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Eine kurze Einführung in Geschichte und formale Aspekte ... · Le-aue po Plaza Hannover...

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Leibniz-Fachhochschule Expo Plaza 11 30539 Hannover [email protected] 1. Auflage, 2014 ISSN 2196-6494 Arbeitspapier Nr. 8 der Leibniz-Fachhochschule Hannover Eine kurze Einführung in Geschichte und formale Aspekte der Wissenschaftstheorie Prof. Dr. Roland Matthes
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Leibniz-Fachhochschule

Expo Plaza 1130539 [email protected]

1. Auflage, 2014

ISSN 2196-6494

Arbeitspapier Nr. 8der Leibniz-Fachhochschule Hannover

Eine kurze Einführung in Geschichte und formale Aspekte der Wissenschaftstheorie

Prof. Dr. Roland Matthes

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Eine kurze Einführung in Geschichte und formaleAspekte der Wissenschaftstheorie

Roland Matthes

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Inhaltsverzeichnis

1 Wissenschaft und Erkenntnistheorie: Ein historischer Abriss 51.1 Von der Antike bis ins Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5

1.1.1 Die Vorsokratiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51.1.2 Die Sokratiker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61.1.3 Euklid, Archimedes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71.1.4 Mittelalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

1.2 Grundlegung der neuzeitlichen Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . 91.2.1 Rationalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91.2.2 Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131.2.3 Der Kritizismus Kants . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141.2.4 Realistische und nichtrealistische Theorien, Idealismus . . . . . . . 19

1.3 Moderne Wissenschafts- und Erkenntnistheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 221.3.1 Logischer Empirismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221.3.2 Kritischer Rationalismus, Paradigmenwechsel . . . . . . . . . . . . . 24

2 Wissenschaftstheoretische Grundlagen 272.1 Die Sprache der Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27

2.1.1 Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 272.1.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282.1.3 Semantik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29

2.2 Wahrheit und das Prinzip der mathematisch-logischen Deduktion . . . . . . 302.2.1 Formal logisches Schließen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31

2.3 Strukturiertes Wissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322.3.1 Axiome und deduktive Hülle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332.3.2 Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34

2.4 Wissenschaftliches Arbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342.4.1 Formalisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352.4.2 Die Beziehung zwischen Realwissenschaften und Mathematik . . . 362.4.3 Wissenschaftsbetrieb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36

2.5 Das Gewinnen von Erkenntnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

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2.5.1 Methoden zur Hypothesengewinnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 382.5.2 Methodenstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39

2.6 Wissenschaftskritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.6.1 Wissenschaft und Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402.6.2 Wissenschaft kontra Ideolgie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41

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Kapitel 1

Wissenschaft und Erkenntnistheorie: Ein historischer Abriss

1.1 Von der Antike bis ins Mittelalter

Die ersten uns heute bekannten ernsthaften Auseinandersetzungen von Menschen mitden Fragen von Erkenntnis und Wissenschaft finden wir in der Kultur des antiken Grie-chenlands ab dem Jahr -600. Zwar ist die Kultur der Ägypter und Babylonier bereits einigetausend Jahre älter, doch das uns von diesen Kulturen bekannte Wissen war von seinemWesen her rein praktischer Natur. Die ohne Zweifel schon z. T. sehr fortgeschrittenenKenntnisse und Fähigkeiten u.a. auch in der Arithmetik und der Geometrie betrafen abervor allem die Beschreibung von Techniken und Verfahren, die in bestimmten Situationenzur Lösung eines Problems dienten. Es gab noch keine Begründung für die Korrektheitder Verfahren oder die Suche nach tieferliegenden Wirkungsmechanismen und Begrün-dungszusammenhängen.

Bertrand Russell schreibt hierzu: “ Vieles, was zum Begriff der Kultur gehört, hatte esschon Jahrtausende zuvor in Ägypten und Mesopotamoien gegeben. .... Aber gewisse,bislang fehlende Elemente trugen erst die Griechen dazu bei. Was sie im Reich der Kunstund Literatur geschaffen haben, ist allgemein bekannt; was sie jedoch auf dem Gebiet desreinen Denkens leisteten, ist ganz einzigartig. Sie erfanden die Mathematik, die Naturwis-senschaft und die Philosophie; sie schrieben zum ersten Mal Geschichte anstelle bloßerAnnalen; frei von überkommenen orthodoxen Anschauungen stellten sie Betrachtungenan über das Wesen der Welt und den Sinn des Lebens.” [27], S. 25.

1.1.1 Die Vorsokratiker

Wissenschaft und Philosophie waren in dieser Anfangszeit nicht voneinander getrennt.Thales von Milet gilt als erster Philosoph und Begründer der “milesischen Schule”. Manweiß, dass er im sechsten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung gelebt haben muss, da

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bekannt ist, dass er eine Sonnenfinsternis im Jahre -585 voraussagte. Angeblich lernteer auf seinen Reisen viel von der Geometrie der Ägypter und brachte diese nach Grie-chenland.

Thales entwarf eine Theorie, nach der alles aus Wasser entstanden ist. Auch wenn diesaus heutiger Sicht sehr naiv klingt, war es doch der erste ernsthafte Versuch einer nichtmythologischen Erklärung der Entstehung der Welt.

Der zweite berühmte Vorsokratiker aus der milesischen Schule war Anaximander. Ähn-lich wie Thales stellte er die Hypothese auf, dass alles aus einer Ursubstanz entstandensei und auch wieder in diese zurückkehren werde. “Woraus aber die Dinge ihre Ent-stehung haben, darin finde auch ihr Untergang statt, gemäß der Schuldigkeit. Denn sieleisteten einander Sühne und Buße für ihre Ungerechtigkeit, gemäß der Verordnung derZeit.” (Anaximander, zitiert nach [2],S.82) Nur sei diese Ursubstanz nicht das Wasser.Überhaupt sei diese Substanz nicht irgendein bekannter Stoff. Alles sei in einer längerenEntwicklung durch ständige Bewegung aus diesem Urstoff entstanden. In gewissem Sin-ne nimmt er also hiermit die Darwinsche Evolutionstheorie vorweg. Erwähnt sei noch derdritte der milesischen Schule, Anaximenes, dem wir die Vorstellung der Erde als eineScheibe verdanken.

Zu den Vorsokratikern zählt auch Pythagoras, der um -580 auf der Insel Samos geborenwurde. Seine zahlreichen Verdienste für die Entwicklung der Wissenschaften können andieser Stelle nicht alle erwähnt werden. Vieles, was von ihm überliefert ist, ist aber nichtgesichert. Es gilt jedoch als nachgewisen, dass sein berühmtester Satz nicht von ihmstammt. Pythagoras gründete eine Schule, die weit über hundert Jahre Bestand hatte.Vertretern dieser Schule verdanken wir im Übrigen die Erkenntnis von der Kugelgestaltder Erde.

Typisch für die pythagoräische Schule war die Verbindung von Wissenschaft mit Glaubenoder auch Aberglauben, (“Alles ist Zahl”) aber eben auch deren begriffliche Trennung. Esgab gewisse Glaubensgrundsätze und von diesen ausgehend wissenschaftlich exakteFolgerungen. Die allgemeine Methode zur Erkenntnisgewinnung war für Pythagoras dieMathematik.

1.1.2 Die Sokratiker

Zu den Sokratikern gehören als wichtigste Vertreter Sokrates, Plato und Aristoteles.

Sokrates wurde ob seiner Lehren angeklagt und -399 hingerichtet. Er muss etwa 70 Jah-re alt geworden sein. In der Anklageschrift gegen Sokrates heißt es: “Sokrates ist ein

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Euklid, Archimedes 7

Übeltäter, ein neugieriger Mensch, der den Dingen unter der Erde und droben im Himmelnachspürt, der die schlechte Sache zur guten zu machen weiß, und dies andere lehrt.”(Zufinden in [27], S. 106, s.a. ebda. S.107, Fußnote 1.) Sokrates führte mit der sog. Mäeutikeine Methode des ergebnisoffenen Dialogs zum Zwecke des Erkenntnisgewinns dar. Inden sokratischen Dialogen, die durch seinen Schüler Plato überliefert sind, führt er durchgeschickte Fragen die Schüler selbst zur Erkenntnis.

Sokrates war stets bemüht, “die allgemeinen Begriffe aus der Wirklichkeit herauszuar-beiten, um so dieser Wirklichkeit ein Leben der Wahrheit und Tugend gegenüber zustellen.”([29], S. 107.)

Sokrates hat selbst keine Schriften hinterlassen, was wir von ihm wissen, geht aus-schließlich auf seinen Schüler Plato (-427 bis -347) zurück.

Plato gründete eine Schule, die sog. Akademie. Auch Plato sah in der Mathematik dieeinzige Methode, die Welt zu erkennen. In seiner Ideenlehre vertrat er die Ansicht, dassdie Dinge an sich in Form einer reinen Idee existieren, die wir aber aufgrund der Ein-geschränktheit unserer Sinnesorgane nicht selbst wahrnehmen können. Wir sehen nurderen Schatten.

Er formuliert hierzu sein berühmtes Höhlengleichnis, bei dem die Höhlenbewohner nichtdirekt den zum Licht hin geöffneten Eingang sehen, sondern lediglich an der Höhlenwanddie Schatten der am Eingang vorüberlaufenden Wesen wahrnehmen können.

Als Methode zur Erkenntnis der Wahrheit entwickelte Plato die klassische Dialektik, beider man in künstlichen Dialogen durch Rede und Gegenrede der Wahrheit näher zu kom-men versucht.

Einer seiner Schüler ist Aristoteles, der im Gegensatz zu Plato den Sinnen als Instru-mente der Wahrnehmung weniger misstraut als Plato und an der Erforschung der natür-lichen Umwelt sehr interessiert ist.

Er wendet sich gegen die dialektische Methode seines Lehrers und entwickelt als erstermit den Syllogismen ein logisches Kalkül. Hierbei räumt er der menschlichen Vernunfteinen großen Stellenwert ein und postuliert ganz pragmatisch die Wahrheit gewisser an-scheinend unmittelbar einsichtiger Dinge. Dieser Denkansatz bildet später bei Descartesund den Rationalisten die Grundlage ihrer Erkenntnistheorie.

1.1.3 Euklid, Archimedes

Euklid (um -300) war der vielleicht modernste Denker der griechischen Klassik. “EuklidsWerk, die Elemente, ist gewiß eines der großartigsten Bücher, das je geschrieben worden

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ist, und eines der vollendesten Denkmäler des griechischen Geistes.” ([27], S. 232.)

Euklid entwickelte im Bereich der Geometrie die für die Wissenschaften fundamentaleMethode der Axiomatik. Hierbei gelten eine überschaubare Anzahl sich nicht widerspre-chender Grundannahmen als gesichert. Alles weitere wird vermöge logischer Deduktionhieraus abgeleitet.

Es ist unmittelbar einleuchtend, dass Aristoteles mit seinen Syllogismen Wegbereiter fürEuklid war. Von Euklid wird berichtet, dass der er den “praktischen Nutzen seiner Erkennt-nisse zutiefst verachtete”.[27], S. 232.

Archimedes (ca. -287 bis -212) war einer der letzten großen antiken griechischen Wis-senschaftler und Mathematiker. Für ihn waren die mathematischen Prinzipien in der Phy-sik verankert und er benutzte u.a. die Hebelgesetze als Beweismittel bei der Quadraturder Parabel.

1.1.4 Mittelalter

Bezeichnend für das Mittelalter war die Rolle der Theologie in wissenschaftlichen Ausein-andersetzungen. Die Scholastik war die vorherrschende wissenschaftliche Vorgehens-weise.

Die Scholastiker verbindet keine inhaltliche sondern eine methodische Übereinstimmungzur Erkenntnisgewinnung, die in einer Verbindung der platonischen Dialektik und des Syl-logismus des Aristoteles unter Beachtung theologischer Glaubenssätze besteht. Um denWahrheitsgehalt einer Behauptung zu emitteln, tragen die Scholastiker zunächst im Sin-ne der Dialektik Argumente für und gegen sie zusammen und in einer Synthese wirdentschieden, ob die Behauptung zutrifft. Behauptungen, die sich im Sinne des aristoteli-schen Syllogismus als unlogisch erweisen, oder die Beobachtungstatsachen widerspre-chen, gelten als widerlegt.

Prägend für das Denken des Mittelalters war der Universalienstreit zwischen Nomina-listen und Realisten.

Ausgehend von der Platonschen Ideenlehre ging es dabei um die bis heute nicht ver-stummte Frage nach der Art der Existenz der Universalien oder Allgemeinbegriffe, wie“Mensch” und “Zahl” im Unterschied zur konkreten Existenz von Spezialfällen dieser En-titäten. Während die Realisten eine ontologische also reale Existenz dieser Universalienannahmen, sahen die Nominalisten in ihnen lediglich Namen für Produkte des Verstan-des.

