebiete umgeben, in denen es bei-nahe keine Galaxien gibt – die bereits erwähnten Voids.Die Galaxienverteilung zeigt eine sehr ähnliche Strukturwie die aus numerischen Simulationen erzeugte Ver-

Abb. 8.2. Der Las Campanas Redshift Survey besteht ausjeweils drei Feldern am Nord- und Südgalaktischen Pol; je-des dieser Felder ist ein Streifen mit 1.5◦ Breite und 80◦Länge. Der Survey enthält insgesamt etwa 26 000 Galaxien,und der Median der Rotverschiebung ist etwa 0.1. Die je-weils drei Streifen zeigen die Verteilung der Galaxien an derSphäre, während das Wedge-Diagramm für die Galaxien mitgemessener Rotverschiebung die Rektaszension gegen Ent-fernung von der Milchstraße angibt, gemessen in Einheitenvon 1000 km s−1

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314

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

teilung der Dunklen Materie (siehe etwa Abb. 7.12).Weiterhin erkennt man aus der Verteilung, dass es keineStrukturen gibt, die von der typischen Ausdehnung desSurveys sind. Mit dem LCRS wurde daher eine Skalauntersucht, die größer ist als diejenige, auf der nochsignifikante Struktur in der Materieverteilung vorhan-den ist. Somit enthält das Survey-Volumen des LCRSeinen repräsentativen Ausschnitt des Universums.

Eine andere Art der Rotverschiebungssurveyswurde durch die Himmelsdurchmusterung des IRAS-Satelliten (siehe Abschn. 2.3.1) ermöglicht. Bei diesenIRAS-Surveys wurde die Auswahl von Objekten, fürdie Spektren aufgenommen wurden, aus dem Fluss bei60 μm bestimmt, wie er vom IRAS-Satelliten in seiner(fast) vollständigen Himmelsdurchmusterung gemessenwurde. Verschiedene Rotverschiebungssurveys basie-ren auf dieser Auswahl und unterscheiden sich durchden gewählten Grenzfluss; entsprechend gibt es z. B.den 2 Jy-Survey (also S60 μm ≥ 2 Jy), oder den 1.2 Jy-Survey. Die beiden QDOT- und PSCz-Surveys habeneine Flussgrenze von S60 μm ≥ 0.6 Jy, wobei QDOT einevon sechs zufällig ausgewählten Galaxien des IRAS-Samples spektroskopiert hat, während PSCz praktischvollständig ist und ∼ 15 500 Rotverschiebungen ent-hält. Einer der Vorteile dieser IRAS-Surveys bestehtdarin, dass der FIR-Fluss praktisch unbeeinflusst vonGalaktischer Absorption ist, während bei der Auswahlder Galaxien durch optische Photometrie dieser Ef-fekt korrigiert werden muss. Weiterhin ist der PSCzein ,,all-sky“ Survey und enthält somit die Galaxien-verteilung in einer Kugel um uns herum, so dass manein vollständiges Bild der lokalen Galaxienverteilungerhält. Allerdings muss man sich darüber im Klarensein, dass es sich hier um einen bestimmten Typ vonGalaxien handelt, nämlich bevorzugt solche mit einemhohen Staubanteil und aktiver Sternentstehung, die zurHeizung des Staubes führt.

Der Canada-France Redshift Survey (CFRS) spek-troskopierte schwache Galaxien mit 17.5 ≤ I ≤ 22.5,bei denen der Median der Rotverschiebung etwa 0.5 be-trägt. Der Katalog enthält 948 Objekte, von denen 591Galaxien sind. Mit diesem Survey, durchgeführt miteinem Multi-Objekt-Spektrographen am CFHT (sieheAbschn. 1.3.3), der bis zu etwa 100 Spektren simultanaufnehmen konnte, wurde das Studium der Entwick-lung von Galaxien, wie etwa ihrer Leuchtkraftfunktionoder der Sternentstehungsrate, sowie der Abhängigkeit

der Korrelationsfunktion von der Rotverschiebung zumersten Mal ermöglicht.

Der 2dF-Survey und der Sloan Digital Sky Survey.Die wissenschaftlichen Ergebnisse der ersten Rot-verschiebungssurveys legten deutlich umfangreichereSurveys nahe, mit denen man die Statistik der Galaxien-verteilung verbessern konnte, indem man über erheblichgrößere Volumina im Universum mittelte. Weiterhinwürde die Untersuchung der Galaxienverteilung beihöheren Rotverschiebungen es auch ermöglichen, eineEntwicklung in der Verteilung der Galaxien zu messen.Mit u. a. diesen Zielsetzungen wurden zwei sehr um-fangreiche Rotverschiebungssurveys durchgeführt, der2 degree Field Galaxy Redshift Survey (2dFGRS) undder Sloan Digital Sky Survey (SDSS).

Der 2dFGRS wurde mit einem eigens dafür ge-bauten Spektrographen durchgeführt, bei dem mittelsLichtleitern bis zu 400 Spektren gleichzeitig aufge-nommen werden, wobei die Quellen auf einem Feldmit einem Durchmesser von zwei Grad verteilt seinkönnen. Dieser Spektrograph wurde am 4 m-AngloAustralian Telescope montiert. Die Positionierung derLichtleiter auf die zu spektroskopierenden Objekte wirdvon einem Roboter vorgenommen. Das Gebiet desSurveys umfasst zwei große zusammenhängende Him-melsregionen von 75◦ ×15◦ und 75◦ ×7.5◦, sowie 100weitere zufällig verteilte Felder. Der photometrischeAusgangskatalog war der APM-Galaxienkatalog, derdurch Digitalisierung von Photoplatten erstellt wurde.Die Grenzgröße der Galaxien, für die ein Spektrum auf-genommen wurde, beträgt etwa B � 19.5, wobei dieserWert hinsichtlich der Galaktischen Extinktion korrigiertwurde. Der 2dFGRS wurde fertiggestellt und enthält dieRotverschiebungen von über 230 000 Galaxien (sieheAbb. 7.1). Die Spektren und Rotverschiebungen sindinzwischen öffentlich erhältlich. Die wissenschaftlicheAusbeute dieses großen Datensatzes ist bereits jetzt sehrbeeindruckend, wie wir weiter unten noch darstellenwerden.

Für den SDSS wurde sogar eigens ein 2.5 Meter-Teleskop gebaut, das mit zwei Instrumenten ausgestattetist. Zum einen wird eine Kamera mit 30 CCDs etwa einViertel des Himmels in fünf photometrischen Bändernbeobachten und damit die mit Abstand größte pho-tometrische Durchmusterung mit CCDs durchführen.Die dabei anfallende Datenmenge ist enorm und bedarf

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8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien

315

eines riesigen Aufwands zur Bearbeitung und Speiche-rung dieser Daten. Für diesen photometrischen SloanSurvey wurde ein neues photometrisches System ent-wickelt, dessen fünf Filter (u, g, r, i, z) so gewähltwurden, dass ihre Transmissionskurven möglichst we-nig überlappen (siehe Anhang A.4). Die Auswahl vonObjekten zur Spektroskopie wird dann mittels dieserphotometrischen Information durchgeführt. Die Multi-Objekt-Spektroskopie basiert wie beim 2dF-Surveyebenfalls auf Lichtleitern, die in zuvor gestanzte Löcherin Metallplatten manuell eingeführt werden. Mit ca.640 simultan aufgenommenen Spektren ist die Strategieähnlich wie beim 2dFGRS. Das Ziel des spektroskopi-schen Surveys ist die Gewinnung von etwa einer MillionGalaxienspektren. In regelmäßigen Abständen werdendie Datenprodukte des SDSS öffentlich zugänglich ge-macht, und zurzeit (2005) ist der Survey etwa zur Hälftepubliziert. Auch für den SDSS gilt, dass bereits die bis-herige wissenschaftliche Ausbeute sehr reichhaltig istund sich nicht allein auf Rotverschiebungssurveys vonGalaxien beschränkt. Insbesondere werden die photo-metrischen Daten für eine große Vielzahl von anderenGalaktischen und extragalaktischen Projekten benutzt.

Sowohl der 2dF-Survey als auch SDSS spektrosko-pieren neben Galaxien auch QSOs, die aufgrund ihreroptischen Farben ausgewählt werden; so entstanden diebei weitem umfangreichsten QSO-Surveys.

8.1.3 Bestimmung des Leistungsspektrums

Wir kehren nun zur Frage zurück, wie man aus derbeobachteten Galaxienverteilung die Verteilung der(Dunklen) Materie im Universum bestimmen kann.Falls Galaxien die Verteilung der Dunklen Materie ge-treu nachzeichnen, kann man das Leistungsspektrumder Dunklen Materie aus der Galaxienverteilung ermit-teln. Da jedoch die Entstehung und die Entwicklung vonGalaxien nicht genau genug verstanden sind, um denZusammenhang zwischen ihnen und der Dunklen Ma-terie quantitativ vorhersagen zu können (jedenfalls nichtohne eine ganze Reihe von Modellannahmen), ist dieseAnnahme nicht ohne weiteres gerechtfertigt. Beispiels-weise könnte es sein, dass es eine Schwelle der lokalenDichte der Dunklen Materie gibt, unterhalb derer Ga-laxienentstehung nicht stattfinden kann oder zumindeststark behindert ist.

Man parametrisiert den Zusammenhang zwischenDunkler Materie und Galaxien mit dem sog. linearenBias-Faktor b; er wird definiert durch

δg := Δn

n= b

Δρ

ρ= b δ , (8.1)

wobei n die mittlere Dichte der betrachteten Galaxien-population und Δn = n − n die Abweichung der lokalenAnzahldichte von Galaxien von ihrer mittleren Dichtebezeichnet. Der Bias-Faktor ist also das Verhältnis zwi-schen der relativen Überdichte von Galaxien und derDunklen Materie. Ein solcher linearer Zusammenhangist nicht strikt aus der Theorie begründbar. Er ist aber einplausibler Ansatz für Skalen, auf denen das Dichtefeldlinear ist. Der Bias-Faktor b kann im Prinzip abhängenvom Typ der Galaxie, der Rotverschiebung und von derbetrachteten Längenskala.

Die Definition (8.1) ist im statistischen Sinn zu ver-stehen: In einem betrachteten Volumen V erwartet manim Mittel N = n V Galaxien, beobachtet seien N = n V ,d. h.(

Δn

n

)V

= n − n

n= N − N

N= b δV ,

wobei δV der Dichtekontrast der Dunklen Materie ist,gemittelt über das Volumen V . Unter der Annahme vonlinearem Biasing kann man dann von den statistischenEigenschaften der Galaxienverteilung auf die der Mate-rie schließen. Ein physikalisches Modell für das Biasingist in Abb. 8.3 skizziert.

Normierung des Leistungsspektrums. In Abschn.7.4.2 haben wir gezeigt, dass im Rahmen desCDM-Modells das Leistungsspektrum der Dichte-fluktuationen bis auf die Normierung vorhergesagtwerden kann; die Normierung muss allerdings empi-risch bestimmt werden. Eine nützliche Weise, diese zuparametrisieren, besteht in dem Parameter σ8. Dieserergibt sich durch folgende Beobachtung:

Betrachtet man Kugeln mit Radius R = 8h−1 Mpc, sofindet man, dass optisch-selektierte Galaxien auf dieserSkala eine Fluktuationsamplitude von etwa 1 haben,

σ28,g :=

⟨(Δn

n

)2⟩

8

≈ 1 , (8.2)

wobei die Mittelung über verschiedene Kugeln mit glei-chem Radius von R = 8h−1 Mpc erfolgt. Entsprechend

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316

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.3. Die Skizze stellt ein bestimmtes Modell des Biasingdar. Das eindimensionale Dichteprofil der Materie sei durchdie durchgezogene Kurve gegeben, wobei es sich als Super-position einer langwelligen Fluktuation (dargestellt durch diegestrichelte Kurve) und einer kleinskaligen Fluktuation er-gibt. Wenn man annimmt, dass Galaxien sich nur dort bildenkönnen, wo das Dichtefeld einen bestimmten Wert überschrei-

tet, hier als Gerade eingezeichnet, dann sind die Galaxien indiesem Dichteprofil dort lokalisiert, wo sie durch Pfeile ange-deutet sind. Offensichtlich sind die Positionen der Galaxienhochgradig korreliert; sie bilden sich nur dort, wo die groß-skalige Fluktuation ein Maximum besitzt. Die Korrelation derGalaxien in diesem Bild ist auf kleinen Skalen deutlich größerals die Korrelation des darunterliegenden Dichtefeldes

definiert man durch

σ28 = ⟨δ2⟩

8 (8.3)

die Dispersion des über Kugeln mit R = 8h−1 Mpc ge-mittelten Dichtekontrasts der Dunklen Materie. Aus derDefinition (8.1) des Bias-Faktors ergibt sich dann

σ8 = σ8,g

b≈ 1

b. (8.4)

Wegen dieses einfachen Zusammenhangs hat es sicheingebürgert, σ8 als Parameter für die Normierung desLeistungsspektrums zu benutzen.1 Falls b = 1, alsoGalaxien treu der Materie folgen würden, dann wäreσ8 ≈ 1. Falls b nicht allzu verschieden von 1 ist, sosieht man, dass Dichtefluktuationen auf einer Skalavon ∼ 8h−1 Mpc heute gerade nichtlinear werden. Aufgrößeren Skalen ist die Entwicklung des Dichtekon-trastes angenähert durch die lineare Störungstheoriebeschreibbar.

Form des Leistungsspektrums. Nimmt man an, dassb nicht von der betrachteten Längenskala abhängt, kannman aus dem Leistungsspektrum Pg(k) der Galaxiendie Form des Leistungsspektrums der Dunklen Mate-rie ermitteln, während die Amplitude von b abhängt.

1Genauer gesagt betrachtet man σ8 als Normierung des linearnach heute extrapolierten Leistungsspektrums P0(k), so dass derZusammenhang (8.4) etwas modifiziert werden muss.

Wie wir in Abschn. 7.4.2 gesehen haben, wird im Rah-men von CDM-Modellen die Form von P(k) durch denFormparameter Γ = h Ωm beschrieben.

Der Vergleich der Form des Leistungsspektrums vonGalaxien mit dem von CDM-Modellen ergibt Γ ∼ 0.25(siehe Abb. 8.4); wegen Γ = hΩm deutet dieses Resultatauf ein Universum kleiner Dichte hin.

Aus dem 2dFGRS wurde das Leistungsspektrum vonGalaxien mit deutlich größerer Genauigkeit vermessen,als dies vorher möglich war. Da ein konstantes b nichterwartet werden kann im nichtlinearen Bereich, d. h.auf Skalen unterhalb von ∼ 10h−1 Mpc, werden beimVergleich mit Leistungsspektren von CDM-Modellennur solche linearen Skalen verwendet. Da der Dichte-parameter Ωm relativ klein zu sein scheint, spielt diebaryonische Dichte eine merkliche Rolle in der Formder Transferfunktion (siehe Gl. 7.25), die neben Γ auchvon Ωb abhängt. Die Messgenauigkeit der Galaxien-verteilung im 2dFGRS ist gut genug, um für dieseAbhängigkeit empfindlich zu sein. In Abb. 8.5 ist dasgemessene Leistungsspektrum der Galaxien aus dem2dFGRS dargestellt, zusammen mit CDM-Modellenmit unterschiedlichem Formparameter Γ , sowohl fürden Fall, dass die Baryonendichte in der Transfer-funktion vernachlässigt wurde, als auch mit dem Wertvon Ωb, der sich aus der primordialen Nukleosyntheseergibt (siehe Abschn. 4.4.4).

Betrachtet man Modelle, in denen Ωb ein freierParameter ist, so ergeben sich zwei Bereiche im

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8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien

317

Abb. 8.4. Links ist das Leistungsspektrum von Gala-xien dargestellt, wobei Δ2(k) ∝ k3 P(k) eine dimensionsloseBeschreibung des Leistungsspektrums ist; es wurde auseiner ganzen Reihe von Galaxiensurveys bestimmt. Rechtssind Modellspektren für Δ(k) aufgetragen, wobei Γ

von 0.5 (oberste Kurve) bis 0.2 (unterste Kurve) vari-iert; die Daten der verschiedenen Surveys wurden hiergeeignet gemittelt. Man erkennt, dass ein Wert des Form-parameters Γ ∼ 0.25 sehr gut zu diesen Beobachtungenpasst

Abb. 8.5. Links: Das aus dem 2dFGRS gemessene Leis-tungsspektrum der Galaxienverteilung, hier ausgedrücktdurch Δ2(k) ∝ k3 P(k), sowie Leistungsspektren von CDM-Modellen mit unterschiedlichem Formparameter Γ = Ωmh,einmal mit dem Wert für die Baryonendichte, wie sie aus derprimordialen Nukleosynthese (BBN) bestimmt wurde (durch-gezogene Kurven), als auch für Modelle ohne Baryonen(gestrichelte Kurven). Der Wert der Hubble-Konstanten so-wie die Steigung n = 1 des primordialen Leistungsspektrumswurden angenommen. Ein sehr guter Fit der Beobachtungs-

daten ergibt sich mit Γ ≈ 0.2. Rechts: Konfidenz-Konturenin der Ωmh–Ωb/Ωm-Ebene. Es zeigen sich zwei Bereichedes Parameterraums, die eine gute Anpassung der Datenergeben. Der obere Bereich ist mit keinen anderen kos-mologischen Messungen verträglich. Im Gegensatz dazu istder untere Bereich im Parameterraum in hervorragenderÜbereinstimmung mit Messungen aus der BBN (siehe Ab-schn. 4.4.4), dem Baryonenanteil in Galaxienhaufen (sieheAbschn. 8.2.3) und den Messungen der Anisotropie des CMB(siehe Abschn. 8.6)

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318

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Parameterraum, die das Leistungsspektrum der Galaxi-enverteilung gut wiedergeben (siehe Abb. 8.5). Einer derbeiden Bereiche zeichnet sich durch einen sehr großenBaryonenanteil der Materiedichte aus, sowie einen sehrgroßen Wert für Ωmh. Diese Parameterwerte sind mitpraktisch keiner anderen Bestimmung kosmologischerParameter verträglich. Andererseits ergibt sich einegute Anpassung an die Form des Leistungsspektrumsfür

Γ = Ωmh = 0.18±0.02 , Ωb/Ωm = 0.17±0.06 .

(8.5)

Wie in der Abb. 8.5 dargestellt ist und wie wirunten noch zeigen werden, sind diese Werte der Pa-rameter in sehr guter Übereinstimmung mit denen,die man aus anderen kosmologischen Beobachtungenerhält.

Vergleicht man die Leistungsspektren von zwei ver-schiedenen Typen von Galaxien miteinander, so solltendiese proportional zueinander (und zum Leistungsspek-trum der Dunklen Materie) sein, aber ihre Amplitudenkönnen sich unterscheiden, wenn ihre Bias-Faktoren un-terschiedlich sind. Der Vergleich der Leistungsspektrenvon roten und blauen Galaxien im 2dFGRS zeigt ei-nerseits, dass diese tatsächlich eine sehr ähnliche Formaufweisen, was die Annahme eines linearen Biasingauf großen Skalen unterstützt, andererseits ist der Bias-Faktor der roten Galaxien etwa um einen Faktor 1.4größer als der der blauen. Dieses Resultat ist nicht ganzunerwartet, weil sich rote Galaxien bevorzugt in Ga-laxienhaufen aufhalten, während blaue Galaxien kaumin massereichen Haufen zu finden sind. Daher schei-nen die roten Galaxien den Dichtekonzentrationen derDunklen Materie sehr viel deutlicher zu folgen als dieblauen Galaxien.

8.1.4 Einfluss von Pekuliargeschwindigkeiten

Galaxien im Universum bewegen sich nicht nuraufgrund der Hubble-Expansion, sondern besitzenzusätzlich noch eine Pekuliargeschwindigkeit. DiePekuliargeschwindigkeit der Milchstraße ist durchden CMB-Dipol messbar (siehe Abb. 1.17). Wegendieser Pekuliargeschwindigkeiten ist die beobach-tete Rotverschiebung einer Quelle die Überlage-rung der kosmischen Expansionsgeschwindigkeit und

der Pekuliargeschwindigkeit v entlang der Sicht-linie,

c z = H0 D+v . (8.6)

Da die Pekuliargeschwindigkeit die Messung der beidenanderen Raumkoordinaten (Winkelpositionen) nicht be-einflusst, verzerrt sie die Position der Galaxien in denWedge-Diagrammen, relativ zu den wahren Positio-nen, durch eine Verschiebung in radialer Richtung.Da nur die Rotverschiebung messbar ist, i. A. abernicht die wahre Entfernung D, ist die gemessenedrei-dimensionale Position einer Quelle durch die Win-kelkoordinaten und die Rotverschiebungsentfernung

s = c z

H0= D+ v

H0(8.7)

gegeben. Man nennt den durch diese drei Koordina-ten aufgespannten Raum den Rotverschiebungsraum.Insbesondere erwartet man, dass in diesem Rotverschie-bungsraum die Korrelationsfunktion der Galaxien nichtisotrop ist.

Das bekannteste Beispiel für diesen Effekt sind die,,Fingers of God“. Dazu betrachten wir die Galaxieneines Haufens. Diese befinden sich in einem kleinenRaumgebiet, also alle bei etwa der gleichen Entfer-nung D und innerhalb eines kleines Raumwinkels ander Sphäre. Aufgrund der hohen Geschwindigkeitsdis-persion der Galaxien erstrecken sie sich aber über einenbreiten Bereich in s, was in einem Wedge-Diagramm alslanggestreckte, auf uns zu zeigende Strukturen leicht zuerkennen ist (siehe Abb. 7.2).

Massenkonzentrationen kleinerer Dichte habeneinen gegenteiligen Effekt: Galaxien, die sich näher beiuns befinden als diese Überdichte, bewegen sich aufdiese Konzentration zu, also von uns weg, so dass derenRotverschiebungsentfernung s größer ist als ihr wah-rer Abstand D. Umgekehrt ist die Pekuliarbewegungvon Galaxien hinter der Massenkonzentration auf unszugerichtet, weshalb deren s kleiner ist als ihr wahrerAbstand. Betrachtet man nun Galaxien, die auf einerKugelschale um diese Massenkonzentration angeord-net sind, dann wird die Kugel im physikalischen Raumzu einem entlang der Sichtlinie abgeplatteten Ellipsoidim Rotverschiebungsraum. Dieser Effekt ist in Abb. 8.6illustriert.

Aufgrund der durch die Pekuliargeschwindigkeitenhervorgerufenen Verzerrung zwischen dem physikali-schen Raum und dem Rotverschiebungsraum, die sich

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8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien

319

Abb. 8.6. Einfluss der Pekuliargeschwindig-keiten auf die Position von Galaxien imRotverschiebungsraum. Links oben sind Gala-xien (Punkte) mit Kurven verbunden, die sichin Wirklichkeit auf Kugelschalen befinden; dieErklärung dazu ist unten gegeben: Auf großenSkalen fallen die Galaxien auf einen Gala-xienhaufen ein, uns näher stehende Galaxienbewegen sich von uns weg und erscheinen da-durch im Rotverschiebungsraum entfernter, alssie es wirklich sind. Der Haufen selbst erzeugteinen ,,Finger of God“. Im rechten oberen Bildist der gleiche Effekt zu sehen für den Fall,dass sich der Haufen nahe bei uns (kleinerKreis Mitte unten) befindet

in der Transformation (8.7) der radialen Ortskoordi-nate (also der entlang der Sichtlinie) widerspiegelt, istdie Korrelationsfunktion der Galaxien im Rotverschie-bungsraum nicht mehr isotrop. Der Grund dafür istder Zusammenhang zwischen dem Dichtefeld und dementsprechenden Pekuliargeschwindigkeitsfeld. Spezia-lisiert man (7.47) auf die heutige Epoche und benutztden Zusammenhang (8.1) zwischen dem Dichtefeld derMaterie und dem der Galaxien, so erhält man

u(x) = βH0

∫d3 y δg(y)

y − x|y − x|3 , (8.8)

wobei wir die Größe

β := Ω0.6m

b(8.9)

definiert haben. Dieser Zusammenhang zwischen demDichtefeld der Galaxien und der Pekuliargeschwindig-keit gilt im Rahmen der linearen Störungstheorie unterder Annahme des linearen Biasing. Die Anisotropie derKorrelationsfunktion wird nun durch diese Korrelationzwischen u(x) und δg hervorgerufen, und die Stärke derAnisotropie hängt von dem Parameter β ab. Da die Kor-

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320

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.7. Die 2-Punkt-Korrelationsfunktion ξg, wie sie ausdem 2dFGRS gemessen wurde, ist als Funktion des trans-versalen Abstands σ und des radialen Abstands π imRotverschiebungsraum aufgetragen; durchgezogene Kurvenbezeichnen Werte konstanten ξ . Die gestrichelten Kurvenzeigen die gleiche Korrelationsfunktion, wie sie aus ei-ner kosmologischen Simulation unter Berücksichtigung derkleinskaligen Geschwindigkeiten ermittelt wurden. Das Ab-flachen der Verteilung für große Abstände und die Fingers ofGod sind klar zu erkennen

relationsfunktion anisotrop ist, gilt dies genau so für dasLeistungsspektrum.

In der Tat ist die Anisotropie der Korrelationsfunk-tion messbar, und ist für den 2dFGRS in Abb. 8.7dargestellt (wobei in dieser Abbildung die übliche Kon-vention benutzt wurde, dass der transversale Abstandals σ , der longitudinale im Rotverschiebungsraum mit πbezeichnet wird). Man erkennt deutlich die Abplat-tung der Kurven gleicher Korrelationsstärke entlangder Sichtlinie für Abstände � 10h−1 Mpc, bei denendas Dichtefeld noch linear ist, während bei kleinenAbständen sehr deutlich der finger-of-god-Effekt zu er-kennen ist. Diese Abplattung bei großen Abständenhängt aufgrund von (8.8) direkt von β ab, weshalbβ aus dieser Anisotropie bestimmt werden kann. Al-lerdings muss dabei zusätzlich berücksichtigt werden,dass Galaxien nicht strikt dem kosmischen Geschwin-

digkeitsfeld folgen, sondern aufgrund kleinskaligergravitativer Wechselwirkungen eine Geschwindigkeits-dispersion σp besitzen. Eine quantitative Interpretationder Anisotropie der Korrelationsfunktion muss diesenEffekt, der ein zusätzliches ,,Verschmieren“ der Posi-tion von Galaxien im Rotverschiebungsraum entlangder Sichtlinie hervorruft, mit berücksichtigen. Der Wert,den man für β ableitet, hängt daher mit σp zusammen.Beide Werte können simultan bestimmt werden, indemman die beobachtete Korrelationsfunktion mit Model-len unterschiedlicher Werte von β und σp vergleicht.Dies ergibt dann Konfidenzregionen in der β-σp-Ebene,die ein deutliches Minimum der entsprechenden χ2-Funktion aufweisen, weshalb beide Parameter simultanabgeschätzt werden können. Man erhält als bestenSchätzwert

β = 0.51±0.05 ; σp ≈ 520 km/s . (8.10)

8.1.5 Winkelkorrelationen von Galaxien

Die Vermessung der Korrelationsfunktion oder desLeistungsspektrums ist nicht nur mit extensiven Rot-verschiebungssurveys von Galaxien möglich, die ja erstseit relativ kurzer Zeit zur Verfügung stehen, sondernman kann die Korrelationseigenschaften von Galaxienauch aus ihrer Winkelposition an der Sphäre bestimmen:Aus der drei-dimensionalen Korrelation der Galaxienim Raum folgt, dass ihre Winkelpositionen ebenfallskorreliert sind. Diese Winkelkorrelationen sind ja be-reits in der Projektion der hellen Galaxien an der Sphäredirekt sichtbar (siehe Abb. 6.2).

Die Winkelkorrelationsfunktion w(θ) ist definiertin Analogie zur drei-dimensionalen Korrelationsfunk-tion ξ(r) (siehe Abschn. 7.3.1): Wenn man zweiRaumwinkelelemente dω bei θ1 und θ2 betrachtet, soist die Wahrscheinlichkeit, in dem bei θ1 eine Galaxiezu finden, P1 = n dω, wobei n die mittlere Dichte derGalaxien (mit wohldefinierten Eigenschaften, wie etwader minimalen Grenzhelligkeit) an der Sphäre bezeich-net. Die Wahrscheinlichkeit, eine Galaxie um θ1 undeine weitere um θ2 zu finden, ist dann

P2 = (n dω)2 [1+w(|θ1 − θ2|)] , (8.11)

wobei wir bereits die statistische Homogenität undIsotropie der Galaxienverteilung ausgenutzt haben,

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8.1 Rotverschiebungssurveys von Galaxien

321

aufgrund derer die Korrelationsfunktion w nur vomBetrag des Winkelabstands abhängt. Die Winkel-korrelationsfunktion w(θ) hängt natürlich sehr engzusammen mit der drei-dimensionalen Korrelati-onsfunktion ξg der Galaxien. Weiterhin ist w(θ)

abhängig von der Rotverschiebungsverteilung der be-trachteten Galaxien; je breiter diese Verteilung ist,umso weniger Paare von Galaxien findet man beigegebenem Winkelabstand, die sich auch im drei-dimensionalen Raum nahe und daher korreliert sind.Das bedeutet, je breiter die Rotverschiebungsvertei-lung der Galaxien, umso kleiner ist die erwarteteWinkelkorrelation.

Der Zusammenhang zwischen w(θ) und ξg(r) istgegeben durch die Limber-Gleichung, die in ihrereinfachsten Form geschrieben werden kann als

w(θ) =∫

dz p2(z)∫

d(Δz)

× ξg

⎛⎝√

[DA(z)θ]2 +(

dD

dz

)2

(Δz)2

⎞⎠ , (8.12)

wobei DA(z) der Winkelabstand (4.45) ist, p(z) die Rot-verschiebungsverteilung der Galaxien beschreibt unddD das physikalischen Entfernungsintervall angibt, daseinem Rotverschiebungsintervall dz entspricht,

dD = −c dt = −c da

a H⇒ dD

dz= c

(1+ z) H(z).

Lange bevor umfangreiche Rotverschiebungssurveysdurchgeführt wurden, konnte man die Korrelation w(θ)

vermessen. Da sie linear mit ξg zusammenhängt, undξg wiederum vom Fluktuationsspektrum der Materieund dem Bias-Faktor abhängt, konnte man gemesseneWinkelkorrelationen mit kosmologischen Modellenvergleichen. Aus solchen Untersuchungen ergaben sichbereits seit längerer Zeit Hinweise auf einen klei-nen Wert des Formparameters Γ = Ωmh von etwa1/4 (siehe Abb. 8.4), der mit einem Einstein–de-Sitter-Universum unverträglich ist. Die Abb. 8.8 zeigt w(θ) fürvier Magnitudenintervalle, wie sie vom SDSS gemessenwurde. Man erkennt, dass w(θ) über einen weiten Win-kelbereich einem Potenzgesetz folgt, wie man das aus(8.12) und der Tatsache, dass ξ(r) einem Potenzgesetzfolgt, auch erwarten würde.2 Weiterhin zeigt die Abbil-

2Es ist leicht zu zeigen, dass ein Potenzgesetz ξ(r) ∝ r−γ eineWinkelkorrelation w(θ) ∝ θ−(γ−1) impliziert.

Abb. 8.8. Die Winkelkorrelationsfunktion w(θ) in denvier Magnitudenintervallen 18 < r∗ < 19, 19 < r∗ < 20,20 < r∗ < 21 und 21 < r∗ < 22, wie sie aus den ersten pho-tometrischen Daten des SDSS gemessen wurde, zusammenmit Potenzgesetz-Fits der Daten über den Winkelbereich1′ ≤ θ ≤ 30′; die Steigung ist in allen Fällen sehr nahe beiθ−0.7

dung, dass w(θ) umso kleiner ist, je leuchtschwächerdie Galaxien sind, da schwächere Galaxien im Mitteleine größere Rotverschiebung haben und eine breitereRotverschiebungsverteilung einnehmen.

8.1.6 Kosmische Pekuliargeschwindigkeiten

Die Beziehung (8.8) zwischen dem Dichtefeld der Ga-laxien und der Pekuliargeschwindigkeit kann noch ineinem weiteren Zusammenhang benutzt werden. Dazunehmen wir an, die Entfernung von Galaxien könnte un-abhängig von ihrer Rotverschiebung bestimmt werden.Dies ist im relativ lokalen Universum durch sekundäreEntfernungsmaße (wie etwa die Skalierungsrelationenvon Galaxien) möglich. Aus dieser Entfernung kannman nun mit Hilfe der Rotverschiebung die radialeKomponente der Pekuliargeschwindigkeit bestimmen,

v = cz − H0 D .

Um Werte von v in der Größenordnung ∼ 500 km/smessen zu können, muss D mit einer relativen

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322

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Genauigkeit vonv

czbestimmt werden. Falls die Entfernungsmessung ca.10% Genauigkeit besitzt, so begrenzt dies die

Abb. 8.9. Das Pekuliargeschwindigkeitsfeld und das darausabgeleitete Dichtefeld in unserer näheren Umgebung. Die Ent-fernungen sind hier als Fluchtgeschwindigkeit in Einheitenvon 1000 km/s angegeben. Die Massenkonzentration links,auf die die Geschwindigkeitsvektoren gerichtet sind, ist derGreat Attractor, rechts ist der Pisces-Perseus-Supercluster.Durch Vergleich dieser so rekonstruierten Massenverteilungmit der Verteilung der Galaxien kann man β bestimmen; sol-che Untersuchungen haben zunächst relativ große Werte für β

ergeben, neuere Ergebnisse zeigen eher β ∼ 0.5. Da der Bias-Faktor für unterschiedliche Typen von Galaxien verschiedensein kann, kann auch β von der Sorte der betrachteten Galaxienabhängen; man findet z. B., dass IRAS-Galaxien kleineres β,und daher auch kleineres b besitzen als optisch selektierteGalaxien

Entfernung cz/H0 ∼ 100 Mpc, entsprechend einer Ex-pansionsgeschwindigkeit cz ∼ 6000 km/s, so dass dasPekuliargeschwindigkeitsfeld nur relativ lokal mess-bar ist. Die Messung von D erfolgt typischerweisemit der Tully–Fisher-Relation für Spiralen und derFundamental-Ebene oder der Dn-σ-Relation für Ellip-sen. Meist wendet man diese Messungen auf Gruppenvon Galaxien an, die daher in etwa die gleicheEntfernung haben, da dadurch die Genauigkeit dergemeinsamen (oder mittleren) Entfernung verbessertwerden kann.

Nun ermöglicht der Zusammenhang (8.8), aus demgemessenen Dichtefeld der Galaxien das Pekuliar-

Abb. 8.10. Eine Aufnahme in Richtung des Great Attractors.Dieses Bild hat die Größe von einem halben Grad Seitenlängeund wurde mit dem WFI am ESO/MPG 2.2 Meter-Teleskopauf La Silla aufgenommen. Die Richtung ist nur etwa 7◦ vonder Galaktischen Scheibe entfernt. Deshalb ist die Sterndichteauf dieser Aufnahme extrem hoch (man kann etwa 200 000Sterne auf dieser Aufnahme finden), und die Extinktion inder Scheibe der Milchstraße bewirkt, dass man sehr viel we-niger schwache Galaxien hoher Rotverschiebung auf dieserAufnahme findet als auf vergleichbaren Aufnahmen bei hoherGalaktischer Breite. Dennoch ist eine große Zahl von Galaxienzu erkennen (grünlich), die zu einem gewaltigen Galaxien-haufen gehören (ACO 3627, Entfernung etwa 80 Mpc), dervermutlich den Hauptbeitrag zum Great Attractor liefert

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8.2 Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen

323

geschwindigkeitsfeld vorherzusagen, was dann mitden gemessenen Pekuliargeschwindigkeiten verglichenwerden kann – wobei dieser Zusammenhang von β ab-hängt. Daher kann aus diesem Vergleich β abgeschätztwerden. Auch die Umkehrung dieser Methode ist mög-lich, man kann aus dem Pekuliargeschwindigkeitsfelddas Dichtefeld ermitteln und mit der beobachteten Ga-laxienverteilung vergleichen. Ein solcher Vergleich istin Abb. 8.9 dargestellt.

Die Messung des Pekuliargeschwindigkeitsfeldesführte Mitte der 80er Jahre dazu, dass man aufeine Massenkonzentration schloss, die das lokaleGeschwindigkeitsfeld beeinflussen sollte, die aller-dings nicht mit einer großen Konzentration vonGalaxien identifiziert werden konnte. Diese Mas-senkonzentration (sie erhielt den Namen ,,GreatAttractor“) lag etwa in der Richtung zum Galakti-schen Zentrum, weshalb sie nicht direkt beobachtetwerden konnte. Mit modernen Weitwinkelkameraswurde inzwischen in dieser Richtung ein masserei-cher Galaxienhaufen beobachtet – siehe Abb. 8.10.

8.2 Kosmologische Parameteraus Galaxienhaufen

Als massereichste und größte gravitativ gebundeneund relaxierte Objekte im Universum sind Galaxien-haufen von besonderem Wert für die Kosmologie. Indiesem Abschnitt wollen wir einige Methoden erläu-tern, mit Hilfe derer man aus der Beobachtung vonGalaxienhaufen kosmologische Parameter abgeleitethat.

8.2.1 Anzahldichte

Wir haben in Abschn. 7.5.2 gesehen, dass für ein ge-gebenes kosmologisches Modell die Anzahldichte vonHalos als Funktion der Masse und der Rotverschiebungberechnet werden kann. Das legt nun nahe, die beob-achtete Anzahldichte von Galaxienhaufen mit diesenModellergebnissen zu vergleichen und daraus Schlüssezu ziehen. Wie wir in Kapitel 6 gesehen haben, wird dieSelektion von Haufen mittels ihrer Röntgenemissionzurzeit als die zuverlässigste Methode betrachtet. Diein Abschn. 6.3.5 beschriebenen Haufenkataloge können

daher für den Vergleich mit den Modellvorhersagen fürdie Anzahldichte von Halos herangezogen werden.

Damit dies auch durchgeführt werden kann, müssendie Massen der Haufen bestimmt werden. Wir haben inKapitel 6 mehrere Methoden der Massenbestimmungbesprochen. Da eine sehr detaillierte Massenbestim-mung nur für einzelne Haufen möglich ist, nicht jedochfür ein großes Sample, wie es für den statistischen Ver-gleich benötigt wird, bedient man sich normalerweiseder in Abschn. 6.4 diskutierten Skalierungsrelationen.Dabei spielt die Relation (6.52) zwischen der Röntgen-temperatur, der Röntgenleuchtkraft und der Virialmasseeine zentrale Rolle. Diese Skalierungsrelationen werdendann an solchen Haufen geeicht, für die eine detaillierteMassenbestimmung durchgeführt wurde.

Der Vergleich der Anzahldichte von beobachtetenHaufen mit der Halodichte kosmologischer Modellekann nun entweder im lokalen Universum durchge-führt werden oder als Funktion der Rotverschiebung.Im ersten Fall erhält man aus diesem Vergleich die Nor-mierung des Leistungsspektrums, also σ8, bei gegebenerMateriedichte Ωm. Genauer gesagt ist die Anzahldichtevon Halos von der Kombination σ8Ω

0.5m abhängig, wo-

bei der genaue Wert des Exponenten von Ωm vomMassenbereich der betrachteten Halos abhängt. DieUntersuchung von Haufenkatalogen, wie sie aus demROSAT All Sky Survey (RASS) erstellt wurden, ergibtetwa den Wert

σ8Ω0.5m ≈ 0.5 , (8.13)

wobei die Hauptunsicherheit in diesem Wert von derKalibrierung der Skalierungsrelationen stammt.

Die Entartung zwischen Ωm und σ8 kann gebrochenwerden, wenn man die Rotverschiebungsentwicklungder Anzahldichte von Haufen betrachtet. Wie wir in Ab-schn. 7.2.2 gesehen haben, hängt die Anwachsrate D+der Dichtestörungen von den kosmologischen Para-metern ab. Für ein Universum kleiner Dichte ist derWachstumsfaktor D+ bei hoher Rotverschiebung deut-lich größer als in einem Einstein–de-Sitter-Universum.Daher ist die erwartete Anzahldichte von Haufen beihohen Rotverschiebungen in einem EdS-Universumdeutlich geringer als in einem mit kleiner Dichte, wennman die Haufendichte heute als bekannt voraussetzt. Inder Tat erwartet man in einem EdS-Universum praktischkeine Haufen großer Masse bei z � 0.5 (siehe Abb. 7.7),während die Entwicklung der Anzahldichte von Haufen

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324

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

in Universen mit kleinem Ωm wesentlich moderater ver-läuft. Die Tatsache, dass sehr massereiche Haufen mitRotverschiebungen z > 0.5 gefunden werden, ist da-her nicht verträglich mit einem kosmologischen Modellhoher Materiedichte.

8.2.2 Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis

Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis von kosmischenQuellen scheint im Mittel eine wachsende Funktion ih-rer Masse zu sein. Wir haben in Kapitel 3 gesehen,dass M/L für Spiralen kleiner ist als für Ellipsen,dass weiterhin M/L für Ellipsen mit ihrer Masse an-steigt, dass Gruppen, wie etwa die Lokale Gruppe, einM/L ∼ 100h besitzen, und dass M/L für Galaxienhau-fen einige Hundert beträgt, jeweils in solaren Einheitengemessen. Aus dieser Sequenz sehen wir, dass M/L mitder Skala der Messungen ansteigt. Geht man zu Skalen,die noch größer sind als Galaxienhaufen – Superhaufenbeispielsweise – so scheint M/L nicht weiter anzu-

Abb. 8.11. Das Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis M/Lscheint eine Funktion der Längenskala oder Massenskalakosmischer Objekte zu sein. Der leuchtende Bereich von Spi-ralen hat in etwa M/L ∼ 3 (alles hier in solaren Einheitenvon M�/L�), der von Ellipsen etwa von M/L ∼ 10. Aller-dings haben Galaxien einen Halo Dunkler Materie, so dass dieMasse, und daher M/L von Galaxien sehr viel größer ist als imsichtbaren Bereich gemessen. Aus der Dynamik von Paarenvon Galaxien kann ebenfalls eine Masse abgeschätzt werden,was zu typisch M/L ∼ 50 bei Galaxien führt. Galaxiengrup-

pen und Haufen besitzen ein noch größeres M/L-Verhältnis,sie sind also besonders stark von Dunkler Materie dominiertund erreichen M/L ∼ 250. Wenn das M/L-Verhältnis in Hau-fen dem mittleren M/L im Universum entspricht, so kann manaus der Leuchtkraftdichte auf die Materiedichte des Univer-sums schließen und erhält so einen Wert von Ωm ∼ 0.2. Nureinige frühere Untersuchungen der großräumigen Pekuliar-bewegungen im Universum gaben einen Hinweis auf nochgrößeres M/L, aber neuere Ergebnisse scheinen dies nicht zubestätigen

steigen, sondern einen Sättigungswert angenommen zuhaben (siehe Abb. 8.11).

Wenn man daher annimmt, dass Haufen charak-teristisch sind für das mittlere M/L-Verhältnis imUniversum, kann man die mittlere Dichte des Univer-sums ρ0 aus der gemessenen Leuchtkraftdichte L unddem M/L-Verhältnis für Haufen bestimmen,

ρ0 =⟨

M

L

⟩L ;

dabei beziehen sich L und L auf ein festes Frequenzin-tervall, z. B. die Strahlung im B-Band. L lässt sich etwadurch die Bestimmung der lokalen Leuchtkraftfunktionvon Galaxien messen. Daraus ergibt sich dann in etwa

Ωm = 〈M/L〉B

1200 h. (8.14)

Da inzwischen mehrere Methoden zur Bestimmungder Masse von Haufen existieren (siehe Kapitel 6)und L messbar ist, kann man (8.14) zur Abschätzungvon Ωm auf Haufen anwenden. Dabei ergibt sich ty-pischerweise Ωm ∼ 0.2, also ein etwas kleinerer Wert

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8.2 Kosmologische Parameter aus Galaxienhaufen

325

für Ωm verglichen mit dem aus anderen Methoden.Aber diese Methode ist vermutlich weniger verlässlichals die anderen beschriebenen: L ist nicht leicht zubestimmen (z. B. wurde die Normierung der Schechter-Leuchtkraftfunktion in den letzten Jahren erheblichrevidiert und ist nicht besser als ∼ 20% bekannt), unddas M/L-Verhältnis in Haufen muss nicht repräsentativsein – beispielsweise läuft die Galaxienentwicklung inHaufen anders ab als für eine ,,mittlere“ Galaxie.

8.2.3 Baryonenanteil

Wie wir in Kapitel 6 diskutiert haben, bestehen Ga-laxienhaufen größtenteils aus Dunkler Materie. Nurca. 15% ihrer Masse ist baryonischer Natur, wobeidavon der Hauptanteil vom heißen intergalaktischenGas stammt. Der Baryonenanteil von Haufen scheintinnerhalb der Messgenauigkeit nicht zwischen verschie-denen Haufen zu variieren, sondern einen konstantenWert zu besitzen. Die Existenz eines solchen universel-len Baryonenanteils würde man auch erwarten, dennda Haufen große Gebilde darstellen, ist es schwervorstellbar, dass die Mischung aus Baryonen und Dunk-ler Materie in Haufen vom kosmischen Mittel starkabweicht. Ein massereicher Galaxienhaufen, dessenVirialradius heute ∼ 1.5 Mpc beträgt, hat sich durchgravitative Kontraktion aus einem mitbewegten Vo-lumen gebildet, dessen lineare Ausdehnung sich zuetwa ∼ 10 Mpc bemisst. Effekte wie etwa Supernova-Explosionen oder andere Ausströmphänomene, wie siebei Galaxien wirksam sind und deren Baryonenmasseverringern können, sind bei Haufen aufgrund ihrerGröße nicht effektiv genug.

Nimmt man daher an, dass der Baryonenanteil fb inHaufen für das Universum repräsentativ ist, so kann manden Dichteparameter des Universums bestimmen, da jadie Baryonendichte aus der primordialen Nukleosyn-these (siehe Abschn. 4.4.4) als bekannt vorausgesetztwerden kann. Daraus ergibt sich

Ωm ≈ Ωm

ΩbΩb ≈ Ωb

fb≈ 0.3 . (8.15)

8.2.4 Die LSS der Galaxienhaufen

Unter der Annahme, dass die Galaxien der Verteilungder Dunklen Materie folgen, kann man aus ihrer räum-

lichen Verteilung auf die statistischen Eigenschaftender Verteilung Dunkler Materie schließen, wie z. B.deren Leistungsspektrum. Zumindest auf großen Ska-len, bei denen die Strukturentwicklung bis heute nochnahezu linear verläuft, scheint diese Annahme gerecht-fertigt, wenn man zusätzlich noch einen Bias-Faktorerlaubt. Es ist daher nahe liegend, auch die großräu-mige Verteilung von Galaxienhaufen zu betrachten,denn auch diese sollte auf linearen Skalen der Vertei-lung der Dunklen Materie folgen, allerdings mit einemvermutlich unterschiedlichen Bias-Faktor.

Der ROSAT All Sky Survey (siehe Abschn. 6.3.5)hat die Zusammenstellung einer homogenen Stichprobevon Galaxienhaufen erlaubt, mit deren Hilfe eine sol-che Analyse der großräumigen Verteilung von Haufenerstmals möglich war. Die Abb. 8.12 zeigt, dass dasLeistungsspektrum von Haufen die gleiche Form auf-weist wie das von Galaxien, jedoch mit einer deutlich

Abb. 8.12. Das Leistungsspektrum von Galaxien (offene Sym-bole) und Galaxienhaufen des REFLEX-Surveys (gefüllteSymbole). Die beiden Leistungsspektren haben im Wesent-lichen die gleiche Form, unterscheiden sich aber durch einenkonstanten Faktor. Dieser Faktor gibt das Quadrat des Ver-hältnisses der Bias-Faktoren zwischen optisch selektiertenGalaxien und Röntgenhaufen an. Insbesondere auf großenLängenskalen ist die Vermessung des Leistungsspektrums mitHaufen von Bedeutung

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326

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

größeren Normierung. Das in dieser Abbildung darge-stellte Verhältnis der beiden Leistungsspektren beruhtauf den unterschiedlichen Bias-Faktoren für Galaxienund Haufen, bclusters ≈ 2.6bg. Daher hat das Leistungs-spektrum für Haufen eine etwa (2.6)2 höhere Amplitudeals das von Galaxien. Da Galaxienhaufen wesentlichseltener vorkommen als Galaxien, müssen die ihnen ent-sprechenden Dichtemaxima der Dunklen Materie einehöhere Schwelle besitzen als die für Galaxien, so dasssich in dem Biasing-Modell, das in Abb. 8.3 illustriertwurde, eine stärkere Korrelation ergibt.

Die Untersuchung des Leistungsspektrums mittelsHaufen ist besonders für große Skalen interessant, umeine weitere Messung des Formparameters Γ = Ωmh zuerhalten. Zusammen mit der Anzahldichte von Haufenergeben sich aus ihren Korrelationseigenschaften Wertevon Ωm ≈ 0.34 und σ8 ≈ 0.71.

8.3 Supernovae hoher Rotverschiebungund die kosmologische Konstante

8.3.1 Sind SN Ia Standardkerzen?

Wie in Abschn. 2.3.2 bereits erwähnt, vermutet man,dass Supernovae vom Typ Ia Explosionsprozesse vonWeißen Zwergen sind, die durch Akkretion zusätzlicherMaterie eine kritische Grenzmasse überschreiten. Diesesollte für alle SN Ia gleich sein, weshalb es zumindestplausibel ist, dass sie alle die gleiche Leuchtkraft be-sitzen. Wenn dies der Fall wäre, so wären sie ideal alsStandardkerzen geeignet, denn aufgrund ihrer großenLeuchtkraft kann man sie auch bei großen Entfernungenerkennen und vermessen.

Es stellt sich aber heraus, dass SN Ia nicht wirklichStandardkerzen sind, denn ihre maximale Leuchtkraftvariiert von Objekt zu Objekt, mit einer Dispersion vonetwa 0.4 mag im Blauen. Dies ist im oberen Diagrammder Abb. 8.13 zu erkennen. Wenn SN Ia Standardker-zen wären, so lägen die Messpunkte alle auf einerGeraden, wie es das Hubble-Gesetz beschreibt. Man er-kennt deutlich die Abweichungen vom Hubble-Gesetz,die erheblich größer sind als die photometrischenMessfehler.

Nun zeigt sich aber eine starke Korrelation zwi-schen der Leuchtkraft und der Form der Lichtkurve vonSN Ia: Solche größerer maximaler Leuchtkraft zeigen

Abb. 8.13. Das Hubble-Diagramm für relativ nahe SN Ia.Aufgetragen ist die gemessene Fluchtgeschwindigkeit cz alsFunktion des Entfernungsmoduls der einzelnen Supernovae.Im oberen Teil der Abbildung wurde angenommen, dass alleQuellen die gleiche Leuchtkraft besitzen. Wenn dies zuträfe,sollten sie alle auf der Geraden liegen, die aus dem Hubble-Gesetz folgt. Offensichtlich ist die Streuung beträchtlich.Unten wurden die Leuchtkräfte mittels der sog. MLCS-Methode korrigiert; dadurch werden die Abweichungen vomHubble-Gesetz dramatisch kleiner – die Dispersion reduziertsich von 0.42 mag auf 0.15 mag

einen langsameren Abfall der Lichtkurve, von ihremMaximum aus gemessen. Weiterhin wird die beobach-tete Leuchtkraft möglicherweise durch Extinktion inihrer Heimatgalaxie beeinflusst, zusätzlich zur Extink-tion in der Milchstraße. Aufgrund der einhergehendenRötung der spektralen Verteilung kann man diesenEffekt aus den beobachteten Farben der SN erschlie-ßen. Zusammen ergibt sich daraus die Möglichkeit, ausden beobachteten Lichtkurven in mehreren Filtern eineempirische Korrektur der maximalen Leuchtkraft vor-zunehmen, die sowohl die Korrelation der Breite derLichtkurve mit der beobachteten Leuchtkraft als auchdie Extinktion berücksichtigt. Diese Korrektur wurde an

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8.3 Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante

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einem Sample von SN Ia kalibriert, bei denen die Ent-fernung ihrer Heimatgalaxien sehr genau bekannt ist.Nach dieser Korrektur folgen die SN Ia dem Hubble-Gesetz sehr viel genauer, wie im unteren Teil derAbb. 8.13 zu sehen ist. Die verbleibende Streuung umdie Hubble-Relation beträgt nur noch σ = 0.15 mag.Die Abb. 8.14 zeigt den Erfolg dieser Korrektur anhandder Lichtkurven einiger SN Ia, die sehr verschiedenemaximale Leuchtkräfte und Breiten besitzen, aber nachder Korrektur beinahe identisch erscheinen. Das linkeDiagramm in Abb. 8.14 legt nahe, dass die Lichtkurvender SN Ia im Wesentlichen durch eine ein-parametrigeSchar von Funktionen beschreibbar ist und dass die-ser Parameter aus der Form, speziell der Breite derLichtkurven abgelesen werden kann.

Dadurch werden die SN Ia standardisierbare Kerzen,d. h. aus der Beobachtung der Lichtkurven in meh-reren Bändern kann man ihre maximale Leuchtkraftbestimmen. Da der beobachtete Fluss einer Quelle vonder Leuchtkraft und der Leuchtkraftentfernung DL ab-hängt, letztere aber neben der Rotverschiebung auchvom kosmologischen Modell abhängt, kann man SN Iazur Bestimmung kosmologischer Parameter benutzen,indem man mit ihnen die Leuchtkraftentfernung beiverschiedenen Rotverschiebungen misst. Dazu ist esnotwendig, SN Ia bei höheren Rotverschiebungen, beidenen die Abweichungen vom linearen Hubble-Gesetzsichtbar werden, zu finden und zu beobachten.

Abb. 8.14. Links: B-Band-Lichtkurven von verschiedenenSN Ia; man erkennt, dass die Form der Lichtkurven und diemaximale Leuchtkraft der SN Ia sich voneinander deutlich un-terscheiden. Empirisch wurde eine Transformation gefunden,

deren Parameter durch die Breite der Lichtkurve beschriebenist. Mittels dieser Transformation können die verschiedenenLichtkurven miteinander zur Deckung gebracht werden, wiedie rechte Darstellung zeigt

8.3.2 Beobachtungen von SN Iabei hohen Rotverschiebungen

Eine effiziente Strategie zum Auffinden solcher Ereig-nisse wurde entwickelt, und zwei große internationaleTeams haben jeweils einen umfangreichen Survey fürSN Ia bei hohen Rotverschiebungen durchgeführt. Zweiphotometrische Aufnahmen des gleichen Feldes, auf-genommen mit einem zeitlichen Abstand von etwa vierWochen, werden verglichen und nach Quellen unter-sucht, die in der zuerst genommenen Aufnahme nichterkennbar waren, aber auf der späteren sichtbar sind.Von diesen Kandidaten werden dann unmittelbar Spekt-ren aufgenommen, um die Natur der Quelle als SN Iazu verifizieren. Danach werden diese Quellen intensivphotometriert, um möglichst genaue und gut überdeckteLichtkurven zu erhalten. Damit diese Beobachtungs-strategie durchführbar ist, muss die Teleskopzeit für dieSpektroskopie und die nachfolgende Photometrie gesi-chert sein, bevor die Kandidatensuche beginnt. DieseArt der Surveys verlangt daher eine sehr gut geplanteStrategie und Koordination an verschiedenen Telesko-pen. Da SN Ia bei hohen Rotverschiebungen sehr licht-schwach sind, müssen die neuen Teleskope der 8 Meter-Klasse für die Spektroskopie eingesetzt werden.

Beide Teams waren erfolgreich im Auffinden vonentfernten SN Ia. In ihren ersten großen Kampagnen,deren Ergebnisse 1998 veröffentlicht wurden, wurden

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328

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Quellen bis zu Rotverschiebungen von z � 0.8 gefun-den und analysiert. In der Zwischenzeit wurden weitereSN Ia gefunden, teilweise mit Rotverschiebungen ≥ 1.Große Fortschritte wurden auch durch Beobachtun-gen mit dem HST erzielt. Dabei gelang es u. a., eineSN Ia bei Rotverschiebung z = 1.7 zu finden. Vonbesonderer Bedeutung ist, dass die Schlussfolgerun-gen beider Teams in hervorragender Übereinstimmungsind. Da sie etwas unterschiedliche Methoden zur Kor-rektur der maximalen Helligkeit benutzen, bedeutetdiese Übereinstimmung einen signifikanten Test dersystematischen Unsicherheiten dieser Methode.

8.3.3 Resultate

Als erstes Ergebnis sei hier erwähnt, dass die Breite derLichtkurve bei SN Ia höherer Rotverschiebung größerist als bei lokalen Objekten. Das wird auch erwartet,da aufgrund der Rotverschiebung sich die beobachteteBreite um einen Faktor (1+ z) ändert. Diese Abhängig-keit konnte sehr gut bestätigt werden und zeigt somitdirekt die Transformation des Eigenzeit-Intervalls alsFunktion der Rotverschiebung.

Trägt man die beobachteten Helligkeiten in einHubble-Diagramm ein, kann man denjenigen Satzvon kosmologischen Parametern suchen, der die Ab-hängigkeit der beobachteten Helligkeit mobs vonder Rotverschiebung am besten wiedergibt – sieheAbb. 8.15.

Vergleicht man die maximale Helligkeit der ge-messenen SN Ia bzw. ihren Entfernungsmodul mitderjenigen, die man in einem leeren Universum(Ωm = 0 = ΩΛ) erwarten würde, so ergibt sich einwahrlich überraschendes Ergebnis (siehe Abb. 8.16).Betrachtet man zunächst nur SN mit z � 1, so findetman, dass diese schwächer sind, als selbst ein leeresUniversum beschreiben würde. Dabei sei bemerkt, dassentsprechend (4.13) ein solches Universum mit kon-stanter Rate expandiert. Die Leuchtkraftentfernung ineinem solchen Universum ist daher größer als in jedemanderen Universum mit verschwindender Kosmologi-scher Konstante. Man kann die Leuchtkraftentfernungnur dadurch vergrößern, dass das Universum in derVergangenheit langsamer expandierte als heute, die Ex-pansion sich mit der Zeit also beschleunigt! Aus (4.19)folgt, dass eine solche beschleunigte Expansion nur

Abb. 8.15. Entfernungsmodul der nahen und entfernten SN Ia,bestimmt aus dem korrigierten maximalen Fluss der Quelle.Diamantsymbole repräsentieren Supernovae, die vom Bodenaus gefunden wurden, Punkte sind solche, die mit dem HSTentdeckt wurden. Besonders bemerkenswert ist die kleineStreuung der Messwerte um die Kurve, die einem kosmo-logischen Modell mit Ωm = 0.29, ΩΛ = 0.71 entspricht

möglich ist, wenn ΩΛ > 0. Dieses 1998 zuerst publi-zierte Resultat bedeutete eine Trendwende in unseremphysikalischen Weltbild, ging man doch bis dahin da-von aus, dass die Kosmologische Konstante den WertNull haben sollte.

In den Jahren seither wurde dieses Ergebnis mitimmer detaillierteren Untersuchungen erhärtet. Insbe-sondere wurde das Sample der SN Ia vergrößert und(mit Hilfe des HST) auf größere Rotverschiebungenausgedehnt. Dadurch konnte gezeigt werden, dass sichfür z � 1 der Trend umkehrt und die SN Ia wiederheller werden, als sie in einem leeren Universum er-scheinen würden (siehe Abb. 8.16). Für solch großeRotverschiebungen dominiert dann die Materiedichtedes Universums, weil diese sich wie (1+ z)3 verhält,im Gegensatz zur konstanten Vakuumsenergie.

Die entsprechenden Einschränkungen an die kosmo-logischen Parameter Ωm und ΩΛ sind in der Abb. 8.17dargestellt und mit denen verglichen, die 1998 erzieltwerden konnten. Wie aus den Konfidenz-Konturen er-sichtlich ist, sind die SN Ia-Daten nicht verträglich miteinem Universum ohne Kosmologische Konstante. EinEinstein–de-Sitter-Modell ist vollkommen ausgeschlos-sen, aber auch ein Modell mit Ωm = 0.3 (ein Wert,den man aus den Rotverschiebungssurveys ableitet) undΩΛ = 0 ist mit diesen Daten keinesfalls kompatibel.

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8.3 Supernovae hoher Rotverschiebung und die kosmologische Konstante

329

Abb. 8.16. Die Differenz der maximalen Helligkeit von SN Iaund der in einem leeren Universum (Ωm = 0 = ΩΛ) erwar-teten. Diamantsymbole repräsentieren Ereignisse, die vomBoden aus gefunden wurden, Punkte zeigen die mit demHST entdeckten. Im oberen Bild sind die individuellen SN Iagezeigt, im unteren sind sie in Rotverschiebungs-Bins zusam-mengefasst. Ein leeres Universum entspräche der gepunkteten

Geraden, Δ(m − M) = 0. Die gestrichelte Kurve entsprichteinem kosmologischen Modell mit Ωm = 0.27, ΩΛ = 0.73.Weiterhin sind Modellkurven für Universen mit konstan-ter Beschleunigung eingezeichnet; diese physikalisch nichtgut motivierten Modelle können, ebenso wie Modelle mit,,grauem Staub“ (bei dem die Extinktion als wellenlängenun-abhängig angenommen wird), ausgeschlossen werden

Aus diesen Resultaten schließen wir also auf einenichtverschwindende Komponente im Universum,die durch ihren negativen Druck eine beschleunigteExpansion hervorruft. Die einfachste Form dieserDunklen Energie ist die Vakuumsenergie oder dieKosmologische Konstante.

