+ All Categories
Home > Documents > „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten...

„Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten...

Date post: 18-Sep-2018
Category:
Upload: buitu
View: 214 times
Download: 0 times
Share this document with a friend
24
Abschlussarbeit Universitätslehrgang Palliative Care „Eine Brücke zum DU“ Herausforderndes Verhalten von Menschen mit Demenz verstehen und handeln Vorgelegt am: 14. Oktober 2015 Vorgelegt von: Hannelore SCHWAIGER Matrikelnummer: 1480307 Kontaktdaten: Amassegg 36 8616 Gasen +43 676 6620342 [email protected] Vorgelegt bei: Angelika Feichtner, MSc Modul: Fachspezifischer Vertiefungslehrgang Palliativpflege
Transcript
Page 1: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

Abschlussarbeit

Universitätslehrgang Palliative Care

„Eine Brücke zum DU“ Herausforderndes Verhalten von Menschen mit Demenz

verstehen und handeln

Vorgelegt am: 14. Oktober 2015

Vorgelegt von: Hannelore SCHWAIGER

Matrikelnummer: 1480307

Kontaktdaten: Amassegg 36

8616 Gasen

+43 676 6620342

[email protected]

Vorgelegt bei: Angelika Feichtner, MSc

Modul: Fachspezifischer Vertiefungslehrgang Palliativpflege

Page 2: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

Vorwort Den fachspezifischen Vertiefungslehrgang Palliativpflege besuche ich um den vielseitigen

Anforderungen und Herausforderungen in Bezug auf palliative Pflege gerecht zu werden, aber

auch um mein Wissen und meine beruflichen Kompetenzen zu erweitern.

Die Themenauswahl für die Projektarbeit dieses Lehrganges fiel im Rahmen meiner Tätigkeit

als diplomierte Gesundheits- und Krankenschwester im Bezirkspflegeheim Birkfeld. Die Zahl

der Bewohnerinnen/Bewohner mit Demenz nimmt kontinuierlich zu und durch die Folgen der

Demenz ist ihre Lebensqualität oft schon lange vor dem Lebensende stark beeinträchtigt.

Ziel dieser Arbeit ist es, das herausfordernde Verhalten von Menschen mit Demenz nicht als

bedeutungslos zu werten, sondern die Persönlichkeit und die Individualität in der

ganzheitlichen Sichtweise von Palliative Care zu erfassen, damit eine „Brücke zum DU“

aufgebaut werden kann.

Besonderer Dank gebührt meiner Tochter Karoline für ihre Unterstützung und ihre Gespräche

während meiner Ausbildung.

Danke an Frau Angelika Feichtner, MSc für die Betreuung dieser Projektarbeit.

Page 3: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

Eidesstattliche Erklärung Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Projektarbeit selbständig und ohne

Benutzung anderer als der angegeben Hilfsmittel angefertigt habe. Die aus fremden Quellen

direkt oder indirekt übernommenen Gedanken sind als solche kenntlich gemacht. Die Arbeit

wurde bisher in gleicher oder ähnlicher Form keiner anderen Prüfungskommission vorgelegt

und auch nicht veröffentlicht.

Gasen, 14. Oktober 2015 Unterschrift

Page 4: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

Inhaltsverzeichnis

1.   EINLEITUNG  ............................................................................................................................  1  

1.1. Problemstellung ........................................................................................................... 1

1.2. Methodik ...................................................................................................................... 2

2.   BEGRIFFSDEFINITIONEN  ..................................................................................................  3  

2.1. Demenz ........................................................................................................................ 3

2.2. Herausforderndes Verhalten ........................................................................................ 3

2.3. Palliative Care .............................................................................................................. 4

3.   SPEZIFISCHE VERHALTENSFORMEN  .........................................................................  5  

3.1. Vokale Störungen ........................................................................................................ 5

3.2. Agitation ...................................................................................................................... 5

4.   BEDÜRFNISSE VON MENSCHEN MIT DEMENZ  .......................................................  7  

5.   MEDIKAMENTÖSE THERAPIE  ........................................................................................  9  

6.   NICHTMEDIKAMENTÖSE LÖSUNGSANSÄTZE  .....................................................  10  

6.1. Anpassung der Umgebung ......................................................................................... 10

6.2. Kommunikation ......................................................................................................... 11

6.3. Ressourcenorientierung ............................................................................................. 11

7.   PERSPEKTIVENWECHSEL  .............................................................................................  13  

7.1. Palliative Haltung in der Pflege ................................................................................. 13

7.2. Organisationskultur ................................................................................................... 14

8.   KONKLUSION UND AUSBLICK  .....................................................................................  16  

9.   LITERATURVERZEICHNIS  .............................................................................................  17    

10.   ABBILDUNGSVERZEICHNIS  ..........................................................................................  17  

11.  ANHANG  ..................................................................................................................................  19  

 

Page 5: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

1  

1. EINLEITUNG

Die demographische Entwicklung weist eine erhebliche Zunahme an älteren und

hochbetagten Menschen in unserer Gesellschaft auf. Die Prävalenz der Demenz nimmt mit

dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der

fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten geht

sowohl mit massiven Auswirkungen auf die Betroffenen als auch auf deren Umfeld einher.

1.1. Problemstellung

Durch die Demenz erleiden die Betroffenen Defizite in der Wahrnehmungs-, Orientierungs-

und Verhaltensstruktur. Demenzkranke Bewohnerinnen/Bewohner, vor allem wenn ihre

Erkrankung weiter fortgeschritten ist, sind nicht mehr in der Lage eine „normale“

Kommunikation zu führen. Es ist ihnen unmöglich die Brücke vom ICH zum DU zu

überqueren. Wenn die Sprache allmählich verloren geht, drücken sie sich durch ihren Körper

und ihr Verhalten aus. Die Signale die ausgesendet werden, mitunter herausfordernde

Verhaltensweisen, müssen als Kommunikationsversuche von Menschen verstanden werden,

die ihre körperliche oder seelische Not nicht mehr in der üblichen Weise mitteilen können

(Kojer & Schmidl, 2011, S. 27).

