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Eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf eine Welt (one world)

Date post: 28-Mar-2016
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Die Demokratie demokratisieren – Gemeinwohl (Gemeinsames), Migration, Gleichheit
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EINE ALLGEMEINE PHILOSOPHIE DER ÖFFNUNG AUF EINE WELT (ONE WORLD) DIE DEMOKRATIE DEMOKRATISIEREN GEMEINWOHL (GEMEINSAMES), MIGRATION, GLEICHHEIT Marie-Claire CALOZ-TSCHOPP Programmdirektor, Collège International de Philosophie, Programm 2010-2016 : Exil, création philosophique et politique, (Paris, Genf) ; Mitglied von Solidarité Sans Frontières (SOSF), Bern. Graziella DE COULON Mitglied der Coordination Asile, Migration Vaud, Co-Präsidentin von SOSF, Bern. Christophe TAFELMACHER Rechtsanwalt, Mitglied von SOS-Asile Vaud und der demokratischen Juristen der Schweiz, Lausanne.
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Page 1: Eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf eine Welt (one world)

EINE ALLGEMEINE PHILOSOPHIE DER ÖFFNUNG AUF EINE WELT (ONE WORLD)DIE DEMOKRATIE DEMOKRATISIERENGEMEINWOHL (GEMEINSAMES), MIGRATION, GLEICHHEIT

Marie-Claire CALOZ-TSCHOPPProgrammdirektor, Collège International de Philosophie, Programm 2010-2016 : Exil, création philosophique et politique, (Paris, Genf) ; Mitglied von Solidarité Sans Frontières (SOSF), Bern.

Graziella DE COULON Mitglied der Coordination Asile, Migration Vaud, Co-Präsidentin von SOSF, Bern.

Christophe TAFELMACHERRechtsanwalt, Mitglied von SOS-Asile Vaud und der demokratischen Juristen der Schweiz, Lausanne.

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Dieser Text ist sowohl die Synthese einer langen Forschungsarbeit als auch kollektiver Reflexion, ausgelöst durch die gegenwärtige Konjunktur. Wir danken allen Personen in der Schweiz und weltweit, die durch ihre Arbeit, Erfahrung und Kompetenz einen Beitrag dazu geleistet haben.

Genf, Lausanne, Oktober-Dezember 2011

Übersetzung: Ingeborg Schwarz

Gestaltung: Stéphanie Tschopp: [email protected]

Creative Commons Fotosp. 3 : Trees iPhone Wallpaper, The Pug Father – p. 7 : Roots, Christopher Woo – p. 10 : Tree & Fence, Naama – p. 15 : Trees in Frozen Lake, Emilie Bremmer –p. 23 : Anthropomorphic Toots, Mike DelGaudio – p. 41 : Bark Beetle Burrows, Vik Nanda – p. 57 : Fancy Bark, Applesnonions – p. 81 : Roots, Waka Jawaka

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Wir widmen diesen Text Drei jungen Männern

Die im Lauf ihrer Ausschaffung Durch die Schweizer Polizei

gestorben sind

Khaled ABUZARIFEH, Joseph Nduaku CHAIKWA

Samson CHUKWU

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« Etwas ist faul im Staate Dänemark ».

Shakespeare, Hamlet, Akt 1, Szene 4, 90

« Dieses Übel hat so wenig etwas mit den uns aus der Geschichte bekannten Übeln von Ünterdrückung, Tyrannei oder Barbarei zu tun, dass es sogar nur möglich war, weil es keinen unzivilisierten Flecken Erde mehr gibt, weil wir, ob wir wollen oder nicht, in der Tat in einer Welt leben. Nur weil die Völker der Erde trotz aller bestehender Konflikte sich bereits als ein Menschengeschlecht etabliert haben, konnte der Verlust der Heimat und des politischen Status identisch werden mit der Ausstossung aus der Menschheit überhaupt ».

Arendt Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Band II, S.614, Piper, 10. Auflage 2005

« Denken, das heisst bereits verändern. Eine Tatsache denken, heisst bereits eine Tatsache verändern. Denken heisst widerstehen. Gemeinsam denken, heisst sich die Mittel geben, um sich gemeinsam zu ändern ».

Colette Guillaumin, Groupe de Genève, Violence et droit d’asile en Europe , 1985.

« Begreifen bedeutet, sich aufmerksam und unvoreingenommen der Wirklich-keit, was immer sie ist oder war, zu stellen und entgegenzustellen ».

Arendt Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Band 1,Piper München Zürich, S.25

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INHALTSANGABESTATUS DES TEXTES UND SCHLÜSSELWORTE, THEMENÜBERSICHT

EINFÜHRUNGUniversalität der Migration, Enteignung des Gemeinwohls (des Gemeinsamen) Demondialisation

ERSTER TEILDrei Orientierungen für die Praxis : Gleichheit, Revolution, Mobilisierung der Zivilgesellschaft1. WAS IST GEMEINSAMES/GEMEINWOHL ? WAS IST GLEICHHEIT ? Die Aneignung der universellen Gemeingüter « Das Recht Rechte zu haben » (Hannah Arendt) Das Recht und über das Recht hinaus, der Horizont der Gerechtigkeit

2. WAS HEISST REVOLUTION VERSUS MIGRATION ? Apartheid oder ein auf Gleichheit gegründeter Pakt des Gemeinwohls Nationalismus und Überfremdung : die Grundpfeiler der Apartheid Zielgerichtete Fokalisieung auf vermutete Interessen: Verwirrung, Entzweiung,

Verlust des Gemeinwohls

3. EINE FÜR ALLE OFFENE UNENTGELTICHE BILDUNG ( 2012) UND EINE BREITE UND EINHEITLICHE (UNITAIRE) MOBILISIERUNG DER ZIVILGESELLSCHAFT : ÖFFENTLICHES ALLGEMEINES FORUM 2012-2013

ZWEITER TEILEine allgemeine Philosophie der Öffnung auf eine (einzige) Welt (One World)1. TATSACHEN, FESTSTELLUNGEN, SCHWELLEN Von der Entmenschlichung zur Barbarei ist es nur ein Schritt

2. DEMILITARISIERUNG DER MIGRATION Polizei, Krieg oder demokratische Macht Eine auf Frieden basierende politische Anthropologie

3. FRAGEN ZU PARADIGMEN UND DER METHODE Für eine Änderung des Standorts und des Blicks

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DRITTER TEILVorschläge für 40, kurz-mittel und langfristige Massnahmen

Verfassung, Recht, Schwellen und Strukturen, Wissen und staatliche Mittel

KURZFRISTIGE MASSNAHMEN (2011-2012)

1. Zwölf (12) Massnahmen die Verfassung, das innerstaatliche Recht, das Völkerrecht, den ethischen Vorbehalt und die Migrationspolitik betreffend

2. Eine (1) Massnahme zur Mobilisierung im öffentlichen Raum um einen auf Gleichheit basierenden Pakt des Gemeinwohls wiederzugründen (2012)

3. Eine (1) Massnahme die Forschung und Bildung betreffend Forschungsprogramm Galileo : Gerechtigkeit, Hospitalität

(Gastfreundschaft) und Gleichheit

KURZ-MITTEL UND LANGFRISTIGE MASSNAHMEN (2012…)

1. Neun (9) Massnahmen zur Veränderung des Staates und der Souveränität. Vorrang der Gerechtigkeit, der Hospitalität (Gastfreundschaft) und der Gleichheit

2. Acht (8) Massnahmen zur Demokratisierung des sozialen Lebens, der Wirtschaft, des Arbeitsrechts,

der Grundrechte und zum Schutz der Gehälter

3. Neun (9) Massnahmen zur Schaffung eines neuen Paradigma’s der Informationspolitik

Notwendigkeit neuen Wissens. Von der Quantität zur Qualität.

SCHLUSSWORT WELCHE GEGNER ? WELCHER VERRAT ?WELCHE HERAUSFORDERUNG ?ODER DIE KUNST MIT DEM TEUFEL ZU TISCH ZU SITZEN

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STATUS DES TEXTES

Die vorliegende globale philosophische Reflexion wurde anlässlich der Konsultation des eidgenössischen Justiz und Polizeidepartements (DFJP) (Oktober, November 2011) über die Lage der Personen ohne rechtliches Statut und das Asylrecht in der Schweiz verfasst. Die Freiheit der Meinungsäusserung, des Denkens und der Aktion hat unsere Reflexion geleitet. Sie ist nicht auf wahlbedingte Dringlichkeiten, den Rythmus der Medien, Meinungsumfagen und technische oder strikt rechtliche Fragen beschränkt. Ihr Feld ist der Konflikt zwischen Alleingang und Öffnung. Der Aufbau des politischen Europa beschränkt sich nicht nur auf « Schengen »–1 und Personenfreizügigkeit ohne Begleitmassnahmen. Die Krise lehrt uns, dass die Debatte über Europa auf einer neuen Basis wieder aufgenommen werden muss. Ohne hier die europäische Politik zu untersuchen, formulieren wir von unserer Arbeit ausgehend einige Schwerpunkte. Unsere Reflexion zielt auf eine Standortänderung des Blicks, der Leidenschaften und der Energien ab.

Die hier dargelegten Überlegungen und Vorschläge sind das Ergebnis von Forschung und der sozialen Bewegung. Die betreffenden Forschungsarbeiten wurden an den öffentlichen Universitäten von Genf, Lausanne und der Eidgenössischen Technischen Hochschule Lausanne (EPFL)–2 sowie in Louvain und in Lateinamerika durchgeführt. Sie sind inspiriert von interdisziplinären, internationalen akademischen Forschungsarbeiten, an denen Wissenschaftler, Beamte des öffentlichen Dienstes (Ärzte, Sozialarbeiter, Rechtsanwälte, Lehrer, Polizisten, Wissenschaftler etc.) beteiligt waren, sowie Angestellte des Privatsektors, Bürger und Bürgerinnen, Flüchtlinge und Asylsuchende.

Im Zuge dieser und vieler anderer Forschungsarbeiten–3 sind in den letzten 30 Jahren konkrete und öffentlich zugängliche Vorschläge zum Thema Migration in der Schweiz und anderswo gemacht worden. Leitfaden unserer Reflexion war der Widerstand auf den man stösst, wenn es um die Wahrnehmung der Realität der Migration, das Bestreben sie in ihrem Reichtum zu begreifen geht, sowie der Konflikt zwischen Abschottung und Öffnung. Inspiriert haben uns das Ideenkapital und die aus Erfahrung geborenen Erfindungen (Refugien, Verteidigung der Rechte Schritt für Schritt), die Bürger/innen seit den achtziger Jahren auf diesem Gebiet angesammelt haben. «Flüchtlingspolitik am Ende?» haben wir uns schon vor fast 30 Jahren – 1982 - gefragt!–4

In einer Periode der Unsicherheit, der Krise und des Kriegs, ist zum ersten Mal eine Bundesrätin, Mitglied der sozialistischen Partei, von der Bundesversammlung, beiden Kammern des Schweizer

1–Caloz-Tschopp Marie-Claire, Fontolliet M., Europe. Montrez patte blanche. Les nouvelles frontières du « laboratoire Schengen », Vorwort von Prof. Lode Van Outrice, Europäisches Parlament, Genf, Ed. CETIM.

2–Caloz-Tschopp Marie-Claire, « Colère, Courgae, Création politique. Questions pour une recherche » in Caloz-Tschopp M.C. (Dir.) Colère, Courage et Création politique. La théorie politique en action, Paris, l’Harmattan, 2011, 7 Bände

Caloz-Tschopp Marie-Claire, « Scientic Diasporas, Migration and Development. A Perspective from Philosophy and Political Theory », Tejada Gabriela, Bolay Jean-Claude (Hsg), Scientific Diasporas as Development Partners, Peter Lang, Bern, 2010, S. 3-21, Übersetzt ins Französische: Diasporas scientifiques, migration, développement à la lumière de la philosophie et de la théorie politique; http://cooperation.epfl.ch/ScientificDiasporasNetwork

Caloz-Tschopp Marie-Claire, Pour défendre la Convention internationale sur la protection des droits de tous les travailleurs migrants et des membres de leur famille : refonder la politique et les droits, UNO Menschenrechtsrat, UNO/ILO, http://www2.ohchr.org/english/bodies/cmw/roundtable.htm.

Caloz-Tschopp M.C., Dasen P (Dir.) (2007), Mondialisation, Migration et Droits de l’Homme/Un nouveau paradigme pour la recherche et la citoyenneté, Bruxelles, Ed. Bruyland, 526 Seiten (Band 1), im Rahmen einer Forschung des RUIG (siehe Webseite)

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Parlaments, auf den schwierigen Posten der Leitung des DFJP ernannt worden. Dies wirft eine Frage auf die auf der Höhe der Herausforderungen steht! Ist das Barometer der Meinungsumfagen ein Messinstrument gerechter Gouvernanz ? Ist es möglich persönliches Engagement und eine öffentliche Polizeifunktion zu vereinbaren ? –5 Ein hohes öffentliches Amt ist für uns alle ein wichtiges Merkmal der Kohärenz, der Klarheit des Engagements was die Weitsichtigkeit, den Mut, die Verantwortung und die kollektive Innovation betrifft. Die offizielle Tätigkeit seines Inhabers wird im kollektiven Gedächtnis der Schweizer, der europäischen und internationalen Geschichte eingeschrieben bleiben.

Was uns letztendlich motiviert hat, war das Bedürfnis nach Reflexion, das von verschiedenen Seiten der sozialen Bewegung, Studenten, Arbeitnehmer/innen, Bürgerinnen und Bürger und Flüchtligen die in Konflikten, Unsicherheit, Zorn und Empörung leben, geäussert worden ist. Müdigkeit, die Beinträchtigung der Arbeitsmotivation und auch Zorn und Verzweiflung sind Zeichen, die nicht unterschätzt werden dürfen.

Unser Text kann ein Gefühl der Diskrepanz zwischen Reflexion und den Ungewissheiten, den Zwängen der beruflichen Praxis und des täglichen Lebens hervorrufen. Ein derartiges Unbehagen ist jedoch jeder kritischen, kreativen Reflexion eigen, zu der wir alle einladen.

Wir sind keinesfalls ohnmächtig angesichts einer Aufgabe, die enorm erscheinen kann. Sie ist in unserer Reichweite, da sie den in uns vorhandenen Wunsch und die Hoffnung nach Änderung betrifft. Krisenzeiten sind positiv, da sie erlauben Dinge zu klären und zu handeln. Es ist möglich seinen Blick, seine Gewohnheiten zu ändern. Es ist möglich, gemeinsam zu denken und auch Freude daran zu haben. Unser Text soll einzeln gelesen werden und gemeinsam im Frühling anlässlich einer Bildungsveranstaltung, die wir vorschlagen (siehe Annex) diskutiert werden.

3–Auf die das Schweizer Migrationsforum der Universität Neuenburg Bezug nimmt, sowohl was Schweizer als auch europäische Forschungsarbeiten betrifft, insbesondere die der Vereine TERRA und MIGREUROP in Paris.

4–Caloz-Tschopp Marie-Claire, Flüchtlingspolitik am Ende ? Von den politischen Flüchtlingen zu den « neuen » Flüchtlingen, Zürich, Hsg. Gegenverlag, 1982; Le Tamis helvétique. Des régiés politiques aux «nouveaux» réfugiès, Lausanne, Hs. Editions d’en bas, 1982.

5–Diese Fragen sind öffentlich vom früheren Bundesrat G.O. Segond gestellt worden.

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2–Caloz-Tschopp M.C. (2004): Parole, pensée, violence dans l’Etat, une démarche de recherche (Band I) ; Contraintes, dilemmes, positions des travailleurs du service public, entretiens (Band II) ; Le devoir de fidelité à l’Etat entre servitude, liberté et (in)égalité (Band III), Paris, Edition l’Harmattan.

Caloz-Tschopp M.C., Dasen P., Spescha F., Eds. (2005). L’action « tragique » des travailleurs du service public. Actes du colloque international de Genève 15/16/17 septembre 2004, Paris, l’Harmattan.

Caloz-Tschopp Marie-Claire, Clévenot Axel, Tschopp Maria-Pia, Eds. (1994). Asile, Violence, Exclusion en Europe. Histoire, analyse, prospective, Genève, co-éd. Cahiers de la Section des Sciences de l’Education der Universität Genf, Groupe de Genève « Violence et Droit d’asile en Europe », 463 Seiten.

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ZUSAMMENFASSUNG

ZUSTAND DER UNSICHERHEIT, DER ZWEIDEUTIGKEITEN, DER KOLLUSION, ABER DENNOCH EINE WAHL (ENTSCHEIDUNG) TREFFEN

Wir erleben heute eine neue Etappe der « Krise » und neuer Spannungen zwischen Abschottung und Öffnnung. Wir brauchen eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf Eine Welt die dem Zeitgeist widerstehen kann, die die Gewalt und die Widersprüche der Politik verarbeiten und das Leben in Gemeinsamkeit wiedergründen kann. Die Philosophie ist Sache eines jeden, der sozialen Bewegung, der Fahrenden, der Künstler, der Arbeitnehmer/innen, des Staats, der Forschung, der Erziehung und des öffentlichen Dienstes. Es zu akzeptieren in einem Zustand der Unsicherheit, der Zweideutigkeiten–6, der Kollusion das Thema Ambivalenz zu bearbeiten heisst zwischen Abschottung und Öffnung, zwischen Apartheid und dem auf Gleichheit gegründeten Gemeinpakt zu wählen. Die Schweiz, die versucht ist die schlimmste Lösung zu wählen, könnte zu einem Labor innovativer Politik für Europa werden.

Was im Bereich der Migration geschieht, geschieht auch in anderen Bereichen. Die Ungleichheit vor dem Leben und dem Tod, die Beziehung zur Natur, die Ressourcen unseres Planeten–7, die Kluft zwischen den Lebensbedingungen von Milliarden Menschen wird unermesslich gross. Der mangelnde Zugang zu Wasser, Land–8, Werkzeugen, Nahrung und Unterkunft in der Schweiz und für 6.3 Milliarden Menschen (70% der Weltbevölkerung) in Städten weltweit (Afrika, Indien, Chile etc, 1 Milliarde Menschen lebt in Slums), sowie zu gesundheitlicher Versorgung, Arbeit, Bildung, Transport, Erhaltung der Umwelt etc. bestimmt die menschliche Kondition in diesem beginnenden 21. Jahrhundert.

Wenn man die Ursachen der Migration betrachtet, so sind die Lebensbedingungen der offiziell deklarierten 214 Millionen Migranten/innen (2010) wie ein Prisma, das einem erlaubt die Tiefe der « Krise » auszuloten. Wir stehen vor der Herausforderung, ein neues Paradigma des Lebens in Gemeinsamkeit zu erdenken.

Die gegenwärtige Etappe der Globalisation ist eine unruhige und schmerzhafte Epoche, in der wir in einer Atmosphäre der Verwirrung, der Unbestimmtheit, der Zweideutigkeit, sogar der Kollusion

6–Das Konzept der Zweideutigkeit (Simone de Beauvoir entnommen), siehe Bleger José, Symbiose und Zweideutigkeit, Paris, PUF, 1967

siehe auch Amati-Sas Silvia, «La interpretación en lo transsubjectivo. Reflexiones sobre la ambigüedad y los espacios psiquicos», Revista de psicoanalisis, Buenos Aires, 2000.

7–Nach den Berechnungen der kalifornischen NGO Global Footprint Network (GNF), haben im Jahr 2011, 270 Tage den Erdbewohnern ausgereicht um die jährlichen Ressourcen der Erde zu konsumieren. In 10 Monaten sind die Ressourcen unseres weltweiten Budgets erschöpft worden. Jedes Jahr überschreiten die Menschen früher die Grenze der verfügbaren Ressourcen und leben sozusagen auf Kredit. Das GNF veröffentlicht jährlich einen Indikator: den ökologischen Abdruck von Milliarden Menschen. Dieser Indikator ist eine wertvolle Information, obwohl die Verlässlichkeit der Methodologie noch zu überprüfen ist.

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leben. Das Kamäleon ist das Tier unserer Zeit. In den Beziehungen zwischen jenen, die einen Schweizer Pass haben und jenen, die man « Ausländer » nennt, herrscht Apartheid, ist Gewalt allgegenwärtig, wird Mord banalisiert und werden die Grenzen der Zivilisation in Akten überschritten, die eine minimale Ethik in Frage stellen. Es ist absolut nötig, die gegenwärtige Realität zu verstehen um umsichtig und zukunftsorientiert handeln zu können.

Es passiert uns manchmal in der Schweiz, dass wir von Revolution träumen. Wenn die Ungerechtigkeit, der Hass, der Neid, Ressentiments, Zynismus und die Gewalt Zorn und Erstaunen hervorrufen, so erwacht der Wunsch nach Revolution. Heute bedeutet Revolution die Weigerung sich zurückzuziehen. Sie ist der Wunsch Neues zu denken, zu sehen und zu begreifen was vor sich geht, um handeln zu können. Wenn es, nach Rosa Luxemburg, eine permanente Revolution gibt, so findet sie entlang der Achsen von Gemeingut, Gerechtigkeit, Hospitalität und Gleichheit statt. Angesichts der Irrationalität der Globalisation, geht es in unserer tragischen Kondition darum, die individuelle und kollektive Autonomie und die Selbstbeschränkung (Cornelius Castoriadis)–9 miteinander zu vereinbaren, und zu diesem Zweck die « Demokratie zu demokratisieren » (Etienne Balibar)–10.

Weigern wir uns die Pandorabüchse zu öffnen, die uns die Schweizer Volkspartei (SVP) and andere hinhalten, um uns vom Wesentlichen abzulenken. Weigern wir uns jenen zu folgen, die der SVP folgen. Weigern wir uns, uns zu entzweien und zu schwächen. Weigern wir uns, uns auf das vermiente Terrain des Marktes, des Krieges–11, des Hasses und der Banalisierung der Gewalt zu begeben. Auf die Gefahr hin nicht zu sehen, was uns wirkich Angst machen sollte. Akzeptieren wir es, unsere eigenen Zweideutigkeiten, Schwächen, Kollusionen, unsere Wünsche und Leidenschaften wahrzunehmen.

Praktische Übungen : 1. Sprechen wir von Migrationspolitik und nicht länger von « Ausländerpolitik », einem Begriff aus dem 19. Jahrhundert. Er hat unsere Vorurteile genährt, und unsere Mentalität dans ganze 19. und 20. Jahrhundert hindurch belastet. 2. Sprechen wir von den materiellen Existenzbedingungen der in der Schweiz, inmitten Europa’s und der Welt lebenden Bevölkerung. Jede Integrationspolitik much sich davor hüten eine zweigeteilte Gesellschaft zu etablieren, Menschen zu kriminalisiern, ihre Rechte abzuerkennen, sie aus dem politischen Rahmen und der gemeinsamen Welt auf unserem Planeten auszustossen ohne zu bedenken, was sie zur Migration veranlasst hat.

Der Gemeinwohlpakt, Sockel einer möglichen Politik, kann auf das gegründet werden was Hannah Arendt « das Recht Rechte zu haben » genannt hat, das heisst den gleichen Zugang zu politischer

8–Nach den Angaben von Oxfam, gehören die landwirtschaftlichen Böden immer weniger kleinen Produzenten, die zur Migration gezwungen werden. Seit 2001 sind 227 Millionen Hektar, d.h. die Fläche Europas, in den Dritte Welt Staaten verkauft oder vermietet worden, vor allem an internationale Gruppen. Der Grossteil dieser Böden wird nicht bebaut, sondern dient hauptsächlich der Spekulation. Man könnte auch das Wasser erwähnen etc. Die polizeiliche Logik, mit derzeit Fragen der Migration angegangen werden, blendet die Ursachen der erzwungenen Migration aus.

9–Siehe insbesondere L’institution imaginaire de la société, Paris, Seuil, 1975 und Sur le Politique de Platon, Paris, Seuil, 2010

10–Balibar Etienne, Citoyen sujet et autres essais d’anthropologie philosophique, Paris, PUF, 2011.

11–Tosel André, « Mettre un terme à la guerre infinie du monde fini » », Caloz-Tschopp M.C. (Dir.), Colère, Courage et Création politique, Paris, l’Harmattan, 2011, Band 1, S. 129-163.

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Zugehörigkeit, zum Schutz durch wirtschaftliche, politische und soziale Rechte und öffentliche Schutzleistungen.

Der vorliegende Text liest sich, wie in der Inhaltsangabe gezeigt, auf verschiedenen Ebenen. Im ersten Teil, stellen wir drei Orientierungen für die Aktion vor : Gleichheit, Revolution, und Mobilisierung der Zivilgesellschaft : 1) Was ist Gemeinsamkeit/Gemeingut ? Die Aneignung der universellen Gemeingüter. Was ist Gleichheit ? Der Sockel des « Recht’s Rechte zu haben » ; das Recht und über das Recht hinaus ; 2) was heisst Revolution versus Migration ? die Wahl zwischen Apartheid und dem Gemeinsamen umgesetzt in einen auf Gleichheit gegründeten Pakt ; 3) Aufruf zu einer breiten Mobilisierung der Zivilgesellschaft.

Im zweiten Teil wird eine allgemeine Philosphie der Öffnung auf Eine Welt (One World) vorgeschlagen. Sie vereint das Gemeinsame, Migration und Gleichheit. Ausgehend von Tatsachen, Feststellungen, Schwellen der Humanisierung, geht es hier darum, die Migration zu demilitarisieren und demokratische Macht durch eine zu rekonstruierende Volkssouveränität wiederzuerlangen. Diese Philosophie ist an eine politische Anthropologie des Friedens gebunden, die ihre Beziehung zur Kolonisation der Natur, und der Kolonisation von Völkern durch andere Völker revidiert. Weiters werden Fragen nach dem Paradigma, der Methode und des Umfelds für eine öffentliche, qualitätsvolle Aktion formuliert.

Im dritten Teil schlagen wir 40 sofortige, mittel und langfristige Massnahmen vor. Dieser Massnahmenkatalog ruft zu einer Wiederaneignung der globalen Phantasie und der Ablehnung eines Denkens der Fragmentation, der Zerstörung auf. Der Katalog ist offen. Die Vorschläge betreffen Aktionen, die sofort durchgeführt werden können und eine Änderung der Gesellschaft und des Staates betreffen. Sie schliessen einander nicht aus und es ist Platz für andere Ideen. Der Text erinnert unter anderem an Vorschläge, die bereits in den achtziger Jahren formuliert worden sind, und in den neunziger Jahren den eidgenössischen Autoritäten und dem Parlament vorgelegt worden sind, die aber bis heute toter Buchstabe geblieben sind.

Der Schlussteil ist eine Synthese dreier Fragen : Welche Gegner ? Welcher Verrat ? Welche Herausforderung ? Oder die Kunst mit dem Teufel zu Tisch zu sitzen.