Andere Formen der Dunklen Energie, mit ei-ner modifizierten Zustandsgleichung P = wρ c2, mit−1/3 > w > −1 – wobei w = −1 gerade einer Kos-mologischen Konstanten entspricht – werden z. Zt.diskutiert. Einschränkungen an w, die in absehbarerZukunft nur aus astronomischen Beobachtungen kom-men können, werden helfen, die physikalische Naturder Dunklen Energie aufzuklären.

8.3.4 Diskussion

Die Entdeckung, dass das Hubble-Diagramm von SN Ianicht verträglich ist mit einem Universum, dessen Va-

kuumsenergie verschwindet, kam überraschend und warder erste direkte Hinweis auf die Existenz der DunklenEnergie. Die von Einstein einst eingeführte, dann wie-der verworfene Kosmologische Konstante scheint in derTat einen von Null verschiedenen Wert zu haben.

Diese weitreichende Schlussfolgerung, mit ihrenKonsequenzen für die fundamentale Physik, mussselbstverständlich kritisch hinterfragt werden. WelcheMöglichkeiten gibt es, die Beobachtungen zu erklären,ohne eine beschleunigte Expansion des Universums zuverlangen?

Entwicklungseffekte. Die obige Analyse basiert aufder impliziten Annahme, dass SN Ia im Mittel alledie gleiche maximale (korrigierte) Leuchtkraft besit-zen, unabhängig von ihrer Rotverschiebung. Wie beianderen Arten von Quellen, mit denen man ein Hubble-Diagramm konstruieren und aus diesem im Prinzipkosmologische Parameter ableiten kann, besteht diegroße Schwierigkeit, Effekte der Raumzeit-Krümmungvon Entwicklungseffekten zu unterscheiden. Eine z-

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.17. Aus den gemessenen Helligkeiten und den dar-aus bestimmten Werten für die Leuchtkraftentfernung sindhier Konfidenzbereiche in der Ωm-ΩΛ-Ebene aufgetragen.Die durchgezogenen Konturen resultieren aus 157 SN Ia, dieauch in Abb. 8.16 aufgetragen sind, während die gepunktetenKonturen die Resultate aus dem Jahr 1998 repräsentie-ren. Gestrichelte Kurven zeigen kosmologische Modelle mitgleichem Abbremsparameter q0

abhängige Entwicklung der SN Ia, in der Art, dass siemit wachsendem z leuchtschwächer werden, könnte dengleichen Effekt in einem Hubble-Diagramm haben wieeine beschleunigte Expansion.

Auf den ersten Blick erscheint eine solche Ent-wicklung unwahrscheinlich, da ja nach jetzigemVerständnis die Explosion eines Weißen Zwerges naheder Chandrasekhar-Masse für sie verantwortlich ist unddiese nur von fundamentalen physikalischen Konstan-ten abhängt. Andererseits könnte die exakte Masse,bei der die Explosion stattfindet, durchaus von derchemischen Zusammensetzung des Weißen Zwerges

abhängen, und diese wiederum von der Rotverschie-bung. Obwohl es vermutlich unmöglich ist zu beweisen,dass solche Entwicklungseffekte nicht auftreten, oderzumindest geringer sind als die Effekte der Kosmologie,kann man nach Unterschieden der SN Ia bei kleinen undgroßen z suchen. So konnte beispielsweise eindrucks-voll demonstriert werden, dass die Spektren von SN Iabei hohen Rotverschiebungen denen von nahen Objek-ten sehr ähnlich sind, so dass keine Entwicklungseffektein den Spektren nachgewiesen werden konnten. Wei-terhin ist die Zeit bis zum Erreichen des Maximumsunabhängig von z [wenn man die Zeitdilatation (1+ z)berücksichtigt].

Extinktion. Die Korrektur der Leuchtkraft in Bezug aufExtinktion in ihrer Heimatgalaxie und der Milchstraßewird durch die Rötung ermittelt. Der Zusammenhangzwischen Extinktion und Rötung hängt von den Ei-genschaften des Staubes ab – wenn diese sich mit zentwickeln, könnte diese Korrektur systematisch falschwerden. Um diesen Aspekt zu überprüfen, kann mansich getrennt solche SN Ia anschauen, die in Frühtyp-Galaxien stattfinden, in denen es nur sehr wenig Staubgibt, und mit Ereignissen in Spiralgalaxien verglei-chen. Bei diesem Test stellt man keinen systematischenUnterschied fest, weder bei Ereignissen mit großerRotverschiebung noch bei nahen SN Ia.

Eine Möglichkeit, die diskutiert wurde, ist dieExistenz von ,,grauem Staub“, also solchem, dessen Ab-sorption wellenlängenunabhängig ist. In einem solchenFall würde sich die Extinktion nicht durch Rötung be-merkbar machen. Allerdings fehlt für diese Hypothesejegliche theoretische Erklärung der physikalischen Na-tur der Staubpartikel. Durch die Beobachtung von SN Iamit z � 1 zeigt sich außerdem, dass das Verhalten ih-rer Helligkeit mit einem Λ-Universum verträglich ist,während man für ein Szenario mit ,,grauem Staub“eine monoton wachsende Abschwächung der Hellig-keit mit der Rotverschiebung, relativ zu einem leerenUniversum, erwarten würde.

Obwohl es nicht gänzlich ausgeschlossen werdenkann, dass die Ergebnisse der SN Ia-Untersuchungenvon systematischen Effekten beeinflusst sind, die diekosmologischen Effekte vortäuschen, verliefen alle bis-herigen Tests für solche Systematiken negativ. Ausdiesem Grunde ergeben die Resultate einen sehr starkenHinweis auf ein Universum mit endlicher Vakuumsener-

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8.4 Kosmische Scherung

331

gie. Die Bestätigung dieser Schlussfolgerung mittels derCMB-Anisotropien (siehe Abschn. 8.6) ist in der Tatbeeindruckend.

8.4 Kosmische Scherung

Lichtbündel werden beim Durchgang durch die in-homogene Materieverteilung im Universum abgelenktund deformiert, wobei die Deformation aus dem Ge-zeitenfeld der inhomogen verteilten Materie stammt.Wie schon im Zusammenhang mit der Rekonstruktionder Massenverteilung von Galaxienhaufen besprochenwurde (siehe Abschn. 6.5.2), kann man aus Messungender Form der Bilder von weit entfernten Galaxien die-ses Gezeitenfeld vermessen und dadurch Rückschlüsseauf die Materieverteilung erhalten. Dieser Effekt, der alsKosmische Scherung bezeichnet wird, ist in Abb. 8.18skizziert. Im Gegensatz zu Galaxienhaufen, wo das

Abb. 8.18. Wenn Lichtbündel durch das Universum propa-gieren, werden sie von der inhomogenen Materieverteilungbeeinflusst; sie werden abgelenkt und die Form und Größeihrer Querschnittsfläche verändern sich. Dies ist schema-tisch hier dargestellt – Lichtbündel von Quellen auf derentfernten Seite des Würfels propagieren durch die groß-räumige Materieverteilung des Universums, und wir sehendie Bilder der Quellen verzerrt. Insbesondere sind die Bil-der von kreisförmigen Quellen in erster Näherung elliptisch.Da die Materieverteilung auf großen Skalen organisiert ist, ist

die durch die Lichtablenkung hervorgerufene Bildverzerrungkohärent; die Verzerrung zweier benachbarter Lichtbündelist sehr ähnlich, so dass die beobachteten Elliptizitätenbenachbarter Galaxien statistisch korreliert sind. Aus der sta-tistischen Analyse der Formen von Galaxienbildern kann manRückschlüsse über die statistischen Eigenschaften der Ma-terieverteilung im Universum erhalten; die Elliptizitäten derBilder von weit entfernten Quellen stehen somit in engemZusammenhang mit der (projizierten) Materieverteilung imUniversum, wie im rechten Bild dargestellt ist

Gezeitenfeld einigermaßen stark ist, erzeugt die groß-räumige Verteilung der Materie im Universum ein sehrviel kleineres Gezeitenfeld: Ein typischer Wert die-ser Scherung beträgt etwa 1% auf Winkelskalen vonwenigen Bogenminuten.

Das Scherungsfeld ergibt sich aus der Projektion desdrei-dimensionalen Gezeitenfeldes entlang der Sichtli-nie. Daher kann man aus der statistischen Analyse derBildformen weit entfernter Galaxien statistische Aus-sagen über die Dichteinhomogenitäten im Universumerhalten. Beispielsweise kann man die Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion von Bildelliptizitäten vermessen.Diese ist verknüpft mit dem Leistungsspektrum P(k) derMaterieverteilung. Vergleicht man daher die Messungender Kosmischen Scherung mit kosmologischen Model-len, so erhält man Aussagen über die kosmologischenParameter, ohne Annahmen über den Zusammenhangzwischen leuchtender Materie (Galaxien) und DunklerMaterie machen zu müssen.

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332

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Da die erwarteten Effekte sehr klein sind, müs-sen zur Messung systematische Effekte, wie etwa dieAnisotropie der Punktbildfunktion oder Verzerrungender Teleskopoptik, sehr gut verstanden sein, und manmuss diese korrigieren. Die Probleme sind im Prin-zip die gleichen wie bei der Massenrekonstruktion vonGalaxienhaufen durch den Schwachen Linseneffekt,nur deutlich diffiziler, weil das zu messende Signalerheblich kleiner ist.

Im März 2000 haben vier Gruppen quasi simul-tan die ersten Messungen der Kosmischen Scherungveröffentlicht, im Herbst 2000 wurde eine weitereMessung publiziert, die mit Beobachtungen am VLTerhalten wurde. Seitdem haben mehrere Teams welt-weit erfolgreich Messungen der Kosmischen Scherungdurchgeführt, wobei eine Vielzahl von Teleskopenbenutzt wurde, inklusive des HST. Für diese Er-folge war die Entwicklung von Weitwinkelkamerassowie von spezieller Datenanalyse-Software verant-

Abb. 8.19. Messungen der Kosmischen Scherung. Aufge-tragen ist die Dispersion der Scherung, ermittelt aus denElliptizitäten schwacher und kleiner Galaxienbilder auf tie-fen CCD-Aufnahmen, als Funktion der Winkelskala. Datenverschiedener Teams sind mit unterschiedlichen Symbo-len dargestellt. Zum Beispiel stammt MvWM+ aus einemVLT-Projekt, und vWMR+ aus einem großen Survey(VIRMOS-Descartes) am CFHT; für dieses Projekt wur-den die Bilder von ca. 450 000 Galaxien analysiert. DieKurven zeigen Vorhersagen der Kosmischen Scherung fürverschiedene kosmologische Modelle

wortlich. Einige der frühen Ergebnisse sind in Abb. 8.19zusammengefasst.

Durch einen Vergleich dieser Messergebnisse mittheoretischen Modellen kann man kosmologische Para-meter einschränken; ein Beispiel dafür ist in Abb. 8.20gezeigt. Zurzeit besteht eine Quelle der Unsicherheitdieser kosmologischen Interpretation in der nicht genü-gend guten Kenntnis der Rotverschiebungsverteilungder schwachen Galaxien, die für diese Messungenherangezogen werden. In den kommenden Jahrenwird sich diese Unsicherheit erheblich reduzieren,da extensive Rotverschiebungssurveys von schwachenGalaxien mit der neuen Generation von Multi-Objekt-Spektrographen an Teleskopen der 10-Meter-Klassedurchgeführt werden.

In erster Linie wird durch die Kosmische Scherungeine Kombination aus der Materiedichte Ωm und der

Abb. 8.20. Aus der Analyse der Daten in Abb. 8.19 kannman durch Vergleich mit Modellen kosmologische Parame-ter einschränken; hier sind Konfidenzkonturen in der Ωm-σ8Parameterebene gezeigt, wobei ΩΛ = 0 angenommen wurde;ΩΛ hat relativ geringen Einfluss auf die Vorhersage der Sche-rung. Die Daten legen ein Universum geringer Dichte nahe.Die z. Zt. größte Unsicherheit in der quantitativen Analyseder Scherungsdaten liegt in der noch unzureichend bekanntenRotverschiebungsverteilung der schwachen Galaxien

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8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes

333

Normierung σ8 des Dichtefluktuationsspektrums be-stimmt, wie das auch in Abb. 8.20 zu erkennen ist.Die beinahe bestehende Entartung dieser beiden Pa-rameter hat in etwa die gleiche funktionale Formwie bei der Anzahldichte von Galaxienhaufen, da dieMaterieverteilung auf vergleichbaren physikalischenLängenskalen mit beiden Methoden untersucht wird.Für einen angenommenen Wert von Ωm = 0.3 kann mandaher σ8 einschränken, wobei die Werte verschiedenerGruppen sich leicht unterscheiden, aber innerhalb derFehlerbereiche mit σ8 ≈ 0.8 verträglich sind.

8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes

Wir hatten in Abschn. 5.6.3 gesehen, dass im Spektrumeines jeden QSOs eine große Anzahl von Absorpti-onslinien zu sehen sind, die sich bei Wellenlängenkürzer als der Lyα-Emissionslinie des QSOs befin-den. Der größte Teil dieser Absorptionslinien stammtaus dem Lyα-Übergang von neutralem Wasserstoff, dersich auf der Sichtlinie zur Quelle befindet. Da die Ab-sorption in Form eines Linienspektrums auftritt, ist derabsorbierende Wasserstoff nicht homogen verteilt. Einhomogenes intergalaktisches Medium mit einem Anteilan neutralem Wasserstoff würde sich durch Kontinu-umsabsorption bemerkbar machen. In diesem Abschnittwerden wir zunächst diese Kontinuumsabsorption un-tersuchen, danach einige Beobachtungsbefunde zumLyα-Wald (Lyα forest) zusammentragen und dann er-läutern, warum das Studium dieses Lyα-Waldes unsInformation über die kosmologischen Parameter liefert.

8.5.1 Das homogene intergalaktische Medium

Wir fragen zunächst, ob ein Teil der Baryonen imUniversum in einem homogenen intergalaktischen Me-dium vorliegen kann. Diese Frage kann beantwortetwerden durch den Gunn–Peterson-Test. Neutraler Was-serstoff absorbiert Photonen bei einer Ruhewellenlängevon λ = λLyα = 1216 Å. Photonen eines QSOs mit Rot-verschiebung zQSO haben irgendwo auf dem Sehstrahlzwischen uns und dem QSO die Wellenlänge λLyα,falls sie vom QSO mit λLyα

(1+ zQSO

)−1< λ < λLyα

emittiert werden. Ist hingegen die Wellenlänge bei derEmission > λLyα, kann die Strahlung nirgendwo aufdem Weg zu uns durch neutralen Wasserstoff absorbiert

werden. Daher sollte zwischen der roten und der blauenSeite der Lyα-Emissionslinie des QSOs ein Sprungin der Kontinuumsstrahlung sichtbar sein – dies istder Gunn–Peterson-Effekt. Die optische Tiefe für dieAbsorption ist für Modelle mit ΩΛ = 0 gegeben durch

τ = 4.14×1010 h−1 nHI(z)/cm−3

(1+ z)√

1+Ωmz, (8.16)

wobei nHI(z) die Dichte von neutralem Wasserstoff beider Absorptionsrotverschiebung z bezeichnet, mit (1+z) = λ/λLyα < (1+ zQSO).

Ein solcher Sprung im Kontinuum von QSOsüber deren Lyα-Emissionslinie, mit AmplitudeS(blue)/S(red) = e−τ , ist bei QSOs mit z � 5 nichtbeobachtet worden. Enge Schranken an die optischeTiefe konnten durch detaillierte spektroskopische Be-obachtungen gewonnen werden, etwa τ < 0.05 bei z � 3und τ < 0.1 bis z ∼ 5. Bei noch höheren Rotverschie-bungen wird die Beobachtung sehr schwierig, weilder Lyα-Wald dann so dicht wird, dass kaum nochKontinuumsstrahlung zwischen den einzelnen Absorp-tionslinien sichtbar ist (siehe z. B. Abb. 5.40 für einenQSO mit zQSO = 3.62). Aus der oberen Schranke fürdie optische Tiefe erhält man Grenzen an die Dichtevon neutralem Wasserstoff,

nHI(comoving)� 2×10−13 h cm−3

oder ΩHI � 2×10−8 h−1 .

Daraus folgert man, dass es kaum homogen verteilte ba-ryonische Materie im intergalaktischen Medium gibt,oder aber dass der Wasserstoff praktisch vollständigionisiert ist. Nun kennen wir aber die mittlere Dichtevon Wasserstoff aus der primordialen Nukleosynthese– diese ist viel größer als obige Schranken, so dassder Wasserstoff praktisch vollständig ionisiert vorlie-gen muss. Wir werden in Abschn. 9.4 noch diskutieren,wie diese Reionisation des intergalaktischen Mediumszustande gekommen ist.

In den letzten Jahren sind QSOs mit Rotverschiebun-gen > 6 entdeckt worden, nicht zuletzt durch sorgfältigeFarbselektion aus den Daten des Sloan Digital SkySurveys (siehe Abschn. 8.1.2). Das Spektrum einesdieser QSOs ist in Abb. 5.43 dargestellt. Bei diesemQSO erkennt man, dass auf der blauen Seite derLyα-Emissionslinie praktisch keine Strahlung mehr de-tektiert wird. Nach dieser Entdeckung wurde spekuliert,ob man die Rotverschiebung gefunden hat, bei der das

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334

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Universum reionisiert worden ist. Allerdings ist die Si-tuation hier komplizierter. Zum einen ist der Lyα-Waldbei diesen Rotverschiebungen so dicht, dass die Li-nien überlappen und daher nicht unmittelbar auf einehomogene Absorption geschlossen werden kann. Zwei-tens hat man bei QSOs noch höherer RotverschiebungStrahlung auf der blauen Seite der Lyα-Emissionsliniegesehen. Wie wir gleich noch sehen werden, ist dieReionisation des Universums vermutlich bei deutlichhöherer Rotverschiebung als z ∼ 6 erfolgt.

8.5.2 Phänomenologie des Lyα-Waldes

Neutraler Wasserstoff im IGM wird beobachtet imLyα-Wald. Zur Beobachtung dieses Lyα-Waldes sindhochaufgelöste Spektren von QSOs notwendig, da dietypische Breite der Linien sehr klein ist; sie entsprichteiner Geschwindigkeitsdispersion von ∼ 20 km/s. UmSpektren mit hoher Auflösung und gutem Signal-zu-Rausch-Verhältnis zu erhalten, wählt man sehr helleQSOs aus. Die Entwicklung von Teleskopen der10-m-Klasse hat dieses Feld enorm vorangebracht.

Wie bereits erwähnt, ist die Liniendichte desLyα-Waldes eine starke Funktion der Absorptions-Rotverschiebung. So findet man für die Anzahldichteder Lyα-Absorptionslinien mit Äquivalentbreite (imRuhesystem des Absorbers) W ≥ 0.32 Å bei z � 2

dN

dz∼ k(1+ z)γ , (8.17)

mit γ ∼ 2.5, k ∼ 4, was eine starke Entwicklung mit zimpliziert. Für kleinere Rotverschiebungen, bei denensich der Lyα-Wald im UV-Bereich des beobachtetenSpektrums befindet und daher deutlich schwieriger (undnur mit UV-empfindlichen Satelliten wie dem IUE unddem HST) zu beobachten ist, ist die Entwicklung lang-samer, und die Anzahldichte weicht dort von obigemPotenzgesetz ab.

Aus der Linienstärke und -breite kann man dieHI-Säulendichte NHI einer Linie bestimmen. DieAnzahldichte von Linien als Funktion von NHI ist

dN

dNHI∝ N−β

HI , (8.18)

mit β ∼ 1.6. Dieses Potenzgesetz beschreibt die Ver-teilung in einem weiten Bereich 1012 cm−2 � NHI �1022 cm−2, also auch für Ly-Limit-Systeme undgedämpfte Lyα-Systeme.

Die Temperatur des absorbierenden Gases ist eben-falls aus der Linienbreite abschätzbar. Als typischeWerte ergeben sich ∼ 104 K bis 2×104 K, wobei dieseallerdings modellabhängig sind.

Der Proximity-Effekt. Die statistischen Eigenschaftendes Lyα-Waldes hängen nur von der Rotverschie-bung der Absorptionslinien ab, nicht aber von derRotverschiebung des QSO, in dessen Spektrum siegemessen werden. Das würde man natürlich auch soerwarten, wenn die Absorption physikalisch nicht mitdem QSO zusammenhängt, und diese Beobachtungs-tatsache ist einer der wichtigsten Hinweise auf einenintergalaktischen Ursprung der Absorption.

Allerdings gibt es einen Effekt in der Statistik derLyα-Absorptionslinien, der doch direkt mit dem QSOzusammenhängt. Man findet nämlich, dass die An-zahldichte von Lyα-Absorptionslinien bei denjenigenRotverschiebungen, die nur etwas kleiner sind als dieEmissions-Rotverschiebung des QSO, kleiner ist als diemittlere Absorptionsliniendichte bei gleicher Rotver-schiebung. Dieser Effekt deutet darauf hin, dass derQSO doch einen Einfluss auf die Absorptionslinien hat,wenngleich auch nur in seiner unmittelbaren Nähe; ausdiesem Grunde nennt man dies den Proximity-Effekt.Die Erklärung dieses Effekts folgt direkt aus der Be-trachtung des Ionisationszustandes des Wasserstoffs.Das Gas wird ionisiert durch energetische Photonen,die einen ionisierenden Strahlungshintergrund bildenund von heißen Sternen und AGNs stammen. Ionisier-ter Wasserstoff kann andererseits rekombinieren, undder Ionisationsgrad ergibt sich aus dem Gleichgewichtzwischen diesen beiden Prozessen.

Die Anzahl der Photoionisationen von Wasser-stoffatomen pro Volumenelement und Zeiteinheit istproportional zur Dichte der neutralen Wasserstoffatomeund ist gegeben durch

nion = ΓHI nHI , (8.19)

wobei ΓHI, die Photoionisationsrate, proportional zurDichte der ionisierenden Photonen ist. Die entspre-chende Zahl von Rekombinationen pro Volumen undZeit ist proportional zur Dichte von Protonen undElektronen,

nrec = α np ne , (8.20)

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8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes

335

wobei der Rekombinationskoeffizient α von derTemperatur des Gases abhängt. Da das intergalak-tische Medium fast völlig ionisiert ist und dahernHI np = ne ≈ nb gilt (wir vernachlässigen den Bei-trag von Helium in dieser Betrachtung), folgt für dieDichte des neutralen Wasserstoffs im Gleichgewichtzwischen Ionisation und Rekombination

nHI = α

ΓHIn2

p . (8.21)

Daraus erkennt man, dass nHI umgekehrt proportio-nal zur Anzahldichte ionisierender Photonen ist. Dasintergalaktische Medium in der Nähe des QSO siehtaber nicht nur den ionisierenden Hintergrund, sondernzusätzlich noch die energetische Strahlung des QSOselbst. Daher ist der Ionisationsgrad von Wasserstoffin der unmittelbaren Nähe des QSO größer, wodurchgeringere Lyα-Absorption dort stattfinden kann.

Da der Beitrag des QSOs zur ionisierenden Strah-lung von der Entfernung des Gases vom QSO abhängt(∝ r−2) und das Spektrum des QSOs beobachtbar ist,kann man aus der Untersuchung des Proximity-Effektsdie Intensität der ionisierenden Hintergrundstrahlungals Funktion der Rotverschiebung abschätzen. DieserWert kann dann verglichen werden mit der gesamtenionisierenden Strahlung, die die QSOs und junge Stern-populationen bei der entsprechenden Rotverschiebungemittieren. Dieser Vergleich, in den die Leuchtkraft-funktion der AGNs und die Sternbildungsrate desUniversums eingehen, liefert eine gute Übereinstim-mung, was das Modell für den Proximity-Effektbestätigt.

8.5.3 Modelle des Lyα-Waldes

Seit der Entdeckung des Lyα-Waldes wurden verschie-dene Modelle zur Erklärung seiner Natur entwickelt.Seit etwa Mitte der 90er Jahre hat sich ein Modell eta-bliert, das direkt mit der Entwicklung der großräumigenStruktur im Universum verknüpft ist.

Das ,,alte“ Modell des Lyα-Waldes. Davor wur-den Modelle entwickelt, in denen der Lyα-Waldvon quasi-statischen Wasserstoffwolken hervorgerufenwird. Diese Wolken (Lyα clouds) wurden postuliert,was zunächst aufgrund der diskreten Absorptionslinienals natürliches Bild gelten durfte. Aus der Statistik der

Anzahldichte von Linien konnte man dann deren Eigen-schaften (wie Radius und Dichte) einschränken. Fallsdie Linienbreite eine thermische Geschwindigkeitsver-teilung der Atome widerspiegelt, kann darüber hinausdie Temperatur und daher mit dem Radius auch dieMasse der Wolken (etwa unter Benutzung des Dich-teprofils einer isothermen Sphäre) abgeleitet werden.Die Schlussfolgerung aus solchen Betrachtungen war,dass solche Wolken sofort verdampfen würden, es seidenn, sie befinden sich gravitativ gebunden in einemHalo Dunkler Materie (Mini-Halo Modell), oder siewerden durch den Druck eines heißen intergalaktischenMediums zusammengehalten.3

Das neue Bild des Lyman-α-Waldes. Seit einigenJahren gibt es ein neues Paradigma für die Natur desLyα-Waldes. Dieses wurde durch die Fortschritte hydro-dynamischer kosmologischer Simulationen ermöglicht.

Wir haben in Kapitel 7 die Strukturbildung unter-sucht und uns dort vorwiegend auf die Dunkle Materiekonzentriert. Nachdem das Universum bei z ∼ 1100neutral wurde und daher die baryonische Materie nichtmehr länger dem Photonendruck unterlag, waren dieBaryonen genau wie die Dunkle Materie allein derGravitation ausgesetzt; daher ist das Verhalten der Ba-ryonen und der Dunklen Materie sehr ähnlich, bis zudem Zeitpunkt, wo die Baryonen durch Heizung (z. B.durch Photoionisation) und Kompression signifikanteDruckkräfte entwickeln. Die räumliche Verteilung derBaryonen im intergalaktischen Medium folgt also derder Dunklen Materie, was auch durch numerische Simu-lationen bestätigt wird. In diesen Simulationen geht dieIntensität der ionisierenden Strahlung ein, wie sie etwaaus dem Proximity-Effekt abgeschätzt werden kann.Abbildung 8.21 zeigt als Ergebnis einer solchen Si-mulation die Verteilung der Säulendichte des neutralenWasserstoffs. Diese zeigt eine ähnliche Struktur wiedie Verteilung der Dunklen Materie, allerdings auf-grund der quadratischen Abhängigkeit der Dichte desneutralen Wasserstoffs von der Baryonendichte – siehe(8.21) – einen größeren Kontrast.

3Die letztere Annahme konnte spätestens durch die COBE-Messungen des Spektrums des CMB ausgeschlossen werden, da einsolches heißes intergalaktisches Medium durch Compton-Streuungder CMB-Photonen zu Abweichungen des CMB-Spektrums von derPlanck-Form führen würde.

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336

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.21. Säulendichte von neutralem Wasserstoff, berech-net aus einer kombinierten Simulation der Dunklen Materieund des Gases. Die Größe des hier dargestellten Würfels ist10h−1 Mpc (mitbewegt). Berechnet man die Lyα-Absorptionvon Photonen beim Durchgang durch so einen simulier-ten Würfel, kann man simulierte Spektren des Lyα-Waldeserhalten, und diese statistisch mit beobachteten Spektrenvergleichen

Aus der so simulierten Verteilung des neutralen Ga-ses können nun synthetische Absorptionslinienspektrenberechnet werden. Dabei werden die Temperatur desGases sowie seine Pekuliargeschwindigkeit benutzt, diesich ebenfalls aus der Simulation ergibt. Ein solchessynthetisches Spektrum ist in Abb. 8.22 dargestellt, zu-sammen mit einem gemessenen Lyα-Spektrum. Diesebeiden Spektren sind statistisch praktisch identisch, indem Sinne, dass die Dichte der Linien, ihre Verteilungbezüglich Breite und optischer Tiefe und ihre Korrelati-onseigenschaften gleich sind. Aus diesem Grunde liefertdie kosmische Strukturentwicklung eine natürliche Er-klärung für den Lyα-Wald, ohne dass es zusätzlicherfreier Parameter oder Annahmen bedarf. In diesem Mo-dell ist die Entwicklung von dN/dz hauptsächlich durchdie Hubble-Expansion und die daraus resultierendeÄnderung des Ionisationsgrades des intergalaktischenMediums gegeben.

Neben den Korrelationseigenschaften der Lyα-Linien in einem individuellen QSO-Spektrum kann man

Abb. 8.22. Eines der Spektren ist ein Ausschnitt des Lyα-Waldes im QSO 1422+231, das andere ein simuliertesSpektrum; die beiden sind statistisch so ähnlich, dass mansie nicht unterscheiden kann – welches ist welches?

auch die Absorptionsspektren von QSOs korrelieren,die einen kleinen Winkelabstand voneinander besit-zen. In einem solchen Fall verlaufen die Lichtstrahlennahe beieinander. Falls der neutrale Wasserstoff Kor-relationen auf Skalen besitzt, die größer sind als dertransversale Abstand dieser beiden Sichtlinien zu denQSOs, so sollten korrelierte Lyα-Absorptionslinien inden beiden Spektren beobachtbar sein. In der Tat stelltsich heraus, dass die Absorptionsspektren von QSOsKorrelationen zeigen, wenn deren Winkelentfernunggenügend klein ist. Die daraus ermittelten Korrelati-onslängen betragen� 100h−1 kpc, in Übereinstimmungmit den Resultaten aus numerischen Simulationen.Insbesondere sind die Sichtlinien der verschiedenenBilder von mehrfach abgebildeten QSOs in Gravita-tionslinsensystemen sehr eng beieinander, so dass dieKorrelation der Absorptionslinien in diesen Spektrensehr gut verifiziert werden kann.

Als weiteres Ergebnis dieser Untersuchungen fin-det man, dass sich der größte Teil (∼ 85%) derbaryonischen Materie bei 2� z � 4 im Lyα-Wald be-findet, hauptsächlich in Systemen mit 1014 cm−2 �NHI � 3×1015 cm−2. Wir sehen also praktisch dasvollständige Inventar der Baryonen bei diesen hohenRotverschiebungen. Bei kleineren Rotverschiebungenist dies nicht mehr der Fall. Tatsächlich beobachtenwir im lokalen Universum nur einen Bruchteil dervorhandenen Baryonen, etwa in Sternen oder im interga-laktischen Gas in Galaxienhaufen. Theoretisch erwartet

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8.5 Ursprung des Lymanα-Waldes

337

man, dass die meisten Baryonen sich heute in Formvon intergalaktischem Gas, etwa in Galaxiengruppen,befinden. Dieses Gas hat eine Temperatur zwischen∼ 105 K und ∼ 107 K und ist daher nur sehr schwernachzuweisen: Bei diesen Temperaturen ist das Gas fastvöllig ionisiert, so dass es sich nicht in Absorptionsspek-tren bemerkbar macht; andererseits ist die Temperatur(und Dichte) zu niedrig, als dass man signifikanteRöntgenemission erwarten kann.4

8.5.4 Der Lyα-Wald als kosmologisches Werkzeug

Die oben erwähnten Simulationen des Lyα-Waldes er-geben, dass die meisten Linien aus Gebieten stammen,bei denen die Gasdichte ρg � 10ρg beträgt. Die Dichtedes Gases ist also relativ klein, etwa verglichen zurmittleren Gasdichte in einer Galaxie. Die Temperaturdes Gases, welches für die Absorption verantwort-lich ist, beträgt etwa ∼ 104 K. Bei diesen Dichtenund Temperaturen sind Druckkräfte klein gegenüberden Gravitationskräften, so dass das Gas recht genauder Dichteverteilung der Dunklen Materie folgt. Ausder Statistik der Absorptionslinien kann man daher

4Obwohl der Wasserstoff in diesem intergalaktischen Medium auf-grund der Ionisation nicht nachweisbar ist, können Linien vonMetall-Ionen mit hoher Ionisationsstufe in UV-Absorptionsspektrenbeobachtet werden, wie etwa Linien von OVI, also des fünffach ioni-sierten Sauerstoffs. Um aus diesen Linien auf die Baryonendichte zuschließen, benötigt man Annahmen über die Temperatur des Gasessowie seiner Metallizität. Die neuesten Resultate, die hauptsächlichmit dem UV-Satelliten FUSE gewonnen wurden, sind mit der Vor-stellung kompatibel, dass der Hauptanteil der Baryonen sich heute indiesem warm-heißen intergalaktischen Medium befinden.

Abb. 8.23. Optische Tiefe gegen Gasdichte,aus einer kosmologischen Simulation. Je-der Punkt stellt eine Sichtlinie durch eineGasverteilung dar, wie sie etwa in Abb. 8.21gezeigt ist. In der rechten Abbildung wurdenPekuliarbewegungen des Gases vernach-lässigt; in diesem Fall folgen die Punkteder Relation (8.22) sehr genau. Auch un-ter Berücksichtigung der Pekuliarbewegungund der thermischen Linienverbreiterung(links) folgen die Punkte im Mittel dieserBeziehung

die statistischen Eigenschaften der Verteilung Dunk-ler Materie erschließen. Genauer gesagt, spiegelt dieZwei-Punkt-Korrelationsfunktion der Lyα-Linien dasDichtefluktuationsspektrum im Universum wider undkann daher zur Messung des Leistungsspektrums P(k)benutzt werden.

Wir betrachten einige Aspekte dieser Methode etwasdetaillierter. Die Temperatur des intergalaktischen Ga-ses ist nicht homogen, da sich Gas bei Kompressionaufheizt. Dichtes Gas (bei gleicher Rotverschiebung)ist also heißer als die mittlere Temperatur T0 derBaryonen. Solange die Kompression adiabatisch ver-läuft, hängt T im Wesentlichen von der Dichte ab,T = T0(ρg/ρg)

α, wobei T0 und der Exponent α vonder Ionisationsgeschichte und dem Spektrum der io-nisierenden Photonen abhängt. Typische Werte sind4000 K� T0 � 10 000 K und 0.3� α� 0.6. Die Dichtevon neutralem Wasserstoff ist durch (8.21) gegeben,also durch nHI ∝ ρ2

gT−0.7/ΓHI, wobei hier die Tempera-turabhängigkeit der Rekombinationsrate berücksichtigtwurde. Da die Temperatur von der Dichte abhängt,findet man für die optische Tiefe für Lyα-Absorption

τ = A

(ρg

ρg

, (8.22)

wobei β = 2−0.7α ≈ 1.6, und der Vorfaktor hängt vonder betrachteten Rotverschiebung, der IonisationsrateΓHI sowie der mittleren Temperatur T0 ab.

In der Abb. 8.23 ist die Verteilung der optischen Tiefeund der Gasdichte dargestellt, wie sie aus einer hydro-dynamischen Simulation entnommen sind. Wie man imrechten Bild erkennt, folgt die Verteilung der Relation

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338

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

(8.22) sehr eng, was bedeutet, dass der größte Teil desGases nicht durch Stoßfronten geheizt worden ist, son-dern durch adiabatische Kompression. Auch wenn mandie Pekuliarbewegung des Gases und die thermischeVerbreiterung berücksichtigt, wie das im linken Bild ge-schehen ist, folgt die Verteilung immer noch im Mittelsehr gut der analytischen Relation.

Daher kann man aus der beobachteten Vertei-lung von τ auf die Verteilung der Gasüberdichteρg/ρg schließen. Diese ist, wie oben begründet,im Wesentlichen die gleiche wie die entsprechendeÜberdichte der Dunklen Materie. Aus einem Ab-sorptionslinienspektrum kann man Pixel für Pixelτ(λ) bestimmen, wobei λ wegen λ = (1+ z) 1216 Åeine Entfernung entlang des Sehstrahls ergibt (jeden-falls wenn Pekuliargeschwindigkeiten vernachlässigtwerden). Aus τ(λ) folgt dann mit (8.22) die Über-dichte als Funktion dieser Entfernung, und daherein ein-dimensionaler Schnitt durch die Dichtefluk-tuationen. Die Korrelationseigenschaften dieser Dichtewerden durch das Leistungsspektrum der Materiever-teilung bestimmt, welches dadurch vermessen werdenkann.

8.6 Winkelfluktuationen des CMB

Der kosmische Mikrowellenhintergrund besteht ausPhotonen, die bei z ∼ 1000 das letzte Mal mit Materiewechselgewirkt haben. Da bereits zu diesem Zeitpunktdas Universum inhomogen gewesen sein muss, damitsich die heute im Universum vorhandenen Struktu-ren bilden konnten, würde man erwarten, dass dieseräumlichen Inhomogenitäten sich in einer (kleinen)Anisotropie des CMB widerspiegeln, denn die Rich-tungsverteilung der CMB-Temperatur reflektiert dieMaterieinhomogenitäten bei der Rotverschiebung derEntkopplung von Strahlung und Materie.

Seit der Entdeckung des CMB im Jahre 1965 wurdenach solchen Anisotropien gesucht. Unter der An-nahme, dass die Materie im Universum aus Baryonenbesteht, erwartete man relative Fluktuationen der CMB-Temperatur von ΔT/T ∼ 10−3 auf Skalen von einigenBogenminuten, damit die heute beobachteten Dichte-fluktuationen mit denen bei z ∼ 1000 im Rahmen derTheorie der gravitativen Instabilität in Einklang ge-bracht werden konnten. Trotz immer empfindlicherer

Beobachtungen wurden diese aber nicht gefunden. Diedaraus erwachsenden oberen Schranken für die Ani-sotropie waren eines der Argumente, die Mitte der80er Jahre dazu führten, dass die Existenz von DunklerMaterie auf kosmischen Skalen immer mehr ins Be-wusstsein der Kosmologen drang, denn wie wir gleichnoch sehen werden, sind in einem Universum, das vonDunkler Materie dominiert ist, die erwarteten Fluk-tuationen des CMB auf kleinen Winkelskalen deutlichgeringer als in einem rein baryonischen Universum. Erstder COBE-Satellit hat im Jahre 1992 Temperaturfluk-tuationen des CMB beobachtet (Abb. 1.17). Seit etwa2000 gelangen empfindliche und signifikante Messun-gen der CMB-Anisotropie auch von Ballons und mitTeleskopen am Boden.

Wir werden zunächst die Physik der CMB-Anisotropien beschreiben, bevor wir uns mit denMessergebnissen und ihrer Interpretation beschäftigen.Wie wir sehen werden, hängt die CMB-Anisotropievon praktisch allen kosmologischen Parametern ab, wieΩm, Ωb, ΩΛ, ΩHDM, H0, der Normierung σ8 und demFormparameter Γ des Leistungsspektrums. Deshalbkann eine genaue Vermessung der Winkelverteilung desCMB und ihr Vergleich mit theoretischen Erwartungenim Prinzip all diese Parameter bestimmen.

8.6.1 Ursprung der Anisotropie: Überblick

Die CMB-Anisotropien spiegeln die Bedingungen desUniversums bei der Rekombination wider, also bei etwaz ∼ 1000. Temperaturfluktuationen, die sich daraus er-geben, nennt man primäre Anisotropien. Weiterhinpropagieren die Photonen des CMB durch das Univer-sum, und auf diesem Weg können sie eine ganze Reihevon Störungen erleiden, die wiederum ihre Temperatur-verteilung ändern können. Diese Effekte führen dann zuden sekundären Anisotropien.

Die wesentlichen Effekte für die primären Anisotro-pien sind die folgenden:

• Die Inhomogenitäten des Gravitationspotentials be-wirken, dass Photonen, die aus Gebieten höhererDichte stammen, aus einem Potentialtopf entkom-men müssen. Sie verlieren dabei Energie undwerden dadurch rotverschoben (gravitative Rotver-schiebung). Dieser Effekt wird zum Teil dadurchkompensiert, dass neben der gravitativen Rotver-

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

339

schiebung auch eine gravitative Zeitverzögerungauftritt, so dass ein Photon, das aus einem überdich-ten Gebiet stammt, etwas früher, also bei einer etwashöheren Temperatur des Universums, gestreut wurdeals ein Photon aus einem Gebiet mit mittlerer Dichte.Beide Effekte treten stets zusammen auf. Man fasstsie zusammen unter dem Begriff Sachs–Wolfe-Effekt.Dessen Aufteilung in zwei Prozesse ist nur imRahmen einer vereinfachten Beschreibung notwen-dig; eine allgemein relativistische Beschreibung desEffekts ergibt beide Prozesse gleichzeitig.

• Wir haben gesehen, dass Dichtefluktuationen stetsmit Pekuliargeschwindigkeiten der Materie ein-hergehen. Daher folgen die Elektronen, die dieCMB-Photonen das letzte Mal streuen, nichtder reinen Hubble-Expansion, sondern besitzeneine zusätzliche Geschwindigkeit, die eng mitden Dichtefluktuationen zusammenhängt (vergleicheAbschn. 7.6). Dadurch gibt es einen Dopplereffekt:Streuen die Photonen mit Gas, das sich von unsschneller wegbewegt, als es der Hubble-Expansionentspricht, werden die Photonen zusätzlich rot-verschoben, was dann zu einer Reduzierung derTemperatur aus dieser Richtung führt.

• In Gebieten höherer Dichte der Dunklen Materie istauch die Baryonendichte erhöht. Auf Skalen größerals der Horizontskala bei der Rekombination (sieheAbschn. 4.5.2) folgt die Verteilung der Baryonen derder Dunklen Materie. Auf kleineren Skalen machtsich allerdings der Druck der Baryonen-Photonen-Flüssigkeit bemerkbar, denn vor der Rekombinationsind diese beiden Komponenten durch Thomson-Streuung eng gekoppelt. Die Baryonen werdenbei ihrer Verdichtung adiabatisch komprimiert unddadurch heißer, so dass in Gebieten höherer Baryo-nendichte ihre Temperatur (und deshalb auch die deran sie gekoppelten Photonen) erhöht ist.

• Die Kopplung zwischen Baryonen und Photonenist nicht exakt, denn aufgrund der endlichen freienWeglänge von Photonen können sich diese beidenKomponenten auf kleinen Skalen entmischen. Dasimpliziert, dass Temperaturfluktuationen auf kleinenLängenskalen durch die Diffusion der Photonen aus-geschmiert werden können. Dieser Prozess wird alsSilk-Damping bezeichnet und sorgt dafür, dass es aufWinkelskalen unterhalb von etwa 5′ nur sehr kleineprimäre Fluktuationen gibt.

Es ist klar, dass die ersten drei dieser Effekte mit-einander gekoppelt sind. Insbesondere auf Skalen> rH,com(zrec) kompensieren sich die ersten beiden Ef-fekte teilweise. Obwohl die Energiedichte der Materiebei der Rekombination größer ist als die der Strahlung(siehe Gl. 4.54), ist die Energiedichte der Baryonen-Photonen-Flüssigkeit von der der Strahlung dominiert,so dass es sich um eine relativistische Flüssigkeithandelt. Deren Schallgeschwindigkeit beträgt dahercs ≈ √

P/ρ ≈ c/√

3. Der starke Druck in dieser Flüs-sigkeit sorgt dafür, dass in ihr Oszillationen auftreten.Das Gravitationspotential der Dunklen Materie ist dietreibende Kraft, der Druck die rücktreibende Kraft.Diese Oszillationen, die nur auf Skalen unterhalb desSchallhorizonts bei der Rekombination auftreten kön-nen, führen dann zu adiabatischer Kompression undEigenbewegungen der Baryonen, somit zu Anisotropiender Hintergrundstrahlung.

Sekundäre Anisotropien stammen u. a. aus folgendenEffekten:

• Thomson-Streuung der CMB-Photonen: Da dasUniversum heutzutage transparent ist für optischePhotonen (denn wir sehen Objekte mit z > 6), musses zwischen z ∼ 1000 und z ∼ 6 reionisiert wor-den sein, vermutlich durch Strahlung der erstenSterngeneration und/oder durch die ersten QSOs.Nach dieser Reionisation sind wieder freie Elektro-nen vorhanden, die dann die CMB-Photonen streuenkönnen. Da die Thomson-Streuung im Wesentli-chen isotrop ist, ist die Richtung eines Photons nachder Streuung beinahe unabhängig von seiner Ein-fallsrichtung. Das bedeutet, Photonen, die gestreutwerden, tragen keine Information mehr über dieTemperaturfluktuationen des CMB. Die gestreutenPhotonen bilden daher eine isotrope Strahlungskom-ponente mit der mittleren Temperatur des CMB. DerHaupteffekt, der sich daraus ergibt, ist eine Reduzie-rung der Temperaturanisotropien um den Bruchteilder Photonen, die eine solche Streuung erleiden.

• Bei der Propagation der Photonen zu uns durch-laufen sie ein Universum, in dem Strukturbildungstattfindet. Dadurch ändert sich das Gravitationspo-tential mit der Zeit. Falls dieses zeitlich konstantwäre, könnten Photonen in einen Potentialtopf hin-einlaufen und aus diesem wieder entkommen, wobeisich insgesamt ihre Frequenz relativ zu Photonen,

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

die im homogenen Universum propagieren, dadurchnicht ändern würde. Diese ,,Erhaltung“ der Photo-nenenergie ist aber nicht mehr gegeben, wenn dasPotential zeitlich variiert. Nun kann man zeigen, dassfür ein Einstein–de-Sitter-Modell das pekuliare Gra-vitationspotential φ (7.10) zeitlich konstant ist5 undsomit durch die Propagation im sich entwickelndenUniversum keine Netto-Frequenzverschiebung auf-tritt. Für alle anderen kosmologischen Modelle trittdieser Effekt aber auf; man nennt ihn den integriertenSachs–Wolfe-Effekt.

• Die gravitative Ablenkung der CMB-Photonen,hervorgerufen durch das Gravitationsfeld der kos-mischen Dichtefluktuationen, führt zu einer Rich-tungsänderung der Photonen. Das bedeutet, dasszwei Sehstrahlen, die beim Beobachter den Win-kel θ einschließen, bei der Rekombination einenphysikalischen Abstand haben, der aufgrund der gra-vitativen Lichtablenkung von DA(zrec)θ verschiedensein kann. Dadurch wird die Korrelationsfunktionder Temperaturfluktuationen ,,verschmiert“. DieserEffekt ist auf kleinen Winkelskalen relevant.

• Der Sunyaev–Zeldovich-Effekt, den wir im Zu-sammenhang mit Galaxienhaufen in Abschn. 6.3.4besprochen haben, hat natürlich ebenfalls einenEinfluss auf die Temperaturverteilung des CMB.Photonen entlang von Sichtlinien, die durch Gala-xienhaufen verlaufen, werden teilweise durch dasheiße Gas in diesen Haufen gestreut, so dass indiesen Richtungen eine Temperaturänderung statt-findet. Dabei ist zu beachten, dass in Richtung vonHaufen die gemessene Strahlungsintensität bei klei-nen Frequenzen erniedrigt wird, während sie beihohen Frequenzen größer ist. Der SZ-Effekt kann da-her im Prinzip in den CMB-Daten erkannt werden,wenn die Messungen über einen genügend breitenFrequenzbereich stattfinden.

8.6.2 Beschreibung der CMB-Anisotropie

Korrelationsfunktion und Leistungsspektrum. Umdie statistischen Eigenschaften der Winkelverteilungder CMB-Temperatur zu charakterisieren, kann man,

5Dies sieht man aus (7.10) aus der Abhängigkeit ρ ∝ a−3 und δ ∝D+ = a für ein EdS-Modell.

wie bei den Dichtefluktuationen, die Zwei-Punkt-Korrelationsfunktion der Temperatur an der Sphärebenutzen. Dazu definiert man die relativen Tempera-turfluktuationen T (n) = [T(n)− T0] /T0, wobei n einEinheitsvektor ist, der die Richtung an der Sphäre be-schreibt, und T0 die mittlere Temperatur des CMB.Die Korrelationsfunktion der Temperaturfluktuationenist dann definiert als

C(θ) = ⟨T (n)T (n′)⟩, (8.23)

wobei über alle Paare von Richtungen n und n′ ge-mittelt wird, die den Winkelabstand θ haben. Wie beider Beschreibung der Dichtefluktuationen im Univer-sum hat sich auch beim CMB eingebürgert, anstelleder Korrelationsfunktion das Leistungsspektrum derTemperaturfluktuationen zu betrachten.

Wir erinnern uns (siehe Abschn. 7.3.2), dass dasLeistungsspektrum P(k) der Dichtefluktuationen alsFourier-Transformierte der Korrelationsfunktion defi-niert war. Die exakt gleiche Definition kann manallerdings beim CMB nicht anwenden. Der Unter-schied besteht darin, dass die Dichtefluktuationen aufeinem (im relevanten Längenbereich angenähert) fla-chen Raum definiert sind. In einem solchen Raumsind die einzelnen Fouriermoden (ebene Wellen) or-thogonal, so dass man das Feld δ(x) eindeutig insolche Fouriermoden zerlegen kann. Im Gegensatzdazu sind die Temperaturfluktuationen T auf derSphäre definiert. Das Analogon zu den Fouriermodenin einem flachen Raum sind die Kugelflächenfunk-tionen auf der Sphäre, ein vollständiger, orthogonalerSatz von Funktionen, nach denen man T (n) entwi-ckeln kann.6 Auf kleinen Winkelskalen, bei denen dieSphäre als lokal flach angesehen werden kann, redu-zieren sich die Kugelflächenfunktionen wiederum aufFouriermoden. Das Leistungsspektrum der Tempera-turfluktuationen, meistens ausgedrückt als �(�+1)C�,beschreibt dann die Amplitude der Fluktuationen auf ei-ner Winkelskala θ ∼ π/� = 180◦/�. � = 1 beschreibt dieDipol-Anisotropie, � = 2 die Quadrupol-Anisotropie,usw.

6Die Kugelflächenfunktionen treten in vielen Problemen der ma-thematischen Physik auf, so etwa bei der quantenmechanischenBehandlung des Wasserstoff-Atoms oder allgemeiner, bei allensphärisch symmetrischen physikalischen Problemen.

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

341

Projektion. Die Temperaturfluktuationen des CMBan der Sphäre ergeben sich aus der Projektion,d. h. der Integration entlang der Sichtlinie, der drei-dimensionalen Temperaturfluktuationen, wie sie obendiskutiert worden sind. Diese Integration muss eben-falls die sekundären Effekte, also die der Propagationder Photonen von z ∼ 1000 zu uns berücksichtigen.Insgesamt erscheint dies als eine relativ komplizierteAufgabe, die im Übrigen Aspekte der AllgemeinenRelativitätstheorie explizit betrachten muss, da zweiRichtungen, die mehr als ∼ 1◦ voneinander getrenntsind, bei der Rekombinationen einen Abstand haben,der größer als die damalige Horizontlänge ist – so-mit spielt die Krümmung der Raumzeit explizit eineRolle. Allerdings sind die physikalischen Phänomene,die hier berücksichtigt werden müssen, (fast) alle li-nearer Natur. Das bedeutet, obwohl die entsprechendenGleichungssysteme kompliziert sind, kann man sietrotzdem ,,einfach“ lösen, denn die Lösung von linearenGleichungen ist mathematisch kein wirkliches Pro-blem. Es gibt allgemein zugängliche Software-Pakete(z. B. CMBFAST), die das Leistungsspektrum C�

für jede Kombination der kosmologischen Parameterberechnen.

8.6.3 Das Fluktuationsspektrum

Fluktuationen auf großen Skalen. Um die wesentli-chen Merkmale der CMB-Fluktuationen zu erläutern,stellen wir zunächst fest, dass es eine charakteristischeLängenskala bei zrec gibt, nämlich die Horizontlänge.Diese ist durch (4.71) gegeben. Der Horizont nimmt fürkosmologische Modelle mit ΩΛ = 0 einen Winkel einvon – siehe (4.72) –

θH,rec ≈ 1.8◦√Ωm .

Dieser Winkel ändert sich für Modelle mit kosmolo-gischer Konstante; falls das Universum flach (Ωm +ΩΛ = 1) ist, findet man

θH,rec ≈ 1.8◦ , (8.24)

mit einer sehr kleinen Abhängigkeit von der Materie-dichte, etwa ∝ Ω−0.1

m . Wie wir gleich sehen werden, istdieser Horizontwinkel direkt beobachtbar.

Auf Skalen � θH,rec dominiert der Sachs–Wolfe-Effekt, denn Oszillationen der Baryonen-Photonen-Flüssigkeit können nur auf Skalen unterhalb der

Horizontlänge auftreten. Aus diesem Grunde reflektiertdas CMB-Winkelspektrum C� direkt das Fluktuations-spektrum P(k) der Materie. Insbesondere erwartet manfür ein Harrison–Zeldovich-Spektrum, P(k) ∝ k, dass

�(�+1)C� ≈ const für � 180◦

θH,rec� 100 ,

und die Amplitude der Fluktuationen ergibt direkt dieAmplitude von P(k). Dieser flache Verlauf des Fluktua-tionsspektrums für n = 1 wird durch den integriertenSachs–Wolfe-Effekt modifiziert.

Schall-Horizont und Akustische Peaks. Auf Winkel-skalen < θH,rec sieht man Fluktuationen, die vor derRekombination innerhalb des Horizonts waren, und da-her können auf diesen Skalen physikalische Effektewirken. Wie bereits erwähnt, ist die Flüssigkeit derBaryonen und Photonen dominiert von der Energie-dichte der Photonen. Deren Druck verhindert, dass dieBaryonen in die Potentialtöpfe der Dunklen Materiehineinfallen. Statt dessen bilden sich Oszillationen. Dadie Energiedichte von Photonen, also von relativisti-schen Teilchen, dominiert wird, ist diese Flüssigkeitrelativistisch, und die Schallgeschwindigkeit beträgtcs ≈ c/

√3. Deshalb ist die größte Wellenlänge, bei der

eine Welle eine volle Oszillation bis zur Rekombinationvollführen kann,

λmax � trec cs = rH(trec)/√

3 . (8.25)

Man nennt diese Größe den Schall-Horizont. Er ent-spricht einer Winkelskala von θ1 ≈ θH,rec/

√3 ∼ 1◦, oder

�1 ∼ 200 für ein flaches kosmologisches Modell mitΩm +ΩΛ = 1. Diese Oszillationen erzeugen durch denDopplereffekt und adiabatische Kompressionen Tempe-raturfluktuationen, die im Winkelspektrum C� sichtbarsein sollten. Daher sollte �(�+1)C� ein Maximum auf-weisen bei �1 ∼ 200; weitere Maxima erwartet manetwa bei ganzzahligen Vielfachen von �1. Diese Ma-xima im Winkelspektrum heißen Acoustic Peaks (oderauch Doppler peaks); ihre �-Werte und Amplituden sinddie wichtigsten kosmologischen Diagnostiken aus denCMB-Anisotropien.

Silk-Damping. Da die Rekombination nicht instantan,sondern über einen endlichen Bereich in der Rotver-schiebung stattfindet, kommen Photonen des CMB auseiner Schale endlicher Dicke zu uns. Betrachtet man

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

eine Längenskala, die viel kleiner ist als die Dicke derSchale, so befinden sich mehrere Maxima und Minimavon T innerhalb dieser Schale entlang einer Sichtlinie.Aus diesem Grunde werden die Temperaturfluktuatio-nen auf diesen kleinen Skalen bei der Integration entlangder Sichtlinie weggemittelt. Dabei ist die Dicke der Re-kombinationsschale etwa gleich der Diffusionslänge derPhotonen, und daher ist dieser Effekt auf den gleichenWinkelskalen relevant wie das oben erwähnte Silk-Damping. Das bedeutet, auf Skalen � 5′ (�� 2500)erwartet man eine Dämpfung des Winkelspektrums unddaher sehr kleine (primäre) Temperaturfluktuationenauf solch kleinen Skalen.

Modellabhängigkeit des Fluktuationsspektrums.In Abb. 8.24 sind Leistungsspektren der CMB-Fluktuationen gezeigt, wobei von einem Referenzmo-dell ausgehend verschiedene kosmologische Parametervariiert werden. Zunächst einmal sieht man, dassdas Spektrum im Wesentlichen durch drei verschie-dene Bereiche in � (oder im Winkel) charakterisiertwird. Für � � 100 ist �(�+1)C� eine relativ flache

Abb. 8.24. Abhängigkeit der CMB-Fluk-tuationen von kosmologischen Parametern.In allen Fällen ist das Referenzmo-dell beschrieben durch Ωm +ΩΛ = 1,ΩΛ = 0.65, Ωbh2 = 0.02, Ωmh2 = 0.147und einer Steigung des primordialen Dich-tespektrums n = 1, entsprechend demHarrison–Zeldovich-Spektrum. In den vierDarstellungen wird jeweils einer dieser vierParameter variiert, während die anderen dreifestgehalten werden

Funktion, wenn man – wie in der Abbildung – einHarrison–Zeldovich-Spektrum annimmt. Im Bereich�� 100 sind dann lokale Maxima und Minima desSpektrums zu sehen, die von den akustischen Oszilla-tionen stammen. Für �� 2000 nimmt die Amplitudedes Leistungsspektrums sehr stark ab aufgrund desSilk-Dampings.

Abbildung 8.24(a) zeigt die Abhängigkeit des Leis-tungsspektrums von der Krümmung des Universums,also von Ωtot = Ωm +ΩΛ. Man erkennt, dass die Krüm-mung zwei wesentliche Einflüsse auf das Spektrumhat: Zum einen verschieben sich die Positionen derMinima und Maxima, also der Doppler-Peaks, zum an-dern verändert sich das Spektrum für �� 100. Dieserletzte Effekt kommt durch den integrierten Sachs–Wolfe-Effekt zustande, denn je stärker das Weltmodellgekrümmt ist, umso stärker sind die zeitlichen Va-riationen des pekuliaren Gravitationspotentials φ. DieVerschiebung der akustischen Peaks ist im Wesent-lichen eine Folge der Änderung der Geometrie desUniversums: Die Größe des Schall-Horizonts hängtnur schwach von der Krümmung ab, aber die Win-

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

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kelentfernung DA(zrec) ist eine empfindliche Funktionder Krümmung, so dass die Winkelskala, die demSchall-Horizont entspricht, sich entsprechend ändert.

Für flache Modelle ist in Abb. 8.24(b) die Abhän-gigkeit von der kosmologischen Konstanten dargestellt.Man erkennt, dass ΩΛ nur einen vergleichsweise gerin-gen Einfluss auf die Positionen der akustischen Peakshat, so dass diese in der Tat im Wesentlichen von derKrümmung des Universums abhängen. Der wichtigsteEinfluss von ΩΛ ist der bei kleinen �: Für ΩΛ = 0 ver-schwindet der integrierte Sachs–Wolfe-Effekt, so dassdann das Leistungsspektrum flach ist (für n = 1), wäh-rend größere ΩΛ zu einem immer stärkeren integriertenSachs–Wolfe-Effekt führen.

Der Einfluss der Baryonendichte ist in Abb. 8.24(c)gezeigt. Eine Erhöhung der Baryonendichte hat zurFolge, dass die Amplitude des ersten Doppler-Peaksansteigt, während die des zweiten dabei geringer wird.Allgemein steigt die Amplitude der ungeradzahligenDoppler-Peaks an, die der geradzahligen reduziert sichmit steigendem Ωbh2. Weiterhin tritt die Dämpfungder Fluktuationen schon bei kleineren � (also grö-ßeren Winkelskalen) ein, wenn Ωb reduziert wird,weil dann die freie Weglänge der Photonen ansteigtund daher größerskalige Fluktuationen ausgewaschenwerden können. Schließlich zeigt die Abb. 8.24(d)die Abhängigkeit der Temperaturfluktuationen vomDichteparameter Ωmh2. Änderungen dieses Parame-ters bewirken sowohl eine Verschiebung der Positionen

Abb. 8.25. Die obere Kurve in beiden Abbildungen zeigtdas Spektrum der primären Temperaturfluktuationen für dasgleiche Referenzmodell, das in Abb. 8.24 verwendet wurde,während die anderen Kurven den Einfluss der sekundären Ani-sotropien darstellen. Auf großen Winkelskalen (kleinem �) istder integrierte Sachs–Wolfe-Effekt (ISW) dominant, währendder Einfluss der gravitativen Lichtablenkung (lensing) und des

Sunyaev–Zeldovich-Effekts (SZ) bei großen � dominiert. Aufmittleren Winkelskalen macht sich die Streuung der Photonenan den freien Elektronen im intergalaktischen Gas (suppres-sion) bemerkbar, die nach der Reionisation des Universumsvorhanden sind. Andere sekundäre Effekte, die in diesen Fi-guren eingezeichnet sind, sind deutlich kleiner als die obenerwähnten und daher hier von geringerem Interesse

als auch Änderungen der Amplituden der einzelnenDoppler Peaks.