Durch die langjährige Tätigkeit im Pflegeheim ist die Autorin sehr häufig mit

herausforderndem Verhalten von Menschen mit Demenz konfrontiert. Eine Tatsache die nicht

geleugnet werden kann ist, dass der große Leidensdruck der Erkrankten durch anhaltendes

Rufen oder Schreien, ständige Bewegungsunruhe und Aggression zum Ausdruck gebracht

wird. Diese Zustände werden von Mitbewohnerinnen/Mitbewohnern und dem Pflegepersonal

als Störung mit einer hohen emotionalen Belastung empfunden.

Die vorliegende Arbeit zielt darauf ab Handlungsansätze bei herausforderndem Verhalten bei

Menschen mit Demenz anhand der Ursachenfindung aufzuzeigen. Die in die Betreuung

eingebundenen Personen sollen sowohl fachlich kompetent als auch mit Einsicht,

Verständnis, Güte und Geduld reagieren können. Menschen mit Demenz besitzen ein geringes

Potential sich an Veränderungen anzupassen. Es kann festgehalten werden, dass es an den

Pflegenden liegt, sich über ihre eigenen Ängste und Formen der Abwehr hinauszubewegen,

sodass Lebensqualität spendende Begegnungen und Interventionen stattfinden können. Das

Page 6: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

2

erfordert die von Achtsamkeit, Respekt und Wertschätzung getragene Haltung von Palliative

Care.

Im Bezirkspflegeheim Birkfeld werden Ansätze der Validation, basalen Stimulation,

Aromapflege und pauschale Animationsangebote praktiziert. Die Autorin möchte in ihrer

Projektarbeit Lösungsansätze aufzeigen, die dem herausfordernden Verhalten von Menschen

mit Demenz gerecht werden.

1.2. Methodik Zur Beantwortung der vorliegenden Problemstellung wird eine Literaturrecherche in

einschlägiger Fachliteratur und auf pflegerelevanten Internetseiten durchgeführt. Es wird nach

Schlagwörtern wie „Herausforderndes Verhalten Demenz“ und „BPSD“ gesucht. Die

vorliegende Arbeit stützt sich mehrheitlich auf ausgewählte Texte und Informationen aus

deutschsprachigen Monographien sowie relevanten Artikeln.

Ausgangspunkt der Arbeit ist die Definition der Begriffe Demenz und Herausforderndes

Verhalten sowie Palliative Care. Im darauf folgenden Kapitel wird auf spezifische

Verhaltensformen eingegangen. Im Besonderen werden vokale Störungen und Agitation

hervorgehoben. Die Bedürfnisse von Demenzkranken als Ausdruck für

Verhaltensauffälligkeiten werden in Kapitel vier beschrieben. Medikamentöse

Therapieansätze sowie nichtmedikamentöse Lösungsansätze zeigen die Wichtigkeit von

Palliative Care bei Menschen mit Demenz und herausforderndem Verhalten in Kapitel fünf

und sechs auf. Folgend wird die Dringlichkeit eines Perspektivenwechsels erläutert. Anhand

dieser Ausführungen wird ein positiver Ausblick aufgezeigt und praktische Ergebnisse im

Anhang beigefügt.

Page 7: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

3

2. BEGRIFFSDEFINITIONEN Dieses Kapitel dient als Ausgangspunkt der Arbeit und soll zum besseren Verständnis für die

Auseinandersetzung mit dem Projektthema „Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit

Demenz“ die Begriffe „Demenz“, „herausforderndes Verhalten“ und „Palliative Care“

definieren.

2.1. Demenz

Demenz, abgeleitet vom lateinischen Wort „de mens“ bedeutet „abnehmender Verstand“.

Zu den häufigsten und folgenreichsten psychiatrischen Erkrankungen im höheren Alter zählt

die Demenz, die mit zunehmendem Lebensalter stark ansteigt. Die Demenz ist ein Syndrom,

das progressiv verläuft und nicht heilbar ist. Es ist eine Fülle verschiedener

Krankheitsgeschehen, gekennzeichnet durch vielfache Beeinträchtigungen der höheren

Gehirnfunktionen verbunden mit Gedächtnis- und Orientierungsstörungen, sowie

Persönlichkeitsveränderungen (Weissenberger-Leduc, 2009, S. 12).

Die Krankheitsbilder der Demenz sind ausgesprochen vielfältig und äußern sich von Person

zu Person sehr unterschiedlich. Diese Streubreite ist ein Grund dafür, weshalb die Diagnose

einer vorliegenden Demenz und die Verlaufseinschätzung so schwierig ist (Kostrzewa, 2010,

S. 22).

2.2. Herausforderndes Verhalten

Behavioural and Psychological Symptoms of Dementia (BPSD) - ein aus der britischen

Behindertenpädagogik stammender Terminus - treten bei ungefähr 80 % bis 90 % aller

Personen mit Demenz auf. Die deutsche Übersetzung „Herausforderndes Verhalten“ wird als

Handlung definiert, die für die Person selbst, oder für das Setting in dem diese Handlung

stattfindet, eine physische oder psychische Belastung darstellt (James, 2013, S. 23).

Eine in der Literatur häufig verwendete Klassifizierungsmöglichkeit der herausfordernden

Verhaltensweisen stammt von Cohen-Mansfield und wird von Halek & Bartholomeyczik

(2011, S. 28) beschrieben:

Körperlich aggressive Handlungen: schlagen, grapschen, kratzen, beißen, spucken, mit dem

Stock jemanden bedrohen, selbstverletzende Handlungen, körperlich sexuelle Belästigung.

Page 8: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

4

Körperlich nicht aggressive Handlungen: „wandering“ – umherirren oder ständiges

Suchen, Hyperaktivität, an unpassenden Orten urinieren, Stuhl schmieren, Gegenstände

horten und verstecken, Wahnvorstellungen z.B. Gegenstände wurden „gestohlen“,

Schlafstörungen, Tag-Nacht-Umkehr, Enthemmungsphänomene mit oder ohne Störung der

Impulskontrolle.

Verbale Aggression: schreien und rufen.

Verbale nicht aggressive Agitation: klagen, jammern, stöhnen, ständiges Wiederholen von

Sätzen oder Fragen.