Die einzige philosophische, politische Frage, die uns heute gestellt ist ist vielleicht die folgende : wie ist es möglich nicht dem Ruf des Todes nachzugeben, sich nicht auf das Terrain des Hasses, des Krieges zu begeben und sich nicht verblenden und entfremden lassen? Wie sich eindeutig für das Leben entscheiden, dafür zu

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kämpfen, und gegenwärtig sein in dieser Welt, in der wir von unserer Geburt bis zu unserem Tod leben (Hannah Arendt) ?

Dieser Text ist ein Lob der Langsamkeit und eines öffentlichen Raums, der offen ist für Ideenreichtum und einen von Phantasie und Urteilsvermögen getragenen Dialog. Keine Flucht mehr nach vorn–12. Holen wir uns die gestohlene Zeit zurück, den auf den Ausdruck « trauriger Leidenschaften » (Spinoza), auf Slogans, auf die schändlichen Bilder der Propaganda, auf « Zap » und « Klick » und auf die Meinungsumfragen der Spektakelgesellschaft reduzierten Raum, um über Klassen- und Zivilisationskonflikte nachzudenken und unsere Kapazität zur Aktion, Urteilsvermögen und Schöpfung zu entwickeln.

Dieser Text ist auch ein Lob der Bedachtnahme auf Ereignisse und die lange Zeit, die jede kritische Reflexion braucht. Hat nicht der Schriftsteller Vassilis Alexakis, als er zu einer philosophischen Reflexion aufrief, bezüglich Griechenland gesagt : «…es heisst um jeden Preis die Unbeirrbarkeit (impassibilité) zu bewahren. Wir haben gegenwärtig eine grossen Bedarf an Unbeirrbarkeit »–13 In einer Zeit, wo jedermann dem Stress unterworfen ist, wo uns die Regeln der Kommunikation einen zügellosen Rythmus aufzwingen, wo formatierte Worte (mots-valises) die Sprache verarmen und das Denken verwirren, wo die Nov-Sprache den Diskurs korrumpiert–14, die Propaganda die Bilder manipuliert indem sie die Wörter vertreibt, ist es dennoch möglich Unbeirrbarkeit zu lernen, sich Zeit zu nehmen, genauer hinzuschauen, und bei Worten, Ideen, Tatsachen und Praktiken anzuhalten.

12–Diesbezüglich Debout sur le Zing, La Fuite en avant, anhören, Musicast, Distr. Disques Office

13–Le Monde, 11.11.2011.

14–Siehe diesbezüglich z.B. Duch LLuis, Chillón Albert, «La corrupción des discurso», El País, 4.11.2011.

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EINFÜHRUNG

UNIVERSALITÄT DER MIGRATION, ENTEIGNUNG DES GEMEINSAMEN, DEMONDIALISIERUNG

Die Migration von Personen, von Ideen ist ein Thema, das zu wertvoll ist um als Instrument vereinfachender Propaganda, als Instrument des Krieges, der Polizei, der Gefährdung der öffentlichen Freiheiten verwendet zu werden. Europa ist eine politische Frage, die zu wertvoll ist um im Alleingang erschöpft zu werden, oder auf die Schengenzone und Personenfreizügigkeit ohne Begleitmassnahmen reduziert zu werden. Hospitalität, Gleichheit und das Gemeinwohl sind Fragen, die zu wertvoll sind um aus den Wünschen und dem kollektivem Gedächtnis gelöscht zu werden.

Diese essentiellen Fragen für die Zukunft der Schweiz, Europas und unseres Planeten sind von den Populisten–15 manipuliert worden, Populisten die den Ultra-Liberalen gegenüber sehr entgegenkommend sind. Letztere preisen eine « gewählte » Immigration um dem Mangel an hochqualifizierten Arbeitskräften abzuhelfen und preisen die unterbezahlte Schwarzarbeit der Migranten/innen. Die Manipulation, die Ausbeutung und der migratorische Utilitarismus sind äusserst gefährlich. Im Kontext der Krise verbergen sie das Gewicht der Abhängigkeit der Schweiz von der Welt. Die Migration, der Aufbau des politischen Europa und der auf Gleichheit gegründete Gemeinpakt sind in diesem Zusammenhang unumgängliche Themen. Seit den achtziger Jahren ist es diesen Kräfte des Rückzugs auf sich selbst und des Chaos gelungen eine ernsthafte, offene, vorausschauende und alternative Reflexion, die doch so notwending ist, zu hemmen.

Anders gesagt, die wiederholten Krisen des Kapitalismus und ihre gegenwärtige Verschärfung, die Krise des Staats und der Souveränitat erfordern ein Projekt für einen radikalen Umschwung, um einen auf Gleichheit gegründeten Gemeinwohlpakt, einen politischen Rahmen und die Selbstbegrenzung auf einem endlichen Planeten mit begrenzten Ressourcen neu zu definieren. Auf dieser Ebene findet man zugleich Empörung, Verblendung, kurzsichtigen Zynismus und Machtlosigkeit.

Lassen wir uns nicht in gewisse Fallen locken. Schildern wir anhand der Migration–16 den Niedergang des Staates, der Rechte, die verschiedenen Formen der Expropriation des Gemeinsamen um uns es wieder zueigen zu machen. Erinnern wir uns, dass unser Planet

15–Die Themen der Volksinitiativen der SVP sprechen für sich selbst : Verbot des Bau von Minaretten, automatische Ausweisung von ausländischen Straftätern, « Krieg der Währungen» mit der Inititiave zur «Rettung des Goldes der Schweiz», Opposition zum Schulharmonisierungsprojekt der 26 Kantone, die Massenimmigration stoppen und Wiedereinführung der Ausländerkontingente anstelle von wirksamen Begleitmassnahmen der Personenfreizügigkeit. Wo sind Vorschläge für wirkliche Massnahmen, die die Schweiz braucht um die Herausforderungen, denen sie sich stellen muss zu meistern?

16–Die Frage Europa’s würde für sich allein eine Reflexion wert sein, aber wir können sie nicht ernsthaft in diesem Papier angehen. Wir beginnen jedoch bereits hier uns von den Kategorien des «Nationalen» und des von Carl Schmitt geprägten Freund-Feind Bildes zu lösen, das sowohl die nationale als auch internationale Politik charakterisiert.

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während der Phase der imperialistischen Globalisation an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, Zeuge der Migration von mehr als 30 Millionen Personen, von enormen Kapitalströmen und Kriegen war. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts machten Migranten/innen in der Schweiz bereits 20% der Bevölkerung aus. Seit den achtziger Jahren sind wir Zeuge einer neuen Phase der Internationalisierung und Konzentration der Produktivkräfte und transnationalen Finanztransaktionen–17.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kristallisieren zwei Personengruppen die Konflikte auf der Ebene der Ausbeutung und der Ausweisung, obwohl sie zentral für den Arbeitsmarkt, das Überleben und die Bürgerlichkeit sind: Frauen und Migranten. Millionen von Migrantinnen leben die Kondition der Ausbeutung von ihrer Geburt bis zum Tod, von ihren Herkunftsländern bis zu ihrem erlaubten oder illegalen Aufenthalt im Gastland, in der Schweiz, und in ihrer Verbindung mit ihren zu Hause gebliebenen Kindern, mit den Diasporas der Welt. Nach der Arbeiterklasse des industriellen Kapitalismus, die Marx beschrieben hat, stellen die Migrantinnen und Migranten, gemeinsam mit den Prekären, den frei arbeitenden Kulturschaffenden (intermittents), die Figur des neuen Proletariats, der neuen globalisierten Arbeiterklasse dar.

Um die Migration zu verstehen, muss man sich zuerst einmal fragen, warum die Bauern der rohstoffreichen Staaten des Südens arm bleiben–18 und warum Menschen (Frauen, Kinder, Männer) ihr Land, ihr Haus, ihre Familie, ihre Freunde etc. verlassen. Man muss beobachten, wie es ihnen ergeht. Man muss die Verhandlungen um Rohstoffe analysieren, die Plünderung und die Zerstörung der weltweiten Ressourcen, die Kriege (Vietnam, Ex-Jugoslawien, Afghanistan, Grosses Seengebiet in Afrika, Sudan, Irak, Lybien…), die Neuorganisation des weltweiten Arbeitsmarkts, das Gehälterdumping und die Entindustrialisierung. Es geht darum zu verstehen was die Präsenz, die Schädlichkeit der multinationalen Kräfte in unseren Regionen gemein hat mit der weltweiten Ressourcenplünderung.

In Europa selbst sollte man sich zum Beispiel für die Lebensbedingungen der Bauern, der Landarbeiter, für ihre Arbeitsbedingungen in der industriellen Landwirtschaft im Mittelmeerraum und in der Schweiz–19 interessieren. Man sollte sich fragen, warum es in erster Linie marokkanische Frauen sind, die die Erdbeeren pflücken, die wir essen und die aus Spanien–20 kommen. Man sollte die Forderungen der Frauen kennen, die am Fliessband in den Treibhäusern der Betriebe arbeiten, die in Spanien, Italien, Tunesien, in der Türkei die landwirtschaftlichen Produkte für unsere Supermärkte verarbeiten. Man müsste zugeben, dass die intensive Landwirtschaft auf Kosten der Natur betrieben wird (Erschöpfung

17–Eine vor kurzem durch-geführte Untersuchung der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETHZ) über die Architektur des Netzweks des internationalen Eigentums widerlegt den Glauben der klassischen Wirtschaft in die « Neutralität » der Eigentum-skonzentration. Sie enthält wichtige Informationen. Ausgehend von Orbis 2007, einer Datenbank von mehr als 37 Millionen Unternehmen, die sich etwa 13 Millionen Eigentumsverbindungen in 194 Staaten teilen, haben die Forscher 43.060 transnation-ale Unternehmen gefunden die aufgrund gekreuzter Inhabung von Aktien in enger Beziehung zueinander stehen. Ein Kern von 1318, mehr verschachtelten Einheiten, besitzt gemeinsam 60% der industriellen Produk-tion (reale Wirtschaft). Die Studie zeigt die aussergewöhn-liche Konzentration der weltweiten wirtschaftlichen Macht, die in der Hand von 147 Firmen, von denen ¾ zur Finanzindustrie gehören, liegt. Der Komplex der 147 ineinander verschachtelten Mega-Firmen, d.h. 1%der Fir-men, kontrollieren etwa 40% des Reichtums des gesamten Netzwerks transnationaler Firmen. Die Operationen, die im Rahmen dieser Architektur getätigt werden, sind weder spontan, noch natürlich, noch entsprechen sie Selbstreug-lierungsmassnahmen des Marktes, sondern es handelt sich um eine bewusste Entsc-heidung von Akteuren, denen die Stabilität gleichgültig ist…..solange sie Gewinne erzielen. Die Forscher unterstreichen, dass dieses Geflecht eine Gefahr für die Stabilität des globalen Markts und für die Demokratie darstellt.

Siehe Vitali S. et.al, The network of global control, ETH, 28. Juli 2011.

18–Siehe diesbezüglich das Buch der Deklaration von Bern über den Rohstoffhandel ; Deklaration von Bern, Swiss Trading SA, Lausanne, Ed. d’En bas, 2011 (auf Französisch und Deutsch)

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des Grundwassers, der Böden, Missachtung der Diversität), dass sie die Gesundheit der Arbeiter gefährdet, die keinerlei soziale Rechte haben und skandalös niedrige Gehälter bekommen (5 Euro Tageslohn in Marokko) etc. Die Früchte und das Gemüse, das wir in den Supermärkten kaufen, hat einen bitteren Geschmack –21.

In der gegenwärtigen Phase der Globalisierung und ihrer Herausforderungen (begrenzte Ressourcen, Gewalt ohne Ende, enorme Ungleichheiten–22, Entindustrialisierung in unseren Regionen, Verschuldung) ist die Migration zu einem universellen menschlichen, wirtschaflichen, sozialen, kulturellen Faktor hier und anderswo auf der Erde geworden. Im 21. Jahrhundert betreffen die Migrationsströme in vielerlei Aspekten jeden von uns. Wo immer wir uns auch befinden auf diesem Planeten, Bewegung die in unserem Körper, Kopf und Füssen zu Hause ist, macht jeden Menschen aus. Wenn die Bewegung in den Arbeits-und Machtbeziehungen zur gezwungenen Mobilität wird, immer brutaler wird, so raubt sie den Menschen Leben und Kraft.

Wenn wir in diesem beginnenden 21. Jahrhunderts wahrgenommen werden und Rechte ausüben wollen, müssen wir die Tatsache zur Kenntnis nehmen, sie beschreiben und evaluieren, dass die Migrationsbewegungen weder auf eine erzwungene wirtschafliche Mobilität, noch eine utilitaristische und ungleiche Freizügigkeit (des Kapitals, der Güter, der Arbeitnehmer), noch auf einen Kult des Herumirrens der transnationalen Eliten, noch einen touristischen Nomadismus reduziert werden kann.

Die reiche und komplexe Realität der Migration als weltweite Existenzbedingung von Millionen von Menschen, die einen Zugang zur Politik, Schutzmassnahmen und Rechten fordern, wird vielfach negiert. Die Migration erfordert eine Emanzipation vom neoliberalen, freihändlerischen wirtschaftlichen Denkens, das die Erfahrung der Migration auf die Zirkulation eines Wirtschaftsfaktors in einem selbstregulierten Markt reduziert. Kann der grosse Reichtum des menschlichen Lebens auf der Erde von der Geburt bis zum Tod auf das reduziert werden? Welches Gemeingut ist expropriiert worden, sodass die Modernität die vitale Struktur der menschlichen Existenz – wie die der Natur auf einer anderen Ebene –auf eine Arbeitskraft, einen einfachen Faktor des Warenumlaufs, ein einfaches Ding, Tauschobjekt zwecks Gewinnerzielung, reduziert hat ?

Das Unwissen, die Verachtung, die Verneinung des Reichtums der menschlichen Kondition, die der Migrationsbewegung –die alles andere als eine einfache Zirkulation ist – entgegengebracht wird, und die gleichzeitige Förderung einer ungeregelten Mobilität der Arbeiter ohne soziale Rechte, zeigt die zynische Realität des migratorischen Utilitarismus–23, der Ausbeutung, der Prekarisation,

21–Duflot Jean, De Lampedusa à Rosarno. Euromirage, Villeurbanne, Ed. Golias, 2011.

22–20% der Weltbevölkerung verbraucht 80% der Ressourcen.

19–Ein internationales Solidaritätsnetzwerk mit den Bauern und Bäuerinnen und Landarbeitern/Innen im Mittelmeerraum ist im Aufbau und hat die folgenden Ziele :

1. Erhaltung und Förderung der bäuerlichen Landwirtschaft

2. Verteidigung der Rechte der Landarbeiter/Innen in der industriellen Landwirtschaft

3. Informationsaustasch bezüglich der sozialen Kämpfe und Initiativen für Projekte im ländlichen Raum,

4. Internationale Solidarität im Fall der Repression von sozialen Bewegungen und gegen Mitglieder des Netzwerks.

Weitere Informationen unter : www.forumcivique.org

20–Zeneidi Djemala, « De l’usage de la sexualité dans le managment de la migration de travail », L’espace politique, 13, 2011

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23–Was kosten und was bringen die Emigranten, fragt sich der algerische Soziologe A. Sayad in einem klassischen Text. Siehe Sayad A., «Coûts et profits de l’immigration», in Caloz-Tschopp M.C. Le devoir de fidelité à l’Etat entre servitude, liberté et (in)égalité, Paris, Editions l’Harmattan, S. 375-381.

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der Gefahr des Exils, einer Zivilisation von « Wegwerfmenschen » (poblacion chatarra, population poubelle)–24 im wirtschaftlichen und politischen System, das weltweit, auch in der Schweiz (14,5% der Bevölkerung sind dem Risiko der Armut ausgesetzt, die Zahl der verschuldeten Jugendlichen, junger Familien und alter Personen steigt) existiert.

Angesichts der Krise die sich auf den gesamten Planeten ausgedehnt hat, dient die Rhetorik der Invasion von Migranten/innen und die nationale Präferenz dazu, das Ausmass der Krise zu verdecken. Ob mit oder ohne legalen Status, die aussereuropäischen Arbeitnehmer – mehrheitlich Frauen – werden am meisten ausgebeutet und am wenigsten geschützt. Die Globalisierung des Arbeitsmarkts funktioniert mittels einer prekarisierten « Arbeiterreserve » (Marx) um die Löhne zu senken (CDD, illegale Einwanderer) und « wegwerfbaren » Arbeitern, die dazu verdammt sind, überflüssig zu werden. Diese Situation beunruhigt uns alle.

Sind wir letztendlich alle im Begriff ins Exil geschickt zu werden, unseres Lebens, unserer Existenz und auch der Welt beraubt zu werden, einer Welt, die uns zunehmend fremd ist und immer weniger lebenswert erscheint ? Diese Frage wirft eine andere auf, und es fällt uns schwer deren Radikalität zu erkennen : die « Expropriation des Gemeinsamen (Gemeinguts) »–25, von der der Philosoph Toni Negri spricht. Die Globalisierung hat die Menschen um ihre Verbindung zur Natur gebracht. Sie finden sich nackt, ihres Bodens (Landes) enteignet, ihres Samengutes, ihrer Werkzeuge, ihres Körpers, ihrer Nahrung, ihrer Arbeit, ihrer Gesundheit, ihres Denkens, ihrer Beziehungen und der begrenzt vorhandenen Gemeingüter auf diesem Planeten. Das ist die Forschungsfrage, die das Programm der Internationalen Schule der Philosophie (Collège international de philosophie) in Genf (Schweiz) stellt–26.

Die Opposition zwischen nationalen und nicht nationalen Arbeitern, zwischen Arbeitern des ersten und des zweiten Kreises – Werkzeug der Schweizer Polizei in den neunziger Jahren um den Zugang zum Recht auf Immigration in die Schweiz und die Europäische Union zu regulieren– ist einer der Grundpfeiler von Regeln, die die allgemeine Senkung der Löhne und sozialen Leistungen bezwecken. Er steht in einem System von Nationalstaaten, das sich um ein Europa der Polizei (Schengen), und um die Privatisierung der Verträge und der Aufgaben artikuliert, und das von multinationalen privaten Unternehmen, die der staatlichen Kontrolle entgehen, angetrieben wird.

Im 19. und 20 Jahrhundert ist, zugleich mit den Transportwegen (Tunnel, Strassen) und der Industrie, ein wahrhaftiges Apartheidsystem, das der Staat in der « Ausländerpolitik »

24–Ogilvie Bertrand (1995), « Violence et représentation. La production de l’homme jetable », Lignes, N. 26, S. 113-142.

25–Negri Toni, « Some thoughts on the use of dialectics », Transeuropéennes Archives, Paris,

www.transeuropéennes.eu/en/articles/315/Some_thougths_on_the_use_of_dialectics

26–Siehe die Webseite des Programms : www.exil-ciph.com

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institutionalisiert hat, aufgebaut worden. Im Fall der Schweiz haben das der Historiker Marc Vuillemier –27 und der Politologe Laurent Monnier –28 aufgezeigt. Die Apartheid ist Praxis und Vision einer geteilten, zweigleisigen und inegalitären Gesellschaft. Sie installiert die Vereinzelung, den Wettbewerb, die Gewalt, eine Verzerrung der Wirklichkeit, die Entmenschlichung der Beziehungen in der Bevölkerung eines bestimmten Gebietes, in der Schweiz, in Europa, in der Welt. Die Apartheid zeigt sich in den Mauern zwischen reichen und armen Regionen. Sie ist eine Glaswand der Diskriminierung von Menschen und auch in jedem einzelnen von uns selbst.

In der gegenwärtigen Phase der Globalisierung leiden die Schweiz und Europa, beide eingezwängt in Kategorien der Vergangenheit (Nation, Xenophobie, naturalisierte Prekarität, Kontingente, Statistiken etc.), an dem Symptom der « Ungleichzeitigkeit » von dem Ernst Bloch gesprochen hat und das wir heute total-liberale Apartheid nennen können.

Kurz gesagt, wir sind heute Zeugen des Versuchs eines wirtschaflich-politischen Modells, das den historischen Totalitarismus mit einem unbegrenzten Ultra-Liberalismus vereint und Spuren der totalitären Erfindung des 20. Jahrhunderts trägt, Hegemonie zu erlangen. Es handelt sich um einen Cocktail, der nationale Identität, Alleingang, Fremdenhass, der seine Wurzeln in der Politik der Überfremdung–29 Anfang des 20. Jahrhundert’s hat, Steuerflucht, Angriffe auf den Staat und das Recht–30 und die Manipulation der Volkssouveränität miteinander vermischt. Das ist das Programm der Schweizer Volkspartei (SVP/UDC), der Schweizer Grossunternehmer und der multinationalen Firmen (Industrie, Finanzen), deren fast vegessenes « Weissbuch » dennoch ein Prüfstein bleibt–31. Für diese Kräfte ist die Manipulation des Themas der Migration – wie übrigens auch das des Missbrauchs – ein trojanisches Pferd. Die Volkssouveränität ist ein schlechter Vorwand um eine grenzenlose Plünderung und Missachtung jeder gemeinsamen Regel zu verbergen –32 .

Hier liegt die grösste Gefahr dessen was man Konterrevolution für die Schweiz, Europa und andere Orte auf der Erde, nennen könnte. Dieses Modell, das Hegemonie erlangen will, ist inegalitär und zerstört das Gemeinwohl. Es zielt ab auf die Zerstörung des Staates, der Rechte, der Schutzmassnahmen, der Informationsmittel, und auf die Flucht aus jeder Verantwortung. Es banalisiert die Gewalt. Es propagiert eine grenzenlose Freiheit des Marktes, der multinationalen Kräfte, des Finanzkapitals und des Waffenhandels. Das Postulat der « schöpferischen Zerstörung » (Schumpeter), das auf der Vision einer « natürlichen Ordnung » beruht, legitimiert das Postulat der « natürlichen Selbstregulierung » der Wirtschaft. Die Affairen Swissair, UBS, Credit Suisse, der Hedge Funds, der multinationalen Unternehmen (Rohstoffe, Waffen, Spekulation),

27–Vuillemier Marc, Immigrés et refugiés en Suisse. Aperçu historique, Zürich, Pro Helvetia, 1992 (Das Buch existiert in allen Landessprachen der Schweiz)

28–Monnier Laurent, « L’apartheid ne sera pas notre passé, il est notre avenir », in Caloz-Tschopp M.C., Le devoir de fidelité à l’Etat entre servitude, liberté et (in)égalité, Paris, Ed. l’Harmattan, S.221-237

29–Die SVP, seit langem Regierungspartei, hat diesbezüglich nichts erfunden, da der Begriff der « ausländischen Überbevölkerung » schon im Ausländergesetz 1931 verankert war.

30–Ein anschauliches Beispiel : Die von der SVP lancierten Volksinitiativen, insbesondere die der automatischen Rückweisung ausländischer Straftäter ohne Berücksichtigung ihrer spezifischen Situation, sind schwer zu befolgen, da ihre Durchsetzung auf Schwierigkeiten stösst, wie das von einer eidgenössischen Arbeitsgruppe hervorgehoben worden ist. Die Rückweisung ausländischer Straftäter würde insbesondere eine Verletzung des Prinzip’s der Proportionalität, einem der Grundpfeiler des Rechtsstaates, bedeuten.

31–De Pury D., Hauser H., Schmid B., Ayons le courage d’un nouveau départ. Un programme de relance de la politique économique de la Suisse, Bern, Ed.Orell Füssli, 1996.

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die sich in der Schweiz niedergelassen haben und unkontrolliert sind, haben den Irrtum und die bis ins Absurde trügerische Illusion dieses Postulats gezeigt.

Nach der Eroberung und der Kolonisierung ist an der Wende zum 20. Jahrhundert mit dem Imperialismus ein erstmaliger, noch nie dagewesener historischer Bruch (Arendt) aufgetreten: die Erfindung des Totalitären mit dem « totalen » Krieg, Auschwitz und Hiroshima. Die Menschheit hat mit der Möglichkeit ihrer Selbstzerstörung, der Schaffung einer Wüste auf der Erde, experimentiert. Wir kennen das Ausmass und die Gefahr der nihilistischen Philosophie den die Verbannten (Exilierten) des 20. Jahrhundert’s, Hannah Arendt, die Philosophen der Frankfurter Schule, Hans Jonas, Günther Anders, etc. beschrieben haben.

Will man den Erfolg der ultraliberalen, anti-modernistischen und populistischen Parteien in Europa verstehen, ist es notwendig nicht so sehr die von der Globalisierung Enttäuschten zu verstehen, denen man gesagt hatte sie würden mehr verdienen wenn sie mehr arbeiteten, sondern vielmehr die tiefsitzenden, dumpfen Ängste vor dem Ausmass dessen was der Philosoph Bertrand Ogilvie–33 die « Demondialisierung » gennant hat um die Modernität zu charakterisieren (Annäherung von Macht und Krieg, Veränderungen die das Denken und Urteilsvermögen beeinflussen). Es handelt sich hier vielleicht um die radikalste tragische menschliche Kondition zu Beginn dieses 21. Jahrhundert’s, die uns zwingt die Beziehung zwischen Krieg und Politik, zwischen Krieg, Politik, Leben und Tod, Natur und dem Menschen radikal zu überdenken.

In diesem historischen Kontext und angesichts der Krise, geht es für eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf Eine Welt (One World), die in das Projekt der Wiederaneignung des Gemeinwohls eingebettet ist, darum folgendes miteinander zu verbinden :

1. Die kritische Überprüfung der Errungenschaften des Humanismus der Aufklärung des 17. und 18. Jahrhunderts, der Revolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts (Fortschritt, Gewalt–34, Krieg) im Licht der Beziehung zur Natur, den Kriterien des Selbstbegrenzung, der Hospitalität und eines gleichen Zugangs zur Freiheit

2. Den zerstörerischen Bruch der Erfindung des Totalitarismus,

seine Entstehung (Eroberung, Kolonialismus, Imperialismus) und seine Spuren heute, die ein Alarmsignal sind

3. Die doppelte Forderung der Hospitalität verankert im Frieden

und der Gleichheit, basierend auf dem Respekt der Natur und der Einheit des menschlichen Geschlechts, wo jeder Mensch

33–Ogilvie Bertrand (2008), Mondialisation, démondialisation. Qu’est-ce que la modernité?, in Caloz-Tschopp M.C. (Hsg), Lire Hanna Arendt aujourd’hui. Pouvoir, guerre, pensée, jugement politique, Paris, L’Harmmatan, S. 97-119

34–Caloz-Tschopp M.C., Hannah Arendt, « Le fil rompu entre violence et revolution », Colloque d’histoire contemporaine, Universität Lausanne, in Stéfanie Prezioso, David Chevrolet (Hsg), L’heure des brasiers. Violence et révolution au 20ème siècle, Lausanne, Ed. d’En Bas, 2011

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32–Das auch auf der Schiene des Betrugs abgehandelt wird, wie in Frankreich, wo es an die Stelle des Themas der Migration tritt, wie folgendes Statement N. Sarkozy’s zeigt : « Der Betrug ist der ärgste und heimtükischste Verrat am Geist von 1945. Der Betrug untergräbt die Grundmaueren der sozialen Republik. Betrügen, ja stehlen, die Sozialversicherung bestehlen, heisst das Vertrauen der Franzosen verraten » ; Rede gehalten am 15.11.2011 anlässlich seines Besuches der Familienbeitragskasse (Caisse d’allocation familiale), Gironde.