Aus dieser Diskussion geht klar hervor, dass in denTemperaturfluktuationen des CMB eine enorme Mengean Information über die kosmologischen Parameterenthalten ist. Wenn es also gelingt, diese zu vermes-sen, erhält man sehr gute Einschränkungen an dieseParameter.

In der Abb. 8.25 sind die sekundären Effekte derCMB-Anisotropien dargestellt und verglichen mit demoben benutzten Referenzmodell. Neben dem schon aus-führlich diskutierten integrierten Sachs–Wolfe-Effektist vor allen Dingen der Einfluss der freien Elek-tronen nach der Reionisation des Universums zunennen. Durch die Streuung der CMB-Photonen andiesen Elektronen wird im Wesentlichen die Amp-litude der Fluktuationen auf allen Skalen reduziert,und zwar um einen Faktor e−τ , wobei τ die optischeTiefe gegenüber Thomson-Streuung bezeichnet. Diesehängt von der Rotverschiebung der Reionisation ab,denn je früher das Universum wieder ionisiert wurde,umso größer ist τ . Weiterhin erkennt man aus derAbb. 8.25, dass bei kleinen Winkelskalen die gravita-tive Lichtablenkung und der Sunyaev–Zeldovich-Effektdominant werden. Letzterer kann aufgrund seinerspeziellen Frequenzabhängigkeit identifiziert werden,während der Linseneffekt von den anderen Quel-len der Anisotropie nicht direkt getrennt werdenkann.

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

8.6.4 Beobachtungen der CMB-Anisotropie

Um zu verstehen, warum zwischen der Entdeckungdes CMBs 1965 und der ersten Messung von CMB-Fluktuationen 1992 so viel Zeit verstrichen ist, mussman bedenken, dass die Fluktuationen von der rela-tiven Größenordnung ∼ 2×10−5 sind. Daraus ergibtsich eine enorme Anforderung an die Genauigkeitvon solchen Beobachtungen. Die Hauptschwierigkeitder Messungen vom Boden aus ist die Emissionder Atmosphäre. Um diese zu vermeiden, oder we-nigstens zu minimieren, sind Satellitenexperimenteoder Beobachtungen von Ballons aus notwendig. Esüberrascht daher nicht, dass der Satellit COBE alserstes CMB-Fluktuationen nachweisen konnte.7 Ne-ben der Vermessung der Temperaturverteilung ander Sphäre (siehe Abb. 1.17) mit einer Winkelauf-lösung von ∼ 7◦ hat COBE auch gezeigt, dassder CMB der perfekteste Schwarzkörper ist, derje gemessen wurde. Das von COBE gemesseneLeistungsspektrum für � � 20 war beinahe flachund daher mit dem Harrison–Zeldovich-Spektrumverträglich.

Galaktischer Vordergrund. Die gemessene Tempera-turverteilung der Strahlung ist eine Überlagerung derCMB-Anisotropie und der Emission von Galaktischen(und extragalaktischen) Quellen. Diese Vordergrund-Emission dominiert in der Nähe der GalaktischenScheibe, wie man in der Abb. 1.17 deutlich erken-nen kann, und scheint wesentlich schwächer zu seinbei hohen Galaktischen Breiten. Allerdings kann dieVordergrundstrahlung aufgrund des unterschiedlichenspektralen Verhaltens identifiziert und subtrahiert wer-den. Dazu stellt man fest, dass der GalaktischeVordergrund im Wesentlichen aus drei Komponen-ten besteht: Synchrotron-Strahlung von relativistischenElektronen in der Galaxis, thermische Staubstrahlungund Bremsstrahlung von heißem Gas. Die Synchrotron-Strahlung hat ein Spektrum etwa wie Iν ∝ ν−0.8,während der Staub sehr viel wärmer ist als 3 K unddaher im für CMB-Messungen interessanten Bereichein spektrales Verhalten wie etwa Iν ∝ ν3.5 zeigt. DieBremsstrahlung besitzt im relevanten Spektralbereich

7mit Ausnahme der Dipol-Anisotropie, die von der Pekuliarbewe-gung des Sonnensystems her stammt und eine Amplitude von ∼ 10−3

besitzt; diese wurde bereits früher identifiziert

ein flaches Spektrum, Iν ≈ const. Dies kann vergli-chen werden mit dem Spektrum des CMB, das imRayleigh–Jeans-Bereich die Form Iν ∝ ν2 annimmt.

Es gibt nun zwei Möglichkeiten, aus der gemes-senen Intensitätsverteilung die Vordergrund-Emissionherauszurechnen. Zum einen kann man durch Be-obachtungen bei mehreren Frequenzen das Spektrumder Mikrowellenstrahlung an jedem Punkt untersuchenund dabei die drei oben erwähnten Vordergrundkom-ponenten identifizieren und subtrahieren. Als zweiteMöglichkeit bietet sich die Berücksichtigung externerDatensätze an. Die Synchrotron-Strahlung ist bei grö-ßeren Wellenlängen wesentlich stärker; aus einer Kartedes Himmels bei Radiofrequenzen kann man daher dieVerteilung der Synchrotron-Strahlung erhalten und aufderen Beitrag bei den für die CMB-Messungen benutz-ten Frequenzen schließen. In ähnlicher Weise kann dieInfrarot-Emission des Staubes, wie sie z. B. mit demIRAS-Satelliten vermessen wurde (siehe Abb. 2.11),dazu benutzt werden, die Staubemission der Gala-xis im Mikrowellenbereich zu erhalten. Schließlicherwartet man, dass Gas, welches Bremsstrahlung emit-tiert, ebenfalls starke Balmer-Emission von Wasserstoffzeigt, weswegen man aus einer Hα-Karte des Him-

Abb. 8.26. Die Antennentemperatur (∝ Iν ν−2) des CMB undder drei im Text diskutierten Vordergrund-Komponenten, alsFunktion der Frequenz. Die 5 Frequenzbänder von WMAPsind eingezeichnet. Die gestrichelten Kurven geben die mitt-lere Antennentemperatur der Vordergrundstrahlung auf den77% bzw. 85% des Himmels an, in denen die CMB-Analyse durchgeführt wurde. Man erkennt, dass die beidenhochfrequenten Kanäle nicht von der Vordergrund-Emissiondominiert werden

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

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mels die Bremsstrahlung vorhersagen kann. BeideMöglichkeiten, die Bestimmung des Vordergrunds ausMulti-Frequenzdaten des CMB-Experiments und dieBenutzung von externen Daten, werden angewandt, umeine möglichst vordergrundfreie Karte des CMB zu er-halten – wie das in Abb. 1.17 unten ja auch gelungen zusein scheint.

Die optimale Frequenz zur Messung der CMB-Anisotropien ist dort, wo die Vordergrund-Emissiongerade ein Minimum hat; dies ist etwa bei 70 GHz der

Abb. 8.27. Im Jahre 2000 veröffentlichten zwei Grup-pen die Daten ihrer CMB-Beobachtungen, BOOMERANGund MAXIMA. Hier sind die BOOMERANG-Daten ge-zeigt. Man sieht links die Temperaturverteilung bei 90 GHz,150 GHz und 240 GHz, rechts unten die für 400 GHz. Inden oberen beiden Figuren auf der rechten Seite sind dieTemperaturkarten von jeweils zwei Frequenzen voneinandersubtrahiert. Diese Differenzkarten weisen wesentlich klei-nere Fluktuationen auf als die individuellen Karten. Dies

ist damit verträglich, dass der größte Teil der Strahlungvom CMB stammt, und nicht etwa von Galaktischer Strah-lung, die eine andere Frequenzverteilung besäße und daherin den Differenzkarten deutlich zum Vorschein käme. Für dieFluktuationsanalyse der Temperaturverteilung wurde nur derBereich innerhalb des gestrichelten Rechtecks benutzt, umRandeffekte zu vermeiden. Das Fluktuationsspektrum, das ausden Differenzkarten berechnet wurde, ist mit reinem Rauschenverträglich

Fall (siehe Abb. 8.26), also gerade ein spektraler Be-reich, der vom Boden aus sehr schwer zugänglich ist.

Von COBE zu WMAP. In den Jahren nach der COBE-Mission haben verschiedene Experimente Messungender Anisotropie vom Boden aus unternommen, wobeidabei das Hauptaugenmerk auf kleineren Winkelskalenlag. Um ca. 1997 verdichtete sich die Evidenz für dieAnwesenheit des ersten Doppler-Peaks, aber die Fehler-

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

balken der einzelnen experimentellen Resultate warenzu groß, um diesen Peak klar zu lokalisieren. Der Durch-bruch kam dann im März 2000, als zwei Gruppen ihreErgebnisse zu den Messungen der CMB-Anisotropieveröffentlichten: BOOMERANG und MAXIMA. Bei-des waren Ballon-Experimente, die jeweils ein großesGebiet des Himmels bei verschiedenen Frequen-zen beobachteten. In Abb. 8.27 sind die Karten desBOOMERANG-Experiments dargestellt. Beide Ex-perimente haben eindeutig den ersten Doppler-Peakvermessen und bei � ≈ 200 lokalisiert. Daraus konntegeschlossen werden, dass wir in einem beinahe flachenUniversum leben – die Analyse der Daten ergab etwaΩm +ΩΛ ≈ 1±0.1. Weiterhin wurden zumindest deut-liche Anzeichen des zweiten Doppler-Peaks gesehen.

Im April 2001 wurden dann verfeinerte CMB-Anisotropie-Messungen von drei Experimenten veröf-fentlicht, BOOMERANG, MAXIMA und DASI. Beiden beiden ersteren handelte es sich um die gleichen

Abb. 8.28. Spektrum der Winkelfluktuationen des CMB,gemessen mit dem BOOMERANG-Ballon; diese Resul-tate wurden im Jahre 2002 publiziert, basierend auf dengleichen Daten wie die zuvor publizierten Resultate, abermit einer verbesserten Analyse. Dargestellt sind die Ko-effizienten �(�+1)C� als Funktion der ,,Wellenzahl“ bzw.der Multipolordnung � ∼ 180◦/θ. Deutlich sind die erstendrei akustischen Peaks zu erkennen, die aus den Oszilla-tionen der Photonen-Baryonen-,,Flüssigkeit“ zur Zeit der

Rekombination stammen. In der rechten Abbildung sindWinkelspektren einiger kosmologischer Modelle eingezeich-net, die die CMB-Daten am besten fitten. Das Modell,,weak“ (durchgezogene Kurve) benutzt die Einschränkung0.45 ≤ h ≤ 0.90, t0 > 10 Gyr, und hat ΩΛ = 0.51, Ωm = 0.51,Ωbh2 = 0.022, h = 0.56, entsprechend t0 = 15.2 Gyr. Diekurz-gestrichelte Kurve (,,strong H0“) macht die stärkere Ein-schränkung h = 0.71±0.08 und hat ΩΛ = 0.62, Ωm = 0.40,Ωbh2 = 0.022, h = 0.65, entsprechend t0 = 13.7 Gyr

Beobachtungsdaten wie im Jahr zuvor, die jedoch ei-ner verbesserten Analyse unterzogen wurden. Das sovermessene Fluktuationsspektrum der Temperatur ist inAbb. 8.28 dargestellt und zeigt, dass die Lage der dreiersten Doppler-Peaks somit bestimmt war.

Der Stand der Messungen der CMB-AnisotropieEnde 2002 ist in der Abb. 8.29 dargestellt. In derlinken Abbildung sind die Ergebnisse einer Vielzahlvon Experimenten individuell aufgezeichnet, die rechteAbbildung zeigt den gewichteten Mittelwert dieser Ex-perimente. Wie man auf den ersten Blick vielleicht nichtvermuten würde, sind die Ergebnisse all der in der linkenAbbildung gezeigten Experimente miteinander kompa-tibel, in dem Sinne, dass sie statistisch verträglich sindinnerhalb der jeweils angegebenen Fehlerbalken mitdem Leistungsspektrum, das sich nach dem gewichtetenMittel ergibt.

Aus diesem so gemittelten Leistungsspektrum kannman nun dasjenige kosmologische Modell bestim-

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

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Abb. 8.29. Diese Abbildung fasst den Stand der CMB-Anisotropie-Messungen zum Ende des Jahres 2002 zusam-men. Links sind die Resultate der einzelnen Experimentegezeigt, rechts das aus ihnen durch gewichtete Mittelung

berechnete ,,beste“ Spektrum der Fluktuationen mit den ent-sprechenden Fehlerbalken, sowie dem am besten passendenkosmologischen Modell

men, welches diese Daten am besten beschreibt.Unter der Annahme eines flachen Modells ergibtsich ΩΛ = 0.71 ± 0.11, eine Baryonendichte vonΩbh2 = 0.023±0.003, in hervorragender Übereinstim-mung mit dem Wert, den man aus der primordialenNukleosynthese erhält (siehe Gl. 4.62), und der Spek-tralindex der primordialen Dichtefluktuationen wirdeingeschränkt auf n = 0.99±0.06, also in der Tatsehr nahe an dem Harrison–Zeldovich-Wert von 1.Weiterhin wird die Hubble-Konstante abgeschätzt zuh = 0.71±0.13, wiederum in hervorragender Überein-stimmung mit dem Wert, den man aus der lokalenUntersuchung mittels der Entfernungsleiter bestimmtund der von dieser Messung vollkommen unabhängigist. Diese Übereinstimmungen sind wahrlich beeindru-ckend, wenn man sich noch einmal die Annahmenunseres kosmologischen Modells vor Augen führt.

8.6.5 WMAP: Präzisionsmessungender CMB-Anisotropie

Im Juni 2001 wurde der Microwave Anisotropy ProbeSatellit gestartet, dem zu Ehren von David Wilkinson

dessen Name verliehen wurde. WMAP ist nach COBEerst das zweite Experiment, welches die Mikrowellen-strahlung des gesamten Himmels vermisst. Im Vergleichzu COBE hat WMAP einen breiteren Frequenzbereich,indem er bei fünf (anstatt drei) Frequenzen misst, einedeutlich verbesserte Winkelauflösung (abhängig vomFrequenzband, etwa 20′, gegenüber ∼ 7◦), und außer-dem ist WMAP in der Lage, die Polarisation des CMBzu vermessen. Die Ergebnisse des ersten Jahres derMessungen von WMAP wurden im Februar 2003 ver-öffentlicht. Diese exzellenten Resultate haben unserkosmologisches Weltmodell soweit verfestigt, dass wirheute von dem Standardmodell der Kosmologie spre-chen können. Die wichtigsten Ergebnisse von WMAPsollen hier diskutiert werden.

Vergleich mit COBE. Da WMAP nach COBE dererste Satellit ist, der den gesamten Himmel imrelevanten Frequenzbereich abbildet, ist nun zum ers-ten Mal eine Verifizierung der COBE-Messungenmöglich. In der Abb. 8.30 sind Himmelskarten vonCOBE und von WMAP dargestellt. Man bemerktzum einen die dramatisch bessere Winkelauflösungder WMAP-Karte. Andererseits ist klar zu erkennen,

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.30. Vergleich der CMB-Messungen mit COBE (oben)und WMAP (unten), nach Abzug des Dipols, der von der Be-wegung der Sonne relativ zum Ruhesystem des CMB herrührt.Die enorm gesteigerte Winkelauflösung von WMAP ist leichtzu erkennen. Obwohl diese beiden Karten bei unterschiedli-chen Frequenzen aufgenommen wurden, ist die Ähnlichkeitder Temperaturverteilung klar zu sehen und wurde quantita-tiv nachgewiesen. Hiermit konnten die COBE-Resultate zumersten Mal unabhängig überprüft werden

dass diese beiden Karten sich sehr ähnlich sind, wennman sie mit der gleichen Winkelauflösung betrachtenwürde. Diesen Vergleich kann man quantitativ voll-ziehen, indem man die WMAP-Karte durch Glättungauf die COBE-Auflösung ,,verschmiert“. Da WMAPnicht bei den gleichen Frequenzen misst wie COBE,wurden dazu die WMAP-Karten zwischen zwei Fre-quenzen auf die COBE-Frequenz interpoliert. DieserVergleich zeigt dann, dass die beiden Karten in-nerhalb des jeweiligen Rauschens völlig identischsind, mit Ausnahme eines einzigen Punktes inner-halb der Galaktischen Scheibe. Diesen kann mandadurch verstehen, dass das für die Interpolation be-nutzte angenommene Spektrum an dieser Stelle vomwirklichen Spektrum dieser Quelle abweicht. Diese Be-

stätigung der Messungen von COBE ist in der Tat sehrbeeindruckend.

Kosmische Varianz. Bevor wir die Ergebnisse vonWMAP weiterdiskutieren, wollen wir hier den Begriffder kosmischen Varianz erläutern. Das Winkelspektrumder CMB-Anisotropien wird quantifiziert durch dieMultipol-Koeffizienten C�. So drückt etwa C1 die Stärkedes Dipols aus. Der Dipol hat insgesamt drei Kompo-nenten; beispielsweise können wir diese beschreibendurch eine Amplitude und zwei Winkel, die uns eineRichtung auf der Sphäre beschreiben. Entsprechend hatder Quadrupol fünf unabhängige Komponenten, undgenerell gilt, dass (2�+1) unabhängige Komponentenzu C� beitragen.

Die Modelle des CMB bestimmen den Erwartungs-wert der Amplitude der einzelnen Komponenten C�.Will man nun Messungen des CMB mit diesen Model-len vergleichen, so muss man sich darüber im Klarensein, dass wir nie einen Erwartungswert messen können,sondern nur den Mittelwert der Komponenten, die zu C�

beitragen. Da es nur fünf unabhängige Komponentendes Quadrupols gibt, ist die erwartete statistische Ab-weichung des Mittelwerts vom Erwartungswert C2/

√5.

Im Allgemeinen ist die statistische Abweichung desMittelwerts von C� vom Erwartungswert

ΔC� = C�√2�+1

. (8.26)

Im Gegensatz zu vielen anderen Situationen, woman die statistischen Unsicherheiten verringern kann,indem man eine größere Stichprobe untersucht, kannman dies im Fall des CMB nicht machen: Wir ha-ben nur einen Mikrowellenhimmel, den wir beobachtenkönnen! Wir können also kein Ensemble von Mikro-wellenkarten zusammentragen, sondern sind auf dieKarte unseres Himmels allein angewiesen. Ein Beob-achter woanders im Universum sieht einen anderenCMB-Himmel und misst daher andere C�-Werte, weilsein CMB-Himmel einer anderen Realisation des Zu-fallsfeldes [welches durch das Leistungsspektrum P(k)der Dichtefluktuationen spezifiziert ist] entspricht. Dasbedeutet, (8.26) ist eine fundamentale Grenze derstatistischen Genauigkeit, die auch durch instrumen-telle Verbesserungen nicht unterschritten werden kann.Dieser Effekt heißt kosmische Varianz. Die Messgenau-igkeit von WMAP für jeden Wert von �� 350 ist besser

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8.6 Winkelfluktuationen des CMB

349

als die kosmische Varianz (8.26). Daher ist das mit ihmgemessene Fluktuationsspektrum für �� 350 ,,defini-tiv“, d. h. weitere Verbesserungen der Genauigkeit indiesem Winkelbereich liefern keine zusätzliche kosmo-logische Information (allerdings können in zukünftigenMessungen natürlich mögliche systematische Effektenachgeprüft werden).

Das Fluktuationsspektrum. Da WMAP in fünf ver-schiedenen Frequenzen misst, kann man im Prinzipdie Galaktische Vordergrundstrahlung vom CMB sepa-rieren, aufgrund unterschiedlichen spektralen Verlaufs.Dabei kann man sich weiterhin externer Daten-sätze bedienen, wie das in Abschn. 8.6.4 beschriebenwurde. Diese zweite Methode wird bevorzugt, weildurch die Verwendung von Multifrequenz-Daten zurVordergrundsubtraktion die Rauscheigenschaften derresultierenden CMB-Karte sehr kompliziert werden.Die Bereiche, wo die Vordergrundemission besondersstark ist – hauptsächlich in der Galaktischen Scheibe– werden bei der Bestimmung der C� nicht berück-sichtigt; ebenso werden bekannte Punktquellen aus derKarte ,,herausgeschnitten“.

Das resultierende Fluktuationsspektrum ist inAbb. 8.31 dargestellt. In dieser Abbildung sind nichtdie einzelnen C� aufgezeichnet, sondern die Fluk-tuationsamplituden wurden in �-Bins gemittelt. Diedurchgezogene Kurve zeigt das erwartete Fluktua-tionsspektrum in einem ΛCDM-Universum, dessenParameter später noch quantitativ diskutiert werden.Der graue Bereich um dieses Modellspektrum gibt dieBreite der kosmischen Varianz an, entsprechend (8.26),modifiziert hinsichtlich des benutzten Binnens.

Die erste Feststellung ist, dass das gemesseneFluktuationsspektrum hervorragend mit dem Modellübereinstimmt. Es gibt praktisch keine statistisch si-gnifikanten Abweichungen der Messpunkte von demModell. Kleinere Abweichungen, die zu erkennensind, erwartet man als statistische Ausreißer. DieÜbereinstimmung der Daten mit dem Modell ist inder Tat spektakulär: Trotz seines enormen Entde-ckungspotentials hat WMAP ,,nur“ das bestätigt, wasman bereits vorher aus anderen Messungen erschlos-sen hat. Die Ergebnisse von WMAP haben daherdas kosmologische Modell eindrucksvoll bestätigtund gleichzeitig die Genauigkeit der Parameterwertedeutlich verbessert.

Abb. 8.31. Als zentrales Ergebnis der WMAP-Messungenist im oberen Bild das Fluktuationsspektrum der CMB-Temperatur (TT) und im unteren Bild das Leistungsspektrumder Korrelation zwischen der Temperaturverteilung undder Polarisation (TE) dargestellt. Neben den WMAP-Datenpunkten, die hier gebinnt aufgezeichnet sind, sindbei größeren � auch die Ergebnisse zweier weiterer CMB-Experimente (CBI und ACBAR) eingezeichnet. Die Kurvezeigt das am besten passende ΛCDM-Modell, und der graueBereich um sie herum zeigt die Kosmische Varianz an. Diegroße Amplitude des Punktes im TE-Spektrum bei kleinem �

zeigt eine unerwartet große Polarisation auf großen Win-kelskalen, die auf eine frühe Reionisation des Universumsschließen lässt

Der einzige Messpunkt, der signifikant vom Modellabweicht, ist der des Quadrupols, � = 2. Schon in denCOBE-Messungen war die Amplitude des Quadrupolskleiner als erwartet, wie dies in Abb. 8.29 erkennbar ist.Misst man dieser Abweichung physikalische Signifi-kanz bei, so ist diese Diskrepanz vielleicht ein Schlüsselzu möglichen Erweiterungen des kosmologischen Stan-dardmodells, und bereits kurz nach Veröffentlichungder WMAP-Resultate wurde eine Reihe von Arbeitenpubliziert, die nach einer Erklärung für die niedrige

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350

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Quadrupol-Amplitude suchten. Eine andere Art derErklärung liegt darin, dass für die Analyse des Win-kelspektrums ca. 20% des Himmels ausgespart wurden,darunter vor allen Dingen natürlich die GalaktischeScheibe. Die Vordergrundemission ist ebenfalls zurScheibe hin konzentriert, und es ist nicht auszuschlie-ßen, dass diese auch in den Bereichen der Sphäre, dienicht ausgeschnitten wurden, einen merklichen Ein-fluss haben kann. Dieser Einfluss würde sich vor allemim Spektrum bei kleinen � auswirken. Anomalien inder Ausrichtung der Multipole kleiner Ordnung wur-den tatsächlich in den Daten gefunden. Zum jetzigenZeitpunkt gibt es daher wahrscheinlich keinen Grundanzunehmen, dass die kleine Quadrupol-Amplitude vonkosmologischer Relevanz ist.

Polarisation des CMB. Die kosmische Hintergrund-strahlung ist eine Schwarzkörperstrahlung und daherunpolarisiert. Trotzdem wurden Polarisationsmessun-gen des CMB unternommen und eine endlichePolarisation festgestellt. Dieser Effekt soll hier erläutertwerden.

Die Streuung von Photonen an freien Elektronen än-dert nicht nur die Richtung der Photonen, sondern sorgtauch für eine lineare Polarisation der gestreuten Strah-lung. Die Richtung der Polarisation ist senkrecht zu derEbene, die von dem einfallenden und gestreuten Photonaufgespannt wird. Betrachten wir eine Region, in der esfreie Elektronen gibt. Photonen aus dieser Richtung sindnun entweder ohne Streuung von der Epoche der Re-kombination zu uns propagiert, oder sie wurden durchdie freien Elektronen in unsere Richtung gestreut. Durchdiese Streuung wird die Strahlung im Prinzip polarisiert.Grob gesprochen sind Photonen, die von ,,links“ oder,,rechts“ auf dieses Gebiet eingetroffen sind, in Nord-Süd-Richtung polarisiert, während die von ,,oben“ oder,,unten“ eingefallenen Photonen nach der Streuung einePolarisation in Ost-West-Richtung zeigen. Falls derCMB von den streuenden Elektronen aus gesehen iso-trop wäre, gäbe es genau so viele Photonen von rechtsund links wie von oben und unten, so dass die Netto-Polarisation gerade verschwinden würde. Allerdingssehen die streuenden Elektronen ihren CMB-Himmelin der gleichen Weise anisotrop, wie wir das auch tun;deshalb hebt sich die Polarisation nicht exakt auf.

Dieses Bild impliziert, dass die CMB-Strahlung po-larisiert sein kann. Der Grad der Polarisation hängt von

der Wahrscheinlichkeit ab, dass ein CMB-Photon seitder Rekombination gestreut worden ist, also von deroptischen Tiefe bezüglich der Thomson-Streuung. Dadiese von der Rotverschiebung abhängt, bei der dasUniversum reionisiert worden ist, kann man aus derPolarisation diese Rotverschiebung erschließen.

Im unteren Teil der Abb. 8.31 ist das Leistungsspek-trum der Korrelation zwischen der Temperaturvertei-lung und der Polarisation aufgezeichnet. Dabei stelltsich für kleine � ein überraschend hoher Wert heraus.Diese Messung ist die wahrscheinlich unerwartetsteEntdeckung in den WMAP-Daten des ersten Jahres,denn sie erfordert eine sehr frühe Reionisation des Uni-versums, zion ∼ 17, also deutlich früher, als man etwaaus den Spektren von QSOs mit z � 6 erschließt.

Zukunft der CMB-Messungen. Bevor wir nun die kos-mologischen Parameter diskutieren, die sich aus denWMAP-Daten ergeben, wollen wir kurz die Aussichtender CMB-Messungen in den Jahren nach 2005 andeu-ten. Zum einen wird WMAP noch einige Jahre weitermessen, die Genauigkeit der Messungen dadurch ver-bessern und insbesondere die Resultate des ersten Jahresüberprüfen. Weiterhin ist das Leistungsspektrum derPolarisation selbst bisher (April 2005) noch nicht ver-öffentlicht worden, so dass auch hier neue Erkenntnisse(oder eine weitere Bestätigung des Standard-Modells)zu erwarten sind, insbesondere hinsichtlich der Reioni-sationsrotverschiebung. Wie schon bei COBE werdendie WMAP-Daten für viele Jahre ein reicher Quell derErkenntnis sein.

Ballon- und bodengebundene Experimente werdenCMB-Messungen auf kleinen Winkelskalen durchfüh-ren und somit die Resultate von WMAP zu größeren �

hin erweitern. Die Fortschritte solcher Messungen wa-ren in den letzten Jahren bereits enorm und lassenhervorragende Ergebnisse für die nahe Zukunft er-warten. Schließlich wird voraussichtlich in 2008 derESA-Satellit PLANCK gestartet, dessen Frequenzbe-reich zwischen 30 GHz und 850 GHz liegt und dessenWinkelauflösung etwa 5′ betragen wird; wie WMAPwird auch PLANCK eine volle Himmelskarte aufneh-men. Neben der Vermessung des CMB wird dieseMission sehr interessante astrophysikalische Ergeb-nisse produzieren; man erwartet beispielsweise, dassPLANCK etwa 104 Galaxienhaufen aufgrund desSunyaev–Zeldovich-Effekts entdecken wird.

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8.7 Kosmologische Parameter

351

8.7 Kosmologische Parameter

Lange Zeit war die Bestimmung der kosmologischenParameter eine der großen Herausforderungen der Kos-mologie, und viele verschiedene Methoden wurdenersonnen und angewandt, um H0, Ωm, ΩΛ etc. zubestimmen. Bis vor einigen Jahren ergaben diese ver-schiedenen Methoden Ergebnisse mit relativ großenFehlerbalken, die sich teilweise auch nicht gegensei-tig überlappten. In den letzten Jahren hat sich dieseSituation jedoch grundlegend geändert, wie in denvorangegangenen Abschnitten bereits diskutiert wurde.Die Messungen von WMAP bilden einen vorläufigenHöhepunkt in der Bestimmung der kosmologischen Pa-rameter, und wir beginnen diesen Abschnitt mit derDarstellung dieser Ergebnisse.

8.7.1 Kosmologische Parameter mit WMAP

Vor allem die präzise Vermessung des ersten Doppler-Peaks, zusammen mit der Betrachtung des Gesamtspek-trums, erlaubt eine sehr scharfe Einschränkung für dieAbweichung des kosmologischen Modells von einemmit verschwindender Krümmung. In Abb. 8.32 sind dieKonfidenzbereiche in der Ωm-ΩΛ-Ebene aufgezeich-net, die man aus den CMB-Daten (WMAP, kombiniertmit Messungen bei kleinerem Winkelskalen, im Folgen-den WMAPext genannt) alleine oder in Kombinationmit SN Ia und/oder der Bestimmung von H0 aus demHubble Key Project (siehe Abschn. 3.6.2) erhält. Wie

Tabelle 8.1. Die sechs grundlegenden Parameter, die ausden WMAP-Daten bestimmt wurden, wobei ein flaches kos-mologisches Modell (Ωm +ΩΛ = 1) angenommen wurde.A ist die Amplitude und n die Steigung des primor-dialen Leistungsspektrums, und τ ist die optische Tiefebezüglich Thomson-Streuung. χ2

eff/ν ist ein statistischesMaß für die Übereinstimmung des besten Modells mit

den Daten. Die verschiedenen Spalten zeigen die Fit-Parameter unter Benutzung der WMAP-Daten allein und derKombination mit CMB-Messungen bei kleineren Winkel-skalen (WMAPext), zusätzlich mit dem Leistungsspektrumdes 2dFGRS (WMAPext+2dFGRS), und zusätzlich un-ter Benutzung des Leistungsspektrums aus dem Lyα-Wald(WMAPext+2dFGRS+Lyα)

WMAP WMAPext WMAPext+2dFGRS WMAPext+2dFGRS+Lyα

A 0.9±0.1 0.8±0.1 0.8±0.1 0.75+0.08−0.07

n 0.99±0.04 0.97±0.03 0.97±0.03 0.96±0.02τ 0.166+0.076

−0.071 0.143+0.071−0.062 0.148+0.073

−0.071 0.117+0.057−0.053

h 0.72±0.05 0.73±0.05 0.73±0.03 0.72±0.03Ωmh2 0.14±0.02 0.13±0.01 0.134±0.006 0.133±0.006Ωbh2 0.024±0.001 0.023±0.001 0.023±0.001 0.0226±0.0008χ2

eff/ν 1429/1341 1440/1352 1468/1381 . . .

schon in den in Abschn. 8.6.4 vorgestellten früherenCMB-Messungen zeigen die Resultate von WMAP,dass die Abweichungen von Ωm +ΩΛ von 1 sehr kleinsind.

Aus diesem Grund betrachten wir die anderenkosmologischen Parameter unter der Annahme einesflachen Universums, Ωm +ΩΛ = 1. Das WMAP-Teamhat einen sechs-dimensionalen kosmologischen Para-meterraum betrachtet, der aufgespannt wird durch dieAmplitude A der Dichtefluktuationen (diese Ampli-tude ist direkt verknüpft mit σ8, aber wird bei deutlichgrößeren Skalen als 8h−1 Mpc gemessen, da die CMB-Daten von solch großen Skalen bestimmt werden),der Steigung n des primordialen Fluktuationsspektrums(mit n = 1 für ein Harrison–Zeldovich-Spektrum),der optischen Tiefe τ gegenüber Thomson-Streuungnach der Reionisation des Universums, der skalier-ten Hubble-Konstanten h, sowie den DichteparameternΩmh2 und Ωbh2. Tabelle 8.1 zeigt die am bestenpassenden Werte dieser Parameter, wobei vier verschie-dene Datenkombinationen verwendet wurden: WMAPallein, WMAP zusammen mit Messungen der CMB-Fluktuationen auf kleineren Winkelskalen (WMAPext),WMAPext zusammen mit den Resultaten des 2dFGRS,und die Kombination aus WMAPext, 2dFGRS undLyα-Wald-Ergebnissen.

Betrachten wir zunächst die CMB-Resultate al-leine, so findet man, dass n sehr nahe bei eins liegt,und somit das primordiale Fluktuationsspektrum demHarrison–Zeldovich-Spektrum sehr ähnlich sein muss –in Übereinstimmung mit den Vorhersagen inflationärer

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Abb. 8.32. 1σ und 2σ-Konfidenzbereiche (dunkelgraue undhellgraue Flächen) in der Ωm-ΩΛ-Ebene. Oben links sindalleine die WMAP-Daten verwendet worden. Oben rechtswurden die WMAP-Daten mit CMB-Messungen bei kleine-ren Winkelskalen kombiniert (WMAPext). Im linken unterenBild wurden die WMAPext-Daten mit der Bestimmung

der Hubble-Konstanten aus dem HST Key Projekt kom-biniert, wobei die Konfidenzbereiche, die man aus denSN Ia-Messungen erhält, nur zum Vergleich eingezeichnetsind. Unten rechts wurden die SN Ia-Daten zusätzlich miteinbezogen. Die gestrichelte Linie zeigt jeweils Modelle mitverschwindender Raumkrümmung, Ωm +ΩΛ = 1

Modelle (siehe Abschn. 7.7). Der Wert der Hubble-Konstanten ist mit h = 0.73 ± 0.05 in exzellenterÜbereinstimmung mit dem aus dem Hubble Key Pro-ject bestimmten Wert. Die abgeleitete BaryonendichteΩbh2 ist ebenfalls in hervorragender Übereinstimmungmit dem Wert, den man aus der primordialen Nukleo-synthese erhalten hat. Kombiniert man die in der Tabelleangegebenen Werte für Ωmh2 und h, so erhält maneinen Wert für Γ = Ωmh, der mit dem aus der Gala-xienverteilung des 2dFGRS (siehe Gl. 8.5) in sehr guterÜbereinstimmung ist. Dabei muss man sich nochmalsvergegenwärtigen, dass es sich um völlig unabhängigeMethoden zur Bestimmung dieser Parameter handelt.

Die Messung des integrierten Sachs–Wolfe-Effektsim Fluktuationsspektrum ist eine von den SupernovaeResultaten unabhängige Verifikation eines von Null ver-schiedenen Werts für ΩΛ. In der Tat kann man denphysikalischen Ursprung dieses Effekts direkt nachwei-sen, da der integrierte Sachs–Wolfe-Effekt als Resultatder zeitlichen Entwicklung des Gravitationspotentialsbei relativ kleinen Rotverschiebungen (wo der Einflusseiner kosmologischen Konstante spürbar wird) auftritt.Er sollte daher direkt korreliert sein mit großskaligenÜberdichten der Materie, die sich unter der Annahmeeines Bias-Modells durch die Verteilung von Galaxienoder Galaxienhaufen beobachten lassen. Korrelationen

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8.7 Kosmologische Parameter

353

Abb. 8.33. Das Leistungsspektrum derDichtefluktuationen im Universum, wiees mit verschiedenen Methoden vermes-sen worden ist, wobei hier wiederumΔ2(k) ∝ k3 P(k) aufgetragen ist. Zu beach-ten ist, dass hier die kleinen Längenskalen(bzw. große k) links sind. Geht man vongroßen zu kleinen Längenskalen, so sinddie hier gezeigten Resultate aus Unter-suchungen der CMB-Fluktuationen, derAnzahldichte von Galaxienhaufen, dergroßräumigen Verteilung von Galaxien, derKosmischen Scherung und der Statistik desLyα-Waldes. Man erkennt, dass das Leis-tungsspektrum eines ΛCDM-Modells dieseDaten über einen sehr großen Skalenbereichbeschreibt

etwa der leuchtkräftigen Elliptischen Galaxien, wie mansie über sehr große Bereiche der Sphäre durch photome-trische Methoden (siehe Abschn. 9.1.2) im Sloan DigitalSky Survey beobachten kann, mit der Temperaturvertei-lung des CMB geben deutliche Hinweise darauf, dassdie Temperaturfluktuationen auf großen Winkelskalenden Sachs–Wolfe-Effekt beinhalten und stellen somiteinen direkten Nachweis von ΩΛ �= 0 dar.

Die große Überraschung der WMAP Ergebnisse istder hohe Wert für τ , der insbesondere aus dem TE-Leistungsspektrum abgeleitet wird. Dieser Wert von τ

impliziert, dass das Universum bereits bei einer re-lativ großen Rotverschiebung von z ∼ 17 reionisiertworden ist.

Die Kombination der CMB-Resultate mit denen ausder großräumigen Verteilung von Galaxien und derStatistik des Lyα-Waldes erlaubt die Vermessung desLeistungsspektrums zu kleineren Längenskalen, wiein Abb. 8.33 dargestellt ist. Das erlaubt eine bessereEinschränkung der kosmologischen Parameter.

Aus der Tabelle 8.1 entnehmen wir, dass in der Tatdiese Kombination die Fehlerbereiche einiger Parame-ter verkleinert, wobei dies insbesondere für Ωmh2 derFall ist. Von Bedeutung ist vor allem, dass die Werte derParameter sich durch die Kombination nur im Bereich

ihrer aus den CMB-Daten ermittelten Fehler ändern,was bedeutet, dass die verschiedenen Datensätze mit-einander (und dem flachen ΛCDM-Modell) kompatibelsind. Aus den primären Parametern können nun weitereabgeleitet werden; diese sind in Tabelle 8.2 aufgeführt.

Aus den kombinierten Daten ergibt sich als besterWert für die Gesamtdichte des Universums

Ωm +ΩΛ = 1.02±0.02 , (8.27)

in hervorragender Übereinstimmung mit der Vorher-sage des inflationären Modells. Weiterhin kann man denAnteil an Heißer Dunkler Materie einschränken, wo-bei die kleinskaligen Beobachtungen (die hier aus demLyα-Wald stammen) von besonderer Wichtigkeit sind,da HDM das Leistungsspektrum auf kleinen Skalenabschwächt. Man erhält mit 2σ-Signifikanz

Ωνh2 < 0.0076 , (8.28)

was für die Neutrinomasse eine scharfe obere Schrankevon mν < 0.23 eV impliziert. Dies ist eine deutlichstärkere Einschränkung, als sie zurzeit aus Labormes-sungen erhalten werden kann. Neben dem Lyα-Waldkann auch die Kosmische Scherung für Messungen aufkleinen Skalen herangezogen werden, wie in Abb. 8.34demonstriert ist.

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354

8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

Tabelle 8.2. Kosmologische Parameter, wie sie aus den CMB-Daten (WMAP) und ihrer Kombination mit dem 2dFGRSund dem Lyα-Wald abgeleitet werden. Dabei ist zion dieRotverschiebung der Reionisation des Universums (wobeiangenommen wird, dass die Reionisation homogen undvollständig vonstatten ging), zrec die Rotverschiebung derRekombination (das ist die Rotverschiebung, bei der diez-Verteilung der letzten Streuung der CMB-Photonen ihr Ma-ximum annimmt), zeq ist die Rotverschiebung, bei der Materieund Strahlung gleiche Energiedichte besaßen, nb ist die heu-tige Anzahldichte von Baryonen und η ist das Zahlenverhältnisder Baryonen zu Photonen

WMAP WMAPext+2dFGRS+Lyα

h 0.72±0.05 0.71+0.04−0.03

σ8 0.9±0.1 0.84±0.04σ8Ω0.6

m 0.44±0.10 0.38+0.04−0.05

Ωb 0.047±0.006 0.044±0.004Ωm 0.29±0.07 0.27±0.04t0 13.4±0.3 Gyr 13.7±0.2 Gyrzion 17±5 17±4zrec 1088+1

−2 1089±1

zeq 3454+385−392 3233+194

−210nb (2.7±0.1)×10−7 cm−3 (2.5±0.1)×10−7 cm−3

η (6.5+0.4−0.3)×10−10 (6.1+0.3

−0.2)×10−10

8.7.2 Kosmische Harmonie

Die Ergebnisse von WMAP haben im Wesentlichenkeine Überraschungen hervorgebracht, mit Ausnahmeder hohen optischen Tiefe τ . Diese Tatsache allein istschon überraschend, denn aufgrund der hohen Emp-findlichkeit und Winkelauflösung dieses Satelliten wärees durchaus denkbar gewesen, dass das gemesseneFluktuationsspektrum Hinweise auf Diskrepanzen mitunserem Standard-Modell ergeben hätte. Dies scheintaber nicht der Fall zu sein.

Wir sind daher in einer Situation, wo die wesent-lichen kosmologischen Parameter nicht nur mit einernoch vor wenigen Jahren undenkbaren Genauigkeitbestimmt worden sind, sondern jeder einzelne dieserParameter ist mit mehr als einer unabhängigen Me-thode gemessen worden, was die Selbstkonsistenz desModells eindrucksvoll bestätigt.

• Hubble-Konstante. H0 ist mit der Entfernungsleiter,speziell den Cepheiden, im Rahmen des Hubble KeyProjects bestimmt worden. Der daraus resultierendeWert ist in hervorragender Übereinstimmung mitdem, der sich aus der CMB-Anisotropie ergeben hat.

Abb. 8.34. Die Abbildung zeigt die Komplementarität derCMB-Daten mit denen der Kosmischen Scherung. Die Kon-fidenzbereiche beider Methoden einzeln in der Ωm-σ8-Ebenesind beinahe orthogonal, so dass eine Kombination bei-der Methoden zu einer deutlich kleineren Region erlaubterParameterpaare führt

Andere Abschätzungen von H0 ergeben vergleich-bare Werte. Obgleich die Bestimmung von H0 mittelsder Lichtlaufzeitdifferenz bei Gravitationslinsen undmittels des SZ-Effekts typischerweise etwas kleinereWerte ergeben, sind diese im Rahmen der erwartetenstatistischen Fehler und der schwer zu kontrollie-renden systematischen Effekte mit den Werten ausdem Hubble Key Project und den CMB-Messungenverträglich.

• Beitrag der Baryonen zur Gesamtdichte. Das Ver-hältnis Ωb/Ωm wurde aus dem Baryonenanteil vonGalaxienhaufen, den Rotverschiebungssurveys undaus den CMB-Fluktuationen bestimmt, in sehr guterÜbereinstimmung, Ωb/Ωm ≈ 0.15.

• Baryonendichte. Der aus der primordialen Nu-kleosynthese und der Beobachtung der Deuterium-häufigkeit in Lyα-Systemen bestimmte Wert vonΩbh2 ist durch die WMAP-Messungen ebenfallseindrucksvoll bestätigt worden.

• Materiedichte. Nimmt man den Wert für H0 alsbekannt an, so wurde Ωm durch die Galaxienvertei-lung in Rotverschiebungssurveys, dem CMB und derEntwicklung der Anzahldichte von Galaxienhaufenbestimmt.

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8.7 Kosmologische Parameter

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• Vakuumsenergie. Die durch die CMB-Messungenerhaltenen sehr engen Schranken an die Krümmungder Universums und die daraus folgenden Schran-ken an die Abweichung von Ωm +ΩΛ von Einsergeben ΩΛ aus den Messungen von Ωm und dem in-tegrierten Sachs–Wolfe-Effekt. Diese sind in ausge-zeichneter Übereinstimmung mit dem Wert aus denSN Ia-Messungen, wie in Abb. 8.35 dargestellt ist.

• Normierung des Leistungsspektrums. Da dieCMB-Fluktuationen das Leistungsspektrum beigroßen Längenskalen messen, ist die aus ihnen be-stimmte Normierung des Leistungsspektrums nurunter sehr guter Kenntnis der Form von P(k) mitdem Wert von σ8 zu vergleichen. Da allerdings dieForm von P(k) im Rahmen von CDM-Modellendurch die genaue Bestimmung der anderen kos-mologischen Parameter sehr gut eingeschränkt ist,erhält man aus den CMB-Messungen einen Wertvon σ8, der in exzellenter Übereinstimmung istmit dem, den man aus der Anzahldichte vonGalaxienhaufen und der kosmischen Scherung er-hält (siehe Abb. 8.34). Weiterhin sind diese Werteverträglich mit denen aus dem Pekuliargeschwin-digkeitsfeld der Galaxien. Allerdings betragen dieUnsicherheiten in σ8 der individuellen Methodenjeweils etwa ±10%, so dass σ8 der z. Zt. viel-leicht am wenigsten genau bestimmte kosmologischeParameter ist.

• Weltalter. Das aus den WMAP-Daten abgeleiteteWeltalter von t0 ≈ 13.4×109 yr ist kompatibel mitdem Alter von Kugelsternhaufen und den ältestenWeißen Zwergen in unserer Galaxis.

Die Beobachtungsergebnisse, die in diesem Kapitelbeschrieben wurden, haben die Ära der Präzisions-kosmologie eingeläutet. Während zweifelsohne dieGenauigkeit der einzelnen kosmologischen Parameterin den nächsten Jahren durch neue Beobachtungsergeb-nisse weiter verbessert wird, wird sich das Interesseder Kosmologie zunehmend nach Beobachtungen desfrühen Universums hin verschieben. Das Studium derEntwicklung kosmischer Strukturen, der Bildung vonGalaxien und Haufen, die Geschichte der Reioni-sation des Universums wird weiter in das Zentrumkosmologischer Forschung rücken.

Ein weiteres zentrales Ziel künftiger kosmologischerForschung wird die Untersuchung der Dunklen Ma-

Abb. 8.35. In diesem Bild sind die erlaubten ParameterpaareΩm und ΩΛ dargestellt, wie sie durch die CMB-Anisotropie,die SN Ia-Messungen und die z-Entwicklung der An-zahldichte von Galaxienhaufen bestimmt wurden. Da dieeinzelnen Konfidenzbereiche deutlich unterschiedliche Rich-tungen in dieser Parameterebene besitzen, kann man durchihre Kombination diese Parameter deutlich besser einschrän-ken als mit jeder einzelnen Methode. Die Kleinheit derindividuellen Konfidenzbereiche und die Tatsache, dasssie sich überlappen, zeigen in eindrucksvoller Weise dieSelbstkonsistenz unseres kosmologischen Modells

terie und der Dunklen Energie bleiben. InsbesondereLetztere lässt sich auf absehbare Zeit nur im Weltalluntersuchen. Aufgrund der enormen Bedeutung einernicht-verschwindenden Dunklen Energie für die funda-mentale Physik wird das Studium ihrer Eigenschaftenim Zentrum des Interesses nicht nur der Astrophysi-ker stehen. Eine erfolgreiche Theorie zur Beschreibungder Dunklen Energie wird vermutlich einen bedeuten-den Durchbruch im Verständnis fundamentaler Physikerfordern.

Die Suche nach den Konstituenten der DunklenMaterie wird die Physik in den nächsten Jahren beschäf-

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8. Kosmologie III: Die kosmologischen Parameter

tigen. Experimente sowohl in zukünftigen Beschleuni-gern (z. B. dem LHC am CERN) als auch die direkteSuche nach Teilchen, die als Kandidaten für die DunkleMaterie in Frage kommen, sind Erfolg versprechend.In jedem Fall wird durch die Dunkle Materie (falls sie

wirklich aus Elementarteilchen besteht) ein neuer Be-reich der Teilchenphysik eröffnet. Kosmologie und Ele-mentarteilchenphysik kommen sich aus diesen Gründenimmer näher; insbesondere ist das Universum das größteund billigste Laboratorium für die Teilchenphysik.

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9. Das Universum bei hoher RotverschiebungIm vorangegangenen Kapitel haben wir dargestellt, inwelcher Weise die kosmologischen Parameter bestimmtwerden können und welche Fortschritte in den letztenJahren dabei erzielt wurden. Dabei könnte der Ein-druck entstehen, mit der Bestimmung der Werte fürΩm, ΩΛ usw. befände sich die Kosmologie in einemEndstadium. In der Tat sahen es die Kosmologen übermehrere Jahrzehnte als ihre vordringlichste Aufgabean, die Dichteparameter und die Expansionsrate desUniversums zu bestimmen, und dieses Ziel ist nun ver-mutlich zum größten Teil erreicht worden. Von dortausgehend, wird die zukünftige Entwicklung des Feldessich voraussichtlich in zwei Richtungen bewegen. Zumeinen wird man die Natur der Dunklen Materie und derDunklen Energie aufzuklären versuchen und auf demWege dahin neue Erkenntnisse über die fundamentalePhysik gewinnen. Zum andern aber ist astrophysika-lische Kosmologie mehr als die Bestimmung einigerParameter: Wir wollen verstehen, wie sich das Univer-sum aus einem sehr primitiven Anfangszustand herauszu dem entwickelt hat, was wir um uns herum be-obachten – Galaxien verschiedener Morphologie, diegroßräumige Struktur ihrer Verteilung, Galaxienhau-fen und Aktive Galaxien. Wir wollen die Entstehungder Sterne und der Metalle studieren, genauso wie dieProzesse, die das intergalaktische Medium reionisiert

Abb. 9.1. Das Spektrum eines QSO mitder hohen Rotverschiebung z = 6.43: DieseQuelle wurde, wie viele andere QSOs ho-her Rotverschiebung, im Sloan DigitalSky Survey entdeckt und mit dem Keck-Teleskop spektroskopiert. Man erkenntdeutlich die rotverschobene Lyα-Linie,deren blaue Seite von intergalaktischer Ab-sorption ,,weggefressen“ wird. Beinahe diegesamte Strahlung blauer als die Lyα-Liniewird absorbiert, nur die Emission der Lyβ-Linie sticht noch hervor. Für λ ≤ 7200 Å istder Fluss des QSOs mit Null verträglich;die intergalaktische Absorption ist zu stark

haben. Beim Studium dieser Prozesse sind nun dieRandbedingungen sehr gut festgelegt. Während bis voreinigen Jahren Modelle etwa der Galaxienentwicklungdie kosmologischen Parameter frei variieren konnten,weil diese bis dahin nicht genau genug bestimmt wa-ren, so muss heute ein erfolgreiches Modell mit denParametern des Standardmodells zu Vorhersagen ge-langen, die mit den Beobachtungen kompatibel sind.Es gibt daher sehr viel weniger Freiheit beim Erstellensolcher Modelle. Um es mit anderen Worten auszu-drücken: Die Bühne, auf der sich die Bildung undEntwicklung von Objekten und Strukturen abspielt, istbereitet, und wir können nun das kosmische Schauspielbeobachten.

Die Fortschritte der letzten Jahre haben es erlaubt,das Universum auch bei sehr großen Rotverschiebungenzu untersuchen, wobei insbesondere instrumentelle Ent-wicklungen verantwortlich waren. Ein Indikator dieserEntwicklungen ist die wachsende maximale Rotver-schiebung von Quellen, die beobachtet wurden; alsBeispiel zeigt die Abb. 9.1 das Spektrum eines QSO mitder Rotverschiebung z = 6.43. Wir kennen heute eineganze Reihe von Galaxien mit Rotverschiebung z > 6,d. h. wir sehen die Objekte zu einem Zeitpunkt, als dasUniversum weniger als 10% seines heutigen Alters be-saß. Neben größeren Teleskopen, die uns diese tiefen

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Aufnahmen des Universums ermöglichen, ist insbeson-dere die Erschließung neuer Wellenlängenbereiche fürdas Studium des entfernten Universums von großer Be-deutung. Dies erkennt man beispielsweise daran, dassdie optische Strahlung einer Quelle bei der Rotver-schiebung z ∼ 1 ins NIR rotverschoben ist, weshalb dieNahinfrarot-Astronomie für Galaxien mit z � 1 etwa diegleiche Bedeutung hat wie die optische Astronomie imnahen Universum. Die Entwicklung der Submillimeter-Astronomie hat uns den Blick auf Quellen erlaubt, diewegen starker Staubabsorption dem optischen Blick fastvöllig entzogen sind.

Wir wollen in diesem Kapitel einen Eindruck von derAstronomie im fernen Universum vermitteln und da-bei einige interessante Aspekte beleuchten, die für dasVerständnis der Entwicklung unseres Universums vonbesonderer Bedeutung sind. Da sich dieses Forschungs-gebiet in rasanter Entwicklung befindet, können wirdieses Feld hier nur schwerpunktmäßig behandeln. Wirbeginnen in Abschn. 9.1 mit der Diskussion von Metho-den, mit denen Galaxien hoher Rotverschiebung gezieltgesucht werden können, und werden uns dann einer Me-thode widmen, mit der man die Rotverschiebung vonGalaxien allein aufgrund photometrischer Informationin mehreren Bändern (also der Farben dieser Objekte)bestimmen kann. Diese Methode findet u. a. ihre An-wendung bei den tiefen Himmelsaufnahmen, die mitdem HST gewonnen wurden, und wir werden einigedieser HST-Surveys beschreiben. Schließlich werdenwir die Bedeutung von Gravitationslinsen als ,,natür-liche Teleskope“ herausstellen, die uns aufgrund desVerstärkungseffekts einen tieferen Blick ins Universumerlauben. Die Erschließung neuer Wellenlängenberei-che erlaubt die Entdeckung neuartiger Quellen; inAbschn. 9.2 werden Galaxienpopulationen vorgestellt,die mittels sub-mm- und NIR-Beobachtungen identifi-ziert wurden und deren Beziehung zu den bekanntenGalaxientypen aufgeklärt werden muss. In Abschn. 9.3werden wir darstellen, dass es neben dem CMB auchnoch bei anderen Wellenlängen ,,Hintergrundstrahlung“gibt, deren Natur aber von der des CMB sehr verschie-den ist. Die Frage, wann und durch welche Prozessedas Universum reionisiert wurde, wird in Abschn. 9.4diskutiert. Danach werden wir in Abschn. 9.5 auf dieGeschichte der kosmischen Sternentstehung eingehenund dabei feststellen, dass das Universum bei Rotver-schiebungen z � 1 ein sehr viel aktiveres war als es

heute ist – in der Tat sind die meisten Sterne, die imheutigen Universum zu beobachten sind, bereits in derersten Hälfte der kosmischen Geschichte gebildet wor-den. Dieser empirische Befund ist einer der Aspekte, dieman im Rahmen von Modellen der Galaxienentstehungund -entwicklung zu erklären versucht. Wir werden inAbschn. 9.6 einige Aspekte dieser Modelle und ihreVerbindung zu Beobachtungen beleuchten. Schließlichwerden wir die einst sehr rätselhaften Gamma-Ray-Burst-Quellen diskutieren, explosive Ereignisse, vondenen erst seit 1997 bekannt ist, dass es sich umextragalaktische Quellen handelt.

9.1 Galaxienbei hoher Rotverschiebung

Wir wenden uns in diesem Abschnitt zunächst der Fragezu, wie man weit entfernte Galaxien finden und siedann als solche auch identifizieren kann. Die Eigen-schaften der so gefundenen Galaxien kann man dannmit denen von Galaxien im lokalen Universum ver-gleichen, wie wir sie in Kapitel 3 beschrieben haben.Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob Galaxien beihohem z, also kleinem Weltalter, ähnlich wie lokale Ga-laxien aussehen oder ob sie ganz andere Eigenschaftenbesitzen. Beispielsweise würde man vielleicht erwar-ten, dass sich die Masse und Leuchtkraft von Galaxienmit der Rotverschiebung entwickelt. Untersucht mandie Galaxienpopulation als Funktion der Rotverschie-bung, kann man die globale kosmische Sternentstehungverfolgen und etwa untersuchen, wann sich die meis-ten Sterne gebildet haben, die man heute sieht, und wiesich die Dichte von Galaxien als Funktion der Rotver-schiebung verändert. Einige dieser Fragen werden wirin diesem und den folgenden Abschnitten untersuchen.

9.1.1 Lyman-Break-Galaxien (LBGs)

Bis etwa 1995 waren nur wenige Galaxien mit z > 1 be-kannt; die allermeisten davon waren Radiogalaxien, diedurch optische Identifikation von Radioquellen gefun-den wurden. Die weitest entfernte ,,normale“ Galaxiemit z > 2 war bis dahin die Quelle des Giant LuminousArc in Cl 2244−02 (siehe Abb. 6.30). Weit entfernteGalaxien sind lichtschwach, und deshalb stellt sich die

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9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung

359

Frage, wie man Galaxien bei hohem z überhaupt findenkann.

Die naheliegendste Antwort auf diese Frage istvielleicht, dass man ein Sample von lichtschwachenGalaxien spektroskopieren sollte. Diese Methode ist al-lerdings nicht praktikabel, denn Galaxien mit R � 22haben z � 0.5, und Spektren von Galaxien mit R > 22sind mit 4-Meter-Teleskopen nur unter sehr großemZeitaufwand zu erhalten. Weiterhin besteht auch dasProblem der Nadel im Heuhaufen: Die meisten Gala-xien bei R � 24.5 haben z � 2 (was vor 1995 nichtbekannt war), wie sollte man also den kleinen Anteilderer mit noch höherer Rotverschiebung finden?

Eine systematischere Methode, die angewandtwurde, ist die Schmalband-Photometrie. Da Wasser-stoff das häufigste Element im Universum ist, kannman erwarten, dass ein Teil der Galaxien eine Lyα-Emissionslinie aufweist (wie es etwa alle QSOs tun).Durch den Vergleich einer Himmelsaufnahme in ei-nem Schmalbandfilter, zentriert auf eine Wellenlängeλ, und einem breiten Filter, ebenfalls in etwa auf λ zen-triert, kann man nach dieser Emission gezielt suchen.Falls eine Galaxie bei z ≈ λ/(1216 Å)−1 eine starkeLyα-Emissionslinie zeigt, sollte sie im Schmalband-Filter relativ zu anderen Quellen im Feld besonders hellsein, verglichen zum Breitband-Filter. Diese Suche nachLyα-Emissionslinien-Galaxien war bis Mitte der 90erJahre praktisch erfolglos, u. a. weil man nicht wusste,was man erwarten sollte, z. B. wie leuchtschwachGalaxien mit z ∼ 3 sein würden.

Den Durchbruch brachte eine Methode, die alsLyman-Break-Methode bekannt wurde. Da Wasser-stoff so häufig und der Ionisations-Wirkungsquerschnittso groß ist, kann man erwarten, dass Photonen mitλ < 912 Å sehr stark von neutralem Wasserstoff imGrundzustand absorbiert werden. Deshalb haben Photo-nen mit λ < 912 Å eine geringe Wahrscheinlichkeit, auseiner Galaxie zu entkommen, ohne vorher absorbiert zuwerden.

Weiterhin kommt die intergalaktische Absorption insSpiel. Wir hatten im Abschn. 5.6.3 gesehen, dass jedesQSO-Spektrum einen Lyα-Wald und Lyman-Limit-Absorption zeigt. Intergalaktisches Gas absorbierteinen Großteil der Photonen, die von einer hoch-rotverschobenen Quelle mit λ < 1216 Å emittiertwerden, und praktisch alle Photonen mit Ruhewellen-länge λ� 912 Å. Wie auch in Abschn. 8.5.2 diskutiert

wurde, wird diese Absorption mit zunehmender Rot-verschiebung stärker. Zusammengenommen ergibt sichdaher, dass Spektren von Galaxien mit hoher Rotver-schiebung bei λ = 1216 Å eine deutliche Änderung –eine Kante (,,break“) – zeigen sollten, und Strahlungmit λ� 912 Å sollte durch intergalaktische Absorptionund durch Absorption im interstellaren Medium vonGalaxien selbst so stark unterdrückt sein, dass nur einsehr kleiner Bruchteil der ionisierenden Photonen zuuns gelangen kann.