Eine Person mit fortschreitender Demenz kann sich immer weniger an veränderte

Umgebungsbedingungen anpassen. Dies hat zur Folge, dass die Handlungen in der Interaktion

nicht mehr übereinstimmen. Ist die Umwelt nicht in der Lage auf die Bedürfnisse der

Demenzkranken adäquat zu reagieren treten Verhaltensstörungen, als Ausdruck von Angst

und Unsicherheit, als Reaktion auf die Fremdbestimmung und Abhängigkeit auf

(Weissenberger-Leduc, 2009, S. 41).

2.3. Palliative Care Palliative Care ist ein Handlungsansatz, der die Lebensqualität jener Kranken und deren

Angehörigen verbessert, wenn rein kurative Maßnahmen das Wohlbefinden der kranken

Menschen nicht steigern können. Dies geschieht durch Verhütung und Linderung von

Leidenszuständen durch frühzeitige Erkennung. Schmerzen und Probleme körperlicher,

psychosozialer und spiritueller Art werden wahrgenommen und exakt bestimmt. Palliative

Care setzt bewusst nicht erst in den letzten Lebenswochen oder –monaten ein, sondern

beginnt bereits bei der Diagnosestellung (Student & Napiwotzky, 2011, S. 10).

Gemäß der Definition der WHO für Palliative Care sind Menschen mit einer

Demenzerkrankung eindeutig palliativbedürftig, da sie an einer progredienten, nicht heilbaren

chronischen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung leiden, welche mit kurativen

Maßnahmen nicht sinnvoll behandelbar ist (Gerhard, 2011, S.19).

Page 9: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

5

3. SPEZIFISCHE VERHALTENSFORMEN In diesem Kapitel werden einige Varianten herausfordernder Verhaltensweisen und deren

Ursachen dargestellt. Um gezielte Interventionen entwickeln zu können, müssen zuvor die

potentiellen Ursachen des herausfordernden Verhaltens identifiziert werden.

3.1. Vokale Störungen

Vokale Störungen (disruptive vocalization) gehören zu den häufigsten

Verhaltensauffälligkeiten in Pflegeheimen und umfassen extrem laute und/oder wiederholte

verbale Äußerungen. Die Qualität der zwischenmenschlichen Beziehungen und der Pflege

wird negativ beeinflusst, Angst und Unruhe in der Umgebung der Betroffenen wird gesteigert

(Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 40).

Die häufigsten Ursachen vokaler Störungen sind eine cerebrovaskuläre Erkrankung oder eine

Gehirnschädigung, wie sie bei schwerer Demenz auftritt. Auslöser für vokale Störungen sind

meistens unbefriedigte Bedürfnisse, physische oder umgebungsbedingte Stimuli. Je

ausgeprägter die sprachlichen Beeinträchtigungen sind, desto breiter manifestiert sich die

vokale Störung (Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 41).

Schreien oder Rufen eines Menschen hat immer eine Bedeutung. Beginnend mit dem Fehlen

einzelner Ausdrücke führt der fortschreitende Krankheitsverlauf zum Sprachzerfall und

letztlich zum Sprachverlust. Die Kommunikation mit der Umwelt ist gestört, ein korrekter

sprachlicher Ausdruck ist nicht mehr möglich. Als Mitteilungsform für Probleme und

Bedürfnisse steht nur noch schreien und rufen zur Verfügung (Urselmann, 2015, S. 19, 21).

3.2. Agitation

Agitation wird in der Literatur als eine exzessive verbale, vokale oder motorische Aktivität

mit einem Gefühl innerer Anspannung beschrieben. Grundsätzliche Merkmale äußern sich in

unangemessenen, sich wiederholenden, unspezifischen und beobachtbaren Handlungen wie

z. B. ständiges Auf- und Abgehen (Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 31, 33).

Menschen mit Demenz haben ein zunehmendes Bedürfnis nach Bewegung. Dieses Verhalten

kann daher ein durchaus sinnvolles Symptom sein, etwa um bei fortschreitendem

Sprachverlust innere Spannungen abzubauen. Normale soziale Kontakte können in diesem

Unruhezustand kaum wahrgenommen werden (Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 32).

Page 10: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

6

Wandern gehört zu den hohen Belastungsfaktoren für das Pflegepersonal, besonders wenn es

mit einer Weggehtendenz verbunden ist. Die Ursachen und Auslöser für das Wandern sind

vielfältig: Unbehagen, Angst, das Unvermögen ruhig zu sitzen, der Wunsch nach Hause zu

gehen, Schlafstörungen oder Orientierungsdefizite (Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 37).

Verbale und körperliche Aggressivität werden als eine Form der Agitation gesehen, wobei

festzuhalten ist, dass es keine eindeutige Definition des aggressiven Verhaltens gibt. Das

aggressive Verhalten steht meist in Zusammenhang mit der Schwere der Demenz und der

kognitiven Beeinträchtigungen und ist durch Ruhelosigkeit, Abwehr- und

Widerstandsverhalten gekennzeichnet (Halek & Bartholomeyczik, 2011, S. 38, 39).

Page 11: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

7

4. BEDÜRFNISSE VON MENSCHEN MIT DEMENZ Verhaltensauffälligkeiten bei Menschen mit Demenz sind häufig Versuche, Mittel oder

Ausdruck um ein unbefriedigtes Bedürfnis zu erfüllen:

• Bedürfnis nach Trost

Der permanente Verlust der Selbstbestimmung erhöht das Bedürfnis nach Trost und Halt

in einem unverständlichen, nicht nachvollziehbaren Umfeld.

• Bedürfnis nach Identität

Dem Gefühl des Verlorenseins kann nur durch Kongruenz begegnet werden. Empathie,

aktives Zuhören und die Anerkennung der Einzigartigkeit fördern den Erhalt der

Individualität.

• Bedürfnis nach Beschäftigung

Dem Leben einen Sinn zu geben und Ressourcen und Fähigkeiten nützen zu dürfen

entspricht dem Bedürfnis nach Beschäftigung. Menschen mit Demenz sind nicht mehr in

der Lage eine hohe Reizdichte zu verarbeiten. Aufnahmegeschwindigkeit und Kapazität

sind zu berücksichtigen.