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Grundlegung der neuzeitlichen Erkenntnistheorie 9

Genau genommen steht hinter dieser Auseindandersetzung die Frage: Was meinen wireigentlich damit, dass etwas existiert? Für Nominalisten ist die eigentliche Existenz nurdurch das konkret Fassbare gegeben, während der Existenzbegriff der Realisten diesesam Konkreten Haftende überschreitet (transzendiert). Dieser Existenzbegriff verlässt alsoden Bereich der real erfassbaren Physik und ist damit in der so genanten Metaphysikangesiedelt.

Metaphysik bezeichnet im Mittelalter die Wissenschaft vom “Sein, das dem Seienden zuGrunde liegt” und stellt die wesentliche Erscheinungsform der abendländischen Philoso-phie dar. Synonym wird heute zumeist der Begriff Ontologie verwendet für die Disziplinder Philosophie, die sich mit dem Verständnis vom Seienden und dessen Bedingungenund Möglichkeiten beschäftigt.

Wir werden in der Folge sehen, wie sich dieser Universalienstreit, in natürlich abgewan-delter Form, bis in unsere heutige Zeit fortsetzt.

1.2 Grundlegung der neuzeitlichen Erkenntnistheorie

Im 17.ten Jahrhundert entwickeln sich unter Descartes (1596-1650) und Leibniz (1646-1716) die Auffassungen der Realisten weiter zum sogenannten Rationalismus währendder Nominalismus im Empirismus um Bacon (1561-1626), Locke (1632-1704) und Hu-me (1711-1776) seine konsequente Fortsetzung findet.

Gegenüber Realisten und Nominalisten erweitern sie die Frage der Existenz der Univer-salien um die Frage der Erkenntnisgewinnung. Eine Erkenntnis ist das gesicherte Wis-sen über Eigenschaften der Dinge. Ob etwas existiert oder nicht, kann als Eigenschafteines gedanklichen Dings angenommen werden.

Aber von was lässt sich mit Sicherheit sagen, dass es existiert? Welches Wissen kannals sicher gelten?

1.2.1 Rationalismus

Die Rationalisten gehen von einer Welt aus, deren absolute Existenz unabhängig von un-serer sinnlichen Wahrnehmung derselben unzweifelhaft gegeben ist und die einer rationalfassbaren Ordnung unterworfen ist.

Sie postulieren eine universelle Rolle der Logik und der Mathematik. Der Grund dafür,dass es etwas nicht geben kann, muss mit den Mitteln des Verstandes, durch die Logik

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nachvollziehbar sein. Die Vernunftwahrheiten gelten mehr als die empirischen Wahrhei-ten. Erkenntnis über die Welt erlangen wir ausschließlich durch Verstand und Vernunft,Die Vernunft ordnet die Sinneseindrücke und beurteilt , was wahr und was falsch ist. Diesinnliche Wahrnehmung an sich ist subjektiv und unzuverlässig.

Descartes

Descartes kam zu der Auffassung, dass offensichtlich als absolut sicher gelten muss,dass “ich denke”. Wenn ich aber denke, dann muss auch ohne weitere Voraussetzungdie eigene Existenz als sicher angenommen werden, dadurch nämlich, dass ich das “ich”denken kann, muss bedeuten, dass es mich gibt.

Dies spiegelt sich in dem Ausspruch Descartes’ wieder: “Cogito ergo sum.”(Ich denke,also bin ich.)

Grundlage allen Denkens sind für ihn einfache nicht abweisbare Gedanken, die auf klarenIntuitionen beruhen, einfache, unbestreitbar (oder durch einfache Beweise gestützte) alswahr anzusehende Aussagen. Auf diese kann alles weitere durch Denken zurückgeführtwerden. Die sinnliche Wahrnehmung an sich ist subjektiv und unzuverlässig.

Drei wesentliche klare Intuitionen sind für ihn erstens “es gibt Gott”, zweitens “ich denke”und drittens “es gibt ausgedehnte Substanzen”.

Es gibt für ihn drei Arten von unzerstörbaren unbedingten Substanzen: die ewige Sub-stanz, die denkende sowie die ausgedehnte Substanz, wie wir sie durch unsere Sinnewahrnehmen.

Aber unsere Wahrnehmung kann nicht als wirklich zuverlässig und sicher betrachtet wer-den. Wahrnehmung kann auch Folge von Einbildung sein. Sicherheit kann es nur durchdas Denken geben.

Klarheit und gesicherte Erkenntnis gibt es daher nur durch das Denken, nicht durch em-pirische Forschung. Der Verstand kann sehr wohl die Existenz von Dingen begründen,die nicht konkret wahrnehmbar sind.

Descartes hat zeitlebens dem Unterschied von Wachen und Träumen nicht getraut. Ertraute nur den einfachen Intuitionen. Die einzige Garantie für die Existenz der Außenweltwar für ihn Gott.

Er führte drei Beweise für die Existenz Gottes als vollkommenens und nicht endlichesWesen an:

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Rationalismus 11

1. Das Unvollkommene kann nicht ohne das Vorhandensein des Vollkommenen gedachtwerden.

2. Das Vollkommene kann nicht Resultat von uns selbst sein, da wir endlich sind und auchnicht aus dem Nichts kommen.

3. Zu denken, dass das vollkommene Wesen nicht existiert, führt zu einem Widerspruch,denn zum Vollkommenen gehört seine Existenz.

Die Methode, ein Problem in seine Einzelteile zu zerlegen, ist Bestandteil seines analyti-schen Denkens und wird heute nach ihm die “kartesische” Methode genannt.

Mit Descartes entsteht die Unterscheidung zwischen apriorischen und aposteriorischenWissen. Apriorisches Wissen (a prioi, lat. “im Voraus”) bezeichnet Erkenntnis, die alleinaufgrund der Vernunft,des logischen Schließens und Denkens entsteht. Den Gegensatzhierzu bildet das aposteriorische Wissen (a posteriori, lat. “im Nachhinein”), das aus-schließlich auf Erfahrung beruht.

Leibniz

Für Leibniz diente die Mathematik als Vorbild, um auch in der Philosophie sichere Er-kenntnisse zu erzielen. Er selber war ein hervorragender Mathematiker und hat unabhän-gig von Newton die Differential-und Integralrechnung begründet.

Im Bereich der Philosophie unterscheidet er zwischen Erkenntnissen, die rein durch denVerstand hervorgebracht werden und solchen, die auf Erfahrung beruhen. Er ist insofernauch kein reiner Rationalist als er auch die durch Erfahrung gewonnenen Erkenntnissennicht als unsicher und unscharf einstuft, wie es Descartes tut. Die reinen Erkenntnissedes Verstandes sind jedoch allein Resultate einer Kette logischer Folgerungen, die sichauf letzte Ursachen zurückverfolgen lassen müssen.

Zu den logischen Regeln, die Leibniz als grundlegend betrachtet, gehört das Prinzip vomWiderspruch oder dem “tertium non datur” und dem Identitätsgrundsatz, wonach sichdas gleiche ergibt, wenn man mit gleichen Dingen gleiches tut. Etwas rein logisch zuerschließen, bedeutet, die Annahme des Gegenteils zu einem logischen Widerspruch zuführen. Daneben gilt für ihn der Grundsatz vom zureichenden Grund. Nichts geschiehtzufällig, für alles, was ist und passiert, lässt sich ein hinreichender Grund finden. JedeWirkung hat ihre Ursache.

“Unsere Schlüsse gründen sich auf zwei große Prinzipien: Das erste ist das Prinzip desWiderspruchs [...]. Das zweite ist das Prinzip des zureichenden Grundes, in Kraft dessen

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wir der Ansicht sind, dass keine Tatsache wirklich oder existierend und auch keine Aus-sage wahr sein könne, ohne dass es einen zureichenden Grund dafür gäbe, dass jene sound nicht anders seien.” ([19], Monadologie, S. 31 f.)

Was die empirischen Erkenntnisse angeht, so beruhen sie auf den tatsächlichen Vorstel-lungen, die wir durch unsere Sinne von den Dingen besitzen. Vorstellungen aber ent-sprechen Möglichkeiten des “Soseins”. Die Annahme des Gegenteils führt hier nicht zumWiderspruch.

Die Vernunftwahrheiten, sind für Leibniz ewige Wahrheiten, die empirischen Erkenntnis-se oder auch Tatsachenwahrheiten besitzen den Charakter einer bedingten aber nichtabsoluten Notwendigkeit.

Auch die empirischen Wahrheiten genügen aber dem Prinzip des zureichenden Grundesund lassen sich in einer rückwärts gerichteten Kausalkette bis zu einem ersten zureichen-den Grund zurückverfolgen.

Während Descartes von drei Substanzen ausgeht, postuliert Leibniz als letzte und klein-ste Einheiten des Seienden, die Monaden. Diese “Atome” sind sowohl materieller alsauch geistiger Natur und tragen durch ihr Zusammenwirken in sich alle Möglichkeiten desSeins. Die Monaden sind unterschiedlich, wirken zusammen und in jeder Monade drücktsich die Gesamtheit des Universums aus. Monaden konkurrueren nicht sie kooperieren.Leibniz bezeichnet diesen Zustand als “prästabilisierte Harmonie”.

Man beachte, dass diese Monaden nicht nur existieren, sie tragen die Möglichkeiten zuagieren in sich, sind Punkte in einem Energiefeld. Monaden sind aber auch geistige Enti-täten, wie etwa die Seele eines Menschen. Die Harmonie ihres Wirkens setzt die Existenzeiner allmächtigen Kraft voraus, einer höchsten Monade, die den Ursprung aller Vernunft-wahrheiten und die Möglichkeiten des Universums in sich trägt.

Diese höchste Monade ist für Leibniz Gott.

Gott hat mit den Monaden die Möglichkeiten für unterschiedliche Ausprägungender realen Welt geschaffen. In jeder der möglichen Welten gelten die Vernunftwahrhei-ten. Die Tatsachenwahrheiten sind allein auf die konkrete Ausprägung der realen Weltbeschränkt.

Gott hat aus allen möglichen Welten diese erwählt, weil es die beste aller möglichenWelten ist. Dies lässt sich daraus schließen, dass Gott als vollkommenes Wesen alles mithöchster Vernunft tut.

Das sog. Theodizeeproblem, warum in dieser besten aller möglichen Welten Leid undUnvollkommenheit herrschen, löst Leibniz mit dem Argument, dass einerseits unsere Ver-

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Empirismus 13

nunft nicht ausreicht, um die Vollkommenheit der Welt wirklich zu erfassen, andererseitsGott nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, wenn Menschen ihre MöglichkeitenGutes zu tun nicht nutzen oder sogar missbrauchen. Dies ist gewissermaßen der Preisder Freiheit, die Gott dem Menschen gegeben hat.

1.2.2 Empirismus

Dem Rationalismus entgegen stellt sich der Empirismus.

Der Empirismus entsteht mit dem Aufkeimen systematischer experimenteller naturwis-senschaftlicher Forschung und den daraus resultierenden technischen Errungenschaf-ten. Nicht die Metaphysik sondern die Physik steht im Mittelpunkt der Empiristen unddient ihnen als Schlüssel zur Erkenntnisgewinnung.

Jegliche Erkenntnisgewinnung beruht auf sinnlicher Erfahrung. Gegenüber den Rationa-listen bestreiten sie die Möglichkeit der Erkenntnis a priori. Sie glauben nicht an intuitiveWahrheiten oder eingeborene Ideen, wie Descartes und Leibniz. Die Empiristen vernei-nen auch die reale Existenz von Ideen. Sie befinden sich daher in der Tradition der Nomi-nalisten.

Während für Leibniz die äußeren Wahrnehmungen als Mediatoren wirken, um die bereitsangeborenen Ideen zur Entfaltung zu bringen und die Aufmerksamkeit auf sie zu lenken,so ist für Locke [21] das menschliche Bewusstsein bei der Geburt wie ein leeres BlattPapier, das erst durch die Erfahrung beschrieben wird. Diese Auffassung wurde in derAntike bereits durch Aristoteles [1] vertreten.

Locke und Bacon sind insofern ontologische Realisten, als sie nicht die Existenz eineraußerhalb des Subjekts vorhandenen Realität anzweifeln. Für sie wird aber die Erkennt-nis über die Dinge der Außenwelt durch die sinnliche Wahrnehmung bestimmt. Das wasunser Verstand hierüber hinaus mit den Methoden der Logik und Mathematik über dieRealität erschließt, betrachten sie im Gegensatz zu den Rationalisten als unsicher, solan-ge es nicht empirisch überprüft werden kann. Insofern folgen die Empiristen der nomina-listischen Grundkonzeption, nach der Universalien von der Vorstellung bestimmt sind unddie entsprechenden Begriffe nur “Namen” und nicht real existent sind. Alle existierendenDinge sind Einzeldinge, das Allgemeine ist künstlich vom Verstand geschaffen.

Hume geht noch einen Schritt weiter. Er vertritt die Auffassung, dass wir auch nicht mitSicherheit von der Existenz einer Realität außerhalb des Subjekts ausgehen können.“Die Sinne liefern nur einzelne Wahrnehmungen ohne den kleinsten Hinweis auf etwasaußerhalb und von uns Verschiedenem”, vergl. [12], sect. 2. Dem Menschen eigen ist ihm

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zu Folge sein Glauben an diese Außenwelt.