Daraus ergibt sich eine Strategie zum Auffinden vonGalaxien mit z � 3. Wir betrachten dazu drei Breit-bandfilter mit zentralen Wellenlängen λ1 < λ2 < λ3,deren spektrale Empfindlichkeiten nicht (oder nur we-nig) in der Wellenlänge überlappen. Falls λ1 � (1+z) 912 Å� λ2 ist, sollte eine Galaxie, die junge Sterneenthält, relativ blau bei der Messung in den Filternλ2 und λ3 erscheinen, aber praktisch unsichtbar seinim Filter λ1 – aufgrund der Absorption fällt sie aus demλ1-Filter heraus (,,drop-out“; siehe Abb. 9.2). Deshalbnennt man Galaxien, die so entdeckt werden, Lyman-

Abb. 9.2. Prinzip der Lyman-Break-Methode: Das Histo-gramm zeigt das synthetische Spektrum einer Galaxie beiz = 3.15, erzeugt mit Modellen der Populationssynthese; dasSpektrum ist das eines QSOs bei etwas höherer Rotverschie-bung. Man erkennt deutlich den Abfall des Spektrums fürλ ≤ 912(1+ z) Å. Die drei gestrichelten Kurven sind Fil-terfunktionen dreier Farbfilter, so gewählt, dass einer (Un)keine Photonen mit Wellenlängen oberhalb des Lyman-Breaksdurchlässt. Die Farbe dieser Galaxie wäre also blau in G−R,aber sehr rot in Un −G

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.3. Oben: Eine U-Band Dropout-Galaxie; in den beidenroteren Filtern ist sie klar zu erkennen, sie verschwindet aberpraktisch völlig im U-Filter. Links: In einem einzigen CCD-Feld findet man eine große Zahl von Kandidaten für Lyman-Break-Galaxien. Sie sind hier mit Kreisen gekennzeichnet;ihre Dichte beträgt in etwa 1 pro Quadratbogenminute

Break-Galaxien (LBG) oder Dropouts. Ein Beispieldafür ist in Abb. 9.3 gezeigt.

Die Methode wurde erstmals 1996 in großem Stilangewandt, wobei die in Abb. 9.2 dargestellten Filterbenutzt wurden. Wie man der Abb. 9.4 entnimmt, istdie erwartete Position einer Galaxie mit z ∼ 3 in einemZweifarben-Diagramm mit diesem Filtersatz beinaheunabhängig vom Typ und der Sternentstehungsge-schichte der Galaxie. Quellen in dem relevanten Bereichdes Zweifarben-Diagramms sind daher sehr gute Kan-didaten für Galaxien mit z ∼ 3. Die Verifikation derRotverschiebung muss mittels Spektroskopie gesche-hen, wobei der entscheidende Punkt darin besteht, dassdurch die Farbselektion von Kandidaten die Erfolgs-

Abb. 9.4. Entwicklung von Galaxien im (G−R) – (Un–G) Zwei-Farben-Diagramm, für verschiedene Galaxientypen.Alle Entwicklungswege starten bei z = 0, und die Symboleauf den Kurven deuten Intervalle Δz = 0.1 an. Die Farben derGalaxientypen sind sehr verschieden, aber für z ≥ 2.7 stim-men die Entwicklungswege der verschiedenen Galaxientypenpraktisch überein – eine Folge der Lyα-Absorption des inter-galaktischen Mediums. Eine Farbselektion von Galaxien imBereich zwischen der gepunkteten und gestrichelten Kurvesollte daher Galaxien mit z ≥ 3 auswählen. In der Tat hat sichdiese Selektion von Kandidaten als sehr erfolgreich heraus-gestellt; mehr als 1000 Galaxien mit z ∼ 3 wurden bislangspektroskopisch verifiziert

quote pro aufgenommenem Spektrum sehr hoch ist, sodass die spektroskopische Teleskopzeit sehr effizientzum Auffinden von entfernten Galaxien benutzt werdenkann. Mit der Inbetriebnahme des Keck-Teleskops (undspäter auch anderer 10-m-Klasse-Teleskopen) wurdedie Spektroskopie von Galaxien mit B � 25 möglich(siehe Abb. 9.5). Bisher wurden mehr als 1000 Gala-xien mit 2.5� z � 3.5 mit dieser Methode gefundenund spektroskopisch verifiziert.

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9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung

361

Abb. 9.5. Spektren zweier Galaxien beiz ∼ 3, die mittels der U-Dropout-Methodegefunden wurden. Unter den Spektren istdas – zur entsprechenden Rotverschiebunghin verschobene – Spektrum einer nahenStarburst-Galaxie (NGC 4214) aufgetragen;man erkennt, dass die Galaxien bei z ∼ 3sehr ähnliche Spektren wie heutige Gala-xien aufweisen. Eine der beiden U-Dropoutszeigt eine starke Lyα-Emissionslinie,die andere dagegen Absorption bei derentsprechenden Wellenlänge

Aus den in Abb. 9.5 gezeigten Spektren erkennt manauch, dass nicht alle Galaxien, die die Selektionskrite-rien erfüllen, eine Lyα-Emissionslinie zeigen, was eineder Erklärungen für den fehlenden Erfolg der frühe-ren Suche nach Galaxien hoher Rotverschiebung mitSchmalbandfiltern liefert. Die Spektren der hochrotver-schobenen Galaxien, die mit dieser Methode gefundenwerden, sind denen von Starburst-Galaxien bei kleinenRotverschiebungen sehr ähnlich. Offensichtlich handeltes sich bei den so selektierten Galaxien um solche,in denen aktive Sternentstehung vonstatten geht. Dasgewählte Selektionskriterium bevorzugt natürlich dieseQuellen, denn Sternentstehung sorgt einerseits für ein

blaues Spektrum bei (Ruhe-)Wellenlängen oberhalbvon 1216 Å, andererseits ist die Leuchtkraft von Gala-xien im UV-Bereich stark von der Sternentstehungsrateabhängig.

Betrachtet man nun die räumliche Verteilung dieserGalaxien, so findet man eine große Korrelationsam-plitude. Die Struktur der großräumigen Verteilung derGalaxien ist also bereits im frühen Universum sichtbar.Vergleicht man die Korrelationsfunktion der Galaxienbei z ∼ 3 mit der Korrelation der Materie, wie sie sichin CDM-Modellen ergibt, so findet man einen deutlichgrößeren Wert des Bias-Faktors b (siehe Abschn. 8.1.3)bei diesen entfernten Objekten. Aus der Interpreta-

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.6. Galaxie bei z = 5.74, die imSchmalbandfilter (oben links) und im I- undz-Band zu erkennen ist, lokalisiert durch diebeiden Striche, aber keinerlei Fluss in dendrei Filtern kleinerer Wellenlänge zeigt

tion des Biasing schließt man daher, dass solcheLBGs relativ seltene Ereignisse im frühen Universumdarstellen, d. h. sie entsprechen relativ massereichenDunklen Halos. In einigen Feldern ist die Korrela-tion in der Winkelposition und der Rotverschiebungso groß, dass man vermutlich die Galaxien sieht, diesich in der Zukunft zu einem Galaxienhaufen zusam-menfinden werden – also eine Art Proto-Cluster. In derAbb. 6.46 hatten wir bereits einen solchen Proto-Clustergezeigt.

Durch Variation des Filtersatzes können Dropoutsauch bei größeren Wellenlängen gefunden werden, ent-sprechend höheren Rotverschiebungen. Die Auswahlbei größeren z sorgt für eine immer dominantere Rolledes Lyα-Waldes, der ja mit steigender Rotverschiebungschnell dichter wird. Diese Methode funktioniert gutbis z ∼ 4.5, wobei man dann von B-Dropouts spricht.Wesentlich höhere Rotverschiebungen sind vom Bodenaus mit dieser Methode schwer zugänglich. Zum einenwerden die Galaxien mit wachsender Rotverschiebungimmer lichtschwächer, so dass deren Beobachtung zu-nehmend problematischer wird. Zum anderen mussman zu immer roteren Filtersätzen greifen. Bei solchgroßen Wellenlängen wird aber der Nachthimmel deut-lich heller, was den Nachweis von sehr schwachenObjekten weiter erschwert. Wenn man etwa eine Ga-laxie mit Rotverschiebung z = 5.5 mit dieser Methodenachweisen möchte, so befindet sich die Lyα-Linie beiλ ≈ 7900 Å, also mitten im I-Band, so dass zur effi-zienten Anwendung der Dropout-Methode nur der I-

und z-Band-Filter bzw. dann NIR-Filter zur Verfügungstehen (siehe Abb. 9.6 für ein Beispiel einer Dropout-Galaxie mit sehr großer Rotverschiebung), bei denendie Helligkeit des Nachthimmels sehr problematischist. Weiterhin sind Dropout-Galaxien bei solch hohenRotverschiebungen, wenn sie denn gefunden werden,aufgrund ihrer sehr geringen Helligkeit nur noch sehrschwer spektroskopisch zu verifizieren. Allerdings wer-den wir später noch sehen, dass diese Dropout-Methodeauch noch bei deutlich höheren Rotverschiebungen alsz ∼ 4 spektakuläre Erfolge erzielt hat, wobei auch hierdas HST eine zentrale Rolle spielt.

9.1.2 Photometrische Rotverschiebungen

Die Lyman-Break-Technik ist ein spezieller Fall einerMethode, durch Mehrfarben-Photometrie die Rotver-schiebung von Galaxien (und QSOs) abzuschätzen.Sie funktioniert, weil es eine Kante im Spektrumbei λ = 912 Å bzw. λ = 1216 Å gibt. Aber Gala-xienspektren zeigen weitere Charakteristika. Wie wirin Abschn. 3.9 im Detail diskutiert haben, ist dieBreitband-Energieverteilung im Wesentlichen eine Su-perposition von Sternstrahlung. Eine Sternpopulationmit Alter � 108 yr weist einen 4000 Å-Break auf, dadurch plötzliche Änderung der Opazität bei etwa 4000 Ådas Spektrum der meisten Sterne eine Kante bei die-ser Wellenlänge zeigt (siehe Abb. 3.46). Daher ist dieStrahlung einer Sternpopulation bei λ < 4000 Å ge-

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9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung

363

ringer als bei λ > 4000 Å; dies gilt insbesondere fürFrühtyp-Galaxien (siehe Abb. 3.49).

Nimmt man nun an, dass die Sternentstehungs-geschichten von Galaxien nicht allzu vielfältig sind,so sollten Galaxien in einem mehrdimensionalen Far-bendiagramm nicht jeden beliebigen Platz einnehmen,sondern auf bestimmte Bereiche konzentriert sein. Da-bei spielen der 4000 Å-Break und die Lyα-Kante einezentrale Rolle, wie dies in der Abb. 9.7 illustriertist. Sind die charakteristischen Bereiche im Farbraumidentifiziert, in denen sich die (meisten) Galaxienbefinden, so kann man aus den Farben allein eineRotverschiebung von Galaxien abschätzen, da derenbeobachtete Farben von ihrer Rotverschiebung abhän-gen. Diesen Schätzwert nennt man photometrischeRotverschiebung.

Abb. 9.7. Im unteren Bild ist nochmal das Prinzip derDropout-Methode illustriert, für eine Galaxie mit z ∼ 3.2.Während der Lyman-α-Wald einen Teil des Spektrumszwischen (Ruhewellenlänge) 912 Å und 1216 Å absorbiert,verschwindet der Fluss praktisch komplett unterhalb von912 Å. Durch Benutzung anderer Filterkombinationen (oben)kann man auch Galaxien bei anderen Rotverschiebungen ef-fizient selektieren; in dem Beispiel einer Galaxie bei z = 1macht man sich den 4000 Å-Break zunutze, der in Stern-populationen nach einigen 107 yr auftritt und als eine derwichtigsten Signaturen für die Methode der photometrischenRotverschiebung gilt

Genauer gesagt benutzt man eine Reihe vonStandard-Spektren von Galaxien (sog. Templates), dieman entweder aus beobachteten Galaxien auswähltoder durch Populationssynthese berechnet. Jedes die-ser Template-Spektren kann dann in der Wellenlängerotverschoben werden, wodurch sich eine K-Korrekturergibt. Für jedes Template-Spektrum und jede Rotver-schiebung können die erwarteten Farben der Galaxienbestimmt werden, indem die Spektren mit den Trans-missionsfunktionen der verwendeten Filter multipliziertund integriert werden (siehe Gl. A.25). Dieser Satz vonFarben kann dann mit den beobachteten Farben von Ga-laxien verglichen werden, und derjenige Satz, der denBeobachtungen am nächsten kommt, ergibt dann eineAbschätzung nicht nur der Rotverschiebung, sondernauch des Galaxientyps.

Der Vorteil dieser Methode ist, dass Vielfarben-Photometrie deutlich weniger zeitaufwändig ist als dieSpektroskopie individueller Galaxien. Weiterhin kanndiese Methode im Prinzip zu sehr viel schwächerenMagnituden hin ausgedehnt werden als spektroskopi-sche Rotverschiebungen. Der Nachteil der Methodetritt zutage, wenn nicht genügend Farben vorliegen, dadann extreme Ausreißer (also völlig falsches z) auftretenkönnen. Im Allgemeinen gilt, je mehr photometrischeBänder zur Verfügung stehen und je kleiner die Feh-ler der gemessenen Helligkeiten sind, umso genauer istdie abgeschätzte Rotverschiebung. In der Regel sindvier bis fünf photometrische Bänder nötig, um brauch-bare Abschätzungen der Rotverschiebung zu erhalten.Insbesondere sind für die Verlässlichkeit der photome-trischen Rotverschiebungen Daten über einen möglichstgroßen Bereich in der Wellenlänge nützlich, so dass eineKombination von optischen und NIR-Filtern angestrebtwerden sollte.

Der Erfolg dieser Methode hängt auch vom Typ derGalaxien ab. Wie wir schon in Abschn. 6.6 gesehenhaben, belegen Frühtyp-Galaxien aufgrund ihrer altenSternpopulation bei jeder Rotverschiebung eine relativwohldefinierte Farben-Helligkeits-Sequenz (die sich inGalaxienhaufen als Red Cluster Sequence manifestiert),so dass die Rotverschiebung dieses Galaxientyps auf-grund von Farbinformation sehr zuverlässig abgeschätztwerden kann. Dies gilt allerdings nur so lange, wie der4000 Å-Break zwischen zwei der verwendeten Filterfällt. Bei z � 1 ist dies im optischen Spektralbereichnicht mehr der Fall. Andere Galaxientypen zeigen grö-

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.8. Photometrische Rotverschiebung, aufgetragen ge-gen die spektroskopische Rotverschiebung von Galaxien imHDF-North. Photometrische Daten in vier optischen und zweiNIR-Bändern wurden hier benutzt. Man sieht, wie genau diephotometrische Rotverschiebung sein kann – die Genauig-keit hängt ab von der photometrischen Genauigkeit in deneinzelnen Filtern, der Anzahl der verwendeten Filter, der Rot-verschiebung, dem Galaxientyp, aber auch von den Detailsder benutzten Analysemethode

ßere Variationen ihrer spektralen Energieverteilung, dieetwa von der Geschichte der Sternentstehung abhängt.

Besonders für statistische Zwecke sind die photo-metrischen Rotverschiebungen sehr nützlich, etwa inSituationen, in denen die genaue Rotverschiebung je-der einzelnen Galaxie einer Stichprobe nicht relevantist. Jedoch kann man bei der Benutzung genügend vie-ler Filter eine Genauigkeit der Rotverschiebung vonΔz ∼ 0.03(1+ z) erhalten, wie das in Abb. 9.8 durchden Vergleich photometrischer Rotverschiebungen mitspektroskopisch bestimmten Rotverschiebungen vonGalaxien im Feld des HDF-North demonstriert wird.

9.1.3 Hubble Deep Field(s)

Im Jahre 1995 wurde ein bis dahin einmaliges Beob-achtungsprogramm mit dem HST durchgeführt. Einetiefe Aufnahme mit der Wide Field/Planetary Camera 2

Abb. 9.9. Das Hubble Deep Field (North), die bis dahin mitAbstand tiefste Himmelaufnahme. Das HST hat etwa 10 Tagelang Ende 1995 dieses Feld beobachtet, in vier verschiedenenFiltern; die reduzierten Daten wurden am 15.1.1996 weltweitöffentlich gemacht. Auf dieser Aufnahme, die insgesamt ca.5 Quadratbogenminuten umfasst, sind etwa 3000 Galaxien zusehen, die sich über einen weiten Rotverschiebungsbereicherstrecken

(WFPC2) auf dem HST, die ein ∼ 5.3 arcmin2 großesFeld ergibt, wurde in vier Filtern (U300, B450, V606

und I814) mit insgesamt etwa 10 Tagen Beobachtungs-zeit aufgenommen. Dabei entstand die bis dahin tiefsteHimmelsaufnahme, wie sie in Abb. 9.9 dargestellt ist.Das Feld der Beobachtung wurde speziell so gewählt,dass keine hellen Objekte darin lagen; weiterhin wardie Position des Feldes so ausgesucht, dass das HSTkontinuierlich in diese Richtung schauen konnte, wo-für aufgrund seines Orbits um die Erde nur zwei relativkleine Bereiche des Himmels in Frage kamen. Eine wei-tere Besonderheit dieses Programms war, dass die Datensofort nach ihrer Reduktion weltweit öffentlich gemachtwurden. Astronomen in aller Welt konnten daher di-rekt diese Daten wissenschaftlich analysieren und mitDaten in anderen Frequenzbereichen vergleichen bzw.eigene Nachbeobachtungen durchführen. Diese Art derschnellen Veröffentlichung von Beobachtungsdaten warbis dahin nicht üblich, hat jedoch seine Nachahmunggefunden. Selten hat ein Datensatz eine große Ge-

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9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung

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meinde von Astronomen so inspiriert und motiviert wiedieser.

Dieses Hubble Deep Field (North) – HDF(N) –wurde bei praktisch allen zugänglichen Wellenlängennachbeobachtet und ist die best untersuchte Region amextragalaktischen Himmel. Das Feld enthält ∼ 3000 Ga-laxien, 6 Röntgenquellen, 16 Radioquellen und wenigerals 20 Sterne. Für mehr als 150 Galaxien in diesemFeld wurden spektroskopisch die Rotverschiebungenbestimmt, und etwa 30 mit z > 2 gefunden. Nie zuvorkonnten Galaxienzählungen bis hin zu so schwachenMagnituden vorgenommen werden, wie das im HDF-Nmöglich war (siehe Abb. 9.10); mehrere Hundert Gala-xien pro Quadratbogenminute konnten in diesem Feldphotometriert werden.

Abb. 9.10. Galaxienzählungen aus dem HDF und anderenSurveys. Gefüllte Symbole stammen aus dem HDF, offeneSymbole aus bodengebundenen Daten. Die Kurven zeigenVorhersagen von Modellen, in denen sich die Spektren derGalaxien nicht ändern – die Zählungen liegen deutlich ober-halb dieser Modelle: Die Galaxienpopulation entwickelt sichklar. Man beachte, dass die Zählungen in den verschiede-nen Farbfiltern wegen der besseren Sichtbarkeit der Resultategegeneinander um jeweils einen Faktor 10 verschoben wurden

Detaillierte spektroskopische Nachbeobachtungenwurden von mehreren Gruppen durchgeführt, unddadurch wurde das HDF u. a. zum Kalibrationsfeldfür photometrische Rotverschiebungen (siehe etwaAbb. 9.8). Die meisten Galaxien im HDF sind viel zuschwach, als dass man sie spektroskopieren könnte, wo-durch man bei diesem Feld vielfach auf photometrischeRotverschiebungen angewiesen ist.

Später (1998) wurde ein weiteres HDF aufgenom-men, diesmal am südlichen Himmel. Im Gegensatzzum HDF-N, das als möglichst leer ausgewählt wurde,befindet sich im HDF-S ein QSO. Dessen Absorptions-spektrum kann mit den Galaxien des HDF-S verglichenwerden, so dass man dabei etwas über den Zusammen-hang von QSO-Absorptionslinien und Galaxien lernt.Zusätzlich zur WFPC2-Kamera wurden im HDF-S auchdie inzwischen installierten Kameras STIS (51′′ ×51′′Gesichtsfeld, wobei der CLEAR ,,Filter“ benutzt wurde,der eine sehr breite spektrale Empfindlichkeit besitzt;insgesamt ist STIS deutlich empfindlicher als WFPC2)und NICMOS (eine NIR-Kamera mit maximal 51′′ ×51′′ Gesichtsfeld) eingesetzt.

Im Jahre 2002 wurde eine weitere Kamera auf demHST installiert: Die Advanced Camera for Surveys(ACS) hat mit 3.′4 Kantenlänge ein ca. doppelt so großesGesichtsfeld wie WFPC2, dabei nur halb so große Pixel(0′′. 05), was der Winkelauflösung des HST besser ange-passt ist, und sie ist daher für Surveys bestens geeignet.Mit dem Hubble Ultra Deep Field wurde die bislang(und voraussichtlich noch für einige Jahre) tiefste Him-melsaufnahme erzielt und im Jahre 2004 veröffentlicht(siehe Abb. 9.11). Das HUDF ist in allen Filtern noch-mal um etwa eine Magnitude tiefer als das HDF. DieTiefe der ACS-Aufnahmen in Kombination mit den re-lativ roten Filtern, die zur Verfügung stehen, bieten dieMöglichkeit, Dropout-Kandidaten bei der Rotverschie-bung z ∼ 6 zu identifizieren; mehrere davon wurdenbereits spektroskopisch verifiziert.

Der große wissenschaftliche Erfolg der tiefenHST-Aufnahmen, gerade auch in Kombination mitDaten anderer Teleskope und der Bereitschaft, sol-che Daten der wissenschaftlichen Gemeinschaft fürMultifrequenz-Analysen zur Verfügung zu stellen, hatzu weiteren HST-Surveys Anlass gegeben. Das Pro-jekt GOODS (The Great Observatories Origins DeepSurvey) ist eine gemeinsame Beobachtungskampagneverschiedener Observatorien, zentriert auf zwei Fel-

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.11. Das HubbleUltra Deep Field, ein∼ 3.′4×3.′4 großes Feld,das mit der ACS-Kameraaufgenommen wurde. DieGrenzhelligkeit, bis zuder man Quellen aufdiesem Bild detektierenkann, ist noch einmaleine Magnitude schwä-cher als für das HDF.Mehr als 10 000 Galaxiensind auf der Aufnahme er-kennbar, viele davon beiRotverschiebungen z ≥ 5

der von jeweils ∼ 16′ ×10′ Größe, die in vier Filternmit der ACS-Kamera aufgenommen wurden. Eine die-ser beiden Regionen umfasst das HDF-N, das andereein Feld, welches unter dem Namen Chandra DeepField South (CDF-S) bekannt ist. Chandra hat beideGOODS-Felder mit einer Gesamtbelichtungszeit von∼ 1×106 s bzw. ∼ 2×106 s beobachtet. Weiterhin hatauch das Spitzer-Observatorium diese beiden Felder mitlanger Belichtungszeit beobachtet. Mehrere bodenge-bundene Observatorien haben sich ebenfalls an diesemSurvey beteiligt, u. a. ist eine ultratiefe Weitwinkelauf-nahme (∼ 30′ ×30′) auf dem CDF-S zentriert. DieseDaten sowie Datenprodukte (wie etwa Objektkataloge,Farbinformation usw.) sind alle öffentlich zugänglich

und haben bereits nach kurzer Verfügbarkeit zu einergroßen Zahl von wissenschaftlichen Ergebnissen ge-führt. Noch größere Surveys mit dem HST (GEMS, einFeld von 30′ ×30′ zentriert auf dem CDF-S, sowie der2 deg2 COSMOS-Survey) werden die Statistik der mitdem HUDF und GOODS erzielten Ergebnisse weiterverbessern.

9.1.4 Natürliche Teleskope

Galaxien bei hohen Rotverschiebungen sind licht-schwach und daher schwer zu spektroskopieren. Ausdiesem Grunde untersucht man im Detail diejenigen,

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9.1 Galaxien bei hoher Rotverschiebung

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Abb. 9.12. Eine besonders interessante Möglichkeit, Galaxienbei hoher Rotverschiebung zu untersuchen, bietet der starkeLinseneffekt in Galaxienhaufen. Da eine Gravitationslinse dasLicht von dahinterliegenden Galaxien verstärken kann (durchVergrößerung des Raumwinkels), kann man erwarten, schein-bar hellere Galaxien großer Rotverschiebung hinter Haufen zufinden. Hier ist eine HST-Aufnahme des Haufens Abell 2390dargestellt, auf der verschiedene Linsensysteme sichtbar sind.Links ist der zentrale Bereich dieses Haufens gezeigt. DreiSysteme des starken Linseneffekts in diesem Haufen sindoben in einer Vergrößerung dargestellt. In der Mitte ist dersog. ,,straight arc“, dessen Rotverschiebung etwa 0.91 be-trägt. Rechts und links ist jeweils ein Mehrfach-Bildsystemgezeigt, durch Buchstaben gekennzeichnet; die zwei zu die-sen Bildern gehörenden Quellen haben eine Rotverschiebungvon 4.04 und 4.05

die am hellsten sind, also bei jedem z im Wesent-lichen die leuchtkräftigsten – dadurch gibt es einenunerwünschten, aber kaum zu vermeidenden Auswahl-effekt. Beispielsweise sind die Lyman-Break-Galaxienbei z ∼ 3, von denen die Rotverschiebung spektrosko-pisch verifiziert wurden, in etwa die leuchtkräftigstenihrer Art. Die Empfindlichkeit unserer Teleskope reichtmeist nicht aus, eine eher typische Galaxie mit z ∼ 3spektroskopisch zu untersuchen.

Der Verstärkungseffekt durch Gravitationslinsenkann entscheidend zur scheinbaren Helligkeit vonQuellen beitragen. Gravitationslinsen wirken dann alsnatürliche (und billige!) Teleskope. Beispiele sind etwaArcs in Galaxienhaufen: Viele von ihnen haben einesehr große Rotverschiebung, sind um einen Faktor� 5 verstärkt und daher ∼ 1.5 mag heller, als sie ohneden Linseneffekt erscheinen würden (siehe Abb. 9.12).Dazu sei bemerkt, dass ein Faktor 5 in der Ver-stärkung einem Faktor 25 in der spektroskopischenBelichtungszeit entsprechen würde!1

Ein extremes Beispiel für diesen Effekt ist die Gala-xie cB58 mit z = 2.72, die in Abb. 9.13 dargestellt ist.Sie wurde hinter einem Galaxienhaufen gefunden undwird um einen Faktor ∼ 30 verstärkt. Somit erscheint sieum mehr als drei Magnituden heller als eine typischeLyman-Break-Galaxie. Aus diesem Grunde existieren

1Dieser Faktor 25 ist der Unterschied zwischen einer Beobachtung,die man machen kann, und einer, die unmöglich ist. Während einBeobachtungsantrag für ein Spektrum mit 3 Stunden Belichtungszeitauf einem 8-Meter-Teleskop durchaus erfolgreich sein kann, wäreeiner mit 75 Stunden hoffnungslos zum Scheitern verurteilt.

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.13. Das linke Bild wurde mit dem Hubble SpaceTelescope aufgenommen und zeigt den GalaxienhaufenMS 1512+36, dessen Rotverschiebung z = 0.37 beträgt.Rechts oberhalb der zentralen Haufengalaxie befindet sich einausgedehntes und sehr bläulich wirkendes Objekt, welches miteinem Pfeil gekennzeichnet ist. Diese Quelle gehört nicht zumHaufen, sondern ist mit ihrer Rotverschiebung von z = 2.72eine Hintergrundgalaxie. Mit diesem HST-Bild konnte nach-gewiesen werden, dass diese Galaxie durch den Haufen starkgelinst und dabei um einen Faktor ∼ 30 verstärkt wird. Diese

Lyman-Break-Galaxie ist aufgrund dieser Verstärkung diehellste normale Galaxie bei Rotverschiebung z ∼ 3, was fürdetaillierte spektroskopische Untersuchungen genutzt werdenkann. Die rechte Figur zeigt einen kleinen Ausschnitt auseinem hochaufgelösten VLT-Spektrum dieser Galaxie. DerLyα-Übergang der Galaxie befindet sich bei λ = 4530 Å undist als breite Absorption zu erkennen. Absorptionslinien beikürzeren Wellenlängen stammen aus dem Lyα-Wald entlangdieser Sichtlinie (durch vertikale Striche gekennzeichnet) oderMetalllinien der Galaxie selbst (durch Pfeile markiert)

Abb. 9.14. Ein Ausschnitt aus dem GalaxienhaufenAbell 2218 (z = 0.175), aufgenommen in vier verschiedenenFarbfiltern mit dem HST. Diese Region wurde ausgewählt,weil dort für Quellen sehr großer Rotverschiebung der Ver-stärkungsfaktor durch den Gravitationslinseneffekt sehr großist, wie man durch ein detailliertes Massenmodell dieses Hau-fens ermittelt hat, das aufgrund der Vielzahl von Arcs undMehrfachbildern (Abb. 6.32) konstruiert werden konnte. DieLinien zeigen die kritischen Kurven dieser Linse für Quellrot-verschiebungen von z = 5, 6.5 und 7 an. Ein Doppelbild einer

ausgedehnten Quelle ist im NIR-Bild (rechts) deutlich zu er-kennen; dieses Doppelbild ist bei den kürzeren Wellenlängennicht detektiert – die erwartete Position ist durch zwei Ellip-sen in den beiden linken Bildern eingezeichnet. Die Richtungder lokalen Scherung, d. h. der Bildverzerrung, ist im zwei-ten Bild von rechts eingetragen; die beobachtete Elongationder beiden Bilder a und b stimmt mit diesem Scherungsfeldüberein. Zusammen mit der Photometrie dieser beiden Bilderergibt sich eine Rotverschiebung zwischen z = 6.8 und z = 7für die Quelle des Doppelbildes

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9.2 Neue Typen von Galaxien

369

von dieser Quelle die detailliertesten Spektren allerGalaxien mit z ∼ 3.

Man kann argumentieren, dass die Wahrschein-lichkeit groß ist, dass die scheinbar leuchtkräftigstenQuellen einer bestimmten Quellpopulation durch denLinseneffekt in ihrem Fluss verstärkt werden. Diescheinbar leuchtkräftigste IRAS-Galaxie F 10214+47ist durch den Linseneffekt einer Vordergrundgalaxie umeinen Faktor ∼ 50 verstärkt (der genaue Wert hängt vonder Wellenlänge ab, da die intrinsische Struktur undGröße der Quelle von der Wellenlänge abhängt, die Ver-stärkung daher differentiell ist). Ein weiteres Beispielsind die QSOs B 1422+231 und APM 08279+5255, dietrotz ihrer großen Rotverschiebungen zu den hellstenQSOs gehören. In beiden Fällen sind Mehrfachbil-der des QSOs entdeckt worden, die den Linseneffektverifizieren. Die Verstärkung, und daher die Hellig-keit, macht diese Quellen zu bevorzugten Objektenfür spektroskopische Untersuchungen hinsichtlich vonAbsorptionslinien. Die schon erwähnte Lyman-Break-Galaxie cB58 ist ein weiteres Beispiel. Als ein wichtigesErgebnis solcher Untersuchungen hochrotverschobenerQuellen sei genannt, dass diese bereits eine hohe Me-tallhäufigkeit besitzen, woraus man schließt, dass dieSternentstehung offensichtlich schon sehr früh im Uni-versum begonnen haben muss. Auf diesen Punkt werdenwir später noch weiter eingehen.

Man macht sich diesen Verstärkungseffekt auch ganzbewusst zu Nutze, indem man nach sehr hoch-rot-verschobenen Quellen in Feldern um Galaxienhaufenherum sucht. Bei einem massereichen Haufen weiß man,dass weit entfernte Quellen, die sich hinter dem Zentrumdes Haufens befinden, substantiell verstärkt werden. Esüberrascht daher nicht, dass einige der am weitesten ent-fernten Galaxien durch eine systematische Suche nachDropout-Galaxien nahe der Zentren von massereichenHaufen gefunden wurden. Ein Beispiel dafür ist in derAbb. 9.14 gezeigt, wo eine Galaxie mit z ∼ 7 durch denHaufen Abell 2218 (siehe Abb. 6.32) doppelt abgebildetund dabei um einen Faktor ∼ 25 verstärkt wurde.

9.2 Neue Typen von Galaxien

Die oben diskutierten Lyman-Break-Galaxien sind nichtdie einzigen Galaxien, die man bei hohen Rotverschie-bungen erwarten sollte. Wie bereits argumentiert, sind

die LBGs im Wesentlichen Galaxien mit aktiver Stern-entstehung. Mehr noch, die UV-Strahlung der neuenheißen Sterne muss auch aus den Galaxien entweichenkönnen. Nun wissen wir von Beobachtungen im nahenUniversum, dass ein Großteil der Sternentstehung demdirekten Blick verborgen ist, weil das Gebiet der Stern-entstehung von Staub umgeben ist. Dieser heizt sichdurch die Absorption der UV-Strahlung auf und gibtdiese Energie in Form von thermischer Strahlung imFIR-Bereich des Spektrums wieder ab. Solche Galaxienbei hohen Rotverschiebungen würde man sicherlich mitder Lyman-Break-Methode nicht finden können.

Die Öffnung neuer Wellenlängenfenster erlaubteinen Zugang zu anderen Typen von Galaxien. Wirwollen zwei von ihnen hier etwas näher betrachten,die EROs (Extremely Red Objects) und die sub-mm-Quellen, die häufig auch als SCUBA-Galaxienbezeichnet werden, da sie mit dem SCUBA-Bolometererstmals in großer Zahl beobachtet wurden. Vorheraber wollen wir Starburst-Galaxien im relativ lokalenUniversum betrachten.

9.2.1 Starburst-Galaxien

Eine Klasse von Galaxien, die sog. Starburst-Galaxien,haben eine gegenüber ,,normalen“ Galaxien starkerhöhte Sternentstehungsrate. Während unsere Milch-straße etwa 3M�/yr an neuen Sternen bildet, könnenStarbursts bis zum Hundertfachen dieser Rate erzeu-gen. Staub, der durch heiße Sterne geheizt wird,strahlt im FIR, so dass Starbursts sehr starkeFIR-Emitter sind. Viele wurden durch den IRAS-Satelliten entdeckt (,,IRAS-Galaxien“), diese werdenauch als ULIRGs (Ultra Luminous InfraRed Galaxies)bezeichnet.

Die Ursache der stark erhöhten Sternbildung istvermutlich die Wechselwirkung mit anderen Galaxienbzw. das Ergebnis von Verschmelzungsprozessen, wiedies in beeindruckender Weise anhand der verschmel-zenden Galaxien der ,,Antennen“ beobachtet werdenkann (siehe Abb. 9.15). In diesem Galaxienpaar werdenzurzeit Sterne und Sternhaufen in sehr großer Zahl pro-duziert. Die Aufnahmen zeigen eine große Anzahl vonSternhaufen mit charakteristischer Masse von 105 M�,die zum Teil mit dem HST räumlich aufgelöst werdenkönnen. Weiterhin können auch besonders leuchtkräf-tige Einzelsterne (Überriesen) beobachtet werden. Das

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370

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.15. Die Antennen-Galaxien, links in Echtfarben-Darstellung, rechts zeigt die rötliche Farbe die Hα-Emission.Dieses Paar verschmelzender Galaxien (siehe auch Abb. 1.13und Abb. 3.4 für andere Beispiele verschmelzender Gala-xien) erzeugt eine ungeheure Menge an jungen Sternen.Sowohl die UV-Emission (bläulich im linken Bild) als auch

die Hα-Strahlung (rötlich im rechten Bild) wird als Indi-kator der Sternentstehung betrachtet. Die einzelnen Knotenheller Emission sind nicht Einzelsterne, sondern Sternhau-fen, mit typischerweise 105 M�; allerdings können auchindividuelle Sterne (rote und blaue Überriesen) aufgelöstwerden

Alter der Sterne und Sternhaufen überspannt einen brei-ten Bereich und hängt von der Position innerhalb derGalaxien ab. So beträgt das Alter der dominanten Popu-lation typischerweise 5 bis 10 Myr, wobei die Tendenzzu beobachten ist, dass die jüngsten Sterne in der Nähestarker Staubabsorption zu finden sind. Es werden aberauch Populationen mit einem Alter von 100 bzw. 500Millionen Jahren gefunden; letztere stammt vermut-lich aus der Zeit der ersten Begegnung dieser beidenGalaxien, die zum Ausschleudern der Gezeitenarmegeführt hat.

Durch den Satelliten ISO konnte gezeigt werden,dass die aktivsten Gebiete der Sternentstehung in denoptischen Aufnahmen nicht zu sehen sind, weil sie völ-lig von Staub umgeben sind. Eine Karte bei 15 μmzeigt den von jungen Sternen aufgeheizten heißen Staub(siehe Abb. 9.16), wobei diese IR-Emission deutlichantikorreliert ist mit der optischen Strahlung. Offen-sichtlich erhält man nur durch die Kombination der

optischen und IR-Aufnahmen ein vollständiges Bild derSternentstehung in solchen Galaxien.

Mit Chandra konnte gezeigt werden, dass Starburst-Galaxien eine reiche Population von sehr leuchtkräfti-gen kompakten Röntgenquellen (Ultraluminous Com-pact X-ray Sources, oder ULXs) enthalten (Abb. 9.17).Ähnliche Quellen, aber mit kleinerer Leuchtkraft, fin-det man auch in der Milchstraße, wobei es sich dannum Binärsysteme handelt, von denen eine Komponenteein kompakter Stern ist (Weißer Zwerg, Neutronensternoder Schwarzes Loch). Die Röntgenemission stammtaus der Akkretion von Materie (des Begleitsterns) aufdie kompakte Komponente.

Die ULXs in den Starbursts sind teilweise jedoch soleuchtkräftig, dass die notwendige Masse der kompak-ten Sterne weit oberhalb M� liegt, wenn man als obereSchranke für die Leuchtkraft die Eddington-Leuchtkraftansetzt (siehe Gl. 5.23). Daraus schließt man, dass ent-weder die Emission dieser Quellen stark anisotrop, also

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9.2 Neue Typen von Galaxien

371

Abb. 9.16. Die Antennen-Galaxien: Dem optischen HST-Bildsind Konturen der IR-Emission bei 15 μm, wie sie von ISO ge-messen wurden, überlagert. Die stärkste IR-Emission stammtaus optisch dunklen Gebieten; ein großer Teil der Sternent-stehung in diesem Galaxienpaar (und in anderen Galaxien?)ist durch optische Aufnahmen nicht zu sehen, da sie durchStaubabsorption verdeckt wird

(in Richtung unserer Sichtlinie) gebeamt ist, oder aberes handelt sich um Schwarze Löcher mit Massen vonbis zu ∼ 200M�. In diesem Fall könnten wir Zeugeder Bildung von Supermassiven Schwarzen Löchern indiesen Starbursts sein.

Diese letztere Interpretation wird auch dadurch un-terstützt, dass sich die ULXs in der Nähe des Zentrumsihrer Galaxien aufhalten – diese BHs könnten also durchdynamische Reibung in das Zentrum der Galaxien hin-einspiralieren und dort zu einem SMBH verschmelzen.Dies ist eines der möglichen Szenarien für die Entste-hung der SMBHs in Galaxienkernen, auf das wir inAbschn. 9.6.3 zurückkommen werden.

9.2.2 Extremely Red Objects (EROs)

Wie bereits an verschiedenen Stellen erwähnt, ist diePopulation von Galaxien, die man in einem Surveyfindet, von den Selektionskriterien abhängig. So fin-det man mit der Lyman-Break-Methode vor allemGalaxien hoher Rotverschiebung, die aktive Sternent-stehung zeigen und somit für Wellenlängen oberhalbvon Lyα eine blaue Farbverteilung besitzen. Die Ent-wicklung von NIR-Detektoren hat die Suche nach

Galaxien bei größeren Wellenlängen erlaubt. Von be-sonderem Interesse sind hier Surveys von Galaxienim K-Band, dem langwelligsten vom Boden aus zu-gänglichen Beobachtungsfenster (mit Ausnahme desRadiobereichs).

Der NIR-Bereich ist von besonderem Interesse,da die Leuchtkraft von Galaxien bei diesen Wel-lenlängen nicht von jungen Sternen dominiert wird.Wie wir in Abb. 3.47 gesehen haben, hängt dieK-Band-Leuchtkraft nur schwach vom Alter einerSternpopulation ab und ist somit ein verlässliches Maßfür die gesamte Sternmasse einer Galaxie.

Betrachtet man nun Galaxien mit kleinem K-Band-Fluss, so findet man entweder Galaxien mit kleinerSternmasse bei niedrigen Rotverschiebungen, oder aberGalaxien hoher Rotverschiebung mit großer optischerLeuchtkraft. Da aber die Leuchtkraftfunktion von Gala-xien relativ flach ist für L � L∗, erwartet man aufgrunddes größeren Volumens bei größeren z, dass letztere dieSurveys dominieren. In der Tat finden K-Band-Surveyseine breite Rotverschiebungsverteilung der Galaxien.In Abb. 9.18 ist die z-Verteilung der Galaxien im K20-Survey gezeigt. Dieser Survey hat in zwei Feldern mitzusammen 52 arcmin2 Objekte mit Ks < 20 selektiert,wobei Ks ein Filter bei einer etwas kürzeren Wellen-länge als der ,,klassische“ K-Filter ist. Dabei wurdennach Ausschluss von Sternen und Typ 1-AGNs 489 Ga-laxien gefunden, und für 480 von ihnen konnte die Rot-verschiebung bestimmt werden. Der Median der Rot-verschiebung in diesem Survey liegt bei etwa z ≈ 0.8.

Betrachtet man die Galaxien in einem (R-K ) vs.K Farben-Helligkeits-Diagramm (Abb. 9.19), so findetman eine Population von besonders roten Galaxien,also solchen mit großem R − K . Diesen Objekten hatman die Bezeichnung Extremely Red Objects (EROs)gegeben; etwa 10% der Galaxien in K-selektiertenSurveys bei schwachen Magnituden sind EROs, die ty-pischerweise durch R − K > 5 definiert werden. Diespektroskopische Untersuchung dieser Galaxien stellteine große Herausforderung dar, denn ein Objektmit K = 20 und R − K > 5 hat notwendigerweiseR > 25, d. h. es ist extrem lichtschwach im optischenSpektralbereich. Die Verfügbarkeit von Teleskopender 10-Meter-Klasse hat in den letzten Jahren dieSpektroskopie dieser Objekte ermöglicht.

Dabei stellt sich heraus, dass in der Klasse der EROsverschiedene Arten von Objekten vorkommen. Dazu

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372

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.17. Ultraluminous Compact X-ray Sources (ULXs)in Starburst-Galaxien. Oben links: die diskreten Quellen inden Antennen-Galaxien; die Bildgröße beträgt 4′ ×4′. Untenlinks: Optische Aufnahme (großes Bild) und Chandra-Bildder Starburst-Galaxie NGC 253. Vier der ULXs sind inner-halb eines Kiloparsecs vom Zentrum der Galaxie angesiedelt.Die Röntgenaufnahme ist 2.′2×2.′2. Oben rechts: 5′ ×5′

Chandra-Aufnahme der Starburst-Galaxie M82; die diffuseStrahlung (rot) stammt von Gas mit T ∼ 106 K, das vomStarburst geheizt wird und aus dem zentralen Gebiet der Ga-laxie herausströmt. Es wird vermutet, dass M82 in den letzten108 yr eine Kollision mit dem Begleiter M81 (siehe Abb. 6.7)hatte, wodurch der Starburst initiiert wurde. Unten rechts: dieLeuchtkraftfunktion der ULXs in einigen Starburst-Galaxien

überlegen wir zunächst, welche Ursachen eine solchrote Spektralverteilung haben kann. Zum einen kann essich dabei um alte Elliptische Galaxien handeln, deren4000 Å-Break zur roten Seite des R-Band-Filters rot-

verschoben wurde, also typischerweise um Ellipsen beiz � 1.0. Damit diese Galaxien genügend rot sind, umdas Selektionskriterium für EROs zu erfüllen, müssensie schon bei dieser Rotverschiebung eine alte Stern-

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9.2 Neue Typen von Galaxien

373

Abb. 9.18. Die Rotverschiebungsverteilung von Galaxien mitKs < 20, wie sie im K20-Survey gemessen wurde. Das schat-tierte Histogramm zeigt die Galaxien, deren Rotverschiebungallein mit photometrischen Methoden bestimmt worden ist.Der Bin bei z < 0 enthält die 9 Galaxien, für die keine z-Bestimmung möglich war. Der Peak bei z ∼ 0.7 stammt vonzwei Galaxienhaufen in den Feldern des K20-Surveys

population besitzen, was eine große Rotverschiebungder Sternentstehung in diesen Objekten impliziert (etwazform � 2.5). Als zweite Möglichkeit für großes R − Kkommt Staubrötung in Frage; solche EROs könnten da-her aktiv sternbildende Galaxien sein, deren optischesLicht durch Staubextinktion stark abgeschwächt ist.Wenn diese Galaxien sich bei einer Rotverschiebungvon z ∼ 1 befinden, so entspricht dem gemesse-nen R-Band-Fluss eine Emission im UV-Bereich desSpektrums, wo die Extinktion sehr effizient ist.

Durch spektroskopische Untersuchungen findet man,dass beide Typen von EROs in etwa gleicher Häufigkeitvorkommen. Die Hälfte der EROs sind daher ElliptischeGalaxien, die schon bei z ∼ 1 eine mit heutigen Ellipsenvergleichbare Leuchtkraft besitzen und die schon da-mals von einer alten Sternpopulation dominiert wurden.Die andere Hälfte sind Galaxien mit aktiver Sternent-stehung, die keinen 4000 Å-Break zeigen, dafür aberdie Emissionslinie des [OII] bei λ = 3727 Å, was ein

Abb. 9.19. Das Farben-Helligkeits-Diagramm R-K als Funk-tion von K für Objekte in zehn Feldern um Galaxienhaufen.Man erkennt, dass für schwache Magnituden (etwa ab K ≥ 19)eine Population von Quellen sichtbar wird, die eine sehr roteFarbe (etwa R − K ≥ 5.3) besitzen. Diese Objekte werden alsEROs bezeichnet

deutliches Zeichen für Sternentstehung darstellt. DieUntersuchung der EROs mit sehr tiefen Radiobeobach-tungen bestätigt den hohen Anteil an Galaxien mit hoherSternentstehungsrate. Benutzt man die enge Korrelationvon Radioemissivität mit der FIR-Leuchtkraft von Ga-laxien, so stellt sich ein erheblicher Anteil von EROsals ULIRGs bei z ∼ 1 heraus.

EROs zeigen eine sehr starke räumliche Korrela-tion, deren Interpretation für die passiven Ellipsen unddie mit aktiver Sternentstehung verschieden sein kann.Für Erstere ist die Korrelation damit verträglich, dasssich diese EROs in Galaxienhaufen befinden bzw. inüberdichten Gebieten, die zukünftig zu einem Haufenkollabieren werden. Die Korrelation der EROs mit ak-tiver Sternentstehung lässt sich wohl nicht durch eineHaufenmitgliedschaft erklären, könnte aber die gleicheUrsache haben wie die Korrelation der LBGs.

Die Anzahldichte von passiven EROs, also altenEllipsen, ist erstaunlich groß, verglichen mit den Er-wartungen aus dem Modell der hierarchischen Struktur-bildung, das in Abschn. 9.6 näher dargestellt wird.

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

9.2.3 Submillimeter-Quellen:Blick durch dicken Staub

Wie bereits mehrfach erwähnt, ist die FIR-Emissionvon heißem Staub einer der besten Indikatoren für dieSternentstehung. Allerdings ist diese nur mit Satellitenzu beobachten, wie z. B. den IRAS- und ISO-Satelliten.Die Staubemission hat ihr Maximum etwa bei 100 μm,was vom Erdboden aus unbeobachtbar ist. Geht man zuetwas größeren Wellenlängen, so finden sich Bereiche,in denen die Atmosphäre Beobachtungen zulässt, sobeispielsweise im Submillimeter-Bereich bei 450 μmund 850 μm. Allerdings hängen die Beobachtungsbe-dingungen extrem stark von dem in der Atmosphärebefindlichen Wasserdampf ab, so dass man sich aufsehr trockene und hoch gelegene Standorte begebenmuss. In diesem Submillimeter (sub-mm)-Bereich kannman dann den langwelligen Bereich der thermischenStaubstrahlung beobachten, wie das etwa in Abb. 9.20dargestellt ist.

Seit etwa 1998 hat die sub-mm-Astronomie einenenormen Aufschwung erfahren, indem zwei Instru-mente in Betrieb gingen: SCUBA, welches bei 450 μm

Abb. 9.20. Spektrale Energieverteilung einiger staubiger Ga-laxien mit bekannter Rotverschiebung z (Symbole) und zweiModellspektren (Kurven). Vier Typen von Galaxien sindunterschieden: (I): IRAS-Galaxien mit kleinem z; (S): leucht-kräftige sub-mm-Galaxien; (L): weit entfernte Quellen, diedurch den Gravitationslinseneffekt verstärkt und mehrfachabgebildet werden; (H): AGNs. Nur einige Quellen in Lin-sensystemen (vermutlich wegen differentieller Verstärkung)und AGNs weichen signifikant von den Modellspektren ab

Abb. 9.21. Die Aufnahme zeigt ein 20′ ×17′ großes Feldim Bereich des COSMOS-Surveys, wie es mit dem 117-Kanal Max-Planck Bolometer Array (MAMBO) am IRAM 30Meter-Teleskop auf dem Pico Veleta beobachtet wurde. Ko-diert in Farbe ist hier das Signal-zu-Rausch-Verhältnis dieserKarte, wobei das Rauschniveau etwa 0.9 mJy pro 11′′-Beambeträgt. Etwa ein Dutzend Quellen mit S/N ≥ 4 sind hier zuerkennen

und 850 μm misst und ein 5 arcmin2 großes Gesichts-feld hat, und MAMBO, welches bei bei 1300 μmbeobachtet. Beides sind Bolometer-Arrays, mit zu-nächst jeweils 37 Bolometern. Beide Instrumentewurden auf eine deutlich größere Zahl von Bolometernaufgerüstet. Die Abb. 9.21 zeigt eine 20′ ×17′ Auf-nahme eines Feldes, welches sich in der Region desCOSMOS-Surveys befindet.

Das Spektrum von Staub bei diesen Wellenlängenist ein Rayleigh–Jeans-Spektrum, modifiziert mit derEmissivitätsfunktion, die von den Eigenschaften desStaubes (chemische Zusammensetzung, Verteilung derStaubkorngröße) abhängt; typischerweise findet man

Sν ∝ ν2+β mit β ∼ 1.5 .

Dieses steile Spektrum bedingt eine sehr starke negativeK-Korrektur (siehe Abschn. 5.6.1) für Wellenlängen imsub-mm-Bereich: Bei fester beobachteter Wellenlängewird die Ruhewellenlänge immer kleiner, wenn manQuellen höherer Rotverschiebung beobachtet, und dortist die Emissivität größer. Wie Abb. 9.22 zeigt, be-wirkt dieses spektrale Verhalten, dass der Fluss imsub-mm-Bereich nicht notwendigerweise mit der Rot-verschiebung abnimmt. Für z � 1 dominiert zunächstdie 1/D2-Abhängigkeit des Flusses, so dass Quellen

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9.2 Neue Typen von Galaxien

375

Abb. 9.22. Fluss von staubigen Galaxien als Funktion derRotverschiebung, bei fester bolometrischer Leuchtkraft, beiλ = 850 μm (durchgezogene Kurven) und λ = 175 μm (ge-

strichelte Kurven). Rechts variiert der Index β der Staubemis-sion, während die Staubtemperatur Td = 38 K festgehaltenwurde, links ist β = 1.5 und die Temperatur variiert

bei fester Leuchtkraft bis z ∼ 1 schwächer werden mitwachsendem z. Aber zwischen z ∼ 1 und z ∼ zflat bleibtder sub-mm-Fluss als Funktion der Rotverschiebungbeinahe konstant oder nimmt gar zu mit z, wobei zflat

von der Staubtemperatur Td abhängt; für Td ∼ 40 K giltzflat ∼ 8. Erst für z > zflat nimmt der Fluss dann rapideab, weil durch die Rotverschiebung sich dann die Ru-hefrequenz jenseits des Maximums des Staubspektrumsverschoben hat. Ein im sub-mm-Bereich flussbegrenz-tes Sample von Galaxien sollte daher eine sehr breitez-Verteilung haben. Die Staubtemperatur beträgt etwaTd ∼ 20 K für Spiralen mit kleinem z, aber Td ∼ 40 Kist eher typisch für Galaxien mit aktiver Sternentste-hung bei höherer Rotverschiebung. Je höher Td, umsokleiner ist der sub-mm-Fluss bei fester bolometrischerLeuchtkraft.

Die Zählungen von sub-mm-Quellen bei hohen Ga-laktischen Breiten ergaben eine sehr viel höhere Dichteals vorhergesagt wurde; man findet in etwa für dieDichte der Quellen als Funktion des Grenzflusses S beider Wellenlänge λ = 850 μm

N(> S) � 7.9×103(

S

1 mJy

)−1.1

deg−2 . (9.1)

Die Identifikation dieser Quellen stellte sich zunächstals äußerst schwierig dar, denn aufgrund der relativschlechten Winkelauflösung von SCUBA und MAMBOkonnten die Quellen nur mit einer Genauigkeit von∼ 15′′ lokalisiert werden. Innerhalb eines Fehlerkrei-ses mit diesem Radius existieren sehr viele schwacheGalaxien, die auf tiefen optischen Aufnahmen identifi-ziert werden können. Weiterhin besagt Abb. 9.22, dassdiese Quellen typischerweise eine relativ hohe Rotver-schiebung besitzen sollten, daher also im Optischenschwach sind. Erschwerend kommt die Rötung durchden gleichen Staub hinzu, der die sub-mm-Emissionhervorruft.

Schließlich gelang die Identifikation der Quellenüber ihre Radiostrahlung, denn etwa die Hälfte derim sub-mm-Bereich selektierten Quellen kann in sehrtiefen Radio-Beobachtungen bei 1.4 GHz identifiziertwerden. Da der Radio-Himmel sehr viel weniger be-völkert ist als der optische und man mit dem VLAbei λ = 20 cm eine Auflösung von ∼ 1′′ erreicht, istdie optische Identifikation einer Radioquelle verhält-nismäßig einfach. Ein Beispiel für diesen Prozess derIdentifikation ist in Abb. 9.23 gezeigt. Mit der genauenRadioposition einer sub-mm-Quelle kann dann die op-

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376

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.23. Die sub-mm-Galaxie SMM J09429+4658. Diedrei rechten Bilder haben jeweils 30′′ Kantenlänge, zentriertauf das Zentrum der Fehlerbox der 850 μm-Beobachtung; daskleinere Bild links ist die Differenz zweier HST-Aufnahmen,die die Staubschicht der Spiralgalaxie H1 zeigt. Das zweiteBild von links zeigt die R-Band-Aufnahme, mit Konturender SCUBA 850 μm-Emission überlagert, das zweite vonrechts eine I-Band-Aufnahme, superponiert mit den Kon-

turen der Radioemission bei 1.4 GHz, und rechts ist eineK-Band-Aufnahme. Die Radiokonturen zeigen Emission vonder Galaxie H1 (z = 0.33), aber auch schwächere Emissiongenau im Zentrum der sub-mm-Karte. Im K-Band findet mandann auch eine NIR-Quelle (H5) an genau dieser Position.Welche dieser beiden Quellen die sub-mm-Quelle ist, bleibtzunächst unklar, aber das Verhältnis von sub-mm zu 1.4 GHzEmission wäre atypisch, wenn H1 die sub-mm-Quelle wäre

tische Identifikation durchgeführt werden. In der Tathandelt es sich meist um sehr schwache optische Quel-len, deren Spektroskopie daher sehr schwierig undzeitaufwändig ist. Eine weitere Methode, die Rotver-schiebung abzuschätzen, ergibt sich aus der spektralenEnergieverteilung, wie sie in Abb. 9.20 gezeigt wird. Dadieses Spektrum beinahe universell zu gelten scheint,kann man aus dem Flussverhältnis bei 1.4 GHz und850 μm eine Art photometrische Rotverschiebung ab-schätzen, die in vielen Fällen relativ genaue Werteliefert.

Bis zum Jahre 2004 wurden für etwa 100 sub-mm-Quellen die Rotverschiebungen bestimmt, derenMedian etwa z ∼ 2.5 beträgt. Bei einigen der Quel-len konnte eine AGN-Komponente als Grund für dieHeizung des Staubes nachgewiesen werden, aber i. A.scheinen die energetischen Photonen von neugeborenenSternen zu stammen. Die optische Morphologie und dieAnzahldichte der sub-mm-Quellen legt die Vermutungnahe, dass wir in den sub-mm-Galaxien die Entstehungvon Elliptischen Galaxien beobachten.

9.3 Hintergrundstrahlungbei kleineren Wellenlängen

Der kosmische Mikrowellenhintergrund (CMB) ist einÜberbleibsel aus der heißen Phase unseres Univer-

sums, nämlich die thermische Strahlung aus der Zeitvor der Rekombination. Wie wir in Abschn. 8.6 aus-führlich diskutiert haben, steckt der CMB voll vonInformationen über unseren Kosmos. Daher kann manfragen, ob es auch in anderen Wellenlängenbereicheneine Hintergrundstrahlung gibt, die ähnlich nützlichfür die Kosmologie ist. Der Neutrino-Hintergrund,der als thermische Verteilung aller drei Neutrinosor-ten mit T ≈ 1.9 K vorhanden sein sollte und aus derFrühzeit des Urknalls stammt (siehe Abschn. 4.4.2),wird auf längere Zeit hin unentdeckt bleiben, we-gen des sehr geringen Wirkungsquerschnitts dieserniederenergetischen Neutrinos.

In der Tat wurde neben dem CMB auch in an-deren Wellenlängenbereichen eine scheinbar isotropeStrahlung gefunden (Abb. 9.24), die in Anlehnung anden CMB als ,,Hintergrundstrahlung“ bezeichnet wird.Damit soll allerdings nicht impliziert werden, dass essich um eine kosmische Hintergrundstrahlung handelt.Denn aus der thermischen Geschichte des Univer-sums (siehe Abschn. 4.4) erwartet man keine optischeoder Röntgenstrahlung aus der Frühzeit des Univer-sums. Daher war lange Zeit nicht bekannt, was derUrsprung dieser verschiedenen Strahlungshintergründesein kann.

Zunächst fanden die ersten Röntgensatelliteneinen Röntgenhintergrund (Cosmic X-ray Background,CXB). Der COBE-Satellit fand darüber hinaus eine

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9.3 Hintergrundstrahlung bei kleineren Wellenlängen

377

Abb. 9.24. Spektrum kosmischer Hintergrundstrahlung, auf-getragen als νIν gegen Wellenlänge. Neben dem CMB gibtes Hintergrundstrahlung im Radiobereich (CRB), im Infraro-ten (CIB), im Optischen/UV (CUVOB), im Röntgenbereich(CXB) und bei Gammaenergien (CGB). Mit Ausnahme desCMB ist es wahrscheinlich, dass die Hintergrundstrahlungals Superposition der Strahlung diskreter Quellen aufzufassenist

scheinbar isotrope Strahlung im FIR, den Infrarot-Hintergrund (Cosmic Infrared Background, CIB).

In dem hier betrachteten Kontext bezeichnen wirals Hintergrundstrahlung einfach den mittleren Fluss ineinem Frequenzband, wie er bei hohen GalaktischenBreiten gemessen wird. Wenn also von einem opti-schen Hintergrund hier gesprochen wird, so ist damitdie Summe der Strahlung aller Galaxien und AGNspro Raumwinkelelement gemeint. Die Interpretationeiner solchen Hintergrundstrahlung hängt von der Emp-findlichkeit und der Winkelauflösung der verwendetenTeleskope ab. Wenn man sich etwa vorstellt, man würdeden Himmel mit einer optischen Kamera aufnehmen,die eine Winkelauflösung von nur einer Bogenminutebesitzt, dann wäre an den meisten Stellen des Himmelseine relativ isotrope Strahlung zu sehen, nur unterbro-chen von einigen sehr hellen oder sehr großen Galaxien.Bei Verbesserung der Winkelauflösung werden immermehr Einzelquellen sichtbar – gipfelnd in den Beob-achtungen der Ultra Deep Fields – und der Hintergrundkann dann als Summe der Strahlung von Einzelquellenidentifiziert werden. Ähnlich zu diesem Gedankenex-periment kann man sich daher die Frage stellen, obder CXB oder der CIB ebenfalls als Superposition derStrahlung von diskreten Quellen zu verstehen ist.

9.3.1 Der IR-Hintergrund

Beobachtungen von Hintergrundstrahlung im Infrarotensind sehr schwierig. Zum einen sind absolute Flussmes-sungen wegen der thermischen Emission des Detektorsproblematisch. Zudem ist die Emission von interplane-tarem Staub (und dem interstellaren Medium unsererMilchstraße) viel stärker als der Fluss von extragalak-tischen Quellen. Aus diesem Grunde ist das absoluteNiveau des Infrarot-Hintergrunds nur mit relativ großenUnsicherheiten bestimmt worden, wie das in Abb. 9.25dargestellt ist.

Der ISO-Satellit hat ca. 10% des CIB beiλ = 175 μm in diskrete Quellen auflösen können. Wei-terhin scheint im sub-Millimeter-Bereich (etwa bei850 μm) fast der gesamte CIB von diskreten Quellen zustammen, die hauptsächlich aus staubreichen Sternent-stehungsgebieten bestehen (siehe Abschn. 9.2.3, wo wirdie Quellenpopulation im sub-mm-Bereich diskutierthaben).