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einen unveräusserliche Wert hat, was erst die Solidarität zwischen Menschen und zwischen den Menschen und der Natur ermöglicht

Dies sind die drei Grundpfeiler, die ein Projekt der Wiedererringung des Gemeinsamen/Gemeinwohls, die Grenzen der ständig zu demokratisierenden Demokratie, der Souveränität, einer weltoffenen Volkssouveränität, Hüter politischer Zugehörigkeit und der Rechte, abstecken. Die Volkssouveränität kann durch einen auf Gleichheit gegründeten Pakt des Gemeinwohls mittels politischer Massnahmen in der Schweiz, in Europa und in der Welt umgesetzt werden.

Der Globalisiering der totalitär-liberalen Apartheid entspricht die universelle Forderung nach einem auf Gleichheit beruhenden Pakt des Gemeinwohls und der Selbstbegrenzung. Der Universalität der Migration entspricht die Universalität der Bürgerschaft, die jedem Individuum die wirtschafliche, politische und soziale Angehörigkeit da wo er/sie lebt, arbeitet und stirbt sichert. Für das auf Gleichheit beruhende Gemeinwohl kämpfen, heisst die Apartheid auf der Erde, in Europa und in der Schweiz bekämpfen.

Der Universalität der Migration enspricht der Wunsch nach einer konkreten, materiellen Universalität der Rechte (und der Politik) jeder Person auf der Erde.

Der Expropriation des Gemeinsamen/Gemeinwohls enspricht der Wunsch nach einer Wiederaneignung des Gemeinsamen/Gemeinwohls.

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ERSTER TEIL

DREI ORIENTIERUNGEN DER AKTION: GEMEINSAMES/GEMEINWOHL, GLEICHHEIT, MOBILISIERUNG DER ZIVILGESELLSCHAFT

« Es ist einfacher sich das Ende der Welt als das Ende des Kapitalismus vorzustellen ». Fredric Jameson

1. WAS IST DAS GEMEINWOHL ?

DIE ANEIGNUNG DER GEMEINGÜTER

WAS IST GLEICHHEIT ?

« DAS RECHT RECHTE ZU HABEN » (ARENDT), DAS RECHT UND ÜBER DAS RECHT HINAUS

WAS IST DAS GEMEINWOHL ?DIE ANEIGNUNG DES GEMEINWOHLS, DER UNIVERSELLEN GEMEINGÜTER

Die gegenwärtige Krise ist eine doppelte : sie ist das Ergebis der Erfindung des Totalitarismus im 20. Jahrhundert, der eine lange Entstehungsgeschichte hat (Entdeckungen, Kolonialismus, Imperialismus) und durch die chaotischen Phasen der kapitalistischen Moderne (an der Wende des 20. Jahrhunderts, 1980, zuletzt 2008, 2011) vorbereitet worden ist. Letztere endet mittels primitiver Akkumulation, die Marx in Bezug auf den industriellen Kapitalismus beschrieben und mit einer radikalen Expropriation des Gemeinwohls (commons) in seiner Totalität erklärt hat.

Hannah Arendt hat uns gewarnt–35,dass uns angesichts des historischen Bruchs im 20. Jahrhundert, angesichts der wiederholten Krisen allgemeine Kriterien fehlen um sicher urteilen zu können, allgemeine Regeln, auf die wir uns mit einem Gewissen Grad an Sicherheit stützen können. Wenn das Werkzeug der Dialektik, das zur Zeit des industriellen Kapitalismus und der Arbeiterbewegung erfunden wurde, angesichts der Akkumulation der Skandale des

35–Arendt Hannah, « Une situation de crise » (Auszug), Cahiers du Grif no.33, Paris, Tierce, 1991, S. 141-145

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Finanzkapitalismus an seine Grenzen stösst, stehen wir vor der Herausforderung eine neue Denkweise zu erfinden. Das kann aufgund neuer Werkzeuge geschehen, sagt uns zum Beispiel Cornelius Castoriadis.

Was das 20. und 21. Jahrhundert gemein haben, nämlich die Möglichkeit der Zerstörung des Planeten und das Verschwinden der Menschheit, macht es unabgänglich, das Gemeinsame/Gemeinwohl und die universellen Gemeingüter wiederzuentdecken.

Kurz gesagt, das Gemeinwohl beschränkt sich nicht auf die Definition, die das territoriale System der staatlichen nationalen Souveränitat gibt. Letzteres ist in Krise ist und wird zunehmend von der Logik der supranationalen Kräfte (multinationale Unternehmen, Mafia, Grosstädte etc.) überlagert. Auf der Ebene des Raums, kann man ihm die Urgeschichte und die Geschichte der Allmenden gegenüberstellen. Das den Allmenden entgegengesetze Privateigentum hat seine Wurzeln in vielfältigen Begegnungen und sich kreuzenden Einflüssen, wie das Yves Sancey bemerkt hat : im 15. Jahrhundert ist der gemeinsame Besitz der Bauern von Grund und Boden, von Gemeingütern und die Vergemeinschaftung des Bodens eine Realität, auf die ihre Zerstörung durch die « Gesetze der Einzäunung » (lois d’enclosures) und Stacheldrähte die den legalisierten Privatbesitz umgeben, folgt. Heute denkt man an Gemeinschaftsgärten, Kooperativen, Hausbesetzungen (Squat) –36, und vorübergehende oder dauerhafte öffentliche Räume (zum Beispiel, das Hotel Madrid in der Nähe der Plaza de Sol in Madrid) und praktische Erfahrungen der Öffnung und Teilnahme –37.

Auf der Ebene des historischen Prozesses der Modernität ist das Gemeinsame (Gemeinwohl) –38 zu verstehen als Expropriation (Verlust) und Zerstörung (Natur, Eigentum, Arbeiter, Werkzeuge) durch den Kapitalismus (primitive Akkumulation und ihre Folgen) –39.

Die Schweizer Rechtsanwälte J.M Dolivo und Ch.Tafelmacher betonen heute, dass die Situation der Papierlosen in den reichen Ländern, wie zum Beispiel der Schweiz jener der Bauern zu Ende des 15. Jahrhunderts in England ähnlich ist, die Rechte hatten und plötzlich rechtlos wurden –40. Marx hat ihre Situation in Ersten Buch des Kapitals, Kapitel 8 beschrieben als « von ihrem Land vertrieben und der Tyrannie der Entlöhnung und Galere unterworfen ». Die Theorien der kollektiven Aktion und der kollektiven Verwaltung der öffentlichen Gemeingüter, für welche alle verantwortlich sind und die nicht ohneweiters privatisiert werden können (Natur, Tiere), erforschen das Gemeinwohl von einem anderen Ansatzpunkt her.

Unter den heutigen Bedingungen gilt es das Gemeinwohl neu zu denken, wahrzunehmen, zu konstruieren und zu bewahren. Eine

36–Siehe z.B. den Film, Coello Christophe, Squat-La ville est à nous, 2011 (über die Wiederaneignung tausender Wohungen in Barcelona)

37–Siehe die Beschreibung eines Experiments in Genf 2003 im Park des Bastions. Sancy Yves für das Kollektiv Espace ouvert « Communs », Bastions-G8, Genf, Le lieu commun, Mai 2003.

38–Siehe diesbezüglich vor allem Ostrom Elinor (Nobelpreisträger Wirtschaft), Governing the Common’s, London, Ed. U.Cambridge, 1990; Revue Multitudes Nr. 45, 2011

Siehe auch den Konferenzzyklus 2011 des Collège International de Philosophie, Paris: Du Public au Commun.

39–Siehe insbesondere, Marx Karl, Das Kapital, Buch 1, Sektion 8, Die primitive Akkumulation, (verschiedene Herausgaben)

40–Dolivo J.M., Tafelmacher Ch., « Sans papiers, mais pas sans droits », Plaidoyer no. 1, 2003.

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offene Liste, die vom Prisma der Migration ausgeht, ermöglicht uns die Achsen des Gemeinwohls und die vom Kapitalismus und Total-Liberalismus enteigneten Gemeingüter, die wir uns durch Widerstand (Autonomie, Aktion, Bewegung, Ort, individuelle und kollektive Verantwortung) wiederaneignen können, zu identifizieren :

1. Der endliche Planet Erde mit seinen begrenzten Ressourcen ist ein universelles Gemeingut. Die Menschen dürfen nicht einfache Kolonisatoren der Natur sein. Sie dürfen nicht einfach Plünderer, Konsumenten, und Ausbeuter ihresgleichen sein. Kein Mensch, kein Volk, keine Institution, kein multinationales Unternehmen kann sich der Verantwortung entziehen, das in diesem universellen Gut enthaltene Gemeinwohl zu erhalten.

2. Die Möglichkeit sein eigenes Leben, seine Beziehung zur

Natur und zur Welt im Rahmen seiner Existenzbedingungen kontrollieren zu können ist ein universelles Gemeingut. Die Universalität eines Gemeinwohlpaktes bedeutet die Möglichkeit der Wiederaneignung des Gemeinwohls, das für jedes Individuum in einer Zugehörigkeit zum Gemeinsamen und daher zur Welt besteht.

3. Die Freiheit sich zu bewegen – mit den Füssen und im Kopf –

ist ein universelles Gemeingut das jedem Menschen gehört. Die Freizügigkeit ist nötig um am Gemeinwohl teilzuhaben. Sie kann sich nicht auf das wirtschaftliche Konzept des freien Verkehrs der Güter, des Kapitals und der Arbeiter beschränken. Sie kann sich nicht darauf beschränken, dass Personen ihr Land verlassen können ohne in ein anderes einreisen zu dürfen. Den internationalen Verträgen und Texten zufolge, erlaubt es die Freizügigkeit ein Land zu verlassen, aber nicht in ein anderes Land einzureisen. Der belgische Jurist und Asylrechtsexperte, J.Y.Carlier, hat, sich auf das Prinzip der Proportionalität, auf Effizienz und Auswechselbarkeit (interchangeabilité) stützend, dieses Paradox hervorgehoben indem er die schöne Metapher des Films von Theo Angelopoulos zum Thema Grenzen « Le pas suspendu de la cigogne » verwendet hat und schon vor fast 15 Jahren die Abschaffung aller Kurzzeitvisas in Europa–41 vorgeschlagen hat. Die Freizügigkeit kann auch nicht auf eine Logik der Apartheid zwischen den Regionen der Welt beschränkt werden (ein Modell, das bestimmte Kreise im Zugang zur Immigration diskrimiert).

Um nicht mit einem einfachen wirtschaftlich utilitaristischen

Konzept der Arbeitskraft – freier Verkehr des Kapitals, der Güter und der Arbeitnehmer – verwechselt zu werden, muss die die Personenfreizügigkeit von einem gleichen Zugang zu Rechten

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41–Carlier Jean-Yves, « Motifs pour la suppression des visas de court séjour », Bull. de la Ligue des Droits de l’Homme, Bruxelles, février 1998

« Du pas suspendu de la cygogne », Hommes et Libertés, no. 93, 9007.

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und Schutzmassnahmen begleitet werden. Keine Freizügigkeit ohne Begleitmassnahmen!

Der Universalität der Migrationsbewegung entspricht die

konkrete Universalität der Bürgerschaft, das heisst der Genuss der politischen und sozialen Rechte und die Verantwortung, die den Zugang zum Gemeinwohl sichern.

Jede Person muss berechtigt sein, frei ihre Arbeit und ihr Land zu

wählen, dort mit ihrer Familie zu leben und ihre Muttersprache zu sprechen und Zugang zu den politischen und sozialen Rechten, den öffentlichen Leistungen und der politischen Verantwortung zu haben. Keine Freizügigkeit ohne Autonomie, ohne Bewusstsein, ohne Recht, ohne Verantwortung.

Die sofortige praktische Umsetzung des Respekts der

Freizügigkeit, erfordert dass die Schweiz anerkennt, dass sie ein Migrationsland (Immigration und Emigration) ist, ohne Restriktion des Universalitätsprinzips.

4. Die Gedankenfreiheit ist ein universelles Gemeingut, das

die autonome Teilnahme am Gemeinwohl sichert. Es ist paradoxal dass das Thema der Migration – wie jenes des Missbrauchs – auf ein Propagandainstrument reduziert wird, während die Bewegung Bewegung mit den Füssen (Freiheit sich fortzubewegen), mit dem Kopf (Freiheit zu denken) und Bewegung in der Politik (Demokratie in Bewegung) umfasst.

Migration, das sind Kinder, Frauen, Männer. Migration,

das sind wir. Wir sind weder einfach nur eine Arbeitskraft, noch Zahlen, noch manipulierbare Dinge, noch leere Hirne, noch « Zeit verfügbaren Gehirns » (Statement eines TV-Verantwortlichen) –42, noch sind wir Dummköpfe.

In dieser Hinsicht sind die kritische Analyse der Techno-wissenschaft, die Verteidigung der öffentlich bereitgestellten Informationsmittel –43 die freien Radios und die öffentliche Debatte von fundamentaler Bedeutung. Nach dem von Etienne Balibar (2011) geprägten Begriff sind wir « Bürger-Subjekte », was die Freiheit bedeutet sich in seinem Körper, seinem Geist frei zu bewegen, und was Klarsichtigkeit, Autonomie, Kritikfähigkeit und Verantwortung nach sich zieht.

5. Die Sicherheit ist ein universelles Gemeingut. Die Sicherheit

ist ein Schutzbedürfnis um am Gemeinwohl teilhaben zu können. Sie ist nicht reduzierbar auf eine polizeiliche, ja sogar militärische Sicherheitspolitik des Lebens in Gemeinschaft und der Migration.

43–Was z.B. die Presse betrifft, muss man mit Beunruhigung ihre Konzentration feststellen (Tamedia AG kontrolliert 74%) und die Tatsache, dass seit 2009 die Gratis-Zeitschriften die anderen entthront haben.

42–« Damit eine Werbebotschaft wahrgenommen wird, muss das Gehirn des TV-Zuschauers verfügbar sein. Unsere Sendungen haben die Aufgabe, es verfügbar zu machen, d.h. es zu unterhalten, zu entspannen um es zwischen zwei Botschaften vorzubereiten. Was wir Coca-Cola verkaufen, ist Zeit verfügbaren Gehirns. Nichts ist schwieriger, als diese Verfügbarkeit zu erzielen»

Patrick LeLay, CEO von TF1, Quelle: Le Monde 8.9.2004.

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Der Rechtsstaat hat nichts mit einem Polizeistaat zu tun. Die auf Schutz basierende Sicherheit (sûrété) ist nicht gleich Sicherheit (sécurité) –44. Die öffentlichen Migrationspolitiken werden von Polizeistaaten regiert und begleiten einen zunehmend deregulierten Prozess, der Chaos schafft. Sie werden durch die Massnahmen und Mittel eines sicherheitsbessessenen, kriegerischen Apartheidsystems umgesetzt.

6. Die politischen Rechte des Volks sind ein universelles Gemeingut.

Sie sind eng gebunden an die Ausübung demokratischer Rechte, das Gemeinwohl schafft. Sie sind fest in der Tradition und in der Geschichte der Schweiz verankert und verweisen auf die Gründung der Schweiz (1291). Sie sind weder auf den Nationalstaat noch auf die Ideologie einer nationalen Insel noch auf ein mythisches Volk reduzierbar. Ihre Manipulation ist eine Art äusserst diskutablen historischen Revisionismus. Die Volksrechte sind Teil einer patriotischen, von Konflikten gezeichnten Identität, von Spannungen zwischen Abschottung und Öffnung auf die Welt.

Sie verweisen auf die Erfindung der Demokratie anderswo

und in Griechenland, im 5. Jahrhundert B.C. (demos-cratos, die Macht dem Volk, der Mehrheit, die nicht an der Politik teilnehmen kann, gleicher Zugang zur Freiheit). Sie rufen andere Erfahrungen in China, Indien und Afrika wach. Sie erinnern an die alten Debatten in Europa, and die Geschichte des allgemeinen Wahlrechts in den Vereinigten Staaten.

Jede Manipulation, jede Missachtung der Volksrechte im

Namen eines fantasmagorischen Volkes, die Schaffung jeder Kluft zwischen Elite und den anderen muss entschieden zurückgewiesen werden. Die Volksschichten und die Mittelklasse, die Volksrechte einfordern sind weder unwissend noch dumm.

7. Die öffentlichen Dienstleistungen sind ein universelles

Gemeingut. Die Privatisierung des Gemeinsamen, von Tätigkeiten für die der Staat Verantwortung trägt und von Rechten im Bereich der Sozial- und Migrationspolitik, der staatlichen Repressionsgewalt (Privatisierung von Gefängnissen, Auffanglagern, Asylheimen und Unterkünften von Migranten) ist sowohl eine Expropriation des Gemeinsamen als auch eine Delegation staatlicher Verantwortung an Private, die dem Staat und unseren Steuern viel kostet, die unsere Rechte aufs Spiel setzt, die die Korruption durch eine Logik unkontrollierter Privilegien fördert und die Gewaltausübung von Beamten des öffentlichen Dienstes, privaten Unternehmen und der Bevölkerung toleriert. Sie

44–Halten wir fest dass die Schweizer Bundesverfassung das Wort « Sicherheit » nicht enthält, und daher keinen Unterschied zwischen sécurité und sûrété macht.

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verleitet zu Beurteilungsirrtümern und gefährdet die Qualität der öffentlichen Dienstleistungen.

8. Die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Rechte sind ein

universelles Gemeingut das die Teilnahme am Gemeinwohl sichert. Die verschiedenen Möglichkeiten sich Regeln und der Verantwortung für das Gemeinwohl zu entziehen, und die ungleiche Bereitstellung von Schutz stellen diese Rechte in Frage und gefährden nicht nur die Existenzbedingungen der gesamten Bevölkerung, sondern auch die Gerechtigkeit, die politische Zugehörigkeit, den sozialen Zusammenhalt und die Solidarität.

WAS IST GLEICHHEIT ?«DAS RECHT RECHTE ZU HABEN » (HANNAH ARENDT)

Kurz gesagt, weit davon entfernt ein abstraktes Prinzip, einen leeren Wert oder eine Pathologie der Demokratie, wie Vermassung, Undifferenzierung und Homogenisierung (Argumente, die Tocqueville entwickelt hat) darzustellen, ist die moralische und politische Gleichheit ein Prinzip demgemäss, wie Jacques Rancière in Erinnerung ruft, Menschen mit einer gleichen Eigenschaft (gleichem Attribut) gleich behandelt werden müssen in allem was die Ausübung dieser Eigenschaft (dieses Attributs) betrifft. Der Philosoph stellt die Frage nach der Gleichheit in Bezug auf die Beziehung zur materiellen, konkreten Macht. Er geht aus von der «Mesentente» zwischen den einen die « ohne Anteil » sind und den den anderen, die sich die Politik zum Nachteil jener angeeignet haben –45. Die Gleichheit ist daher in gewissen Sinn der Prüfstein des Gemeinwohls.

Von dieser dynamischen Definition der Macht der Gleichheit, die für den Philosophen auf ein « grosses Unrecht » –46 verweist (und einen Konflikt im Herzen der Freiheit und Politik betrifft), lassen sich drei Merkmale der Praxis der Gleichheit ableiten :

1. Die Gleichheit ist ein ungleiche soziale Beziehung, die stets auf der Suche nach einer gleichen Anteilnahme am Politischen ist und sich dabei auf die Erfahrung der menschlichen Geschichte stützt (Gedächtnis der Erfahrungen, der Versuchungen und des Unglücks, der Probleme, der Schwierigkeiten, der Konflikte) ;

2. Die Gleichheit ist eine Interaktion, die einen Konflikt der Reziprozität impliziert, der nicht eine Gegebenheit, sondern ein Konstrukt darstellt ;

3. Die Gleichheit ist eine stetige Suche nach der gleichen, aktiven

45–Siehe insbesondere Rancière Jacques, La mésentente, Paris, Galilée, 1995.

46–Rancière J., op.cit. S. 40

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Anteilnahme am Gemeinwohl (der Bürgerschaft).

Die Philosophin und Theoretikerin Hanna Arendt hat ihrerseits den Sockel möglicher politischer Zugehörigkeit, ihrer Dynamik des Mangels und des Wunsches nach dem Politischen mit der Formel « das Recht Rechte zu haben » umschrieben.

Das « das Recht Rechte zu haben » ist in der Tat der Sockel der Dynamik des Prinzips politischer Zugehörigkeit, das jedem Individuum auf dem Planeten Erde zuerkannt ist und ihm den Zugang zum Gemeingut, die Zugehörigkeit zu einer organisierten politischen Gemeinschaft und daher die Zugehörigkeit zur Welt sichert und ihn vor der Demondialisierung –47, welche die aktuelle Globalisierung mit sich bringt, schützt. Anders gesagt, es ist der Sockel einer universellen, konkreten, materiellen politischen Bürgerschaft, die der Universalität der Migration entspricht :

« Dass es so etwas gibt wie ein Recht, Rechte zu haben – und dies ist gleichbedeutend damit, in einem Beziehungssystem zu leben, in dem man aufgrund von Handlungen und Meinungen beurteilt wird – wissen wir erst, seitdem Millionen von Menschen aufgetaucht sind, die dieses Recht verloren haben und zufolge der neuen globalen Organisation der Welt nicht imstande sind, es wiederzugewinnen » –48.

Das « Recht Rechte zu haben » reduziert sich daher nicht auf das positive Recht, auf das in einem souveränen Staat auf seinem Staatsgebiet geltende Recht. Es ist ein Aufruf das Recht über das Recht hinausgehend zu artikulieren als Teil der stetigen Aufgabe, die - gemäss der Formulierung von Etienne Balibar - immer wieder danach sucht « die Demokratie in den Konflikten an ihren Grenzbereiche zu demokratisieren ». .

DAS RECHT UND ÜBER DAS RECHT HINAUS: DER HORIZONT DER GERECHTIGKEIT

Kurz gesagt, um aus der Sackgasse in der wir uns gegenwärtig in Sachen Grundrechtsschutz befinden herauszukommen und das Recht und den über das Recht reichenden Bereich des ständig vor uns liegenden Horizonts der Gerechtigkeit zu konstruieren, heisst zu begreifen, dass es Situationen gibt, in denen mit voller Gewalt das gelebt wird was Victor Hugo in seinem Exil die « Nackheit des Rechts » –49 genannt hat, die Grenzen der politischen Macht. Um den Staat, das Recht und darüber hinaus neu zu denken, ist es notwendig den Begriff der Demokratie zu überdenken und die Praxis in den Grenzbereichen der Demokratie zu beobachten.

47–Unsere philosophische Zugangsweise unterscheidet zwischen Globalisierung und (De)Mondialisierung. Die Mondialisierung bedingt die Möglichkeit der Welt anzugehören, in der Welt von unserer Geburt bis zum Tod gegenwärtig zu sein. Die Globalisiering bezieht sich auf die wirtschaftliche Globalisierung, die die gesamte Erde erfasst hat.

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48–Arendt Hannah, Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft, Piper (Hsg) München, Zürich, Band 2 S. 614

49–Hugo Victor, Ce que c’est que l’exil (1875), Paris, éd. des Equateurs, 2008.

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Wir sind der Meinung, dass seit der Epoche der Revolutionen und sogar weit davor in der Geschichte, die demokratische Praxis ein niemals stabilisierter Prozess der Institutionalisierung und der Anfechtung der Institutionen war, was uns zwangsläufig dazu führt, die Demokratie als die Bewegung einer expliziten Selbstschöpfung des Politischen zu verstehen, und nicht einfach als eine Staatsform oder institutionalisierte Regierungsform, die sich den Bürgern entzieht. Die Wirklichkeit der Demokratie ist nicht auf die Verwaltung (gestion) begrenzt oder das was mit dem Begriff « Gouvernanz » umschrieben wird, sondern beinhaltet ihr ständiges Infragestellen –50 im Rahmen der aktiven Selbstorganisation, die sich auf Autonomie und Selbstbeschränkung stützt.

Abgesehen von dem Begriff der Demokratie, den es in seiner Radikalität –51 wieder zu entdecken gilt, muss der Staat, angesichts der Grenzen des Rechtsstaats, welche die Migrationspolitik aufzeigt, als einziger Garant der Rechte in Frage gestellt werden. Die Grenzen des Rechtsstaats müssen in die Reflexion miteinbezogen werden. Während der moderne Staat für sich in Anspruch genommen hat, den Statuten und Gemeinschaften des Ancien Regime ein Ende gesetzt zu haben, verstehen wir heute immer noch die politische Subjektivität als nationale Bürgerschaft, was darauf hinausläuft eine Art auf den Nationalstaat beschränkte Gemeinschaftsangehörigkeit aufrechtzuerhalten, nicht aber die Ausübung der Demokratie : Rechte ausschliesslich im Rahmen des Nationalstaats zu denken bedeutet in gewisser Hinsicht den Rechtsstaat auf den Nationalstaat zu reduzieren und das Recht nicht in seiner Ganzheit zu denken. Es bedeutet insbesondere in eine Sackgasse zu geraten, wenn es um die Frage der nicht der Nation angehörenden Personen –52 geht.

Die Frage muss die Krise des Nationalstaats, seiner Legitimität, den zunehmenden Verlust der territorialen Souveränität angesichts des globalisierten Markts (Steuerflucht, Betrug, Erschöpfung der Steuern um imperialistische Kriege zu finanzieren, oder um die Banken vor dem Konkurs zu schützen und das zum Schaden der Schutzbedürfnisse, des öffentlichen Dienstes etc) berücksichtigen. Wie kann der Staat, wie können die Rechte neu gedacht werden, wenn die traditionellen Kategorien der Nationalität, der Souveranität in Krise sind ? Wir brauchen neue Kategorien um den Staat und die Rechte neu zu denken, um das in unser Denken zu integrieren, was uns die Wirklichkeit der Plünderung der Natur, die Existenzbedingungen lehren hinsichtlich der Notwendigkeit neue Rechte und neue Schutzmechanismen zu erfinden. Das Prisma der Migration erlaubt es uns, die Zukunft des Gemeinwohls, des Staates und der Rechte im 21. Jahrhundert zu erdenken.

Diese Probleme sind die Grundlage für die Erarbeitung einer

50–Colliot-Thélène, Catherine, « Pour une politique des droits subjectifs : la lutte pour les droits comme lutte politique », L’Année sociologique 2009/1, Bd. 59, S.236-237.

51–Tafelmacher Christophe, « Resister au démantèlement des droits : Repenser radicalement la démocratie », in Caloz-Tschopp M.C. (Dir.), Colère, Insoumission : perspectives, Bd. 7, Paris, L’Harmattan, 2011 S. 171-199.

52–Ibidem, S. 238.