• Bedürfnis nach Einbeziehung

Dieses Bedürfnis tritt bei Demenz sehr prägnant zutage und äußert sich in

Rückzugsverhalten, der Neigung zum Anklammern, dem Umhergehen oder in

verschiedenen Formen des Protests. In vielen Heim-Settings besteht die Situation, dass

Menschen zwar zusammen sind, sich aber zutiefst alleingelassen fühlen. Werden

Bewohner in das Alltagsleben miteinbezogen, fühlen sie sich anerkannt und können einen

bestimmten Platz im gemeinsamen Leben einer Gruppe einnehmen.

• Bedürfnis nach Bindung

Ohne primäre Bindungen kann ein Mensch unabhängig von seinem Alter schwer

funktionieren. Der Verlust von primären Bindungen wie sie ein Mensch mit Demenz

permanent erlebt untergräbt das Gefühl von Sicherheit. Menschen mit Demenz befinden

sich ständig in Situationen die sie als „seltsam“ wahrnehmen, mit dem Resultat eines

ausgeprägten Sicherheitsbedürfnisses (Weissenberger-Leduc, 2009, S. 56, 57, 58 &

Kitwood, 2013, S. 125, 145, 146, 147, 148).

Aus der Argumentation ist ersichtlich, dass die Deckung eines dieser Bedürfnisse die

teilweise Erfüllung der anderen Bedürfnisse beinhaltet. Alle Menschen haben diese

Bedürfnisse. Bei demenzerkrankten Personen werden diese sichtbar und führen im Streben

Page 12: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

8

nach Erfüllung dieser fundamentalen Bedürfnisse sehr oft zu einem herausfordernden

Verhalten. Die Persönlichkeitszüge und die Lebensgeschichte prägen die Bedürfnisse in

unterschiedlichen Kombinationen und in der Intensität (Kitwood, 2013, S. 149).

Bedürfnisse werden vielfach nicht erfüllt, da das soziale Umfeld nicht in der Lage ist zu

verstehen, was die Person will und braucht (Bonner, 2013, S. 52).

Page 13: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

9

5. MEDIKAMENTÖSE THERAPIE Derzeit steht keine Medikation die eine Demenz heilen bzw. ursächlich behandeln kann zur

Verfügung. Die aktuelle medikamentöse Therapie zielt darauf ab die Symptome zu lindern

und den Verlauf der Erkrankung zu verzögern (Kostrzewa, 2010, S. 29).

Häufig, und besonders in Pflegeinstitutionen, werden Demenzkranken aufgrund ihres

herausfordernden Verhaltens dämpfende Medikamente aus der Reihe der Neuroleptika,

beruhigende Antidepressiva sowie angstlösende Benzodiazepine verordnet (Bartholomeyczik,

Holle & Halek, 2013, S. 43). Folgend werden häufig verwendete Medikamente und deren

Wirkung erläutert:

• Azethylcholinesterase-Inhibitoren wie Arizept und Exelon wirken bei beginnender

Demenz. Sie bremsen den Demenzverlauf um 1 bis 1,5 Jahre und dienen der

Verbesserung von Verhaltensstörungen und der Kognition.

• Memantine wie Axura und Ebixa können positiv auf die Aktivitäten des täglichen

Lebens und die BPSD bei fortgeschrittener Demenz wirken. Die klinische Signifikanz

dieser Medikamente ist jedoch umstritten.

• Atypische Antipsychotika (Risperidon, Olanzapin, Quetiapin) sollten gezielt

eingesetzt werden. Es wird darauf hingewiesen, dass typische Neuroleptika

extrapyramidale, schwer wiegende Nebenwirkungen wie Dyskinesien, erhöhte Sturz-

und Aspirationsgefahr auslösen und ihr Einsatz sehr sorgfältig überlegt werden muss

(Weissenberger-Leduc, 2011, S. 21).

Psychopharmaka sollten nur verabreicht werden wenn sie indiziert sind. Die Gabe dieser

Medikamente, aufgrund des Unvermögens der Betreuungspersonen sich in geeigneter Weise

auf die Bewohnerin/den Bewohner einzulassen und ihren/dessen Hilferuf zu verstehen, ist

nicht akzeptabel (Kojer & Schmidl, 2011, S. 16).

Page 14: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

10

6. NICHTMEDIKAMENTÖSE LÖSUNGSANSÄTZE Neben der medikamentösen Therapie haben nichtmedikamentöse Ansätze einen zentralen

Stellenwert. Insbesondere die Demenz, die sich mit Einschränkungen und Veränderungen

äußert, erfordert differenzierte Angebote, die den jeweiligen individuellen Bedürfnissen der

Bewohnerinnen/Bewohner gerecht werden. Im Umgang mit hochbetagten Menschen sowie

mit ethischen Fragen bei herausforderndem Verhalten herrscht nach wie vor große

Unsicherheit. Fachliche Kenntnis, ethische Standards und eine geeignete Organisationskultur

fehlen in den Pflegeheimen vielfach und führen zu gravierenden Fehlern bei Pflege und

Betreuung (Kojer & Schmid, 2011, S. 176).

Palliative Geriatrie basiert auf funktionierender Kommunikation und bedeutet für das

Pflegepersonal die Gestaltung von Beziehungen zu pflegebedürftigen Menschen gemeinsam

mit ihren Angehörigen. Das Sicheinlassen auf die Besonderheiten der Demenzbetreuung und

der fortschreitenden Multimorbidität der Erkrankten wirkt sich letztlich auf alle Beteiligten

positiv aus (Kojer & Schmid, 2011, S. 184).

6.1. Anpassung der Umgebung

Es ist bekannt, dass die Umgebung und deren Gestaltung durchaus wichtige Faktoren sind,

damit sich an Demenz erkrankte Bewohnerinnen/Bewohner im Pflegeheim orientieren und

zurechtfinden können. Eine vertraute häusliche Umgebung wirkt sich auf viele agitierte

Menschen beruhigend aus (Kojer/Schmidl, 2011, S. 272).

Die Milieugestaltung versucht auf verschiedenen Ebenen dem Menschen eine Lebenswelt zu

bieten, die es ermöglicht, trotz dessen Defizite Sicherheit und Lebensqualität zu erfahren.