Jedenfalls gibt es bislang keinen Hinweis darauf,dass der CIB einen anderen Ursprung hat als dieEmission von einer Population diskreter Quellen, vorallem Starburst-Galaxien bei hoher Rotverschiebung.Das weitere Auflösen der Hintergrundstrahlung in dis-krete Quellen wird durch künftige FIR-Satelliten, wieetwa Herschel, ermöglicht werden.

Abb. 9.25. Messungen und Schranken an den CIB. Quadrati-sche Symbole sind untere Grenzen, die man aus der Integrationbeobachteter Quellzählungen erhält, Rauten sind obereSchranken aus Fluktuationsmessungen; andere Symbole zei-gen absolute Flussmessungen. Der schattierte Bereich kenn-zeichnet die momentanen Beobachtungsgrenzen für den CIB

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378

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

9.3.2 Der Röntgenhintergrund

In den 70er Jahren wurden von den ersten Rönt-gensatelliten nicht nur eine Reihe extragalaktischerRöntgenquellen (wie AGNs und Galaxienhaufen)entdeckt, sondern auch eine scheinbar isotrope Strah-lungskomponente, der CXB. Dessen Spektrum ist einsehr hartes Potenzspektrum, welches oberhalb einerEnergie von ∼ 40 keV abgeschnitten ist, und lässt sichin etwa beschreiben durch

Iν ∝ E−0.3 exp

(− E

E0

), (9.2)

mit E0 ∼ 40 keV. Der Ursprung dieser Strahlung warzunächst unbekannt, da die spektrale Form verschieden

Abb. 9.26. Im linken Bild ist der Gesamtfluss von diskre-ten Quellen mit individuellem Fluss > S im Energiebereich2 keV ≤ E ≤ 10 keV dargestellt (dicke Kurve), zusammenmit dem Unsicherheitsbereich (zwischen den beiden dün-nen Kurven). Diese Daten stammen im Wesentlichen auseiner 3×105 s Aufnahme des Chandra Deep Fields. Diegestrichelten Kurven zeigen verschiedene Messungen desFlusses des CXB in diesem Energieintervall; je nachdem, wel-chen dieser Werte man zugrunde legt, wurden im ChandraDeep Field zwischen 60% und 90% des CXB in diesemEnergiebereich in diskrete Quellen aufgelöst. Im rechtenBild ist für 84 Quellen des Chandra Deep Fields mit ge-messener Rotverschiebung der ,,Härteindex“ HR [,,hardnessratio“; gibt das Verhältnis von Photonen im Energiebe-reich 2 keV ≤ E ≤ 10 keV zu denen mit 0.5 keV ≤ E ≤ 2 keVan, HR = (S>2 keV − S<2 keV)/(S>2 keV + S<2 keV)] als Funk-

tion der Rotverschiebung angegeben. Man erkennt denTrend, dass HR mit der Rotverschiebung abnimmt; die-ser Trend wird erwartet, wenn das Röntgenspektrum derAGNs durch intrinsische Absorption beeinflusst wird. Dieverschiedenen gestrichelten Kurven zeigen den erwartetenWert von HR von einer Quelle mit intrinsischem Potenzspek-trum Iν ∝ ν−0.7, die durch eine absorbierende Schicht derWasserstoff-Säulendichte NH betrachtet wird. Da niederener-getische Photonen durch den photoelektrischen Effekt stärkerabsorbiert werden als höherenergetische, wird das Spektrumdurch die Absorption härter, also flacher, d. h. HR steigt da-durch an (siehe auch die untere Figur in Abb. 6.15). DieserEffekt ist umso kleiner, je größer die Rotverschiebung ist, dadann die Photonenenergie bei der Emission um einen Faktor(1+ z) größer ist

ist von den Spektren der bis dahin bekannten Quellen.Beispielsweise konnte man dieses Spektrum nicht alsÜberlagerung der Spektren von bis dahin bekanntenAGNs erzeugen.

ROSAT, mit seiner verglichen zu früheren Satelliten(wie etwa Einstein) deutlich besseren Winkelauflösungund Empfindlichkeit, hat mit einigen sehr tiefen Auf-nahmen die Quellenzählungen zu sehr viel kleinerenFlussgrenzen hin erweitert. Dadurch wurde es möglichzu zeigen, dass mindestens 80% des CXB im Ener-giebereich zwischen 0.5 keV und 2 keV von diskretenQuellen stammt, wobei die überwiegende Mehrzahl da-von AGNs sind. Deshalb liegt die Vermutung nahe,dass der gesamte CXB bei diesen niedrigen Rönt-

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9.4 Die Reionisation des Universums

379

genenergien von diskreten Quellen stammt, und dieBeobachtungen mit XMM-Newton scheinen dies auchzu bestätigen.

Aber das Röntgenspektrum von normalen AGNsist verschieden von (9.2), nämlich wesentlich steiler(etwa wie Sν ∝ ν−0.7). Wenn diese AGNs also dengrößten Teil des CXB bei niedrigen Energien produ-zieren, können die gleichen AGNs nicht den CXBbei höheren Energien erzeugen. Subtrahiert man diespektrale Energie der mit ROSAT gefundenen AGNsvom Spektrum des CXB (9.2), so erhält man einnoch härteres Spektrum, das dann dem eines thermi-schen Bremsstrahlungsspektrums sehr ähnelt. Daherwurde über lange Zeit vermutet, dass der CXB beihöheren Energien durch ein heißes intergalaktischesGas, mit Temperaturen von kBT ∼ 30 keV, erzeugtwird.

Dieses Modell wurde aber durch die präzise Ver-messung des thermischen Spektrums des CMB durchCOBE ausgeschlossen, denn ein solches heißes Gas,das den CXB erzeugen könnte, würde deutlich sichtbareAbweichungen des CMB vom Planck-Spektrum hervor-rufen, nämlich durch den inversen Compton-Effekt (dergleiche Effekt, der den SZ-Effekt in Galaxienhaufenhervorruft – siehe Abschn. 6.3.4).

Inzwischen ist die Natur des CXB auch bei höhe-ren Energien im Wesentlichen aufgeklärt worden (sieheAbb. 9.26), hauptsächlich durch sehr tiefe Beobachtun-gen des Satelliten Chandra, wie etwa das in Abb. 9.27gezeigte Chandra Deep Field South. Die mit ihm durch-geführten Quellenzählungen haben etwa 75% des CXBim Energiebereich von 2 keV ≤ E ≤ 10 keV in diskreteQuellen aufgelöst. Die meisten dieser Quellen sindwiederum AGNs, aber typischerweise mit einem deut-lich härteren (d. h. flacheren) Spektrum als diejenigenAGNs, die den niederenergetischen CXB produzieren.Solch ein flaches Röntgenspektrum kann man durchphotoelektrische Absorption erhalten, die Photonen nä-her an der Ionisationsenergie effektiver absorbiert alshöherenergetische Photonen. Entsprechend dem in Ab-schn. 5.5 diskutierten Klassifikationsschema der AGNssind dies Typ 2-AGNs, also Seyfert 2-Galaxien undQSOs mit starker intrinsischer Selbstabsorption. Da-bei sei in Erinnerung gerufen, dass erst Chandra dieTyp 2-QSOs entdeckt hat – daher ist es kein Zufall,dass der gleiche Satellit auch den energetischen CXBauflösen konnte.

Abb. 9.27. Das Chandra Deep Field South, eine tiefe Rönt-genaufnahme eines 16′ ×16′-Feldes und einer Belichtungszeitvon 106 s – eine der tiefsten jemals erzielten Röntgenaufnah-men. Die meisten der hier sichtbaren Quellen sind AGNs,aber auch Galaxien, Gruppen und Haufen werden hier ent-deckt. Die Energie der Photonen ist durch die Farbe kodiert,von niedrigen zu höheren Energien rot, gelb und blau. Eine derQuellen in diesem Feld ist ein sehr weit entfernter QSO vomTyp-2. Die radiale Variation der PSF in diesem Feld zeigt sichdurch die zum Rand hin vergrößerte Ausdehnung einzelnerQuellen

9.4 Die Reionisation des Universums

Nach der Rekombination bei z ∼ 1100 war das inter-galaktische Gas neutral, mit einer Restionisation vonnur ∼ 10−4. Wenn das Universum neutral gebliebenwäre, könnten wir keine Photonen empfangen, die aufder blauen Seite der Lyα-Linie einer Quelle emit-tiert wurden, da der Absorptionswirkungsquerschnittfür Lyα-Photonen zu groß ist (siehe Gl. 8.16). Weilwir aber solche Photonen von QSOs sehen (wie etwain den Spektren der z > 5.7-QSOs in Abb. 9.28 erkenn-bar ist) und die scharfen Grenzen an die Stärke desGunn–Peterson-Effekts (Abschn. 8.5.1) einen erwäh-nenswerten Anteil von homogen verteiltem neutralenGas im intergalaktischen Medium für z � 5 ausschlie-ßen, muss das Universum zwischen der Rekombination

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380

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.28. Spektren von fünf QSOs mit Rotverschiebungz > 5.7, wie sie mit Multiband-Daten aus dem Sloan DigitalSky Survey gefunden wurden. Die Position der wichtigstenEmissionslinien ist jeweils eingezeichnet. Beachtenswert istinsbesondere der bei einigen dieser QSOs völlig verschwun-dene Fluss auf der blauen Seite der Lyα-Emissionslinie, dereinen vollständigen Gunn–Peterson-Effekt signalisiert. Al-lerdings tritt dieser Effekt nicht bei allen QSOs vollständigauf, was auf starke Variationen der Dichte von neutralemWasserstoff im intergalaktischen Medium bei diesen hohenRotverschiebungen hindeutet: Entweder ist die Wasserstoff-dichte sehr unterschiedlich entlang verschiedener Sehstrahlen,oder der Ionisationsgrad variiert stark

und der Rotverschiebung z ∼ 6.5, bei der sich etwadie weitest entfernten Quellen befinden, reionisiertworden sein. Aus den Ergebnissen von WMAP er-gibt sich, dass die Reionisation bereits bei sehrgroßer Rotverschiebung, z ∼ 17, stattgefunden habensollte.

Daraus ergibt sich die Frage, wie diese Reionisationstattgefunden hat, insbesondere welcher Prozess dafürverantwortlich ist. Die Antwort auf die letzte Frage ist

leicht zu geben – die Reionisation muss durch Pho-toionisation zustande gekommen sein. Stoßionisationkommt dafür nicht in Frage, da das IGM dazu sehr heißsein müsste, was aber z. B. wegen des perfekten Planck-Spektrums des CMB ausgeschlossen werden kann – dieArgumente sind die gleichen wie die oben benutzten,um ein heißes IGM als Quelle des CXB auszuschließen.Deshalb ist die nächste Frage, woher die energetischenPhotonen stammen, die zur Ionisation des IGM geführthaben.

Zwei Arten von Quellen kommen dafür in Frage,heiße Sterne oder AGNs. Zurzeit ist nicht eindeutig ge-klärt, welche davon für die (bzw. den Hauptanteil der)Reionisation verantwortlich ist, da unser Verständnisfür die Bildung von Supermassiven Schwarzen Löcherndazu nicht ausreicht, aber vermutlich besteht die Haupt-quelle der Photoionisation aus der ersten Generationheißer Sterne.

9.4.1 Die ersten Sterne

Das Verständnis der Reionisation hängt daher direktmit der Frage nach der ersten Generation von Sternenzusammen. Im lokalen Universum findet Sternentste-hung in Galaxien statt; somit muss man untersuchen,wann sich die ersten Galaxien bilden konnten. Aus derTheorie der Strukturentstehung kann man mit Hilfeetwa des Press–Schechter-Modells das Massenspek-trum von Halos bei vorgegebener Rotverschiebungberechnen. Zwei Bedingungen sind notwendig, damitsich Sterne in diesen Halos bilden können. Zum einenmuss das Gas in die Dunklen Halos einfallen können.Da dieses Gas eine endliche Temperatur besitzt, könnenDruckkräfte den Einfall in einen Potentialtopf behin-dern. Zum anderen muss dieses Gas auch in der Lagesein, weiter zu kühlen, um sich dabei zu Wolken zuverdichten, in denen dann Sterne gebildet werden kön-nen. Wir betrachten diese beiden Bedingungen nun imFolgenden.

Die Jeans-Masse. Wir können mit einem einfachen Ar-gument abschätzen, unter welchen Bedingungen dieDruckkräfte den Einfall des Gases in den Potential-topf nicht verhindern können. Dazu betrachten wir einleicht überdichtes sphärisches Gebiet mit Radius R,dessen Dichte nur etwas oberhalb der mittleren kos-mischen Materiedichte ρ liegt. Wenn diese Kugel

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9.4 Die Reionisation des Universums

381

homogen mit Baryonen gefüllt ist, so ist die gravitativeBindungsenergie des Gases in etwa

|Egrav| ∼ G MMb

R,

wobei M und Mb die Gesamtmasse und die baryonischeMasse der Kugel bezeichnen. Die thermische Energiedes Gases berechnet sich aus der kinetischen Energiepro Teilchen, multipliziert mit der Anzahl von Teilchenim Gas, oder

Eth ∼ c2s Mb ,

wobei

cs ≈√

kBTb

μmp

die Schallgeschwindigkeit des Gases und somit etwadie mittlere Geschwindigkeit der Gasteilchen ist, undμmp bezeichnet die mittlere Masse der Teilchen imGas. Damit das Gas im Gravitationsfeld gebunden ist,muss die gravitative Energie des Gases größer seinals die thermische Energie, |Egrav| > Eth, was zu derBedingung G M > c2

s R führt. Da wir eine nur etwasüberdichte Region angenommen haben, gilt die Bezie-hung M ∼ ρ R3 zwischen Masse und Radius der Kugel.Aus diesen letzten beiden Beziehungen kann man denRadius eliminieren, woraus sich dann die Bedingungergibt

M >

(c2

s

G

)3/21√ρ

. (9.3)

Als Resultat dieser einfachen Überlegung finden wir da-her, dass die Masse des Halos eine gewisse Grenzgrößeüberschreiten muss, damit das Gas dorthin einfallenkann. Eine genauere Betrachtung liefert die Bedingung,dass

M > MJ ≡ π5/2

6

(c2

s

G

)3/21√ρ

(9.4)

sein muss. Dabei haben wir im letzten Schritt die Jeans-Masse definiert, die die minimale Masse eines Halosfür den gravitativen Einfall von Gas beschreibt. DieJeans-Masse hängt ab von der Temperatur des Ga-ses, ausgedrückt durch die Schallgeschwindigkeit cs,und von der mittleren kosmischen Dichte ρ. Letz-tere lässt sich als Funktion der Rotverschiebung leichtausdrücken, ρ(z) = ρ0(1+ z)3.

Die Temperatur der Baryonen hat eine etwas kom-pliziertere Abhängigkeit von der Rotverschiebung.Für genügend hohe Rotverschiebungen sorgt dernach der Rekombination verbleibende Rest an freienElektronen (das Gas hat einen Ionisationsgrad von∼ 10−4) dafür, dass die baryonische Komponente durchCompton-Streuung thermisch an die kosmische Hin-tergrundstrahlung gekoppelt ist. Dies ist der Fall fürRotverschiebungen z � zt, wobei

zt ≈ 140

(Ωbh2

0.022

)2/5

;

also ist Tb(z) ≈ T(z) = T0(1+ z) für z � zt. Für kleinereRotverschiebungen wird die Dichte der Photonen zuklein, um diese Kopplung aufrecht zu erhalten, und dieBaryonen kühlen durch die Expansion adiabatisch ab,so dass für z � zt in etwa gilt: Tb ∝ ρ

2/3b ∝ (1+ z)2.

Aus dieser Temperaturabhängigkeit kann nun dieJeans-Masse in Abhängigkeit von der Rotverschiebungerhalten werden. Für zt � z � 1000 ist MJ von z unab-hängig, da cs ∝ T 1/2 ∝ (1+ z)1/2 und ρ ∝ (1+ z)3, undbeträgt

MJ = 1.35×105(

Ωmh2

0.15

)−1/2

M� , (9.5)

während für z � zt mit Tb � 1.7×10−2(1+ z)2 K gilt:

MJ = 5.7×103(

Ωmh2

0.15

)−1/2

×(

Ωbh2

0.022

)−3/5 (1+ z

10

)3/2

M� . (9.6)

Kühlung des Gases. Das Jeans-Kriterium ist eine not-wendige Bedingung für die Bildung von Protogalaxien.Damit sich Sterne bilden können, muss das Gas in denHalos in der Lage sein zu kühlen. Dabei tritt die Be-sonderheit auf, dass es sich bei den ersten Galaxienum metallfreies Gas handelt, so dass keine Metall-linien zur Kühlung beitragen können. Dies bedeutet,die Kühlung kann nur über Zustände des Wasserstoffsstattfinden. Da aber der erste angeregte Zustand vonatomarem Wasserstoff eine hohe Energie besitzt (diedes Lyα-Übergangs, also E ∼ 10.2 eV), ist diese Küh-lung erst oberhalb T � 2×104 K effizient. Die Halos,die sich bei hoher Rotverschiebung bilden, sind aber somassearm, dass ihre Virialtemperatur deutlich unterhalb

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382

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

dieser Energieskala liegt. Deshalb ist atomarer Wasser-stoff für diese ersten Halos ein sehr ineffizienter Kühler,und das Gas kann daher nicht mit der Sternentste-hung beginnen. Helium hilft in diesem Zusammenhangebenfalls nicht, denn das gleiche Problem der hohenAnregungstemperatur besteht auch hier. Das sich ausdiesen Überlegungen ergebende Problem ist durch dieEntdeckung der frühen Reionisation durch WMAP ge-genüber der vorher abgeschätzten Rotverschiebung derReionisation weiter verschärft worden.

Erst in den letzten Jahren ist erkannt worden,dass molekularer Wasserstoff eine extrem wichtigeKühlungskomponente darstellt. Trotz der sehr kleinenÜbergangswahrscheinlichkeiten dominiert H2 bei Tem-peraturen unterhalb von T ∼ 104 K die Kühlrate desprimordialen Gases – siehe Abb. 9.29 –, wobei der ge-naue Wert der Temperatur von der Häufigkeit von H2

abhängt.Mit Hilfe von H2 kann das Gas in Halos kühlen,

deren Virialtemperatur etwa Tvir � 3000 K übersteigt,

Abb. 9.29. Kühlrate als Funktion der Temperatur eines Ga-ses, welches aus atomarem und molekularem Wasserstoff (zu0.1%) und aus Helium besteht. Die durchgezogene Kurve istdie Kühlung aus dem atomaren Gas, die gestrichelte die ausmolekularem Wasserstoff; letzterer ist also extrem wichtigfür Temperaturen unterhalb 104 K. Bei wesentlich kleine-ren T kann Gas nicht kühlen, d. h. Sternentstehung kann nichtstattfinden

entsprechend einer Masse von M � 104 M� (wobeidie genauen Werte von der Rotverschiebung abhän-gen). In diesen Halos können sich also Sterne bilden.Diese Sterne sind allerdings von den uns bekanntensicherlich verschieden, da sie keine Metalle enthal-ten. Dadurch ist die Opazität des Sternplasmas sehrviel geringer. Solche Sterne, die bei gleicher Massevermutlich eine erheblich größere Temperatur undLeuchtkraft besitzen (und daher eine kürzere Le-bensdauer), nennt man Population III-Sterne. Sie sindaufgrund ihrer hohen Temperatur sehr viel effizien-tere Quellen von ionisierenden Photonen als Sterne mitnormaler Metallizität.

9.4.2 Der Reionisationsprozess

Die energetischen Photonen dieser Sterne sind nunin der Lage, den Wasserstoff in ihrer Umgebung zuionisieren. Deutlich wichtiger jedoch ist ein weite-rer Effekt: Die Bindungsenergie von H2 beträgt nur11.26 eV. Da das Universum transparent ist für Pho-tonen mit Energien unterhalb von 13.6 eV, könnenPhotonen mit 11.26 eV ≤ Eγ ≤ 13.6 eV über sehr weiteStrecken propagieren und dabei den molekularen Was-serstoff dissoziieren. Das bedeutet, sobald sich in einerRegion des Universums die ersten Sterne gebildet ha-ben, wird der molekulare Wasserstoff in der Umgebungzerstört, und weitere Sternentstehung wird zunächstverhindert.2

Bald nachdem sich Sterne der Population III ge-bildet haben, werden sie als Supernova explodieren.Dabei werden die in ihnen erzeugten Metalle ans in-tergalaktische Medium abgegeben, so dass eine ersteAnreicherung des IGM dadurch stattgefunden hat. Diekinetische Energie, die durch die SNe an das Gas in-nerhalb des Halos abgegeben wird, kann die gravitativeBindungsenergie des Gases übersteigen, so dass dasGas des Halos weggeblasen werden kann und dadurchweitere Sternentstehung verhindert wird. Ob dieser Ef-fekt tatsächlich zu gasfreien Halos führt oder aberdie freigewordene Energie abgestrahlt werden kann,hängt von der Geometrie der Sternentstehungsgebieteab. Es ist jedoch zu vermuten, dass in denjenigen Ha-los, in denen die erste Sterngeneration entstanden ist,

2Um sämtliches H2 im Universum zu zerstören, benötigt man wenigerals 1% des Photonenflusses, der für die Reionisation notwendig ist.

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9.4 Die Reionisation des Universums

383

die weitere Sternbildung erheblich unterdrückt wird,insbesondere weil sämtlicher molekularer Wasserstoffzerstört worden ist.

Es ist davon auszugehen, dass die durch diese ers-ten SN-Explosionen erzeugten Metalle wenigstens zumTeil mit dem Gas aus den Halos in das intergalakti-sche Medium herausgeschleudert werden und es somitanreichern. Auf eine sehr frühe Metallbildung schließtman aus der Tatsache, dass Quellen selbst bei sehr ho-her Rotverschiebung (etwa QSOs mit z ∼ 6) bereitseine Metallizität besitzen, die etwa ein Zehntel der so-laren Metallizität beträgt. Weiterhin findet man auchim Lyα-Wald Gas mit einer nichtverschwindenden Me-tallizität. Da der Lyα-Wald durch das intergalaktischeMedium erzeugt wird, muss dieses also angereichertsein.

Damit Gas in Halos ohne molekularen Wasserstoffkühlen kann, muss deren (Virial)Temperatur also etwa

Abb. 9.30. Links eine Skizze der Geometrie der Reionisation:Relativ massearme Halos kollabieren zuerst, eine erste Stern-generation ionisiert und heizt das Gas in den Halos. Durchdiese Heizung erhöht sich die Temperatur so stark (auf etwaT ∼ 104 K), dass Gas aus den Potentialtöpfen entweicht; dieseHalos bilden vielleicht nie wieder effizient Sterne. Erst wennetwas massivere Halos kollabiert sind, kann die Sternentste-hung stabil vonstatten gehen. Ionisierende Photonen dieserersten heißen Sterngeneration erzeugen HII-Regionen um die

Halos, der Beginn der Reionisation. Die Regionen, in denenWasserstoff ionisiert ist, wachsen an, bis sie überlappen; zudiesem Zeitpunkt steigt der Fluss ionisierender Photonen starkan. Rechts ist das mittlere Spektrum der Photonen zu Beginnder Reionisationsepoche dargestellt; dabei wurde angenom-men, dass der Fluss der Strahlungsquelle einem Potenzgesetzfolgt (gestrichelte Kurve). Photonen, deren Energie größer alsdie von Lyα-Photonen ist, werden sehr stark unterdrückt, weilsie effizient absorbiert werden

104 K übersteigen (siehe Abb. 9.29). Halos dieser Massebilden sich in großer Anzahl bei Rotverschiebungen umz ∼ 10, wie das etwa aus dem Press–Schechter-Modellfolgt (siehe Abschn. 7.5.2). In diesen Halos kann danndie Sternentstehung effizient stattfinden; die ersten Pro-togalaxien bilden sich. Diese ionisieren das umgebendeIGM, in Form einer HII-Region, wie das in der Abb. 9.30skizziert ist. Diese HII-Regionen dehnen sich aus, da im-mer mehr ionisierende Photonen erzeugt werden, undwenn die Halodichte genügend groß ist, werden dieseHII-Regionen überlappen. Wenn das geschehen ist, istdas IGM ionisiert, die Reionisation also abgeschlossen.

Wir kommen daher zu dem Schluss, dass die Reioni-sation ein Zwei-Stufen-Prozess ist. In einer ersten Phasebilden sich Population III-Sterne durch die Kühlung desGases durch molekularen Wasserstoff, der dann durchgenau diese Sterne vernichtet wird. Erst zu einer spä-teren Epoche und in massereicheren Halos findet die

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384

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Kühlung durch atomaren Wasserstoff statt und führtdann zur Reionisation.

Dazu sei bemerkt, dass nur ein kleiner Bruchteilder Baryonen in heißen Sternen brennen muss, umsämtlichen Wasserstoff zu ionisieren, wie man leichtabschätzen kann: Bei der Fusion von vier H-Kernen(Protonen) zu He werden ca. 7 MeV pro Nukleon frei;man benötigt aber nur 13.6 eV pro Wasserstoffatom zurIonisation.

Weiterhin sei nochmals bemerkt, dass der sehr dichteLyα-Wald bei QSOs hoher Rotverschiebung kein An-zeichen dafür ist, dass man sich der Rotverschiebungder Reionisation genähert hat, denn es reicht ein sehrkleiner Anteil neutraler Atome (etwa 1%), um einegroße optische Tiefe für Lyα-Photonen zu erhalten. Diedirekte Beobachtung der Reionisation ist vermutlichrecht schwierig; eine Vorstellung davon ist in Abb. 9.31skizziert.

Wir haben uns hier auf die Ionisation von Wasser-stoff beschränkt und das Helium nicht betrachtet. DieIonisationsenergie von Helium ist größer als die desWasserstoffs, so dass dessen vollständige Ionisationspäter stattfinden wird. Aus der statistischen Analysedes Lyα-Waldes und der Untersuchung von Helium-Absorptionslinien in QSOs mit hoher Rotverschiebungschließt man auf eine Reionisationsrotverschiebung vonz ∼ 3.2 für das Helium.

Mit dem Next Generation Space Telescope (das nunden Namen James Webb Space Telescope, JWST, trägt)hofft man, die ersten Quellen im Universum beobachtenzu können; dieses Weltraumteleskop mit 6.5 m Durch-messer wird für Wellenlängen zwischen 1 und 5 μmoptimiert sein.

Abb. 9.31. Skizze zur möglichen Beob-achtung der Reionisation: Licht einesweitentfernten QSO durchquert ein teil-weise ionisiertes Universum; an den Stellen,wo es HII-Regionen durchquert, kommtStrahlung durch – an den entsprechendenWellenlängen ist Fluss sichtbar. Wenn dieHII-Regionen dann überlappen, wird der,,normale“ Lyα-Wald gebildet

9.5 Die kosmische Geschichteder Sternentstehung

Das oben beschriebene Szenario für die Reionisationist in groben Zügen wohl nahe an der Wirklichkeit,wobei Details immer noch intensiv diskutiert werden.Insbesondere kann man nur mit relativ starken Modell-annahmen die Sternentstehungsrate des Universums alsFunktion der Rotverschiebung berechnen, da dazu vielephysikalische Prozesse beitragen; wir werden im nächs-ten Abschnitt darauf näher eingehen. Andererseits ist esin den letzten Jahren gelungen, Galaxien auch bei sehrhohen Rotverschiebungen zu beobachten, wodurch esmöglich geworden ist, empirisch die Sternentstehungs-rate bis zu großen Rotverschiebungen hin zu verfolgen.

9.5.1 Indikatoren für Sternentstehung

Wir definieren die Sternentstehungsrate (Star Forma-tion Rate, SFR) als die Masse der Sterne, die sichpro Jahr bilden, typischerweise angegeben in M�/yr.Für unsere Milchstraße ist SFR ∼ 2M�/yr. Da dieSignaturen für die Sternentstehung nur von den mas-sereichen Sternen stammen, muss man, um die gesamteSFR zu erhalten, deren Bildungsrate nach kleinerMasse hin extrapolieren, indem man eine IMF (In-itial Mass Function; siehe Abschn. 3.9.4) annimmt,wofür man typischerweise eine Salpeter-IMF zwischen0.1M� ≤ M ≤ 100M� wählt. Wir führen hier zunächstdie wichtigsten Indikatoren für die Sternentstehung auf:

• Emission im fernen Infrarot (FIR). Dies ist Strahlungvon warmem Staub, der durch heiße junge Sternegeheizt wird. Aus Beobachtungen ergibt sich als Zu-

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9.5 Die kosmische Geschichte der Sternentstehung

385

sammenhang zwischen der FIR-Leuchtkraft und derSFR etwa

SFRFIR

M�/yr∼ LFIR

5.8×109 L�.

• Radio-Emission von Galaxien. Es gibt eine sehr engeKorrelation der Radioleuchtkraft von Galaxien mitder Leuchtkraft im FIR, über viele Zehnerpotenzender jeweiligen Leuchtkräfte. Da LFIR ein guter In-dikator für die Sternentstehungsrate ist, sollte diesauch für die Radiostrahlung gelten (wobei von derRadioemission eines möglichen AGN hier abgese-

Abb. 9.32. Korrelationen der Sternentstehungsraten, wie sieaufgrund von Beobachtungen in verschiedenen Wellenlängen-bereichen abgeleitet wurden. In allen vier Diagrammen zeigtdie gestrichelte Kurve die Identität; wie leicht zu erkennen ist,scheinen die Sternentstehungs-Indikatoren Hα-Leuchtkraft

und UV-Strahlung die SFR zu unterschätzen. Da Strahlungbei diesen Wellenlängen von Staub absorbiert werden kannund die Menge des warmen Staubs wahrscheinlich von derSFR selbst abhängt, kann man für diesen Effekt korrigieren,wie die durchgezogenen Kurven in den vier Figuren zeigen

hen werden muss). Die Radiostrahlung von normalenGalaxien stammt im Wesentlichen aus Supernova-Überresten (SNRs). Da SNe aus dem Kernkollapsvon massereichen Sternen in einer Sternpopulationsehr schnell nach Beginn der Sternentstehung auf-treten, ist die Strahlung von Supernova-Überrestenein beinahe instantaner Indikator der SFR. Wiederumaus Beobachtungen findet man

SFR1.4 GHz

M�/yr∼ L1.4 GHz

8 4×1027erg s−1 Hz−1 .

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386

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

• Hα-Emission. Diese Linienemission stammt aus denHII-Regionen, die sich um junge heiße Sterne bilden.Als Abschätzung für die SFR benutzt man

SFRHα

M�/yr∼ LHα

1.3×1041 erg s−1 .

• UV-Strahlung. Diese wird nur von heißen jun-gen Sternen emittiert und zeigt daher die SFR derjüngsten Vergangenheit an, mit

SFRUV

M�/yr∼ LUV

7.2×1027 erg s−1 Hz−1 .

Jede dieser Abschätzungen ist in individuellen Gala-xien recht ungenau, wie man erkennen kann, wenn mandie Abschätzungen der SFR aus verschiedenen Metho-den miteinander vergleicht (siehe Abb. 9.32). So werdenbeispielsweise Hα- und UV-Photonen leicht vom Staubin der Galaxie bzw. in den Sternentstehungsgebietenselbst absorbiert, weswegen obige Relationen für dieseSelbstabsorption korrigiert werden sollten. Eine solcheKorrektur ist aus der beobachteten Rötung möglich;weiterhin erwartet man, dass je größer die Staubab-sorption ist, umso stärker ist die Leuchtkraft im FIR,was dann zu Abweichungen von der linearen Rela-tion SFRFIR ∝ SFRUV führt. Nach einer entsprechendenKorrektur ergeben die Werte der SFR aus den verschie-denen Indikatoren recht ähnliche Werte, aber immernoch mit einer einigermaßen großen Streuung.

9.5.2 Rotverschiebungsabhängigkeitder Sternentstehung:Das Madau-Diagramm

Man definiert die Dichte der Sternentstehung ρ∗ alsdie Masse der neugebildeten Sterne pro Jahr in einem(mitbewegten) Volumen, typischerweise gemessen inM� yr−1 Mpc−3. Daher gibt ρ∗ als Funktion der Rot-verschiebung an, wann sich wie viele Sterne gebildethaben. Mit der Sternbildungsdichte kann etwa die Frageuntersucht werden, ob die Sternentstehung erst bei re-lativ kleinen Rotverschiebungen begonnen hat, oder obdie Bedingungen im Universum so waren, dass sichschon sehr früh Sterne haben effizient bilden können.

Untersuchungen der SFR in Galaxien mit obigenIndikatoren, sowie den Quellenzählungen solcher stern-bildender Galaxien, erlauben eine Bestimmung von ρ∗.Die Darstellung dieser Ergebnisse (Abb. 9.33) wird

Abb. 9.33. Sternbildungsdichte als Funktion der Rotverschie-bung, wobei die verschiedenen Symbole unterschiedlicheIndikatoren zur Bestimmung der Sternbildungsrate bezeich-nen. Unter dem Namen ,,Madau-Diagramm“ bekannt, zeigtdiese Figur die Geschichte der Sternentstehung im Universum.Deutlich ist der Abfall für z < 1 zu erkennen; zu höheren Rot-verschiebungen hin scheint ρ∗ praktisch konstant zu bleiben.Die Kurve ist ein empirischer Fit an die Daten

,,Madau-Diagramm“ genannt. Etwa um 1996 konntenPiero Madau und Kollegen erstmals aus den Lyman-Break-Galaxien die SFR bei hohen Rotverschiebungenbestimmen, wobei diese ersten Berechnungen die in-trinsische Extinktion vernachlässigten. Korrigiert manfür diese (hier war die Entwicklung der Submillimeter-Astronomie extrem wichtig, wie wir in Abschn. 9.2.3gesehen haben), findet man ein beinahe konstantes ρ∗für z� 1, aber einen Abfall um etwa einen Faktor 10 vonz ∼ 1 bis heute. Daraus folgt, dass die meisten Sternein unserer Nachbarschaft sich schon bei hoher Rotver-schiebung gebildet haben, die Sternbildung war früherwesentlich aktiver als heute.

Obgleich die Rotverschiebungs-integrierte Sternbil-dungsrate und die aus Galaxiensurveys bestimmteMassendichte von Sternen, wie sie in der Abb. 9.34 ge-zeigt sind, voneinander leicht abweichen, ist der Gradder Übereinstimmung sehr befriedigend, wenn man be-denkt, welche Annahmen in die Bestimmung beiderGrößen eingehen (neben der oben diskutierten Unsi-cherheiten in der Beobachtung der Sternbildungsrateist speziell die Form der IMF der neugebildeten Sternefür die Bestimmung der Massendichte in Sternen zuerwähnen). In der Tat besagt die Abb. 9.34, dass wirpraktisch die Bildung der gesamten heute vorhandenenSterndichte bereits beobachtet haben.

Page 399: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung

387

Abb. 9.34. Die Entwicklung der Massendichte in Sternen,wie sie aus verschiedenen Galaxiensurveys ermittelt wor-den ist, während die durchgezogene Kurve die integrierteSternbildungsrate aus der Abb. 9.33 angibt

Man kann ein einfaches Argument dafür erhalten,dass ein bedeutender Teil der kosmischen Sternentste-hung in Quellen stattfindet, die unserem optischen Blickverborgen sind. Aus der Abb. 9.25 entnimmt man, dassdie Stärke des FIR-Hintergrunds von der gleichen Grö-ßenordnung ist wie die des optischen/UV-Hintergrunds.Letztere stammt von Sternentstehungsgebieten, ausdenen heraus energetische optische/UV-Photonen ent-kommen können und die man als Starbursts beobachtenkann, während der CIB aus den staubhaltigen Regionender sub-mm-Quellen stammt. In der Tat scheint sichmehr als die Hälfte der kosmischen Sternentstehung insolchen Staubgebieten zu verbergen.

9.6 Galaxienentstehungund Entwicklung

Die weiter oben dargestellten Beobachtungen von Gala-xien bei hohen Rotverschiebungen sollten auf den erstenBlick vermuten lassen, dass wir die Entstehung und Ent-wicklung von Galaxien inzwischen sehr gut verstandenhaben, da wir Galaxien bis hin zu z ∼ 6 studieren kön-nen. Dies ist aber nur bedingt der Fall, denn währendwir bei beinahe jeder Rotverschiebung eine große An-zahl von Galaxien gefunden haben, ist die Beziehungzwischen den Galaxien unterschiedlicher Rotverschie-bung nicht einfach zu verstehen. Dies liegt vor allemdaran, dass unterschiedliche Selektionskriterien benutztwerden müssen.

Dieser Aspekt soll an einem Beispiel erläutert wer-den. Man findet aktiv sternbildende Galaxien mitz � 2.5 sehr effizient mit dem Lyman-Break-Kriterium,allerdings nur solche, die wenig Staubrötung erlei-den. Aktiv sternbildende Galaxien bei z ∼ 1 werdenals EROs entdeckt, wenn sie durch Staub nur ge-nügend gerötet sind. Die Beziehung zwischen diesenbeiden Galaxienpopulationen hängt natürlich davon ab,wie groß der Anteil von Galaxien ist, deren Sternent-stehung von einer dichten Staubregion umgeben ist.Um dies herauszufinden, müsste man Lyman-Break-Galaxien bei z ∼ 1 oder EROs bei z ∼ 3 finden. Beidesist zurzeit aber fast unmöglich, bei Ersteren, weil derLyman-Break sich dann im UV-Bereich des Spektrumsbefindet und wir kein genügend empfindliches UV-Observatorium zur Verfügung haben, bei Letzteren,weil die dem R-Band entsprechende Ruhewellenlängeso klein ist, dass praktisch keine optische Strahlungvon diesen Galaxien sichtbar und daher Spektroskopiedieser Objekte unmöglich wäre. Als weiteres Problemkommt hinzu, dass Galaxien mit 1.3 � z � 2.5 nurschwer zu entdecken sind, weil dann im optischenBereich des Spektrum fast keine spektroskopischenIndikatoren mehr zu sehen sind – sowohl der 4000 Å-Break als auch die λ = 3727 Å-Linie von [OII] sinddann ins NIR rotverschoben, genauso wie die Balmer-Linien des Wasserstoffs. Man nennt deshalb diesenBereich der Rotverschiebung den ,,redshift desert“. Esist daher schwer zu verfolgen, wie sich die einzelnenPopulationen bei den verschiedenen Rotverschiebun-gen zueinander entwickeln. Stellen etwa die LBGs beiz ∼ 3 ein frühes Stadium der heutigen Ellipsen (und derpassiven EROs bei z ∼ 1) dar, oder handelt es sich umFrühstadien von Spiralgalaxien?

Die gerade genannten Schwierigkeiten begründen,warum ein Verständnis der Entwicklung der Galaxi-enpopulation nur im Rahmen von Modellen möglichist, innerhalb derer die verschiedenen Beobachtungs-tatsachen interpretiert werden müssen. Einige Aspektedavon werden in diesem Abschnitt diskutiert.

9.6.1 Erwartungen aus der Strukturbildung

Kosmologische N-Teilchen-Simulationen sagen dieEntwicklung der Verteilung der Dunklen Materie alsFunktion der Rotverschiebung voraus, insbesondere dasEntstehen von Halos und ihre Verschmelzungsprozesse.

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Zu Beginn der Entwicklung folgt das Gas der DunklenMaterie. Sobald das Gas aber dicht genug wird, spielenphysikalische Effekte wie Heizung durch Dissipation,Reibung und Kühlung eine wichtige Rolle. Da dieDunkle Materie diesen Prozessen nicht unterliegt, wer-den das Verhalten und die räumliche Verteilung beiderKomponenten unterschiedlich.

In einem CDM-Modell bilden sich Halos kleinerMasse zuerst; erst später können sich massereichereHalos bilden. Dieses ,,bottom-up“-Szenario der Struk-turbildung folgt aus der Form des Leistungsspektrumsder Dichtefluktuationen, welches wiederum durch dieArt der Dunklen Materie – nämlich Kalter Dunk-ler Materie – bestimmt wird. Die Bildung von Halosimmer größerer Masse erfolgt durch Verschmelzungs-prozesse (merging) von Halos kleinerer Masse. SolcheVerschmelzungsprozesse sind direkt beobachtbar; dieAntennen (siehe Abb. 9.15) sind nur ein besonders pro-minentes Beispiel. Merging sollte besonders häufig inGebieten vorkommen, in denen die Galaxiendichte großist, also etwa in Galaxienhaufen. Wie die Abb. 6.44exemplarisch zeigt, findet man in Galaxienhaufen ho-her Rotverschiebung eine große Anzahl von solchenVerschmelzungsprozessen.

Falls das Gas in einem Halo effizient kühlen kann,können Sterne gebildet werden, wie wir bereits im Rah-men der Reionisation diskutiert haben. Da die Kühlungein Zwei-Körper-Prozess ist, d. h. die Kühlrate pro Vo-lumenelement ∝ ρ2 ist, kann nur dichtes Gas effizientkühlen. Zunächst erwartet man, dass das Gas, welcheswie der Halo Dunkler Materie einen endlichen Dreh-impuls besitzt, sich aufgrund dessen und durch seineDissipation in einer Scheibe ansammelt. Das Gas inder Scheibe erreicht dann Dichten, bei denen die Stern-entstehung effizient stattfinden kann. Auf diese Weisekann man die Entstehung von Scheibengalaxien, alsoden Spiralen, qualitativ verstehen.

9.6.2 Die Bildung von Ellipsen

Während man die Bildung von Scheibengalaxien aufrelativ natürliche Art qualitativ verstehen kann, istdie Frage nach der Entstehung von Ellipsen deut-lich schwieriger zu beantworten. Da die Sterne inEllipsen eine sehr große Geschwindigkeitsdispersionaufweisen, kann das Gas, aus denen sie sich gebildethaben, nicht erst durch Dissipation in einer Scheibe

kinematisch kalt geworden sein. Andererseits ist esschwierig zu verstehen, wie die Sternentstehung ohnediese durch Dissipation hervorgerufene Verdichtung desGases ablaufen kann.

Wir haben in Abschn. 3.4.3 gesehen, dass dieEigenschaften der Ellipsen sehr gut durch die Fun-damentalebene beschrieben werden. Weiterhin findetman, dass die Entwicklung der Fundamentalebene mitder Rotverschiebung praktisch vollständig durch pas-sive Entwicklung der Sternpopulation zu erklären ist.In gleicher Weise haben wir in Abschn. 6.6 festgestellt,dass die Ellipsen eines Haufens einer sehr gut defi-nierten Farben-Helligkeits-Relation (der Red ClusterSequence) folgen, was auf ein ähnliches Alter der Stern-population in den Ellipsen hinweist. Ein Vergleich derFarben der Sternpopulation von Ellipsen mit Modellender Populationssynthese lässt auf ein sehr hohes Al-ter der Sterne in Ellipsen schließen, wie in Abb. 3.48dargestellt ist.

Ein einfaches Modell kann diese Beobachtungstat-sachen zusammenfassend beschreiben, nämlich das desmonolithischen Kollaps. In dieser Beschreibung wirddas Gas eines Halos beinahe instantan in Sterne verwan-delt, dabei das Gas aufgebraucht, so dass später keineweiteren Generationen von Sternen entstehen können.Damit Ellipsen gleicher Rotverschiebung alle die fastgleiche Farbe besitzen, muss diese Bildung bei relativhoher Rotverschiebung stattgefunden haben, z � 2, sodass die Ellipsen alle gleich alt sind. Dieses Szenariosetzt also voraus, dass die Bildung der Sterne schnellgenug geschieht, bevor sich das Gas in einer Scheibehat ansammeln können, wobei allerdings der Prozessder Sternentstehung in diesem Bild nicht erklärt wird.

Vielmehr erwartet man aus dem hierarchischen Mo-dell der Strukturentstehung, dass massereiche Galaxiensich aus kleineren Einheiten durch Merging bilden. Wirbetrachten dazu, was beim Verschmelzen zweier Halosbzw. zweier Galaxien wohl geschehen mag. Offensicht-lich hängt der Ausgang eines Mergers von mehrerenParametern ab, wie etwa der relativen Geschwindigkeit,dem Stoßparameter, dem Drehimpuls und insbesonderedem Massenverhältnis der beiden verschmelzenden Ha-los. Wenn eine kleine Galaxie mit einer massereichenverschmelzt, so erwartet man, dass sich die Eigen-schaften der dominanten Galaxie nur wenig ändern:Der Dunkle Halo erhält etwas mehr Masse durch denBegleiter, dessen Sterne sich zu der Sternpopulation

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9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung

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der massereichen Galaxie einfach addieren. Ein solcher,,minor merger“ findet zurzeit in der Milchstraße statt,wo die Sagittarius-Zwerggalaxie vom Gezeitenfeld derGalaxis zerrissen wird und deren Sterne als zusätzli-che Population der Milchstraße hinzukommen. DiesePopulation hat ihrerseits eine relativ kleine Geschwin-digkeitsdispersion und bildet einen ,,kalten“ Strom vonSternen, der durch seine kinematischen Eigenschaftenals solcher auch entdeckt werden kann. Die großskaligeStruktur der Galaxis wird durch einen solchen ,,minormerger“ wenig beeinflusst.

Dies ist allerdings anders bei einem Verschmelzungs-prozess, bei dem die Massen beider Partner vergleichbarsind. Bei einem solchen ,,major merger“ werden sichdie Galaxien völlig verändern. Die Scheibe wird zer-stört, d. h. die Scheibenpopulation erhält eine großeGeschwindigkeitsdispersion und kann zu einer sphä-roidalen Komponente werden. Weiterhin werden dieGasorbits gestört, was zu extremer Sternentstehung(starbursts) führen kann (wie z. B. in den Antennen-Galaxien). Durch die Störung der Gasorbits kann dasSMBH in den Zentren der Galaxien gefüttert werdenund somit die AGN-Aktivität in Gang gesetzt werden,wie wir das vermutlich bei der in Abb. 9.35 dargestell-ten Galaxie Centaurus A sehen. Aufgrund der Heftigkeitder Wechselwirkung wird ein Teil der Materie ausden Galaxien herausgeschleudert, und diese Sterne undentsprechendes Gas sind als Gezeitenarme in opti-schen Aufnahmen bzw. durch die 21-cm-Emission desneutralen Wasserstoffs beobachtbar. Aus diesen Über-legungen, die auch durch numerische Simulationenbestätigt werden, erwartet man, dass aus einem sol-chen ,,major merger“ eine Elliptische Galaxie entstehenkann. Durch die Heftigkeit der Wechselwirkung wirddas Gas entweder herausgeschleudert oder aber so starkaufgeheizt, dass weitere Sternentstehung behindertwird.

Dieses Szenario für die Entstehung von Ellipsenwird aus den Modellen der Strukturbildung erwartet. Eshat eine ganze Reihe von Erfolgen zu verbuchen. Bei-spielsweise liefert es die natürliche Erklärung für denButcher–Oemler-Effekt (siehe Abschn. 6.6), der besagt,dass Galaxienhaufen größerer Rotverschiebung einengrößeren Anteil an blauen Galaxien enthalten. Durch diein Haufen wegen der hohen Galaxiendichte besondershäufigen Mergers werden solche blauen Galaxien zu-nehmend in Frühtyp-Galaxien verwandelt. Allerdings

Abb. 9.35. Die Galaxie Centaurus A: Die optische Aufnahmeist in Graustufen dargestellt, die Konturen zeigen die Radio-strahlung, und in Rot wird die Infrarot-Aufnahme mit demISO-Satelliten dargestellt. Die ISO-Karte zeigt die Staubver-teilung, die anscheinend einer Balkenspirale entspricht; esscheint also, als beherberge diese Elliptische Galaxie eineSpirale, die vom Gravitationsfeld der Ellipse stabilisiert wird.Vermutlich wurde diese Galaxie in einem Merger gebildet;dieser kann auch für die AGN-Aktivität verantwortlich sein

können Galaxien in Haufen ihr Gas auch dadurch ver-lieren, dass sie sich durch das heiße intergalaktischeMedium bewegen und das Gas durch den Staudruckweggerissen wird. Die Tatsache, dass der Anteil vonEllipsen in Haufen einigermaßen konstant bleibt alsFunktion der Rotverschiebung, aber die Häufigkeit vonS0-Galaxien mit abnehmendem z zunimmt, deutet aufdie Wichtigkeit des letztgenannten Prozesses als Er-klärung des Butcher–Oemler-Effekts hin. In diesemFall wird das Gas der Scheibe weggerissen, es findetkeine Sternentstehung mehr statt, und die Spiralga-laxie hat sich in eine Scheibengalaxie ohne aktuelleSternentstehung verwandelt – also in eine Galaxie, diedie wesentlichen Züge von S0-Galaxien zeigt (sieheAbb. 9.36). Andererseits haben wir in Abschn. 3.2.5gesehen, dass viele Ellipsen Anzeichen komplexer Ent-wicklung zeigen, die als Überbleibsel solcher Mergersgedeutet werden können. Es ist daher denkbar, dassdie Bildung von Ellipsen in Galaxiengruppen stattfin-

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

Abb. 9.36. NGC 4650A, eine Polar-Ring-Galaxie, aufgenom-men mit dem HST. Solche Galaxien besitzen neben ihrerScheibe einen Ring von leuchtendem Material, der von denPolachsen der Scheibe geschnitten wird. Die wahrschein-lichste Erklärung für die Entstehung solcher besonderenGalaxien ist eine in der Vergangenheit stattgefundene ge-waltige Kollision zweier Galaxien; die Scheibe könnte dieursprüngliche Scheibe der massiveren der beiden Stoßpartnersein, während die weniger massive Galaxie zerrissen und de-ren Material auf einen Polarorbit um die massivere Galaxiegezwungen wurde, wo sich dann neue Sterne gebildet haben,die hier als bläuliche Knoten heller Emission sichtbar sind. Dader polare Ring sich weit im Halo der anderen Galaxie befin-det, kann man dessen Materieverteilung durch die Kinematikdes Rings zu großen Radien hin vermessen

det durch heftige Verschmelzungsprozesse, und diesedann durch das Merging von Gruppen zu Haufen derHaufenpopulation zugefügt werden.

Allerdings hat dieses Modell auch seine Probleme.Eines davon besteht in der Tatsache, dass Verschmel-zungsprozesse von Galaxien auch noch bei kleinenRotverschiebungen stattfinden. Die dabei geborenenEllipsen wären also relativ jung, was nur schwer inEinklang zu bringen ist mit der oben getroffenen Fest-stellung eines hohen Alters von Ellipsen. Allerdingsfindet man Ellipsen ja vorzugsweise in Galaxienhaufen,und deren Mitglieder sind bereits gasarme Galaxien.Beim Verschmelzen solcher Galaxien bildet sich zwarals Endprodukt eine Ellipse, aber ein mit dem Ver-schmelzen verbundener Starburst kann mangels Gasnicht stattfinden. In diesem Zusammenhang muss dar-auf hingewiesen werden, dass das ,,Alter von Ellipsen“sich auf das der stellaren Population bezieht – dieSterne in Ellipsen sind alt, nicht notwendigerweise dieGalaxien selbst.

Die Leuchtkraftfunktion von roten Galaxien bis z ∼ 1ist nicht sehr verschieden von ihrer lokalen Leucht-kraftfunktion, während sich die von blauen Galaxiensehr stark entwickelt. Daraus schließt man, dass die

Bildung von Ellipsen bereits sehr früh abgeschlossenworden ist. Wie auch bereits das Madau-Diagramm(Abb. 9.33) zeigt, findet der größte Teil der Sternent-stehung bei hohen Rotverschiebungen statt, währenddas lokale Universum vergleichsweise ruhig ist. In ei-nem Universum mit kleiner Dichte besagt auch dieZeitentwicklung des Wachstumsfaktors D+(z), dass diekosmische Entwicklung sich nach z ∼ 1 deutlich ver-langsamt hat, die meisten Mergers also bei höhererRotverschiebung stattfinden. In der Tat steigt der Anteilvon irregulären und pekuliaren Galaxien mit schwä-cher werdender Magnitude und daher im Mittel größererRotverschiebung an.

Tatsächlich scheint die Entwicklung von masserei-chen Ellipsen sogar noch früher als z ∼ 1 vonstattengegangen zu sein. Die in Abb. 6.43 gezeigte Radioga-laxie war bis vor Kurzem die am weitesten entferntebekannte Elliptische Galaxie, mit einer Rotverschie-bung von z = 1.55. Nun wurden in dem K20-Survey(siehe Abschn. 9.2.2) vier EROs mit Rotverschiebung1.6 ≤ z ≤ 1.9 entdeckt. Die spektroskopische Verifi-kation dieser Objekte ist äußerst schwierig, weil siezum einen im optischen Spektralbereich sehr licht-schwach sind (R � 24), zum anderen weil bei diesenRotverschiebungen keine klaren spektralen Signaturenim Optischen vorhanden sind. Die Rotverschiebungwurde bestimmt durch eine Korrelation der Spekt-ren mit dem Spektrum der bereits erwähnten GalaxieLBDS 53W091 (Abb. 6.43). Die Spektren dieser Gala-xien lassen sich im Rahmen der Populationssynthese(Abschn. 3.9) mit einer etwa ein bis zwei Gyr altenstellaren Population erklären und ähneln den Spekt-ren der EROs bei z ∼ 1, wobei das genaue Alter derPopulation von der angenommenen Metallizität ab-hängt. Aus HST-Bildern dieser Objekte ergibt sichein starker Hinweis darauf, dass es sich auch mor-phologisch um Frühtyp-Galaxien handelt. Die aus derNIR-Helligkeit abgeleitete Sternmasse in diesen Gala-xien ist M∗ � 1011 M�, sie sind also vergleichbar mitElliptischen Galaxien im heutigen Universum. Obwohles sich um eine kleine Anzahl von Objekten han-delt, kann man daraus die Dichte von massereichenFrühtyp-Galaxien bei diesen hohen Rotverschiebungenabschätzen, die sich als vergleichbar mit der Dichtevon massereichen sternbildenden Galaxien bei ähnli-cher Rotverschiebung herausstellt. Dies bedeutet, dassim Universum bei z ∼ 2 nicht nur ein großer Teil

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9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung

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der heute sichtbaren Sterne erzeugt wurde (Abb. 9.34),sondern ein etwa gleich großer Teil der Sterne war be-reits damals als alte Sternpopulation vorhanden. Diekosmische Massendichte der Sterne in diesen Frühtyp-Galaxien beträgt etwa 10% der heutigen Dichte inSystemen mit Sternmassen oberhalb von ∼ 1011 M�.Das frühe Erscheinen von massereichen Ellipsen beisolch hoher Rotverschiebung mit der beobachteten An-zahldichte ist nur schwer mit hierarchischen Modellender Galaxienentwicklung zu erklären, denen wir uns alsNächstes zuwenden.

9.6.3 Semi-analytische Modelle

Man kann versuchen, die obigen qualitativen Betrach-tungen in größerem Detail auch quantitativ zu verstehen.Dies kann nicht mittels einer kosmologischen hydrody-namischen Simulation geschehen: Die physikalischenProzesse, die die Entstehung von Sternen in Galaxienbestimmen, finden auf sehr kleinen Längenskalen statt,während die Entwicklung von Strukturen, die z. B. dieMerging-Rate bestimmt, auf kosmologischen Skalenstattfindet. Es ist daher unmöglich, beide Skalen in einerSimulation gemeinsam zu behandeln. Weiterhin sind diephysikalischen Gesetze, die das Verhalten des Gasesbestimmen (hydrodynamische Prozesse wie Stoßfron-ten und Reibung; Strahlungsprozesse) zu kompliziert,um sie in detaillierten Simulationen zu modellieren,außer in solchen, die eine einzelne Galaxie betrach-ten. Hinzu kommt, dass viele der Prozesse noch nichtgenügend gut verstanden sind, um sie von physika-lischen Grundgleichungen her berechnen zu können,wobei die Sternentstehung nur ein Beispiel ist, wennauch vielleicht das wichtigste.

Um Fortschritte zu erzielen, kann man unserUnwissen über Einzelheiten geeignet und plausibel pa-rametrisieren, so dass die wesentlichen Aspekte dadurchbeschrieben werden können. Solche semi-analytischenModelle der Galaxienentwicklung haben in den letz-ten Jahren sehr zum Verständnis und zur Interpretationvon Beobachtungen beigetragen. Wir werden einige derEigenschaften solcher Modelle hier diskutieren.

Merger-Bäume. Im CDM-Modell bilden sich mas-sereiche Halos durch das Verschmelzen von Ha-los kleinerer Masse. Eine Erweiterung der Press–Schechter-Theorie (siehe Abschn. 7.5.2) erlaubt es, die

Abb. 9.37. Ein typischer Merger-Baum, wie er in dem hierar-chischen CDM-Modell der Strukturbildung erwartet wird. DieZeitachse läuft von oben nach unten. Ein massereicher Halozum heutigen Zeitpunkt t0 hat sich durch das Verschmelzenvon vielen Halos kleinerer Masse gebildet, wie das hier an-gedeutet ist. Als Zeitpunkt der Bildung dieses Halos definiertman die Zeit tf, bei der einer der Subhalos die Hälfte derheutigen Masse des eigentlichen Halos angenommen hat

statistischen Eigenschaften dieser Verschmelzungsge-schichte von Halos zu berechnen. Mit ihrer Hilfe ist esdaher möglich, für einen Halo der heutigen Masse M einstatistisches Ensemble von solchen Verschmelzungs-geschichten zu erzeugen. Jeder einzelne Halo wirddabei durch einen Merger-Baum (merger tree; sieheAbb. 9.37) dargestellt. Alternativ dazu kann man sol-che Merger-Bäume auch aus numerischen Simulationender Strukturentstehung extrahieren. Die statistischenEigenschaften der Halos der Masse M bei einer Rot-verschiebung z erhält man durch die Betrachtung desEnsembles der Merger-Bäume. Jeder einzelne Merger-Baum gibt dann die Verschmelzungsprozesse an, diezur Bildung des jeweiligen Halos geführt haben.

Kühlprozesse und Sternentstehung. In einem Halo,der zu einem gegebenen Zeitpunkt keinen Verschmel-zungsprozess durchläuft, kann Gas kühlen, wobei sichdie Kühlrate aus der chemischen Zusammensetzung desGases und seiner Dichte ergibt. Neben atomarer Strah-lung ist auch die Bremsstrahlung (Frei-frei-Strahlung)

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

dabei relevant, insbesondere für höhere Temperaturen.Ist die Dichte groß genug und die Kühlung effizient,kann sich Gas in Sterne verwandeln. Die Sternbildungwird parametrisiert durch einen Proportionalitätsfaktorzwischen der Sternentstehungsrate und der Rate, mit derdas Gas kühlt. Die sich bildenden Sterne werden einer,,Scheibenkomponente“ zugerechnet.

Rückkopplung (Feedback). Kurz nach der Bildungvon Sternen werden die massereicheren von ihnen alsSupernova explodieren. Dadurch wird das Gas wiedergeheizt, da die Strahlung der SN-Explosion und insbe-sondere die kinetische Energie auf das Gas übertragenwerden. Dabei wird die Menge des Gases, welcheseffizient kühlen kann, verringert, umso mehr, je grö-ßer die Sternentstehungsrate ist. Es kommt daher zueiner Selbstregulierung der Sternentstehung, die ver-hindert, dass sämtliches Gas in einem Halo sich inSterne verwandelt. Diese Art der Selbstregulierungdurch den Feedback der Supernovae (und in gewis-sem Umfang auch der Winde der massereichsten Sterne)sorgt beispielsweise dafür, dass in unserer Milchstraßedie Sternentstehung moderat ist, anstatt dass sich dasgesamte Gas in der Scheibe an der Sternentstehungbeteiligt.

Unterdrückung von Galaxien kleiner Masse. Nebender Heizung durch den oben beschriebenen Feedback-Prozess kann das Gas in einem Halo auch von derintergalaktischen UV-Strahlung geheizt werden, die ausden AGNs stammt und die für die Aufrechterhaltungder hohen Ionisation des intergalaktischen Mediumsverantwortlich ist (siehe Abschn. 8.5). Diese Strahlunghat zwei Auswirkungen auf das Gas: Zum einen wirddas Gas durch die stattfindende Photoionisation geheizt,zum anderen wird dadurch der Ionisationsgrad des Ga-ses in Halos erhöht. Beide Effekte wirken in die gleicheRichtung, denn beide erschweren die effiziente Kühlungdes Gases und damit die Sternentstehung. Für Halosgroßer Masse ist die intergalaktische UV-Strahlung vongeringer Bedeutung, weil die entsprechende Heizratedeutlich kleiner ist als die durch Dissipation des Gaseshervorgerufene. Aber bei Halos kleiner Masse ist die-ser Effekt wichtig. Die Heizung des Gases kann danngroß genug sein, dass der entstehende Druck den Ein-fall des Gases in das Gravitationspotential des DunklenHalos verhindert. Aus diesem Grunde erwartet man,

dass Halos kleiner Masse einen geringeren Baryonen-anteil haben, als es der kosmischen Mischung vonfb = Ωb/Ωm entspricht. Der jeweilige Wert des Baryo-nenanteils hängt von den Details der Mergergeschichteeines Halos ab. Quantitative Untersuchungen ergebeneine mittlere Baryonenmasse von

Mb = fb M[1+ (21/3 −1)MC/M

]3 , (9.7)

wobei MC ∼ 109 M� eine charakteristische Masse ist,unterhalb derer der Baryonenanteil in Halos unter-drückt ist. Für Halomassen � MC entspricht derBaryonenanteil dem kosmischen Mittel.