Humes Grundhaltung ist der Skeptizismus, er zweifelt die Möglichkeit gesicherter Er-kenntnis über eine außerhalb unserer Wahrnehmung real existierende Welt ab. Das Ver-trauen in die exakten Naturwissenschaten in ihrer Aussagekraft über die wahrnehmba-re Welt beruht auf Glauben. Da eine von den Sinneswahrungen unabhänginge Mög-lichkeit der Erkenntnisgewinnung für den Menschen nicht besteht, lässt sich prinzipiellnicht entscheiden, auf welche Ursachen unsere Sinneswahrnehmungen zurückzuführensind.

Das Denken verarbeitet unsere Sinneswahrnehmungen und folgt dabei drei Gesetzmä-ßigkeiten

1. Ähnlichkeit (resemblance), 2. Nachbarschaft (continuity), 3. Kausalität.

Ursache-Wirkung Beziehungen, Kausalität ergibt sich so als Produkt unseres Verstan-des. Wir können nicht davon sprechen, dass diese Kausalität als solche vorhanden ist.Kausalität lässt sich weder als theoretisches Verstandesprinzip noch erfahrungsgemäßrechtfertigen. Die Gesetzmäßigkeiten des Verstandes sind Gewohnheitsprinzipien, diesich bewährt haben. Nach Hume können wir von nichts wirklich sicher annehmen, dasses tatsächlich vorhanden ist. Alles was wir von der Welt wissen, ist das Bild, das wir unsvon ihr machen. Fiktion und Wahrheit sind nicht wirklich unterscheidbar.

1.2.3 Der Kritizismus Kants

Immanuel Kant(1724-1804) beschäftigt sich eingehend mit den Mechanismen und Gren-zen des menschlichen Verstandes und versucht in seinem zentralen Werk der “Kritik derreinen Vernunft” [13] eine Brücke zwischen Rationalisten und Empiristen zu schlagen. Dievon ihm begründete Richtung der Erkenntnistheorie wird Kritizismus genannt.

Kant ist einer der bedeutendsten Philosophen aller Zeiten und die gesamte abendländi-sche Philosophie nach ihm bis heute, wäre ohne ihn so nicht denkbar. Seine zentralenerkenntnistheoretischen Fragen sind:

• Wie ist es möglich, wissenschaftlich mit Metaphysik umzugehen?

• Was kann ich wissen, und über welche Dinge gibt es keine Möglichkeit Erkenntniszu gewinnen?

Kant untersucht in [13] die Bedingungen für die Möglichkeit von Wissen. Erkenntnis überdie Welt erlangen wir nach Kant über die sinnliche Wahrnehmung und den Verstand, deraus den Sinneseindrücken die Begriffe formt und in Relation zueinander setzt.

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Der Kritizismus Kants 15

Die Gegenstände des Denkens sind durch unsere sinnliche Erfahrung bestimmt, seineberühmten Sätze “Begriffe ohne Anschauung sind blind”, “Gedanken ohne Inhalt sindleer” , vergl.[13], bilden Ausgangspunkt seiner Theorien zur transzendentalen Ästhetiksowie zur transzendentalen Logik. Insofern steht Kant den Empiristen nahe.

Auch mit seiner als kopernikanische Wende in der Erkenntnisphilosophie bezeichnetenAuffassung, dass wir die Dinge an sich nicht erkennen können, sondern dass das, waswir von der Welt erkennen, davon abhängt, mit welcher Brille sie betrachten, d.h. mitwelchen Methoden unser Verstand sich ihnen nähert, steht er den Empiristen näher alsden Rationalisten.

Bedingungen der Möglichkeit von Erkenntnis

Anders aber als insbesondere Locke sieht er den menschlichen Geist nicht als eine “tabu-la rasa” sondern postuliert die Existenz von Verstandeskategorien, die a priori gegebensind und nicht erst durch Erfahrung erworben werden und dem jedes Denken unterliegt.Diese reinen Verstandeskategorien stellen die Bedingungen zur Möglichleit von Erkennt-nis überhaupt dar. Kategorien des Denkens sind unabhängig von dem, was ein Menschweiß, sie gehören zur subjektiven Grundausstattung des Denkens.

Im Gegensatz zu Hume ist bei Kant die Kausalität ein reiner Verstandesbegriff, der aufErscheinungen anwendbar ist und notwendig angewendet werden muss, um Erfahrungmöglich zu machen.

Genauso wie das Denken den Verstandeskategorien unterworfen ist, so stellen Raum undZeit Bedingungen der Möglichkeit sinnlicher Wahrnehmung dar. Raum und Zeit sind fürKant nicht ableitbare sondern als gegeben vorauszusetzende Größen, außerhalb dererkeine sinnliche Wahrnehmung vorstellbar ist. Sie können daher auch nicht zum Gegen-stand einer analytischen Betrachtung werden, da sie ja selbst Voraussetzung für diesesind, sie bleiben also subjektiv. Damit sind Raum und Zeit für ihn nicht absolut vorhandenund er steht hier im Gegensatz zu Newton mit seiner Vorstellung eines absoluten Raums.Die physikalischen Gesetze des Raumes und der Zeit sind a priori vorhanden in Gestaltder durch die euklidische Geometrie gegebenen Sätze der Mathematik. Da sie apriorischsind, lassen sich keine anderen Gesetze für Raum und Zeit vernünftig denken.

Raum und Zeit sind, wie er es nennt, “reine Anschauungsformen”, die nicht den Dingenan sich zukommen, sondern die den subjektiven Rahmen für sinnliche Erfahrung bilden.Die Dinge an sich können wir nicht erfassen, Raum und Zeit sind gewissermaßen Skalender Anschauung.

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Erst im neunzehnten Jahrhundert entdeckte man die Möglichkeit, dass auch andere Geo-metrien denkbar sind und mit der allgemeinen Relativitätstheorie besitzen wir heute einedeutlich komplexere Vorstellung von der Struktur von Raum und Zeit. Da also offensicht-lich nicht nur eine einzige geometrische Realität denkbar ist, bieten sich aus heutiger SichtAnsätze zur Kritik an Kants Auffassung vom Raum als reiner Anschauungsform.

Kant geht nicht nur von apriorischen Bedingungen des Denkens und der sinnlichen Wahr-nehmung aus, sondern postuliert auch die Existenz von Erkenntnis, die unabhängig vonErfahrung notwendig vorhanden ist. Dies sind für Kant die Sätze der Mathematik. Hier un-terscheidet er sich von den Empiristen und steht den Rationalisten deutlich näher.

Analytische und synthetische Urteile a priori und a posteriori

Kant bezeichnet etwas als ein “Ding a priori”, wenn es allgemein und notwendig undunabhängig vor aller Erfahrung ist. Z.B. sind Raum und Zeit notwendig, weil es nichts gibt,was wir uns außerhalb von Raum und Zeit vorstellen können. Und sie sind allgemein, weilalle Dinge Raum und Zeit in gleicher allgemeingültiger Weise unterworfen sind. Raum undZeit sind daher wie die Kategorien des Verstandes Dinge a priori.

Urteile heißen nach Kant analytisch, wenn die in dem Urteil behauptete Eigenschaft desObjekts bereits aus der Definition des Objekts folgt. Ein Urteil heißt synthetisch, wenn dievom Objekt behauptete Eigenschaft nicht zwangsläufig aus dessen Definition folgt.

Beispiel:

“Ein Tier ist ein Lebewesen.” (analytisch)

“Es gibt Tiere, die fliegen können.” (synthetisch)

Es ist offensichtlich, dass analytische Urteile keine neue Erkenntnis geben. Sie besitzenlediglich den Rang einer Begriffserläuterung. Analytische Urteile stützen sich nicht aufErfahrung, es sind Urteile, die a priori gegeben werden können.

Synthetische Urteile sind die eigentlich Erkenntnis bringenden. Selbstverständlich sindviele synthetische Urteile auf Erfahrung gegründet, sind also a posteriori- Urteile. DieEmpiristen würden sagen, alle synthetischen Urteile sind a posteriori Urteile.

Als Beispiel eines synthetischen Urteils a priori führt Kant dagegen an, dass die Wahrheitder Aussage 12=5+7 aus der Arithmetik das Ergebnis eines reinen Verstandesprozessesist und unabhängig vor jeder Erfahrung gilt.

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Der Kritizismus Kants 17

Transzendentalphilosophie

Mit “transzendental” bezeichnet Kant alles, was sich auf die Möglichkeiten der Erkenntnisa priori bezieht. “Ich nenne alle Erkenntnis transzendental, die sich nicht sowohl mit Ge-genständen, sondern mit unserer Erkenntnisart von Gegenständen, so fern diese a priorimöglich sein soll, überhaupt beschäftigt.” [13], S.43.

Die “Kritik der reinen Vernunft” [13] ist unterteilt in eine transzendentale Ästhetik, diesich mit den Bedingungen der sinnlichen Wahrnehmungen und der transzendentalenLogik, die sich mit den Gesetzen des formalen Denkens auseinandersetzt.

Die transzendentale Logik wiederum untergliedert er in transzendentale Analytik undtranszendentale Dialektik.

Die transzendentale Ästhetik beschäftigt sich mit der Frage, wie synthetische Urteile apriori möglich sind, wieso also Mathematik möglich ist. All unsere Erkenntnis basiert aufsinnlicher Wahrnehmung, auf Anschauung, der Verstand formt aus den Sinneseindrückendie Begriffe und ordnet sie mit Hilfe der reinen Kategorien des Verstandes. Ohne sinnlicheErfahrung kann keine Erkenntnis stattfinden, dies ist die Bedeutung von “Gedanken ohneInhalt sind leer”.

Die a priori vorhandene Raum-Zeit-Struktur unter der unser Verstand die sinnliche Erfah-rung, die Anschauung zu Begriffen formt, unterliegt a priori Gesetzen, die sich in geo-metrischen und arithmetischen a priori Erkenntnissen ausdrücken. Die geometrischenErkenntnisse beziehen sich dabei auf die Form und die arithmetischen auf das Messen,also die Quantifizierung von Raum und Zeit. Hier liegt also die Antwort auf die Frage nachder Möglichkeit von synthetischen Urteilen a priori: in der apriorischen Natur von Raumund Zeit.

Alle Urteile über Raum und Zeit, die ja nicht durch das Denken geschaffen wurden, son-dern umgekehrt Bedingung für das Denken darstellen, können nur synthetisch sein, all-gemein und notwendig.

In der transzendentalen Analytik widmet er sich den Kategorien, den reinen Verstandes-begriffen, den Gesetzen des formalen Denkens, das auf die Gegenstände der Anschau-ung angewendet wird. Er unterscheidet zwischen vier Arten: Die Kategorien der Quantität,der Qualität, der Relation und der Modalität.

Der Mechanismus, nach dem die reinen Verstandesbegriffe auf das konkret sinnlich Wahr-nehmbare anwendbar sind, erläutert Kant in seiner transzendentalen Deduktion. Die Kau-salität ist anders als bei Hume für ihn eine reine Verstandesform, sie gehört zu der Kate-gorien der Relationen. “Alles hat eine Ursache”. Damit grenzt er sich deutlich vom Empi-

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rismus Humes ab.

Es ist wichtig hervorzuheben, dass der Verstand die Kategorien, nur auf das anwendet,was wir durch unsere Sinne erfahren: “Begriffe ohne Anschauung sind blind”.

Er unterscheidet zwischen den Phenomena und den Noumena. Die Phenomena sinddie Gegenstände unserer Anschauung, also die Erscheinungen der Dinge an sich, wiewir sie durch unsere sinnliche Wahrnehmumg in dem a priorischen Raum-Zeit-Rahmenwahrnehmen und sie mit den reinen Verstandesbegriffen strukturieren. Die Noumena hin-gegen sind die reinen Gedankendinge, die jenseits der sinnlichen Welt liegen, in einerWelt, die dem Verstand prinzipiell unzugänglich ist. Sie liegen also außerhalb des Be-reichs des Erkennbaren.

Kant trifft auch eine klare Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft. Der Verstandbesteht in der Fähigkeit, aus den Anschauungen Begriffe zu formen, und die Vernunftbeschreibt das Vermögen die Begriffswelt Prinzipien unterzuordnen.

Es ist die Vernunft, die sich in dieses spekulative Reich der Noumena vorwagt. Bei denNoumena handelt es sich um leere Begriff. Wenn man trotzdem über sie redet, dient dieslediglich dazu, die Grenzen für den Bereich des Erkennbaren zu ziehen.

Mit der Vernunft beschätigt sich Kant in der transzendentalen Dialektik. Die Vernunft fragtnach dem “Warum”, will immer das hinter der Erscheinung Stehende erkennen, fragt alsfortlaufend nach neuer Erkenntnis. Bei dieser fortlaufenden Frage nach den Bedingungengelangt sie entweder in einen unendlichen Regress oder zu ersten Bedingenden.