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theoretischen und praktischen Alternative, die darin besteht den Begriff des « Rechtes da zu sein » zu erarbeiten. Über die anerkannte Präsenz von Migranten hinausgehend, kann dieser Begriff in seiner Radikalität für jeden Menschen gedacht werden, das heisst politische Zugehörigkeit und Rechtszugang für jeden Menschen, Ausübung des Rechts sich in einem gemeinsamen Raum an einem Ort seiner Wahl auf Dauer niederzulassen, unabhängig von seiner Nationalität –53, seinem Reichtum, seiner Bekanntheit oder jeder anderen Eigenschaft, die Basis für die Logik von Privilegienerteilung, Ausgrenzung oder Abschiebung ist.

Sosehr neuartig der Vorschlag «eines Rechtes da zu sein» im Rahmen des gegenwärtigen positiven Rechts erscheinen mag, so ist er doch nichts anderes als die Übertragung auf den Menschen des von der Welthandelsorganisation Unternehmen zuerkannten Rechtes auf «nationale Behandlung» (droit au traitement national) –54. Aber über eine Gleichbehandlung aufgrund der Staatsangehörigkeit hinausgehend erlaubt es das Recht «da zu sein» zu postulieren, dass jeder Mensch auf dieser Welt einen anerkannten Platz und Rechte hat, und durch eine Transversalität der Rechte und der politischen Zugehörigkeit, die jeden Menschen betrifft, in die Praxis zu übertragen was Hanna Arendt «das Recht Rechte zu haben» genannt hat. Denken wir an die Jugendlichen, an die Armen, an die aus unseren Städten vertriebenen Roma. Denken wir an das Überhandnehmen von Orten der Einschliessung (Kranke, alte Menschen, Behinderte). Denken wir im Gegensatz dazu an die Amateure der Finanzflucht, die sich in der Schweiz niederlassen und für die die Schweizer Grenze virtuell ist.

Unterstreichen wir noch ein Paradox hinsichtlich des Staats und Rechts, das der Dynamik zwischen Recht und dem darüberhinausgehenden Bereich zugrundeliegt und das, wie der Soziologe Robert Castel gesagt hat, darin besteht, in einer Zeit zunehmender Unsicherheiten «neue Schutzmechanismen und neue Rechte zu erfinden» –55. Wir wissen, dass die Philosophen des Sozialvertrags (Hobbes, Locke, Rousseau) die Übertragung des Gewaltmonopols auf den Staat postuliert haben, der allein berechtigt ist Krieg zu führen und Steuern einzuheben. Die Verteidigung des Staates und des Rechts wird paradoxal, wenn der Rechtsstaat eine Logik der Privilegien verfolgt, Rechtsverletzungen verharmlost und Gewaltschwellen überschreitet (Folter, Mord)–56, und weiters zur Steuerflucht ermutigt.

Es ist zu befürchten, dass die Legitimierung solcher Akte die Tür zu einer endlosen sozialen Gewalt und zu zerstörender Grausamkeit öffnet und gleichzeitig den Staat delegitimiert. Schlimmer noch: ein Bruch der Regeln des Sozialvertrags zieht nicht nur einen Bruch des Vertrauens in die Legitimität des Staates und der Rechte nach

53–Dolivo J.M, Tafelmacher CH., « Sans-papiers er demandeurs d’asile : faire reconnaître le droit d’être là », in Caloz-Tschopp M.C. et Dasen Pierre (Dir.) : Mondialisation, migration et droits de l’homme, un nouveau paradigme pour les sciences sociales et la citoyenneté, Bd.1, Ed.Bruylant, Brüssel 2007, S.517-518.

Siehe auch Tafelmacher Ch. « Sans papiers, mais pas sans droits », op.cit. p.41-44 ; « Droit à l’aide d’urgence, le grand retournement », Plaidoyer, Zürich, No.3, 2009, S.56-61 .

54–Chomsky, Noam, Sur le contrôle de nos vies, Ed. Alia, Paris 2003, S. 43.

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55–Castel Robert, L’insécurité sociale, Paris, Seuil, 2003 ; La montée des incertitudes, Paris, Seuil, 2009.

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sich, sondern eine Schwächung des Gemeinwohls und einen Bruch der Sittlichkeit. Verborgen hinter dem Recht, dem staatlichen Steuermonopol und der staatlichen Gewalt und im Kontext der aktuellen Globalisierung, in der Folge der Privatisierungen, der jeder Regel entschlüpfenden Multinationalen und der extremen Gewalt des totalen Kriegs im 20. Jahrhundert, sucht eine andere, endlos zerstörerische Gewalt die Hegemonie in der gegenwärtigen Geschichte. Im 21. Jahrhundert ist sie der immer mögliche Übergang zu neuen Formen der Barbarei –57 mit anderen Graden an Grenzlosigkeit, Unvorhersehbarkeit und Zerstörung.

Der Respekt gemeinsamer Regeln und Schwellen zulässiger Gewalt ist daher der fundamentale Horizont, den die Gesellschaft und der Staat vor Augen haben muss. Vielleicht gibt es kein Tabu –58 in der Asylpolitik, aber es gibt Schwellen der Zivilisation, deren Überschreitung Alarmzeichen sind und beunruhigendes Abdriften anzeigen. Nehmen wir das Bespiel der Ausweisungen (Ausschaffungen), in der Sprache des Bundesrats « kontrollierte Ausreise » –59 genannt. In der Migrationspolitik ist der sehr reelle Tod von Menschen eine Abstraktion geworden, trotz der an den Grenzen Europas und den Schweizer Grenzen verzeichneten tausenden Toten (siehe Karte Migreurop).

Das Überschreiten von Schwellen stellt die Frage nach der Spannung zwischen Politik und Krieg. Der Prozess des Aufbaus von Recht darf die Macht und die Grenzen des Rechtstaats nicht ignorieren, sowie er den über das Recht hinausgreifenden Horizont der Gerechtigkeit, wo – wie wir später sehen werden - das Recht der Demilitarisierung der Migration erfunden wird, nicht ignorieren darf. Die politische Schöpfung, die Demokratisierung der Demokratie bedeutet, selbst in den schwierigsten und tragischsten Situationen, auf die Karte des von der Macht demokratischer Politik getragenen Rechts zu setzen, und nicht auf die der Illusion von Privilegien und Gewalt. Die Politik kann sich so auf dem Boden des Lernens der Gemeinsamkeit und des Konflikts entwickeln und nicht auf dem des unbegrenzten Kriegs –60. Wie wir später sehen werden, geht es hier um die Möglichkeit selbst einer Politik des Gemeinwohls, des Gemeinsamen.

2. WAS HEISST REVOLUTION VERSUS MIGRATION ?

APARTHEID ODER EIN AUF GLEICHHEIT GEGRÜNDETER PAKT DES GEMEINWOHLS

59–Sie dazu, Bundesrat, Rapport sur l’évolution de la politique d’integration, Bern, 5.3.2010.

57–Siehe dazu

Balibar Etienne, Violence et civilité, Paris, Galilée, 2010

Reemtsma J.-P., Confiance et violence. Essai sur une configuation particulière de la modernité, Paris, Gallimard, 2011.

58–« In der Asylpolitik, kenne ich keine Tabus », Interview von Simonetta Sommaruga, Verantwortliche des DFJP, Neue Zürcher Zeitung, 5.11. 2011.

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56–« Der Kampf gegen die Folter hat eine moralische, ethische und politische Dimension, und wir müssen den Kampf auf diesen drei Ebenen führen. Die rechtlichen Argumente sind einfach: die Folter ist sowohl im internationalen als auch in dem meisten nationalen Rechtssystemen verboten. Das Argument der Moral stützt sich auf die menschliche Würde von Personen, die der Begehung selbst der verabscheuungswürdigsten Verbrechen verdächtigt werden, aber dringender noch auf die Notwendigkeit die Würde der staatlichen Funtkionäre zu erhalten. Das politische Argument ist vielleicht am schwierigsten zu widerlegen, da es immer Gründe für den Staat geben wird, die Anwendung von Folter und Marter zu rechtfertigen. Es geht darum, diesem Argument das Modell eines sittlichen Staates entgegenzuhalten, denn die Praxis der Folter kann nur dazu führen, die Beziehungen zwischen dem Staat und seinen Bürgern dauerhaft zu vergiften, (…..) Der schlimmste Schaden der Folter beruht auf der immer noch in der öffentliche Meinung – nicht nur in den Vereinigten Staaten – verbreiteten Ansicht, dass die Folter zwar eine schreckliche Praxis ist, dass sie aber nicht ausgerottet werden kann».

Interview von Juan Mendez, UNO Spezialberichterstatter, «Un fléau encore trop toléré au nom de la sécurité», Le Temps, 10.11.2011.

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NATIONALISMUS UND ÜBERFREMDUNG –61: DIE GUNDPFEILER DER APARTHEID

In der Schweiz und Europa brauchen wir die echte politische und innere Revolution, von der wir manchmal träumen. Aber nicht von irgendeiner. Die Tragweite der notwendigen Änderungen (Reformen) führt uns dazu von « Revolution versus Migration » zu sprechen, verkörpert durch die Ablehnung der Apartheid und die Verfassung eines Gemeinwohlpaktes, der auf « dem Recht Rechte zu haben », auf Grundrechten beruht. Die Infragestellung dieser Rechte zeigt, welchen Preis die Gesamtheit der Lohnempfänger und prekarisierten Gruppen für die Systemkrise bezahlen müssen.

In einem Land, in dem mehr als 20% Ausländer leben und das grossteils, wenn es auch sicherlich von seinem eigenen Genie und seinen eigenen Kräften lebt, sich aber doch auch die Anwesenheit von Migranten und den Reichtum der restlichen Welt zunutze macht, müssen wir uns vor jeder Form des Alleingangs hüten.

Die Migrationspolitik und öffentliche Politik insgesamt brauchen eine Revolution der Phantansie, und sowohl fundamentale als auch praktische Taten. Der auf Gleichheit gegründete Gemeinwohlpakt impliziert dass niemand «illegal» ist, denn die politische Zugehörigkeit und der Besitz von Rechten sind ein universelles unveräusserliches Gemeingut, das der menschlichen Kondition jeder Person zueigen ist.

Die Schweiz ist eine multi-ethnische, multi-sprachliche und multi-konfessionelle Nation, die Ergebnis politischen Willens ist. «Bundesstaat seit 1848, ist sie ein Bund auf drei Ebenen, Konföderation, Kantone und Gemeinden» steht auf der Webseite der Schweizer Bundesverwaltung (2011). Der moderne Schweizer Nationalstaat hat sich in der Tat als «Nation» konstituiert indem die Bevölkerung in «Staatsangehörige» und «Nicht-Staatsangehörige» eingeteilt wurde. 1931 wurde die staatliche Xenophobie in das Ausländergesetz durch den Begriff «Überfremdung» (ausländische Überbevölkerung) festgeschrieben. Sie fand ihren Ausdruck auch in einer Hierarchie prekärer Aufenthaltsbewilligungen, welche eine Hierarchie der Gehälter, die Rotation der Arbeitskräfte und den Zugang zum Recht organisierte. In den neunziger Jahren wurde dieser Begriff von dem Dispositif der drei, später der zwei Kreise abgelöst. Dies hat dazu gedient das Immigrationsrecht zu hierarchisieren indem die Schweiz, Europa und die reichen Länder dem Rest der Welt gegenübergestellt wurden. Die Apartheid wurde so globalisiert.

Insofern der Begriff Klasse noch einen Sinn hat, so können wir ihn in weitem Sinn in der Migrationsbewegung sehen, indem wir

60–Diese Stellungnahme drängt sich auf, um Antonio Cassese anlässlich seines Todes zu würdigen. Antonio Casese war ein leidenschaftlicher Verteidiger des internationalen Rechts. Unter den vielen Aufgaben, die er erfüllte, gilt es vor allem anzuführen, dass er der erste Präsident des europäischen Ausschusses für die Verhütung der Folter war (CPT) und Präsident des Tribunal’s für Ex-Jugoslawien, erste internationale gerichtliche Instanz.

61–Dieses Wort wird mit « ausländische Überbevölkerung» übersetzt und ist im Schweizer Ausländergesetz von 1931 enthalten.

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die vielfachen Linien sozialer Frakturen, die Vielfalt der Grenzen und Dispositife, die Auswahl- und Hierarchisierungskriterien sowie die Ausgrenzung und sogar Abschiebung (in die Lager, die Gefängnisse, die psychiatrischen Anstalten, die Altersheime, die Aussiedlung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus den Städten, die Wohnghettos für Migranten/innen) betrachten.

Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus hat in ihrem Bericht vom 21. Oktober 2011 die zahlreichen Diskriminierungen seitens des Staats unter denen Asylwerber leiden denunziert: Verbot des Zugangs zu bestimmten Strassen und Einrichtung eigener Wege (Gemeinde Burmensdorf); Verbotszonen für Asylwerber (Zug); Anwendung unzulässiger physischer und psychischer Gewalt durch Bedienstete von Securitas (Kreuzlingen); demütigende Wortwahl von öffentliche Funktionen ausübenden Beamten.

In der Migration ist es nicht dasselbe ein Geschäftsmann zu sein, der ohne Zollkontrolle einreist, oder ein Arbeiter oder prekärer Arbeitsloser, ein Jugendlicher ohne Diplom, ein Student ohne Zukunft, eine alleinstehende Frau und Alleinerzieherin, eine aus ihrer Wohnung ausgewiesene Person, ein Kranker, der seine Krankenversicherung nicht mehr zahlen kann, ein alter Mensch, der um seine Rente fürchten muss oder ein Arbeiter ohne Papiere, ein Angehöriger der Arbeiterreserve in den an den Grenzen isolierten Lagern oder ein ausgebeuteter Arbeiter in den landwirtschaflichen Gewächshäusern Spanien’s, Italien’s, Kalifornien’s oder auf dem Schweizer Land.

Indem sie die Apartheid institutionalisiert haben, haben unsere Institutionen, unsere Denkkategorien, unsere Werkzeuge, unsere Strukturen, unsere Methoden und unsere Gewohnheiten die Phasen der Humanisierung, das zerbrechliche historische Kapital der Revolutionen des 17. 18., 19, und 20. Jahrhunderts vergessen. Das erklärt den Konsens hinsichtlich der Glasmauer der Apartheid, die Banalisierung der Frontalangriffe auf die Schwellen des Menschlichen und die Ablehnung oder das Vergessen des Gleichheitsprinzips.

Dass wir in einem Regime der Apartheid leben, zeigt sich in unseren Gesellschaften nicht nur im politischen Rahmen der Gesellschaft, in der Beziehung zum anderen, sondern auch in der Beziehung zu sich selbst im täglichen Leben. Wer ist sich nicht der eigenartigen Vertrautheit der Apartheid bewusst? Sie hat eine Haltung der Doppelzüngigkeit oder aber der Gleichgültigkeit im täglichen Leben zur Folge. Die Anordnungen (Instruktionen) institutioneller Praxis sind unhaltbar und betäuben jeden politischen oder moralischen Sinn. Trotz der Tatsache, dass diese Anordnungen vom Staat und hohen Verantwortlichen legitimiert werden, führen sie dennoch

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die Arbeiter/innen im Migrationsbereich dazu, die Apartheid zu verweigern und sich zwischen ihrem persönlichen Interesse (manchmal die Existenzbedingung zu sichern) und der Kohärenz in ihrem eigenen Leben zu entscheiden. Jede Forschung auf dem Gebiet der Rotation von Personen, die im Bereich der Migration tätig sind, sollte dieses Element berücksichtigen. Diese Tatsache (der Apartheid) zeigt sich auch im Angriff auf die Grundrechte, die im Schweizer und internationalen Recht verankert sind. Dieser Angriff beweist zumindest, dass die Grundrechte keine abstrakten Normen sind, sondern historische, durch Kampf erworbene Rechte. Die Grundrechte sind teilweise in der Bundesverfassung vom 18. April 1999 verankert trotz der Grenzen, die sie hinsichtlich des auf Gleichheit gegründten Gemeinwohlpakts enthält. Die Mobilisierung der Souveränität, der Volksmacht in der Debatte um Apartheid/Gleichheit stärken sie.

Der beste Weg ist nicht unbedingt institutionnell mittels einer Verfassungsrevision, da doch die anti-demokratischen Kräfte nur auf einen falschen Schritt warten, der die Feinde der Souveränitat, der demokratischen Volksmacht begünstigen könnte. Die Verfassungsrevision bleibt ein Ausnahmemittel. Die Mobilisation durch demokratische Praxis ist ein leichter begehbarer Weg.

Eine Öffnung der Pandorabüchse kann Überraschungen bereithalten. In dieser Hinsicht lohnt es sich, die Genfer Erfahrung mit der verfassungsgebenden Versammlung zu überdenken. Die vielen Erklärungen der SVP, die die Verfassung, das internationale und nationale Recht und den öffentlichen Informationsdienst in Frage stellen, sowie die Dokumente der Partei, ihre Aktivitäten und ihre Propaganda zeigen deutlich den Willen zu einer politischen und institutionellen neo-konservativen und total-liberalen Konter-Revolution.

Diese Tatsachen rufen uns auf, wachsam zu sein und die Logik und das Feld zu vermeiden, auf das die SVP gemeinsam mit anderen politischen Kräften ihre Gegner zu ziehen trachtet, und uns vielmehr für den Widerstand und eine breite kreative politische Mobilisation zu entscheiden. Jede positive Revolution ist in der schöpferischen Tat/Aktion verankert, die ihr Fundament in der demokratischen Bewegung hat. Die Aktion ist vorrangig. Die Schöpfung ist die Sache der normalen Leute «von unten», die «ohne Anteil» (nach der Formulierung von Jacques Rancière) sind und danach trachten sich die Politik wieder anzueignen. Institutionelle Änderungen folgen der Macht der Aktion, der Kapitalisierung der Stärke konzertierter Aktion, und nicht umgekehrt.

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ZIELGERICHTERE FOKALISIERUNG UND VERMUTETE INTERESSEN : ENTZWEIUNG, TEILUNG, VERLUST DES GEMEINWOHLS

Die zielgerichtete Fokalisierung, sei es auf wirtschaftliche Argumente, sei es auf politische Argumente (identitäre Themen) verwischt das, was auf dem Spiel steht und entzweit. Die Arbeiterklasse, die kleinen Angestellten (40%), die nicht homogene Mittelklasse der Arbeitnehmer (zwischen 40 und 60% der Bevölkerung, die Zahlen variieren) werden kategorisiert um in Programmen durch die Vielfalt des Angebots der Parteien, sei es wirtschaftliche Themen oder politisch identitäre Themen betreffend, aufgefangen zu werden, ohne dass ihre zugleich spezifische und gemeinsame wirtschaftlich-politische-kulturelle Situation berücksichtigt wird.

Von den Migranten auf der politischen, kulturellen Ebene der «nationalen Identität » zu sprechen, wie das die SVP gegenüber dem « Volk » tut (rufen wir in Erinnerung, dass die SVP nicht die Partei ist, die die Interessen der Volksklassen oder der von der Globalisierung Enttäuschten vertritt –62), heisst in Realität der Frage nach der materiellen, reellen Kondition der Arbeiter, der Arbeitsmigranten, der Frage nach den Anforderungen der Gleichheit und den der daran gebundenen sozialen und politischen (Wahlrecht) Rechte auszuweichen. Abgesehen davon, wenn man der Mittelklasse gegenüber nur wirtschaftliche Themen anspricht (Steuersenkung, Teilzahlung von Krankenversicherungsbeiträgen, Senkung der MWst, Prämien auf Bau und Miete etc) bleibt man in derselben umgekehrten Logik gefangen. Man spricht dauernd von Wirtschaft und nicht vom Zusammenhang zwischen wirtschaftlichen und politischen Fragen.

Die zweigleisige soziale Logik verdeckt die Tatsache, dass in einer Krisenperiode die Volks-und Mittelklasse beide gemeinsame wirtschafliche und politische, ja selbst existentielle und zivilisatorische Probleme haben. Sie hat den paradoxalen Effekt zu verhindern, dass Fragen, Bedürfnisse, Interessen und Forderungen der lohnabhängigen Volksschichten und der Mittelklasse gemeinsam gestellt werden. In einer Situation der Veränderung, verstärkt dieses Paradox das Phänomen, das das Sprichwort «Teilen um zu herrschen» beschreibt. Eine derartige paradoxale Verzerrung der Wirklichkeit betrifft heutzutage sowohl die Arbeiterklasse, die kleinen Angestellten (starker Anteil von Migranten) und die lohnabhängige Mittelklasse. Sie bremst den Aufbau einer breiten Front für eine weltoffene Schweiz, die auf dem Schutz der Gemeingüter basiert.

Ein anderes Gesicht der Apartheid, ein anderer Angriffswinkel. In

62–Siehe dazu Gottraux Philippe, Péchu Cecile, Militants de l’UDC. La diversité sociale et politique des engagés, Lausanne, Ed. Le livre politique – CRAPUL, Lausanne, 2011.

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der Westschweiz, zum Bespiel, propagieren die Befürworter eines Wachstums um jeden Preis die Entwicklung von Grossbanken, Massnahmen um grosse Vermögen anzuziehen, die Verbreiterung der Autobahn A1, den Bau eines dritten Gleises der SBB oder einer Metro zwischen Genf und Lausanne um Banken und multinationale Unternehmen anzulocken. Die Verwischung der Wirklichkeit verdeckt die Tatsache, das die Installation von Multinationalen in der Schweiz ohne jede Bedingung auf der politischen Ebene, auf der Ebene des Rechts, der sozialen Rechte, der Grundrechte und des Respekts der Umwelt dazu führt, dass die lokale und regionale Bevölkerung, die den Volksschichten und der Mittelklasse angehört, von den Städten und von ihren Lebens-und Arbeitsplätzen vertrieben wird (die Metropolregion Genf-Lausanne ist dafür ein Beispiel).

Die Erhaltung einer Politik des Gemeinwohls und der Zivilität erfordert daher heutzutage :

1. Den Wiederaufbau einer gemeinsamen synthetischen, existentiellen, wirtschaftlichen und politischen Vision der Situation der Volks-und Mittelklassen ;

2. Den Wiederaufbau des sozialen Bewusstseins, was die Realität der Apartheid und Angriffe auf das Gemeinwohl in den Strukturen und im täglichen Leben betrifft ;

3. Die Weigerung die Aktion und die öffentliche Debatte auf das vermiente Feld des Krieges, des identitären Hasses zu beschränken um eine total-liberale und neukonservative Deregulierung mittels der Aneignung der Wahlszene zu verbergen ;

Die Herausforderung besteht darin, ein echtes Programm der Synthese zu erarbeiten, das auf existentiellen, wirtschaflichen, politischen und philosophischen Entscheidungskriterien für die Gesellschaft und Zivilisation beruht.

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3. EINE UNENTGELTLICHE, FÜR ALLE OFFENE SCHULUNG (FRÜJAHR 2012)

EINE WEITREICHENDE BÜRGERLICHE MOBILISIERUNG : ALLGEMEINES ÖFFENTLICHES FORUM 2012-2013

Wir möchten eine kollektive, weit offene Schulung (2012) und einen Tag gemeinsamer bürgerlicher Mobilisierung organisieren. Unser Text, der auf Deutsch und Italienisch übersetzt ist, ladet zu einer gemeinsamen Reflexion ein, die für das Früjahr 2012 im Rahmen einer unentgeltlichen und für ein breites Publikum offenen Schulung geplant ist. (siehe Einladung im Annex).

Jede Moblisierung beruht auf dem Recht zur Meinungsäusserung und gemeinsamer Reflexion. Es gibt bereits eine bürgerliche Mobilisierung ; sie ist jedoch minoritär und betrifft nur Einzelaspekte. Sie muss defragmentiert, organisiert und auf eine weites Publikum ausgedehnt werden, das sich nicht immer unter den traditionellen politischen Kategorien findet (Alter, Beruf, Funktion, Status, Aktivität, Insertion, verschiedene Interessen etc.). Sie muss einheitlich sein, um agieren zu können. Es geht daher darum, eine gemeinsame Allianz der Aktion zu bilden, die sowohl defensiv als auch offensiv ist, sowohl zusammenführend (vereinigend) als auch kampflustig in Formen, die es zu erfinden gilt:

1. Eine weite Mobilisationsfront, die vorrangig Migranten miteinbezieht sowie alle Akteure, denen es daran liegt das Wort zu ergreifen und ein demokratisches, politisches Regime oder System zu verteidigen, das auf den Grundfreiheiten, dem Respekt des Rechts, der Gleichheit, der Individualrechte und Grundrechte basiert.

Die demokratische Arbeit (im radikalen Sinn) nährt sich von den Volksrechten, den Gegengewalten, der «bürgerlichen Gesellschaft» und der sozialen Bewegung.

2. Ein Projekt der Wiederaneignung der Souveränität und der

demokratischen Volksmacht beruhend auf den Bedürfnissen und den Aspirationen der Leute. Das Gerüst eines solchen politischen Projekts ist die dynamische Konstruktion eines Gemeinwohlpakts, der auf Gleichheit beruht, die in den Strukturen und Rechten (auf nationaler und internationaler Ebene) aktualisiert wird.

In einem solchen, zugleich defensiven als auch offensiven Rahmen, gilt es eine neue Politik (unter dem Motto) «Gemeinwohl, Migration, Gleichheit» zu erfinden, zu bekräftigen und aufzubauen. Wir

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brauchen eine Revolution im Sinne einer radikalen Verlagerung der Debatte, der Reflexion, der Aktion und der Forschung vom Feld der Apartheid weg hin zum auf Gleichheit beruhenden Gemeinwohlpakt, eine Revolution, die neue Themen und Gebiete eröffnet und neue Horizonte entfaltet.

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ZWEITER TEIL

EINE ALLGEMEINE PHILOSPHIE DER ÖFFNUNG AUF EINE (EINZIGE) WELT (ONE WORLD)

1. TATSACHEN, FESTSTELLUNGEN, SCHWELLEN VON DER ENTMENSCHLICHUNG ZUR BARBAREI

IST ES NUR EIN SCHRITT

1. Eine allgemeine Philosophie der Öffnung heisst sich vorzustellen, zu akzeptieren und zu handeln damit Eine Welt (One World) dank der Beziehungen, die die Menschen untereinander knüpfen, möglich wird. Wie ein junger, von Simone Weil und Hannah Arendt inspirierter Philosoph, sagt, «die Menschheit ist nicht Essenz sondern ein-mit-Anderen-in-der-Welt Sein, zufällig und vorrübergehend». Ein menschliches Leben ist ein der Welt offenes Leben» –63. Der Begriff «Welt» ist Hannah Ahrendt entlehnt, wie es das Zitat am Anfang des Textes anzeigt, ein Zitat das im übrigen eine vertiefte kritische Lektüre verdient, da es, im Gefolge von Kant eine radikale Verlagerung des Blicks verlangt.

Die zentrale Frage für eine philosophische und politische

Anthropologie und daher für die Bürgerschaftlichkeit (citoyenneté) ist, dass der Begriff der «Einen Welt» ein Kriterium der Reflexion, der Analyse und der Evaluierung von Situationen einführt, das es erlaubt eine mögliche Beziehung zur Welt, zu den anderen und zu sich selbst zuzulassen oder zu zerstören.