Unter Milieu versteht sich das Zusammenwirken der Umweltkomponenten - vertraute

Wohnraumgestaltung, entsprechende Tagesstruktur, demenzspezifische Kommunikation,

Pflegeverständnis, größtmögliche Autonomie und adäquate Sinnesanregung - um eine

Kontinuität des Lebensstils zu erreichen (Kostrzewa, 2010, S. 34, 35).

Der Zugang zu sicheren Garten- und Außenanlagen eröffnet die Möglichkeit die Sinne

anzuregen (James, 2013, S. 79).

Page 15: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

11

6.2. Kommunikation

Die Verantwortung für eine gelingende Kommunikation und für das Verstehen liegt bei den

Pflegenden. Die Kommunikation mit Menschen mit Demenz basiert auf einer tiefen

Wertschätzung und einem großen Verständnis für die betroffene Person. Die Diagnose

Demenz ist keine Voraussetzung für eine bestimmte Kommunikationsmethode. Zu

berücksichtigende Faktoren für eine funktionierende Kommunikation sind die

Ausprägungsgrade der Demenz und der Kommunikationsstörungen (Kostrzewa & Gerhard,

2010, S. 172, 173, 174).

An dieser Stelle ist es wichtig zu betonen, dass verbale Kommunikation nicht nur aus dem

gesprochenen Wort besteht, sondern immer mit einem Satzduktus, der Klangmelodie, der

Körperhaltung, der Mimik und der Gestik verbunden ist. Die Körpersprache der Pflegenden

sendet viele Signale aus um den Zugang zum Menschen mit Demenz zu öffnen, sofern das

Wort selbst nicht mehr verstanden wird. Den Begleitern muss bewusst sein, dass Menschen

mit Demenz leicht irritierbar sind. Demenzkranke spüren es, wenn die Betreuungsperson

unaufmerksam oder abwesend ist, wenn das Gesicht eine andere Emotion ausdrückt als der

Tonfall mitteilt, oder die Körperhaltung nicht zur Mimik passt (Urselmann, 2013, S. 94, 95).

6.3. Ressourcenorientierung

Eine Sichtweise, die den Betroffenen als „Dementen“ wahrnimmt beschäftigt sich in erster

Linie mit vorhandenen Beeinträchtigungen und Störungen. Die palliative Sichtweise hingegen

orientiert sich an den vorhandenen Ressourcen des Menschen. Es wird festgehalten, dass es

nicht immer leicht ist, Ressourcen im Alltag zu erkennen. Alle Versuche des Menschen mit

Demenz seine Handlungsspielräume zu realisieren, müssen positiv und als Ausdruck von

Ressourcen erkannt werden (Bär, 2010, S. 29, 30).

Eine Reihe von Ressourcen, die häufig lange erhalten bleiben sind alltagspraktische und

kognitive Fähigkeiten, z. B. Gewohnheiten, lange geübte Tätigkeiten und Bereiche aus dem

Langzeitgedächtnis. Das Gefühl für Stimmungen und Atmosphäre und die Fähigkeit diese

Gefühle auszudrücken gehören zu den sozialen Ressourcen. Einen großen Stellenwert erhält

die Ressource der körperlichen Mobilität (Bär, 2010, S. 29).

Page 16: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

12

Die vorhandenen Ressourcen der Bewohnerinnen/Bewohner werden im Allgemeinen von den

Pflegenden unterschätzt. Da Demenzkranken das Recht auf kommunikative Grundversorgung

vorenthalten wird, bleiben ihre Möglichkeiten die Welt zu erleben verborgen. Demenziell

erkrankte Menschen erfassen über ihre hochdifferenzierte Gefühlswahrnehmung oftmals

komplexe Zusammenhänge und erleben auf diese Weise Ablehnung, Verachtung oder

Demütigung mit aller Deutlichkeit und mit allen Konsequenzen für ihre seelische

Befindlichkeit ohne sich dagegen wehren zu können (Kojer in Kojer & Schmidl, 2011, S.

203).

Page 17: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

13

7. PERSPEKTIVENWECHSEL Die Pflege demenzkranker Bewohnerinnen/Bewohner mit herausforderndem Verhalten im

Pflegeheim stellt große Herausforderungen an Alle die sich um einen menschengerechten

Umgang mit diesem Personenkreis bemühen. Einen Menschen mit Demenz als Summe seiner

Defizite zu sehen, oder diesen als Summe seiner Möglichkeiten, Kompetenzen und

Ressourcen zu betrachten, beeinflusst die Lebensqualität in hohem Maße (Kostrzewa, 2010,

S. 49).

Kostrzewa (2010, S. 108) besagt, dass herausforderndes Verhalten aus subjektiver Sicht des

Menschen mit Demenz ein sinnvolles Verhalten ist, das durch Antrieb, Herausforderung,

Angst oder Bedrohung ausgelöst wird. Es liegt in der Verantwortung der Betreuenden den

jeweiligen Auslöser herauszufinden.

Für die Lebensqualität der Bewohnerinnen/Bewohner ist die primäre Behandlung der

Symptome, die den demenzerkrankten Menschen subjektiv am stärksten beeinträchtigen,

essentiell. Maßnahmen aus pflegerischer oder medizinischer Sicht sind wichtig, sollten jedoch

nicht im Vordergrund stehen (Kunz in Knipping, 2007, S. 125).

7.1. Palliative Haltung in der Pflege

Um die Lebensqualität zu verbessern und ein Miteinander, bei dem sich Menschen mit

Demenz und Pflegende wohlfühlen zu ermöglichen, ist es von fundamentaler Bedeutung, den

Zugang zu demenziell erkrankten Bewohnerinnen/Bewohnern zu finden. Interaktion bedeutet

nicht nur das Reagieren, sondern auch das Erfassen von Signalen, die von anderen Menschen

übermittelt werden (Kitwood, 2013, S. 155).

Einige der wichtigsten Anforderungen für eine ganzheitliche Sichtweise auf die

Bewohnerinnen/Bewohner mit herausforderndem Verhalten lauten:

• Innere Zustimmung zur Gleichwertigkeit und Gleichwürdigkeit erzeugt eine Haltung

von ehrlichem Respekt. Die Versuchung für Pflegende über jemanden verfügen zu

wollen, der sich im Leben nicht mehr zurechtfindet ist groß.