Das sich selbst denkende Individuum mit seiner unsterblichen Seele ist eine solche er-ste Bedingung im inneren Bereich, der alles umfassende unendliche Kosmos eine imäußeren und Gott ist eine erste Bedingung als einheitlicher Urgrund für Seele und Welt.Diese ersten Dinge sind Noumena und können nur rein rational und nicht empirisch er-fasst werden. Da die Begriffe wie oben bereits erwähnt, leer sind, ergeben sich durch denUmgang mit ihnen zwangsläufig Widersprüche, da die Verstandesbegriffe nur dafür tau-gen auf das sinnlich Wahrnehmbare angewandt zu werden. Geht man mit diesen reinenVernunftideen so um wie mit realen Gegenstände, so entsteht lediglich ein substanzloserSchein.

Hierin besteht Kants Kritik an der klassischen Metaphysik, insbesondere an Leibniz undden Rationalisten.

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Realistische und nichtrealistische Theorien, Idealismus 19

Kopernikanische Wende

Bei allem was wir über die Welt erkennen, unterliegen wir nach Kant den reinen Formender Anschauung und des Denkens. Dies sind die Bedingungen des Erkennens. Zentral istsein Postulat der Unmöglichkeit eines unvoreingenommenen Erkennens der Wirklichkeit.Er glaubt, dass der Mensch die Wirklichkeit nicht erkennt, wie sie ist, sondern er erkenntdas, was unser Verstand in sie hinein legt. Die Dinge an sich können wir nicht sehen, undwas wir von den Dingen sehen, das heißt, wie sie uns erscheinen, hängt davon ab, wiewir sie betrachten.

Dieser gedankliche Ansatz war für die Philosophie so revolutionär wie es zu seiner Zeitdie Aussage des Kopernikus war, dass die Erde sich um die Sonne drehe und Kantspricht selbst in diesem Zusammenhang von einer kopernikanischen Wende in der Phi-losophie.

“ Bisher nahm man an, all unsere Erkenntnis müsse sich nach den Gegenständen richten;aber alle Versuche über sie a priori etwas durch Begriffe auszumachen, wodurch unsereErkenntnis erweitert würde, gingen unter dieser Voraussetzung zunichte. Man versuchees daher zuerst, ob wir nicht [...] damit besser fortkommen, dass wir annehmen, die Ge-genstände müssen sich nach unserer Erkenntnis richten[...] Es ist hiermit ebenso wie mitden ersten Gedanken des Kopernikus bewandt, der, nachdem es mit der Erklärung derHimmelsbewegungen nicht gut fort wollte, wenn er annahm, das ganze Sternenheer dre-he sich um den Zuschauer, versuchte, ob es nicht besser gelingen möchte, wenn er denZuschauer sich drehen, und dagegen die Sterne in Ruhe ließ. ”(Aus [13])

Mithin können wir also nach Kant nie die Dinge an sich erkennen. Das, was wir erkennen,denkt unser Verstand in sie hinein.

1.2.4 Realistische und nichtrealistische Theorien, Idealismus

Aus den Gegensatzpaaren Realismus/Nominalismus und später Rationalismus/Empirismusentwickelten sich in der Zeit nach Kant bis heute eine Vielzahl stärker differenzierter Ein-zelströmumgen.

Bestehen bleibt die Gegensatzpaarung, zwischen den realistischen und den antireali-stischen Erkenntnistheorien.

Eine realistische Theorie geht dabei von aus, dass es eine Realität außerhalb des Sub-jekts gibt, die mehr oder weniger unmittelbar erkannt wird, während antirealistische Posi-tionen davon ausgehen, dass, wenn es eine Außenwelt überhaupt gibt, diese durch die

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Vorstellungen des Geistes bestimmt werden. Auch die größte Zahl der antirealistischenPositionen geht aber von einer Existenz von Dingen jenseits des menschlichen Bewusst-seins und unabhängig von der menschlichen Existenz aus. Sie vertreten also zumindesteinen ontologischen Realismus. Lediglich der Solipsismus in der Tradition von Humeleugnet (die Relevanz) von allem, was außerhalb des erkennenden Subjekts vorhandensein könnte.

Gemeinhin werden die antirealistischen Theorien dem Idealismus zugeordnet. Jedochist hier die Begriffsbildung nicht einheitlich und man muss konzedieren, dass der Idea-lismus Platos, dem auch die Realisten des Mittelalters anhängen, in dem Sinne zu denrealistischen Theorien gehört, als er den geistigen Dingen oder den Ideen eine absolu-te Existenz zuweist. Man nennt diese Form des Idealismus auch absoluten Idealismusoder objektiven Idealismus und unterscheidet diesen vom subjektiven Idealismus, denwir weiter unter näher betrachten.

Die absoluten Idealisten, unter ihnen Hegel (1770-1831), sehen wie Plato die Welt alseine geistige Welt der Ideen, derer sich der menschliche Verstand zu nähern vermag.Die Idee findet ihre Verwirklichung in der Natur. Der Geist des Menschen kann diese Ide-en in einem Erkenntnisprozess reflektieren. Aufgabe der Philosophie muss es sein, dieWahrheit der reinen und absoluten Ideen in der Logik zu erkennen. Auch die Monaden-lehre von Leibniz kann als absolut idealistische Philosophie aufgefasst werden, da dieMonaden rein geistige Grundelemente widerspiegeln.

Vom absoluten Idealismus grenzt sich der erkenntnistheoretische Realismus dadurchab, dass er zwar von einer unabhängig von der menschlichen Erkenntnisfähigkeit vor-handenen Realität ausgeht, die sich aber in einer Ding- und Körperwelt ausdrückt undnicht in einer rein geistigen Ideenwelt begründet findet. Für den erkenntnistheoreischenRealisten ist zumindest ein Teil dieser Realität auch “als solche” erkennbar.

Die Erkenntnis bezieht sich auf das Erfassen von etwas, das vor und unabhängig von derErkenntnis bereits vorhanden ist. Die Erkenntnis vollzieht sich als Annäherungsprozessan die Realität.

Hierin unterscheidet sich die antirealistische Gegenposition in Gestalt des erkenntnis-theoretischen (subjektiven) Idealismus. Dieser spiegelt die Auffassung der Empiristenwider, dass die Realität, wie wir sie erkennen, bestimmt ist durch die Vorstellungen, bzw.Ideen, die unser Verstand von ihr bildet. Wir sehen die Realität daher nicht so, wie sieist.

Auch vertritt der subjektive Idealismus nicht die Ideenlehre des objektiven Idealismus.Unter den subjektiven Idealisten gibt es Unterschiede über die Ansicht nach dem Aprio-

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Realistische und nichtrealistische Theorien, Idealismus 21

rischen der Verstandesprinzipien, wie sie von Kant in den Kategorien postuliert wird. DerIdealismus Kants wird auch als transzendentaler Idealismus bezeichnt.

Kant verbindet, wie im letzten Abschnitt beschrieben, einen transzendentalen Idealismusmit einem empirischen Realismus, was bedeutet, dass es keine Erkenntnis ohne empiri-sche sinnliche Erfahrung gibt, dass die Erkenntnisse aber durch die reinen Verstandes-begriffe geformt werden.

Als Spielarten des erkenntnistheoretischen Realismus treten der naive und der kritischeRealismus auf.

Der naive Realismus erachtet die wahrgenommene Realität als authentisch. Es gibt einunmittelbares Verhältnis zwischen der Realität und ihrer Abbildung im Bewusstsein.

Ein berühmter Vertreter des kritischen Realismus ist Nicolai Hartmann (1882-1950).

Erkenntnis bildet für Hartmann einen Prozess der Abbildung eines vom erkennendenSubjekt verschiedenen Objektes im Bewusstsein des erkennenden Subjekts. Die Realitätwird dabei als Projektion erfahren. Im Gegensatz zum naiven Realismus wertet der kriti-sche Realismus das Bild, das wir von der Realität haben nicht als authentisches Abbild,sondern als durch unser begrenztes Erkenntnisvermögen eingeschränktes Bild.

In diesem Zusammenhang bezieht sich Moritz Schlick (1882-1936), der spätere Be-gründer des Wiener Kreises, bei der Möglichkeit von Erkenntnis auf die Methode derKoinzidenz, bei der die eigene Wahrnehmung mit der Wahrnehmung Dritter wiederholtauf Übereinstimmung geprüft wird.

Als antirealistische Theorie gilt ebenso der Positivismus, der auf Auguste Comte(1798 - 1857) zurück geht.

Der Positivismus hatte großen Einfluss auf die Wissenschaftsauffasung des 19. und 20.tenJahrhunderts. Er besteht in der empiristischen Grundhaltung, dass nur das erfahrungs-mäßig Gegebene (das Positive) Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtung sein kann.

Der Positivismus formulierte u.a. zwei Prinzipien, die bis heute als Grundlage wissen-schaftlicher Methodik gelten.

• Ausgehend von der Grundüberzeugung, dass nur das Wahrnehmbare Gegenstandvon wissenschaftlicher Erkenntnis sein kann, muss der Grundsatz gelten, dass jegli-che wissenschaftliche Erkenntnis nicht nur von einem Menschen sondern im Prinzipvon jedem Subjekt erworben werden kann. (Objektivität)

• Jede wissenschaftliche Aussage ist für jeden überprüfbar und verstandesmäßignachvollziehbar. (Rationalität)

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1.3 Moderne Wissenschafts- und Erkenntnistheorie

1.3.1 Logischer Empirismus

Mit dem Wiener Kreis tritt 1922 eine interdisziplinäre Gruppe bedeutender Wissenschaft-ler in Erscheinung, die sich zum Ziel setzt, die Philosophie im Sinne einer axiomatischenWissenschaft neu zu entwerfen. Sie verbinden Positivismus und Empirismus mit einemstreng logischen Formalismus und begründen damit die neue Richtung des logischenPositivismus (s.u.) oder auch logischen Empirismus.

Alle Phänomene werden logisch mathematisch (deduktiv) zurückgeführt auf allgemeinakzeptierte Beobachtungstatsachen, die Axiome. Der Wiener Kreis sieht sich damit inder Tradition des Empirismus und Positivismus. Der Wiener Kreis will die Wissenschaftenvon ihren metaphysischen Bestandteilen reinigen. Wissenschaftlich können nur Erfah-rungssätze über Gegenstände aller Art sowie die Sätze der Logik und Mathematik sein.[28]

Den Streit zwischen Realisten und Antirealisten um die ontologischen Grundlagen der Er-kenntnis halten sie für überflüssig und sinnlos, da er sich der empirischen Überprüfbarkeitentziehe und prinzipiell nicht entschieden werden könne.

Einer der prominentesten Vertreter des Wiener Kreises war, neben Moritz Schlick derMathematiker Rudolf Carnap (1891-1970). Auch Einstein und Gödel gehörten zu demweiteren Umfeld.

Die logischen Empiristen verwerfen Kants Argumente für die Existenz synthetischer Ur-teile a priori.

“Daß Erkenntnis der Welt möglich ist, beruht nicht darauf, daß die menschliche Vernunftdem Material ihre Form aufprägt, sondern darauf, daß das Material in einer gewissen Wei-se geordnet ist. Über Art und Grad dieser Ordnung kann von vorneherein nichts gewußtwerden” [28]

Die Sätze der Mathematik sind für den logischen Empirismus analytischer Natur, da siedurch formales Schließen aus den Definitionen und Grundannahmen folgen, ihnen alsogewissermaßen inhärent sind. Sie beinhalten daher auch keine Erkenntnisse über diereale Welt an sich.

Ein wichtiges Ziel der Philosophen des Wiener Kreises besteht darin, Kriterien für denSinn von Sätzen zu erstellen. Ein Satz über die reale Welt ist für sie nur dann dannsinnvoll, wenn es möglich ist, ihn durch eine endliche Zahl von Beobachtungssätzen zuverifizieren (Verifikationsprinzip).

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Logischer Empirismus 23

Carnap verfolgte außerdem die Vision, alle Wissenschaft auf eine einheitliche Grund-lage zu stellen. Als einheitlicher formaler Rahmen dienen Mathematik und Logik, dieRealwissenschaften sollten sich sämtlich auf die Physik zurückführen lassen (Physika-lismus).

Zur Gewinnung der Axiome bedient sich der logische Empirismus einer induktiven Logik,nach der allgemeine Aussagen über die Wirklichkeit als Schlussfolgerung aus hinreichendvielen Einzelbeobachtungen formuliert werden können.

Der logische Empirismus korrespondiert mit den insbesondere durch Einsteins Relativi-tätstheorie eingeleiteten Paradigmenwechsel in der Physik. Einstein gab es auf, über dasnachzudenken, was Raum und Zeit eigentlich sind. Er sah davon ab, Raum und Zeit undandere physikalische Entitäten als absolute Größen zu definieren, sondern sie dadurchfestzulegen, wie wir sie messen. Was die Zeit an sich ist, ist unerheblich, wichtig ist, dasssie “vergeht” und dass dieses Vergehen durch ein bestimmtes Verfahren (Uhr) gemes-sen wird. Gewisse fundamentale und möglichst allgemeine Eigenschaften, wie z.B. dieKonstanz der Lichtgeschwindigkeit in Inertialsystemen, werden zu Axiomen, aus denensich alle weiteren Gesetze ableiten lassen. Auch in der Quantenmechanik spielt die Mes-sung die zentrale Rolle. Geradezu revolutionär war die Kopenhagener Interpretation derQuantenmechanik von 1927 durch Bohr und Heisenberg, nach dem zwei sich schein-bar grundsätzlich widersprechende Theorien über die Natur des Lichts und den Aufbauder Materie (Dualismus: Korpuskel-Welle) beide als gültig anzusehen sind, abhängig vonder Situation aber einmal die eine oder die andere zur Erklärung benutzt werden kann.Die dichotome Logik des “entweder/oder” ist offensichtlich in der Welt der Quanten nichtmehr so ohne weiteres aufrechtzuerhalten. Gleichwohl sind die Gesetze der Logik nichtaufgehoben. An die Stelle eines deterministischen Weltbildes tritt nun, bedingt durch dieUnschärferelation, eine Beschreibung der physikalischen Realität, die zumindest in derWelt der Elementarteilchen durch die Angabe Wahrscheinlichkeiten geprägt ist.

