Eine Woche Verwaltungsaustausch in Louviers vom 14. bis 21. Juli – ein Résumé
Stefan Thiel
Angekommen am Samstag stand das Wochenende ganz im Zeichen des WM Finals – der Ausgang ist
bekannt. Die Stadtverwaltung hat ein public viewing in einem Sozial-/ Kulturzentrum veranstaltet.
Das Gebäude befindet sich inmitten eines Quartiers, in dem größtenteils sozial benachteiligte
Familien mit Migrationshintergrund leben. Darüber hinaus waren jedoch auch viele Bürger aus
anderen Quartieren zugegen. Es ist immer wieder verblüffend zu sehen, welche Kraft der Fußball hat
und in so einem Moment unterschiedliche Menschen zusammenbringen kann. Die Party nach dem
Spiel stieg mit Autocorso und allem dazugehörigen dann in der Stadtmitte.
Feierlichkeiten im Zentrum Louviers// Quelle: Gemeinde Holzwickede
Es war also zu erwarten, dass die Kollegen der Verwaltung gut gelaunt in die Woche starten. Dem
war auch so. Recht entspannt und fröhlich begann die mit einer Reihe offizieller Termine
durchgeplante Arbeitswoche mit einem offiziellen Empfang beim Bürgermeister Priollaut. Nach
einigen einführenden Erläuterungen zur Philosophie seiner Amtsführung und der
Entwicklungsstrategie für Louviers in den kommenden Jahren präsentierte er die bislang
durchgeführten sowie die demnächst anstehenden Projekte.
Hier wurde direkt ein bedeutender Unterschied zu Holzwickede deutlich: Louviers hat im
Zusammenhang mit der sog. „communauté de l’agglomeration Seine-Eure“, in etwa vergleichbar mit
der Funktion eines Kreises, eine gewisse Sonderstellung. So bündeln sich vielfältige Angebote und
Einrichtungen für die gesamte Agglomeration in Louviers. Sehr viel umfangreicher als in Holzwickede
ist z.B. das Angebot im kulturellen Bereich. Von einer Musikschule, einem Kino, über mehrere
kleinere und größere Einrichtungen für Theater, Konzerte, Tanzveranstaltungen etc. bis hin zu einer
sehr modern ausgestatteten Bibliothek und einem Museum findet sich quasi alles, was auch eine
Großstadt zu bieten hat. Weiterhin wird seitens der Abteilung „Kommunikation“ neben der täglichen
Pressearbeit alle 2 Monate ein Stadtmagazin herausgegeben, in dem über aktuelle Themen sowie
vergangene und bevorstehende Veranstaltungen berichtet wird.
Musikschule Louviers// Quelle: Gemeinde Holzwickede
Gleichzeitig bestehen jedoch auch viele Gemeinsamkeiten. So hat Louviers z.B. in der jüngeren
Vergangenheit ebenfalls ein Marketingkonzept umgesetzt, das u.a. einen überarbeiteten
Außenauftritt in Verbindung mit einem neuen Logo beinhaltet. Der neue visuelle Auftritt der Stadt ist
dabei ein Baustein einer übergeordneten Strategie – ähnlich, wie in Holzwickede auch – die
Lebensqualität für die Bewohner zu erhöhen und durch eine moderne und ansprechende
Vermittlung der Standortqualitäten attraktiv für Neubürger und ansiedlungsinteressierte
Unternehmen zu sein.
Logo Louviers// Quelle: Ville de Louviers
In diesem Punkt ist wohl die offensichtlichste Gemeinsamkeit zwischen Louviers und Holzwickede zu
erkennen. Durch die hervorragende Lage und infrastrukturelle Anbindung ist die gesamte
Agglomeration eine der dynamischsten und wirtschaftlich erfolgreichsten Regionen Frankreichs. Die
Rolle Louviers als Zentrum und Verwaltungshauptsitz ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben.
Wie Holzwickede ist auch Louviers eine Stadt der Einpendler, die versucht, auf der Grundlage der
beschriebenen wirtschaftlichen Dynamik, aber auch durch die durchaus vorhandenen
Freizeitmöglichkeiten die hiesigen Arbeitnehmer auch als Bürger in der Region anzusiedeln.
Lage der Agglomeration Seine-Eure in der Region Normandie// Quelle: CASE
In Louviers selbst leben derzeit etwa 18.500 Einwohner, vergleichbar also mit der Einwohnerzahl
Holzwickedes. Die Entwicklungsstrategie allerdings sieht eine Steigerung der Einwohnerzahl auf
20.000 in den kommenden 5 bis 10 Jahren vor. Dementsprechend wird an allen Ecken gebaut. Sehr
bemerkenswert an dieser Stelle ist die bewusste Revitalisierung vieler ehemaliger Industriestandorte.