Der geringere Baryonenanteil von Halos kleinerMasse wird auch erwartet wegen der unterschiedli-chen Form des Massenspektrums von Halos, wie esdurch das Press–Schechter-Modell beschrieben wird,und der Form der Leuchtkraftfunktion von Galaxien.Erstere verhält sich für Massen unterhalb von M∗ etwawie ∝ M−2, während die Leuchtkraftfunktion etwawie ∝ L−1 verläuft. Diese unterschiedliche funktionaleForm ist mit einem konstanten Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis nicht verträglich.

Ein weiterer Prozess der Unterdrückung von Baryo-nen in Halos kleiner Masse ist der Feedback; die Über-tragung der kinetischen Energie von SN-Explosionenauf das Gas kann einen Teil des Gases aus dem Poten-tialtopf des Halos herausschleudern, und dieser Effektist umso effizienter, je kleiner die Bindungsenergie desGases, d. h. je kleiner die Halomasse ist. Die Unter-drückung der Entstehung von Galaxien kleiner Massedurch die hier erwähnten Effekte ist eine möglicheErklärung für das in Abschn. 7.5.5 diskutierte Pro-blem der CDM-Substruktur in Galaxienhalos. In diesemModell wären die CDM-Subhalos zwar vorhanden, hät-ten aber keine effiziente Sternentstehungsgeschichtedurchlaufen können – sie wären daher dunkel.

Major Mergers. Im Rahmen der semi-analytischenModelle entsteht bei einem ,,major merger“, der etwadurch das Massenverhältnis der verschmelzenden Ha-los (z. B. größer als 1:3) definiert ist, eine sphäroidaleSternpopulation – die Scheibenpopulationen der beidenverschmelzenden Galaxien werden so weit dynamischgeheizt, dass sie zusammen eine Elliptische Galaxiebilden. Das Gas in beiden Komponenten wird auf die

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9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung

393

Virialtemperatur des entstehenden Halos geheizt, wasdie künftige Sternentstehung unterdrückt.

Minor Mergers. Sind die Massen der beiden ver-schmelzenden Komponenten sehr verschieden, so wirddas Gas der kleineren Komponente im Wesentlichenauf den massereicheren Halo akkretieren, es kann dannwiederum kühlen und Sterne bilden. Dadurch kann sicheine neue Scheibenpopulation formieren. In diesem Mo-dell ist daher eine Spiralgalaxie dadurch entstanden,dass zu frühen Zeiten sich der Bulge durch einen ,,ma-jor merger“ gebildet hat und die Stern- und Gasscheibedurch minor Mergers und Gasakkretion später ausgebil-det wurde. Der Bulge einer Spirale ist daher in diesemBild nichts anderes als eine kleine Ellipse, wie dasja auch durch die sehr ähnlichen Charakteristika vonBulges und Ellipsen nahegelegt wird.

Das Verschmelzen der beiden Komponenten fin-det nicht instantan statt, sondern weil die kleinereGalaxie im Allgemeinen einen endlichen Bahndrehim-puls besitzt, wird sie zunächst in einem Orbit umdie massereiche Komponente landen. Ein Beispiel da-für ist etwa die Sagittarius-Zwerggalaxie, aber auchdie Magellanschen Wolken werden in ferner Zukunftmit der Milchstraße in dieser Weise verschmelzen.Durch dynamische Reibung verliert die Satelliten-galaxie an Bahnenergie, und der Gezeitenanteil desGravitationsfeldes entreißt ihr Sterne, Gas und DunkleMaterie; der Magellansche Strom (siehe Abb. 6.6) istvermutlich Folge dieses Prozesses. Erst nach mehre-ren Orbits – deren Zahl von den Anfangsbedingungenund dem Massenverhältnis abhängt – verschmilzt dieSatellitengalaxie mit der großen.

Resultate der semi-analytischen Modelle. Die freienParameter der semi-analytischen Modelle – wie etwadie Sternbildungseffizienz oder der Anteil der Energievon SNe, der auf das Gas übertragen wird – werdendurch den Vergleich mit Beobachtungen festgelegt. Ob-wohl diese Modelle zu einfach sind, um im Detaildie Prozesse der Galaxienentwicklung zu verfolgen,sind sie sehr erfolgreich in der Beschreibung der we-sentlichen Aspekte der Galaxienpopulation und werdenfortlaufend verfeinert. Beispielsweise sagt dieses Mo-dell voraus, dass Galaxien in Haufen im Wesentlichenaus alten Sternpopulationen bestehen, weil dort schonrecht früh in der kosmischen Geschichte die Verschmel-

zungsprozesse abgeschlossen wurden und somit späterkein Gas für die Sternentstehung mehr zur Verfügungsteht. Die Abb. 9.38 zeigt das Ergebnis eines solchenModells, wobei hier die Mergergeschichte der einzelnenHalos direkt aus der numerischen Simulation entnom-men wurde und somit auch die Positionen der einzelnenGalaxien beschrieben werden.

Durch den Vergleich der Resultate solcher semi-analytischen Modelle mit beobachteten Eigenschaftenvon Galaxien und ihrer räumlichen Verteilung kannman die Modelle immer weiter verfeinern und somitzu realistischeren Beschreibungen derjenigen Prozessegelangen, die man in parametrisierter Form in die Mo-delle einbezieht. Dieser Vergleich ist von zentralerBedeutung, um Forschritte im Verständnis der komple-xen Vorgänge bei der Entwicklung von Galaxien zuerzielen, die man weder durch die Beobachtung im De-tail studieren, noch durch grundlegende Simulationenbeschreiben kann.

Als ein Resultat solcher Modelle ist in der Abb. 9.39die Korrelationsfunktion von Galaxien dargestellt undmit der beobachteten Korrelationsfunktion aus dem2dFGRS verglichen. Die Übereinstimmung zwischendem Modell und den Beobachtungen ist sehr befriedi-gend; beide zeigen ein beinahe perfektes Potenzgesetz.Insbesondere weicht die Korrelationsfunktion derGalaxien für kleine Abstände deutlich von der Kor-relationsfunktion der Dunklen Materie ab, was einenskalenabhängigen Bias-Faktor impliziert. Es stellt sichdie Frage, welche Prozesse in der Entwicklung vonGalaxien zu einem so perfekten Potenzgesetz führen,also weshalb sich der Bias-Faktor gerade so verhält,um ξg diese einfache Form zu geben. Die Antwortdarauf ergibt sich, wenn man getrennt leuchtkräftigeund leuchtschwächere Galaxien, oder solche mit undohne aktueller Sternbildung untersucht – für dieseUnterpopulationen von Galaxien ist ξg jeweils kein Po-tenzgesetz. Aus diesem Grund ist die einfache Form derKorrelationsfunktion, wie sie in der Abb. 9.39 gezeigtist, vermutlich eher ein Zufall (,,cosmic conspiracy“).

Ein weiteres Ergebnis solcher Modelle ist in derAbb. 9.40 gezeigt, die ebenfalls aus der Millennium-Simulation (siehe Abschn. 7.5.3) stammt. Dort ist einerder massereichsten Halos Dunkler Materie in dieserSimulation bei der Rotverschiebung z = 6.2 gezeigt,zusammen mit der Massenverteilung in diesem Raum-gebiet bei der Rotverschiebung z = 0. In beiden Fällen

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

ist neben der Verteilung der Dunklen Materie auchdie aus semi-analytischen Modellen generierte Gala-xienverteilung dargestellt. Massereiche Halos, die sichfrüh in der kosmischen Geschichte bildeten, findensich heute vorzugsweise in den Zentren sehr masserei-cher Galaxienhaufen wieder. Wenn man nun annimmt,dass die leuchtkräftigen QSOs bei z ∼ 6 in den masse-reichsten Halos dieser Epoche beheimatet sind, so folgtdaraus, dass diese nun als zentrale Galaxien von Hau-fen weiterleben. Dies mag eine Erklärung dafür sein,warum so viele zentrale dominante HaufengalaxienAGN-Aktivität zeigen, wenn auch aufgrund kleinererAkkretionsraten mit geringerer Leuchtkraft.

Im Rahmen dieser Modelle werden auch Vorher-sagen gemacht über die statistische Entwicklung vonSMBHs in Galaxienkernen. Wenn zwei Galaxien ver-schmelzen, werden nach einiger Zeit auch ihre SMBHsmiteinander verschmelzen, wobei die entsprechendeZeitskala zurzeit nur schwer zu berechnen ist. Wegendes anfänglich großen Bahndrehimpulses befinden sichzu Beginn des Mergers die beiden SMBHs auf einemOrbit mit großem Abstand. Durch dynamische Rei-bung (siehe Abschn. 6.2.6) aufgrund der vorhandenen

Abb. 9.38. Links ist die aus einer N-Körper-Simulation re-sultierende Verteilung der Dunklen Materie dargestellt. Diein ihr identifizierten Halos Dunkler Materie wurden dannals Ort der Galaxienentstehung modelliert – die Entstehungder Halos und ihre Verschmelzungsgeschichte kann ja inden Simulationen verfolgt werden. Mittels semi-analytischerModelle wurden die für das Gas und die Sternbildungwichtigen Prozesse in den Halos beschrieben, woraus sich

dann ein Modell für die Verteilung der Galaxien ergibt.Im rechten Bild sind solche Modellgalaxien als farbigePunkte dargestellt, wobei die Farbe der Punkte die spekt-rale Farbe der Galaxien angibt: Blau steht für Galaxienmit aktiver Sternentstehung, Rot für Galaxien, die gegen-wärtig keine neuen Sterne mehr bilden; Letztere sind inGalaxienhaufen besonders häufig – in Übereinstimmung mitBeobachtungen

Abb. 9.39. Die aus der Millennium-Simulation in Verbindungmit semi-analytischen Modellen der Galaxienentwicklungberechnete Korrelationsfunktion der Galaxien bei z = 0(Punkte), verglichen mit der beobachteten Korrelations-funktion aus dem 2dFGRS (Rauten mit Fehlerbalken).Die gestrichelte Kurve zeigt die Korrelationsfunktion derMaterie

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9.6 Galaxienentstehung und Entwicklung

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Abb. 9.40. Aus der Millennium-Simulation (siehe Abb. 7.12)ist hier einer der massereichsten Halos bei z = 6.2 in denoberen Bildern dargestellt, sowie die entsprechende Vertei-lung dieses Raumgebiets bei z = 0 in den unteren Bildern.Dieser frühe massereiche Halo befindet sich also heute imZentrum eines sehr massereichen Galaxienhaufens. In denlinken Abbildungen ist die Massenverteilung dargestellt, wäh-

rend die rechten Figuren die Galaxienverteilung zeigt, wie sieaus einem semi-analytischen Modell berechnet wurden. Gala-xien bei z = 6.2 sind alle blau, da deren Sternpopulation jungsein muss, während bei z = 0 die meisten Galaxien eine alteSternpopulation besitzen, wie das hier durch die rote Farbe ge-kennzeichnet ist. Es ist jeweils die projizierte Verteilung einesWürfels mit mitbewegter Kantenlänge von 10h−1 Mpc gezeigt

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9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

(Dunklen) Materie verliert das Paar der SMBHs nachder Verschmelzung der Galaxien an Bahnenergie, sodass sich die beiden Schwarzen Löcher einander annä-hern. Da dieser Prozess relativ lange dauert und einemassereiche Galaxie neben wenigen Major Mergersviele Minor Mergers durchlebt, ist es denkbar, dass inGalaxien viele Schwarze Löcher, die sich ursprünglichim Kern von massearmen Satellitengalaxien befanden,heute noch in relativ großem Abstand vom Zentrum ihreOrbits durchlaufen.

In diesem Modell gibt es Phasen in der Entwicklungvon Galaxien, in denen sich nahe des Zentrums zweiSMBHs befinden. Es gibt eine Reihe von Hinweisen,dass man solche Galaxien beobachtet, beispielsweisegibt es Galaxien mit zwei Aktiven Kernen. Auchgibt es eine Klasse von Radioquellen, die eine X-förmige Morphologie zeigen (anstatt der üblichenbipolaren Struktur), was durch Paare von SMBHsgedeutet werden kann. Eine weitere Signatur einesBinärsystems von SMBHs wäre eine Periodizität derEmission, die die Bahnperiode widerspiegelt. Bei eini-gen AGNs wurden periodische Helligkeitsvariationenin der Tat entdeckt, wobei der Blazar OJ 287 mit ei-ner Periode von 11.86 Jahren das bekannteste Beispieldarstellt.

Der Massenzuwachs von SMBHs im Laufe derkosmischen Geschichte hat dann zwei verschiedeneUrsachen, zum einen die Verschmelzung mit ande-ren masseärmeren SMBHs als Folge von Mergers,zum anderen die Akkretion von Gas, die zur Aktivitätder SMBHs führt. Hierarchische Modelle der Gala-xienentwicklung mit ihren zentralen SMBHs könnensowohl unter bestimmten Annahmen die Korrela-tion (siehe Abschn. 3.5.3) zwischen der Masse desSMBHs und den Eigenschaften der sphäroidalen stella-ren Komponente reproduzieren als auch die integrierteAGN-Leuchtkraft und die rotverschiebungsabhängigeLeuchtkraftfunktion der AGNs erfolgreich modellieren.

Beim Verschmelzen zweier SMBHs findet in derEndphase eine intensive Emission von Gravitations-wellen statt. Das Weltraumprojekt LISA, welchesvoraussichtlich im Jahre 2013 gestartet wird, ist in derLage, praktisch im gesamten sichtbaren Universum dieGravitationswellenstrahlung von solchen Verschmel-zungsprozessen zu beobachten. Es wird daher dannmöglich sein, die Mergergeschichte von Galaxien direktzu verfolgen.

9.7 Gamma-Ray Bursts

Im Jahre 1968 entdeckten Spionagesatelliten zur Über-wachung von Atomtest-Abkommen γ -Blitze, wie mansie von nuklearen Explosionen erwartet. Allerdingsstellten diese Satelliten fest, dass diese Blitze nicht vonder Erde kamen, sondern von der entgegengesetztenRichtung – diese γ -Blitze waren also ein kosmischesPhänomen. Da es sich um geheime Satelliten han-delte, wurden diese Ergebnisse nicht sofort, sondernerst 1973 veröffentlicht. Diese Quellen erhielten denNamen Gamma-Ray Bursts (GRB).

Die Blitze haben sehr unterschiedliche Dauer, voneinigen Millisekunden bis zu ∼ 100 s, und unter-scheiden sich stark in ihrer jeweiligen Lichtkurve(siehe Abb. 9.41). Sie werden im Energiebereich von∼ 100 keV bis zu mehreren MeV und teilweise nochhöheren Energien beobachtet.

Die Natur der GRBs war zunächst völlig unklar,denn die Positionsbestimmung durch die Satelliten warviel zu ungenau, als dass man sie mit einer optischenQuelle hätte identifizieren können. Die Winkelauflö-sung dieser γ -Detektoren betrug viele Grad (teilweise2π Raumwinkel). Eine genauere Position wurde ausder Ankunftszeit der Bursts bei verschiedenen Satelli-ten bestimmt, aber die Fehlerbox war immer noch vielzu groß, um die Quelle in anderen Spektralbereichen zusuchen.

Das lange Zeit favorisierte Modell beinhaltete Ak-kretionsphänomene auf Neutronensternen. Falls derenEntfernung D ∼ 100 pc beträgt, dann wäre die entspre-chende Leuchtkraft etwa L ∼ 1038 erg/s, also etwa dieEddington-Leuchtkraft eines Neutronensterns. Weiter-hin gab es Anzeichen für Absorptionslinien in GRBs beietwa 40 keV und 80 keV, die als Zyklotron-Absorptiongedeutet wurde und die dann einem Magnetfeldvon ∼ 1012 Gauss entsprechen würde – wiederumein charakteristischer Wert für das Magnetfeld vonNeutronensternen.

Ein wesentlicher Durchbruch gelang mit demBATSE-Experiment auf dem Compton Gamma Ray Ob-servatory, mit dem über acht Jahre lang GRBs entdecktwurden, mit einer Rate von etwa einem pro Tag. Ausder Statistik dieser GRBs ergab sich, dass GRBs iso-trop am Himmel verteilt sind (siehe Abb. 9.42), unddass die Flussverteilung N(> F) vom F−1.5-Gesetz beikleinen Flüssen deutlich abweicht. Diese beiden Re-

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9.7 Gamma-Ray Bursts

397

Abb. 9.41. Gamma-Lichtkurven von einigen Gamma-Ray Bursts; man beachte die verschiedenen Zeitskalen. Es scheint, alsseien all diese Lichtkurven sehr unterschiedlich

sultate bedeuteten das Ende der Modelle, die GRBs mitNeutronensternen in unserer Milchstraße in Verbindungbrachten, wie aus folgendem Argument ersichtlich ist:

Neutronensterne sind zur Scheibe der Galaxis hinkonzentriert, und deshalb sollte die Verteilung der GRBs

eine deutliche Anisotropie besitzen – es sei denn,die typische Entfernung der Quellen wäre sehr klein(� 100 pc). Dann wäre die Verteilung möglicherweiseisotrop, aber die Flussverteilung müsste notwendiger-weise dem Gesetz N(> F) ∝ F−3/2 folgen, wie man

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398

9. Das Universum bei hoher Rotverschiebung

es für eine homogene Quellenverteilung erwartet undwie wir in Abschn. 4.1.2 diskutiert haben. Da dies nichtder Fall ist, wird eine andere Verteilung der Quellenbenötigt, und somit auch eine andere Art von Quellen.

Die einzige Möglichkeit, eine isotrope Verteilungzu erhalten, sind Quellen bei Entfernungen, die deut-lich größer sind als die Entfernung zum Virgo-Haufen,denn sonst würde man in dieser Richtung eine Über-dichte sehen, also D � 20 Mpc. Darüber hinaus besagtdie Abweichung vom N(> F) ∝ F−3/2-Gesetz, dass wirbis ,,zum Rand“ der Verteilung schauen, also solltedie typische Entfernung von GRBs einer relativ ho-hen Rotverschiebung entsprechen. Dies impliziert, dassdie gesamte Energie der Bursts E ∼ 1051 bis zu 1054 ergsein muss. Diese Energie entspricht der Ruhemasse Mc2

eines Sternes! Der größte Teil dieser Energie wird in-nerhalb von ∼ 1 s abgestrahlt, und in dieser Zeitspannesind GRBs leuchtkräftiger als alle anderen γ -Quellenim Universum zusammengenommen!

Mit dem Röntgensatelliten Beppo-SAX ist im Fe-bruar 1997 die Identifikation eines GRB in einemanderen Wellenlängenbereich geglückt. Innerhalb we-niger Stunden nach dem Burst beobachtete Beppo-SAXdas Feld der GRB-Fehlerbox und entdeckte eine tran-siente Quelle, wodurch die Positionsungenauigkeit aufwenige Bogenminuten reduziert werden konnte. Eineoptische Beobachtung dieses Feldes fand dann eben-falls eine transiente Quelle, so dass die Position diesesGRB nun sehr genau bestimmt war. Die Strahlung ei-nes GRB, nachdem der eigentliche Burst abgeschlossenist, nennt man Afterglow (Nachleuchten). Inzwischensind viele solcher GRB-Afterglows entdeckt worden.Die optische Identifikation erlaubt die Spektrosko-pie dieser Quellen und daher die Bestimmung derRotverschiebung.

GRB treten in Galaxien mit großer Rotverschiebungauf, typischerweise z ∼ 1 oder größer. In einem Fallwurde ein optischer Burst entdeckt mit der phantas-tischen Helligkeit von V ∼ 9 mag etwa 30 Sekundennach dem GRB, und das bei der Rotverschiebungz = 1.6! Diese Quelle war also für eine kurze Zeitscheinbar leuchtkräftiger als jeder Quasar im Univer-sum. Daher sind GRBs auch im Optischen sehr hellwährend oder kurz nach dem Ausbruch bei sehr hohenEnergien.

Nun kannte man zwar die Entfernung der Quel-len und daher deren Leuchtkraft; erstaunlicherweise

Abb. 9.42. Die Verteilung der Gamma-Ray Bursts an derSphäre, die von BATSE, einem Instrument an Bord desCGRO-Satelliten, innerhalb der etwa neunjährigen Missionaufgenommen worden sind; insgesamt sind hier 2704 GRBsdargestellt. Die Farbe der Symbole spiegelt die beobachteteStärke (Fluence, oder Energie pro Fläche) der Bursts wider.Man erkennt, dass die Verteilung in hohem Maße isotrop amHimmel ist

war aber auch dadurch die Natur der GRB immernoch nicht geklärt. Ein Modell der GRBs beschreibtihr Emissionsverhalten, inklusive der Afterglows, rechtgenau. In diesem Feuerball-Modell entsteht die Strah-lung in einem relativistischen Ausfluss mit einemLorenz-Faktor γ ≥ 100 von Elektron-Positron-Paaren.Wie aber dieser Feuerball zustande kommt, was alsodie physikalische Ursache des GRB ist, darüber gibtes verschiedene Hypothesen. Eine davon besagt, dassein GRB durch Verschmelzung zweier Neutronensterneoder eines Neutronensterns mit einem Schwarzen Lochzustande kommt. Die Emission ist dann vermutlichhochgradig anisotrop, daher kann die Abschätzungder Leuchtkraft aus dem beobachteten Fluss fehler-haft sein. Die Entdeckung der Koinzidenz zweier GRBsmit Supernova-Explosionen legt alternativ nahe, dass essich bei GRBs um besonders energetische Sternexplo-sionen handelt, sog. Hypernovae. Sicherlich werden inden nächsten Jahren ein Großteil der Geheimnisse derGRBs aufgedeckt werden.

Dazu wurde im November 2004 der Satellit SWIFTgestartet, der auf die Entdeckung und Identifikation vonGRBs spezialisiert ist. Dieser Satellit trägt drei Instru-mente: ein Weitwinkel-Gamma-Teleskop, das die GRBsentdeckt, ein Röntgenteleskop sowie ein UV-optisches

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9.7 Gamma-Ray Bursts

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Teleskop. Innerhalb weniger Sekunden nach der Entde-ckung eines GRB richtet sich der Satellit auf den Burstaus, so dass er mit den beiden letztgenannten Teleskopenbeobachtet werden kann und somit seine genaue Posi-tion fixiert wird. Diese Information wird dann sofort

zu Boden gefunkt, wo andere Teleskope den Afterglowverfolgen können. Man erwartet, mit SWIFT etwa 100GRBs pro Jahr zu entdecken und somit eine deutlichverbesserte Statistik ihrer Afterglow-Lichtkurven undihrer Rotverschiebungen zu erhalten.

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10. AusblickeWir beenden dieses Buch mit einem Ausblick auf dienächsten Jahre der extragalaktischen Astronomie undKosmologie, so wie sie sich im Jahre 2005 darstellt.

Die (extragalaktische) Astronomie verdankt ihreFortschritte den ständig verbesserten instrumentellenMöglichkeiten und der Verfeinerung unseres theoreti-schen Verständnisses astrophysikalischer Prozesse. Esist ohne Schwierigkeiten vorauszusehen, dass sich dieinstrumentelle Entwicklung auch in der nahen Zukunftrasant fortsetzen und dadurch ein ständig verbessertesStudium der kosmischen Objekte ermöglicht wird. Hierseien nur einige Beispiele genannt. Die Größe von Weit-winkelkameras hat im Jahre 2003 mit Megacam amCFHT zum ersten Mal den Wert von ∼ (20 000)2 Pi-xeln erreicht und erlaubt damit, ein Quadratgrad desHimmels mit der dem Seeing an den besten Observato-rien angepassten Auflösung gleichzeitig zu beobachten(siehe Abb. 10.1). Weitere ähnliche Instrumente die-

Abb. 10.1. Weitwinkelkameras, eingesetzt an Teleskopen mitexzellenten atmosphärischen Bedingungen, können von einergroßen Zahl von Objekten gleichzeitig detaillierte Aufnahmenerzeugen, wie hier mittels der CFH12K-Kamera am CFHT de-monstriert ist. Die Zahlen geben die Anzahl der dargestelltenPixel an, wobei die Pixelgröße 0′′. 2 beträgt

ser Art befinden sich kurz vor der Fertigstellung, wieetwa OmegaCAM, eine Quadratgrad-Kamera am neu-gebauten VLT Survey Telescope auf dem Paranal. Auchdie Entwicklung von NIR-Detektoren ist rasant undwird schon sehr bald den Betrieb von Weitwinkelka-meras im Nah-Infraroten erlauben. So wird 2007 das4-Meter-Teleskop VISTA auf dem Paranal in Betriebgehen, welches mit einer Weitwinkel-NIR-Kamera aus-gestattet sein wird. Die Kombination von tiefen undweiten optischen und NIR-Bildern wird zu enormenEntwicklungen in der Astronomie führen, etwa im Be-reich der Galaxiensurveys, für die dann sehr genauephotometrische Rotverschiebungen bestimmt werdenkönnen, sowie für den schwachen Gravitationslinsen-effekt und die Suche nach sehr seltenen Objekten.Weiterhin hat sich im Laufe eines Jahrzehnts die zurVerfügung stehende Spiegelfläche von optischen Groß-teleskopen vervielfacht (siehe Abb. 10.2), und bereitsjetzt sind etwa 10 Teleskope der 10-Meter-Klasse inBetrieb – das Erste davon, Keck I, wurde erst im Jahre1993 fertig. Hinzu kommt, dass die Entwicklung vonadaptiver Optik es erlauben wird, vom Boden auseine beugungsbegrenzte Winkelauflösung zu erreichen(Abb. 10.3).

Als weiterer Schritt der Verbesserung der Winkelauf-lösung wird sich in den nächsten Jahren zunehmend dieoptische und NIR-Interferometrie entwickeln. So sindetwa die beiden Keck-Teleskope (Abb. 1.28) so mon-tiert, dass sie für die Interferometrie genutzt werdenkönnen. Die vier Teleskope des VLT können sowohluntereinander als auch mit kleineren Zusatzteleskopenzu einem Interferometer zusammengekoppelt werden(Abb. 1.31). Schließlich wird mit dem Bau des Large Bi-nocular Telescope (LBT), zweier 8.4 Meter-Teleskope,die auf einer gemeinsamen Plattform montiert sind unddie speziell für die Interferometrie konstruiert wur-den, eine neue Ära der hochauflösenden optischenAstronomie beginnen.

Das Hubble Space Telescope hat sich als das ver-mutlich erfolgreichste astronomische Observatoriumaller Zeiten herausgestellt. Dieser Erfolg ist durch diegegenüber bodengebundenen Teleskopen enorm gestei-gerte Winkelauflösung und die reduzierte Helligkeitdes Nachthimmels, gerade bei den größeren Wellen-

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Abb. 10.2. Darstellung der Spiegelflächeder großen optischen Teleskope, linksauf der Nordhalbkugel, rechts auf derSüdhalbkugel der Erde. Die gesamte Licht-sammelfläche optischer Teleskope hat sichin den letzten zehn Jahren vervielfacht;nimmt man die Entwicklung der Detektorendazu, ist leicht zu erkennen, warum die be-obachtende Kosmologie solche Fortschrittegemacht hat und immer noch macht

Abb. 10.3. Die Verbesserung der Winkel-auflösung als Funktion der Zeit. Die obereKurve beschreibt die Winkelauflösung, dieman im beugungsbegrenzten Fall erreichenwürde, wobei einige der historisch bedeutsa-men Teleskope eingetragen sind. Die untereKurve zeigt die tatsächlich erreichte Win-kelauflösung; diese ist im Wesentlichenbeschränkt durch atmosphärische Turbu-lenz (Seeing), so dass nicht die Größe derTeleskope, sondern vor allem die Qualitätder Observatorien die entscheidende Rollespielt. Man sieht, dass die Eröffnung derObservatorien auf dem Mount Palomar, aufMauna Kea, La Silla und Paranal zu erhebli-chen Sprüngen in der Auflösung geführt hat;ein weiterer Sprung wurde durch das HSTgeschafft. Die nächsten wesentlichen Ver-besserungen werden durch adaptive Optikund Interferometrie erreicht

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10. Ausblicke

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längen, zu erklären. Die Wichtigkeit des HST fürdie extragalaktische Astronomie begründet sich auchaus der vor dem Start des HST weitgehend unbe-kannten Natur von Galaxien großer Rotverschiebung:Diese sind klein und haben deshalb eine große Flä-chenhelligkeit, woraus sich der Vorteil der exzellentenWinkelauflösung des HST ergibt. Die durch verschie-dene Service-Missionen an Bord des HST gebrachtenneuen Instrumente haben die Leistungsfähigkeit desObservatoriums stets verbessert. Umso mehr ist die Ent-scheidung der NASA, keine Service-Mission mehr zustarten, eine große Enttäuschung für die optische (undUV-) Astronomie.

Allerdings ist das Nachfolgeobservatorium des HSTbereits in intensiver Planung und soll nach derzeiti-gem Stand (Mai 2005) im Jahre 2011 gestartet werden.Dieses Next Generation Space Telescope (das den Na-men James Webb Space Telescope – JWST – erhielt)wird mit 6.5 Metern Durchmesser deutlich empfindli-cher als HST sein (siehe Abb. 10.4). Weiterhin wirdJWST für NIR-Wellenlängen (1 bis 5 μm) optimiertsein und daher insbesondere Quellen bei sehr großen

Abb. 10.4. Künstlerische Darstellung des 6.5 Meter JamesWebb Space Telescope. Der Spiegel ist segmentiert unddurch einen Schild von der Sonneneinstrahlung geschütztund dadurch auf ∼ 35 K passiv gekühlt; dies erlaubt NIR-Beobachtungen mit bislang unbekannter Empfindlichkeit

Rotverschiebungen beobachten können, deren Stern-licht ins NIR rotverschoben ist. Bereits jetzt beobachtetdas im Jahre 2003 gestartete Spitzer Space Teles-cope den Infrarot-Himmel mit erheblich verbesserterEmpfindlichkeit gegenüber früheren Instrumenten. Ins-besondere erhofft man sich durch das JWST, die erstenGalaxien und die ersten AGNs zu beobachten undsomit diejenigen Quellen zu identifizieren, die fürdie Reionisation des Universums verantwortlich sind.JWST wird neben einer NIR-Kamera, die bis zu Wel-lenlängen von 0.6 μm empfindlich sein wird, einenMulti-Objekt-Spektrographen haben, der für die spek-troskopische Untersuchung von Galaxiensamples beihohen Rotverschiebungen optimiert ist und die Emp-findlichkeit aller vorher vorhandenen Instrumente umeinen riesigen Faktor übertreffen wird. Weiterhin wirdJWST ein MIR-Instrument tragen, welches für Pho-tometrie und Spektroskopie im Wellenlängenbereich5 μm ≤ λ ≤ 28 μm entwickelt wird.

Für die Röntgenastronomie wird zurzeit ein neu-artiges Observatorium geplant, dessen Brennweite sogroß ist, dass man zwei Satelliten dazu benötigt:Der eine trägt das Spiegelsystem, während der an-dere die Instrumente beheimatet. Damit ein solchesSystem funktioniert, muss die Entfernung zwischenbeiden Satelliten stets genau gleich gehalten werden,was eine technologische Herausforderung im Forma-tionsflug darstellt. Solch einen Formationsflug mussman auch beherrschen, um künftige IR-Interferometerim Weltall betreiben zu können. Mit diesem NextGeneration X-ray Telescope (NGXT) wird man Gala-xienhaufen auch bei den größten Rotverschiebungenbeobachten und das Studium von AGNs zu deutlichniedrigeren Leuchtkräften ausdehnen können. Insbe-sondere wird man damit die Physik des Gases in derunmittelbaren Nähe von Schwarzen Löchern im Detailuntersuchen können.

Im Infrarotbereich wird ab 2006 durch SOFIA (Stra-tospheric Observatory for Infrared Astronomy) einelangfristige Beobachtungsplattform für ca. 20 Jahregeschaffen. Dabei handelt es sich um ein 2.7-MeterTeleskop, welches in einer eigens dafür umgerüste-ten Boing 747 in einer Höhe von ca. 13 km fliegenwird und somit im Bereich von 5 bis 300 μm beobach-ten kann. SOFIA ist daher ein Nachfolgeprojekt desKuiper Airborne Observatory. Im Ferninfraroten wirdvoraussichtlich im Jahre 2008 das Herschel-Teleskop

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10. Ausblicke

von der ESA gestartet; mit seinem 3.5 Meter-Spiegelist dieses Teleskop im betrachteten Wellenlängenbe-reich um ein Vielfaches empfindlicher als alles bisherDagewesene. Herschel wird zusammen mit dem Planck-Satelliten gestartet, der uns ein noch detaillierteres Bilddes Mikrowellenhimmels liefern wird als WMAP, undinsbesondere aufgrund der sehr viel breiteren spektra-len Empfindlichkeit nicht nur eine kosmologisch sehrbedeutsame Mission sein wird, sondern mit seiner Him-melsdurchmusterung auch vielen anderen Bereichen derAstronomie nutzen wird – die Entdeckung von Ga-laxienhaufen durch den Sunyaev–Zeldovich-Effekt seibeispielhaft genannt.

Auch im Radiobereich des Spektrums stehen revolu-tionäre Entwicklungen bevor. Zum einen wird durchneue mm- und sub-mm-Teleskope wie etwa APEXdie Staubemission von Sternentstehungsgebieten sehrviel besser beobachtbar als bisher. APEX wird einenSunyaev–Zeldovich-Survey für Galaxienhaufen durch-führen und somit eine alternative Strategie für dieSuche nach Haufen realisieren – es bildet in dieserHinsicht eine Brücke zu Planck. Dabei erwartet maninsbesondere eine große Zahl von Haufen mit ho-her Rotverschiebung. Zum Ende dieser Dekade hinwird dann ALMA (Atacama Large Millimeter Ar-ray, Abb. 10.5), ein Interferometer mit 64 Antennen,errichtet sein und mit sehr viel größerer Empfind-lichkeit und phantastisch verbesserter Winkelauflösungden sub-mm-Himmel beobachten. Die Errichtung vonTeleskopen in der Antarktis wird wegen der dorti-gen Trockenheit der Atmosphäre die Infrarot- undsum-mm-Astronomie weiter befördern.

Abb. 10.5. Künstlerische Darstellung des Atacama Large Mil-limeter Array (ALMA), das zurzeit auf dem 5000 Meter hohenLlano de Chajnantor in Chile gebaut wird. Die 64 Antennenmit jeweils 12 Metern Durchmesser, betrieben im interfe-

rometrischen Modus, werden aufgrund der Sammelflächeund der exzellenten atmosphärischen Bedingungen an diesemStandort eine völlig neue Epoche der Millimeter-Astronomieeröffnen

Bei noch größeren Wellenlängen wird sich ebenfallseine rasante technische Entwicklung ergeben; es werdenzurzeit Radioteleskope konzipiert, deren Antennenkeu-len digital im Rechner erzeugt werden. Solche digitalenRadiointerferometer erlauben nicht nur eine sehr vielbessere Empfindlichkeit und Winkelauflösung, sondernermöglichen die Beobachtung vieler Quellen gleich-zeitig. LOFAR wird voraussichtlich der Prototyp einessolchen Instrumentes, das bei Frequenzen unterhalb vonetwa 200 MHz beobachten wird. Später wird mit demSquare Kilometer Array (SKA) eine sehr viel größereAnlage konzipiert, was dann zu einer wahren Revo-lution der Radioastronomie führen wird. Die Grenzendieser Instrumente sind nicht mehr durch die Eigen-schaften der einzelnen Antennen beschränkt, sonderndurch die Kapazität der Rechner, mit denen die Datenanalysiert werden. Um diese digitalen Radiointerfero-meter entsprechend ihrer Möglichkeiten zu nutzen, wirdeine gewaltige Entwicklung der Hardware und Softwareder Rechneranlagen erforderlich sein.

Neue Fenster der astronomischen Beobachtungwerden geöffnet. Bereits heute sind die ersten Gra-vitationswellenantennen gebaut, und ihre nächsteGeneration wird voraussichtlich Signale von rela-tiv nahen Supernova-Explosionen entdecken können.Mit LISA wird insbesondere die Verschmelzung vonSMBHs im gesamten sichtbaren Universum möglich,wie oben bereits erwähnt. Riesige Neutrino-Detektorenwerden das Feld der Neutrino-Astronomie eröffnen undbeispielsweise Prozesse im Innersten von AGNs direktbeobachten können. Observatorien zum Studium vonKosmischer Strahlung werden gebaut, wobei seit 2004

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10. Ausblicke

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das Pierre-Auger-Observatorium in Argentinien betrie-ben wird, welches vor allem die höchstenergetischeStrahlung untersuchen soll.

Neben diesen Fortschritten im instrumentellen Be-reich schreitet auch die Entwicklung der Theorie stetigvoran. Dabei ist die Rechnerkapazität für numerischeSimulationen nur ein Aspekt, wenngleich ein wichtiger.Neue Ansätze der Modellierung und der Modellbildungsind nicht minder von Bedeutung. Die enge Verzahnungvon Theorie, Modellierung und Beobachtung wird eineimmer stärkere Bedeutung gewinnen, weil die Komple-xität der Datensätze immer mehr der Modellierung undSimulation zu ihrer quantitativen Interpretation bedarf.

Die Herausforderungen für die nächsten Jahre wer-den sicherlich einerseits in der Erschließung des sehrweit entfernten Universums liegen, dem Studium derEntwicklung kosmischer Objekte und Strukturen beisehr hohen Rotverschiebungen, bis hin zur Reionisationdes Universums. Um die dort neu gewonnenen Erkennt-nisse mit dem Wissen über unser lokales Universum zuverknüpfen und damit ein schlüssiges Gesamtbild desKosmos zu entwerfen, werden sowohl umfangreichetheoretische Untersuchungen vonnöten sein als auchextensive Beobachtungen in einem möglichst breitenWellenlängenbereich. Andererseits wird sich mit demAstrometrie-Satelliten GAIA die einmalige Chance bie-ten, Kosmologie in unserer Milchstraße zu betreiben. Sokönnen mit GAIA z. B. die oben genannten Sternströmenachgewiesen werden, die sich beim Zerreißen von Sa-tellitengalaxien in der Vergangenheit der Milchstraßegebildet haben. Die mit GAIA gewonnenen Erkennt-nisse werden uns auch dem detaillierten Verständnisanderer Galaxien näher bringen.

Die zweite große Herausforderung der nächstenJahre besteht in der fundamentalen Physik, die derKosmologie zugrunde liegt. Aus der Beobachtungvon Galaxien und Galaxienhaufen, aber auch der Be-stimmung der kosmologischen Parameter wurde dieExistenz der Dunklen Materie nachgewiesen. Da eskeine plausible astrophysikalische Erklärung ihrer Na-tur gibt, handelt es sich vermutlich um eine neue Formvon Elementarteilchen. Zwei verschiedene Strategienzum Auffinden dieser Teilchen werden zurzeit verfolgt:zum einen wird versucht, diese Teilchen, die sich auchin der Umgebung des Sonnensystems befinden sollten,direkt in Labors nachzuweisen, die sich tief unter derErde oder in Tunnels befinden, um gegen die kosmi-

sche Strahlung abgeschirmt zu sein. Mehrere solcherExperimente, die aufgrund der zu erreichenden Emp-findlichkeitsgrenzen technisch extrem herausforderndsind, befinden sich zurzeit in Betrieb und werden denParameterraum der WIMPS in Masse und Wirkungs-querschnitt in den nächsten Jahren eingrenzen, wobeidas Modell der Dichteverteilung der Dunklen Mate-rie in unserer Milchstraße eingeht. Zum anderen wirdnach dem Jahr 2007 der Large Hadron Collider amForschungszentrum CERN einen neuen Energiebereichder Elementarteilchenphysik zugänglich machen, wo-bei man Hinweise darauf erwartet, ob das Modell derSupersymmetrie als Erweiterung des Standardmodellsder Teilchenphysik gültig ist. In der Tat hofft man, dasleichteste supersymmetrische Teilchen, das Neutralino,zu finden, welches dann ein ausgezeichneter Kandidatfür die Dunkle Materie wäre.

Während für die Natur der Dunklen Materie zumin-dest plausible Ideen existieren, die in den kommendenJahren empirisch überprüft werden können, stelltdie aus der Kosmologie erschlossene und von Nullverschiedene Dichte der Dunklen Energie die funda-mentale Physik vor ein noch größeres Rätsel. Obwohlman aus der Quantenmechanik erwarten würde, dasses eine Vakuumsenergie gibt, ist die abgeschätzteDichte dieser Energie so ungeheuer viel größer alsdie kosmologische Dichte ρΛ, dass diese Interpre-tation der Dunklen Energie zunächst nicht plausibelerscheint. Als Kosmologe könnte man sich auf denStandpunkt stellen, dass die Dunkle Energie nichts an-deres ist als die ursprünglich von Einstein eingeführteKosmologische Konstante, die dann als zusätzlicheNaturkonstante in den Grundgleichungen der Physikauftauchen würde. Vom physikalischen Standpunkt ausjedoch wäre es deutlich befriedigender, wenn sichdie Natur der Dunklen Energie aus den Gesetzen derfundamentalen Physik ableiten ließe. Die oben er-wähnte ungeheure Diskrepanz der Größenordnungenzeigt, dass wir zurzeit noch weit entfernt sind von ei-nem physikalischen Verständnis der Dunklen Energie.Man darf vermuten, dass dazu eine Theorie entwi-ckelt werden muss, die die Quantenphysik und dieGravitationsphysik vereinheitlicht. Das Erstellen einersolchen Quantengravitation stellt sich jedoch als enormproblematisch heraus. Andererseits ist die Dichte derDunklen Energie so gering, dass sie sich nur auf denallergrößten Längenskalen bemerkbar macht, was die

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10. Ausblicke

Notwendigkeit weiterer astronomischer und kosmo-logischer Experimente impliziert. Um die Natur derDunklen Energie zu testen, insbesondere um zu un-tersuchen, ob die Dichte der Dunklen Energie eineKonstante ist oder aber mit der Rotverschiebung vari-iert, sind zurzeit zwei Ansätze am vielversprechendsten:zum einen das Studium des Hubble-Diagramms vonTyp-Ia-Supernovae, und zum anderen die KosmischeScherung. Um die Empfindlichkeit dieser beiden kos-mologischen Proben um ein Vielfaches zu verbessern,wird zurzeit eine Satellitenmission geplant, die mittelsWeitwinkel-Vielfarbenphotometrie diese beiden Me-thoden zur präzisen Anwendung bringen soll. Weiterhingibt es mehrere Projekte zum Bau von Weitwinkelka-meras an großen bodengebundenen Telekopen, die u. a.die Anwendung dieser beiden Methoden zum Ziel ha-ben – darunter das Large Synoptic Survey Telescope, ein8-Meter-Teleskop mit einer ∼ 7-Quadratgrad-Kamera.

Obwohl die Inflation inzwischen Bestandteil desStandardmodells der Kosmologie ist, hat man die physi-kalischen Prozesse der inflationären Phase bisher nichtverstanden. Die Tatsache, dass verschiedene feldtheo-retische Modelle der Inflation zu sehr ähnlichen kos-mologischen Konsequenzen führen, ist einerseits sehrpositiv: Vom Standpunkt der Kosmologie sind die De-tails der Inflation nicht unmittelbar relevant, solange nurdie exponentielle Ausdehnung stattgefunden hat. Ande-rerseits stellt diese Tatsache jedes Studium der inflatio-nären Prozesse vor große Probleme, da sich verschie-dene Modelle in ihren empirischen Konsequenzen nurwenig unterscheiden. Als vielversprechendste Probe derInflation gilt die Polarisation der kosmischen Mikrowel-lenstrahlung, weil mit ihr untersucht werden kann, obund in welchem Maße bei der Inflation Gravitationswel-len erzeugt wurden, was ein Unterscheidungsmerkmalder verschiedenen inflationären Modelle darstellt. In derÄra nach dem Planck-Satelliten wird man sich sicher-lich einer Mission zuwenden, die diese Polarisation mitgenügender Genauigkeit vermessen kann.

Diese letztgenannten drei Aspekte sind die vielleichtbesten Beispiele, dass Fortschritte in der Kosmologieund der fundamentalen Physik nur in einer engen Zu-sammenarbeit zwischen der theoretischen Elementar-teilchenphysik, der experimentellen Teilchenphysik undder Astronomie zu erzielen sein werden.

Zum Schluss, und für einige Leser vielleicht zuspät, soll noch einmal darauf hingewiesen werden, dass

in diesem Buch von der Voraussetzung ausgegangenwurde, dass die physikalischen Gesetze, wie wir siekennen, für die Interpretation von kosmischen Phäno-menen herangezogen werden können. Wir haben keinenBeweis dafür, dass diese Annahme korrekt ist, aberdie Erfolge dieser Vorgehensweise rechtfertigen dieseAnnahme im Nachhinein: Wenn diese Annahme grobverletzt wäre, gäbe es keinen Grund für die Überein-stimmung der Werte der kosmologischen Parameter,die mit grundsätzlich verschiedenen Methoden unddaher unter Einbeziehung unterschiedlicher physika-lischer Prozesse gewonnen wurden. Der Preis für dieAkzeptanz des sich daraus ergebenden Standardmodellsist allerdings hoch, verlangt sie doch, dass wir die Do-minanz von Dunkler Materie und Dunkler Energie imUniversum als Faktum hinnehmen.

Nicht jeder Kosmologe ist bereit, diesen Preis zuakzeptieren; so stellte etwa M. Milgrom die Hypo-these auf, zur Erklärung der flachen Rotationskurvenvon Spiralgalaxien sei nicht etwa die Existenz Dunk-ler Materie heranzuziehen, sondern es könnte auch sein,dass das Newtonsche Gravitationsgesetz auf Skalen von10 kpc nicht mehr gültig sei – immerhin ist es auf die-sen Skalen und den damit zusammenhängenden kleinenBeschleunigungen nicht getestet worden. Seine Modi-fied Newtonian Dynamics (MOND) stellt daher einelogisch mögliche Alternative zum Postulat Dunkler Ma-terie auf Galaxienskalen dar. In der Tat bietet MONDu. a. eine Erklärung für die Tully–Fisher-Relation vonSpiralen.

Es gibt verschiedene Gründe, warum nur wenigeAstrophysiker diesen Ansatz weiterverfolgen. Legt manden zusätzlichen freien Parameter innerhalb MONDso fest, dass die Rotationskurven von Spiralen ohneDunkle Materie reproduziert werden, dann kann dieseTheorie die Dynamik von Galaxien in Galaxienhaufennicht ohne die Existenz von Dunkler Materie erklären.Allerdings sind die Konsequenzen von MOND nochdeutlich weitreichender: Falls das Gravitationsgesetzvom Newtonschen Gesetz abweichen würde, so wäreauch die Gültigkeit der Allgemeinen Relativitätstheoriein Frage gestellt, die das Newtonsche Kraftgesetz alsGrenzfall kleiner Gravitationsfelder enthält. Die Allge-meine Relativitätstheorie liegt aber den Weltmodellenzugrunde; wird ihre Gültigkeit in Zweifel gezogen,so verliert man gleichzeitig die Basis der kosmologi-schen Modelle, und somit die Übereinstimmung der

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quantitativen Resultate aus den verschiedenartigen kos-mologischen Tests, wie wir sie in Kapitel 8 beschriebenhaben. Die Akzeptanz von MOND fordert einen nochhöheren Preis als die Existenz von Dunkler Materie.

Dieses Beispiel zeigt, dass die Infragestellung eineseinzelnen Aspekts des Standardmodells zur Konse-quenz hat, dass das ganze Modell ins Wanken gerät. Diesbedeutet nicht, dass es nicht etwa andere kosmologischeModelle geben kann, die ebenso wie das Standard-modell die relevanten Beobachtungen widerspruchsfreierklären können, sondern dass eine unterschiedliche In-terpretation eines Einzelaspekts nicht isoliert betrachtetwerden darf, und stattdessen in seinem Zusammen-

hang gesehen werden muss. Selbstverständlich ist diesproblematisch für die Verfechter alternativer Modelle,denn während die überwiegende Mehrheit der Kos-mologen hart daran arbeitet, das Standardmodell zuverifizieren, zu verfeinern und zu einem Gesamtbildzu kommen, sind die Forschergemeinden der alterna-tiven Modelle klein und daher nicht in der Lage, einüberzeugendes umfassendes Modell der Kosmologiezusammenzufügen. Diese Tatsache findet ihre Recht-fertigung in den Erfolgen des Standardmodells, in derÜbereinstimmung von Beobachtungen mit den Vorher-sagen dieses Modells, wie zuletzt durch die Resultatevon WMAP.

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Anhang

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A. Das elektromagnetische StrahlungsfeldIn diesem Anhang wollen wir die wichtigsten Eigen-schaften eines Strahlungsfelds kurz zusammenfassen.Dabei gehen wir davon aus, dass der Leser mit die-sen Größen bereits in anderem Zusammenhang inBerührung gekommen ist.

A.1 Die Größen des Strahlungsfeldes

Das elektromagnetische Strahlungsfeld wird beschrie-ben durch die spezifische Intensität Iν, die wie folgtdefiniert ist: Man betrachtet ein Flächenelement d A;die Strahlung, die aus einem Raumwinkelelement dω

um eine Richtung, die durch den Einheitsvektor n be-schrieben wird, im Frequenzbereich zwischen ν undν +dν pro Zeitintervall dt durch diese Fläche strömt,ist gegeben durch

dE = Iν d A cos θ dt dω dν , (A.1)

wobei θ den Winkel zwischen der Richtung n desLichtes und dem Normalenvektor des Flächenelementsbeschreibt. Daher ist d A cos θ die in Richtung des ein-fallenden Lichtes projizierte Fläche. Die spezifischeIntensität hängt dabei vom betrachteten Ort (und, beizeitabhängigen Strahlungsfeldern, von der Zeit), derRichtung n und der Frequenz ν ab. Aufgrund der De-finition (A.1) ist die Dimension von Iν Energie proFläche, Zeit, Raumwinkel und Frequenz, und wird ty-pischerweise in der Einheit erg cm−2 s−1 ster−1 Hz−1

gemessen. Die spezifische Intensität einer kosmischenQuelle gibt ihre Flächenhelligkeit an.

Der spezifische Nettofluss, der durch das Flächen-element strömt, ergibt sich aus der Integration derspezifischen Intensität über alle Raumwinkel,

Fν =∫

dω Iν cos θ . (A.2)

Der Fluss, den wir von einer Quelle an der Sphäre emp-fangen, ist ebenfalls so definiert, nur dass kosmischeQuellen in der Regel einen sehr kleinen Raumwinkeleinnehmen und wir deshalb den Faktor cos θ in (A.2)weglassen können; in diesem Zusammenhang wird derspezifische Fluss auch mit Sν bezeichnet. In diesem

Anhang (und nur hier!) werden wir jedoch die Be-zeichnung Sν für eine andere Größe reservieren. DerFluss wird gemessen in der Einheit erg cm−2 s−1 Hz−1.Falls das Strahlungsfeld isotrop ist, so verschwindet Fν:In diesem Fall strömt gleichviel Strahlung in beidenRichtungen durch die Fläche.

Die mittlere spezifische Intensität Jν ist definiert alsMittelwert von Iν über alle Winkel,

Jν = 1

∫dω Iν , (A.3)

so dass für ein isotropes Strahlungsfeld Iν = Jν ist. Diespezifische Energiedichte uν hängt mit Jν über

uν = 4π

cJν (A.4)

zusammen, wobei uν die Energie des Strahlungs-felds pro Volumenelement und Frequenzintervall istund daher in erg cm−3 Hz−1 gemessen wird. Die Ge-samtenergiedichte der Strahlung erhält man durchIntegration von uν über die Frequenz. In gleicher Weiseerhält man die Intensität der Strahlung durch Integrationvon Iν über ν.

A.2 Strahlungstransport

Entlang der Ausbreitungsrichtung eines Lichtstrahlsist die spezifische Intensität konstant, solange keineEmissions- oder Absorptionsprozesse stattfinden. Wenns die Länge entlang eines Lichtstrahls misst, so drücktman obige Tatsache aus durch

d Iνds

= 0 . (A.5)

Eine direkte Konsequenz dieser Gleichung ist, dass dieFlächenhelligkeit einer Quelle unabhängig von ihrerEntfernung ist. Der beobachtbare Fluss einer Quellehängt von ihrer Entfernung ab, weil der Raumwinkel,unter dem man eine Quelle beobachtet, mit dem Quad-rat des Abstands abnimmt, Fν ∝ D−2 (siehe Gl. A.2).Durch Emission und Absorption (bzw. durch Streuungvon Licht) kann sich die spezifische Intensität ent-

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412

A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld

lang eines Lichtstrahls ändern. Diese Effekte werdenbeschrieben durch die Strahlungstransportgleichung

d Iνds

= −κν Iν + jν . (A.6)

Der erste Term beschreibt die Absorption von Strah-lung und besagt, dass die auf einem Streckenintervall dsabsorbierte Strahlung proportional zur einfallendenStrahlung ist. Der Proportionalitätsfaktor ist der Ab-sorptionskoeffizient κν, der die Einheit cm−1 trägt. DerEmissionskoeffizient jν beschreibt die dem Lichtstrahldurch Emissionsprozesse zugefügte Energie und trägtdie Einheit erg cm−3 s−1 Hz−1 ster−1; es ist daher diepro Volumenelement, Zeitintervall, Frequenzintervallund Raumwinkel emittierte Strahlungsenergie.

Absorptions- und Emissionskoeffizient beinhaltensowohl echte Absorptions- und Emissionsprozesse alsauch die Streuung von Strahlung. In der Tat kann mandie Streuung von Photonen betrachten als Absorption,auf die sofort eine Emission eines Photons folgt.

Die optische Tiefe τν entlang eines Lichtstrahls wirdals Integral über den Absorptionskoeffizient definiert,

τν(s) =s∫

s0

ds′ κν(s′) , (A.7)

wobei s0 einen Referenzpunkt auf dem Lichtstrahl be-zeichnet, von dem aus die optische Tiefe gemessen wird.Dividieren wir (A.6) durch κν und benutzen den Zusam-menhang dτν = κν ds, um die optische Tiefe als neueVariable entlang des Lichtstrahls einzuführen, so lässtsich die Strahlungstransportgleichung schreiben als

d Iνdτν

= −Iν + Sν , (A.8)

wobei wir die Quellfunktion

Sν = jνκν

(A.9)

als Quotient von Emissions- und Absorptionskoeffizi-enten definiert haben. In dieser Form können wir dieStrahlungstransportgleichung formal lösen; wie mandurch Einsetzen sofort nachprüfen kann, gilt

Iν(τν) = Iν(0) exp (−τν)

+τν∫

0

dτ ′ν exp

(τ ′ν − τν

)Sν(τ

′ν) . (A.10)

Diese Gleichung hat eine einfache Interpretation. Wenndie einfallende Intensität Iν(0) ist, so ist diese nach ei-ner optischen Tiefe τν durch Absorption auf den WertIν(0) exp (−τν) abgefallen. Andererseits wird demLichtstrahl durch Emission Energie zugefügt, wobeiauch diese zwischen dem Ort der Emission und dem be-trachteten Punkt bei τν durch Absorption abgeschwächtwird.

Wir haben im Zusammenhang mit (A.10) von einerformalen Lösung des Strahlungstransports gesprochen.Der Grund dafür liegt in der Tatsache, dass sowohlder Absorptions- als auch der Emissionskoeffizient vomZustand der Materie abhängt, durch die die Strahlungpropagiert, und dieser Zustand in vielen Situationenvom Strahlungsfeld selbst abhängt. So hängen etwaκν und jν von der Temperatur der Materie ab, diesewiederum durch Heizungs- und Kühlungsprozesse vondem Strahlungsfeld, in dem sie sich befindet. Im All-gemeinen muss man daher ein gekoppeltes Systemvon Gleichungen lösen: zum einen die Strahlungstrans-portgleichung, zum anderen die Zustandsgleichung derMaterie. Daraus ergeben sich in vielen Situationen sehrkomplexe Probleme, auf die wir hier aber nicht weitereingehen wollen.

A.3 Schwarzkörper-Strahlung

Für Materie, die sich im thermischen Gleichgewichtbefindet, ist die Quellfunktion Sν allein eine Funktionder Temperatur T der Materie,

Sν = Bν(T ) , oder jν = Bν(T ) κν , (A.11)

unabhängig von der Zusammensetzung des Mediums(Kirchhoffsches Gesetz). Wir betrachten nun Strahlung,die durch Materie im thermischen Gleichgewicht beikonstanter Temperatur T propagiert. Da Sν = Bν(T )

in dieser Materie konstant ist, können wie die Lösung(A.10) in der Form

Iν(τν) = Iν(0) exp (−τν) (A.12)

+ Bν(T )

τν∫0

dτ ′ν exp

(τ ′ν − τν

)= Iν(0) exp (−τν)+ Bν(T )

[1− exp (−τν)

]schreiben. Daraus folgt, dass für genügend große τν

gilt: Iν = Bν(T ). Die Strahlung in Materie im thermi-

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A.3 Schwarzkörper-Strahlung

413

schen Gleichgewicht wird durch die Funktion Bν(T )

beschrieben, wenn die optische Tiefe genügend großist, unabhängig von der Zusammensetzung der Materie.Ein Spezialfall dieser Situation ist durch einen Hohl-raum gegeben, dessen undurchsichtige Wände bei einerkonstanten Temperatur T gehalten werden. Aufgrundder Undurchsichtigkeit der Wände ist deren optischeTiefe Unendlich, so dass das Strahlungsfeld im Hohl-raum durch Iν = Bν(T ) gegeben ist. Dies gilt auch,wenn der Raum mit Materie gefüllt ist, solange sichdiese im thermischen Gleichgewicht bei der Tempera-tur T befindet. Deshalb nennt man dieses Strahlungsfeldauch Hohlraumstrahlung.

Die Funktion Bν(T ) wurde im Jahre 1900 vonMax Planck aufgestellt und heißt ihm zu EhrenPlanck-Funktion; sie lautet

Bν(T ) = 2hPν3

c2

1

ehPν/kBT −1, (A.13)

wobei hP = 6.625×10−27 erg s das Plancksche Wir-kungsquantum bezeichnet und kB = 1.38×10−16

erg K−1 die Boltzmann-Konstante ist. Die Form desSpektrums kann aus der statistischen Physik abge-leitet werden. Schwarzkörper-Strahlung ist definiertdurch Iν = Bν(T ), und thermische Strahlung durchSν = Bν(T ). Thermische Strahlung konvergiert zurSchwarzkörper-Strahlung für große optische Tiefen.

Die Planck-Funktion hat ihr Maximum bei

hPνmax

kBT≈ 2.82 , (A.14)

d. h. die Frequenz des Maximums ist proportionalzur Temperatur; diese Eigenschaft bezeichnet manals Wiensches Verschiebungsgesetz. Man kann diesesGesetz auch in praktischen Einheiten darstellen,

νmax = 5.88×1010 HzT

1 K. (A.15)

Man kann die Planck-Funktion auch in Abhängigkeitder Wellenlänge λ = c/ν schreiben, so dass Bλ(T ) dλ =Bν(T ) dν,

Bλ(T ) = 2hPc2/λ5

exp (hPc/λkBT )−1. (A.16)

Zwei Grenzfälle der Planck-Funktion sind von beson-derem Interesse. Für kleine Frequenzen, hPν kBT ,kann man die Entwicklung der Exponentialfunktion in

Abb. A.1. Die Planck-Funktion (A.13) für verschiedeneTemperaturen T . Aufgetragen ist Bν(T ) als Funktion derFrequenz ν, wobei große Frequenzen nach links aufgetragensind (also große Wellenlängen nach rechts). Der exponenti-ell abfallende Wien-Teil des Spektrums ist links zu erkennen,der Rayleigh–Jeans Teil rechts. Die Form des Spektrums imRayleight–Jeans Teil ist unabhängig von der Temperatur, diejedoch die Amplitude bestimmt

(A.13) für kleine Argumente benutzen. Der führendeTerm dieser Entwicklung führt dann zu

Bν(T ) ≈ BRJν (T ) = 2ν2

c2kBT , (A.17)

was man die Rayleigh–Jeans-Näherung der Planck-Funktion nennt. Dabei sei darauf hingewiesen, dass dieRayleigh–Jeans-Gleichung die Planck-Konstante nichtenthält, und dieses Gesetz war bereits bekannt, bevorPlanck seine exakte Gleichung herleitete. Im anderenGrenzfall sehr großer Frequenzen, hPν � kBT , wird

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414

A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld

der Exponentialfaktor im Nenner von (A.13) sehr vielgrößer als eins, und man erhält

Bν(T ) ≈ BWν (T ) = 2hPν

3

c2e−hPν/kBT , (A.18)

was man die Wien-Näherung der Planck-Funktionnennt.