Der Streit der Physiker ging in der Folge darum, ob es an der Unfähigkeit des Menschenliegt, die Wirklichkeit eindeutig zu erkennen oder ob die Unschärfe eine der Realität im-manente Eigenschaft ist. Einsteins Ausspruch “Gott würfelt nicht” zeigt, dass er zu denVertretern, der ersteren Auffassung gehörte. Viele Experimente in der Folge legten abernahe, dass die Unschärfe doch ein reales Phänomen der Realität ist, was auch die heu-tige Lehrmeinung widerspiegelt.

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1.3.2 Kritischer Rationalismus, Paradigmenwechsel

Kritischer Rationalismus

In der Kritik an der induktiven Logik des logischen Empirismus besteht ein wesentlichesMerkmal des auf Karl Popper (1902-1994) und Hans Albert (geb. 1921) zurückgehendenkritischen Rationalismus, der seine Wurzeln im kritischen Realismus aufweist.

Statt induktiv aus Beobachtungstatsachen auf Axiome zu schließen, die dann als Wahr-heiten akzeptiert werden, besteht das methodische Vorgehen zur Erkenntnisgewinnungnach Popper im Aufstellen von Hypothesen, aus denen deduktiv Schlüsse gezogen wer-den, die an der Realität überprüft werden können, um diese dann bestätigt zu finden, odersie verwerfen oder ggf. modifizieren zu müssen. Dies unterscheidet sich nicht grundsätz-lich von dem oben beschriebenen Vorgehen der Physik des Aufstellens von Axiomen.Während man jedoch versucht, den Axiomen der Physik einen endgültigen Charakterabzugewinnen, auch wenn man weiß, dass dieses Ziel in Anbetracht des Fehlens einergroßen vereinheitlichenden Theorie noch nicht erreicht ist, so sind die Hypothesen Pop-pers ihrem Wesen nach eher vorläufiger Natur.

Neben dem Prinzip der Deduktion formuliert Popper eine eigene Grundauffassung zumBestätigen oder Widerlegen von Hypothesen. Grundsätzlich können danach Hypothesennie wirklich bewiesen werden, sie können sich nur bewähren, vergl. [24].

Als Beispiel führt Popper an, dass die Hypothese, “alle Schwäne sind weiß” nicht sicherdadurch belegt werden kann, dass nur weiße Schwäne beobachtet werden. Die Existenzeines schwarzen Schwans ist dadurch schließlich nicht ausgeschlossen.

Die tatsächliche Beobachtung eines schwarzen Schwans würde indes zur sicheren Ver-werfung der Hypthese führen. Popper stellt dem Prinzip der Verfizierbarkeit das der Fal-sifizierbarkeit entgegen: Man kann nicht mit Sicherheit eine Theorie beweisen, aber mankann sie mit Sicherheit widerlegen.

Kritiker dieser Haltung wenden ein, dass eine Falsifikation auch nicht immer mit endgülti-ger Sicherheit festzustellen sind.

Das Prinzip der Falsifikation führt logisch zu dem Prinzip, dass für die Bewährung derHypothesen Experimente gesucht werden müssen, die sie widerlegen könnten. Das be-deutet natürlich auch, dass die Hypothesen bereits so formuliert werden müssen, dasssie prinzipiell widerlegt werden können. Grundsätzlich muss jede Annahme als fehlbarangesehen werden können.

Hypothesen werden als irrelevant und unwissenschaftlich betrachtet, wenn solche Expe-

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Kritischer Rationalismus, Paradigmenwechsel 25

rimente nicht möglich sind (Fallibilismus). Man mag darüber streiten, ob diese Ausgliede-rung immer sinnvoll ist. Auch Einsteins allgemeine Relativitätstheorie, bzw. Aspekte hier-von, schienen eine zeitlang dem Kriterium der Falsifizierbarkeit nicht zu genügen.

Das Kriterium der Falsifizierbarkeit verweist aber immerhin auch Astrologie oder andereesoterische Disziplinen in den Bereich der Nichtwissenschaftlichkeit. Es sei denn, mansieht sie sowieso bereits als widerlegt an. Anhänger dieser Kulte werden aber nie eineWiderlegung eingestehen, da sie eine dogmatische Haltung einnehmen, und nicht dieHypothese selbst in Frage stellen, sondern meist widrige Begleitumstände für deren Ver-sagen verantwortlich machen.

Popper vertritt die Auffassung, dass man die Wahrheit über die reale Welt nicht mit ab-soluter Gewissheit zu erkennen vermag. Er behauptet aber nicht, dass es die Wahrheitnicht gäbe. Durch die Wissenschaft nähert man sich ihr an. Ein moderner empiristischerAnsatz zur Überprüfung von Hypothesen ist der Bayesianismus, siehe z.B. [9], der darinbesteht, ausgehend von subjektiven a-priori- Wahrscheinlichkeiten für die Gültigkeit vonAnnahmen Wahrscheinlichkeiten für die Gültigkeiten von Theorien zu berechnen.

Paradigmenwechsel

Einer der prominentesten Kritiker von Popper ist Thomas Samuel Kuhn (1922 - 1996),siehe [15]. Er führt den Begriff des Paradigmas in die Wissenschaftsphilosophie ein. Pa-radigmen sind die der Wissenschaft zu Grunde liegenden Leitmotive, deren Akzeptanz inder wissenschaftlichen Gemeinschaft bis zu einem gewissen Grad eine Glaubensange-legenheit darstellt.

Paradigmen sind Anschauungen darüber was innerhalb einer Wissenschaft relevant odernicht relevant ist. Paradigmen sind nicht einfach unterschiedliche Theorien, sondern eshandelt sich bei ihnen um rivalisierende Auffassungen von der Welt, um die auch mitun-ter wenig wissenschaftlich gestritten wird. In der Physik waren z. B. die jeweils gültigenVorstellungen von dem Aufbau des Kosmos, (geozentrisches Weltbild, heliozentrischesWeltbild) Paradigmen.

Auch die Newtonsche Mechanik mit ihrer absoluten Vorstellung von Raum und Zeit bildeteein Paradigma, das durch Einsteins Relativitätstheorie abgelöst wurde.

Es ist nach Kuhn ein Wesenszug von Paradigmen, dass sie inkommensurabel sind. Pa-radigmen ergänzen sich nicht, und sie besitzen, mathematisch ausgedrückt, keinen ge-meinsamen Maßstab (kommensurabel: auf einer gemeinsam Skala messbar). Man kannsich nur für das eine oder das andere Paradigma entscheiden, es gibt keine dritte Theo-

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rie, in der beide widerspruchsfrei aufgehen, bzgl. der sie sich also gemeinsam erklären(messen) ließen.

Paradigmenwechsel entsprechen nach Kuhn den wissenschaftlichen Revolutionen. DieNormalwissenschaft beschäftigt sich mit dem “Rätsellösen” innerhalb des paradigmatischvorgegeben Rahmens.

Während es bei Popper eine Wahrheit gibt, der sich die Wissenschaft annähert, sindes bei Kuhn mehrere, die je nach verwendeten Paradigma unterschiedlich aussehen. ImGegensatz zu Popper vertritt Kuhn die Auffassung, dass es dem Wissenschaftler nichtum die Möglichkeit der Falsifikation der Paradigmen geht. Falsifikation ist sehr wohl einfunktionierendes Prinzip in der Normalwissenschft, die Infragestellung von Paradigmenist dagegen ein revolutionärer und kein Routineprozess.

Insbesondere hat Kuhns Auffassung über die Inkommensurabilität von Paradigmen Be-deutung in den Gesellschaftswissenschaften erlangt, in der Glaubens- und Modefragenviel stärker die wissenschaftliche Forschung beeinflusst als in den Naturwissenschaf-ten.

Epilog

So vehement auch die unterschiedlichen modernen Erkenntnistheorien miteinander strei-ten, so stellt sich bei genauerem Hinsehen oft fest, dass die Unterschiede zwischen ihnenso groß dann doch nicht sind. In der aktuellen Diskussion zur Wissenschaftsphilosophielässt sich ein Trend zur Synthese der unterschiedlichen Positionen erkennen, sowie zu derAuffassung, dass für unterschiedliche Disziplinen auch unterschiedliche Wissenschafts-theorien als angemessen und akzeptabel erachtet werden müssen.

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Kapitel 2

Wissenschaftstheoretische Grundlagen

2.1 Die Sprache der Wissenschaft

“Wissen” bezeichnet im heutigen Sprachgebrauch eine Anhäufung von Kenntnissenüber die Welt. Hierbei wird Wissen meist durch Sprache ausgedrückt, auch wenn Wissennatürlich ohne das Vorhandensein von Sprache existieren kann. (Man denke hierbei z.B.an gewisse Handwerkstechniken, die durch bildliche Darstellung oder praktische Demon-stration dargestellt werden können.) Mit welcher Art von Wissen sich eine Wissenschaftbeschäftigt, ob es eine Erfahrungswissenschaft ist, ob eine Gesellschaftswissenschaftoder Naturwissenschaft oder eine formale Wissenschaft soll für den grundsätzlichen Auf-bau zunächst keine Rolle spielen.

Wir beginnen mit der Beschreibung der Elemente einer wissenschaftlichen Sprache.

2.1.1 Aussagen

Eine Kenntnis über eine Sachverhalt wird dann durch eine entsprechende wahre (gülti-ge) Aussage formuliert.

Auch die Verfahren der Ingenieurwissenschaften und die Algorithmen der Informatik sindKenntnisse und lassen sich über Aussagen in einer Sprache beschreiben. Die zugehörigeAussage lautet z.B.: “Die Durchführung der Schritte ’abc’ führt zu dem Ergebnis ’z’ ” EinVerfahren oder ein Algorithmus entspricht damit immer einer Aussage zur Korrektheitdesselben.

Die zunächst ungeordnete Menge von Kenntnissen nennen wir auch Faktenwissen. Voneiner Wissenschaft sprechen wir dann, wenn es sich um eine systematisch geordne-te, strukturierte und allgemein verfügbare Zusammenstellung von Wissen handelt. DieArt dieser Struktur und die zu Grunde liegende Systematik soll im Folgenden genauer

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beschrieben werden.

Unter einer Aussage verstehen wir im Folgenden (etwas ungenau) ein Sprachkonstrukt,das mit einer Bedeutung versehen ist, die man als wahr oder falsch kennzeichnen kann.Wir lassen keine vagen Formulierungen zu, die unbestimmte Attribute wie vielleicht, wahr-scheinlich, oft oder subjektive Attribute wie schön, angenehm, langweilig enthalten.

Spekulative Formulierungen wie Falls die Erde eine Scheibe ist,... oder Wir nehmen an,dass Energie weder aus dem Nichts geschaffen werden kann noch verloren geht. lassenwir hingegen als Aussagen zu, sofern die Wahrheit zumindest prinzipiell beurteilt werdenkann. Wir nennen sie Vermutungen.

2.1.2 Definitionen

Eine wissenschaftliche Sprache zeichnet sich aus durch eine exakte Bestimmung derBegriffe, mit denen man arbeitet. Die exakte Bedeutungszuweisung für Begriffe geschiehtüber Definitionen. Für Definitionen gilt die Regel, dass der zu definierende Begriff für dieDefinition selbst nicht verwendet werden darf. Eine solche “falsche” Definition nennt manzirkulär. Auch ist es wichtig, dass eine Definition allen Aussagen, die mit dem definiertenBegriff zusammenhängen, vorausgehen muss.

Definitionen sollten zweckmäßig sein. Die Definition für einen Begriff, der später nichtwieder verwendet wird, ist überflüssig. Was häufig nicht beachtet wird: Die Bedeutungeines Begriffes ist durch die Definition festgelegt und nicht durch das, was man ursprüng-lich mit dem Begriff assoziiert hat. Wird z.B. ein “Kreis” in der Graphentheorie definiertals ein überschneidungsfreier, einfacher Weg, dessen Anfangspunkt mit dem Endpunktübereinstimmt, so muss dieser Kreis nicht “rund” sein. Wenn “Rabatt” definiert ist alsPreisnachlass, dann bedeutet die kostenlose Abgabe eines Produkts eben auch einenRabatt, auch wenn man umgangssprachlich damit etwas anderes gemeint hat.