2. Wir leben in Europa, in der Schweiz in einem Zeitalter der

Entmenschlichung, und von der Entmenschlichung zur Barbarei ist es nur ein Schritt. Im Kontext der chaotischen Globalisierung drängt sich erneut die Wahl zwischen Globalisierung und Barbarei auf. Sowohl ein auf die Welt offenes Europa wie eine auf die Welt offene Schweiz müssen aufgebaut, erfunden und mittels eines auf Gleichheit gegründent Gemeinwohlpaktes in die Praxis umgesetzt werden. Von der Deshumanisierung zur Barbarei ist es nur ein Schritt.

Die Ausübung der Volksouveränität und der Rechtsschutz

hat Errungenschaften hervorgebracht. Seit dem Beginn der modernen Geschichte haben die Revolutionen des 18. und 20. Jahrhundert die Schaffung und Akkumulation eines

63–Gérard Valérie, L’expérience morale hors de soi, Paris, PUF, S. 201.

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wertvollen Kapitals im Bereich der politischen Schöpfung, der Humanisierung, der Freiheiten und Rechte ermöglicht, auf das wir uns stützen können um die fundamentalen Bedürfnisse und die Basis für die Lebenbedingungen zu schützen. Heute werden diese Errungenschaften von politischen Kräften bedroht.

Es gibt eine Grenze für Privilegien, Zivilisationsschwellen die,

bei Strafe von Barbarei und Verlust der Humanisierung, nicht überschritten werden dürfen. Die Teilhabe am Gemeinwohl, die den Respekt des Lebens, die strikte Ablehnung der Folter, die Achtung der Grundrechte und der Einheit des Menschengeschlechts – daher der Gleichheit impliziert – ist die nicht überschreitbare Schwelle jedes erdachten republikanischen, demokratischen (parlamentarisch, semidirekt, auf Volksrechte gestützt), sozialistischen, revolutionären Regimes/Projekts.

Hier können keine Abstriche gemacht werden. Nichts darf

aufgegeben werden. Zustimmung, Konsens, zweideutige Kompromisse sind nicht akzeptierbar gegenüber den Gegnern der Demokratie und der Grundrechte, denn die Transgression der Grenzen der Zivilisation stellt eine grosse Gefahr für das Leben und die Existenzbedingungen der Menschen dar, und bedroht die Menschheit insgesamt.

3. Die Grenzen, Schwellen müssen klar identifiziert, stets in

Erinnerung gerufen und in der Praxis verteidigt werden. Es gibt Privilegien, die den Planet Erde bedrohen. Es gibt Schwellen, wo Argumente sich nicht mehr vermischen, sondern einander entgegengesetzt sind. Wo jede Zweideutigkeit was die Schwelle des Respekts vor dem Leben und den Rechten angeht nicht mehr möglich ist. Wo man eine Wahl treffen muss. Jede Überschreitung dieser Schwellen durch die Ausübung von Privilegien, Sprache oder andere Akte muss angeprangert und von der legislativen, exekutiven und richterlichen Gewalt – bei Strafe der Delegitimierung der öffentlichen Autorität auf jeder Ebene des politischen Systems, des Staats, der Parteien, der bundesstaatlichen, kantonalen und kommunalen Institutionen und des öffentlichen Dienstes - sanktioniert werden. Schlimmer noch: unter Strafe der Deligitimierung der Politik und Zivilität selbst.

Drei Beispiele aus der letzten Zeit, die alle der gleichen Logik

folgen. Erstes Beispiel : Die Steuerflucht, die Nichtzahlung von Kapitalsteuern in einer Periode der Krise bedroht den Staat, den öffentlichen Dienst, die Rechte und deren Schutz. Zweites Beispiel : der Vize-Präsident der SVP hat öffentlich die Folter verteidigt. Drittes Beispiel : der rethorische Kniff, der darin besteht eine Unterscheidung zwischen Folter und Ausweisung

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(in der Schweiz Ausschaffung genannt) zu machen, erlaubt es dem Autor zu verneinen, dass das Ausschaffungsverfahren eine Verletzung der internationalen Konvention gegen die Folter darstellt –64. Diese Verneinung der Realität dient dazu, die Verletzung der internationalen Konvention gegen die Folter und unmenschliche und erniedrigende Behandlung in der Struktur und offiziellen Praxis der Ausschaffungen zu banalisieren. Kurz gesagt, jede Verneinung, jede Banalisierung durch eine künstliche Unterscheidung ermutigt zur Transgression von Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen.

Im gemeinsamen Leben ist jede Person, jede Institution, die

vom öffentlichen Dienst profitiert aufgerufen, sich an der Verteidigung seiner Qualität zu beteiligen. Jede Person, die in einem Rechtsstaat ein offizielles politisches Mandat hat, oder im öffentlichen Dienst arbeitet und jede Person, die die Folter, die Verletzung des Rechtsstaats und der Grundrechte gutheisst, muss sanktioniert und von seinem/ihrem Mandat oder Funktion suspendiert werden.

4. Die wiederholten, im Namen des « Volkswillens » erfolgten

Attacken gegen das Völkerrecht und Schweizer nationales Recht im Bereich Asyl, verbergen einen anderen Zweck, der die Souveranität, die Volksmacht, den sozialen Zusammenhalt, die Gleichheit, Solidarität und den Frieden gefährdet.

Sie zielen nämlich darauf ab die Rolle des Staates als Retter

der zügellos auf Finanzmärkten spekulierenden Banken zu legitimieren, und Massnahmen der Kontrolle und Sanktion des multinationalen Finanzkapitals zu verhindern. Sie zielen weiters darauf ab, den Rückzug des Staates aus seiner Schutzrolle zu legitimieren. Sie zielen letztendlich darauf ab, die Verletzung von Grundrechten auf dem Arbeitsmarkt und die Infragestellung der Leistungen des öffentlichen Dienstes zu banalisieren.

5. Ab September 2001 sind die Sicherheitsmassnahmen auf der

ganzen Welt unter dem Druck der Regierung der USA verstärkt worden. Sie wurden schon vorher auf Ausländer angewandt, noch bevor die Zwangsmassnahmen–65 in Kraft traten. Sie haben die imperialistischen Kriege und deren akkumuliertes Scheitern begleitet (Vietnam, Irak, Afghanistan). Sie haben nicht nur die Grundfreiheiten, das Völkerrecht, sondern auch das nationale Recht in den Vereinigten Staaten, in Europa und in der Schweiz gefährdet, worauf zum Beispiel die Völkerrechtsexpertin Mireille Delmas-Marty –66 aufmerksam gemacht hat.

Gegenwärtig verwechselt man Sicherheitspolitik mit

64–Zitieren wir genau, wie die Folter in der Ausschaffungspraxis verneint wurde : « Das Volk entscheidet, nicht das internationale Recht. Für einen souveränen Staat wie der Schweiz besteht das einzige Gebot darin, zwingende Völkerrechtsnormen zu respektieren. Das umfasst z.B. das Folterverbot, nicht die Ausweisung von Ausländern. Der Beweis : Dänemark ist Mitglied der EU und hat dennoch eine wesentlich strengere Reglementierung für kriminelle Ausländer eingeführt als in unserer Initiative vorgesehen ist.»

Le Temps, 3.10. 2011. Die Webseite des CPT gibt nähere Auskunft darüber.

65–Der Fall Musey und Maza, beide Asylsuchende aus Zaïre und in Gegner von Mobutu, war eine Gewaltprobe zwischen der sozialen Bewegung und der damaligen Bundesrätin E. Kopp, die in der Praxis die Zwangsmassnahmen bereits praktizierte. In der Romandie sind diese Fälle, die Teil der Aktionen der Bewegung zur Verteidigung des Asylrechts und der Grundfreiheiten waren, im Volksgedächtnis verankert geblieben.

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66–Delmas-Marty M., Libertés et sûreté dans un monde dangereux, Paris, Seuil, 2010.

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Sicherheit. Der sogenannte Kampf gegen den «Terror» führt zu einer irrealistischen Vision der Sicherheit im gemeinsamen Leben, in der Migrations-und Sozialpolitik, die inbesondere das Asylrecht bedroht und das Fehlen einer echten öffentlichen Sicherheitspolitik im Dienste des Friedens aufzeigt.

6. Seit den 70er Jahren sind wir Zeugen xenophober Auswüchse.

Sie zielten zunächst auf Arbeitsimmigranten ab, und seit den achtziger Jahren auf Asylsuchende und andere prekarisierte Bevölkerungsschichten (z.B. Gefangene, Kranke, Invalide, Sozialhilfeempfänger, alte Menschen, Jugendliche etc).

Die SVP instrumentalisiert das Asylrecht, das 3% der

«Ausländer» in der Schweiz betrifft und erspart sich zur gleichen Zeit eine ernsthafte Diskussion der allgemeinen Wirtschaftspolitik, der Restrukturierung des Arbeitsmarkts und der Sozialrechte, der Migrationspolitik, die die gesamte in der Schweiz lebende Bevölkerung (fast 8 Millionen) betrifft, davon mehr als 1,5 Millionen Migranten (20% der Bevölkerung, 30-40% in Genf und den urbanen Regionen der Schweiz). Letztere leisten doch einen Beitrag zur Schweizer Wirtschaft, zum gemeinsamen Reichtum, zum Knüpfen internationaler Beziehungen und daher zu den Interessen der gesamten Schweizer Bevölkerung.

7. Indem die Frage der Migration instrumentalisiert wird,

eine wahrhaftige Strategie der Dekonstruktion der Basis des gemeinsamen Lebens durch Angriffe auf den Staat, auf die Verfassung, auf Grundrechte und das Völkerrecht, die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die Vereinten Nationen, den öffentlichen Informationsdienst etc. mittels einer Umfunktionierung der Volksrechte entwickelt wird, sucht ein autoritäres, neu-konservatives und total-liberales politisches System durch einen sozialen Krieg seine Hegemonie zu etablieren.

Seine Urheber haben die Errichtung einer neuen autoritären Verfassungsordnung zum Ziel indem sie den Staat radikal ändern, die Rechte zerstören, das Völkerrecht, sowie die EMRK und die UNO ablehnen. Dies muss mit Mut, Bestimmtheit und Klarsicht bekämpft werden. Akzeptieren wir politische Anhänger eines solchen reaktionären und grenzenlosen Krieges, (Hass der französischen Revolution, der republikanischen, liberalen und Arbeiterrevolutionen), eines derartigen Gesellschaftsprojekts zu sein?

8. Die Verabschiedung des Asylgesetzes (LAsi, 1979), das 1998 komplett geändert wurde, und die Verabschiedung

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des Ausländergesetzes (Letr, 2005) sind Schritte der Institutionalierung der Ausländer- und Asylpolitik. Beide Gesetze weisen Lücken auf und insbesondere das Asylgesetz ist Änderungen und schädlichen Restriktionen unterzogen worden. Man ist auf diesem Gebiet Zeuge einer Art «Krabbenpolitik» : ein Schritt vor, zwei Schritte zurück.

Das Ausländergesetz verneint, dass die Schweiz ein

Migrationsland (Immigration und Emigration) ist. Konsequenz: die Migration ist nicht in die Friedenspolitik und die Gesamtheit der öffentlichen, sozialen und kulturellen Politik integriert; es fehlt eine echte und zukunftsgerichtete demographische, wirtschaftliche und soziale Bilanz; es existiert die Möglichkeit von Retorsionsmassnahmen gegenüber im Ausland reisenden oder arbeitetenden Schweizer/Innen, etc.

Eine derartige Verweigerung ermutigt zum Alleingang,

den nicht kontextualisierten und unkritischen Gebrauch des Wortes «Volk» und den Diskurs über die «Invasion der Massenimmigration».

Das Asylgesetz (LAsi) ist seines Inhalts und Sinns

durch eine äusserst restriktive Interpretation und kurz aufeinanderfolgende Revisionen entleert worden, was dem Erfordernis der Rechtssicherheit widerspricht. Die Multiplikation der Nichteintretensklauseln hat einem Grossteil der Asylwerber den effektiven Zugang zum Verfahren vereitelt, während die Zahl der Personen mit vorläufiger Aufnahme die der anerkannten Flüchtlinge übersteigt. Die diskretionäre Macht einer polizeilichen Bürokratie wird zu einer ausserhalb jeder demokratischen Kontrolle stehenden siebenten Macht.

Zudem tendiert sowohl der offizielle Diskurs, als auch der der Medien oder der meisten politischen Parteien dazu, einen vorgeblichen Missbrauch des Asylrechts zu stigmatisieren. Die offiziellen Statistiken zeigen jedoch dass jährlich 50% der behandelten Fälle in der Zuerkennung von Schutzmassnahmen, der Anerkennung des vollen Asylrechts oder der vorläufigen Aufnahme enden.

9. Immer mehr Angestellte von Institutionen des öffentlichen

Dienstes oder privater Vereine, sei es auf der föderalen oder kantonalen Ebene, leben ein unüberwindbares Dilemma, da sie eingeklemmt sind zwischen der Treuepflicht dem Rechtsstaat gegenüber, zwischen Knechtschaft, Freiheit und (Un)Gleichheit. Sie prangern die gegenwärtigen Auswüchse an, die ihre ethischen und deontologischen Referenzen, sowie die Qualität und den Sinn ihrer Arbeit in Frage stellen. Man hört nicht auf sie.

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10. Es gibt bedeutende Unterschiede zwischen der deutschen und der französischen Schweiz und auch unter den verschiedenen Bevölkerungsschichten was die liberale, republikanische Kultur, die Beziehung zum Staat und zum Recht des Ancien Regime, zur Modernität und der Aktualität betrifft. Die Geschichte der liberalen Ideen in der Schweiz, der Volksrechte und der Gewalt des Staats zeigt eine Manipulierung der Tradition, sowie engstirnige Visionen, Unwissen, Anachronismen und ein Misstrauen des Volks mit unheilvollen Folgen. Das Fehlen eines Verfassungsgerichtshofes liefert uns ein strukturelles Beispiel.

11. Die Staatsstrukturen, insbesondere die des DFJP sind den

Herausforderungen der Globalisierung, dem Aufbau Europas und einer weltoffenen Schweiz nicht angepasst.

12. Rufen wir in Erinnerung, dass die Bundespolizei geschaffen

wurde um sowohl die Linke als auch die Ausländer zu kontrollieren (1889). Betonen wir, dass das DFJP sowohl die Justiz als auch die Polizei umfasst. Während andere Staatsdepartements (z.B. das Bundesdepartement für Wirtschaft, DFE, das ab Januar 2013 in das Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung umgewandelt wird) umstrukturiert werden, ist keine strukturelle Massnahme hinsichtlich des DFJP angekündigt. Vorschläge, die seit Jahren von der sozialen Bewegung und der Forschung formuliert worden sind, schlafen bis jetzt in den Schubladen der Bundesverwaltung. Sie sind nicht ernsthaft studiert worden.

2. DIE MIGRATION DEMILITARISIEREN POLIZEI, KRIEG ODER DEMOKRATISCHE MACHT

Gewalt und Recht. Krieg und Demokratie. Krieg und Revolution. Polizei und Politik. Die Spannung zwischen diesen Begriffen durchzieht die Geschichte. Und, so sagt man uns, letztendlich zähle nur die Gewalt. Die Helden seien nur Kriegshelden und der normale Bürger nur ein Anti-Held. Das sind zwei Arten die Politik und die Macht der Aktion zu begreifen und zu praktizieren, und die Beziehung zum anderen, zur Politik und zu grenzenloser Gewalt herzustellen. Ein solcher roter Faden findet sich schon in Griechenland bei Thukydides –67 in seiner Geschichte des troianischen Kriegs, fünf Jahrhunderte vor J.C. und in allen grossen philosphischen Texten. Im Westen und anderswo.

Zahlreiche interdisziplinäre Forschungsarbeiten, die sich auf

67–Castoriadis Cornelius, Thucydide, la force et le droit, Paris, Seuil, 2011.

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die Beobachtung der europäischen Migrationspolitiken im Zusammenhang mit der Transformation des Kriegs auf der internationalen Ebene vor und nach September 2001 stützen, haben gezeigt dass die Migration zumeist auf eine Frage der Polizei reduziert wird, ja sogar der Armee, die dazu aufgerufen ist die staatliche Souveränität auf einem «nationalem» Gebiet gegenüber den «Ausländern» zu verteidigen. Kritiker denunzieren dass sich die Beziehung des Staats gegenüber den «Ausländern» auf die Frage der Sicherheit beschränkt, und dass damit der Rechtsstaat untergraben wird, aber was ist mit der Transformation der politischen Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit? Was ist mit der Entwicklung eines sozialen Gewissens auf der Grundlage der Expropriation des Gemeinsamen mittels einer kriegerischen Sicherheitspolitik ?

Die Omnipräsenz der Polizei reduziert die Migranten zu «Missbrauchern», Dieben, Kriminellen und sogar Terroristen, und schliesst die lokale Bevölkerung in einem Polizeistaat ein. Im Namen den Ordnung, zieht Gewalt Gewalt nach sich. Indem sie ausgeübt wird, liefert die Gewalt ihre eigene Legitimation, obwohl die Erhöhung der Zahl der Polizisten keine Garantie der Sicherheit ist. Die Polizei schafft ihre eigene Legitimierung –68. Die Ausübung kalter und zynischer Gewalt, die Ungleichheit der Apartheid haben nicht nur unheilvolle Folgen für die Migranten, sondern für die Gesellschaft der Schweiz und Europa’s, die sich militarisiert. Die Allgegenwart polizeilicher Gewalt legitimiert den Hass. Der Ruf nach polizeilicher Ordnung soll das Chaos kontrollieren, das Migranten und andere Marginale angeblich hervorrufen. Wie es z.B. der Völkerrechtsexperte Delmas-Marti erklärt, die Sicherheitsfrage, die Teil des Rechts ist, das die Beziehung zwischen dem Individuum und dem Staat ausgehend von der Verteidigung der Grundfreiheiten regelt, weicht dem verschwommenen Begriff der Sicherheit. Die - anspruchsvolle - Ausübung der Demokratie, die jedem Individuum zusteht, weicht der Staatsgewalt (Polizei, Lager, Gefängnisse, Internierungsanstalten). Im übrigen weicht die Kultur der Individuen gehörenden und als unveräusserlich geltenden Rechte einer humanitären Massenbehandlung, die die Entmenschlichung der Gesamtheit sozialer Beziehungen nach sich zieht.

Der auf Apartheit basierende migratorische Utilitarismus, der die Jagd auf die prekarisierten Armen –69, lden Wettbewerb und die Senkung der Löhne aller Arbeitnehmer legitimiert (CDD, Privatverträge, die die dem öffentlichen Recht unterliegenden Verträge der Beamten ersetzen) gesellt sich im übrigen zur Geschäftswelt im humanitären Bereich. Man braucht nur die Budgets in diesem Bereich zu analysieren und sie in Beziehung zur Grössenordnung der Gehaltsunterschiede und der Zunahme des Waffenhandels in der Welt setzen um zu begreifen was vor sich geht. Es ist daher nicht erstaunlich, dass das Asylrecht administrativen Halbstatuten

68–Siehe insbesondere, Fassin Didier, La force de l’ordre, Paris, Seuil, 2011.

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69–Chamayou Grégoire, Les chasses à l’homme, Paris, La fabrique, 2010.

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(sous-statuts) Platz macht, wie z.B. jenem der «vorläufigen Aufnahme», dass die Menschenrechte in der öffentlichen Meinung ohne jede kritische Distanz durch das internationale humanitäre Recht ersetzt werden, welches -erinnern wir uns - Kriegsrecht ist. Die Zwangsmassnahmen im Bereich der Ausschaffungen erinnern an die Kultur des Präventivkriegs, der als «gerechter Krieg» –70 dargestellt wird, und ihr Ziel ist es die kriegerische Polizeigewalt zu «versittlichen». Diese Tendenz betrifft nicht nur die Migranten sondern die Gesamtheit der Bevölkerung. Um das festzustellen braucht man, laut der Sozialarbeiter, nur den Übergang von einem Diskurs der Rechte zu einem humanitären und sicherheitsbezogenen Diskurs im Sozialhilfebereich zu analysieren. Es ist sehr schwer einer derartigen Propaganda der Gewalt, die das tägliche Leben erfasst, zu widerstehen. Der polizeiliche und kriegerische Druck ist eine wahrhaftige «moralische Einschüchterung», wie das Roni Brauman, Mitbegründer von «Ärzte ohne Grenzen» –71 kürzlich betont hat.

Das Paradox , das die SVP und die Parteien die ihr mehr oder weniger offen folgen nicht zu stören scheint, ist die Manipulation des Ausländerhasses, die Illusion und die Banalisierung der Gewalt, der Missbrauch der «Volkssouveränität». Anders gesagt, man ist Zeuge der missbräuchlichen Enteignung des Gemeinwohls, der Volksmacht und ihrer Instrumente in der semidirekten Schweizer Demokratie (Volksinitiative und Referendum), und gleichzeitiger Legitimation der Gewalt und einer kriegerischen Polizeimacht, die für die Errichtung einer total-liberalen und neo-konservativen Hegemonie notwendig ist.

Eine derartige politische Lüge hat eine perverse Folge. Sie verbirgt die Tatsache, dass sie nicht nur die Migranten, sondern die Gesamtheit der politischen Gemeinschaft betrifft. Sie führt zu einem besorgniserregenden Rückgang der Demokratie. Die Illusion der polizeilichen, militärischen Gewalt hemmt und entmutigt die demokratische Phantasie, die autonome und verantwortungsvolle Ausübung demokratischer Macht und der dazugehörigen Verantwortung, oder anders gesagt, der Souveränität, der Volksmacht. Im Namen der Verteidigung der Volksmacht ist man in Wirklichkeit Zeuge der Konfiskation der politischen und philosophischen Stärke der Volksmacht im Namen einer Volkssouveränität, die die Einmischung und Vergewaltigung der Souveränität durch das Völkerrecht und die europäischen Instanzen anprangert (z.B. Weigerung die Legitimität der Urteile des europäischen Menschenrechtsgerichtshofes anzuerkennen, oder seine Urteile auszuführen). Das lügnerische Paradox vergrössert das demokratische Defizit. Es würde sich lohnen, den politischen Absenteismus (die politische Enthaltung) im Licht dieser Tatsache zu untersuchen.

70–Rigaux François, « Où en est la guerre juste ?», in Caloz-Tschopp M.C. (Dir.), Colère, Courage, Création politique, Paris, L’Harmattan, Bd.1, 2011, S.163-177.

71–France-Culture, Freitag 21.10.2011

siehe auch : « Nous ne savons pas eteindre les mèches que nous allumons », Golias Hebdo, 17-23.11.2011

Debatte zwischen R.Brauman und B.-H. Levy, « L’intervention en Lybie était-elle une guerre juste ou juste une guerre », Le Monde, 24.11.2011

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Als Frucht der Phantasie, als Regime, als System und insbesondere als politische Praxis erfordert die Demokratie Autonomie, Kritikfähigkeit, und einen öffentlichen Raum, damit Gemeinsamkeit auf der Basis einer soliden Verankerung in der Geschichte der Souveränität, der Macht und der Volksrechte in der Schweiz und anderswo aufgebaut werden kann. Eine Reflexion über Souveränität, Macht und Volksrechte setzt voraus, dass man sich auf die Tradition bezieht, Konflikte studiert, und die Volksrechte stärkt. Das kann durch die Vertiefung der Beziehung zwischen Volksrechten und dem auf Gerechtigkeit basierenden Gemeinwohl in der Artikulation zwischen ihrer internen und internationalen Ausübung erreicht werden. Der Frage der Volksrechte muss die grösste Aufmerksamkeit in der aktuellen Debatte geschenkt werden damit die Zweideutigkeit von Situationen, populistische Lügen und die tatsächlichen Probleme ihrer Manipulation sichtbar werden, einer Manipulation, die nicht nur die Volksrechte, sondern die Volksmacht in der Schweiz und in Europa gefährden–72.

Als Frucht der Vorstellungskraft, als politisches Regime gründet sich die Demokratie auf die aktive Wiederaneignung des Gemeinwohls, der Gerechtigkeit, der Hospitalität, der Gleichheit, der Autonomie, der geteilten Macht, das Gleichgewicht und die Unterscheidung der drei Gewalten - Gesetzgebung, Verwaltung und Gerichtsbarkeit - auf die Unabhängigkeit der Gegengewalten, die ihre Dynamik sichern, und die Gleichheit der Mittel der Debatte.

Die Schweiz, Laboratorium der Souveränität, der Volksmacht in Europa. Auf europäischer und internationaler Ebene ist die Schweiz in Sachen Migrationspolitik seit Jahren als ein Laboratorium «des Schlimmsten» aufgetreten, mit einem Polizeistaat, der polizeiliche Sicherheitsmassnahmen erfand und verbreitete (Klassifikation der Länder nach «Kreisen» «kultureller Nähe», eingesetzt als vorrangiges Instrument für die Zulassung ausländischer Arbeitskräfte; Numerisierung der Fingerabdrücke und Schaffung von Datenbanken, die Daten mit europäischen Polizeien austauschen etc). Die Schweiz könnte in einem anderem Licht, positif und innovatorisch, erscheinen. Sie könnte ein Laboratorium politischer Erfindung der Volksmacht, des Gemeinwohls, der Hospitalität und der Gleichheit sein indem sie die Errungenschaften der Souveränität, der Volksmacht - die es akzeptiert den Konflikt zwischen Abschottung und Öffnung auf die Welt auszutragen - adaptiert und verstärkt.

EINE AUF FRIEDEN BASIERENDE POLITISCHE ANTHROPOLOGIE

Ein neues philosophisches und politisches Paradigma für das Thema Migration erfordert die Demilitarisierung der Macht, die

72–Siehe insbesondere, « La Cour européenne des droits de l’homme menacée », Le Monde, 31.10.2011.

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Befriedung der politischen Beziehungen und die Wiedererringung der Stärke der konfiszierten demokratischen Volksmacht. Gewalt, inklusive Staatsgewalt erzeugt nicht Geschichte. Sie erzeugt weder Politik noch eine wahrhaftige Kenntnis der vielfältigen Wahrheit des Gemeinwohls. Die politische Lüge führt zu blindem Gehorsam. Klarheit über bestimmte Mechanismen fördert hingegen die Autonomie und die Suche nach neuen Instrumenten.

Eine Anthropologie des Friedens kann ein wertvolles Werkzeug für die Schaffung eines sozialen Bewusstseins der Volksmacht sein, das den Herausforderungen gewachsen ist. Eine solche Anthropologie kann nicht als Herrschaft der Menschen über die Natur konstruiert werden. Sie erfordert eine neue Definition der Beziehung zwischen Mensch und Natur. Als ein Grundpfeiler des Gemeinwohls ist die Hospitalität –73 ein Prinzip, eine Wurzel, ein anthropologischer Wert, der eine Politik des Friedens gründet, wie Kant in seiner Abhandlung über den ewigen Frieden in einer endlichen Welt erklärt, wo es ist nicht möglich ist, Unerwünschte aus den noch unerforschten Weltgegenden zu vertreiben und wo der Krieg eine zerstörerische Dimension (des Menschen, der Natur) annimmt.