Die Energiedichte der Schwarzkörperstrahlunghängt natürlich nur von der Temperatur ab und wirdaus dem Integral über die Planck-Funktion berechnet,

u = 4π

c

∞∫0

dν Bν(T ) = 4π

cB(T ) = a T 4 , (A.19)

wobei wir die Frequenz-integrierte Planck-Funktion

B(T ) =∞∫

0

dν Bν(T ) = a c

4πT 4 (A.20)

definiert haben, und die Konstante a hat den Wert

a = 8π5k4B

15c3h3P

= 7.56×10−15 erg cm−3 K−4 . (A.21)

Der Fluss, der von der Oberfläche eines SchwarzenKörpers ausgeht, ist gegeben durch

F =∞∫

0

dν Fν = π

∞∫0

dν Bν(T ) = πB(T ) = σSBT 4 ,

(A.22)

wobei die Stefan–Boltzmann-Konstante den Wert

σSB = ac

4= 2π5k4

B

15c2h3P

= 5.67×10−5 erg cm−2 K−4 s−1 (A.23)

hat.

A.4 Das Magnitudensystem

Optische Astronomie ist sehr viel älter als die Ver-fügbarkeit quantitativer Messmethoden. Helligkeitenvon Sternen wurden bereits vor mehr als 2000 Jah-ren katalogisiert, und ihre Beobachtung geht bis in dieAntike zurück. Dabei wurden die Sterne in Größen-klassen eingeteilt, die hellsten von ihnen wurden der

Größenklasse 1 zugeordnet, schwächere Sterne erhiel-ten höhere Größenklassen. Da die scheinbare Helligkeit,die wir mit unserem Auge wahrnehmen, sich etwa lo-garithmisch mit dem Strahlungsstrom verhält (wie diesauch beim Gehörsinn der Fall ist), stellen die Größen-klassen eine logarithmische Flussskala dar. Um diesevisuell ermittelten Helligkeiten in den historischen Ka-talogen mit einem quantitativen Maß zu verknüpfen,wurde das System der Größenklassen in der optischenAstronomie beibehalten, nur wurde es präzise definiert.Da es keine historischen astronomischen Beobachtun-gen in anderen Wellenlängenbereichen gibt, weil diesedem bloßen Auge nicht zugänglich sind, trägt alleinedie optische Astronomie den historischen Ballast derGrößenklassen.

A.4.1 Scheinbare Helligkeit

Man beginnt mit einem relativen Maßsystem, indemman zwei Quellen betrachtet, die die Flüsse S1 und S2

haben. Die scheinbaren Magnituden oder scheinbarenHelligkeiten der beiden Quellen, m1 und m2, verhaltensich dann wie

m1 −m2 = −2.5 log

(S1

S2

); S1

S2= 10−0.4(m1−m2) .

(A.24)

Dies bedeutet, dass die hellere Quelle ein kleinerescheinbare Helligkeit hat als die schwächere: je grö-ßer die scheinbare Helligkeit, umso schwächer ist eineQuelle.1 Der Faktor 2.5 in dieser Definition ist so ge-wählt worden, damit das Magnituden-System möglichstgut mit den visuell bestimmten Größenklassen überein-stimmt. Ein Unterschied von |δm| = 1 entspricht einemFlussverhältnis von ∼ 2.51, ein Flussverhältnis von ei-nem Faktor 10 bzw. 100 entspricht einer Differenz von2.5 bzw. 5 Größenklassen.

A.4.2 Filter und Farben

Da optische Beobachtungen mit einer Kombination vonFilter und Detektorsystem durchgeführt werden und die

1Diese Konvention ist natürlich verwirrend, gerade für jemanden, dersich eben mit der Astronomie vertraut macht, und führt immer wiederzu Konfusionen und Fehlern, sowie zu Kommunikationsproblemenmit Nichtastronomen – aber da muss man durch!

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A.4 Das Magnitudensystem

415

Flussverhältnisse i. A. von der Wahl der Filter abhängen(weil die spektrale Energieverteilung der Quellen ver-schieden sein kann), definiert man die scheinbarenMagnituden für jeden dieser Filter. Die üblichsten Filtersind in der Abb. A.2 dargestellt und in der Tabelle A.1aufgelistet, zusammen mit ihrer charakteristischen Wel-lenlänge und der Breite der Transmission. Man definiertfür einen Filter X die scheinbare Magnitude m X , dieman häufig auch als X schreibt. So gilt etwa für denB-Band-Filter m B ≡ B.

Als nächstes muss man definieren, wie die Grö-ßenklassen in den verschiedenen Filtern aufeinanderbezogen sind, damit man die Farbindizes von Quel-len definieren kann. Dazu benutzt man eine bestimmteKlasse von Sternen, Hauptreihensterne des Spektral-typs A0, für die der Stern Vega ein Prototyp ist. Für einensolchen Stern soll gelten U = B = V = R = I = . . . ,d. h. jeder Farbindex für einen solchen Stern wird alsNull definiert.

Abb. A.2. Transmissionskurven verschie-dener Filter-Detektor-Systeme; von obennach unten sind aufgetragen: Die Filterder NICMOS-Kamera und der WFPC2auf dem HST, das Washington Filter-System, die Filter des EMMI-Instrumentsam NTT der ESO, die Filter am WFIam ESO/MPG 2.2 m-Teleskop sowiedes SOFI-Instruments am NTT unddie Johnson-Cousins Filter. Im unte-ren Diagramm sind die Spektren dreierSterne unterschiedlicher Effektivtemperaturaufgetragen

Zur Präzision dieser Definitionen sei TX(ν)

die Transmissionskurve des Filter-Detektor-Systems.TX(ν) gibt an, welcher Bruchteil der einfallenden Pho-tonen der Frequenz ν vom Detektor registriert wird.Die scheinbare Helligkeit einer Quelle mit spektralemFluss Sν ist dann

m X = −2.5 log

(∫dν TX(ν) Sν∫

dν TX(ν)

)+ const. , (A.25)

wobei die Konstante wiederum über Vergleichssternebestimmt werden muss.

Eine weitere gebräuchliche Magnitudendefini-tion stellt das AB-System dar. Im Gegensatz zuden Vega-Magnituden wird hier kein Sternspektrumals Standard festgelegt, sondern eines mit kon-stantem Fluss bei allen Frequenzen, Sref

ν = SABν =

2.89×10−21 erg s−1 cm−2 Hz−1. Dieser Wert ist sogewählt, dass A0-Sterne wie Vega im originalenJohnson-V-Band die gleiche Magnitude haben wie

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416

A. Das elektromagnetische Strahlungsfeld

Tabelle A.1. Für einige der gängigsten Filtersysteme – John-son, Strömgren und die Filter des Sloan Digital Sky Surveys –

ist die zentrale (oder genauer: effektive) Wellenlänge und dieBreite der Filter angegeben

Johnson U B V R I J H K L M

λeff (nm) 367 436 545 638 797 1220 1630 2190 3450 4750Δλ (nm) 66 94 85 160 149 213 307 39 472 460

Strömgren u v b y βw βn

λeff (nm) 349 411 467 547 489 489Δλ (nm) 30 19 18 23 15 3

SDSS u’ g’ r’ i’ z’

λeff (nm) 354 477 623 762 913Δλ (nm) 57 139 138 152 95

im AB-System, mABV = mV . Aus (A.25) folgt für die

Umrechnung zwischen den beiden Systemen

mABX −mVega

X = −2.5 log

( ∫dν TX(ν) SAB

ν∫dν TX(ν) SVega

ν

)

=: mAB→Vega .

(A.26)

Für die dem Johnson-Filtersatz nachempfundenen Filteram Wide Field Imager der ESO ergeben sich so z. B.die folgenden Vorschriften: UAB = UVega +0.80; BAB =BVega −0.11; VAB = VVega; RAB = RVega +0.19; IAB =IVega +0.59.

A.4.3 Absolute Helligkeit

Die scheinbare Magnitude einer Quelle sagt zunächstnichts über ihre Leuchtkraft aus, da man zu deren Be-stimmung neben dem Strahlungsstrom (d. h. dem Fluss)auch die Entfernung D kennen muss. Sei Lν die spezi-fische Leuchtkraft einer (isotrop emittierenden) Quelle,d. h. die pro Einheitszeit und pro Einheitsfrequenzinter-vall abgestrahlte Energie, so ist der Fluss gegeben durch

Sν = Lν

4πD2. (A.27)

Während die scheinbare Helligkeit ein Maß für Sν

(bei der dem benutzten Filter zugehörigen Frequenz ν)angibt, möchte man ein entsprechendes Maß für Lν

angeben, welches die physikalische Eigenschaft derQuelle selbst beschreibt. Man führt zu diesem Zweckdie absolute Magnitude oder absolute Helligkeit ein undbezeichnet sie mit MX , wobei sich X wieder auf den ver-wendeten Filter bezieht. MX ist gleich der scheinbarenMagnitude einer Quelle, wenn diese sich gerade in ei-ner Entfernung von 10 pc von uns befindet. Die absoluteHelligkeit einer Quelle ist unabhängig von ihrer Entfer-nung. Aus (A.27) folgt für die Beziehung zwischenscheinbarer und absoluter Helligkeit

m X − MX = 5 log

(D

1 pc

)−5 ≡ μ , (A.28)

wobei wir im letzten Schritt den Entfernungsmodul μ

definiert haben. Dieser ist daher ein logarithmi-sches Maß für die Entfernung einer Quelle, μ = 0für D = 10 pc, μ = 10 für D = 1 kpc und μ = 25für D = 1 Mpc. Die Differenz zwischen scheinba-rer und absoluter Helligkeit ist von der Wahl desFilters unabhängig und gleich dem Entfernungsmo-dul, solange keine Extinktion vorhanden ist. Imallgemeinen Fall wird diese Differenz durch den filter-abhängigen Extinktionskoeffizient modifiziert – sieheAbschn. 2.2.4.

A.4.4 Bolometrische Größen

Die Gesamtleuchtkraft L einer Quelle ist das Integralder spezifischen Leuchtkraft Lν über alle Frequenzen.

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A.4 Das Magnitudensystem

417

Entsprechend ist der Gesamtfluss S einer Quelle dasFrequenzintegral über den spezifischen Fluss Sν. Mandefiniert die scheinbare bolometrische Helligkeit mbol

als logarithmisches Maß des Gesamtflusses,

mbol = −2.5 log S + const. , (A.29)

wobei die Konstante wiederum durch Vergleichssternebestimmt wird. Entsprechend definiert man die abso-lute bolometrische Helligkeit wie in (A.28) über denEntfernungsmodul. Die absolute bolometrische Hellig-keit hängt von der (bolometrischen) Leuchtkraft L einerQuelle wie folgt ab:

Mbol = −2.5 log L + const. (A.30)

Die Konstante kann man z. B. über die Eigenschaftender Sonne festlegen: deren scheinbare bolometrischeHelligkeit ist m�bol = −26.83, und der Entfernung voneiner Astronomischen Einheit entspricht ein Entfer-nungsmodul von μ = −31.47. Daraus ergibt sich dieabsolute bolometrische Helligkeit der Sonne zu

M�bol = m�bol −μ = 4.74 mag , (A.31)

so dass man (A.30) schreiben kann als

Mbol = 4.74−2.5 log

(L

L�

), (A.32)

und die Leuchtkraft der Sonne beträgt

L� = 3.85×1033 erg s−1 . (A.33)

Der direkte Zusammenhang zwischen bolometri-scher Helligkeit und Leuchtkraft einer Quelle ist inder Praxis nur schwer auszunutzen, da man die schein-bare bolometrische Helligkeit (oder den Fluss S) einerQuelle in den meisten Fällen nicht beobachten kann.Für die Beobachtung einer Quelle vom Boden aus stehtnur ein sehr begrenztes Frequenzfenster zur Verfügung.Dennoch möchte man auch in diesen Fällen die Leucht-kraft einer Quelle quantifizieren können. Bei Quellenmit als bekannt vorausgesetztem Spektrum, wie etwabei vielen Sternen, kann man aus Beobachtungen beioptischen Wellenlängen den Fluss zu größeren und klei-neren Wellenlängen hin extrapolieren und somit mbol

abschätzen. Bei Galaxien oder AGNs, die eine sehrviel breitere und viel mehr Variationen zwischen ver-schiedenen Objekten unterworfene Spektralverteilungbesitzen, ist dies nicht möglich. In diesem Fall ver-gleicht man den Fluss einer Quelle in einem bestimmtenSpektralbereich mit dem Fluss, den die Sonne bei glei-cher Entfernung und im gleichen Spektralbereich hätte.Wenn MX die absolute Helligkeit einer Quelle gemes-sen im Filter X ist, dann ist die X-Band Leuchtkraftdieser Quelle definiert als

L X = 10−0.4(MX−M�X ) L�X . (A.34)

Wenn man also von der ,,blauen Leuchtkraft einer Ga-laxie“ spricht, so ist diese wie in (A.34) definiert zuverstehen.

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B. Eigenschaften von SternenIn diesem Anhang fassen wir die wichtigsten Eigen-schaften von Sternen zusammen, die für das Verständnisdes Stoffes in diesem Buch benötigt werden. Dieseknappe Abhandlung ersetzt natürlich nicht das Stu-dium eines Lehrbuchs, in dem die Physik der Sterneausführlich behandelt wird.

B.1 Zustandsgrößen der Sterne

Sterne sind in guter Näherung Gaskugeln, in deren Inne-rem durch thermonukleare Prozesse leichte Atomkernein schwerere umgewandelt werden (vor allem Wasser-stoff in Helium) und dadurch Energie erzeugt wird.Das äußere Erscheinungsbild eines Sterns ist zunächstcharakterisiert durch seinen Radius R und seine cha-rakteristische Temperatur T . Die Eigenschaften einesSterns sind vor allem von seiner Masse M abhängig.

In erster Näherung kann die spektrale Ener-gieverteilung der Emission eines Sterns durch einSchwarzkörperspektrum beschrieben werden. Dies be-deutet, dass die spezifische Intensität Iν in dieserNäherung durch ein Planck-Spektrum (A.13) gegebenist. Die Leuchtkraft L eines Sterns ist die pro Zeitein-heit abgestrahlte Energie. Falls das Spektrum der Sternedurch ein Planck-Gesetz beschrieben würde, so hingedie Leuchtkraft von der Temperatur und dem Radiusab wie

L = 4πR2 σSB T 4 , (B.1)

wobei wir von (A.22) Gebrauch gemacht haben.Allerdings weicht das Spektrum von Sternen vomSchwarzkörperspektrum ab (siehe Abb. 3.46). Man de-finiert die Effektivtemperatur Teff eines Sterns alsdie Temperatur, die ein Schwarzkörper haben müsste,um bei gleichem Radius die Leuchtkraft des Sternsabzustrahlen, also

σSB T 4eff ≡ L

4πR2. (B.2)

Die Leuchtkraft der Sterne umfasst einen riesigen Be-reich; die schwächsten sind ∼ 104 mal leuchtschwächerals die Sonne, während die leuchtkräftigsten ∼ 105

mal soviel Energie pro Zeit abstrahlen. Diese Varia-tion der Leuchtkraft kommt entweder zustande durch

eine Variation im Radius oder durch unterschiedlicheTemperaturen. Aus der Farbe der Sterne wissen wir,dass Sterne unterschiedliche Temperatur besitzen: esgibt blaue Sterne, die wesentlich heißer sind als dieSonne, und sehr viel kühlere Sterne. Die Temperatureines Sterns kann man aus seiner Farbe abschätzen:Aus dem Verhältnis der Flüsse bei zwei unterschied-lichen Wellenlängen oder, äquivalent dazu, aus demFarbindex X −Y ≡ m X −mY in zwei Filtern X und Ybestimmt man die Temperatur Tc, die ein Schwarzkör-per haben müsste, um den gleichen Farbindex zu zeigen.Man nennt Tc die Farbtemperatur eines Sternes. Fallsdas Spektrum eines Sterns ein Planck-Spektrum wäre,so gälte Tc = Teff, aber im Allgemeinen unterscheidensich diese beiden Temperaturen.

B.2 Spektralklasse,Leuchtkraftklasse und dasHertzsprung–Russell-Diagramm

Die Spektren der Sterne kann man anhand der in ihnenvorhandenen Spektrallinien von Atomen (und bei küh-len Sternen auch Molelülen) klassifizieren. Aufgrundder Linienstärken und ihrer Verhältnisse wurde dieHarvard-Sequenz der Sternspektren eingeführt. DieseSpektralklassen folgen einer Sequenz, die mit denBuchstaben O, B, A, F, G, K, M bezeichnet wird;daneben gibt es einige weitere Spektralklassen, diewir hier nicht erwähnen wollen. Dieser Sequenz ent-spricht eine Sequenz der Farbtemperatur von Sternen:O-Sterne sind besonders heiß (ca. 50 000 K), M-Sternemit ∼ 3500 K sehr viel kühler. Um eine feinere Un-terteilung zu erhalten, wird jede Spektralklasse miteiner Ziffer zwischen 0 und 9 versehen. Ein A1-Sternhat ein sehr ähnliches Spektrum wie ein A0-Stern,während das Spektrum eines A5-Sterns etwa gleichviele Gemeinsamkeiten mit einem A0- wie mit einemF0-Stern hat.

Trägt man für Sterne, deren Entfernungen und da-her auch absoluten Helligkeiten man bestimmen kann,den Spektraltyp gegen die absolute Helligkeit auf,ergibt sich in einem solchen Hertzsprung–Russell-Diagramm (HRD) eine auffallende Verteilung der

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B. Eigenschaften von Sternen

Sterne. Anstatt der Spektralklasse kann man auchdie Farbe von Sternen auftragen, typischerweiseB − V . Das so erhaltene Farben-Helligkeits-Diagramm(color-magnitude diagram, CMD) ist einem HRD imWesentlichen äquivalent, basiert aber allein auf pho-tometrischen Daten. Ein anderes aber sehr ähnlichesDiagramm trägt die Leuchtkraft gegen Effektivtempe-ratur auf.

In der Abb. B.1 ist ein Farben-Helligkeits-Diagrammaufgezeichnet, wie es durch den HIPPARCOS-Satelliten erhalten wurde. Anstatt diesen zwei-dimensionalen Parameterraum einigermaßen gleichmä-ßig auszufüllen, gibt es charakteristische Bereiche ineinem solchen Farben-Helligkeits-Diagramm, in denenfast alle Sterne zu finden sind. Die meisten Sterne

Abb. B.1. Farben-Helligkeits-Diagramm für 41 453 Einzel-sterne, deren Parallaxe mit besser als 20% Genauigkeit mitdem HIPPARCOS-Satelliten bestimmt wurden. Da die hiergezeigten Sterne unvermeidlich starken Auswahleffekten un-terliegen, die nahe und leuchtkräftige Sterne bevorzugen,repräsentiert die relative Anzahldichte der Sterne nicht derenwirkliche Häufigkeit. Insbesondere ist die untere Hauptreihesehr viel stärker bevölkert, als dies hier zum Ausdruck kommt

befinden sich auf einem dünnen Band, welches alsHauptreihe bezeichnet wird. Dieses erstreckt sich vonfrühen Spektralklassen (O, B) bei großen Leuchtkräf-ten (,,oben links“) hin zu späten Spektraltypen (K, M)mit kleinen Leuchtkräften (,,unten rechts“). Von die-ser Hauptreihe nach ,,rechts oben“ abzweigend gibt esden Bereich der Roten Riesen, unterhalb der Hauptreihebei frühen Spektralklassen und bei sehr viel kleine-rer Leuchtkraft als der Hauptreihe den Bereich derWeißen Zwerge. Die Tatsache, dass sich die meis-ten Sterne auf einer ein-dimensionalen Sequenz – derHauptreihe – aufhalten, ist sicherlich eine der wichtigs-ten Entdeckungen der Astronomie, denn sie besagt, dassdie Eigenschaften von Sternen auf der Hauptreihe imwesentlichen von einem Parameter bestimmt werden:der Masse dieser Sterne.

Da es bei gleichem Spektraltyp und somit gleicherFarbtemperatur (und etwa gleicher Effektivtempera-tur) Sterne sehr unterschiedlicher Leuchtkraft gibt,folgert man sofort, dass diese Sterne unterschiedli-che Radien besitzen, wie man aus (B.2) ablesen kann.Sterne auf dem Roten Riesenast mit ihrer viel größerenLeuchtkraft als Hauptreihensterne gleicher Spektral-klasse haben daher einen sehr viel größeren Radiusals die entsprechenden Hauptreihensterne. Diesen Grö-ßeneffekt kann man auch spektroskopisch erkennen:Die Schwerebeschleunigung eines Sterns auf seinerOberfläche ist

g = G M

R2, (B.3)

und aus Berechnungen von Sternatmosphären wis-sen wir, dass die Breite von Spektrallinien vonder Schwerebeschleunigung an der Oberfläche ab-hängt: je kleiner die Schwerebeschleunigung, umsoschmaler sind die stellaren Absorptionslinien. Es gibtdaher einen Zusammenhang zwischen der Linien-breite und dem Radius eines Sterns. Da der Radiuseines Sterns – für festen Spektraltyp oder Effek-tivtemperatur – die Leuchtkraft festlegt, kann manaus der Schärfe der Linien die Leuchtkraft bestim-men. Für die Eichung dieser Beziehung muss manSterne bekannter Entfernung heranziehen. Basierendauf der Schärfe von Spektrallinien teilt man die Sternein Leuchtkraftklassen ein: Leuchtkraftklasse I nenntman Überriesen, die der Leuchtkraftklasse III Rie-sen, Hauptreihensterne werden als Zwerge bezeichnetund haben Leuchtkraftklasse V; dazu gibt es Helle

Page 429: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

B.3 Struktur und Entwicklung von Sternen

421

Abb. B.2. Schematisches Farben-Helligkeits-Diagramm, indem die Spektralklassen und Leuchtkraftklassen eingezeich-net sind

Riesen (II), Unterriesen (IV) und Unterzwerge (VI). Je-dem Stern im Hertzsprung–Russell-Diagramm (HRD)kann man eine Leuchtkraftklasse und Spektralklassezuordnen (Abb. B.2). Die Sonne ist ein G2-Stern derLeuchtkraftklasse V.

Kennt man die Entfernung und daher auch dieLeuchtkraft eines Sterns und kann zusätzlich über dieLinienbreite die Schwerebeschleunigung ermitteln, soerhält man aus diesen Größen die Masse eines Sterns.Dabei stellt sich heraus, dass für Hauptreihensterne dieLeuchtkraft eine steile Funktion der Sternmasse ist, dieman durch

L

L�≈(

M

M�

)3.5

(B.4)

näherungsweise beschreiben kann. Ein Hauptrei-henstern mit M = 10M� ist daher ∼ 3000 Malleuchtkräftiger als unsere Sonne.

B.3 Struktur und Entwicklungvon Sternen

Sterne sind in sehr guter Näherung sphärisch symmet-risch. Die Struktur eines Sterns wird daher beschriebendurch den radialen Verlauf der Zustandsgrößen desSternplasmas. Diese sind die Dichte, der Druck,die Temperatur und die chemische Zusammenset-zung der Materie. Über fast die gesamte Lebensdauereines Sterns befindet sich das Plasma im hydro-statischen Gleichgewicht, so dass Druckkräfte undGravitationskräfte gerade gleich sind.

Im Zentrum von Sternen ist die Dichte und Tem-peratur so groß, dass thermonukleare Reaktionen inGang gesetzt werden. In Hauptreihensternen wird Was-serstoff zu Helium fusioniert, also vier Protonen zueinem 4He-Kern zusammengefügt. Dabei werden proerzeugtem Heliumkern 26.73 MeV an Energie frei-gesetzt. Ein Teil dieser Energie wird in Form vonNeutrinos erzeugt, die aufgrund ihres sehr kleinenWirkungsquerschnitts aus dem Stern ungehindert ent-kommen und daher nicht zur Strahlungserzeugungbeitragen.1 Die Energieerzeugungsrate ist für Tem-peraturen unterhalb von etwa 15×106 K, bei denendie Reaktionskette über die sog. pp-Kette verläuft,ungefähr proportional zu T 4. Bei höheren Tempe-raturen setzt eine weitere Reaktionskette ein, dersog. CNO-Zyklus, dessen Energieerzeugungsrate einesehr viel stärkere Temperaturabhängigkeit besitzt, etwaproportional zu T 20.

Die im Innern erzeugte Energie wird nach außentransportiert, wo sie in Form elektromagnetischer Strah-lung freigesetzt wird. Dieser Energietransport kannauf zwei verschiedene Arten stattfinden. Zum einen

1Der Nachweis der Neutrinos von der Sonne in irdischen Detektorenwar der endgültige Beweis für den Mechanismus der Energieerzeu-gung durch Fusionsprozesse. Allerdings war die gemessene Rate anElektron-Neutrinos von der Sonne nur etwa halb so groß, wie man esaufgrund der Sonnenmodelle erwartet hat. Dieses solare Neutrinopro-blem hat die Physiker und Astrophysiker über Jahrzehnte beschäftigtund war der erste Hinweis darauf, dass Neutrinos eine endliche Ru-hemasse besitzen, da Elektron-Neutrinos sich dadurch auf dem Wegvon der Sonne zu uns in andere Neutrinosorten umwandeln kön-nen. Inzwischen sind diese Neutrinooszillationen bestätigt worden:Neutrinos besitzen eine sehr kleine aber endliche Ruhemasse. Fürihre Forschungen auf dem Gebiet der solaren Neutrinos erhieltenRaymond Davis und Masatoshi Koshiba 2002 die Hälfte des Physik-Nobelpreis. Die andere Hälfte ging an Ricardo Giacconi für seinePionierleistungen auf dem Gebiet der Röntgenastronomie.

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422

B. Eigenschaften von Sternen

kann die Energie durch Strahlungstransport nach außengelangen, zum anderen durch makroskopische Strö-mungsbewegungen des Sternplasmas. Diesen zweitenMechanismus des Energietransports nennt man Kon-vektion; dabei steigen heiße Gaselemente nach obenauf, kühlere sinken gleichzeitig ab. Der Prozess istähnlich dem, der beim Erhitzen von Wasser auf ei-ner Herdplatte vonstatten geht. Welcher dieser beidenProzesse für den Energietransport verantwortlich ist,hängt von der Temperaturschichtung im Stern ab. DieBereiche der Radien eines Sterns, in denen der Ener-gietransport durch Konvektion geschieht, nennt manKonvektionszonen. Da innerhalb der Konvektionszo-nen das Sternmaterial durchmischt wird, ist dort diechemische Zusammensetzung homogen. Insbesonderekönnen durch Konvektion die durch Kernfusion erzeug-ten chemischen Elemente durch den Stern transportiertwerden.

Sterne beginnen ihr Leben mit einer homogenenchemischen Zusammensetzung, die sich aus der Zu-sammensetzung der Molekülwolke ergibt, aus der siesich gebildet haben. Wenn deren Masse etwa 0.08M�übersteigt, reichen die Temperatur und der Druck imInnern aus, um die Fusion von Wasserstoff in He-lium zu beginnen. Gaskugeln mit einer Masse unterhalbvon ∼ 0.08M� erreichen diese Bedingungen nicht, unddiese Objekte – man nennt sie Braune Zwerge – sinddaher im eigentlichen Sinne keine Sterne.2 Beim Be-ginn der Kernfusion befindet sich der Stern auf deranfänglichen Hauptreihe (Zero-Age Main Sequence,ZAMS) im HRD (siehe Abb. B.3). Die Energieerzeu-gung durch Fusion von Wasserstoff in Helium ändertdie chemische Zusammensetzung im Sterninnern; derWasserstoffgehalt nimmt in dem Maße ab wie derHeliumanteil zunimmt. Diese Phase des zentralen Was-serstoffbrennens hat daher eine endliche Lebensdauer.Grob geschätzt ändern sich die Bedingungen in einemStern merklich, wenn etwa 10% des Wasserstoffvor-rats aufgebraucht worden ist. Aus diesem Kriteriumkann man nun die Lebensdauer eines Sterns auf derHauptreihe abschätzen. Die in dieser Phase insgesamt

2Falls die Masse eines Braunen Zwergs ∼ 0.013M� übersteigt, reichtdie zentrale Dichte und Temperatur aus, um Deuterium (schwererWasserstoff) in Helium zu fusionieren. Die Häufigkeit von Deuteriumist jedoch um mehrere Zehnerpotenzen kleiner als die des normalenWasserstoffs, so dass der Brennstoffvorrat eines Braunen Zwergs sehrgering ist.

Abb. B.3. Ein theoretisches Temperatur-Leuchtkraft-Diagramm für Sterne. Die durchgezogene Kurve ist dieZAMS, auf der Sterne ihr zentrales Wasserstoffbrennen be-ginnen. Dargestellt sind die Entwicklungswege dieser Sterne,deren Masse angegeben ist. Die schraffierten Bereiche mar-kieren Phasen, in denen die Entwicklung langsam verläuftund in denen daher viele Sterne beobachtet werden

erzeugte Energie lässt sich ausdrücken als

EMS = 0.1× Mc2 ×0.007 , (B.5)

wobei Mc2 die Ruhemassenenergie des Sterns ist, vonder ein Anteil von 0.1 in Helium fusioniert wird, unddies geschieht mit einer Effizienz von 0.007. Andersausgedrückt wird bei der Fusion von vier Protonen ineinen Heliumkern eine Energie freigesetzt, die etwa0.007×4mpc2 beträgt, wobei mp die Protonenmasse be-zeichnet. Insbesondere besagt (B.5), dass die währendder Hauptreihenphase insgesamt erzeugte Energie pro-portional zur Masse des Sterns ist. Andererseits wissenwir von (B.4), dass die Leuchtkraft eine steile Funk-

Page 431: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

B.3 Struktur und Entwicklung von Sternen

423

tion der Sternmasse ist. Die Lebensdauer eines Sternsauf der Hauptreihe tMS kann man abschätzen, indemman die zur Verfügung stehende Energie EMS mit demProdukt aus Leuchtkraft und Lebensdauer gleichsetzt.Daraus ergibt sich

tMS = EMS

L≈ 8×109 M/M�

L/L�yr

≈ 8×109(

M

M�

)−2.5

yr . (B.6)

Aus dieser Betrachtung erhält man das Ergebnis, dassSterne hoher Masse sehr viel schneller ihr Leben aufder Hauptreihe beenden als Sterne kleiner Masse. DieSonne wird sich etwa acht bis zehn Milliarden Jahreauf der Hauptreihe aufhalten, wobei sie etwa die Hälftedieser Zeit bereits hinter sich gebracht hat. Die Lebens-dauer von sehr leuchtkräftigen Sternen, wie etwa denO- und B-Sternen, beträgt dagegen nur einige MillionenJahre, bevor sie die Hauptreihe verlassen.

Im Laufe ihrer Hauptreihen-Entwicklung bewegensich die Sterne im HRD nur wenig von der ZAMSweg, hin zu etwas größeren Leuchtkräften und etwaskleineren Effektivtemperaturen. Weiterhin können ins-besondere die massereichen Sterne durch Sternwindeeinen Teil ihrer anfänglichen Masse verlieren. Die Ent-wicklung nach der Hauptreihe hängt von der Sternmasseab. Sehr massearme Sterne, M � 0.7M�, haben eineLebensdauer auf der Haupreihe, die das Weltalter über-steigt, und sie können sich daher noch nicht von derHauptreihe wegentwickelt haben.

Für massereiche Sterne, M � 2.5M�, folgt auf daszentrale Wasserstoffbrennen der Hauptreihe zunächsteine relativ kurze Phase, in der die Wasserstofffusionzu Helium in einer Schale des Sterns, also außerhalbdes Zentrums, verläuft. In dieser Phase bewegt sich derStern im HRD rasch nach ,,rechts“, hin zu kleinerenTemperaturen, wobei er sich stark ausdehnt. Danachsteigen die Dichte und Temperatur im Zentrum so weitan, dass Helium in Kohlenstoff fusionieren kann. Es gibtdann eine zentrale Helium-Brennzone und eine Scha-lenquelle, in der Wasserstoff verbrannt wird. Sobald dasHelium im Kern verbrannt ist, bildet sich eine zweiteSchalenquelle der Heliumfusion. Dabei wird der Stern

zum Roten Riesen oder Überriesen, wobei er in Formeines Sternwindes einen Teil seiner Masse an das ISMabgibt. Der weitere Entwicklungsweg hängt von diesemMassenverlust ab. Ein Stern mit einer AnfangsmasseM � 8M� entwickelt sich zum Weißen Zwerg, wie wirweiter unten noch diskutieren werden.

Für Sterne mit Anfangsmasse M � 2.5M� ver-läuft das Heliumbrennen im Kern explosiv; es kommtzum sog. Helium-Flash. Dabei wird ein großer Teilseiner Masse abgestoßen, wonach eine neue stabileGleichgewichtskonfiguration eingenommen wird, inder eine Helium-Schalenquelle neben der Wasserstoff-Schalenquelle brennt. Der Stern entwickelt sich dabeiunter Vergrößerung seines Radius zum Roten Riesenund Überriesen und bewegt sich im HDR auf demasymptotischen Riesenast (asymptotic giant branch,AGB).

Die Konfiguration in der Helium-Schalenquelle istinstabil, so dass das Brennen in Form von Pulsen statt-findet. Dabei kommt es nach einiger Zeit zum Abstoßender Hülle des Sterns, die dann als Planetarischer Ne-bel sichtbar wird. Der verbleibende Zentralstern bewegtsich dabei nach links im HRD, d. h. seine Temperatursteigt stark an (auf über 105 K), während sein Radiuskleiner wird. Schließlich bewegt er sich im HRD nachunten, verliert etwas an Temperatur, und verringert sei-nen Radius um mehrere Größenordnungen: Ein WeißerZwerg ist entstanden, dessen Masse etwa 0.6M� unddessen Radius etwa dem der Erde entspricht.

Ist die Anfangsmasse des Sterns � 8 M�, wird dieDichte und Temperatur im Innern so groß, dass auchder Kohlenstoff als zentrale Quelle fusionieren kann.Die weitere Entwicklung hin zu einer Kernkollaps-Supernova wird in Abschn. 2.3.2 beschrieben.

Die verschiedenen Phasen der stellaren Entwick-lung geschehen unterschiedlich schnell; dies bedeutet,dass Sterne bestimmte Bereiche im HRD sehr schnelldurchlaufen. Aus diesem Grunde findet man dieseEntwicklungsstadien im HRD nie oder nur selten. An-dererseits gibt es langandauernde Entwicklungsstadien,wie die Hauptreihe oder den Roten Riesenast, so dassdie entsprechenden Bereiche in einem beobachtetenHRD mit vielen Sternen besetzt sind.

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425

C. Einheiten und KonstantenIn diesem Buch haben wir, neben astronomi-schen Einheiten, durchgehend das Gaußsche cgs-System der Einheiten benutzt, in dem Längenin cm, Massen in g und Energien in erg ge-messen werden; dieses System der Einheiten istin der Astronomie üblich. In diesen Einheitenist die Lichtgeschwindigkeit c = 2.998×1010 cm s−1,die Massen von Proton, Neutron und Elektronsind mp = 1.673×10−24 g, mn = 1.675×10−24 g undme = 9.109×10−28 g.

Als Längeneinheit in der Astronomie wird häu-fig die Astronomische Einheit, also die mitt-lere Entfernung von Erde und Sonne benutzt,1 AU = 1.496×1013 cm, sowie das Parsec, 1 pc =3.086×1018 cm. Ein Jahr hat 1 yr = 3.156×107 s.Massen werden typischerweise auch in Sonnen-massen gemessen, 1M� = 1.989×1033 g, und diebolometrische Leuchtkraft der Sonne beträgt L� =3.846×1033 erg s−1.

In cgs-Einheiten beträgt der Wert der Elemen-tarladung e = 4.803×10−10 cm3/2 g1/2 s−1, und die

Einheit der Magnetfeldstärke ist das Gauß, wobei1 G = 1 g1/2 cm−1/2 s−1 = 1 erg1/2 cm−3/2.

Röntgenastronomen messen Energien in Elektro-nenvolt, wobei 1 eV = 1.602×10−12 erg ist. Weiterhinkann man Temperaturen in Energieeinheiten mes-sen, da kBT die Dimension einer Energie trägt. Esgilt der Zusammenhang 1 eV = 1.161×104 kB K. Dawir die Boltzmann-Konstante kB immer in Kom-bination mit einer Temperatur benutzen, benötigenwir ihren eigentlichen Wert nie. Ähnliches gilt auchfür die Gravitationskonstante, die immer in Kom-bination mit einer Masse benutzt wird. Es giltG M� c−2 = 1.495×105 cm.

Die Frequenz ν eines Photons ist verknüpft mit seinerEnergie über hPν = E, und es gilt der Zusammen-hang 1 eV h−1

P = 2.418×1014 s−1 = 2.418×1014 Hz.Entsprechend schreibt man die Wellenlänge λ = c/ν =hPc/E in der Form

hPc

1 eV= 1.2400×10−4 cm = 12 400 Å .

Page 433: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

427

D. LiteraturempfehlungenIm Folgenden sollen einige Empfehlungen für ein weite-res Literatur-Studium der Astrophysik genannt werden.Die allgemeinen Lehrbücher sind insbesondere fürdiejenigen Leser als Lektüre zu empfehlen, die bis-her wenig mit Astronomie in Berührung gekommensind. Die Auswahl der hier aufgelisteten Literatur istsehr subjektiv und spiegelt den Geschmack des Autorswider.

D.1 Allgemeine Lehrbücher

Deutschsprachige Lehrbücher über Astronomie gibt esnur wenige. Mein Favorit ist

• A. Unsöld & B. Baschek: Der Neue Kosmos,Springer-Verlag, Berlin, 2002;

daneben soll erwähnt werden

• A. Weigert, H.J. Wendker & L. Wisotzki: Astronomieund Astrophysik, Wiley-VCH, Berlin, 2004.

Eine sehr nützliche allgemeine Einführung in die Astro-nomie ist das für die gymnasiale Oberstufe konzipierteSchulbuch

• K. de Boer, D. Fürst et al.: Astronomie, Paetec Ge-sellschaft für Bildung und Technik mbH, Berlin,2001.

Die englischsprachige Literatur ist deutlich vielfäl-tiger, variiert aber sehr stark hinsichtlich des Niveausder Darstellung. Hier kann nur eine sehr kleine Aus-wahl allgemeiner Lehrbücher erwähnt werden. Eineausgezeichnete und wenig technische Darstellung dergesamten Astronomie ist das Buch

• F. Shu: The Physical Universe: An Introductionto Astronomy, University Science Books, Sausalito,1982.

Ein ebenfalls exzellentes Lehrbuch der Astrophysik inihrer ganzen Breite ist

• B.W. Carroll & D.A. Ostlie: An Introduction toModern Astrophysics, Addison Wesley, Reading,1996.

Das vor kurzem erschienene Buch

• M.H. Jones & R.J.A. Lambourne: An Introductionto Galaxies and Cosmology, Cambridge UniversityPress, Cambridge, 2003

behandelt den in diesem Buch beschriebenen Themen-kreis und kann ebenfalls sehr empfohlen werden.

D.2 Speziellere Literatur

Zu den einzelnen Themenbereichen, die in diesem Buchbehandelt wurden, gibt es jeweils spezifische Monogra-phien und Lehrbücher, von denen im Folgenden einigespeziell empfohlen werden sollen.

Astrophysikalische Prozesse:

• M. Harwit: Astrophysical Concepts, Springer-Verlag, New-York, 1988,

• G.B. Rybicki & A.P. Lightman: Radiative Proces-ses in Astrophysics, John Wiley & Sons, New York,1979,

• F. Shu: The Physics of Astrophysics I: Radiation,University Science Books, Mill Valley, 1991,

• F. Shu: The Physics of Astrophysics II: GasDynamics, University Science Books, Mill Valley,1991,

• S.N. Shore: The Tapestry of Modern Astrophysics,Wiley-VCH, Berlin, 2002,

• D.E. Osterbrock: Astrophysics of Gaseous Nebu-lae and Active Galactic Nuclei, University ScienceBooks, Mill Valley, 1989.

Galaxien und Gravitationslinsen:

• L.S. Sparke & J.S. Gallagher: Galaxies in the Uni-verse: An Introduction, Cambridge University Press,Cambridge, 2000,

• J. Binney & M. Merrifield: Galactic Astronomy,Princeton University Press, Princeton, 1998,

• R.C. Kennicutt, Jr., F. Schweizer & J.E. Barnes: Ga-laxies: Interactions and Induced Star Formation,Saas-Fee Advanced Course 26, Springer-Verlag,Berlin, 1998,

Page 434: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

428

D. Literaturempfehlungen

• F. Combes, P. Boisse, A. Mazure & A. Blanchard:Galaxies and Cosmology, Springer-Verlag, 2001,

• P. Schneider, J. Ehlers & E.E. Falco: GravitationalLenses, Springer-Verlag, New York, 1992.

• C.S. Kochanek, P. Schneider & J. Wambsganss:Gravitational Lensing: Strong, Weak & Micro,Lecture Notes of the 33rd Saas-Fee AdvancedCourse, G. Meylan, P. Jetzer & P. North (Eds.),Springer-Verlag, Berlin, 2005.

Aktive Galaxien:

• B.M. Peterson: An Introduction to Active Galac-tic Nuclei, Cambridge University Press, Cambridge,1997,

• R.D. Blandford, H. Netzer & L. Woltjer: ActiveGalactic Nuclei, Saas-Fee Advanced Course 20,Springer-Verlag, 1990,

• J. Krolik: Active Galactic Nuclei, PrincetonUniversity Press, Princeton, 1999,

• J. Frank, A. King & D. Raine: Accretion Powerin Astrophysics, Cambridge University Press,Cambridge, 2002.

Kosmologie:

• J.A. Peacock: Cosmological Physics, CambridgeUniversity Press, Cambridge, 1999,

• T. Padmanabhan: Structure formation in the Uni-verse, Cambridge University Press, Cambridge,1993,

• E.W. Kolb and M.S. Turner: The Early Universe,Addison Wesley, 1990,

• P.J.E. Peebles: Principles of Physical Cosmology,Princeton University Press, Princeton, 1993,

• G. Börner: The Early Universe, Springer-Verlag,Berlin, 2003 ,

• A.R. Liddle and D.H. Lyth: Cosmological Inflationand Large-Scale Structure, Cambridge UniversityPress, Cambridge, 2000.

D.3 Übersichtsartikel, Aktuelle Literaturund Journale

Neben solchen Büchern sind Übersichtsartikel zu einembestimmten Themenkreis von besonderem Interesse,

um sich eingehender über ein spezielles Gebiet zuinformieren. Es gibt eine Reihe von Journalen und Rei-hen, in denen exzellente Übersichtsartikel publiziertwerden. Dazu gehören Annual Reviews of Astro-nomy and Astrophysics (ARA&A) und Astronomy& Astrophysics Reviews (A&AR), die ausschließlichastronomische Artikel publizieren. In Physics Reports(Phys. Rep.) und Reviews of Modern Physics (RMP)findet man häufig ebenfalls astronomische Übersichts-artikel. Solche werden weiterhin in den Niederschriftenvon internationalen Schulen und in den Proceedings vonKonferenzen publiziert. Speziell erwähnt werden sollenhier die Lecture Notes der Saas-Fee Advanced Courses,sowie die Carnegie Observatories Astrophysics Series,deren Proceedings elektronisch unterhttp://www.ociw.edu/ociw/symposia/series

frei zugänglich sind. Ein sehr nützliches Archiv fürÜbersichtsartikel auf den in diesem Buch behandel-ten Gebieten ist die Knowledgebase for ExtragalacticAstronomy and Cosmology, zu finden unterhttp://nedwww.ipac.caltech.edu/level5.Astronomische Originalarbeiten werden in den entspre-chenden Fachjournalen publiziert; die überwiegendeZahl der in diesem Buch gezeigten Abbildungen stam-men aus diesen Journalen. Die wichtigsten von ihnensind Astronomy & Astrophysics (A&A), The Astrono-mical Journal (AJ), The Astrophysical Journal (ApJ),Monthly Notices of the Royal Astronomical Society(MNRAS) und Publications of the Astronomical So-ciety of the Pacific (PASP). Daneben gibt es eineReihe von kleineren, regionalen oder spezialisiertenJournalen, wie etwa die Astronomischen Nachrich-ten (AN), Acta Astronomica (AcA), oder Publicationsof the Astronomical Society of Japan (PASJ). Einigeastronomische Artikel werden auch in den JournalenNature und Science veröffentlicht. The Physical Re-view D enthält eine zunehmende Zahl von Arbeitenüber astrophysikalische Kosmologie.

Das Astrophysical Data System (ADS) der NASA,zugänglich über das Internet z. B. unterhttp://cdsads.u-strasbg.fr/abstract service.html,

http://adsabs.harvard.edu/abstract service.html,

ist der beste Zugang zu diesen (und vielen anderen)Journalen. Neben Suchfunktionen für Autoren undStichworten bietet ADS u. a. auch direkten Zugangzu älteren Artikeln, die gescannt wurden. Der Zugangzu neueren Arbeiten ist beschränkt auf IP-Addressen,

Page 435: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

D.3 Übersichtsartikel, Aktuelle Literatur und Journale

429

denen eine Subskription zu den jeweiligen Journalenzugeordnet ist.

Ein elektronisches Archiv für Preprints von Artikelnist überhttp://arxiv.org/archive/astro-ph

frei erreichbar. Dieses Archiv existiert seit 1992, undeine zunehmende Zahl von Artikeln wird dort abge-

legt. Speziell auf den Gebieten der extragalaktischenAstronomie und der Kosmologie sind wohl etwa 90%der in den wichtigsten Journalen erscheinenden Arti-kel auf astro-ph zu finden; auch findet man in diesemArchiv eine große Zahl von Übersichtsartikeln. astro-ph ist zur primären Informationsquelle für Astronomengeworden.

Page 436: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

431

E. Benutzte AkronymeIn diesem Anhang stellen wir einige der benutztenAbkurzungen zusammen, sowie Hinweise auf die Ab-schnitte, in denen diese Abkurzungen eingefuhrt bzw.erlautert werden.

2dF(GRS) 2 Degree Field Galaxy Redshift Survey(Abschn. 8.1.2)

ACBAR Arcminute Cosmology Bolometer Ar-ray Receiver (Abschn. 8.6.5)

ACO Abell, Corwin & Olowin (Galaxienhau-fenkatalog, Abschn. 6.2.1)

ACS Advanced Camera for Surveys (HST-Instrument)

AGB Asymptotic Giant Branch (Abschn.3.9.2)

AGN Active Galactic Nuclei (Kap. 5)ALMA Atacama Large Millimeter Array

(Kap. 10)APEX Atacama Pathfinder Experiment

(Kap. 10)ART Allgemeine RelativitatstheorieAU Astronomical UnitBAL Broad Absorption Line (-Quasar, Ab-

schn. 5.6.3)BATSE Burst And Transient Source Experiment

(CGRO-Instrument, Abschn. 9.7)BBB Big Blue Bump (Abschn. 5.4.1)BBN Big Bang Nucleosynthesis (Abschn.

4.4.4)BCD Blue Compact Dwarf (Abschn. 3.2.1)BH Black Hole (Abschn. 5.3.5)BLR Broad Line Region (Abschn. 5.4.2)BLRG Broad Line Radio Galaxy (Abschn.

5.2.3)BOOMERanG Balloon Observations Of Millimetric

Extragalactic Radiation and Geophy-sics (Abschn. 8.6.4)

CBI Cosmic Background Imager (Abschn.8.6.5)

CCD Charge Coupled DeviceCDM Cold Dark Matter (Abschn. 7.4.1)CERN Conseil European pour la Recherche

Nucleaire

CfA Harvard-Smithsonian Center for Astro-physics

CFHT Canada-France-Hawaii Telescope (Ab-schn. 1.3.3)

CFRS Canada-France Redshift Survey (Ab-schn. 8.1.2)

CGRO Compton Gamma Ray Observatory(Abschn. 1.3.5)

CHVC Compact High Velocity Cloud (Abschn.6.1.3)

CIB Cosmic Infrared Background (Abschn.9.3.1)

CLASS Cosmic Lens All-Sky Survey (Abschn.3.8.3)

CMB Cosmic Microwave Background (Ab-schn. 8.6)

CMD Color Magnitude Diagramm (An-hang B)

COBE Cosmic Background Explorer (Abschn.8.6.4)

CTIO Cerro Tololo Inter-American Observa-tory

DASI Degree Angular Scale Interferometer(Abschn. 8.6.4)

EdS Einstein–de Sitter (Abschn. 4.3.4)EMSS Extended Medium Sensitivity Survey

(Abschn. 6.3.5)EPIC European Photon Imaging Camera

(XMM-Newton Instrument)EROS Experience pour la Recherche d’Objets

Sombres (Mikrolinsen-Kollaboration,Abschn. 2.5)

ESA European Space AgencyESO European Southern Observatory (Ab-

schn. 1.3.3)FFT Fast Fourier Transform (Abschn. 7.5.3)FHD Farben-Helligkeits-Diagramm (An-

hang BFIR Far InfraredFJ Faber-Jackson (Abschn. 3.4.2)FOC Faint Object Camera (HST-Instrument)FORS Focal Reducer / Low Dispersion Spec-

trograph (VLT-Instrument)

Page 437: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

432

E. Benutzte Akronyme

FOS Faint Object Spectrograph (HST-Instru-ment)

FP Fundamental Plane (Abschn. 3.4.3)FR(I/II) Faranoff-Riley Type (Abschn. 5.1.2)FWHM Full Width Half MaximumGC Galactic Center (Abschn. 2.3, 2.6)GRB Gamma-Ray Burst (Abschn. 1.3.5, 9.7)GUT Grand Unified Theory (Abschn. 7.4.1)Gyr Gigayear = 109 JahreHB Horizontal Branch (Horizontalast)HCG Hickson Compact Group (Galaxiengrup-

penkatalog, Abschn. 6.2.8)HDF(N/S) Hubble Deep Field (North / South)

(Abschn. 1.3.3, 9.1.3)HDM Hot Dark Matter (Abschn. 7.4.1)HEAO High Energy Astrophysical Observatory

(Abschn. 1.3.5)HRD Hertzsprung-Russell Diagram (An-

hang B)HRI High Resolution Imager (ROSAT-

Instrument)HST Hubble Space Telescope (Abschn. 1.3.3)HVC High Velocity Cloud (Abschn. 2.3.6)IAU International Astronomical UnionICM Intra-Cluster Medium (Kap. 6)IGM Intergalactic Medium (Abschn. 8.5.2)IMF Initial Mass Function (Abschn. 3.9.1)IoA Institute of Astronomy (Cambridge)IR Infrared (Abschn. 2.3.1)IRAS Infrared Astronomical Observatory (Ab-

schn. 2.3.1)ISM Interstellar MediumISO Infrared Space Observatory (Abschn.

2.3.1)IUE International Ultraviolet ExplorerJCMT James Clerk Maxwell Telescope (Ab-

schn. 1.3.1)JVAS Jodrell Bank-VLA Astrometric Survey

(Abschn. 3.8.3)JWST James Webb Space Telescope (Kap. 10)KAO Kuiper Airborne Observatory (Abschn.

2.3.1)LBG Lyman-Break Galaxies (Abschn. 9.1.1)LCRS Las Campanas Redshift Survey (Abschn.

8.1.2)

LHC Large Hadron ColliderLISA Laser Interferometer Space Antenna

(Kap. 10)LMC Large Magellanic CloudLOFAR Low Frequency Array (Kap. 10)LSB Low Surface Brightness Galaxy (Ab-

schn. 7.5.4)LSR Local Standard of Rest (Abschn. 4.2.1)LSS Large-Scale Structure (Kap. 8)MACHO Massive Compact Halo Object (so-

wie gleichnamige Kollaboration, Ab-schn. 2.5)

MAMBO Max-Planck Millimeter Bolometer (Ab-schn. 9.3.2)

MAXIMA Millimeter Anisotropy Experiment Ima-ging Array (Abschn. 8.6.4)

MDM Mixed Dark Matter (Abschn. 7.4.2)MIR Mid-InfraredMLCS Multi-Color Light Curve Shape (Abschn.

8.3.1)MMT Multi-Mirror TelescopeMS Main Sequence (Hauptreihe)MW Milky WayNAOJ National Astronomical Observatory of

JapanNFW Navarro, Frenk & White (-Profil, Ab-

schn. 7.5.4)NGC New General Catalog (Kap. 3)NGP North Galactic Pole (Abschn. 2.1)NICMOS Near Infrared Camera and Multi-Object

Spectrometer (HST-Instrument)NIR Near InfraredNLR Narrow Line Region (Abschn. 5.4.3)NLRG Narrow Line Radio Galaxy (Abschn.

5.2.3)NOAO National Optical Astronomy Observa-

toryNRAO National Radio Astronomy ObservatoryNTT New Technology TelescopeOGLE Optical Gravitational Lensing Experi-

ment (Mikrolinsen-Kollaboration, Ab-schn. 2.5)

OVV Optically Violently Variable (Abschn.5.2.4)

PL Period-Luminosity (Abschn. 2.2.7)

Page 438: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

E. Benutzte Akronyme

433

PLANET Probing Lensing Anomalies Net-work (Mikrolinsen-Kollaboration, Ab-schn. 2.5)

PN Planetary NebulaPOSS Palomar Observatory Sky SurveyPSF Point Spread Function (Punktbildfunk-

tion)PSPC Position-Sensitive Proportional Counter

(ROSAT-Instrument)QSO Quasi-Stellar Object (Abschn. 5.2.1)RASS ROSAT All Sky Survey (Abschn. 6.3.5)RCS Red Cluster Sequence (Abschn. 6.6)REFLEX ROSAT-ESO Flux-Limited X-Ray sur-

veyRGB Red Giant Branch (Abschn. 3.9.2)ROSAT Roentgen Satellite (Abschn. 1.3.5)SAO Smithsonian Astrophysical ObservatorySCUBA Submillimeter Common-User Bolome-

ter Array (Abschn. 1.3.1)SDSS Sloan Digital Sky Survey (Abschn. 8.1.2)SFR Star Formation Rate (Abschn. 9.5.1)SGP South Galactic Pole (Abschn. 2.1)SIS Singular Isothermal Sphere (Abschn.

3.8.2)SKA Square Kilometer Array (Kap. 10)SN(e) Supernova(e) (Abschn. 2.3.2)SNR Supernova RemnantSMC Small Magellanic CloudSMBH Supermassive Black Hole (Abschn. 5.3)STIS Space Telescope Imaging Spectrograph

(HST-Instrument)

STScI Space Telescope Science Institute (Ab-schn. 1.3.3)

SZ Sunyaev-Zeldovich (-Effekt, Abschn.6.3.4)

TF Tully-Fisher (Abschn. 3.4)UDF Ultra Deep Field (Abschn. 9.1.3)ULIRG Ultraluminous Infrared Galaxy (Abschn.

9.2.1)ULX Ultraluminous Compact X-ray Source

(Abschn. 9.2.1)UV UltraviolettVLA Very Large Array (Abschn. 1.3.1)VLBI Very Long Baseline Interferometer (Ab-

schn. 1.3.1)VLT Very Large Telescope (Abschn. 1.3.3)VST VLT Survey Telescope (Abschn. 6.2.5)WD White Dwarf (Abschn. 2.3.2)WIMP Weakly Interacting Massive Particle

(Abschn. 4.4.2)WFI Wide Field Imager (Kamera am

ESO/MPG 2.2m Teleskop, La Silla,Abschn. 6.5.2)

WFPC2 Wide Field and Planetary Camera 2(HST-Instrument)

WMAP Wilkinson Microwave Anisotropy Probe(Abschn. 8.6.5)

XMM X-ray Multi-Mirror Mission (Abschn.1.3.5)

XRB X-Ray Background (Abschn. 9.3.2)ZAMS Zero Age Main Sequence (Abschn.