Man muss mit dieser Konsequenz leben oder die Definition abändern.

Es versteht sich von selbst, dass man den Wahrheitsgehalt einer Aussage erst beurteilenkann, wenn man ihren Sinn erfasst hat. So selbstverständlich dies klingt, so häufig wirddiese Regel in der Realität verletzt. Es ist dies aber eine Grundvoraussetzung für wissen-schaftliches Arbeiten, “dass man weiß, was man meint, wenn man etwas sagt.” Hierzumuss man u.a. die Definitionen der Begriffe , die man benutzt, genau kennen und exakteinhalten.

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Semantik 29

2.1.3 Semantik

Wenn man z.B. in der Medizin die Behauptung aufstellt, dass ein Medikament wirksa-mer sei als ein anderes, dann muss vorher der Begriff “Wirksamkeit” genau definiert sein.Entsprechend verhält es sich, wenn über den erforderlichen “Aufwand” zur Realisierungeines bestimmten Projektes gesprochen wird. Wie ist dann “Aufwand” definiert? Auchdas Projekt an sich muss genau abgegrenzt sein. Spricht man von einer “50-prozentigenRegenwahrscheinlichkeit”, so kann man damit nichts anfangen, wenn der Begriff der Re-genwahrscheinlichkeit nicht präzise definiert ist. Die angegebene Prozentzahl muss eineklar erfassbare Bedeutung besitzen.

Aber auch, wenn die Bedeutung der Aussage zweifelsfrei erkennbar ist, kann es bei ober-flächlichem Umgang mit Aussagen zu falschen Interpretationen kommen. Ein typischesBeispiel aus der Statistik ist das berühmte Simpson-Paradoxon.

Wir geben folgendes (fiktives) Beispiel:

“Bei einem Test lösten 40 % der bayerischen Schüler eine schwierige Matheaufgabe. Diegleiche Aufgabe konnten nur 35% der hessischen Schüler lösen. Bei einem Vergleichstestkurze Zeit später, waren sogar 60% der bayerischen aber nur 58,5% der hessischenSchüler erfolgreich.”

Eine vorschnelle Interpretation ließe den Schluss zu, dass die Baxerische Schüler bessersind. Sehen wir uns aber die absoluen Zahlen an.

Erster Test:Teilnehmerzahl erfolgreichBayern 600 davon 40%: 240Hessen 400 davon 35%: 140

Zweiter Test:Teilnehmerzahl erfolgreichBayern 400 davon 60%: 240Hessen 600 davon 58,5%: 351

Insgesamt:Teilnehmerzahl erfolgreichBayern 1000 480Hessen 1000 491

Wir überlassen die Analyse dem/r Leser/in.

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2.2 Wahrheit und das Prinzip der mathematisch-logischen Deduktion

Eine Aussage ist dann wahr oder gültig, wenn ihr Inhalt mit der Realität übereinstimmt.Dies lässt sich in den einfachsten Fällen durch eine Nachprüfung, ein Experiment fest-stellen. Für Experimente gilt, dass sie intersubjektiv nachvollziehbar und, wenn sie sichnicht auf ein Einzelereignis beziehen, jederzeit wiederholbar sein müssen.

In der Mathematik gibt es in dem eigentlichen Sinne keine Realität. Die mathematischenStrukturen existieren in einer fiktiven idealen gedanklichen Welt, in der einzig die Gesetzeder Logik gelten. Die Strukturen der Mathematik sind vielfach real vorhandenen Struktu-ren nachgebildet und der Erfolg der Mathematik besteht gerade darin, dass sich aus demVerhalten der idealen Strukturen Aussagen über ihre realen Gegenstücke treffen lassen.Dabei enthält die Welt der Mathematik auch Gebilde wie “unendliche Mengen”, die es inder Realität in dieser Weise nicht gibt, und es gibt sogar eine raffinierte Hierarchie inner-halb unendlicher Mengen. In dieser idealisierten Welt gilt ein Objekt dann als existent,wenn die Annahme seiner Existenz nicht zu logischen Widersprüchen führt.

Die mathematishe “Realität” besteht dann aus allen in dieser Weise existenten Objek-ten.

Die Einbeziehung dieser idealen und “irrealen” Objekte liefert erstaunlicherweise für die“reale” Welt eine Vielzahl wichtiger Erkenntnisse.

Wie eng die reale Welt und die imaginäre Welt der formalen Wissenschaft Mathematikmit einander zusammenhängen wird deutlich, wenn wir bedenken, dass wir auch in derrealen Welt die Regeln der Logik akzeptieren. Wir betrachten nämlich Aussagen auchdann als wahr, wenn sie sich aus anderen, bereits als wahr erwiesenen Aussagen formallogisch ableiten lassen. Dies mag manchem ganz selbstverständlich vorkommen, jedochverbirgt sich hier eines der faszinierendsten und rätselhaftesten Phänomene der mensch-lichen Erkenntnisgeschichte, das unter anderem auch zu der Sonderrolle von Logik undMathematik innerhalb der Wissenschaften geführt hat.

Die Korrektheit der logischen Deduktion ist jedoch lediglich eine Erfahrungstatsache.

Trotzdem basieren hierauf Indizienprozesse vor Gericht genauso wie planerisches Han-deln in der Politik. Wenn beispielsweise in einer Schublade gestern noch drei Bonbonslagen und nur meine beiden Kinder zu dieser Schublade Zugang hatten und die Schub-lade heute leer ist, dann schließe ich, dass eins meiner beiden Kinder mindestens zweiBonbons bekommen hat, auch wenn dies beide abstreiten.

Einstein formulierte es folgendermaßen: “...An dieser Stelle nun taucht ein Rätsel auf, dasForscher aller Zeiten so viel beunruhigt hat. Wie ist es möglich, dass die Mathematik, die

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Formal logisches Schließen 31

doch ein von aller Erfahrung unabhängiges Produkt des menschlichen Denkens ist, aufdie Gegenstände der Wirklichkeit so vortrefflich passt?” [7], S.119-124.

2.2.1 Formal logisches Schließen

Das logische Schließen besteht aus einem automatisch durchführbarem Kalkül (logi-scher Kalkül). Die Formalisierung dieses Kalküls wird als Prädikatenkalkül der formalenLogik bezeichnet und folgt den uns vertrauten intuitiven Gesetzen der Alltagslogik. Dieweitläufig verbreitete Meinung, dass die mathematische Logik weltfremd sei und mit derLogik des Alltags nichts zu tun hat, muss als ein nur schwer auszurottendes Vorurteilangesehen werden.

Wir wollen nur kurz die Elemente des Prädikatenkalküls beschreiben.

Formale Sprache

Es wird eine formale Sprache zu Grunde gelegt, die aus Sprachelementen besteht, dieden Objekten, Eigenschaften von Objekten (Prädikaten und Beziehungen zwischen Ob-jekten (Relationen) entsprechen. Außerdem gibt es logische Zeichen für “oder”, “ nicht”und “für alle”. Alle weiteren logisch üblichen Konstrukte, wie “und, wenn-dann, es gibt”werden auf diese zurückgeführt. Beispielsweise ist die Aussage “es gibt ein X mit der Ei-genschaft R(X)” logisch äquivalent zu “nicht für alle X gilt, dass für sie nicht R(X) gilt”.

Der formal-logische Kalkül besteht nun in Regeln über das Verhalten der Wahrheitswerteunter dem Einfluß logischer Operationen. Zum Beispiel gilt die Aussage “A oder B” alswahr, wenn A wahr ist oder wenn B wahr ist. Die Aussage “nicht A” gilt als wahr, wenn Afalsch ist.

Hier sieht man nun, dass drei wesentlich verschiedene Typen von Aussagen auftreten:

• Aussagen, die allein aufgrund der logischen Regeln immer wahr sind (Tautologien);Bsp.: A oder nicht A

• Aussagen, die allein aufgrund der logischen Regeln immer falsch sind (Antinomien);Bsp.: A und nicht A

• Aussagen, deren Wahrheitswert von dem Wahrheitswert ihrer Bestandteile abhän-gen

Antinomien gilt es zu vermeiden, Tautologien sind Selbstverständlichkeiten, die man je-derzeit benutzen darf. Wichtige Tautologien sind:

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• Wenn “A und B” , dann (insbesondere) “A”,

• Wenn “A”, so (erst recht) “A oder B”,

• Wenn “B” aus “A” folgt, dann muss aus “nicht B” auch “nicht A” folgen (Kontrapositi-on).

Logische Deduktion

Die logische Deduktion einer Aussage aus einer Menge Σ anderer Aussagen bestehtnun im Wesentlichen nur aus dem folgenden, Modus Ponens genannten Verfahren:

Angenommen die Aussage A ist wahr. Außerdem sei die Aussage “Aus A folgt B” wahr.Dann gilt die Wahrheit von “B” als logisch deduziert,logisch abgeleitet, oder auch for-mal bewiesen. Die Bedeutung der Tautologien ergibt sich daraus, dass sie jederzeit dieRolle der Aussage A im Modus Ponens einnehmen dürfen. Übrigens basiert der ModusPonens selbst auf einer Tautologie, nämlich “Wenn A und wenn B aus A folgt, dann folgtB.”

Wir sprechen davon, dass ein Widerspruch auftritt, wenn sowohl “A” als auch “nichtA” logisch abgeleitet werden kann. Genauer definieren wir, eine Aussagenmenge Σ alswiderspruchsvoll, wenn aus ihr eine Aussage “A” wie auch ihre Negation “nicht A” ab-geleitet werden kann. Im anderen Fall heißt Σ widerspruchsfrei. Es versteht sich vonselbst, dass eine Wissenschaft aus einer widerspruchsfreien Aussagenmenge bestehensollte.

Widersprüche sind nämlich deshalb so ärgerlich, weil man aus einer widerspruchsvolenMenge alles, also jede Aussage und gleichzeitig auch ihre Verneinung logisch ableitenkann.

Eine Aussage, die bereits in sich widerspruchsvoll ist (z.B. A und nicht A) heißt Antino-mie.

2.3 Strukturiertes Wissen

Wissen wird zu strukturiertem Wissen durch das Erkennen von Regeln und Gesetzmä-ßigkeiten innerhalb des Faktenwissens.

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Axiome und deduktive Hülle 33

2.3.1 Axiome und deduktive Hülle

Der strukturierte Wissensbestand besteht aus einem Kern von unbewiesenen Grund-annahmen und der deduktiven Hülle der hieraus logisch ableitbaren Aussagen. Manbeachte hierbei, dass, wie bereits oben erläutert, auch neu entwickelte Verfahren in derTechnik oder Algorithmen als Aussagen zu interpretieren sind.

Im letzten Kapitel zur Geschichte der Wissenschaftstheorie wurde auf den Unterschiedzwischen den Axiomen der Physik und den Hypothesen der kritischen Rationalisten umPopper aufmerksam gemacht. Philosophisch gesehen handelt es sich um die Frage nachWahrheit im ontologischen Sinn.

Die unbewiesenen Grundannahmen nennen wir im Folgenden ebenfalls Axiome oderHypothesen, wobei die Unterscheidung fließend ist. Axiome beziehen sich meist auf ent-deckte Gesetzmäßigkeiten, die sich auf keine anderen Gesetze zurückführen lassen undbereits bewährt sind, während Hypothesen eher der Charakter einer auf dem Prüfstandstehenden Grundannahme anhaftet.

Die Axiome und Hypothesen bestimmen das Wesen einer Wissenschaft. Unterschiedli-che erkenntnistheoretische Ansätze (z.B. logischer Empirismus oder kritischer Rationa-lismus) weisen den Grundannahmen unterschiedliche Signifikanz im Hinblick auf ihrenontologischen Charakter zu. Entsprechen sie der Realität oder nähern wir uns der Wirk-lichkeit mit ihnen nur an. Besteht der Erkenntnisprozess aus einem evolutionären Anpas-sungsprozess der Axiome. Oder sind sie einfach nur Projektionen unseres Geistes, derdamit die ungeordneten Sinneseindrücke praktischer verarbeiten kann?

Wie im letzten Kapitel beschrieben, sollen die Grundannahmen nach Auffassung der krit-schen Rationalismus dem Kriterium der Falsifizierbarkeit genügen. Gerade in der Entste-hungsphase neuer Theorien kann das Falisfizierbarkeitskriterium für den erkentnistheore-tischen Prozess zunächst jedoch auch hinderlich sein. Einige bedeutende physikalischenTheorien, wie z.B. die viele Welten Theorie oder Einsteins allgemeine Realtivitätstheo-rie tragen oder trugen diesen Makel, obwohl sie unbestritten für die Physik unverzichtbarwichtige Theorien darstellen.

Die deduktive Hülle der Axiome und Hypothesen bezieht sich auf die logisch daraus ab-leitbaren Aussagen. Per definitionem können in der deduktiven Hülle keine Widersprücheauftreten, wenn der Kern widerspruchsfrei ist. Man beachte, dass die deduktive Hülle al-le ableitbaren Aussagen betrifft. Nur ein kleiner Teil von denen ist in der Regeln bereitsgefunden. Aussagen abzuleiten ist ein wichtiger Teil wissenschaftlicher Forschungsar-beit.