Die Politik des Gemeinwohls, der Hospitalität drückt sich aus in einer Politik des Austausches, der Reziprozität und insbesondere in einem positiven Asylrecht und nicht in einer kriegerischen «Freund-Feind» Politik, wie sie der deutsche politische Philosoph Carl Schmitt in den dreissiger Jahren theorisiert hat, nicht in einer systematischen Einschränkung des Asylrechts und einer Politik, die Rechte durch humanitäre Massnahmen ersetzt (Massenverwaltung, Hilfe in natura, Verwechslung von Flüchtlingsstatut und vorläufiger Aufnahme, Verwechslung von Grundrechten und internationalem humanitären Recht, welches Kriegsrecht ist, Abbau der Rechte, Delegation der Verantwortung, Privatisierung etc.).

Die Hospitalität, die im Kontext der Beziehung Mensch-Natur neu gedacht werden muss, nimmt daher einen zentralen Platz in der Konstruktion des Gemeinwohls, in der Praxis und auch in der Präambel jeder Verfassung (sei es auf europäischer, bundesstaatlicher oder kantonaler Ebene) ein. Die gegenwärtigen Verfassungen sind stumm was die Hospitalität betrifft. Die SVP erwähnt sie nie, und das ist auch der Fall der meisten politischen Parteien, Autoritäten, Parlamentarier und Gewerkschaften.

In einer von Unsicherheit geprägten Welt ist die beharrliche und unermüdliche Arbeit der Bürgerlichkeit, die Autonomie und Urteilsvermögen anstrebt, allein imstande, das ständige Lernen der Souveränität, der demokratischen weltoffenen Volksmacht, die sich um das Gemeinwohl sorgt, zu sichern. Das zeigt uns die Beobachtung der hartnäckigen tagtäglichen Widerstandsarbeit

73–Schérer René, Zeus hospitalier, éloge de l’hospitalité, Paris, Armand Colin, 1993,Neuauflage, Paris, La Table ronde, 2005.

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der «gewöhnlichen Helden» (Arendt) in der Schweiz und anderswo, wenn es um Angriffe auf die Gerechtigkeit, die Hospitalität und die Gleichheit geht. Diese Helden, die oft Heldinnen sind, stellen sich gegen den Rückzug der Demokratie und den Vormarsch des Kriegs, gegen die Änderung des politischen Regimes, das die Militarisierung der Migration verbirgt.

Die menschliche Würde ist zwar ein Grundprinzip – ihre Erwähnung in der Schweizer Verfassung (Artikel 7 und 12) zeugt davon – aber reicht allein nicht aus um die Denkschemen, die die kriegerische Macht, die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, den Mord und die Banalisierung menschenunwürdiger Behandlung und der Folter rechtfertigen, zu erschüttern. Sie muss mit den Prinzipien der Freiheit und der Gleichheit verwebt werden.

Kein Wertpluralismus kann die Überschreitung unantastbarer Schwellen (Grenzen) rechtfertigen: das Recht auf Leben, das Verbot menschenunwürdiger Behandlung und der Folter. Es geht darum die schwache Rechtfertigung des absoluten Verbots der Überschreitung dieser Grenzen im Namen der menschlichen Würde, durch eine neue philosophische Anthropologie zu überwinden. Eine neue Anthropologie, die sich auf den Frieden, auf die Beziehung Mensch-Natur, auf die Einheit des Menschengeschlechts, die Hospitalität, die «Gleich-Würde» (égadignité), die «Gleich-Freiheit» (égaliberté) –74 und die Gleichheit jedes Menschen gründet. Sie ist die Basis einer möglichen Politik schlechthin, der Bürgerlichkeit, des Austausches und des Friedens.

3. FRAGEN DES PARADIGMA’S UND DER METHODE FÜR EINE STANDORTÄNDERUNG DES BLICKS

UND DES TERRAINS

Die Frage der fundamental demokratischen Wahl zwischen der Macht zu handeln, welche die Souveränität, die Volksmacht kennzeichnet und der utilitaristischen, instrumentalen Macht (Polizei, Militär), stellt sich auch für die Frage der Konstruktion der Kenntisse und des Wissens. Sobald Massnahmen, Werkzeuge, Kategorien und Indikatoren auf der öffentlichen Szene mittels eines dualen, diskriminatorischen Denkens der Apartheid auftreten, halten sie das Denken und Urteilsvermögen im Paradigma der Macht und Ausübung der Gewalt gefangen. Es ist dann unmöglich die Migration, die Beiträge der Gleichheit wahrzunehmen und die neuen Elemente, die ihre Geschichte und Entwicklung durchziehen, zu berücksichtigen. Der Reichtum der Migration, ihre

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74–Balibar Etienne, La proposition de l’égaliberté, Paris, PUF, 2010.

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Komplexität, ihre Stärke bleiben im Schatten und schwerwiegende Einschätzungsfehler werden gemacht. 1. Die Migrationspolitik muss notwendigerweise zu einem sozialen

Ort werden, wo der Pluralismus der Wahrheit hervortritt, und uns Lebenswege, Situationen, menschliche Schicksale, ein wirtschatfliches Netz, Nuancen des Lebendigen, unsichtbare Tatsachen und unangenehme Fragestellungen zeigt.

2. Jede Politik und insbesondere die Migrationspolitik definiert

sich durch die Beziehung zwischen Individuen und menschlichen Gruppen, die nicht auf eine nationalistische, wenn nicht rassistische Separation, auf isolierte Objekte reduzierbar sind. Jede essentialistische Philosphie der Separation induziert verschiedene perverse Effekte der Apartheid (auf Utilitarismus begrenzte Herrschaftsbeziehungen festlegen, Gewalt induzieren). Sie sind weithin bekannt und beschrieben worden.

3. Die Migrationspolitik braucht ein neues Paradigma, neues, in

der Phantasie eingeschriebenes Wissen, eine demokratische politische Kultur, um die Tatsache der Migration zu erfahren und neue Modelle, Instrumente, Werkzeuge und Methoden zu erfinden, die mit der Apartheid brechen. Letztere hat Grenzen, da sie sich nur auf polizeiliche, ja militärische Gewalt stützen kann. Das Kreismodell, das die Polizeidienste des DFJP erfunden haben, und das ohne parlamentarische Debatte weder in der Schweiz noch in der Europäischen Union auf die Präsidentschaft der EU übertragen wurde, ist ein flagrantes Gegenbeispiel (?) eines anti-demokratischen Polizeistaats der Apartheid. Andere Beispiele aus dem Schengen-Labor könnten angeführt werden. Die Migrationspolitik kann ein Ort der Experimente im Bereich der Souveränität, der politischen Volksmacht und der Produktion neuen Wissens verbunden mit dem auf Gleichheit gegründeten Pakt des Gemeinwohls sein. Dieses Wissen wird dann weit über den Bereich der Migration hinaus von Nutzen sein.

4. Die Migrationspolitik impliziert, dass man das Allgemeine und

das Besondere gemeinsam denkt. In diesem Sinn betrifft sie die Politik und die Rechte in ihrer Gesamtheit (Leben, Gesundheit, Unterkunft, Bildung, Arbeit etc.). Aus der Sicht des höchst Allgemeinen und des höchst Spezifischen gesehen, dürfen wir nicht zulassen, dass der politische Rahmen und die Rechte zerstört werden, dass das soziale Schutznetz für alle zerrissen wird und Unsicherheit sich breit macht.

Es geht hier darum zu vermeiden, dass das Asyl und die

Aufstückelung der Migration durch die Hierarchie der

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verschiedenen Arbeitsgenehmigungen und der Schwarzarbeit ins Rampenlicht gerückt werden. Letztere begünstigen nur die Arbeitgeber, verzerren die Wirklichkeit und fördern die Konkurrenz zwischen Arbeitnehmern (1,5 Millionen Migranten direkt, während man nur von 3% Asylwerbern spricht). Sie erlauben es nicht, wohlerwogene, vernünftige und effiziente Massnahmen zu ergreifen.

5. Jede Politik und insbesondere die Migrationspolitik setzt

eine radikale kritische Distanz zu einer utilitaristischen, auf Gewalt und Quantität beruhenden Migrationspolitik voraus. Menschen werden hier auf Ziffern, Dinge, Lagerbestände und manipulierbare Massen reduziert. Das zeigt sich zum Beispiel in der Organisation und dem polizeilichen und bürokratischen Gebrauch – nicht dem Wissen – der die Ausländer betreffenden Bundesstatistik und ihren perversen Folgen. Die kurzen, Zahlen anhäufenden Pressemitteilungen, die kritiklos von den Presseagenturen und Journalisten übernommen werden, sind in dieser Hinsicht sehr aufschlussreich.

Die Informationspolitik des DFJP und des Bundesrats darf

sich nicht mit einer Politik der Verwaltung von Zahlen und «Lagerbeständen», mit Pressemitteilungen zufrieden geben, die Jahr für Jahr die Zahl der Ausländer, die Zahl der Ausschaffungen und der Missbräuche auflistet. Wir brauchen eine neue Informationspolitik, die eng an eine Politik der Öffnung auf die reiche und vielfältige Wirklichkeit der Migration gebunden ist, und die die Beziehung zum wirklichen Beitrag der Arbeiter und ihrer Länder, zur Allgemeingültigkeit der Rechte und der Grundrechte herstellt.

6. Jede Politik und insbesondere die Migrationspolitik setzt voraus,

dass Massnahmen nicht auf rein technische, utilitaristische und sicherheitspolitische Fragen reduziert werden, sondern dass sie mit der nötigen Kenntnis, dem Willen und politischen Mut als Hilfe für Entscheidungen angesehen werden, deren Ziel die Erhaltung der demokratischen Qualität des öffentlichen Dienstes auf allen Ebenen der Gesellschaft ist. Die Effizienz, die Motivation, das Urteilsvermögen und das Engagement der öffentlich Bediensteten und der Bevölkerung haben diesen Preis.

7. Lob der Langsamkeit. Es geht darum, sich den Bezug zur Zeit,

der in Migrationsfragen zu oft auf die Dringlichkeit, den Scoop reduziert wird, wieder anzueignen. Die Politik verlangt es heute kurzfristig, mittelfristig und langfristig zu denken und sich der Manipulation der Kalenderimperative, des politischen demokratischen Rythmus und seiner Regeln zu verweigern.

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Lob der Zeit, die notwendig ist für die Reflexion in der Forschungs-und Bildungsarbeit. Die Forschung muss in der Forschungsfreiheit verankert sein und sie muss dem Druck des Markts und der polizeilichen Logik widerstehen.

8. Lob des öffentlichen Raums im öffentlichen Dienst.

Wiederaneignung und Kontrolle der Beziehung zum Raum der Information und der öffentlichen Debatte. Der mit den Begriffen «national» und « Sicherheit» definierte Raum führt zu einer Verengung des öffentlichen Raums, der jedoch unabdingbar ist, will man, dass die Bürger die Tatsachen einer globalisierten Welt richtig beurteilen. Der öffentliche Raum kann weder auf das Gebiet eines souveränen Staates, noch auf einen Polizei-und Propagandaraum, noch auf die interkontinentale Aufteilung des Raums durch die Polizeien reduziert werden. In seinen veschiedenen Ausformungen, wie sie die neuen Lebensformen hervorgebracht haben, ist der öffentliche Raum ein Raum der Information und der öffentlichen Debatte, die für die Erziehung und die Bildung des Urteilsvermögens unabdingbar ist.

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DRITTER TEIL

40 MASSNAHMEN ZUR DEMOKRATISIERUNG DER DEMOKRATIE

VERFASSUNG, RECHT, SCHWELLEN, WISSEN, STAATSWERKZEUGE

Eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf Eine Welt (One World), wenn sie nicht abstrakt bleiben und daher in tiefen Schubladen verkommen will, muss - dank eines pluriellen politischen Willens - in konkrete Massnahmen umgesetzt werden, die von der Geschichte inspiriert, und von der Gegenwart und Zukunft erfordert sind. Sie ist eine Art positiver Aufstand gegen die Expropriation des Gemeinwohls und die banalisierte Apartheid. Die Liste der 40 vorgeschlagenen, unten angeführten Massnahmen ist offen. Sie ist auf verschiebenen Ebenen artikuliert und betrifft mehrere Aktionsmöglichkeiten. Man kann sich sowohl für alle 40 Massnahmen, als auch nur für eine einzige interessieren, und andere Massnahmen können hinzugefügt werden. Die Liste ist das Ergebnis einer ersten kollektiven Arbeit, und braucht Ergänzung.

Die Präsentation berücksichtigt den kurz – mittel - und langfristigen Zeitraum, um sowohl auf sofortige Bedürfnisse zu antworten, als auch Perspektiven der Reflexion und Aktion in der Innenpolitik (auf föderaler, kantonaler und kommunaler Ebene) und der internationalen Politik (Europa, UNO) zu öffnen.

Der Massnahmenkatalog ist allgemein formuliert und nicht detailliert. Die Formulierung soll die Phantasie stimulieren, und den Geist einer auf die Welt offenen Philosophie in konkrete und durchführbare Massnahmen umsetzen.

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KURZFRISTIGE MASSNAHMEN (2011-2012)

1. ZWÖLF (12) MASSNAHMEN, DIE DIE VERFASSUNG, DAS NATIONALE RECHT, DAS VÖLKERRECHT, DEN ETHISCHEN VORBEHALT UND DIE MIGRATIONSPOLITIK BETREFFEN

1. Der Abbau der Verfassung, des Staates und die Manipulierung der Rechte der semidirekten Demokratie (Initiativrecht, Referendum), die eine Gefährdung der Grundrechte zur Folge haben, muss bekämpft und sanktioniert werden, bei Strafe des Verlusts der Legitimität des sogenannten «Rechtsstaats» und der Schwächung des geltenden Rechts.

Eine derartige Forderung verdient eine ernsthafte und offene

Debatte, in der besondere Aufmerksamkeit der Restriktion der demokratischen Praxis der Volksrechte und dem Respekt der Grundrechte geschenkt werden muss. Betonen wir, dass die Forderung nach einer Sanktion im Zusammenhang mit der Aufrechterhaltung der demokratischen Rechte von neuem das Fehlen eines Verfassungsgerichtshofes aufzeigt, der eine unabhängige richerliche Kontrolle ausüben kann.

Betonen wir, dass in den vergangenen Jahren der Einsatz

von Instrumenten der semidirekten Demokratie, um in die Bundesverfassung Normen aufzunehmen, die den in internationalen Konventionen garantierten Grundrechten zuwiderlaufen (Volksinitiative über die lebenslängliche Haft, gegen den Bau von Minaretten, über die Ausschaffung krimineller Ausländer) den beunruhigenden Willen gewisser politischer Kräfte zeigt, den Rechtsstaat und den Schutz der Individuen, den er garantieren soll abzubauen –75. Betonen wir auch, dass die Schweizer/innen in den nächsten Monaten aufgerufen sind über mehr als 50 Verfassungsänderungen abzustimmen, und dass die Bürger/Innen das offensichtlich nicht satt haben, was Beweis ihres Interesses für verschiedene Themen und die Vitalität der Debatte ist.

Erinnern wir uns auch, dass die Sensibilitäten verschieden sind,

und dass die Romandie die Quasi-Totalität der von der SVP lancierten Volksinitiativen und Referenda abgelehnt hat. Es wäre von Vorteil für einen Abbau des Röstigrabens, dass es zu einem positiven Austausch politischer Erfahrungen hinsichtlich der Ausübung der Souveränität und der Volksmacht in Sachen Migration und Gleichheit kommt.

75–Tafelmacher Christophe, « Polemique sur l’expulsion des « criminels étrangers » et projet de transformation radicale de l’Etat », in : Chimères, revue des achizoanalyses, Paris, No.74, 2010, S.77-84

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2. UDie Regelung der Finanzierung der politischen Parteien und der Ausgaben für jede Abstimmung ist eine Priorität.

Zwei vor kurzem erschienene Berichte der Staatengruppe

gegen die Korruption (GRECO) weisen auf die geringe Zahl der Verurteilungen für Korruption und die Undurchsichtigkeit der Finanzierung der politischen Parteien und Wahlkampagnen hin. Gewisse Praktiken werden besonders kritisiert: Hindernisse für strafrechtliche Verfolgung (Unmöglichkeit Untersuchungen im Bereich des privaten Sektors ohne Einbringung einer formellem Klage einzuleiten), Straflosigkeit für bestimmte Organisationen (zB. Intern. Olympisches Komitee), multinationale Unternehmen unter dem Deckmantel von Nichtregierungsorganisationen. Manche fragen sich, ob nicht diesbezüglich eine Volksinitiative lanciert werden sollte.

Befürworter und Gegner jeden Vorschlags der Gegenstand einer Volksabstimmung ist, müssen gleich behandelt werden (gleiche Redezeit, gleicher öffentlicher Raum, gleicher Raum für Wahlplakate und Werbung in den Medien unabhängig von den den Parteien zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln).

Dieses Erfordernis muss auch in Beziehung zur Verteidigung

des öffentlichen Informationsdienstes in der Schweiz gesehen werden. Die öffentliche Debatte verlangt die Verteidung eines qualitativ hochstehenden öffentlichen Informationsdienstes.

Dieses Erfordernis muss weiters in Bezug zu einer Untersuchung

des Einflusses (Drucks) gesetzt werden, den Lobbies und Interessengruppen auf die Parlamentarier ausüben.

Gegenwärtig teilen sich die Parlamentarier auf der Bundesebene

1367 Mandate in den Führungsorganen von Unternehmen, Vereinen oder Stiftungen (siehe Le Temps du 22.10.2011).

3. Jede Massnahme, die die Migrationspolitik betrifft oder

Angriffe auf andere prekarisierte Bevölkerungsschichten beinhaltet (z.B. Arbeitslose, Behinderte) muss (während Wahlzeiten) vom Staat, dem DFJP und dem Parlament suspendiert werden. Es darf keine Sondersitzungen zu solchen Themen während Vorwahlperioden geben.

Die Zeit staatsbürgerlicher (citoyenne) Politik, der Migrations-und Asylpolitik ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht die Zeit von Wahlen. Die Instrumentalisierung des Themas der Migration und der Prekarisierung durch dringliche repressive Massnahmen, die zu Wahlzeiten getroffen werden, hat zum Ziel eine Regimeänderung, ein transnationales System der

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Ablehnung des Staats und der Rechte zu verdecken. 4. Regularisierung der Papierlosen durch eine allmähliche

Anerkennung «des Rechts da zu sein» ohne Restriktion der bürokratischen und polizeilichen Philosophie der «Kreise», und daher unter Respekt des Prinzips des universellen Zugangs zur Migration.

Die Praxis zeigt, dass die Logik der «Härtefälle» und der «Fall

für Fall Entscheidungen» nicht funktioniert und das Risiko der Diskriminierung und einer Logik der Privilegien enthält, die der Gleichbehandlung und Solidarität abträglich ist.

Die Regularisierung betrifft besonders aussereuropäische

Bürger. Das impliziert die Anpassung der Kriterien an das Universalitätsprinzip, den Zugang zur Gesamtheit der Rechte und insbesondere zum Recht auf Gesundheit, zur Bildung und Lehre für die Papierlosen als auch eine strenge staatliche und gewerkschaftliche Kontrolle des Respekts des Arbeitsrechts für alle Arbeitnehmer, inklusive für Arbeitnehmer ohne Papiere.

Die von der SVP im Rahmen den Debatte über die

Personenfreizügigkeit – die, erinnern wir uns - ohne erhebliche Begleitmassnahmen stattfand - erhobene Forderung nach der nationalen Vorzugsbehandlung, verbirgt das Fehlen einer rechtlichen Regelung der Arbeitsbedingungen im Rahmen der Integration in die EU. Die Wirtschaft verfügt über billigere Arbeitskräfte. Sie spielt mit der Konkurrenz der Gehälter indem sie eine Arbeitskraftreserve nutzt, mit oder ohne Statut (Aufenthaltsgenehmigung), in der aussereuropäische Arbeitnehmer und unter ihnen viele Arbeiterinnen, die Mehrheit ausmachen. Die Reglementierung der Papierlosen bedeutet Kampf für solide Begleitmassnahmen der Personenfreizügigkeit.

5. Suspendierung der Ausschaffungen. Respekt der nicht

überschreitbaren Zivilisationsschwellen. Das Risiko von Tod und Folter kann nicht auf die Errichtung «eines effizienten Systems der Kontrolle der Ausschaffungen» reduziert werden, das man durch die zweifelhafte Suche nach der Kollaboration von religiösen Institutionen –76, Experten, parastaatlichen Institutionen und dem trügerischen Argument der Bildung zwecks Risikominderung zu legitimieren sucht.

Nach drei Todesfällen in den letzten 10 Jahren in der Schweiz,

den enormen Kosten und der Unpraktizierbarkeit derartiger Massnahmen ohne Verletzung der Grundrechte –77, ist die sofortige Einstellung der Ausschaffungen geboten. Selbst

76–Der Schweizerische Evangelische Kirchenbund, der gebeten worden war für eine Probezeit unabhängige Beobachter zu schicken, hat seinen Rückzug für Ende dieses Jahres angekündigt ; Der Folterverhütungsausschuss (CPT) hat dieses Ansuchen ebenfalls abgelehnt. « In dieser Angelegenheit schiebt jeder die heisse Kartoffel von sich weg, was Zeichen eines Unbehagens ist», siehe Valérie de Graffenried, «Des renvois forcés sans observateurs neutres», Le Temps, 10.11.2011.

77–Zitieren wir als Beispiel ein Urteil des EGMR von Oktober 2011, in dem die Schweiz aufgrund der Ausweisung eines jungen, mehrfach straffällig gewordenen Türken, verurteilt wurde. Das lässt darauf schliessen, dass die Anwendung der Initiative zur Ausschaffung ausländischer Straffäter gebremst werden wird (Artikel 8 der EMRK : der Schutz des Privat-und Familienlebens garantiert wird als eine der Grundfreiheiten angesehen). Die Blockierung der Zwangsausschaffungen durch den EGMR betrifft die Praxis mehrerer Länder (England, Russland, Italien, Niederlande, Frankreich).

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wenn sie als letztes Mittel angewendet wird im Fall der Explosion der «NEE» basierend auf dem Dublin Abkommen, das die Abschiebung von Personen in Drittländer ohne ernsthafte Analyse ihrer Fälle ermöglicht, oder der Explosion der «NEE-Dublin» mit automatischer Anwendung der Souveränitätsklausel auf verletzliche Gruppen ohne ernsthafte Fallanalyse.

Die Zwangsmassnahmen (mesures de contraintes) im Bereich

der Ausländerpolitik haben die Anwendung eines neuen Gesetzes ermöglicht, obwohl die juristischen Instrumente bereits existierten. Das hat die Verhängung einer doppelten, ja sogar dreifachen Strafe zur Folge: Freiheitsentzug aufgrund eines Delikts, Verlust der Aufenthaltsgenehmigung, administrative Haft im Hinblick auf die Ausschaffung. Die Gesetzesinflation und die Sicherheitsmassnahmen, die von der SVP systematisch propagiert und danach von den gesetzgebenden oder administrativen Autoritäten akzeptiert werden, ist ein Angriff auf das Recht. Er hat eine Verschärfung der polizeilichen Praktiken sowohl in der Schweiz als auch auf europäischer Ebene (Schengen) zur Folge. Eine Evaluierung durch unabhängige Experten ist hier nötig.

Wenn der Staat auf die Durchsetzung seiner Entscheidungen

im Bereich Ausschaffungen verzichtet heisst das nicht, dass das gesamte Asylsystem zusammenbricht. Dieses Argument ist verwendet worden, um die Ausschaffungen zu rechtfertigen. Es sind der Polizeistaat und diejenigen, die ihn verteidigen, die zittern. Der Verzicht auf die Ausschaffungen ist eine Voraussetzung dafür, dass die höchsten staatlichen Autoritäten ihre verlorene Glaubwürdigkeit wiedererlangen und die in der Verfassung garantierten Grundrechte in jeder staatlichen Entscheidung und jedem staatlichen Akt respektieren.

6. Das Milgram Labor Experiment (psychologische Forschung im

Bereich der Unterwerfung) –78 hat - trotz der methodologischen Grenzen hinsichtlich der Beherrschung aller Parameter der statistischen Messungen - gezeigt, dass in einem Kontext der Folter, in dem die Vorgesetzten zur Unterwerfung ermutigen, jedermann soweit kommt dass er foltert. Was ist wenn man sich mit dem Gefolterten und nicht dem Folterer identifiziert, ein Dilemma, das im öffentlichen Dienst stehende Personen aufgrund der Entscheidungen, für die sie keine Verantwortung tragen manchmal erleben müssen?

Im Sinn einer pragmatischen Sorge um Humanisierung und der

Anwendung des Prinzips der Reziprozität, schlagen wir vor, dass jede Person, die Ausschaffungen befürwortet im Rahmen

78–Milgram S, La soumission à l’autorité, Paris, Denoël, 1974.

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einer Forschungsarbeit eingeladen wird, selbst die Erfahrung des Spezialverfahrens Level 4 zu machen, um die konkreten materiellen Bedingungen und Gefahren eines derartigen Verfahrens kennenzulernen.

Zu diesem Thema sollte ein interdisziplinäres Forschungs-

programm unter der Leitung des Schweizerischen Forschungsfonds und der Akademie für Sozial- und Humanwissenschaft gestartet werden, mit Beratung durch den Folterverhütungsausschusses, die Vereinten Nationen und die Berufsorganisationen der Juristen, der Psychologen, der Ärzte, der Lehrkräfte, der Polizei, der Sozialarbeiter, der Forscher, der Journalisten etc.

Ein solches Forschungsprogramm könnte im Rahmen eines

weitreichenderen thematischen Forschungsvorhaben, das den auf Gleichheit gegründeten Pakt des Gemeinwohls betrifft, durchgeführt werden (siehe weiter unten, Forschungsvorschlag «Galileo»).

7. Angesichts der Notwendigkeit zwischen der Verantwortung der

Hierarchie und der der Arbeitnehmer zu unterscheiden, muss ein ethischer Vorbehalt eingeräumt werden, da letztere dazu angehalten sind grundrechtswidrige Gesetze und Richtlinien anzuwenden. Dieser Vorbehalt betrifft einen Zustand der Notwendigkeit –79 - das Leben von Menschen steht auf dem Spiel - und die Verletzung der Grundrechte (ethischer Kode). Weiters ist eine Reorganisation der Verwaltung zwecks Reorientierung des öffentlichen Dienstes notwending, um die Qualität der Arbeit und die Grundrechte zu gewährleisten. Die Arbeit im öffentlichen Dienst darf sich weder darauf beschränken möglichst viele Akten zu bearbeiten, noch auf die gehorsame Anwendung von Normen, die Rechte verletzen.