Louviers war lange Zeit ein wichtiger Standort für die Textilindustrie. Über eine Ko-Finanzierung aus
unterschiedlichen Fördertöpfen schafft es die Stadt, das industrielle Erbe sichtbar zu halten und
gleichzeitig die erforderlichen Wohn- und Geschäftsbauten zu errichten. Kapazitätsschwierigkeiten
durch ein erhöhtes Verkehrsaufkommen im motorisierten Individualverkehr werden in der Folge
jedoch nicht erwartet. In diesem Zusammenhang setzt Louviers auf den massiven Ausbau des ÖPNV
in Verbindung mit der Entwicklung von Mobilstationen, die eine flexible Nutzung unterschiedlicher
Verkehrsmittel fördern sollen.
Zuständig für die konkrete Planung und bauliche Realisierung dieser Projekte ist die Abteilung
„Entwicklung des Lebensumfelds“, vergleichbar mit den technischen Diensten und dem Bauhof in
Holzwickede. Ein großer Unterschied besteht allerdings in der personellen Ausstattung: Insgesamt 60
Mitarbeiter zählt das Amt, Tendenz steigend.
Ein Projekt, das bereits im Rahmen der letzten Delegationsreise besonderes Interesse hervorrief, ist
die Überdachung des Marktplatzes (Kosten ca. 1 Mio. EUR). Sofern keine Veranstaltung stattfindet,
wird der Marktplatz ebenfalls als Parkplatz genutzt. Der Vorteil der Überdachung liegt dabei klar auf
der Hand: Der Wochenmarkt oder andere Veranstaltungen können größtenteils unabhängig vom
Wetter durchgeführt werden. Die Markthändler wie auch die dort ansässigen Gewerbetreibenden
bewerten die Überdachung als überaus positiv. Insofern eine durchaus sinnvolle Investition der Stadt
Louviers.
Markttag in Louviers// Quelle: Gemeinde Holzwickede
Viele weitere Projekte, die derzeit in Louviers geplant oder realisiert werden, sind im
Zuständigkeitsbereich der bereits angesprochenen Agglomeration Seine-Eure. Die Agglomeration
wurde in ihrer ursprünglichen Form im Jahr 1996 gegründet und ist ein Zusammenschluss von
Kommunen mit dem Ziel der effizienteren Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben. Im Rahmen einer
nationalen Initiative zur Verschlankung der Verwaltungsstrukturen schließen sich mittlerweile immer
mehr Kommunen zu solchen Gemeindeverbänden zusammen. In der Agglomeration Seine-Eure
leben derzeit etwa 70.000 Einwohner, verteilt auf aktuell 41 größere, wie z.B. Louviers, aber auch
sehr kleine Kommunen, wie Vironvay mit gerade einmal gut 300 Einwohnern.
Grundsätzlich kann man die Aufgaben und Kompetenzen der Kommune und der Agglomeration nach
ihrer Bedeutung für die Region unterscheiden. Rein lokale Aufgaben, wie die Kinder-, Jugend- und
Sozialarbeit, Ordnung und Sicherheit, Ausbau und Instandhaltung der lokalen Infrastruktur oder
Öffentlichkeitsarbeit sind bei der Stadtverwaltung angesiedelt. Strategische und übergeordnete
Aufgaben hingegen werden von der Agglomeration ausgeführt. Dazu gehören z.B.
Wirtschaftsförderung, Stadtentwicklung, Transport/ Mobilität, Energiewende, Wasserwirtschaft, Ver-
und Entsorgung, Tourismus, Umweltschutz oder Denkmalpflege. Für diese sehr umfangreiche Palette
von Aufgaben und die Implementierung von Vorhaben besitzt die Agglomeration auch weitreichende
Kompetenzen. Mit etwa 500, überwiegend jungen und gut ausgebildeten Mitarbeitern ist die
Agglomeration personell entsprechend gut ausgestattet. Zum Vergleich: Auf einen Einwohner
kommen damit knapp 3mal so viele Mitarbeiter wie im Kreis Unna.
Rückblickend kann ich sagen, dass ich trotz des relativ kurzen Aufenthaltes eine Menge positiver
Eindrücke der Verwaltungsarbeit vor Ort mitgenommen habe. Abgesehen von den rein dienstlichen
Gesprächen darf nicht unerwähnt bleiben, dass mich das gesamte Verwaltungsteam vor Ort und
besonders meine Gastfamilie sehr freundlich und hilfsbereit aufgenommen hat.
Der Gegenbesuch soll dann im nächsten Jahr stattfinden – ich freue mich sehr darauf!