• Verständnis für das Anderssein des Anderen.

• Akzeptanz der Anderen ohne verletzende Versuche, die Menschen zu jener Art von

Pflegebedürftigen zu machen, mit denen es sich leichter arbeiten ließe.

Page 18: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

14

• Die Akzeptanz der jeweiligen Wirklichkeit in der eine Bewohnerin/ein Bewohner

gerade lebt.

• Geduld haben und die Bereitschaft, sich trotz Zeitdruck ein wenig Zeit zu nehmen.

• Einfühlsame Beobachtung mit wachen Augen und offenem Herzen.

• Das Tempo der pflegebedürftigen Personen akzeptieren.

• Die Bereitschaft jeden Tag und jedes Mal wieder von vorne zu beginnen.

• Die Bereitschaft, die Führung abzugeben und sich von den

Bewohnerinnen/Bewohnern zu ihren Zielen führen zu lassen.

Es gilt zu bedenken, dass Menschen mit Demenz in ihrer Welt leben und ihre Bedürfnisse auf

ihre Art und Weise ausdrücken. Pflegepersonen obliegt es, ihnen auf ihre Gefühlsebene zu

folgen, mit ihnen in Beziehung zu treten und ihre Ressourcen wahrzunehmen (Lazelberger in

Kojer & Schmidl, 2011, S. 166, 167, 168, 169, 171).

7.2. Organisationskultur

Eine adäquate Versorgung von Bewohnerinnen/Bewohnern mit Demenz und

herausforderndem Verhalten setzt institutionelle Rahmenbedingungen zur Erfüllung der

Bedürfnisse von Sicherheit und Geborgenheit voraus (Urselmann, 2015, S. 46).

Es ist festzuhalten, dass Führungskräfte bei der Integration von Palliative Care in den Ablauf

eines Pflegeheimes vor große Herausforderungen gestellt sind. Grund dafür ist, dass die

tradierte Form der Altenhilfe einerseits, und Palliative Care andererseits, Zielsetzungen mit

unterschiedlichen Aspekten verfolgen. In Palliative Care geht es vorrangig um die

bestmögliche Linderung von belastenden Beschwerden und die somit verbundene Steigerung

der Lebensqualität von multimorbiden und/oder demenziell erkrankten Menschen.

Aktivierung und das Schaffen von Freizeitaktivitäten stehen hingegen in der Altenpflege im

Vordergrund (Kojer & Schmidl, 2011, S. 195, 196, 197).

Aus der Literatur setzt sich die Erkenntnis durch, dass Palliative Care ein Prozess ist – der

ernsthaft gelebt – prägend für die gesamte Unternehmenskultur eines Hauses ist und zu einer

Auseinandersetzung mit handlungsleitenden Zielsetzungen führt (Wegleitner & Heimerl,

2007, S.1).

Page 19: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

15

Die Organisationskultur vermittelt Normen und Werte innerhalb eines Unternehmens, die sich

im kollektiven Handeln der Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter widerspiegeln und somit zur

besseren Zielverwirklichung beitragen (Gabler Wirtschaftslexikon). Vielschichtige

Veränderungsprozesse sind erforderlich um ein professionelles Verständnis, modifizierte

Arbeitsabläufe, Gesprächs- und Kommunikationssettings und eine empathische Gestaltung

von Betreuungsbeziehungen zu erreichen. Ein wesentlicher Entwicklungsprozess, um eine

Lebensqualität verbessernde Pflege für Menschen mit Demenz und herausforderndem

Verhalten zu erreichen, ist die Qualifizierung des Personals durch Fort- und Weiterbildungen.

Im Sinne der Nachhaltigkeit ist es notwendig die Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter in den

Palliative Care Prozess und den daraus abgeleiteten Maßnahmen einzubinden und eine

Verankerung und Sensibilisierung der Abläufe sicherzustellen (Wegleitner & Heimerl, 2007,

S. 1, 2, 4, 7).

Urselmann (2015, S. 263) veranschaulicht die möglichen Rollen von Beteiligten bei der

Begleitung schwer kranker Menschen in der folgenden Grafik. Ziel ist es, in enger

Zusammenarbeit aller Beteiligten ein möglichst gutes Zusammenspiel zu erreichen. Die

anspruchsvolle Teamarbeit in der Palliativarbeit ermöglicht es, die verschiedenen Ansätze

und Sichtweisen aller Beteiligten zu vernetzen und umzusetzen, sodass das Stück gespielt und

aufgeführt werden kann, das die Person mit herausforderndem Verhalten komponiert hat.

Abbildung 1: Metapher „Der Schrei oder Ruf“

Person  mit  herausforderndem  

Verhalten      

Komponist    

Institutionelle  Einrichtung  

   

Konzerthalle  

Mitbewohner      

Zuhörer  

Pflegende      

Orchester  

Einrichtungsleitung      

Dirigent  

Page 20: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

16

8. KONKLUSION UND AUSBLICK

Die Erkenntnisse aus den Literaturrecherchen zeigen die Notwendigkeit der Palliative Care

im Umgang mit herausforderndem Verhalten bei

Pflegeheimbewohnerinnen/Pflegeheimbewohnern mit Demenz auf. Eine gute Demenzpflege

ist gekennzeichnet als eine Vielfalt von miteinander verschmelzenden Interaktionsarten.

Palliative Care im Pflegeheim kann nur dann nachhaltig gelebt werden wenn ALLE

Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter diesen Ansatz mittragen. Dazu muss dieser bekannt sein und ein

Verständnis für die Sinnhaftigkeit entwickelt werden. Die Literatur weist auf den hohen

Stellenwert der Kommunikation nicht nur auf der Interaktionsebene mit den

Bewohnerinnen/Bewohnern hin, sondern auch innerhalb des Teams. Betreuungs- und

Behandlungsdefizite sind häufig Folge unzureichender Kommunikation und ein Mangel an

entsprechendem palliativem Wissen (Bitschnau in Heller, Heimerl &Huseboe, 2007, S. 154,

155).