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2.3.2 Theorien

Die deduktive Hülle einer Teilmenge von Axiomen oder Hypothesen nennt man danneine Theorie. In der Umgangssprache versteht man oft unter einer Theorie nur die Hy-pothesen, die dieser Theorie zu Grunde liegen. Es kann vorkommen, dass sich Theori-en “scheinbar” widersprechen. Wir reden hier von “scheinbar”, weil wir im Bereich desstrukturierten Wissens Widersprüche grundätzlich ausschließen wollen. Damit aber eineAussage φ und ihre Verneinung “nicht” φ nicht gleichzeitg gelten, lässt man in einer Wis-senschaft mehrere Welten zu. In der einen Welt gelten dann, die Axiome der Theorie T1und in der anderen diejenigen der Theorie T2. In der Physik gibt es beispielsweise dasbekannte Phänomen, dass sich Elektronen je nach Situation einmal wie Teilchen und einanderes Mal wie Wellen verhalten. Man mag es als Manko empfinden, aber zur Zeit gibtes keine bessere Möglichkeit als im einen Fall T1 und im anderen Fall T2 anzuwenden.Auch in der Ökonomie gibt es für unterschiedliche Situationen unterschiedliche Theorien.Hiermit ist nicht gemeint, dass gewisse Theorien im Wettstreit miteinander stehen undkein Konsens darüber besteht, welche Theorien als adäquat gelten sollen.

2.4 Wissenschaftliches Arbeiten

Überlicherweise unterteilt man die Wissenschaften je nach dem Gegenstand ihrer Unter-suchung in unterschiedliche Typen. Man unterscheidet zwischen Realwissenschaften -und formalen Wissenschaften, und auf der Seite der Realwissenschaften wiederum inErfahrungs- und Geisteswissenschaften. Zu den Erfahrungswissenschaften zählen dabeidie Natur- und die Sozialwissenschaften. Hierbei fallen Logik und Mathematik unter dieformalen Wissenschaften.

Ein deutlicher Unterschied zwischen formaler Wissenschaft und Realwissenschaft zeigtsich in der Art ihrer Grundannahmen: Während in den formalen Wissenschaften Axiomein jedem Fall als gültig postuliert werden (man spricht hier auch bewusst nicht von Hypo-thesen), müssen sie sich in einer Realwissenschaft bewähren und es ist denkbar, dasssie auch widerlegt werden können. In der formalen Wissenschaft reicht es aus, wenn dasSystem der Axiome logisch widerspruchsfrei ist.

In den Realwissenschaften muss die logische Widerspruchsfreiheit natürlich ebenfallsgelten, sie müssen zudem aber mit der Realität in Einklang stehen.

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Formalisten 35

2.4.1 Formalisten

Der formale Standpunkt in den Wissenschaften und insbesondere der Mathematik wurdedurch David Hilbert (1862-1943) und die Formalisten systematisch weiterentwickelt. Siewaren der Überzeugung, dass die Axiome einer jeden mathematischen Theorie eineüber-schaubare kleine Menge (effektiv berechenbar) sein müsste. Ihre Hoffnung war es, dassalles, was in der mathematischen Realität gilt, sich logisch aus einer solch kleinen Mengevon Grundannahmen logisch ableiten, also beweisen lässt.

Die Begriffsbildung der effektiven Berechenbarkeit oder Turingberechenbarkeit ist tat-sächlich erst später entwickelt worden, nämlich gerade als Folge einer möglichst kon-kreten und realistischen Präzisierung des Begriffs “überschaubar klein”.

Ein bis heute noch weitverbreitetes Missverständnis besteht in der Auffasung, dass dieformalen Wissenschaften laut ihrem eigenen Anspruch von nichts anderem als formalenZeichenreihen handeln. Richtig ist lediglich, dass die Formalisten den Prozess der logi-schen Deduktion, wie oben beschrieben, als einen von der Semantik losgelösten formalenKalkül analysiert haben. Die Gültigkeit des Modus Ponens als zentrale Schlussregel isteben unabhängig davon, ob wirüber Geraden oder Bierseidel sprechen. Genauso kommtes meist nicht auf einen Begriff oder eine Relation an sich sondern auf die Eigenschaftendieses Begriffes oder Relation an. Und nur unter diesem Aspekt betrachteten die Forma-listen Aussagen als formale Zeichenreihen. In der modernen Logik behandelt man in derModelltheorie die Beziehung zwischen konkreter Struktur und formalen Sprachen.

Tatsächlich war es für die Formalisten ein Schlag, als der junge Mathematiker Kurt Gödel(1906-1978) im Jahr 1931 in [11] beweisen konnte, dass die meisten formalen Theorienkein effektiv berechenbares Axiomensystem besitzen können. Insbesondere gilt dies fürdie Zahlentheorie und die Mathematik als Ganzes. Noch nicht einmal die Widerspruchs-freiheit eines gegeben Axiomensystems lässt sich mit den Mittel des Systems beweisen.Zu jedem berechenbaren System von Axiomen gibt es dann also immer eine in der ma-thematischen Realtät gültige Aussage, die sich nicht beweisen lässt. Kurz gefasst: “Nichtalles, was gilt, lässt sich auch beaeisen”.

Dadurch war zwar nun klar, dass der Raum der Axiome und damit der eher unsichere,weil prinzipiell nicht beweisbare Bereich einer Wissenschaft größer war, als man sichwünschen konnte, die logisch deduktive Methode zum Beweis von Aussagen wurde aberhierdurch nicht in Zweifel gezogen.

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2.4.2 Die Beziehung zwischen Realwissenschaften und Mathematik

Die Mathematiker heute wie damals, versehen die formalen Zeichenreihen sehr wohlmit semantischen Interpretationen aber in vielen Fällen eben nicht nur mit einer mögli-chen.

Dies eröffnet für die Realwissenschaften gerade die wichtige Methode der Modellierung.Hierbei handelt es sich um die Übertragung von Begriffen und Relationen der Realwis-senschaften in formale Begriffe und Relationen der Mathematik, die dann formal analy-siert werden. Die auf diese Weise gewonnenen formalen Aussagen werden zurück in dieRealwissenschaftübersetzt. Der größte Teil der theoretischen Physik und anderer Natur-wissenschaften bestehen in diesem Sinne aus reiner Mathematik. Auch in der Ökonomiewerden zum Finden optimaler Lösungen mathematische Modelle benutzt (Operations Re-search). Die analytischen Methoden der Mikroökonomie und basieren ebenfalls auf ma-thematischen Modellen.

Die mathematisch orientierten Methoden der Realwissenschaften nennt man auch quan-titative Methoden im Unterschied zu den qualitativen Methoden, die in den Gesell-schaftswissenschaften eine größere Bedeutung besitzen.

Vertreter einer szientistischen Grundauffassung sehen wesentlichen Erkenntnisfortschritthauptsächlich durch Anwendung quantitativer Methoden. Um es noch einmal zu betonen:Dass die Methode der mathematischen Modellierung in den Naturwissenschaten so gut“funktioniert”, ist nach Einstein (vergl. oben) eines der größten Rätselüberhaupt.

Es gibt allerdings einen ganz wesentlichen Unterschied zwischen Real- und Formalwis-senschaft besteht, und zwar in der Bedeutung der Existenz eines Objekts.

2.4.3 Wissenschaftsbetrieb

Im Umfeld um den strukturierten Wissensbestand vollzieht sich der eigentliche Wissen-schaftsbetrieb. Dieser besteht aus mehreren unterschiedlichen Prozessen.

• systematische Erzeugung, Zusammenstellung, Aufarbeitung und Gliederung vonFaktenwissen

• Aufstellen von Hypothesen

• Ableitung von Aussagen aus den Axiomen, Beweise

• Dokumentation und Weitergabe des strukturierten Wissens,

• Anwendung des strukturierten Wissens.

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Das Gewinnen von Erkenntnissen 37

Jeder dieser Prozesse besitzt seine eigenen Methoden. Z.B. liefert die Didaktik Metho-den zur Weitergabe und Präsentation von Wissen, Wissensmanagement und Exper-tensysteme bilden eine Schnittstelle zur Anwendung, Beweistheorie und Modelltheo-rie beschäftigen sich mit der Ableitung von Aussagen aus den Axiomen. Diese Metho-den sind meist selbst wieder Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen. StatistischeMethoden werden zum Teil für die Erhebung von Daten, also die Produktion von Fakten-wissen, als auch für die Formulierung von Hypothesenn benutzt.

2.5 Das Gewinnen von Erkenntnissen

Das Gebäude aus Axiomen, Hypothesen und deduktiver Hülle muss durch den Wissen-schaftsbetrieb errichtet werden. Einerseits gilt es, Axiome und Hypothesen zu finden,vorhandene zuüberprüfen und eventuell durch neue zu ersetzen. Dies leistet die Grund-lagenforschung. Außerdem sind die unüberschaubar vielen Aussagen aus der deduk-tiven Hülle dadurch nur im Prinzip gegeben. Konkret kennt man aber in der Regel nureinen winzig kleinen Ausschnitt.

Man unterscheidet, vergl. z. B. [26] zwischen einem Entdeckungs- und einem Begrün-dungszusammenhang.

Die Auswahl von Hypothesen und Axiomen geschieht durch die Auswertung des Fakten-wissens (Entdeckungszusammenhang). Das Faktenwissen entspricht den Informationenaus Experimenten und anderen Erfahrungen. Die Fakten beschreiben Phänomene. Derzentrale Antrieb des Wissenschaftlers besteht, wie bereits erwähnt, in dem Wunsch Ge-setzmäßigkeiten hinter den Phänomenen zu finden. Gesetzmäßigkeiten zu finden, be-deutet u.a. ein Phänomen als logische Ableitung aus den Grundannahmen zu erkennen(Begründungszusammenhang).

Die Aussage aus der Ökonomie, dass erhöhte Nachfrage zu höheren Preisen führt, lässtsich als Axiom (Hypothese) auffassen. Ebenso die Aussage, wonach höhere Preise zugeringerer Nachfrage führen, und dass geringere Nachfrage wiederum die Preise sinkenlässt. Aus diesen drei Hypothesen oder Axiomen würde dann rein logisch folgen, dassdie Preisentwicklung sinusförmig verläuft. Da dies in der Realität aber nur bedingt zutrifft,müssen die Hypothesen modifiziert oder ergänzt werden.

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2.5.1 Methoden zur Hypothesengewinnung

In einem weiteren Beispiel stellt ein Mediziner fest, dass nach der Einnahme eines be-stimmten Medikamentes bei mehreren Patienten Müdigkeit aufgetreten ist. Dies ist dieFaktenlage. Der Mediziner formuliert die Aussage: “Als eine Nebenwirkung des Medika-ments tritt Müdigkeit auf”.

Sollte es möglich sein, die Nebenwirkung deduktiv aus anderen Sachverhalten abzuleitenund dadurch zu erklären, so ist diese Aussage ein Satz der Medizin, gelingt dies nicht, istes eine Hypothese und es bleibt abzuwarten, ob diese Hypothese Bestand hat.

Die Methode des Mediziners aus dem Auftreten eines Phänomens in vielen Fällen aufeine Hypothese für alle Fälle zu schließen, nennt man Induktion. Durch Induktion kannman die Gültigkeit der Hypothese im mathematisch-logischen Sinne nicht beweisen. In-duktion dient nur als Methode, eine geeignete Hypothese aufzustellen, bzw. zu stüt-zen.

Eine Systematisierung der Induktion bsteht in der statistischen Methode. Die statisti-sche Methode kann von ihrem Wesen her niemals als exakte Beweismethode sondernnur als Methode zum Aufstellen oder Prüfen von Hypothesen gesehen werden.

Die theoretische Unmöglichkeit für formale Beweise in vielen Bereichen der Realwissen-schaften führte zu den im letzten Kapitel beschriebenen methodischen Ansätzen des kri-tischen Rationalismus. Vertreter der empirischen Wissenschaften sprechen häufig danndoch von einem “Beweis”, wenn Sie eine statistische Korrelation feststellen konnten. Hierwird der Begriff “Beweis” im Sinne einer “statistischen Evidenz” benutzt.

Sanders Peirce (1839-1914) führte den Begriff der Abduktion ein, wenn nach der bestenbzw. einfachsten, nicht unbedingt sofort nächstliegenden Erklärung für ein Phänomengesucht wird. Im Prinzip handelt es sich hierbei weniger um eine Methode der Gewinnungvon Hypothesen sondern ein Kriterium für die Auswahl. Beispielsweise handelt es sich umAbduktion, wenn die Hypothese von Galilei, dass die Erde sich um die Sonne dreht, deranderen Möglichkeit vorgezogen wird. Es ist das einfachere Modell.

Weitere wichtige Methoden sind die Hermeneutik und die Heuristik.

Die Hermeneutik sucht nach einem tieferen Sinnzusammenhang, aus dem heraus einPhänomen sich als Spezialfall eines komplexen Wirkungszusammenhangs ergibt. DieHermeneutik versucht eine Aussage nicht nur logisch deduktiv sondern auch spekulativzu interpretieren. Es geht dann oft darum, die geeignete Auslegung oder Deutung vorzu-nehmen.