In diesem Zusammenhang wäre es wichtig, dass die Studie des Schweizer Bundesamts für Migration (BFM) über die Entscheidungsfindung der Bundesangestellten im Bereich Asylrecht der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Halten wir fest, dass sich das Soziale Evangelische Zentrum (Centre Social Protestant) in Genf diesen Bericht dank des Bundesgesetzes über das Öffentlichkeitsprinzip beschaffen konnte.

8. Schaffung einer Volksanwaltschaft mit der Kompetenz, Klagen

von Angestellten des Bundes und von NGOs sowie von Bürgern zu behandeln, die eine Verletzung im Bereich des Arbeitsrechts und des öffentlichen Dienstes feststellen, und die aufgrund von Gesetzen oder Direktiven, die sie anwenden müssen vor

79–Im Strafrecht ist Notwendigkeit ein Rechtfertigungsgrund, der es ermöglicht eine Person nicht zu bestrafen, wenn sie ein Delikt begangen hat um eine schwere Gefahr zu vermeiden, zB. eine Fensterscheibe einschlagen um eine im Sterben liegende Person zu retten.

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ein ethisches Dilemma gestellt werden. Ein Berufungsrecht vor dem Bundesgericht muss vorgesehen werden.

9. Schliessung der administrativen Internierungsanstalten,

Verbot der Errichtung spezieller Bundeszentren für Asylwerber die von der Wohnbevölkerung abgeschieden gelegen sind, und Verbot Ausländer in administrativer Haft in Gefängnisanstalten einzusperren.

Diese Instrumente der Apartheid erhöhen die menschlichen,

wirtschaftlichen und sozialen Kosten und gefährden den Respekt des Rechtsstaats und der Grundrechte.

Abgesehen davon, dass eine administrative Massnahme

(Ausschaffung aus der Schweiz) kein strafrechtliches Delikt ist, dass diese Unterscheidung wichtig ist um eine doppelte und sogar dreifache Strafe zu vermeiden, kann ein demokratischer Staat weder tolerieren, dass Ausländer in administrativer Haft wie Untersuchungshäftlinge –80 behandelt werden, noch ein spezielles Gefängnisregime für Ausländer eingerichtet wird.

In Staaten wie Holland und Dänemark, die einem starken

populistischen Druck ausgesetzt sind, gibt es Vorschläge grosse Lager zu schaffen um das Verfahren zu beschleunigen. Es ist nicht ratsam, dass die Schweiz sich Massnahmen zum Vorbild nimmt, die in einer Atmosphäre der Xenophobie getroffen worden sind. Sie muss sich im Gegenteil als Laboratorium positiver Anti-Apartheid Massnahmen profilieren. Es ist zweifelhaft, dass die Zentralisierung einer polizeilichen Verwaltung der Asylwerber eine grundrechtskonforme Behandlung der Fälle sichern kann.

10. Die Nothilfe muss jeder auf dem Schweizer Staatsgebiet lebenden Person ohne Diskriminierung zugestanden werden, wobei auf ihre möglichst rasche Einstellung und die Reintegration der Asylwerber, die sie nicht erhalten haben geachtet werden muss. Es ist nicht zulässig, die Nothilfe als Druckmittel im Hinblick auf eine «freiwillige Ausreise» einzusetzen. Sozialrechte dürfen nicht einfach Polizeimassnahmen sein.

Allgemein gesehen ist es nicht annehmbar, dass drei verschiedene

Sozialhilfesysteme je nach Aufenthaltsgenehmigung, neben-einander bestehen, wie das heute der Fall ist: im Namen des Gleichheitsprinzips, muss der Mindestlebensunterhalt für alle gleich kalkuliert werden.

Es würde das Prinzip der Gleichbehandlung gefährden, wenn

im Rahmen der Nothilfe neue Diskriminierungen geschaffen würden indem man bestimmte Kategorien davon ausnimmt

80–Die Menschenrechtsliga des Kantons Genf hat heftig kritisiert, dass administrative Haft in manchen Fällen im Gefängnis von Champ Dollon durchgeführt wird, und hat in Erinnerung gerufen, dass die administrative Haft von Personen die auf Grund ihres rechtlichen Status ausgewiesen werden nichts mit strafrechtlicher Haft zu tun hat (weder derselbe Zweck, noch dieselben Regeln). Siehe ebenfalls die Untersuchung von Michael Flynn und Cecilia Cannon des « Global Detention Projects » (2001), Ergebnis eines Forschungsprogramms des IHEID. Tausende Ausländer werden aus dem einzigen Grund gefangen gehalten, dass sie in der Schweiz unerwünscht sind (zwischen Januar 2008 und Juni 2010, zeigt die Statistik 7136 Fälle von Verhängung administrativer Haft ; in 95% der Fälle ist der Grund die Vorbereitung einer Ausschaffung , was den Grad an Opazität und die versteckte Gewalt aufzeigt. Die Untersuchung unterstreicht z.B., dass das im Jahr 2006 verabschiedete Ausländergesetz die Inhaftierung aufgrund Widerstands eingeführt hat (5% der Ausländer koopieren nicht an ihrer Ausschaffung und verbringen durchschnittlich 145 Tage in Haft). Die Inhaftierung ist oft ein Druckmittel, um die Ausreise zu beschleunigen.

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(Frauen, Kinder) und andere weiter zu ihrem Bezug berechtigt (Männer, Jugendliche).

Die Nothilfe in Form eines «Überlebensminimums» ist in der

Verfassung garantiert. Perverser Mechanismus: Die Konferenz der kantonalen Justiz-und Polizeidirektoren - die, im Gegensatz zu Presseberichten nicht die Kantone sind - übt Druck auf das DFJP und die Bevölkerung aus, um die totale Abschaffung dieses Minimums für bestimmte Kategorien der Bevölkerung, insbesondere abgewiesene Asylsuchende, durchzusetzen. Das würde sowohl eine Verletzung der in der Verfassung garantierten Grundrechte bedeuten, als auch den Ausländerhass anheizen und würde gleichzeitig die Grundsatzdebatte über ein vom Menschenrechtsstandpunkt äusserst fragwürdiges Werkzeug abwürgen. Es wird eine Grenze überschritten, wenn man akzeptiert tausende von Personen in der Schweiz ohne jede Unterstützung oder staatlichen Schutz zu lassen.

Fragen wir uns, im Anschluss an eine Studie der Genfer

Rechtsfakultät, auf welche Bevölkerungskategorien ein solches Instrument in Zukunft angewendet werden kann, nachdem man es an Ausländern als Versuchskaninchen getestet hat.

11. Abschaffung der Kurzzeitvisa in der Schweiz und in

der EU (Vorschlag J.Y.Carlier) und Abschaffung der Freizügigkeitsrestriktionen für alle Migranten mit Ausweis. Aufgund der zunehmenden Ausstellung von F-Ausweisen (vorläufige Zulassung) wird die Freizügigkeit in Frage gestellt wird, da es sich um ein Statut handelt, das es nicht oder nur sehr schwer erlaubt die Schweiz zu verlassen. Vom Grundrechtsstandpunkt –81 aus gesehen ist das problematisch.

12. Völkerrecht und nationales Recht. Ratifikation und Anwendung

der UNO Wanderarbeiterkonvention.

2. EINE (1) MASSNAHME ZUR MOBILISIERUNG IM ÖFFENTLICHEN RAUM : DIE DEMOKRATIE DEMOKRATISIEREN

Die Alternative zur Degenerierung der Politik, einer Politik die sich auf Polizeimassnahmen und zweifelhafte Mechanismen beschränkt, kann nur eine Standortänderung sein, eine Änderung der Debatte, eine globale Neudefinition einer positiven, zukunftsgerichteten Strategie, die die Demokratie, die Menschenrechte respektiert sowie die Wiedereroberung des öffentlichen Raums um Revolution versus

81–Regina Kiener und Andreas Rieder, « Admission provisoire sous l’angle des droits fondamentaux », Eidgenössische Kommission gegen Rassismus, Bern, 2003.

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Migration und den auf Gleichheit beruhenden Gemeinwohlpakt wiederzugründen.

Initiative zur Mobilisierung. Einladung zu einer breiten Mobilisierung (Bevölkerung der Arbeiterviertel (quartiers populaires) und der Vorstädte, Jugendliche, Arbeitnehmer, Gewerkschaftsmitglieder, Migranten, insbesondere jugendliche Migranten und Migrantinnen, etc. ) durch die soziale Bewegung, Vereine von Arbeitnehmern im öffentlichen und privaten (NGO) Bereich, das DFJP, das Departement für auswärtige Angelegenheiten, das Departement für Wirtschaft und Bildung, unterstützt durch eine «Weisenrat» (Staat, Bürger, Forscher, internationale Persönlichkeiten) zu einem öffentlichen Forum mit dem Thema:

DIE VOLKSSOUVERÄNITÄT DEMOKRATISIEREN, DIE POLITIK DES GEMEINSAMEN/GEMEINWOHLS, DER MIGRATION, DER GLEICHHEIT WIEDERGRÜNDEN, HUMANISIERUNG, APARTHEID, ZIVILISATIONSSCHWELLEN

Problemstellung: Die Volkssouveränität beschränkt sich nicht auf nationalistische, wahlbedingte, konsumeristische Manipulationen oder technische Fragen von Spezialisten, Experten oder Politikern. Sowohl in der Schweiz als auch in Europa sind wir Zeugen eines beschleunigten Prozesses der Expropriation einer auf das Gemeinwohl bedachten Politik. Wir sind nicht mehr Herr über die Politik und die Entscheidung für ein Leben in Gemeinsamkeit. Die Volkssouveränität demokratisieren heisst die Demokratie demokratisieren.

Wir sind an einem historischen Wendepunkt angelangt, wo es gilt zwischen Sozialismus und Barbarei, zwischen der Wiedergründung einer Politik des Gemeinwohls, der Migration oder dem total-liberalen kontrarevolutionären Chaos zu entscheiden. Ein breiter Prozess der Mobilisierung, der Wiederaneignung der Politik, was Autonomie, Verantwortung, Mut und Klarsicht verlangt, ist allein imstande den Horizont zu erweitern um eine gemeinsame Entscheidung zugunsten des Gemeinwohls und der Migration zu treffen, die den Herausforderungen der heutigen Welt entspricht.

Teilnehmer : Es ist wichtig, dass die Mobilisierung die Gesamtheit aller Personen vereint, denen die Erhaltung des Gemeinwohls ein Anliegen ist, die die Probleme kennen, welche die Krise für die Volksschichten und die Mittelklassen in den Städten und Agglomerationen mit sich bringt; es ist wichtig, dass die Migranten/innen teilnehmen, da ihre Stimme normalerweise nicht gehört wird (abgesehen vom kommunalen und kantonalen Wahlrecht in einigen Gebieten in der Schweiz), sowie die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, die Arbeitgeber, Lehrende und Forscher, jeder Einwohner

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der Schweiz und anderer Staaten soll an diesem Forum teilnehmen können.

Einladung (Einberufung) : Die Form der Einladung und der Organisation stehen zur Debatte.

Datum : Herbst 2012, Frühling 2012 (genaues Datum ist noch nicht fixiert)

Ort : zu bestimmen

Status des Forums : einmalig oder periodisch

Sprachen : offizielle Sprachen der Schweiz; andere Sprachen werden berücksichtigt.

Sieben (7) Konkrete Ziele des öffentlichen Forums :

1. Festlegung der Basis und einer gemeinsamen Strategie zugunsten einer kollektiven Entscheidung in diesem beginnenden 21. Jahrhundert für eine Gemeinwohl- und Migrationspolitik in Europa und in der Schweiz;

2. Bilanz der 12 vorgeschlagenen Massnahmen, die sofort durchgeführt werden können (unabhängiger Bericht)

3. Bilanz über die Ratifizierung der UNO Wanderarbeiterkonvention innerhalb kurzer Zeit (unabhängiger Bericht)

4. Entwurf eines Gesetzesvorschlags in der Schweiz gegen die Apartheid und alle diskriminatorischen Formen betreffend den Zugang zur Ausübung der politischen und sozialen Rechte und den Zugang zu den öffentlichen Leistungen ;

5. Verbreitung des Paktes und Gesetzesvorschlages innerhalb der europäischen politischen Instanzen und der UNO;

6. Beginn der Arbeit an Memoiren des durch Souveränität aufgebauten Gemeinwohls, der Volksmacht, der Migration und Bürgerbewegung in der Schweiz ;

7. Analyse der Relevanz eines Forschungsprojekts zu den Fragen der Migration, Gleichheit, Gemeinwohl (siehe Vorschlag Galileo weiter unten).

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3. EINE (1) MASSNAHME FÜR FORSCHUNG UND BILDUNG

FORSCHUNGSPROGRAMM GALILEO: MIGRATION, GLEICHHEIT, GEMEINWOHL

NOTWENDIGKEIT EINER GALILEISCHEN STANDORTÄNDERUNG

Galileo hat in seiner Zeit zu einer fundamentalen wissenschaftlichen Dezentrierung beigetragen was den Platz der Erde im Planetensystem und Universum betrifft. Heutzutage brauchen wir in der Schweiz und in Europa eine soziale galileische Revolution.

Wir müssen Gemeinsamkeit/Gemeinwohl wiedergründen. Wir müssen unseren Widerstand aufgeben, wenn es darum geht die Wirklichkeit der Migration und vor allem unsere eigenen Existenzbedingungen wahrzunehmen. Wir brauchen einen Galileo, der auf der Basis der Gerechtigkeit, Hospitalität und Gleichheit das Gemeinsame und die Migration artikuliert. Wir brauchen ein neues Paradigma in der Forschung und Bildung, das nicht Bevölkerungen einander entgegenstellt, sondern ein transversales gemeinsames Projekt, das ausgehend von den Prinzipien der Gerechtigkeit, der Hospitalität und der Gleichheit entwickelt wird.

Man kann die Meinung vertreten, dass diese Forschung eine positive Aufgabe ist, nämlich der gemeinsame Bau des Wissens um die Notwendigkeit ständiger Suche nach der Hospitalität, der Würde, der Freiheit und der Gleichheit, ausgehend vom Gemeinsamen, das auf der Einheit des Menschengeschlechts und der Allgemeinheit der Rechte beruht.

Die Forschungsfrage kann kurz gesagt folgendermassen formuliert werden: Wo sind die Probleme, Konflikte, gemeinsamen Prioritäten und notwendigen gemeinsamen Änderungen wenn man von der Tatsache der Enteignung des Gemeinwohls durch die Globalisierung, vom Standpunkt der Einheit des Menschengeschlechts, der Allgemeingültigkeit der Rechte ausgeht und nicht von Angehörigkeitskriterien, die Schweizer und Ausländer trennen ?

Zur Frage der Methodologie: Die epistomologische und methodologische Standortänderung von der in dem Forschungsprojekt die Rede ist, besteht darin, die Migrationsbewegung nicht ausgehend von Kriterien der Apartheid anzusehen, zu beschreiben und zu interpretieren, sondern ausgehend von der Einheit der menschlichen Kondition und der Allgemeingültigkeit der Rechte. Das verlangt von den Forschern nicht so sehr Objektivität und Neutralität – die nicht einmal die Forscher des CERN für sich in Anspruch nehmen – sondern eine

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Arbeit der theoretischen Dezentrierung, des Engagements und der kritischen Distanz in der Forschung, eine dynamische Position, die es zu hinterfragen gilt.

Wenn Sokrates sagt, dass es besser ist eine Ungerechtigkeit zu erleiden als sie zu begehen, so geht es nicht um Meinungsumfagen, oder eine Intuition von Gerechtigkeit aufgrund der menschlichen Natur, um Moral im Sinne der Verhaltensforschung oder um «Bankenphilosophie». Er wirft eine Frage der philosophischen und politischen Anthropologie auf, die die Beobachtung der Leidenschaften, des Zorns ebenfalls offenbart. Die gleichzeitig der Kategorie der Erfahrung, der Erhaltung der menschlichen Kondition, einer möglichen Politik angesichts der Ungerechtigkeit, der Gewalt –82 und der Erhaltung der Zivilisationsschwellen angehört.

Ungerechtigkeit begehen, erleiden – das kann soweit gehen jede Regel zu missachten um pure Raffsucht, die Banalisierung der Folter, den bürokratischen Mord zu rechtfertigen –verweist uns auf das, was uns dem menschlichen Geschlecht zugehörig macht, auf die Kraft des «Seins» das wir werden können (Spinoza), auf den Hauch (Atem) der Seele der es uns erlaubt zu leben. Jede Person, was immer auch ihre hierarchische Position sein mag, die eine Ungerechtigkeit begeht, muss mit dieser Verwundung der Seele leben. Ob sie es zugibt oder nicht. Jede Person, die Opfer einer Ungerechtigkeit ist, wird ihr ganzes Leben lang von einer Passion getrieben: der Suche nach Gerechtigkeit, nach dem was noch nicht ist und was werden kann in Gemeinsamkeit mit dem Anderen und der Welt.

Ein interdisziplinärer und bürgerlicher Beitrag zu einem Forschungsprogramm «Gemeinwohl, Migration und Gleichheit», das ausgeht von der Einheit des Menschengeschlechts, der Allgemeingültigkeit der Rechte, das Kategorien und die durch Apartheid banalisierte diskriminatorische Unterscheidungen dekonstruiert, ist für eine neue Philosophie der Öffnung auf Eine Welt unerlässlich. Wie kann die Forschung die Glaswand der Apartheid durchbrechen, die Unterscheidung zwischen In-und Ausländern, Ursprung der Xenophobie und des Rassismus, überwinden, wie kann sie eine Epistemologie, eine Methodologie formulieren, in der die Migration das Prisma ist, das die Enteignung des Gemeinsamen, Fragen, Probleme, Spannungen, den für das Überleben der Erde nötigen Reichtum offenbart, und uns die Grundfreiheiten, den auf Gleichheit basierenden Gemeinwohlpakt für alle in der Schweiz und in Europa, im Verbund mit der Welt lebenden und arbeitenden Bevölkerung zeigt?

Soweit uns bekannt hat, abgesehen von minoritären Forschungsarbeiten, kein föderales Forschungsprogramm je eine derartige Änderung des Paradigma’s und Objekts mit der Gleichheit

82–Balibar Etienne, Violence et civilité, Paris, Galilée, 2010.

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als zentralem Thema in Angriff genommen. Es stimmt, das eine derartige epistomologische Standortänderung eine Kritik der eigenen Kategorien, Instrumente und Forschungspositionen, sowie die Erarbeitung einer neuen Epistemologie und neuen Wissens bedingt um das Thema «Gemeinwohl, Migration, Gleichheit» sowohl aus historischer, vergleichender und globaler Sicht zu definieren. Es ist auch richtig, dass ein solches Programm nicht nur auf dem geschlossenen Territorium der Universitäten entwickelt werden kann, sondern auf den Beitrag der Zivilgesellschaft, der sozialen Akteure und offizieller Institutionen angewiesen ist. Neue Formen des Partenariats müssen daher im Rahmen dieser Forschung erfunden werden.

Ein solches Forschungsprojekt könnte einen wichtigen Beitrag zur Wissenserweiterung, zum gesellschaftlichen Leben, zur Erziehung und Forschung leisten. An verschiedenen Orten in Europa und in Schwellenländern teilen die Forscher dieses Bedürfnis nach einer galileischen Standortänderung. Und praktizieren es, wenn auch mit begrenzten Mitteln.

KURZ-MITTEL-UND LANGFRISTIGE MASSNAHMEN (2012…)

1. NEUN (9) MASSNAHMEN ZUR VERÄNDERUNG DES STAATS UND DER SOUVERÄNITÄT

VORRANG FÜR GERECHTIGKEIT, HOSPITALITÄT, GLEICHHEIT

Die Vorstellung etwas zu tun (Massnahmen zu ergreifen), ermöglicht es vielleicht sich strukturelle und bürokratische Hindernisse, die Verfestigung von Kategorien und der Souveränität des Nationalstaats im politischen Denken, sowie die Wichtigkeit institutioneller Reformen bewusst zu machen. Sie kann auch die Notwendigkeit zeigen, die geschichtliche Transformation des Staats und der Souveränität zu studieren und neue Kategorien anzuwenden um das « gemeinsam leben » zu denken.

1. Schaffung eines unabhängigen Verfassungsgerichtshofs in der Schweiz. Das Schweizer Parlament hat einen wichtigen Schritt getan indem es jedem Gericht die Kompetenz gegeben hat in konkreten Fällen die Verfassungskonformität von Bundesgesetzen zu überprüfen. Diese Massnahme zeigt zwar, dass sich die Parlamentarier der Unzulänglichkeit des Justizsystems bewusst geworden sind, sie ist aber unzureichend –83.

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83–Verfassungskonformität. Bundesgesetze, die nicht verfassungskonform sind, dürfen nicht angewandt werden. Das Parlament hat dieses begrenzte Prinzip akzeptiert (94 Stimmen gegen 86 und 3 Stimmenthaltungen).

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Die Forderung nach einer Verfassungskontrolle durch die Schaffung eines Verfassungsgerichtshofes, eine Idee die auf den Republikanismus in Europa und der Welt zurückgeht, ist in der Schweiz nicht erhoben worden (es geht um die Analyse von Gesetzesverletzungen und Gesetzeslücken, die besonders auf dem Gebiet des Asylrechts auftreten).

2. Änderung der Terminologie indem der Begriff Ausländerpolitik durch den Begriff Migrationspolitik ersetzt wird und in ihn die Gesamtheit der Aspekte aller auf dem Schweizer Staatsgebiet lebenden Personen integriert wird.

3. Umstrukturierung des DFJP. Strukturelle Trennung der Justiz –

und Polizeibelange in der Struktur der Bundesverwaltung (DFJP) und der Kantonalverwaltung: Schaffung zweier voneinander getrennter Departements. Respekt der Justiz und des Mandats der Richter. Sicherheitspolitik getrennt von der Justiz.

4. Schaffung einer unabhängigen Personalkommission innerhalb

des DFJP und aller Bundesstrukturen im Bereich Asylrecht. 5. Schaffung eines autonomen Migrations- und Friedens-

departements mit einem interdisziplinären Personal, das ohne auf Nationalität oder « Kreisen » beruhenden Restriktionen, die den Zugang zu öffentlichen Funktionen ausschliessen, rekrukiert wird.

6. Kritische Analyse der historischen Tradition der Volksrechte

und Verstärkung der aktuellen Volksrechte, die der nationalen und internationalen Politik unter Respekt der Grundrechte angepasst werden müssen, im Verbindung mit einer Aufarbeitung der Geschichte der Migration. Die Errichtung einer Kommission Bergier der Geschichtsforscher im Bereich Volksrechte und Migration in der Schweiz unter Berücksichtigung regionaler Besonderheiten (Deutsche Schweiz, Romandie, Tessin, Graubünden) drängt sich auf.

7. Ablehnung jeder Struktur, Institution, Logik oder Massnahmen

der Apartheid (Trennung zwischen der Bevölkerung in der Schweiz und den «Ausländern») auf allen Ebenen der Migrations-und Asylpolitik, und Ermutigung zu und Popularisierung aller Erfahrungen, die die Schaffung von sozialen Beziehungen in der Migrationspolitik betreffen (Errichtung eines permanenten Inventars durch das DFJP, die kantonalen und kommunalen Strukturen und Verbreitung von positiven Beispielen sozialer Vernetzung).

Beispiele für auf Apartheid basierende Strukturen und

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Werkzeuge: Bundeszentren, die weit von der Bevölkerung entfernt gelegen sind; das Werkzeug der « Kreise » in der Ausländerpolitik (Einwanderer und Asylsuchende) und Hierarchisierung des Zugangs zur Immigration und Asyl zwischen Europäern, reichen Ländern und Dritte Welt Ländern ; Werkzeug der Nichteintretensentscheide (NEE) ; Unzulänglichkeit der Begleitmassnahmen in der Anwendung des Arbeitsrechts auf alle Arbeitnehmer, inklusive der Wanderarbeiter.

8. Festschreibung im Lastenheft aller staatlichen Institutionen auf

allen hierarchischen Ebenen und in der konkreten Organisation der Beamten des öffentlichen Diensts, der Verpflichtung jedes Beamten und jedes Angestellten des öffentlichen Dienstes eine direkte, persönliche und menschliche Beziehung mit den Nutzern (Ausländer, Papierlose, Asylsuchende) für die gesamte Dauer der administrativen und polizeilichen Verfahren aufrechtzuerhalten.

Bestimmte Berufe des öffentlichen Dienstes (Polizisten, Sozial-und Gesundheitsarbeiter, Lehrer etc) haben einen direkten Kontakt mit den Nutzern. Sie kennen direkt die Dilemma, das Leiden, und das was diese Personen erlebt haben. Das stellt für diese Berufe einen Reichtum dar, der nicht mit der bürokratischen Staatshierarchie geteilt wird. Andere Beamte treffen dann die Entscheidungen, ohne die Personen, die von ihren Entscheidungen betroffen sind, je kennengelernt zu haben.

9. Bessere Artikulation zwischen der Aussenpolitik, der Entwicklungspolitik und der Migrationspolitik und Respekt der vom Staat gesetzten Standards durch die transnationalen Unternehmen.

Das bedingt unter anderem :

• Trennung von Entwicklungspolitik und Waffenhandel sowie dem Abschluss von Rückführungsabkommen, der in Polizeiregistern und polizeilichen und militärischen Kooperationsabkommen vorgesehen ist;

• Übertragung der Verantwortung für den Abschluss von Rückführungsabkommen auf das Departement für auswärtige Angelegenheiten; Respekt des öffentlich-rechtlichen Charakters des DFAA, dessen Aufgaben weder privatisiert, noch entlohnt werden können um die Korruption zu vermeiden und strikte Kontrolle zu ermöglichen;

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• Förderung der Aufnahme von Flüchtingen deren Herkunftsstaat ihren Schutz nicht garantieren kann. Das ist Kapital für die Zukunft (was den Austausch mit Schwellenländern betrifft). Abkapselung ist keine Auslandspolitik, die internationale Solidarität hingegen macht sich bezahlt und ist innovatorisch;

• Förderung der Ausbildung für die im Land lebenden Ausländer unter besonderer Berücksichtigung der Exilerfahrung der betroffenen Personen; das bedeutet sich nicht auf Bildungsabkommen mit den Herkunftsstaaten, aus denen sie ausgewiesen wurden zu beschränken (z.B. Recht auf Bildung, auf Zugang zur Lehre für Asylsuchende, ihre Kinder und Inhaber eines F -Ausweises). .

• Unterstützung des kürzlich von 50 NGOs und Gewerkschaften (koordiniert von der Alliance Sud) der Regierung und dem Parlament unterbreiteten Vorschlags, demzufolge alle transnationalen Unternehmen mit Sitz in der Schweiz oder ihre Tochterunternehmen der nationalen Gesetzgebung im Bereich Menschenrechte und Umweltschutz unterworfen werden sollen und Geschädigte berechtigt werden sollen vor Schweizer Gerichten Klage zu erheben und Wiedergutmachung zu verlangen (www.rechtohnegrenzen.ch) –84.