Palliative Care richtet den Fokus auf die Persönlichkeit und Individualität und ist somit der

Schlüssel dafür, das herausfordernde Verhalten von Menschen mit Demenz zu verstehen und

im Handeln eine verbesserte Lebensqualität zu erreichen.

Mit den diplomierten Gesundheits- und Krankenschwestern und den

Pflegehelferinnen/Pflegehelfern des Pflegeheimes Birkfeld wurden im Rahmen dieser

Projektarbeit von der Verfasserin Mikroschulungen und viele Gespräche durchgeführt um ein

Verständnis für herausforderndes Verhalten bei Bewohnerinnen/Bewohnern mit vokalen

Störungen oder Agitation zu erreichen. Die ganzheitliche Sichtweise auf die Betroffenen in

verschiedenen Problemsituationen erzielte positive Ergebnisse welche im Anhang

auszugsweise dargestellt werden.

Es besteht kein Zweifel daran, dass es eine uneingeschränkte, wertschätzende Haltung braucht

um die Bedürfnisse und Ressourcen von Menschen mit Demenz und herausforderndem

Verhalten zu erkennen. Jede Intervention, die primär auf die Steigerung des Wohlbefindens

und die Erhaltung und Förderung der Ressourcen abzielt trägt zur Verbesserung der

Lebensqualität bei. Es ist stets im Bewusstsein zu behalten, dass die kleinen Schritte jeder

einzelnen Pflegeperson Strukturen verändern und eine Brücke zum DU bauen können.

Page 21: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

17

9. LITERATURVERZEICHNIS

Bartholomeyczik, S. & Holle, D. & Halek, M. (2013). Herausforderndes Verhalten bei

Menschen mit Demenz verstehen. Die Verbesserung der Versorgung Demenzkranker durch Qualitätsinstrumente. Weinheim und Basel: Beltz Juventa.

Bär, M. (2010). Diakonisches Werk Württemberg (Hrsg.). Demenzkranke Menschen im

Pflegeheim besser begleiten. Arbeitshilfe für die Entwicklung und Umsetzung von Pflege- und Betreuungskonzepten. (3. Auflage). Hannover: Schlütersche.

Bonner, C. (2013). Stressmindernde Pflege bei Menschen mit Demenz. Praxishandbuch für

Pflegeassistenten, Begleiter und Angehörige. (1. Auflage). Bern: Hans Huber. Gerhard, C. (2011). Neuro-Palliative Care. Interdisziplinäres Praxishandbuch zur palliativen

Versorgung von Menschen mit neurologischen Erkrankungen. (1. Auflage). Bern: Hans Huber.

Halek, M. & Bartholomeyczik, S. (2011). Verstehen und Handeln. Forschungsergebnisse zur

Pflege von Menschen mit Demenz und herausforderndem Verhalten. (Nachdruck der 1. Ausgabe 2006). Hannover: Schlütersche.

Heller, A. & Heimerl, K. & Husebe, S. (Hrsg.). (2007). Wenn nichts mehr zu machen ist, ist

noch viel zu tun. (3. Auflage). Freiburg im Breißgau: Lambertus. James, I. A. (2013). Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit Demenz. Einschätzen,

verstehen, behandeln. (1. Auflage der deutschsprachigen Ausgabe). Bern: Hans Huber. Kitwood, T. (2013). Müller- Hergl, C. (Hrsg.). Demenz. Der person-zentrierte Ansatz im

Umgang mit verwirrten Menschen. (6. Auflage der deutschsprachigen Ausgabe). Bern: Hans Huber.

Knipping, C. (Hrsg.) (2007). Lehrbuch Palliative Care. (2. Auflage). Bern: Hans Huber. Kojer, M. & Schmidl, M. (2011). Demenz und Palliative Geriatrie in der Praxis. Heilsame

Betreuung unheilbar demenzkranker Menschen. Wien: Springer. Kostrzewa, S. (2010). Palliative Pflege von Menschen mit Demenz. (2. Auflage). Bern: Hans

Huber. Kostrzewa, S. & Gerhard, C. (2010). Hospizliche Altenpflege. Palliative Versorgungskonzepte

in Altenheimen entwickeln, etablieren und evaluieren. (1. Auflage). Bern: Hans Huber. Student J. & Napiwotzky, A. (2011). Palliative Care. Wahrnehmen – verstehen – schützen.

(2. Auflage). Stuttgart: Thieme.

Page 22: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

18

Springer Gabler Verlag (Hrsg.) (k. D.). Gabler Wirtschaftslexikon,Stichwort:Organisationskultur. Download vom 23. September 2015. Verfügbar unter: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/11090/organisationskultur-v8.html.

Urselmann, H. (2015). Schreien und Rufen. Herausforderndes Verhalten bei Menschen mit

Demenz. (1. Nachdruck der 1. Auflage 2013). Bern: Hans Huber. Wegleitner, K. & Heimerl, K. Fakultät für Interdisziplinäre Forschung und Fortbildung der

Universität Klagenfurt (Hrsg.) (2007). Palliative Care in der stationären Altenhilfe: Diskurs eines Netzwerkes. Download vom 23. September 2015. Verfügbar unter: www.uni-klu.at/pallorg/downloads/NPP_Nuernberg_2007-1pdf

Weissenberger-Leduc, M. (2009). Palliativpflege bei Demenz. Ein Handbuch für die Praxis.

Wien: Springer.

10. ABBILDUNGSVERZEICHNIS

Abbildung 1. Metapher „Der Schrei oder Ruf“ (Urselmann, 2015, S. 263).

Page 23: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

19

11. ANHANG

Auszüge aus der Pflegedokumentation des Bezirkspflegeheimes Birkfeld:

Frau K.