Die Heuristik sucht Analogien zu anderen Phänomenen und benutzt Vereinfachungen,

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Methodenstreit 39

um das Wesentliche eines Problems deutlicher sehen zu lassen. Man versucht sich ei-nem Problem auch dadurch zu nähern, dass man zunächst gewisse Plausibilitätsbetrach-tungen durchführt, die sich später möglicherweise als nicht zutreffend erweisen können.Das “trial-and-error-Verfahren” ist eine bekannte heuristische Methode. Das Eingrenzender richtigen Lösung durch Ausschluss von unwahrscheinlichen Lösungen gehört eben-falls in den Bereich des heuristischen Vorgehens. Hierzu gehört auch die Bewertung un-terschiedlicher Lösungsstrategien auf Grund vorläufiger oder unvollständiger Informatio-nen.

Die heuristische Methode in der Mathematik wird von Imre Lakatos (1922-1974) in sei-nem Buch “Beweise und Widerlegungen” [16] durch Anwendung auf das Beispiel desEulerschen Polyedersatzes eindrucksvoll und suggestiv beschrieben. Lakatos verwendetdie heuristische Methode im Sinne eines evolutionären Prozesses, bei dem Hypothesenbei Falsifikation modifiziert werden.

2.5.2 Methodenstreit

Anders als bei der logischen Ableitung, die sich nach strengen, allgemein anerkanntenVerfahren vollzieht, gibt es für die Methoden zur Hypothesengewinnung keine Vorschrif-ten. Hier rechtfertigt der Erfolg die Methode. Der Wissenschaftstheoretiker Paul Feyer-abend (1924-94) gilt als offensivster Vertreter des letzten Jahrhunderts im Kampf gegeneinen Methodenzwang, [8] “Die Idee einer Methode, die feste, unveränderliche und abso-lut verbindliche Grundsätze für das Betreiben von Wissenschaft enthält, stößt auf erheb-liche Schwierigkeiten, wenn ihr die Ergebnisse der historischen Forschung gegenüber-gestellt werden. Dann zeigt sich nämlich, dass es keine einzige Regel gibt,[...]die nichtzu irgendeiner Zeit verletzt worden wäre. [...] Einer der auffälligsten Züge der neuerenDiskussion[...] ist ja die Erkenntnis, dass Ereignisse und Entwicklungen [...] nur deshalbstattfanden, weil einige Denker sich entweder entschlossen, nicht an gewisse “selbst-verständliche” methodologische Regeln gebunden zu sein, oder weil sie solche Regelnunbewusst verletzen.”

Viele der bedeutenden wissenschaftlichen Resultate sind bekannterweise ohne die An-wendung einer bestimmten Methode entstanden. Newton, Einstein, Gauß u.a. sprechenbei ihren Entdeckungen von plötzlichen Eingaben oder Geistesblitzen.

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2.6 Wissenschaftskritik

2.6.1 Wissenschaft und Gesellschaft

Jedoch geht Feyerabend in seiner Kritik sehr viel weiter und stellt den Wert von Wis-senschaft als Ganzes in Frage. “Eine kritische Untersuchung der Wissenschaft muß zweiFragen beantworten:

• Was ist die Wissenschaft- wie geht sie vor, was sind ihre Ergebnisse?

• Was ist Wissenschaft wert? Ist sie besser als die Kosmologie der Hopi, die Wissen-schaft und Philosophie des Aritoteles, die Lehre von Tao? Oder ist sie ein Mythosunter vielen, entstanden unter besonderen historischen Bedingungen?” Aus[8]

Welches also ist der Wert, die die wissenschaftliche Form der Erkenntnis besitzt? Die Be-antwortung dieser Frage liegt aber außerhalb jeder Wissenschaft selbst und ist ein Frageder Philosophie und Gesellschaftskritik. Stehen unser Glück und die wissenschaftlicheErkenntnis in Korrelation zueinander? Diese Frage muss jeder für sich selbst beantwor-ten. Ist die durch logische Beweisführung gesicherte Erkenntnis wirklich mehr wert alseine in der Gefühlswelt verankerte Wahrnehmung der Welt?

Wissenschaft gilt als objektiv, objektiv gilt als “besser” als subjektiv. Dabei ist Wissen-schaft ja auch subjektiv. Feyerabend bescheibt wie der Glaubensaspekt der jeder Wis-senschaft innewohnenden Axiome verschleiert wird: “ Man sagt nicht: in der Welt gibt esLeute, die glauben, dass sich die Erde um die Sonne dreht,....Man sagt: die Erde bewegtsich um die Sonne.”

Ist die moderne wissenschaftliche Welt wirklich menschlicher als die metaphysisch ori-entierte Grundauffassung christlicher Lebensweise? Werden nicht auch im Namen derWissenschaft grausame Verbrechen ausgeführt?

Neben dem “Wissenschaftsanarchisten” Feyerabend gibt es die Vertreter der kritischenTheorie, die in den 60er Jahren des 20.ten Jahrhunderts aus der Sicht einer marxisti-schen Gesellschaftsanalyse scharfe Kritik an dem herrschenden Wissenschaftsbetriebüben.

Zwischen den Positivisten in der Nachfolge von Popper, insbesondere Albert und den An-hängern der kritischen Theorie um Adorno und Habermas entbrannte u.a. ein Streit umdas Selbstverständnis und die methodischen Grundlagen der Gesellschaftswissenschaf-ten.

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Wissenschaft kontra Ideolgie 41

Die Auseinanderstzung um die Formulierung neuer Hypothesen und die Frage nach denThemen, mit denen sich Wissenschaft beschäftigen soll, wurde und wird nicht nur in denGesellschaftswissenschaften sehr lebhaft geführt. Der Streit von Wissenschaftlern um die“richtigen” Axiome, Hypothesen oder Theorien wird nicht nur sachlich geführt. Kommt eszu einem wie auch immer verursachten umfassenden Wandell in den Grundannahmen,so handelt es sich dann um den bereits im vorigen Kapitel besprochenen Paradigmen-wechsel.

Paradigmenwechsel sind in den Gesellschaftswissenschaften häufig auch politisch moti-viert.

2.6.2 Wissenschaft kontra Ideolgie

Wissenschaftliche Kompetenz zu besitzen bedeutet nämlich immer auch die Möglichkeit,diese zu missbrauchen. Damit Wissenschaft Teil einer demokratischen Kultur sein kann,ist Transparenz im Wissenschaftsbetrieb unabdingbare Voraussetzung. Wissenschaftlermüssen jederzeit belegen, welcher Art ihre Interessen an einem bestimmten Forschungs-gegenstand sind und wer sie bezahlt.

Transparenz bedeutet auch Nachvollziehbarkeit und Nachprüfbarkeit des wissenschaftli-chen Denkens und Handelns durch dritte. Welche Standards hierzu gelten sollen, magumstritten sein. Dass es derartige Kriterien geben muss, ist unumstritten.

Z.B. muss klar auch zwischen Hypothese und bewiesener Behauptung unterschiedenwerden. Wenn man z.B. von den Gesetzen des Marktes spricht, dann muss man ebenauch wissen, dass diese Gesetze auf Annahmen beruhen, diese aber nicht bewiesenwerden können.

Genauso verhält es sich, wenn in der Medizin die Wirkamkeit einer Behandlungsmethodeals erwiesen gilt. In der Regel basiert eine solche Aussage aus einer statistischen Erhe-bung und liefert daher nur den Anspruch auf eine mehr oder weniger plausible Annahme.Ob es sich um wirkliche oder nur um Scheinkorrelationen handelt, lässt sich nicht immereindeutig sagen.

Das bedeutet nicht, dass derartige Hypothesen nicht Grundlage für Entscheidungen seindürfen. Im Gegenteil: Grundlage jeden Wissens sind unbewiesene Annahmen, bis insLetzte gesichertes strukturiertes Wissen, das Prognosen für die Zukunft möglich macht,wird es in de Realwissenschaften nie geben.

Die Aufgabe der Wissenschaft muss es sein, auf die Risiken des Handelns aufmerksamzu machen und diese so gering wie möglich zu halten.

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Ein Physiker arbeitet nur dann seriös, wenn er seine Ergebnisse unter den Vorbehaltder Konstanz der Lichtgeschwindigkeit stellt. In der Praxis erweist sich meist, welcheAnnahmen tauglich sind. Der Energieerhaltungssatz hat sich bisher als sehr vernünftigeAnnahme herausgestellt.

Neben der Transparenz zeichnet den Wissenschaftler eine fortwährende Skepsis gegen-über den Grundannahmen aus. Einen Beweis muss man nicht anzweifeln, es sei denn,man hat ihn nicht verstanden, aber die nicht bewiesenen Hypothesen müssen immer wie-der der Möglichkeit einer Falsifikation Stand halten.

Dies unterscheidet den Wissenschaftler vom Ideologen: Der Wissenschaftler ist um mög-lichst große Sicherheit in seinen Aussagen bemüht, und ist daher mit Festlegungen ehervorsichtig. Die Aussage, “es sei aber wissenschaftlich erwiesen” hört man häufiger vonIdeologen als von Wissenschaftlern. Der Ideologe räumt den Zweifel aus, der Wissen-schaftler kultiviert ihn.

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Literaturverzeichnis

[1] Aristoteles: De anima (Über die Seele), III 4, 429b29-430a2

[2] W. Capelle: Die Vorsokratiker, Stuttgart 1968

[3] R. Carnap: Grundlagen der Logik und Mathematik; Darmstadt 1973; Original-ausgabe: Foundations of Logic and Mathematics, Cicago 1939

[4] R. Carnap: Einführung in die Philosophie der Naturwissenschaften; Darmstadt1974

[5] R. Carnap: Die physikalische Sprache als Universalsprache der Wissenschaft,Zs. Erkenntnis, 2, Berlin 1931/32, 432-465

[6] J.-P. Changeux, A.Connes: Gedankenmaterie; Berlin Heidelberg 1992

[7] A. Einstein:Geometrie und Erfahrung; in: A. Einstein: Mein Weltbild; Frankfurt ,Berlin, Wien 1972

[8] P. Feyerabend: Wider den Methodenzwang; Frankfurt a. Main 1976

[9] D. Gillies: Philosophiocal Theories of Probability; Routledge, London (2000)

[10] K. Gödel: Über die Vollständigkeit der Axiome des logischen Funktionenkalküls,Dissertation (1929), in: Monatshefte für Mathematik und Physik 36 (1930), 349–360

[11] K. Gödel: Über formal unentscheidbare Sätze der Principia mathematica undverwandter Systeme I,Monatshefte für Mathematik und Physik 38 (1931), 173–198

[12] D. Hume: Ein Traktat über die menschliche Natur. (A Treatise of Human Nature.)Band 1, Übers. u. Hg. Theodor Lipps. Meiner, Hamburg 1989

[13] I. Kant: Kritik der reinen Vernunft; Ausgabe v.B. Erdmann, Leipzig 1787

[14] M. KornmeierWissenschaftstheorie und wissenschaftliches Arbeiten; Heidel-berg 2007

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Page 44: Eine kurze Einführung in Geschichte und formale Aspekte ... · Le-aue po Plaza Hannover infoleibniz-fh.de 1. Auflage, 2014 ISSN 2196-6494 Arbeitspapier Nr. 8 der Leibniz-Fachhochschule

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[15] T. S. Kuhn:Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen; Frankfurt aM: Suhr-kamp, 1996, 2., rev. und um das Postskriptum von 1969 erg. Aufl., 13. Aufl. Vol.2., 1967.

[16] I. Lakatos: Beweise und Widerlegungen, Berlin Heidelberg 1979

[17] I. Lakatos, A.Musgrave (Hrs.): Kritik und Erkenntnisfortschritt, Braunschweig1974

[18] G. W. Leibniz: Neue Abhandlungen über den menschlichen Verstand (Original-titel: Nouveaux Essais sur L’entendement humain), 1704

[19] G. W. Leibniz: Monadologie (Originaltitel: La Monadologie), 1714 (erschienen1720)

[20] J. Locke:Essay über den menschlichen Verstand, Hg. Udo Thiel, Akademie,Berlin 1997

[21] J. Locke: Versuch über den menschlichen Verstand, 1690

[22] H. Marcuse: Triebstruktur und Gesellschaft; Frankfurt a. M. 1971

[23] H. Meschkowski: Lust an der Erkenntnis: Moderne Mathematik; München Zü-rich 1991

[24] K. Popper: Logik der Forschung, Vol. 12, Hg. H. Keuth, Walter de Gruyter, 2013

[25] K. Popper:Objektive Erkenntnis; Hamburg 1973

[26] H. Reichenbach: Experience and Prediction; Chicago 1938

[27] B. Russell: Philosophie des Abendlandes; München Wien 2000 ; Originalaus-gabe: A History of Western Philosophy; London 1945

[28] Verein Ernst Mach(Hrsg.) Wissenschaftliche Weltauffassung: Der Wiener Kreis;Arthur Wolf Verlag Wien 1929

[29] B.Willms: Philosophie die uns angeht; Berlin München Wien 1975


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