2. ACHT (8) MASSNAHMEN ZUR DEMOKRATISIERUNG DES SOZIALEN LEBENS, DER WIRTSCHAFT, DES ARBEITSRECHTS, DES ARBEITNEHMERSCHUTZES UND DER GRUNDRECHTE

Es ist möglich sofortige Massnahmen zu treffen und doch die mittel-und langfristige Perspektive anzuvisieren und sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen. Wir müssen zur Tatsache nehmen, dass «die europäischen Institutionen und viele Nationen nicht nur im Begriff sind, uns eine auf Sicherheitskriterien beruhende Macht aufzuzwingen, sondern auch den sozialen Pakt zu brechen, der es nach dem Zweiten Weltkrieg ermöglicht hat den europäischen Wohlfahrtsstaat und ein gemeinsames Projekt zu schaffen, das zur Europäischen Union geführt hat» –85.

1. Gemeinsames Leben. Verbot für Gewinn erzielende Unternehmen ihre Arbeitnehmer zu entlassen. Eine derartige staatliche und von der Zivilgeselschaft kontrollierte Massnahme

85–Gewerkschaftsführer (Spanien, Deutschland, Italien, Frankreich, Belgien) « Das Soziale muss der Zement der EU sein », Libération, 8.12.2011

84–Siehe dazu, Ferrari Sergio, « Les transnationales suisses doivent respecter la loi Suisse », Le Courrier, Solidaritätsseite, 7. 11. 2011

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ist dringend und hat einen strukturellen Charakter. Sie bedingt eine Demokratisierung der Wirtschaft, die nicht mehr allein den Aktionären überlassen werden darf. Diese Massnahme muss alle staatlichen Ebenen betreffen, wenn sie wirksam sein soll und daher sowohl föderal, kantonal und kommunal sein–86. Sie muss die Entstehung von Regionen erlauben (z.B. Metropolregion Genf-Lausanne).

2. Gemeinsames Leben. Schaffung von «regionalen

wirtschaftlichen Kommissionen», die von Arbeitnehmern, Gewerkschaften, der regionalen Bevölkerung und den öffentlichen Kollektivitäten gewählt werden. Solche Kommissionen würden ebenfalls eine Demokratisierung der Wirtschaft dank einer regionalisierten, ja sogar lokalen demokratischen Kontrolle multinationaler Unternehmen mit sich bringen. Diese Massnahme bedeutet weiters, dass Arbeitnehmer Kontrolle über ihre Produktionseinheiten ausüben können und die Bevölkerung sich an den wirtschaftlichen Entscheidungen beteiligen kann, von der ihre Zukunft abhängt.

3. Gemeinsames Leben. Um die Verteidigung der persönlichen

Freiheit zu garantieren und sie nicht nur auf Staatsbürger oder bestimmte Privilegierte zu beschränken, gilt es die Anerkennung der Personenfreizügigkeit als eine Tatsache der menschlichen Kondition festzuschreiben, basierend auf dem Prinzip der Reziprozität und Universalität in der Praxis des Austausches. Dem muss im Fall der Änderung der Verfassung der Konföderation oder der Kantone (Recht sein Land zu verlassen und in ein anderes einzureisen) Rechnung getragen werden, sowie auch im Fall einer Änderung der Verfassung der EU, und der grundlegenden Texte der Vereinten Nationen. Die sofortige praktische Umsetzung dieser Massnahme ist die Abschaffung der Kurzzeitvisa in der EU (Vorschlag J.-Y Carlier).

4. Gemeinsame Arbeit. Konkrete Massnahmen zur allgemeinen

Kontrolle des Arbeitsmarkts (weltweit, EU und in der Schweiz) durch den Staat und die Sozialpartner. Gleiches Gehalt für gleiche Arbeit, gleiche Rechte, gleicher Zugang zum Recht auf Sozialversicherung, zur Gesundheitsversorgung, gleichberechtigte freie Meinungsäusserung und Mitgliedschaft in Gewerkschaften für alle Arbeitnehmer.

Das bedingt zum Beispiel :

• Schaffung einer auf alle Arbeitnehmer/innen – Arbeitnehmer/innen mit oder ohne Schweizer Pass, mit oder ohne Papiere, Asylsuchende –87 – anzuwendenden besseren Artikulation zwischen dem

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86–Wir nehmen die Vorschäge 1 und 2 von Romain Felli, Politikwissenschaftler, auf, Le Courrier, 3.11.2011.

Sie sind besonders interessant, insofern sie ein gemeinsames, auf der Gleichheit basierendes Projekt artikulieren indem die Bevölkerung, die Arbeitnehmer und die Migration ihren Platz hat (als Arbeiter/Innen und Einwohner/Innen einer Region).

87–Siehe diesbezüglich den Bericht der Geschäftsprüfungs-kommission des Nationalrats bezüglich der Begleitmassnahmen zur Personenfreizügigkeit, 2001. Mehrere flagrante Fälle von Lohndumping sind von den Gewerkschaften denunziert worden (Telecom 1999, Bauwirtschaft, Bau der CEVA in der Romandie). Die Gewerkschaft Unia hat Stundenlöhne von 6 CHF bei der Schweizer Post denunziert.

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globalisierten Arbeitsmarkt, der Migrationspolitik, der Begleitmassnahmen zur Personenfreizügigkeit (gegen Lohndumping, outsourcing, Lohnunterbietung, Verstärkung der Kontrollen).

• Stärkung des Arbeitsrechts für Wanderarbeiter, Papierlose, Asylsuchende und Kontrolle der Anwendung der Kollektivverträge, insbesondere was das Mindestgehalt und Sanktionen für betrügerische Arbeitgeber angeht;

• Wiedereinführung der arbeitsrechtlich standardisierten Löhne für Wanderarbeiter, Papierlose und Asylsuchende (inklusive in Gefängnissen, was eine Normalisierung der Löhne auch für Schweizer Gefangene mit sich bringen würde);

• Stärkung des Arbeitsrechts durch eine Angleichung an europäisches Recht und an die Grundrechte. Dies würde es zum Beispiel ermöglichen, eine Umgehung der Kollektivverträge durch eine fiktive Unabhängigkeit, was vom Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO) verurteilt wurde (15-23% fiktive Fälle um eine Anwendung der Gesamtarbeitsverträge [GAV] zu vermeiden)

• Verstärkung der Begleitmassnahmen, Schaffung eines Inventars der Verstösse und Sanktionierung von Umgehungen auf der Ebene der Wanderarbeiter, der Papierlosen und Asylsuchenden, mit besonderer Berücksichtigung der Situation von Migrantinnen die – rufen wir es in Erinnerung – heute die Mehrheit der Wanderarbeiter weltweit darstellen.

• besondere Berücksichtigung der Kinderarbeit unter Migranten, Papierlosen und Asylsuchenden.

5. Unter den Massnahmen der Verteidigung der

Arbeitnehmerrechte und der Rechte der Bevölkerung insgesamt, verdienen vier die EU und die Schweiz betreffende Massnahmen besondere Aufmerksamkeit und erfordern entschiedenes sofortiges Handeln :

• Sozialer Schutzschild. Das neue europäische Abkommen, das anlässlich des Treffens der Staatschefs vorgeschlagen wurde, enthält eine Sanktionsklausel für Staaten deren Budget ein 3% übersteigendes Defizit des BNP vorsieht. Warum sollte eine ähnliche Klausel, die die Schweiz so schnell wie möglich akzeptieren müsste, nicht auch in Bezug auf Sozialrechte eingeführt werden? Die Europäische Kommission würde eine Sanktion gegenüber jenen Regierungen verhängen, deren Budget

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nicht ausreichend ist, um die Grundbedürfnisse der auf dem Staatsgebiet lebenden Personen zu sichern. Das europäische Parlament, die nationalen Parlamente und Organisationen der Zivilgesellschaft (soziale Bewegung, NGOs, Berufsverbände) wären die Kontrollorgane einer solchen Massnahme.

• Einführung eines indexierten Mindestgehalts –88, das den realen Lebenkosten angepasst ist und den Vorteil hätte, das Lohndumping zu unterbinden und damit die speziellen Hilfsmassnahmen hinfällig werden zu lassen.

• Einführung eines garantierten Einkommens für ausgesteuerte Arbeitslose.

• Kontrolle und Bestrafung der Schwarzarbeit mit der Verpflichtung der Arbeitgeber, die das Gesetz verletzt haben, die Arbeitnehmer, die sie ausbeuten oder ausgebeutet haben zu entschädigen und mit dem Vorschlag letztere zu regularisieren. Ein paritäres Organ (Staat- Gewerkschaft) wacht über die Durchsetzung der Sanktionen gegen Schwarzarbeit (inklusive im Fall von Arbeitern, die in ihr Herkunftsland zurückgekehrt sind) und analysiert den Platz der Schwarzarbeit auf dem nationalen Arbeitsmarkt.

6. Vorschlag betreffend Artikel 10 der Schweizer Bundesverfassung. Es ist möglich im Bereich der Grundrechte pragmatisch zu denken und Rechte zu verwirklichen. Um das Recht auf Leben, auf persönliche Freiheit, auf physische und psychische Integrität zu garantieren, sollten alle Bürger und der Staat systematisch daran arbeiten, den Artikel 10 der Schweizer Bundesverfasssung auf alle Personen anzuwenden, die legal oder papierlos in der Schweiz leben. Das wäre eine willkommene Aktion, die praktisch und durchführbar ist und die Prinzipien der Reziprozität, der Proportionalität und der Universalität respektiert.

Um das Gebäude des Rechtsstaates, Garant der Grundrechte,

nicht gefährlich zu schwächen, ist es unerlässlich, dass Artikel 10 auch die Ausländer schützt: Artikel 121 sollte daher dem Artikel 10 weichen, und nicht das Gegenteil, wie das heute grossteils im Bereich der Migration oder des Asylrechts der Fall ist.

7. Einheit des Menschengeschlechts Einleitung einer Kampagne der Sensibilisierung um in die Präambel jeden offiziellen Textes das Prinzip der Bekräftigung und Erhaltung der Einheit des Menschengeschlechts festzuschreiben, aus dem sich die Allgemeingültigkeit der Rechte in der Praxis ergibt,

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88–Betonen wir, dass der Kanton Neuenburg durch eine Kantonsabstimmung die Einführung eines Mindestgehalts akzeptiert hat.

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und um die Überschreitung einer Zivilisationsschwelle (Habeas Corpus), Basis der Grundrechte, zu vermeiden. Dies gilt auch für Verfassungsänderungen, sei es der Schweizer Bundesverfassung, der kantonalen Verfassungen oder der Verfassung der EU.

8. Prinzip der Hospitalität (Gastfreundschaft). Einleitung einer

Kampagne der Sensibilisierung in der Schweiz, in Europa und innerhalb der Vereinten Nationen mit dem Ziel, in die Staatenpraxis und im Fall von Verfassungsänderungen in die Präambel jeden offiziellen Textes die Basis einer Friedens-und Völkerrechtspolitik (Kant) zu verankern, nämlich das Prinzip der Hospitalität und des subjektiven Rechts auf Asyl. Das Asylrecht als verfassungsrechtlich gewährleistetes Recht, garantiert in der Schweizer Bundesverfassung und in den Kantonsverfassungen.

3. NEUN (9) MASSNAHMEN FÜR EIN NEUES PARADIGMA DER INFORMATION

ERFORDERNIS NEUEN WISSENS VON DER QUANTITÄT ZUR QUALITÄT

Die Migrationspolitik (im Bereich Arbeit, Studium, Asylrecht etc.) ist geprägt durch eine Informationspolitik, deren Hauptkriterium die Sicherheit ist, die Zahlen, Schlüsselworte (z.B. Strom, Missbrauch) und eine Sprache verwendet, die unsere Vorstellung von der Migration verfälscht, so wie sie auch die Tatsachen, die der Situation der Wanderarbeiter, der Studenten und den Ansuchen um Asylschutz zugrundeliegen verfälscht (z.B. Migranten, die auf einen Produktionsfaktor reduiziert werden, Einfluss des Kreismodells auf die Art und Weise Fakten zu präsentieren, die Logik der Ausweise und der Prekarität, die Behandlung der Bildungsfragen, Forschung unter dem Gesichtpunkt der Sicherheit, der banalisierte Gebrauch des Begriffs NEE, Analyse der Zahlen im Licht der Sicherheitspolitik, die die Realität des Asylrechts verdeckt –89, etc).

Wir brauchen ein neues Paradigma für eine Informationspolitik im Bereich der Migration, die auf den Grundrechten und neuen Indikatoren, neuen Wörtern und Werkzeugen beruht, die die Qualität, die Vielfalt des Gemeinsamen und die Universalität der Migration hervorheben. Die Kenntnis der Migration verlangt, dass wir das utilitaristische Denken (Zweck-Mittel) im Bereich Migration, die Artikulation zwischen Quantität und Qualität

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89–Tafelmacher Christophe, « Quelques vérités sur les statistiques en matière d’asile », Journal SOS Asile No.101, 4ème trimestre 2011 ; Vivre ensemble, Lausanne, November 2011.

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und die realen sozialen Beziehungen hinter uns lassen, d.h. alles das, was die Ungleichheit in allen Bereichen des sozialen Lebens darstellt.

1. Entwicklung einer qualitativ hochstehenden öffentlichen Informationspolitik. Das bedeutet die Ablehnung jeder Infragestellung einer Informationspolitik des öffentlichen Dienstes.

2. Verfeinerung der qualitativen Indikatoren für die

fundamentalen, konkreten Bedürfnisse im Bereich der Politik der Expropriation des Gemeinsamen (Arbeit, Unterkunft, Bildung etc.) und der Migration.

3. Vertiefung der quantitativen und qualitativen Informationen,

was die sozialen zwischengeschlechtlichen Beziehungen im Bereich Migration betrifft.

4. Quantifizierung und Qualifikation des Beitrags der Wanderarbeiter/innen zur Wirtschaft und dem politischen, sozialen, und kulturellen Leben in der Schweiz. Im Jahr 2009 machten die Migranten 27.7% der aktiven Bevölkerung aus. Was bedeutet diese Zahl, in quantitativer und vor allem qualitativer Hinsicht, umgesetzt als Beitrag zum gesamten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben?

5. Quantifizierung und Qualifikation der polizeistaatlichen

Sicherheitspolitik (Konföderation, Kantone, Gemeinden) im Bereich Aussen-und Innenpolitik. Quantifizierung und Qualifizierung (unter Berücksichtigung der perversen Auswirkungen auf die Militarisierung der Gesellschaft) der Kosten der Ausschaffungen seit ihrem Beginn und in ihrem gegenwärtigen Ablauf (Konföderation, Kantone, Gemeinden).

6. Quantifizierung und Qualifikation der genauen derzeitigen und künftigen Bedürfnisse und Beiträge im Bereich der Migrationspolitik.

7. Quantifizierung und Qualifikation der Kosten der

Hilfsmassnahmen, (Konföderation, Kantone, Gemeinden) die das Arbeitsverbot für Asylsuchende zur Folge hat. Das Recht auf Arbeit zugestehen, bezweckt Autonomie und kostet dem Staat weniger. Ermitteln wo die Hilfsgelder tatsächlich hinfliessen und von den Gemeinden und Kantonen die Rückzahlung der nicht ausgezahlten Gelder an die Asylwerber verlangen. Im Wallis hat es dafür ein Beispiel gegeben.

8. Quantifizierung und Qualifikation der Entwicklungshilfe

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und der internationalen Friedenspolitik, insbesonder was den durch Bildung der Papierlosen und der Asylsuchenden während ihres Aufenthalts in der Schweiz geleisteten Beitrag betrifft.

9. Quantifizierung und Qualifikation der Kosten, die

die Personalpolitik der Konföderation, Kantone und Gemeinden, und die durch sie bedingte Misshandlung der im Migrationsbereich tätigen Arbeitnehmer/Innen, hervorrufen (Schichtwechsel, burn-out etc).

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KONKLUSION

WELCHE GEGNER ? WELCHER VERRAT ? WELCHE HERAUSFORDERUNG ?ODER DIE KUNST MIT DEM TEUFEL ZU TISCH ZU SITZEN

Wir brauchen eine allgemeine Philosophie der Öffnung auf Eine Welt (One World), der es gelingt, sich in der Politik, in konkreten Massnahmen, Taten und Positionen niederzuschagen und Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Wir müssen gemeinsam «Gemeinwohl, Migration, Gleichheit» denken. Wir müssen uns die Politik wiederaneignen um Gemeinwohl zu schaffen. Wir müssen die Demokratie demokratisieren. Wir müssen die Apartheid, den banalisierten Krieg im täglichen Leben identifizieren indem wir die Widersprüche aufzeigen und Konflikte ausstehen.

Die Enteignung und Zerstörung des Gemeinsamen, die Negation der Migration und der Tatsache, dass die Schweiz seit langer Zeit ein Migrationsland ist (Emigration und Immigration), die Nichtanerkennung der Tatsache, dass die Universalität der Migration das Erfordernis der Universalität der Bürgerschaft nach sich zieht, ist wiederholt festgestellt worden.

Wir verurteilen die Banalisierung der Gewalt, die Logik der Privilegien, die Überschreitung von Zivilisationsschwellen, die Manipulationen, die wiederholten Angriffe auf das politische Regelwerk, auf das semidirekte, demokratische parlamentarische System, auf den Staat, auf die Rechte, auf die Kraft des Volks und seine Rechte (Rahmen, Phantasie, Werte, Referenzen, Rechte, Tatsachen, Gedächtnis) und auf die öffentliche Informationspolitik.

Die zweideutigen politischen Lügen verdecken die Gefahr der Errichtung eines Systems, eines sicherheitsbesessenen, neo-konservativen total-liberalen Regimes, das nicht auf der Höhe der gegenwärtigen Herausforderungen steht und nur Chaos hervorbringen kann.

Ein derartiges Regime, dessen Kräfte nicht auf die SVP reduziert werden können, fördert die Konkurrenz zwischen den Arbeitnehmern, die Isolierung der Bevölkerung, die auf eine Konsumentenrolle beschränkt oder überhaupt überflüssig wird.

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Es hemmt innovatorische Fähigkeiten, Beziehungen, Solidaritäten und den Dynamismus. Seine Attacken blockieren den Aufbau einer Politik des Gemeinsamen, der Existenz, der Arbeit, der Migration, der Kultur, die sich um Gerechtigkeit und Gleichheit sorgt, von den Grundrechten getragen wird und der heutigen Welt angepasst ist.

Da das Risiko und die Realität nicht nur der Gewalt des Staats sondern des Staatsmordes die Bundespolitik im Bereich Migration aufgrund der Zwangsmassnahmen und den Ausschaffungen der letzten 10 Jahre – wie im übrigens auch in der EU – charakterisiert, ist die Kollusion und Hypochrisie eines Apartheidsystems im Bereich der Migrations-und Asylpolitik auf Grenzen gestossen. Die Apartheid ist nicht länger tragbar.

Seit den siebziger und dann den achtziger Jahren, erleben wir einen Verfall der Politik, die Überschreitung von Zivilisationsschwellen, die das Dilemma der öffentlich Bediensteten vergrössern, die Bürger und Arbeitnehmer verwirren und eine Gefahr für die Politik, das Recht, den Rechtsstaat und die Grundrechte darstellen.

Die Ausschaffungen rufen Bilder der Todestrakte wach. Wie in einem Forschungslabor, spielen die Millionäre Krieg gegen die Armen und Dissidenten. Es gibt keine Todesstrafe in der Schweiz. Ihre Abschaffung weltweit ist Thema einer langjährigen Kampagne der Vereinten Nationen. Sie ist derzeit kein populistisches Thema in der Schweiz. In der Wirklichkeit wird sie allerdings praktiziert. Die Massnahmen und Werkzeuge, die im Bereich der Migration, wie übrigens auch im Schweizer Gefägnissystem –90eingesetzt werden, können nur Tod und Folter zur Folge haben.

Es zahlt sich politisch gesehen nicht aus, sich auf das Terrain des Teufels zu begeben, und einen Pakt mit ihm, statt einen Pakt des Gemeinwohls basierend auf Gleichheit abzuschliessen. Das könnte sogar das Geständnis der Schwäche einer Strategie sein, die verliert –91.

Die von seiten der höchsten Staatsautoritäten akzeptierte Praxis der Verletzung von Menschenrechten im Bereich der « Ausländerpolitik » und dem Asyrecht im Namen des Rechtsstaats, stellt allgemein eine grosse Gefahr dar : ein Zustand der Privilegien, des Nicht-Rechts macht sich Platz, wird banalisiert und wird letzlich legitim. Der Staat, das Recht und die Autoritäten werden so delegitimiert, wie in anderen Sektoren der Gesellschaft –92. Und das in einem Kontext der Plünderung der Ressourcen der Erde, wo der Finanzkapitalismus und Zynismus Hand in Hand gehen und wo die Folter auf höchster Ebene in geheimen Gefängnissen von Staaten praktiziert wird, wie das Ständerat Dick Marty aufgezeigt hat. Das Vertrauen und die Legitimität gehen verloren, wenn die politisch

90–Siehe diesbezüglich das Bulletin des Informationsdienstes über Gefägnisse, Internierung und Strafen (Repression) [email protected]

siehe auch TerrFerme (Internet-Zeitschrift), die verschiedenen Haftmassnahmen (Gefängnisse, Auffanglager, zugewiesene Unterkunft für Migranten

siehe auch Champ pénal internationale Zeitschrift für Kriminologie) Le traitement de l’immigration entre logique administrative et logique pénale , », Bd. VII, 2010.

91–Die Wahl von Daniel Devaud in den Genfer Rechnungshof (Linksaussenbündnis zugunsten eines Kandiaten von Solidarités und Allianz der Rechtsparteien um die SVP) zeigt, dass eine andere Strategie erfolgreich sein kann.

92–Man kann diesen Prozess in Verbindung mit anderen Erklärungen zur «Nicht-Gouvernanz», zur Ohnmacht des Staats bringen. «Die Regierungen regieren nicht die Welt. Goldmann-Sachs regiert die Welt. Für uns Trader ist es egal ob es der Wirtschaft schlecht oder gut geht. Unser Job ist es Geld zu verdienen, was immer auch die Situation ist. Wenn ich eine Gelegenheit sehe, dann geb ich Gas. Persönlich gesehen, träume ich von diesem Augenblick seit drei Jahren. Jeden Abend, wenn ich schlafen gehe, träume ich von einer anderen Rezession. Warum? Wissen Sie, die Rezesssion der dreissiger Jahre war nicht nur ein zusammenstürzender Markt, es gab auch Leute die bereit waren, davon zu profitieren. Jeder kann davon profitieren, das ist nicht nur der Elite vorbehalten. Wenn der Euro und die grossen Börsen zusammenbrechen, dann können Sie viel Geld verdienen, z.B. wenn sie in Schatzwechsel investieren»

Alessio Rastani, Londoner Trader, Statement in der BBC, 25. 9. 2011.

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Verantwortlichen die Basis der Demokratie, den Rechtsstaat und die Menschenrechte missachten und Zivilisationsschwellen überschreiten. Das Unbehagen und die Scham, die viele Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes empfinden, wenn sie bestimmte Massnahmen durchsetzen müssen, ist ein ernsthaftes Alarmsignal.

Eine andere Gefahr. Die sozialen Kräfte, die soziale Bewegung kämpft um die Erhaltung und den Respekt der Menschenrechte. Sie sind gezwungen den Rechtsstaat, der seine eigenen Gesetze verletzt, zu denunzieren. Sie fühlen sich verraten. Was ist Verrat? Er ist die Nicht-Reziprozität im Engagement für die Gerechtigkeit, die Weigerung bestimmte Grenzen zu überschreiten und der politische Mut, nicht dem Opportunimus, Elektoralismus und Zynismus zu verfallen. Aushalten. In der sozialen Bewegung gibt es verzweifelte und angeekelte Leute. Man darf den Überdruss (Erschöpfung) und die Gefahr des Selbstmordes aus Verwirrung nicht unterschätzen. Die staatlichen Autoritäten haben die Verantwortung, allen Bürgern, allen Generationen in diesem Land, insbesondere der Jugend, die nach einem lebenwerten Horizont sucht, Perspektiven der Hoffung, des Muts und der Verantwortung zu geben.

Da jede Beschreibung Interpretation ist –93, reicht es nicht aus, Tatsachen der Apartheid und der Gewalt zu beschreiben, so wie man Blumen pflückt, und sich auf die «wissenschaftliche» Neutralität zu berufen. Es ist nicht ausreichend, Auswüchse anzuprangern, da jede Denunzierung das Risiko eingeht zur Perfektionierung der denunzierten Dinge beizutragen oder den Hinweis auf die Gehorsamspflicht den Vorgesetzten gegenüber oder auf die Reservepflicht des öffentlichen Dienstes herauszufordern.

Es ist notwendig sich zu informieren, sich Wissen anzueignen, zu verstehen und zu beurteilen was auf dem Spiel steht, wie das Hannah Arendt sagt. Wenn man mit dem Teufel zu Tisch sitzen will, muss man einen längeren Löffel als er haben. Die Wege der List des Widerstands, der Schöpfung sind zahllos. Ist eine gemeinsame Mahlzeit um das Thema einer allgemeinen Philosophie der Öffnung auf eine Welt nicht wesentlich festlicher und fröhlicher?

Wie Odyssus sind wir herasugefordert nicht mehr auf die Sirenen zu hören, die tiefsten Ängste unserer Zeit ernst zu nehmen, nachzudenken und die Initiative zu ergreifen. Uns nicht mehr die Lüge, den Zynismus, Hass, und Krieg in unseren Leben aufzwängen zu lassen.

Verändern wir unseren Standort um nachzudenken, den Raum des Gemeinsamen zu definieren und ein Projekt der Demokratisierung

93–Jede wiederkehrende Beschreibung des Horrors birgt die Gefahr der Faszination der Gewalt und eines fatalistischen Immobilismus. Siehe dazu die Forschungsarbeiten über die Beschreibungsfaormen der Propaganda des Nazismus und Faschismus .

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der Demokratie zu formulieren, der Wiederaneignung des Gemeinsamen, des Gemeinwohls, das allein die Öffnung auf eine Welt (One World) zuwege bringen kann. Das ist der Preis der Zukunft. Die Schweiz, und das Europa von heute und morgen brauchen neuen Atem, einen neuen Horizont und die Utopie einer solchen schöpferischen Revolution.

Marie-Claire CALOZ-TSCHOPP, Paris-Genf, http://exil-ciph.comGraziella DE COULON, Lausanne, http://www.sosf.chChristophe TAFELMACHER, Lausanne, http://www.djs-jds.ch

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ANHANG (–> www.exil-ciph.com)

GUILLAUMIN Colette, La théorie est-elle une chasse gardée ? Qu’est-ce que la théorie ? Auszug

RIGAUX François, Quelle force au service de quel droit ? Rechtswissenschaftlicher Artikel

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