3.9.2)

Page 439: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

435

F. Quellennachweis der Abbildungen

Kapitel 1

1.1 Credits: ESO

1.2 Credits: NASA, The NICMOS Group (STScI,ESA) and The NICMOS Science Team (Univ. ofArizona)

1.5 Quelle: http://adc.gsfc.nasa.gov/mw/mmw_product.html#viewgraph Credits: NASA’sGoddard Space Flight Center

Radio Continuum (408 MHz): Data from ground-based radio telescopes (Jodrell Bank Mark Iand Mark IA, Bonn 100-meter, and Parkes 64-meter). Credits: Image courtesy of the NASAGSFC Astrophysics Data Facility (ADF). Refe-rence: Haslam, C. G. T., Salter, C. J., Stoffel, H.,& Wilson, W. E. 1982, Astron. Astrophys. Suppl.Ser., 47, 1. Online data access: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/survey.html

Atomic Hydrogen: Leiden-Dwingeloo Survey ofGalactic Neutral Hydrogen using the Dwingeloo25-m radio telescope. contact/credit: Dap Hart-mann, [email protected] References:Burton, W. B. 1985, Astron. Astrophys. Suppl.Ser., 62, 365 Hartmann, Dap, & Burton, W. B.,,,Atlas of Galactic Neutral Hydrogen,“ Cam-bridge Univ. Press, (1997, book and CD-ROM).Kerr, F. J., et al. 1986, Astron. Astrophys. Suppl.Ser. Online data access: http://adc.gsfc.nasa.gov/adc-cgi/cat.pl?/catalogs/8/8054

Radio Continuum (2.4–2.7 GHz): Data fromthe Bonn 100-meter, and Parkes 64-meterradio telescopes. contact/credit: Roy Dun-can, [email protected] References: Dun-can, A. R., Stewart, R. T., Haynes, R. F., &Jones, K. L. 1995, Mon. Not. Roy. Astr. Soc., 277,36. Fuerst, E., Reich, W., Reich, P., & Reif, K.1990, Astron. Astrophys. Suppl. Ser., 85, 691.Reich, W., Fuerst, E., Reich, P., & Reif, K. 1990,Astron. Astrophys. Suppl. Ser., 85, 633. Onlinedata access: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/ sur-

vey.html http://www.atnf.csiro.au/database/astro_data/ 2.4Gh_Southern

Molecular Hydrogen: Data from the Co-lumbia/GISS 1.2 m telescope in New YorkCity, and a twin telescope on Cerro To-lolo in Chile contact/credit: Thomas Dame,[email protected] References: Dame, T. M.,Hartmann, Dap, & Thaddeus, P. 2001, Astrophy-sical Journal, 547, 792. Online data access: COdata (1987 Dame et al. composite survey) fromADC archives: ftp://adc.gsfc.nasa.gov/pub/adc/archives/catalogs/8/8039/

Infrared: Data from the Infrared Astronomical Sa-tellite (IRAS) Credit: Image courtesy of the NASAGSFC Astrophysics Data Facility (ADF). Refe-rence: Wheelock, S. L., et al. 1994, IRAS SkySurvey Atlas Explanatory Supplement, JPL Publi-cation 94-11 (Pasadena: JPL). Online data access:IRAS pages at IPAC ADF/IRAS interface to allreleased IRAS data products: http://space.gsfc.nasa.gov/astro/iras/iras_home.html

Mid-infrared (6.8 -10.8 microns): Data from theSPIRIT III instrument on the Midcourse Space Ex-periment (MSX) satellite. contact/credit: StephanD. Price, [email protected] Reference:Price, S. D., et al. 2001, Astron. J., 121, 2819. On-line Information: http://sd-www.jhuapl.edu/MSX/

Near Infrared: Data from the Cosmic BackgroundExplorer (COBE) Credits: Image courtesy of theNASA GSFC Astrophysics Data Facility (ADF).Reference: Hauser, M. G., Kelsall, T., Leisa-witz, D., & Weiland, J. 1995, COBE DiffuseInfrared Background Experiment ExplanatorySupplement, Version 2.0, COBE Ref. Pub. No.95-A (Greenbelt, MD: NASA/GSFC). Online dataaccess: COBE data from the COBE Home Page atthe ADF http://space.gsfc.nasa.gov/astro/cobe/

Optical: Data from sites in the United States,South Africa, and Germany taken by A. Mellin-ger. contact/credit: Axel Mellinger, [email protected] Reference: Mellinger, A., Creating a

Page 440: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

436

F. Quellennachweis der Abbildungen

Milky Way Panorama. http://canopus.physik.uni-potsdam.de/ axm/astrophot.html

X-Ray: Data from the Röntgen Satellite (ROSAT)Credits: Image courtesy of the NASA GSFCAstrophysics Data Facility (ADF). Reference:Snowden, S. L., et al. 1997 Astrophys. J., 485,125. Online data access: ROSAT All-Sky Surveyat MPE ROSAT data archives at the HEASARC:http://heasarc.gsfc.nasa.gov/docs/rosat/

Gamma Ray: Data from the Energetic Gamma-Ray Experiment Telescope (EGRET) instru-ment on the Compton Gamma-Ray Observatory(CGRO) Credits: Image courtesy of the NASAGSFC Astrophysics Data Facility (ADF). Refe-rences: Hartman, R. C., et al. 1999, Astrophys.J. Suppl., 123, 79. Hunter, S. D., et al.1997, Astrophys. J., 481, 205. Online data ac-cess: EGRET instrument team’s Home PageEGRET data from the Compton Observatory SSChttp://cossc.gsfc.nasa.gov/egret/index.html

1.6 Credits: S. Hughes & S. Maddox - Isaac NewtonGroup of Telescopes

1.7 Credits: M. Altmann, Sternwarte der UniversitätBonn

1.8 Quelle: http://www.astro.princeton.edu/ frei/Gcat_htm/Sub_sel/gal_4486.htm Credits: Z. Frei,J. E. Gunn, Princeton University

1.9 Quelle: Hale Obseravtories Credits: J. Silk, TheBig Bang, 2nd Ed.

1.10 Quelle: E. Hubble; Proc. Nat. Academy Sciences15, No. 3, March 15, 1929 Credits: PNAS

1.11 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1996/35/image/b Cre-dits: John Bahcall (Institute for Advanced Study,Princeton) and NASA

1.12 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1997/17/image/a Cre-dits: Rodger Thompson, Marcia Rieke, GlennSchneider (University of Arizona) and Nick Sco-ville (California Institute of Technology), andNASA

1.13 Quelle: http://heritage.stsci.edu/1999/41/index.html Credits: STScI and The HubbleHeritage Project

1.14 Quelle: www.noao.edu/image_gallery/html/im0118.html Credits: NOAO/AURA/NSF

1.15 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/0087/Credits: Optisch: La Palma/B. McNamara/Rönt-gen: NASA/CXC/SAO

1.16 Quelle: http://heritage.stsci.edu/1999/31/index.html Credits: STScI und das HubbleHeritage Project

1.17 Quelle: http://aether.lbl.gov/www/projects/cobe/COBE_Home/DMR_Images.htmlCredits: COBE/DRM Team, NASA

1.18 Quelle: http://www.nrao.edu/imagegallery/php/level3.php?id=107 Credits: NRAO/AUI

1.19 Quelle: http://www.naic.edu/public/about/photos/hires/ao004.jpg courtesy of the NAIC - AreciboObservatory, a facility of the NSF. Photo by DavidParker / Science Photo Library

1.20 links: Quelle: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/public/images/100m.html Credits: Max PlanckInstitut für Radioastronomie

1.20 rechts: Quelle: http://www.nrao.edu/imagegallery/php/level3.php?id=412 Credits: NRAO/AUO

1.21 Quelle: http://webdbnasm.si.edu/tempadmin/whatsNew/whatsNewImages/s-Credits: NRAO/AUO

1.22 Quelle: http://www.mpifr-bonn.mpg.de/staff/bertoldi/mambo/intro.html Credits: Max PlanckInstitut für Radioastronomie

1.23 Quelle: http://outreach.jach.hawaii.edu/pressroom/2003-scuba2cfi/jcmt.jpg Credits: JointAstronomy Centre

1.24 links: Quelle: http://www.spitzer.caltech.edu/about/earlyhist.shtml Credits: CourtesyNASA/IPAC

1.24 rechts Quelle: http://www.esa.int/esaSC/120396_index_1_m.htmlCredits: ESA / www.esa.int

Page 441: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

F. Quellennachweis der Abbildungen

437

1.25 Quelle: R. Wainscoat Credits: R. Wainscoat,University of Hawaii

1.26 Credits: ESO

1.27 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1996/01/image/d Cre-dits: R. Williams (STScI), the Hubble Deep FieldTeam and NASA

1.28 Quelle: R. Wainscoat Credits: R. Wainscoat,University of Hawaii

1.29 Credits: ESO

1.30 Credits: ESO

1.31 Credits: ESO

1.32 links: Quelle: http://www.mpe.mpg.de/PIFICONS/rosat-transparent.gif Credits:www.xray.mpe.mpg.de / www.mpe.mpg.de

1.32 rechts oben: Quelle: http://xrtpub.harvard.edu/resources/illustrations/craftRight.html Credits:NASA/CXC/SAO

1.32 rechts unten: sXMM: Quelle: http://sci.esa.int/science-e/www/area/index.cfm?fareaid=23Credits: ESA / www.esa.int

1.33 links: Quelle: http://cossc.gsfc.nasa.gov/images/epo/gallery/cgro/ Credits: NASA

1.33 rechts: Quelle: http://www.esa.int/esaSC/120374_index_1_m.html Credits: ESA /www.esa.int

Kapitel 2

2.1 Quelle: http://belplasca.de/Astro/milchstrasse.html Credits: Stephan Messner,Sternwarte Brennerpass

2.5 Quelle: http://www.ociw.edu/research/sandage.html Credits: Allan Sandage, The Obser-vatories of the Carnegie Institution of Washington

2.6 Quelle: Draine 2003, ARA&A 41, 241 Credits:Reprinted, with permission, from the AnnualReview of Astronomy & Astrophysics

2.7 Credits: ESO

2.8 Credits: Unsöld Baschek, Der Neue Kosmos,Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York2002

2.9 Quelle: Tammann et al, 2003, A&A 404, 423,p. 436 Credits: G.A. Tammann, AstronomischesInstitut der Universität Basel,

2.10 Credits: Unsöld Baschek, Der Neue Kosmos,Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York2002

2.11 Credits: Schlegel, D.J., Finkbeiner, D.P. & Davis,M., ApJ 1999, 500, 525,

2.12 Quelle: Reid 1993, ARA&A 31, 345, p.355 Cre-dits: Reprinted, with permission, from the AnnualReview of Astronomy & Astrophysics

2.14 nach Caroll & Ostlie, 1995

2.18 Introduction to Modern Astrophysics. Addison–Wesley

2.19 Credits: Englmaier & Gerhard 1999, MNRAS304, 512, p. 514

2.20 Credits: Clemens 1985, ApJ 295, 422, p. 429

2.21 Credits: Wambsganss 1998, Living Review inRelativity 1, 12

2.23 Credits: Schneider, Ehlers & Falco 1992,Gravitational Lensing, Springer-Verlag, BerlinHeidelberg New York 2002

2.24 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419, p.424Credits: Reprinted, with permission, from theAnnual Review of Astronomy & Astrophysics

2.25 Credits: Wambsganss 1998, Living Review inRelativity 1, 12

2.26 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419,p.425,426,427 Credits: Reprinted, with permis-sion, from the Annual Review of Astronomy &Astrophysics

2.27 Quelle: Alcock et al. 1993, Nature 365, 621Credits: Charles R. Alcock, Harvard-SmithonianCenter for Astrophysics

2.28 Quelle: Alcock et al. 2000, ApJ 542, 281, p. 284Credits: Charles R. Alcock, Harvard-SmithonianCenter for Astrophysics

Page 442: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

438

F. Quellennachweis der Abbildungen

2.29 Quelle: Alcock et al. 2000, ApJ 542, 281, p. 304Credits: Charles R. Alcock, Harvard-SmithonianCenter for Astrophysics

2.30 Credits: Afonso et al., 2003, A&A 400, 951, p. 955

2.31 Quelle: Paczynski 1996, ARA&A 34, 419, p.435,434 Credits: Reprinted, with permission, fromthe Annual Review of Astronomy & Astrophysics

2.32 Credits: Albrow et al. 1999, ApJ 512, 672, p. 674

2.33 Credits: W. Keel (U. Alabama, Tuscaloosa), CerroTololo, Chile

2.34 links Quellen: Links: N.E. Kassim, aus LaRosaet al. 2000, AJ 119, 207, Credits: Produced atthe U.S. Naval Research Laboratory by Dr. N.E.Kassim and collaborators from data obtained withthe National Radio Astronomy’s Very Large ArrayTelescope, a facility of the National Science Foun-dation operated under cooperative agreement withAssociated Universities, Inc. Basic research in ra-dio astronomy at the Naval Research Laboratoryis supported by the U.S. Office of Naval Research

2.34 rechts oben: Credits: Plante et al. 1995, ApJ 445,L113

2.34 rechts Mitte: Credits: Image courtesy of NRAO/AUI; National Radio Astronomy Observatory

2.34 rechts unten: Credits: Image courtesy of Leo Blitzand Hat Creek Observatory

2.35 Credits: NASA/UMass/D.Wang et al.

2.36 Credits: Genzel 2000, astro-ph/0008119, p.18Credits: Reinhard Genzel, MPE

2.37 Credits: Schödel et al., 2003, ApJ 596, 1015,p.1024

2.38 Credits: Schödel et al., 2003, ApJ 596, 1015,p.1027

2.39 Credits: Reid & Brunthaler 2004, ApJ 616, 872,p. 875

Kapitel 3

3.1 Credits: ESO

3.2 Credits: Kormendy & Bender 1996, ApJ 464, 119

3.4 Quelle: NASA, K. Borne, L. Colina, H. Bushouse& R. Lucas Credits: Kirk Borne, Goddard SpaceFlight Center, Greenbelt, MD 20771, USA

3.5 oben links: Quelle: http://archive.eso.org/dss - dss12.23.28.0.gif Credits: ESO

3.5 oben rechts: Credits: ESO

3.5 unten links: Credits: Leo I, Michael Breite,www.skyphoto.de

3.5 unten rechts: Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2003/07/Image Credit: NASA, ESA, and The Hubble He-ritage Team (STScI/AURA) Acknowledgment:M. Tosi (INAF, Osservatorio Astronomico diBologna)

3.6 Credits: Kim et al. 2000, MNRAS 314, 307

3.7 Credits: Bender et al. 1992, ApJ 399,462

3.8 Credits: Schombert 1986, ApJS 60, 603

3.9 Credits: Davies et al. 1983, ApJ 266, 41

3.12 Credits: Kormendy & Djorgovski 1989, ARA&A27, 235

3.13 Credits: Schweizer & Seitzer 1988, ApJ 328, 88

3.14 Quelle: http://www.ing.iac.es/PR/science/galaxies.html / Isaac Newton Group of Telesco-pes Image Credits: Links oben: NGC4826s.jpg/ ING Archive and Nik Szymanek. Mitte oben:m51_v3s.jpg / Javier Méndez (ING) and Nik Szy-manek (SPA). Rechts oben: m101s.jpg / PeterBunclark (IoA) and Nik Szymanek. Rechts unten:johan9ss.jpg / Johan Knapen and Nik Szymanek.

3.14 Links unten, Mitte unten: Image Credits: ESO

3.15 Credits: Rubin et al. 1978, ApJ 225, L107

3.16 Credits: van Albada et al. 1985, ApJ 295, 305

3.17 Credits: Aguerri et al. 2000, A&A 361, 841

3.18 Quelle: http://chandra.harvard.edu/press/01_releases/press_071901.html Image Credit: X-ray: NASA/CXC/UMass/D.Wang et al. / Optical:NASA/HST/D.Wang et al.

3.19 Quelle: Pierce & Tully 1992, ApJ 387, 47 Credits:Robin Phillips, www.robinphillips.net

Page 443: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

F. Quellennachweis der Abbildungen

439

3.20 Credits: Macri et al 2000, ApJS 128, 461

3.21 Credits: McGaugh et al. 2000, ApJ 533,L99

3.22 Credits: Bender et al. 1992, ApJ 399,462

3.23 Credits: Kormendy & Djorgovski 1989, ARA&A27, 235

3.24 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1997/12/ Credits: GaryBower, Richard Green (NOAO), the STISInstrument Definition Team, and NASA

3.25 Credits: Kormendy & Ho 2000, astro-ph/0003268

3.26 Quelle: http://www.astr.ua.edu/keel/agn/m87core.html Credits: STScI, NASA, ESA, W.Keel and Macchetto et al., ApJ 489, 579 (1997)for providing the HST FOC data

3.27 Quelle: http://cfa-www.harvard.edu/cfa/hotimage/ngc4258.html Credits: Harvard-Smith-sonian Center for Astrophysics, the NationalRadio Astronomy Observatory, and the NationalAstronomical Observatory of Japan und C. DePree, Agnes Scott College

3.28 Credits: Kormendy 2000, astro-ph/007401

3.29 Von http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1994/22/ Credits: Credit: Dr.Christopher Burrows, Ray Villard, ESA/ STScIand NASA

3.30 Credits: Jacoby et al. 1992, PASP 104, 599

3.31 Credits: Schechter 1976, ApJ 203, 297

3.32 Credits: Binggeli et al. 1988, ARA&A 26, 509

3.33 Credits: Blandford & Narayan 1992, ARA&A 30,311

3.34 Credits: Young et al., ApJ 241,507

3.35 Credits: Narayan & Bartelmann 1996, astro-ph/9606001

3.36 oben: Credits: Young et al. 1980, ApJ 241, 507

3.36 unten: Credits: Harvanek et al. 1997, AJ 114, 2240

3.37 oben: Credits: Gorenstein et al. 1988, ApJ 334, 42

3.37 unten: Credits: Michalitsianos et al. 1997, ApJ474, 598

3.38 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1998/37/image/a Cre-dit: Christopher D. Impey, University of Arizona

3.39 links: Credits: Yee 1988, AJ 95, 1331: H. K. C. YeeDepartment of Astronomy, University of Toronto,Toronto, ON, M5S 3H8, Canada

3.39 rechts: Quelle: http://cfa-www.harvard.edu/castles/Postagestamps/Gifs/Fullsize/Q2237Hcc.gif Credits: C. S. Kochanek

3.40 Credits: aus Adam et al. 1989, A&A 208, L15

3.41 Quelle: http://www.jb.man.ac.uk/research/gravlens/lensarch/B1938+666/B1938+666.html/src_all.jpg King et al. 1998,MNRAS 295, L41

3.42 Credits: Langston et al. 1998, AJ 97, 1283

3.44 links: Credits: Kundic et al. 1997, ApJ 482, 75

3.44 rechts: Credits: Haarsma et al. 1997, ApJ 479, 102

3.45 Credits: Charlot, Lecture Notes in Physics Vol.470, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg NewYork, 1996

3.46 Credits: Charlot, Lecture Notes in Physics Vol.470, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg NewYork, 1996

3.47 Credits: Charlot, Lecture Notes in Physics Vol.470, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg NewYork, 1996

3.48 Credits: Charlot, Lecture Notes in Physics Vol.470, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg NewYork, 1996

3.49 Credits: Kennicutt 1992, ApJS 79, 255

Kapitel 4

4.1 Quelle: http://www-astro.physics.ox.ac.uk/∼wjs/apm_survey.htmlCredits:

Steve Maddox Nottingham Astronomy Group.The University of Nottingham. U.K.

Will Sutherlandhttp://www-astro.physics.ox.ac.uk/index.html

Page 444: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

440

F. Quellennachweis der Abbildungen

George Efstathiou Director Institute of Astro-nomy, University of Cambridge, UK

Jon Loveday, University of Sussex, Brighton, UK

with follow-up by Gavin Dalton,Astrophysics Department, Oxford University.U.K.

4.2 Quelle: http://www.obspm.fr/messier/xtra/leos/M005Leos.html Copyright: Leos Ondra

4.2 Credits: Hesser, J. E.; Harris, W. E.; Vandenberg,D. A.; Allwright, J. W. B.; Shott, P.; Stetson, P. B.1987 PASP 99, 739.

4.3 Quelle: COBE,NASA http://lambda.gsfc.nasa.gov/product/cobe/firas_image.cfm Credits:We acknowledge the use of the Legacy Ar-chive for Microwave Background Data Analysis(LAMBDA). Support for LAMBDA is providedby the NASA Office of Space Science

4.4 Credits: Windhorst, Rogier A.; Fomalont, EdwardB.; Partridge, R. B.; Lowenthal, James ,D., 1993ApJ 405,498

4.5 Credits: Cosmological Physics. J.A. Peacock.Cambridge University Press 1999.

4.6 Quelle: http://rst.gsfc.nasa.gov/Sect20/A1a.htmlCredits: J. Silk, The Big Bang, 2nd Ed.

4.7 Credits: Cosmological Physics. J.A. Peacock.Cambridge University Press 1999.

4.11 Credits: Cosmological Physics. J.A. Peacock.Cambridge University Press 1999.

4.12 Credits: Aragon-Salamanca, Alfonso; Baugh,Carlton M.; Kauffmann, Guinevere, 1998,MNRAS 297, 427A

4.13 Quelle: Mass fraction of nuclei as a function oftemperature. Deuterium and baryonic density ofthe universe. David Tytler, John M. O’Meara,Nao Suzuki, Dan Lubin. Physics Reports 333-334 (2000) 409-432. Credits: Reprinted withpermission from Elsevier

4.14 Quelle: Abundances for the light nucleu4He,D,3He and 7Li calculated in standard BBN.Deuterium and baryonic density of the universe.David Tytler, John M. O’Meara, Nao Suzuki, Dan

Lubin. Physics Reports 333-334 (2000) 409-432.Credits: Reprinted with permission from Elsevier

4.15 Credits: Penzias, A. A. & Wilson, R. W., 1965,Astrophysical Journal, vol. 142, p.419-421: p.419.

4.18 Quelle: ,,The Inflationary Universe“, Ed. PerseusBooks (1997), ISBN 0-201-32840-2 Credits: AlanGuth, MIT

Kapitel 5

5.1 Credits: Netzer, Active Galactic Nuclei, Springer-Verlag, Berlin Heidelberg New York 1990

5.2 Credits: Francis et al. 1991, ApJ 373, 465

5.3 Credits: Francis et al. 1991, ApJ 373, 465

5.4 Credits: Morgan 1968, ApJ 153, 27

5.5 Credits: Laing & Bridle 1987, MNRAS 228, 557

5.5 Credits: Bridle et al. 1994, AJ, 108, 766

5.6 Credits: Bridle & Perley 1984, ARA&A 22, 319

5.8 Credits: Hewitt & Burbidge 1993, ApJS, 87, 451

5.9 Quelle: http://www.astr.ua.edu/keel/agn/vary.htmlCredits: William C. Keel, University of Alabama,USA

5.10 Quelle: Hartman et al 2001, ApJ 558, 583

5.11 Credits: Marscher et al. 2002, Nature, 417, 625

5.12 Quelle: http://www.stsci.edu/ftp/science/m87/bw4.gif Credits: John Biretta, Space TelescopeScience Institute. Press Release Text: Hubble De-tects Faster-Than-Light Motion in Galaxy M87January 6, 1999, J. Biretta (ST ScI)

5.14 Credits: Urry & Padovani 1995, PASP, 107, 803(reprinted by permission of the author)

5.15 Credits: Fabian et al. 2000, PASP 112, 1145

5.16 Credits: Fabian et al. 2000, PASP 112, 1145

5.17 Credits: Streblyanska et al. 2005, A&A 432, 395

5.20 Credits: Malkan 1983, ApJ 268, 582

5.21 Credits: Clavel et al. 1991, ApJ 366, 64

5.22 Credits: Clavel et al. 1991, ApJ 366, 64

Page 445: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

F. Quellennachweis der Abbildungen

441

5.23 Credits: Clavel et al. 1991, ApJ 366, 64

5.24 Quelle: Allan Sandage, Observatories of theCarnegie Institution of Washington, 813 SantaBarbara Street, Pasadena, CA 91101, USA. andAndrew S. Wilson, Department of Astronomy,University of Maryland, College, USA

5.25 Credits: Sako et al. 2001, A&A 365, L168

5.26 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2005/12/image/q Cre-dit: John Bahcall (Institute for Advanced Study,Princeton), Mike Disney (University of Wales),and NASA

5.27 Credits: Miller et al. 1991, ApJ 378, 47

5.29 Credits: Pogge & de Robertis 1993, ApJ, 404, 563

5.30 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1992/27/image/b Cre-dit: National Radio Astronomy Observa-tory, California Institute of Technology Cre-dit: Walter Jaffe/Leiden Observatory, HollandFord/JHU/STScI, and NASA

5.31 Credits: Urry & Padovani 1995, PASP, 107, 803,(reprinted by permission of the author)

5.32 Quelle: http://www.spacetelescope.org/images/html/opo9943e.html Credit: NASA/ESA and AnnFeild (Space Telescope Science Institute)

5.33 links: Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2003/03/image/c Cre-dit for WFPC2 image: NASA and J. Bahcall(IAS)

5.33 rechts: Quelle: http://www11.msfc.nasa.gov/news/news/photos/2000/photos00-308.htm Cre-dit: NASA/CXC/H. Marshall et al.

5.34 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1999/43/ Credit:NASA, National Radio Astronomy Observa-tory/National Science Foundation, and JohnBiretta (STScI/JHU)

5.35 links: Quelle: http://heasarc.gsfc.nasa.gov/docs/objects/heapow/archive/active_galaxies/pks1127_chandra.html Credits: X-ray: NASA/CXC/A.Siemiginowska (CfA) & J.Bechtold (U.Arizona); Radio: Siemiginowska et al. (VLA)

5.35 rechts: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/0157blue/ NASA/SAO/R.Kraft et al.

5.37 Credits: Croom et al. 2004, MNRAS 349, 1397

5.39 Credits: Chaffee et al.1988, ApJ 335, 584

5.40 Credits: Rauch 1998, ARA&A 36, 267

5.41 Credits: Sargent, Wallace L. W.; Steidel, CharlesC.; Boksenberg, A. 1989, ApJS 69, 703

5.42 Credits: Turnshek 1988, in: QSO absorbtion li-nes: Probing the universe: Proceedings of theQSO Absorbtion Line Meeting, Baltimore, MD,Cambridge University Press, 1988

5.43 Quelle: http://www.mpia-hd.mpg.de/Public/Aktuelles/PR/2001/PR010809/pri0152.pdf H.-W.Rix, Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidel-berg;

Kapitel 6

6.1 Quelle: http://pupgg.princeton.edu/ groth/ Cre-dits: Seldner, Siebers, Groth and Peebles, 1977,A. J., 82, 249.

6.2 Credits: Sharp, N.A. 1986, PASP 98, 740

6.3 links: Quelle: http://subarutelescope.org/Pressrelease/1999/01/index.html#hcg40 Credits:Subaru Telescope, National Astronomical Obser-vatory of Japan (NAOJ)

6.3 rechts: Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/pr-2002/phot-18- 02.html Credits: ESO

6.4 Credits: Eva Grebel, Astronomical Institute,University of Basel, Switzerland

6.5 Quelle: http://www.noao.edu/image_gallery/html/im0562.html Credits: NOAO/AURA/NSF

6.6 Credits: Brüns et al. 2005, A&A 432, 45

6.7 Quelle: http://www.robgendlerastropics.com/M8182.html Credits: Robert Gendler

6.10 links: Quelle: http://www.astro.uni-bonn.de/∼maltmann/actintgal.html Credits: M. Altmann

6.10 rechts: Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2002/22/image/

Page 446: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

442

F. Quellennachweis der Abbildungen

bImage Credit: NASA, J. English (U. Manitoba),S. Hunsberger, S. Zonak, J. Charlton, S. Gallagher(PSU), and L. Frattare (STScI) Science Credit:NASA, C. Palma, S. Zonak, S. Hunsberger, J.Charlton, S. Gallagher, P. Durrell (The Pennsyl-vania State University) and J. English (Universityof Manitoba)

6.11 Credits: Goto et al. 2003, astro-ph/0312043

6.12 links: Quelle: http://heasarc.gsfc.nasa.gov/docs/rosat/gallery/clus_coma.html Credits: S. L. Snow-den USRA, NASA/GSFC

6.12 rechts: Credits: Briel et al 2001, A&A 365, L60

6.13 Quelle: http://wave.xray.mpe.mpg.de/rosat/calendar/1997/may Credits: Max-Planck-Institutfür extraterrestrische Physik, Garching.

6.14 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/1998/26/ Credits: Me-gan Donahue (STSCI) 7 Ground Credits: IsabellaGioia (Univ. of Hawaii), and NASA

6.15 Quelle: http://www.astro.uni-bonn.de/ reiprich/act/gcs/ Credits: Thomas Reipich

6.16 Quelle: http://www.astro.uni-bonn.de/ reiprich/act/gcs/ Credits: Thomas Reipich

6.17 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2002/0146/ Credit: NASA/IoA/J.Sanders & A.Fabian

6.18 Credits: Peterson et al. 2003, astro-ph/0310008

6.19 Quelle: http://wave.xray.mpe.mpg.de/rosat/calendar/1994/sep Copyright: Max-Planck-Insti-tut für extraterrestrische Physik, Garching.

6.20 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/hcg62/ Credits: NASA/CfA/J.Vrtilek et al.

6.21 Credits: Markevitch et al. 2002, ApJ 567, L2

6.22 Credits: Carlstrom et al. 2002, ARA&A 40, 643

6.23 Credits: Grego et al. 2001, ApJ 552, 2

6.25 Quelle: http://www.xray.mpe.mpg.de/rosat/survey/sxrb/12/ass.html Image Credit:M.J.Freyberg, R.Egger (1999), ,,ROSAT PSPCAll-Sky Survey maps completed“, in Procee-dings of the Symposium ,,Highlights in X-rayAstronomy in honour of Joachim Trümper’s 65th

birthday“, eds. B.Aschenbach & M.J.Freyberg,MPE Report 272, p.278-281

6.24 Credits: Stanford et al. 2001, ApJ 552, 504

6.26 Credits: Finoguenov et al. 2001, A&A 368, 749

6.27 Quelle: http://www.astro.uni-bonn.de/ reiprich/act/gcs/ Credits: Reiprich & Böhringer 2002, ApJ567, 716

6.28 Credits: Lin et al. 2004, ApJ 610, 745

6.29 Quelle: http://serweb.oamp.fr/kneib/hstarcs/hst_a370.html Credits: Jean-Paul Kneib

6.30 Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/pr-1998/pr-19- 98.html Credits: ESO

6.31 Credits: Fort, B. & Mellier, Y. 1994, A&AR 5, 239

6.32 oben: Quelle:http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/ 1995/14/image/a Cre-dits: W.Couch (University of New South Wales),R. Ellis (Cambridge University), and NASA

6.32 links: Quelle:http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/ 1996/10/image/a Cre-dit: W.N. Colley and E. Turner (PrincetonUniversity), J.A. Tyson (Bell Labs, LucentTechnologies) and NASA

6.33 Quelle: http://hubblesite.org/newscenter/newsdesk/archive/releases/2003/01 /image/b Cre-dit: NASA, N. Benitez (JHU), T. Broadhurst(Racah Institute of Physics/The Hebrew Uni-versity), H. Ford (JHU), M. Clampin (STScI),G. Hartig (STScI), G. Illingworth (UCO/LickObservatory), the ACS Science Team and ESA

6.34 Credits: C. Seitz, LMU München

6.35 Optische Aufnahme: HST/NASA, Colley et al.

6.35 Scherungsfeld und Massenrekonstruktion, C. Seitz,LMU München

6.36 Credits: Squires et al. 1996, ApJ 461, 572

6.37 links unten: Credits: Luppino & Kaiser 1997, ApJ475, 20

6.37 rechts: Credits: Hoekstra et al. 2000, ApJ 532, 88

6.38 unten: Credits: Trager et al. 1997, ApJ 485

Page 447: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

F. Quellennachweis der Abbildungen

443

6.39 unten: Quelle: http://www.noao.edu/outreach/press/pr01/pr0111.html Credit: Lucent Technolo-gies’ Bell Labs/NOAO/AURA/NSF

6.40 Credits: Gioia et al. 2001, ApJ 553

6.41 Credits: Margoniner et al. 2001, ApJ 548, L143

6.42 Credits: Gladders & Yee 2000, AJ 120, 2148

6.43 Credits: Spinrad et al. 1997, ApJ 484, 581

6.44 Quelle: http://www.astro.cz/apod/ap990722.htmlCredits: P. van Dokkum, M. Franx (U. Groningen /U. Leiden), ESA, NASA

6.46 Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/pr-2002/pr-07- 02.html George Miley, LeidenUniversity Observatory, The Netherlands

6.45 Credits: 327; Mullis et al. ApJ 623,L85, 2005

Kapitel 7

7.1 Quelle: http://www.mso.anu.edu.au/2dFGRS/Credits: The 2dF Galaxy Redshift Survey team,http://magnum.anu.edu.au/ TDFgg/

7.2 Quelle: http://cfa-www.harvard.edu/ huchra/zcat/Credits: John Huchra

7.4 Credits: Tucker et al. 1997, MNRAS 285, L5

7.7 Credits: Eke et al. 1996, MNRAS 282, 263

7.8 Credits: Bahcall & Fan 1998, ApJ 504, 1

7.9 Credits: Springel et al. 2005, astro-ph/0504097

7.10 Quelle: http://www.mpa-garching.mpg.de/galform/virgo/int_sims/index.shtml Credits: ,,Thesimulations in this paper were carried outby the Virgo Supercomputing Consortiumusing computers based at Computing Centreof the Max-Planck Society in Garching andat the Edinburgh Parallel Computing Centre.The data are publicly available at www.mpa-garching.mpg.de/galform/virgo/int_sims“

7.11 Quelle: http://www.mpa-garching.mpg.de/galform/virgo/hubble/index.shtml Credits: The si-mulations in this paper were carried out bythe Virgo Supercomputing Consortium usingcomputer s based at the Computing Centre of

the Max-Planck Society in Garching and atthe Edinburgh parallel Computing Centre. Thedata are publicly available at http://www.mpa-garching.mpg.de/galform/virgo/hubble

7.12 Credits: Springel et al. 2005, astro-ph/0504097

7.13 Credits: Navarro, Frenk & White 1997, ApJ 490,493

7.14 Credits: Navarro, Frenk & White 1997, ApJ 490,493

7.15 Credits: Navarro, Frenk & White 1997, ApJ 490,493

7.16 Credits: Lin et al. 2004, ApJ 610, 745

7.17 Credits: Moore et al. 1999, ApJ 524, L19

7.18 Credits: Moore et al. 1999, ApJ 524, L19

7.19 Credits: Fassnacht et al. 1999, AJ 117, 658

7.20 links: Credits: Koopmans et al. 2002, MNRAS334

7.20 rechts: Quelle: http://cfa-www.harvard.edu/castles/Individual/MG2016.html Credits:http://cfa-www.harvard.edu/castles/ (C.S. Kocha-nek, E.E. Falco, C. Impey, J. Lehar, B. McLeod,H.-W. Rix)

Kapitel 8

8.1 Quelle: http://cfa-www.harvard.edu/∼huchra/zcatCredits: John Huchra

8.2 Credits: Lin et al. 1996, ApJ 471, 617

8.3 Credits: Peacock 2003, astro-ph/0309240

8.4 Credits: Peacock & Dodds 1994, MNRAS 267,1020

8.5 links: Credits: Peacock 2003, astro-ph/0309240

8.5 rechts: Credits: Peacock 2001, astro-ph/0105450

8.6 oben: Credits: Hamilton 1997, astro-ph/9708102

8.7 Credits: Hawkins et al. 2003, MNRAS 346, 78

8.8 Credits: Conolly et al. 2002, ApJ 579, 42

8.9 Credits: Dekel 1994, ARA&A 32, 371

Page 448: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

444

F. Quellennachweis der Abbildungen

8.10 Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/pr-1999/phot-46- 99.html Credits: ESO

8.12 Credits: Schuecker et al. 2001, A&A 368, 86

8.13 Credits: Filippenko & Riess 2000, astro-ph/0008057

8.14 Quelle: http://www-supernova.lbl.gov/public/figures/stretch_hamuy.gif Credits: S. Perlmutter

8.15 Credits: Riess et al. 2004, ApJ 607, 665

8.16 Credits: Riess et al. 2004, ApJ 607, 665

8.17 Credits: Riess et al. 2004, ApJ 607, 665

8.18 Quelle: http://www.cfht.hawaii.edu/News/Lensing/ Image Credit: Canada-France-HawaiiTelescope Corporation

8.19 Quelle: http://www2.iap.fr/LaboEtActivites/ThemesRecherche/Lentilles/arcs/cosmicshearstatus.html Credits: Yannick Mellier,Institut d’Astrophysique de Paris

8.20 Credits: van Waerbeke et al. 2001, A&A 374, 757

8.21 Credits: Miralda-Escude et al. 1996, ApJ 471, 582

8.22 Credits: Davé 2001, astro-ph/0105085

8.23 Credits: Weinberg et al. 1998, astro-ph/9810142

8.24 Credits: Hu & Dodelson 2002, ARA&A 40, 171

8.25 Credits: Hu & Dodelson 2002, ARA&A 40, 171

8.26 Credits: Bennett et al. 2003, ApJS 148, 97

8.27 Credits: de Bernardis et al. 2000, astro-ph/0004404

8.28 Credits: Netterfield et al. 2002, ApJ 571, 604

8.29 Credits: Wang et al. 2002, Phys. Rev. D 68, 123001

8.30 Credits: Bennett et al. 2003, ApJS 148, 1

8.31 Credits: Bennett et al. 2003, ApJS 148, 1

8.32 Credits: Spergel et al. 2003, ApJS 148, 175

8.33 Quelle: http://space.mit.edu/home/tegmark/sdsspower.html Credits: M. Tegmark

8.34 Credits: Contaldi et al. 2003, Phys. Rev. Lett. 90,1303

8.35 Quelle: http://supernova.lbl.gov/ nach Knop et al,2003, ApJ 598, 102

Kapitel 9

9.1 Credits: Fan et al., 2003, AJ 125, 1649

9.2 Credits: Steidel et al, 1995, AJ 110, 2519

9.3 Quelle: http://www.astro.caltech.edu/∼ccs/ugr.html Credits: C. Steidel, Caltech, USA

9.4 Credits: Steidel et al, 1995, AJ 110, 2519

9.5 Credits: Steidel et al, 1996, AJ 462, L17

9.6 Credits: Hu et al. 1999, ApJ Letters, 522, L9

9.7 Credits: Adelberger 1999, astro-ph/9912153

9.8 Credits: Benitez 2000, ApJ 536, 571

9.9 Credits: R. Williams (STScI), the Hubble DeepField Team and NASA

9.10 Quelle: Ferguson et al, 2000, ARA&A38, 667Credits: Reprinted, with permission, from the An-nual Review of Astronomy & Astrophysics, byAnnual Reviews www.annualreviews.org”

9.11 Quelle: Space Telescope Science Institute, NASACredits: S. Beckwith & the HUDF Working Group(STScI), HST, ESA, NASA

9.12 Credits: http://serweb.oamp.fr/kneib/hstarcs/hst_a2390.html Jean-Paul Kneib, Laboratoired’Astrophysique de Marseille

9.13 links: Copyright Stella Seitz, LMU München

9.13 rechts: Credits: ESO

9.14 Credits: Kneib et al., 2004, ApJ 607, 697

9.15 Credits: Whitmore et al. 1999, AJ 116, 1551

9.16 Quelle: http://www.casca.ca/lrp/ch5/en/chap520.html Bild ist Teil der Canadischen Denk-schrift Astronomie, ,,The Origins of Structuresin the Universe“ Courtesy Christine Wilson,McMaster University

9.17 links: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/0120true/index.html Credits: NASA/SAO/G.Fabbiano et al.

Page 449: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

F. Quellennachweis der Abbildungen

445

9.17 unten links: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/0012/index.html Credits: X-ray:NASA/SAO/CXC, Optical: ESO

9.17 oben rechts: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/0094true/ Credits: NASA/SAO/G.Fabbiano et al.

9.17 unten rechts: Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/0120true/lum_functions.jpg Credit:SAO/CXC/A.Zezas

9.18 Credits: Cimatti et al., 2002, A&A 391, L1

9.19 Credits: Smith et al. 2002, astro-ph/0201236

9.20 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111

9.21 Credits:F. Bartoldi, MPIfR

9.22 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111

9.23 Quelle: Blain et al. 1999, astro-ph/9908111

9.24 Credits: Hauser & Dwek, ARA&A 2001 39, 249

9.25 Credits: Hauser & Dwek, astro-ph/0105539

9.26 Quelle: Tozzi et al. 2001, ApJ 562, 42 Credits:

9.27 Quelle: http://chandra.harvard.edu/photo/2001/cdfs/Cdfs_scale.jpg Credits: NASA/JHU/AUI/R.Giacconi et al.

9.28 Credits: Fan et al., 2004, AJ 128, 515

9.29 Credits: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468

9.30 Credits: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468

9.31 nach: Barkana & Loeb 2000, astro-ph/0010468

9.32 Credits: Hopkins et al. 2001, AJ 122, 188

9.33 Credits: Bell 2004, astro-ph/0408023

9.34 Credits: Bell 2004, astro-ph/0408023

9.35 Credits: Mirabel et al. 1998,astro-ph/9810419

9.36 Quelle: http://antwrp.gsfc.nasa.gov/apod/ap990510.html Credits: J. Gallagher (UW-M) etal. & the Hubble Heritage Team (AURA/ STScI/NASA)

9.37 Credits: Lacey & Cole 1993, Mon. Not. R. Astron.Soc. 262, 627–649

9.38 Quelle: http://www.mpa-garching.mpg.de/galform/gif/index.shtml Credits: G. Kauffmann,VIRGO Kollaboration, MPA Garching

9.39 Credits: Springel et al., 2005, nature 435, 629

9.40 Credits: Springel et al., 2005, nature 435, 629

9.41 Quelle: http://heasarc.gsfc.nasa.gov/docs/objects/grbs/grb_profiles.html Credits: J.T. Bonnell,GLAST Science Support Center, NASA GoddardSpace Flight Center, Greenbelt, Maryland, USA

9.42 Quelle: http://www.batse.msfc.nasa.gov/batse/grb/skymap/images/fig2_2704.pdf Michael S.Briggs, NASA

Kapitel 10

10.1 Quelle: http://www.cfht.hawaii.edu/Instruments/Imaging/CFH12K/images/NGC34 86-CFH12K-CFHT-1999.jpg Credits: Dr. Jean-Charles Cuil-landre, Canada-France-Hawaii Telescope Corpo-ration, Hawaii, USA

10.2 Credits: ESO

10.3 Credits: ESO

10.4 Quelle: http://jwstsite.stsci.edu/gallery/telescope.shtml Credits: Courtesy of NorthropGrumman Space Technology

10.5 Quelle: http://www.eso.org/outreach/press-rel/pr-2003/pr-04-03.html Credits: ESO

Anhang A

A.1 Quelle: T. Kaempf & M. Altmann, Sternwarte derUniversität Bonn

A.2 aus Girardi et al. 2002, A&A 195, 391

Anhang B

B.1 Quelle: ESA Web Page des Hipparcos-Projekts

B.2 Quelle: http://de.wikipedia.org

B.3 aus Maeder & Meynet 1989, A&A 155, 210

Page 450: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

447

Sachverzeichnis

A

Abbremsparameter 155Abell-Katalog siehe GalaxienhaufenAB-Magnituden 415Absorptionskoeffizient 412Absorptionslinien in Quasarspektren

220–224, 333, 365– Klassifikation 221–222– Lymanα-Wald siehe Lymanα-Wald– Metallsysteme 221, 222Acoustic Peaks 341adaptive Optik 81Advanced Camera for Surveys (ACS)

27Akkretion 11, 189–191, 250, 370Akkretionsscheibe 190–191, 194,

198Aktive Galaxien 11, 89, 177–217– Absorptionslinien

siehe Absorptionslinien– Big Blue Bump (BBB) 199, 206– BL Lac-Objekte 212– Blazare 188, 199, 211– breite Absorptionslinien 222, 224– breite Emissionslinien 179, 180,

184, 200– Broad Absorption Lines (BAL)

221– Broad Line Region (BLR)

200–205, 209– Energieerzeugung 109– Host-Galaxie 185–187, 208– in Galaxienhaufen 251– Klassifikation 185–187, 208– Leuchtkraftfunktion 184, 218–220– Narrow Line Region (NLR)

205–206– OVV (Optically violently variable)

186–187, 212– QSO (quasi-stellar object) 185, 186– Quasare 11, 180–186– Radioemission 180–184, 208– Radiogalaxien 186

– Röntgenemission 208, 215, 378,379

– Schwarzes Loch 188–198– Seyfert-Galaxien 11, 179, 194– Typ 2-QSO 209, 379– Variabilität 180, 186, 187, 189,

202, 206, 212– Vereinheitlichungsmodelle 185,

208–217Aktiver Galaxienkern (AGN) 89, 177ALMA 404Alter-Metallizitäts-Beziehung 55Anglo-Australian Telescope (AAT)

26Anromeda-Galaxie (M31) 15, 87anthropisches Prinzip 174APEX 404Äquivalentbreite 184, 334Arecibo-Teleskop 21ASCA 32Astronomische Einheit 37Asymmetrischer Drift 58, 59asymptotischer Riesenast (AGB) 423

B

Baades Fenster 55, 78Balken 55, 89Baryonen 4, 162, 164, 167, 336, 354Beaming 211–213BeppoSAX 34, 398beschleunigte Expansion des

Universums 155, 328Biasing 315, 318, 325, 326, 361Big Bang siehe Urknallbolometrische Helligkeit

siehe HelligkeitBOOMERANG 346Bosonen 162Boxiness in Elliptischen Galaxien 96Braune Zwerge 4224000 Å-Break 133, 362, 363, 372,

387Breite einer Spektrallinie 184

Bremsstrahlung 244–245Bulge 55Butcher–Oemler-Effekt 271, 389

C

Canada-France Redshift Survey(CFRS) 314

Canada-France-Hawaii Telescope(CFHT) 26, 314

Center for Astrophysics (CfA)-Survey313

Cepheiden 44– als Entfernungsindikator 46, 64,

116– Perioden-Leuchtkraft Relation 44,

116Chandra 32, 104, 206, 215, 249, 366,

370, 379Chandrasekhar-Masse 49, 330chemische Entwicklung 50, 138–140COBE 23, 52, 169, 338, 344, 347Cold Dark Matter (CDM) 286– Substruktur 392Coma-Galaxienhaufen 118Compton Gamma Ray Observatory

(CGRO) 34, 396Comptonstreuung– inverse 170, 215, 253, 379COSMOS-Survey 366

D

Dn–σ-Relation 109de Vaucouleurs-Gesetz 92, 98Deuterium 165– in QSO Absorptionslinien 167– priomordiales 167Dichtefluktuationen im Universum

277–309– Ursprung 308–309Dichtekontrast 278, 290Dichteparameter 151, 155, 173, 325,

332, 338, 347, 351, 353, 354

Page 451: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

448

Sachverzeichnis

Diskiness in Elliptischen Galaxien 96Dopplerbreite 11, 89, 200Doppler-Effekt 38Doppler-Favouritism 212Drop-out Technik siehe Lyman-Break

TechnikDunkle Energie 4, 150, 328, 329,

355, 405–406Dunkle Materie 3, 64, 102, 167–168,

355, 405– im Universum 18, 167, 282, 338– in Galaxien 100, 101– in Galaxienhaufen 14, 225, 249– kalte und heiße Dunkle Materie

353, 388dynamische Reibung 238, 241, 393,

394dynamischer Druck 47

E

Eddington-Akkretionsrate 198Eddington-Leuchtkraft 208, 370, 396Effektivradius Re 55, 92, 108Effektivtemperatur 419, 420Effelsberg-Radioteleskop 21Eigenbewegung 38, 81Einstein–de-Sitter-Modell

siehe UniversumEinstein-Radius θE

siehe GravitationslinsenEinstein-Satellit 32, 243, 256Emissionskoeffizient 412Energiedichte eines Strahlungsfelds

411Entfernungen in der Kosmologie 156,

158–160, 217Entfernungsbestimmung 114, 255– extragalaktischer Objekte 105,

114–118Entfernungsleiter 115Entfernungsmodul 40, 328, 416, 417Expansionsrate 147Extended Medium Sensitivity Survey

(EMSS) 256Extinktion 40, 330– Extinktion und Rötung 40, 330– Extinktionskoeffizient 41, 416Extremely Red Object (ERO)

371–373, 387, 390

F

Fanaroff–Riley Klassifikation 180,186

Faraday-Rotation 53, 213Farben-Helligkeits-Diagramm 40,

371, 420Farbexzess 41Farbfilter 414–416Farbindex 41, 415Farbtemperatur 419Feedback 392Fermionen 162Fingers of God 318, 320Flächenhelligkeitsfluktuationen 117Flatfield 239Flatness-Problem 174, 176, 308Fluss 411Formparameter Γ 288, 316, 318,

321, 326, 338Freeman-Gesetz 100Friedmann-Gleichung 149, 290Friedmann-Lemaître-Modell 16, 149Frühtyp-Galaxien 89Fundamentalebene 107–109, 322,

388FUSE 31

G

GAIA 38, 405Galaktische Koordinaten 35–36Galaktische Pole 35Galaktisches Zentrum 6, 78–85– Entfernung 46, 56– Schwarzes Loch 81–85Galaxien 6–9, 87–140– cD-Galaxien 90, 92, 233, 239, 250,

265– chemische Entwicklung 138–140– Elliptische Galaxien 88, 90–98

Anzeichen komplexer Entwicklung96–98, 389Dunkle Materie 101Dynamik 93–96Entstehung 388–391Sternorbits 94Zusammensetzung 93

– Halos 100– Helligkeitsprofil 92, 98

– IRAS-Galaxien 25, 369– Irreguläre Galaxien 88, 226– low surface brightness Galaxien

(LSBs) 100, 302– Lyman-Break-Galaxien 367, 387– S0-Galaxien 88, 389– Satelliten-Galaxien 101, 227– Skalierungsrelationen 104–109,

118, 321– sphäroidale Komponente 113, 114– Spiralgalaxien 88, 98–104

Bulge 98, 103Dunkle Materie 100Frühtyp-Spiralen 98Korona 104Rotationskurve 100–102, 104,105Spättyp-Spiralen 98Spiralstruktur 103–104Stellare Populationen 102

– Starburst-Galaxien 12, 90, 207, 361– Substruktur 304–306, 392– ULIRG (Ultra luminous infrared

galaxy) 25, 90, 211, 369– Zweifarben-Diagramm 360– Zwerggalaxien 90, 92, 226Galaxienentwicklung 18, 387–396Galaxiengruppen 15, 225, 230,

240–241– kompakte Gruppen 240, 241Galaxienhaufen 13, 225–276,

323–326– Anzahldichte 323–324, 333– Baryonenanteil 325– Beta-Modell 262– Coma 13– Cooling Flows 249–252, 265– Dunkle Materie 225, 237, 249, 325– Entfernungsklasse 232, 233– Entwicklungseffekte 271–276– Farben-Helligkeits-Diagramm 272– Galaxienpopulation 389– Galaxienverteilung 234–236– HIFLUGCS-Katalog 257, 258– intergalaktische Sterne 239–240– intracluster Medium 225, 239, 243– Kataloge 231, 255–257, 323– Kernradius 234, 235– Klassifikation 233–234– Leuchtkraftfunktion 257, 271– Massenbestimmung 236–237, 247,

Page 452: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

Sachverzeichnis

449

249, 259, 263, 267, 323– Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis

237, 270– Normierung des Leistungsspektrums

292, 323, 326– Projektionseffekte 232, 256– Richness-Klasse 232– Röntgenstrahlung 14– Skalierungsrelationen 257–261,

323– Virgo 13GALEX 32Gamma Ray Bursts 396–399– Afterglows 398– Feuerball-Modell 398Geschwindigkeitsdispersion 47– in Galaxien 93, 114, 123– in Galaxienhaufen 234, 235Gezeitenarme 370, 389GOODS-Projekt 365Gravitationslinsen 65, 121–131– Einstein-Radius 124, 127, 262– Einstein-Ring 68, 125, 127, 129– Galaxien als Linsen 121–131– Galaxienhaufen als Linsen

261–271, 367– Hubble-Konstante 130, 255– Kosmische Scherung 331–333– kritische Flächenmassendichte 122,

127– Luminous Arcs 261–265, 358– Massenbestimmung 127, 129– Mehrfachbilder 65, 67, 122,

125–129, 262, 336, 369– Mikrolinseneffekt 65–78– Punktmassenlinsen 67–70, 123– Scherung 266– Schwacher Linseneffekt 102,

265–271, 331–333, 340– Substruktur 305–306– Suche nach Galaxienhaufen 270– Verstärkungseffekt 68–70, 122,

366–369Gravitationswellen 309, 396gravitative Instabilität 278–282Great Attractor 323Great Wall 277, 313Größenklassen 414Großräumige Struktur des Universum

308, 312– Galaxienverteilung 312–323

– Leistungsspektrum 285–289, 292,308, 315–320, 331, 337, 340

– Numerische Simulationen 294–299Gunn–Peterson-Test 333, 379G-Zwerg-Problem 140

H

Halos Dunkler Materie 101,291–294, 387

– Anzahldichte 291–294, 323–324,380

– Substruktur 303–306– universelles Massenprofil 299–303Harrison–Zeldovich-

Fluktuationsspektrum 285, 308,341, 347

Hauptreihe 40, 420, 422HEAO-1 32Helium-Häufigkeit 142, 167Helligkeit– absolute Helligkeit 416– bolometrische Helligkeit 416–417– scheinbare Helligkeit 414–416Helligkeit des Nachthimmels 239,

362Herschel-Satellit 377, 403Hertzsprung-Russell-Diagramm

(HRD) 132, 133hierarchische Strukturbildung 293,

304, 373, 387–388Hintergrundstrahlung 376–379– Infrarot-Hintergrund (CIB) 387– ionisierender Photonen 335HIPPARCOS 38, 419Hochgeschwindigkeitswolken (HVC)

56, 229Hohlraumstrahlung 413Horizont 172–173, 287Horizontlänge 173, 341Horizont-Problem 173, 175, 308Hot Dark Matter (HDM) 286Hubble Deep Field(s) 28, 364–366Hubble Space Telescope (HST) 26,

110, 215, 262, 362, 401Hubble-Gesetz 9, 114, 147, 157, 327Hubble-Konstante 9, 114, 116, 118,

155, 347, 354Hubble-Radius 145

I

Inflation 175–176, 308–309, 406Initial Mass Function (IMF) 75, 132,

384INTEGRAL 34integrierter Sachs–Wolfe-Effekt (ISW)

340, 341, 343, 352Interferometrie 22intergalaktisches Medium 333–334,

337, 359, 379, 382IRAS 25, 52, 314, 344, 369, 374ISO 25, 370, 374, 377Isochronen 133isotherme Sphäre 123, 234–236, 248,

262IUE 31

J

James Clerk Maxwell Telescope(JCMT) 23

James Webb Space Telescope (JWST)403

Jets 181, 194, 200, 212–217, 251

K

Keck-Teleskope 26, 29, 360, 401King-Modelle 236, 248Kirchhoffsches Gesetz 412K-Korrektur 374Konvektion 422Konzentrationsindex des NFW-Profils

301Korrelationsfunktion 283–285, 288,

318, 320, 340, 361, 393Korrelationslänge 284kosmische Strahlung 53–54, 182– Beschleunigung 54kosmische Varianz 348–349kosmischer Mikrowellenhintergrund

3, 17, 142, 253, 338, 376– Dipol 115, 318– Entdeckung 169, 338– Fluktuationen 278, 311, 338–350– Messung der Anisotropie 344–350– Polarisation 309, 350– primäre Anisotropien 338–339– sekundäre Anisotropien 338–340,

343

Page 453: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

450

Sachverzeichnis

– Spektrum 379, 380– Temperatur 157– Ursprung 169Kosmologie 15, 18, 141–176,

277–309, 311–355– Dichtefluktuationen 145, 277–309,

337– Expansionsgleichung 147,

149–156– Expansionsrate 147, 156– homogene Weltmodelle 141–176– Komponenten des Universums

150–151– Krümmungsskalar 152– Newtonsche Kosmologie 146–148– Strukturbildung 17, 18, 279, 387Kosmologische Konstante 4, 16, 149,

328, 347, 352kosmologische Parameter,

Bestimmung 292, 311–355, 357kosmologisches Prinzip 145, 146Kugelsternhaufen 55, 103Kühlfront 252Kühlung von Gas 381, 388, 391– und Sternentstehung 381, 391

L

Las Campanas Redshift Survey(LCRS) 313

Leistungsspektrum, Normierung 292,315, 333, 338, 355

Leuchtkraft– bolometrische 417– in einem Filterband 417Leuchtkraftentfernung 159, 160, 327,

328Leuchtkraftfunktion 118– von Galaxien 118–121, 233, 324,

371, 390, 392– von Quasaren 218–220, 335Leuchtkraftklasse 419–421Lichtablenkung

siehe GravitationslinsenLichtkegel 142Limber-Gleichung 321linear extrapoliertes

Dichtefluktuationsfeld 281linear extrapoliertes Leistungsspektrum

286

Linienübergänge: erlaubte, verbotene,halbverbotene 205

LISA 396, 404Local Standard of Rest (LSR) 57LOFAR 404Lokale Gruppe 15, 225–230– Galaxieninhalt 226–227– Massenabschätzung 227–229Lorentz-Faktor 193Lymanα-Wald 221, 353, 359, 383,

384– als kosmologisches Werkzeug

337–338– gedämpfte Lyα-Systeme 222, 334– Lyman-Limit-Systeme 222, 334Lyman-Break-Galaxien

siehe GalaxienLyman-Break-Methode 362, 387

M

MACHOs 65, 71–75Madau-Diagramm 390Magellansche Wolken 15, 71, 226– Entfernung 115Magellanscher Strom 56, 227, 393Magnituden 414–417Malmquist Bias 119MAMBO 23mass segregation 239Massenspektrum von Halos Dunkler

Materie 291–294, 298Masse-zu-Leuchtkraft-Verhältnis 51,

134, 229, 324– von Galaxien 97, 101, 106, 109– von Galaxiengruppen 241– von Galaxienhaufen 324–325MAXIMA 346Merger-Baum 391MERLIN 22Messier-Katalog 87Metallizität 45–46, 48, 50, 132, 138Milchstraße– Bulge 55– chemische Zusammensetzung 48– dicke Scheibe 47, 50–51– dunkler Halo 6, 71, 74– dünne Scheibe 47, 50– Gas 47, 51–52, 224– Halo 55–56

– Kinematik 57–65– Magnetfeld 53– Rotationskurve 60–65– Scheibe 47–52– Staubverteilung 51, 52– Struktur 5, 46–56– Zentrum siehe Galaktisches ZentrumMillennium-Simulation 297, 393mitbewegte Koordinaten 146, 280mitbewegter Beobachter 146, 156Mixed Dark Matter (MDM) 288Modified Newtonian Dynamics

(MOND) 406

N

Near Infrared Camera and Multi ObjectSpectrograph (NICMOS) 28

Neutrinos 49, 163, 164– Ausfrieren 162–164– Massen 167, 288, 353– Sonneneutrinos 421– Strahlungskomponente des

Universums 164Neutronensterne 49, 75New General Catalog (NGC) 87New Technology Telescope (NTT) 26

O

Olbers-Paradoxon 142, 144Oortsche Konstanten 61, 62optische Tiefe 41, 412

P

Paarerzeugung und -vernichtung 162,163

Palomar Observatory Sky Surveys(POSS) 231

Parsec 37passive Entwicklung einer

Sternpopulation 137Pekuliarbewegung 114, 116Pekuliargeschwindigkeit 58, 280,

306–308, 318–323Periode-Leuchtkraft-Beziehung 44,

45, 56, 115, 116photometrische Rotverschiebung

362–365

Page 454: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

Sachverzeichnis

451

Pico Veleta-Teleskop 23PLANCK 350Planck 404Planck-Funktion 157, 413Planetarische Nebel 50, 423– als Entfernungsindikator 117Polarisation 53Population III-Sterne 382, 383Populationssynthese 131–137, 388Press–Schechter-Modell 298, 380,

391primordiale Nukleosynthese (BBN)

16, 164–168, 311– Baryonendichte des Universum 325Proto-Cluster 362, 373Proximity-Effekt 334pulsierende Sterne 44

Q

Quellenzählung in einem euklidischenUniversum 144

Quellfunktion 412

R

Radialgeschwindigkeit 38Rayleigh–Jeans-Näherung 374, 413Reaktionsrate 163Red Cluster Sequence (RCS) 272,

275, 363, 388redshift desert 387Reionisation 170, 333, 334, 339, 350,

353, 379–384Rekombination 16, 168–170, 339,

379Relaxationszeitskala 94–96, 237Reverberation Mapping 202Röntgen-Binärquellen 191Röntgen-Hintergrund (XRB) 32, 170ROSAT 32, 104, 256, 259, 323, 378ROSAT All Sky Survey (RASS) 256Rotationsabplattung 94, 97Rotationsmaß 53Rote Riesen 420, 423Rotverschiebung 9, 142– kosmologische Rotverschiebung

156–158, 191Rotverschiebungsraum 318Rotverschiebungssurveys von Galaxien

145, 312–323RR Lyrae-Sterne 45, 56

SSachs–Wolfe-Effekt 339, 341Sagittarius-Zwerggalaxie 6, 229, 389Schall-Horizont 339, 341, 342Schechter-Leuchtkraftfunktion 119,

233, 325Schmalband-Photometrie 359Schwarze Löcher 110, 194– Binärsysteme und Merging 394,

396– im Galaktischen Zentrum 6, 81–85,

197, 220– in AGNs 82, 188–198, 380– in Galaxien 3, 9, 109–114, 194,

206, 220, 371, 394–396– Schwarzschild-Radius 110, 189,

196– Skalierung mit

Galaxieneigenschaften 3, 113–114,208

Schwarzkörper-Strahlung– Energiedichte 414Schwerebeschleunigung eines Sterns

420SCUBA 23Seeing 20, 26, 37sekundäre Entfernungsindikatoren

116–118, 321Shells und Ripples 97Silk-Damping 339, 342Skalenhöhe der Galaktischen Scheibe

47Skalenlänge der Galaktischen Scheibe

48Sloan Digital Sky Survey (SDSS)

218, 242, 314–315, 321, 353SOFIA 403SOFI-Kamera 26Spättyp-Galaxien 89Spektralklasse 419–421spezifische Energiedichte eines

Strahlungsfelds 411spezifische Intensität 158, 411sphärisches Kollapsmodell 290–291Spiralarme 98, 103– als Dichtewellen 103Spitzer Space Telescope 26, 366

Square Kilometer Array (SKA) 404Standardkerzen 50, 117, 326–327Staub 42, 209– Extinktion und Rötung 41, 330,

373– infrarot-Emission 52, 90, 102, 199,

211, 369, 374– warmer Staub 199, 211, 370, 374Stefan–Boltzmann-Gesetz 414stellare Populationen 47, 48Sternbildungsrate (SFR) 384–386Sternentstehung 51, 374, 380,

384–386, 388– kosmische Geschichte 384–387– Sternentstehungsrate 90, 132, 207,

335, 384– und Galaxienfarbe 135, 275, 363,

387Sternentwicklung 388Sternstromparallaxe 38–40stoßfreies Gas 95Stoßfront 54, 182, 215, 252Strahlungstransportgleichung 41,

411–412Subaru-Teleskop 29Sunyaev–Zeldovich-Effekt 340, 343Superhaufen 277, 324Superluminal Motion 191–194, 208,

211Supernovae 48, 423– als Entfernungsindikator 50, 117,

326–331– Klassifikation 48–49– Metallanreicherung des ISM

48–50, 383– SN1987A 49, 115Supernovaüberreste 54SWIFT 398Synchrotronselbstabsorption 183Synchrotron-Selbst-Compton

Strahlung 215Synchrotronstrahlung 53, 182–184,

200, 215

TTangentialgeschwindigkeit 38Tangentialpunktmethode 62–64thermische Strahlung 413Thomson-Streuung 197, 339, 343Transferfunktion 286–289, 316

Page 455: Einfuhrung in die Extragalaktische Astronomie und Kosmologie

452

Sachverzeichnis

trigonometrische Parallaxe 37–38Tully–Fisher-Relation 322Two-Degree-Field Survey 218, 277,

316, 320

UUltraluminous Compact X-ray Sources

(ULXs) 370Universum– Alter 3, 145, 154, 155– Dichte 16, 18, 353, 354– Dichtefluktuationen 18, 277–309– Dichteparameter 148, 156, 167,

173, 324, 325, 332– Einstein–de Sitter-Modell 18, 156,

160, 282, 292– Expansion 9, 146, 147, 162, 280– kritische Dichte 148, 173, 300– Skalenfaktor 146, 153– Standardmodell 3, 171–175, 303,

311, 347– thermische Geschichte 161–171Urknall 3, 16, 153, 154, 158

VVakuumenergie siehe Dunkle EnergieVerfärbungsvektor 43

Verschmelzung von Galaxien 140,207, 369, 387–390

Very Large Array (VLA) 22, 215,375

Very Large Telescope (VLT) 29Very Long Baseline Array (VLBA)

23Very Long Baseline Interferometry

(VLBI) 23violent relaxation 238, 290Virgo-Galaxienhaufen 115, 116, 118Virialradius 258Virialsatz 14, 190, 236VISTA 401VLT Survey Telescope (VST) 401Voids 13, 277, 298, 313Voigt-Profil 222

W

Wachstumsfaktor D+ 292, 323Wechselwirkung von Galaxien 90,

220Wedge-Diagramm 312, 318Weiße Zwerge 49, 74, 330, 420, 423Weitwinkelkameras 267, 401Weltalter 17, 155, 274, 355Wide Field and Planetary Camera

(WFPC2) 27Wien-Näherung 414Wiensches Verschiebungsgesetz 413WIMPs 163, 167–168, 405Winkelentfernung 158, 160Winkelkorrelationen von Galaxien

320–321WMAP 23, 170, 347–353, 380

X

X-Faktor 51XMM-Newton 32, 206, 249

Y

Yield 139

Z

Zeeman-Effekt 53Zeitdilatation 330Zero Age Main Sequence (ZAMS)

422Zone of Avoidance 36Zufallsfeld 282–283– Gausssches Zufallsfeld 285Zwei-Photonen-Zerfall 169


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