„ist ruh und rastlos, kann nicht genau sagen was sie möchte bzw. was ihr fehlt. Steht auf, geht, fährt mit dem Rollstuhl, wendet sich im Bett auf und ab, Sensormatte auf Daueralarm von 23.20 bis 1.30 Uhr“ „um 2.45 ist Fr. K. schon wieder wach, gleiches Verhaltensmuster wie vorher“ „physischer und psychischer Unruhezustand während des gesamten Nachtverlaufes – wiederholte Rufe „Mutter, Mutter“ „Fr. K. sehr ruhelos, läutet häufig, will nicht alleine bleiben, reagiert auch sehr aufbrausend“ „im gesamten Tagesverlauf psychischer Gesundheitszustand weinerlich, jammernd, gibt kein Angstgefühl an, keine konkrete Schmerzangabe, trotz massiver Einschränkungen sehr selbstbestimmtes Verhalten. Unruhezustände bemerkbar – wechselndes Aufstehen und sich wieder ins Bett legen in kurz aufeinander folgenden Intervallen; zeitweise heftiges Zittern beider Hände. Reagiert auf Ansprache mit deutlichen Antworten; Embryohaltung im Bett“ „nach der Versorgung für die Nachtruhe gesteigerte Nervosität (ruhelos, auf/nieder, ein/aus, monotone verbale Äußerungen wiederholend)“ „von 19.00 bis 1.00 Uhr Daueralarm der Sensormatte – innere Unruhe/aufgewühlt/undifferenzierte Schmerzangabe – Fr. K. bewegt sich im Bett ständig im Kreis – Größe des Bettes für diese Aktivität zu klein. Schläft kurzzeitig (einige Minuten) dazwischen ein – Mitnahme im Rollstuhl nicht zielführend. Liegestatt mit 2 großen Matratzen auf dem Boden bereitgestellt – Fr. K. dreht sich jetzt wieder spiralig, Nestelbewegungen mit Polster und Decken, deutlich ruhiger aufgrund der gleichmäßigen größeren Fläche – Schlafphasen verlängert“ „psychische Unruhezustände gleichbleibend; im Halbschlaf: Oberkörper anheben/niederlegen und wiederholende Drehbewegungen auf dem ganzen Areal der beiden bereitgelegten Matratzen, Fläche groß genug – keine Sturzgefahr aufgrund des Bodenniveaus (wäre aufgrund der Rotationen im Bett möglicherweise nicht verhinderbar gewesen). Nachtdienstpersonal hat jede zur Verfügung stehende Zeit bei Frau K. im Zimmer verbracht – vereinzeltes Jammern/Bitten“ „Sensormatte stop – 2 Bodenmatten + 2 Bettmatratzen zwischen Niederflurbett und Fenster platziert Bewegungsfreiheit gegeben, Fr. K. bewegt sich mit kleinen, ruckartigen Bewegungen (hebt den Oberkörper an und legt sich mit Rückwärtsbewegungen – wiederholend im verkehrten Uhrzeigersinn – wieder hin) Mobilisation von der Bodenmatratze in den Rollstuhl mit 2 Pflegepersonen unter Mithilfe von Frau K. problemlos möglich psychischer Gesundheitszustand: innere Unruhe (Hektik, Nervosität, Angst, Panik) deutlich reduziert“ „Fr. K. verbrachte eine ruhige Nacht, lag auf der Matratze am Boden“.

Page 24: „Eine Brücke zum DU“ - dgpalliativmedizin.de · dem Alter stark zu und führt zur häufigsten Ursache einer Heimunterbringung. Der fortschreitende Abbau und Verlust der kognitiven,

20

Frau H. J. „ständiger Bewegungsdrang gegeben – ruhelos zwischen Zimmer und Tisch vor dem Dienstzimmer – vermehrte Beschimpfungen gegen das Pflegepersonal und die Mitbewohner (Doddl, Deppn)“ „ist am Nachmittag eher unruhig, lässt sich aber durch „Bohnen sortieren“ beruhigen“. Frau H. A. „wandern im gesamten Tagesverlauf seit 4.00 Uhr morgens im Bereich des 1. Obergeschosses und vor die Haustür – Aufmerksamkeitsdefizit und mangelnde Beschäftigung – beteiligt sich an keinen gemeinsamen Aktivitäten (Handtücher, Putztücher falten, ...), Sprachstörung, Sprachverständnis gegeben“ „hat heute Äpfel geschält und in Spalten geschnitten – hat sich sehr gefreut“. Frau G. „Während dem Mittagessen im Essbereich verbale Attacke gegen das Essen „sowos kriagn mia zum Fressn, des kau ma jo net fressn, mia zohln eh so vül“ „Fr. G. war gegen 18.45 Uhr der Meinung, dass sie noch nicht zu Abend gegessen hätten – „des is a Sauerei das ma nit amol wos zun fressn kriagn, da Vati is a humari“ (Hr. G. kann sich erinnern, dass sie beide jeweils einen Teller Milchsuppe und Kartoffel gegessen haben)“ „Fr. G. sehr aufgebracht – „des wos do die Leit zum Fressn kriagn is jo a Sauerei.....i geh hoam, weil wenns uns weg hobn wollts dann losts uns hoam.....i geh hoam weil i woas net wos i toa sull“ „Mahlzeiten werden für das Ehepaar G. in ihrem Zimmer bereitgestellt – verbale Beschimpfungen über das Essen geringer“ „Frühstück im Zimmer mit Tischdecke – Fr. G. bemerkt „mei des is schön“ „2. Portion Abendessen (Brot und Wurst) bereitstellen um abendliche Jause während der Fernsehnachrichten zu ermöglichen verbale Attacken minimiert“ „am Vormittag erfolgreiche Beschäftigung mittels eigenem Wäschekorb für ihre Wäsche, Handtücher, Putztücher, ...) – Fr. G. ist sehr glücklich (bedankt sich mit einem Lächeln) über kleinere Arbeiten, macht diese gewissenhaft und ordentlich „i bin so froh, dass i no za wos zbrauchn bin“ „Spaziergang auf der Dachterrasse wir bewundern die Blumen... Gespräch ... Fr. G. bückt sich spontan und beginnt Unkraut zu jäten, dieses wird in einen Abfallkübel gegeben (Anweisung von Fr. G.) ins Zimmer mitgenommen und mit einer Schere zerkleinert dieser Kompost, wie ihn Fr. G. nennt, wird wieder unter die Blumen auf der Dachterrasse gestreut. Fr. G. freut sich über die getane Arbeit und meint „do muass i bold wieda weita orbeitn“ „es war am Abend alles zu ihrer Zufriedenheit, keine negativen aggressiven Äußerungen“.


Recommended