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Ein verheißungsvoller Neustart für Europa? · Corporate Identity ist vielleicht in großen...

Date post: 18-Oct-2020
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F ORUM Freitag, 18. Jänner 2019 16 Am 22. Jänner 1963 unterzeichne- ten Charles de Gaulle und Konrad Adenauer in Paris den Vertrag über die deutsch-französische Zu- sammenarbeit. In der Außenpoli- tik besteht seither Konsultations- pflicht. Im Bereich Verteidigung, Kultus, Sprachförderung, der Gleichwertigkeit der Diplome und der Forschung war Kooperation angesagt. Ein gemeinsames Ju- gendwerk wurde Realität. Zahlrei- che Partnerschaften zwischen Städten, Schulen und Vereinen folgten. 25 Jahre später ergänzten Bun- deskanzler Helmut Kohl und Staatspräsident François Mitter- rand den Vertrag mit Räten für Verteidigung und Sicherheit so- wie Finanz-, Wirtschafts- und Währungspolitik. Im Zeichen des 40-jährigen Gedenkens gab es erstmals einen deutsch-französi- schen Ministerrat sowie eine Sit- zung des Bundestags und der Na- tionalversammlung in Versailles. Ein Fonds für Kulturprogramme wurde geschaffen. Zur 50-Jahr- Feier wurde ein deutsch-französi- sches Jahr auf offizieller und zivil- gesellschaftlicher Ebene ausgeru- fen. Der Stab des Eurokorps feier- te in Straßburg. Gescheitertes Vorhaben im Vorjahr Die ergebnislosen Verhandlungen zur Bildung einer „Jamaika-Koali- tion“ (CDU/CSU-FDP-Grüne) in Deutschland im Herbst 2017, das Herumlavieren der SPD in der Frage der Regierungsbeteiligung und die zähe Bildung der großen Koalition im Frühjahr 2018 mit dem anhaltenden Dauer-Clinch zwischen CDU und CSU in der Migrationsfrage schwächten die deutsche Position in der EU. Die Bundeskanzlerin war aufgrund ihrer umstrittenen Migrationspo- litik durch sinkenden innenpoliti- schen und innerparteilichen Rückhalt kaum noch durchset- zungsfähig. Angela Merkel ver- sagte auch in der zeitgerechten Beantwortung der Reformvorstöße des französischen Staatspräsiden- ten. 2018 wurde so zu einem ver- lorenen Jahr für das gemein- schaftliche Europa – es droht nun ein neues. Emmanuel Macron hat sich inzwischen durch die Protes- te der „Gelbwesten“ und sein lan- ges Schweigen selbst delegiti- miert und ist innenpolitisch ange- schlagen. Nun soll die Freund- schaft zwischen Bonn und Paris am 22. Jänner im Krönungssaal des Aachener Rathauses erneuert werden, in der Stadt des Karls- preises, den 2018 Macron verlie- hen bekam. Es geht um ein ergänzendes Vertragswerk, das an den Élysée- Vertrag 1963 anknüpfen soll. Es hat eine lange Präambel, die die deutsch-französische Freund- schaft beschwört. In 28 Artikeln wird das Spektrum der künftigen Kooperation aufgezeigt. Berlin und Paris versichern einander ei- ne möglichst enge Abstimmung in Fragen der Europapolitik und die wechselseitige Pflicht zur Ver- tiefung ihrer Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspoli- tik. Wann und wie immer mög- lich, soll gemeinschaftliches Agie- ren folgen. Das eigenständige Handeln der EU wird ausdrück- lich betont. Verteidigung als Priorität, die UNO als Referenz Berlin und Paris bekräftigen zu- dem ihren gegenseitigen Beistand im Falle eines bewaffneten An- griffs auf eines der Länder, wie das Artikel 5 des Nato- und Arti- kel 42 des EU-Vertrages schon vorsehen. Militär- und Rüstungs- kooperation sollen effizienter werden. Ein regelmäßig zusam- mentretender Sicherheits- und Verteidigungsrat von Ministern beider Regierungen soll dabei be- hilflich sein. Gemeinsame Streit- kräfte mit Interventionsfähigkeit, die Macron schon seit langem in die Debatte geworfen hat, gelten als fixiert. Zur Stabilisierung poli- tisch prekärer Drittstaaten soll zwar nicht militärisch, aber ge- heimdienstlich, justiziell und poli- zeilich agiert werden sowie eine engere europäische Partnerschaft mit Ländern Afrikas folgen. Kooperation gilt auch für den Rahmen der Vereinten Nationen, zumal Deutschland nun für zwei Jahre als nichtständiges Mitglied den Vorsitz im Sicherheitsrat übernommen hat und der franzö- sische folgen wird. Die Unterstüt- zung für das deutsche Anliegen ist zugesichert, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu er- langen, womit jedoch die Absicht, den ständigen Sitz Frankreichs in einen EU-Sitz umzuwandeln, ad acta gelegt ist – und damit auch die Idee, mit einer „europäischen Stimme“ in der Weltgemeinschaft zu sprechen. Gemeinsame Energiewende und Wirtschaftsraum als Ziel Bestimmungen zu deutsch-franzö- sischen Grenzregionen sehen Ver- besserungen im Zusammenwir- ken bei Infrastruktur- sowie im Gesundheitsbereich durch ge- meinsame Berufsschulzentren, Gewerbegebiete und Krankenhäu- ser mit Zweisprachigkeit vor. Die Grenzräume können dabei von nationalstaatlichen Gesetzen ab- weichen. Nicht weniger feststel- lenswert ist das hehre Ziel, einen gemeinsamen deutsch-französi- schen Wirtschaftsraum mit ge- meinsamen Regeln zu bilden. Ein deutsch-französisches Zu- kunftswerk soll Wissenschaft und Forschung mehr zueinander brin- gen, um den gesellschaftlichen Wandel in beiden Staaten zu un- tersuchen und entsprechende Lö- sungsvorschläge zu unterbreiten. Nach den Studien- sollen nun auch Schulabschlüsse gegenseitig anerkannt werden („Abibac“). Ist eine bilaterale Energieunion noch in sehr weiter Ferne, so soll wenigstens die Energiewende ge- meinsam vorangetrieben und er- neuerbare Energien stärker geför- dert werden. Mutig wären ein rechtswirksam anzustrebendes deutsch-französisches Einwande- rungsgesetz als Impulsgeber für die übrigen EU-Mitglieder wie auch eine verbindliche gemeinsa- me Energiepolitik gewesen. Die großen Unterschiede zwischen 1963 und 2019 Der Élysée-Vertrag war schon 1963 in der kleinen Sechser-Ge- meinschaft sehr umstritten. Die Benelux-Staaten waren gegen den Ausschluss von Großbritannien durch de Gaulle, den Adenauer billigte. Heute sind es viermal mehr Staaten, und die Briten ste- hen vor dem EU-Austritt. Die Vor- behalte mittel- und osteuropäi- scher Staaten gegen das Avantgar- de-Gebaren von Berlin und Paris sind nicht zu unterschätzen. Um- so schwieriger wird der Neuan- lauf mit einem innenpolitisch in- stabilen und unruhigen Frank- reich und dem größer geworde- nen vereinten Deutschland, das zum Missbehagen von Budapest, Prag und Warschau die EU von heute weit mehr dominieren kann als die Bonner Republik die EWG. Widerstände wegen der so wahr- genommenen Bevormundung durch das Duo sind ohnedies schon vorhanden und weiter ver- mehrt zu erwarten. Es bleibt für Deutschland trotz aller innenpolitischen Zerrissen- heit ein regierungspolitisches Ziel, deutsche und europäische Interessen miteinander zu ver- knüpfen. Die selbsteingebundene Vormacht Europas kann sich mit dem Aachener Vertrag aus der selbstverschuldeten europäischen Handlungsschwäche wieder etwas herausmanövrieren. Ein starker koalitionspolitischer Konsens ist dafür aber unvermeidlich, um aus der hausgemachten europäischen Selbstisolierung auszubrechen. Mit dem Vertrag von Aachen könnte ein Zeichen zur Überwin- dung der Krise in der EU gesetzt und zumindest die permanente Negativdebatte über das Brexit- Chaos, das alles zu überschatten droht, etwas abgebremst werden. Im Lichte der prekären Mischung aus innenpolitischer Radikalisie- rung in Frankreich, des offenen EU-Finanzrahmens infolge des Brexit und dem fraglichen Euro- Kandidaten Italien ist der deutsch-französische Akt ein Hoffnungsschimmer. Wenn es je- doch nicht gelingt, andere Staaten dazu zu gewinnen und miteinzu- binden, wird es kaum ein verhei- ßungsvoller Neustart. Ein verheißungsvoller Neustart für Europa? In Aachen soll am 22. Jänner ein neuer deutsch-französischer Vertrag unterzeichnet werden. Es kann ein Hoffnungsschimmer sein – wenn man genügend andere Staaten einbindet. Gastkommentar Von Michael Gehler Zum Autor Michael Gehler leitet das Institut für Geschichte an der Universi- tät Hildesheim und ist Jean- Monnet-Profes- sor für vergleichende Geschichte Europas und der europäischen In- tegration. Foto: privat Was Adenauer (l.) und De Gaulle begonnen haben . . . . . . wollen Macron und Merkel nun erneuern. Foto: Reuters/Wolfgang Rattay Foto: afp Großbritannien im Brexit-Chaos Die Abgeordneten im britischen Unterhaus lehnten den Brexit-De- al deutlich ab. Jetzt ist das Chaos in Großbritannien perfekt, ein zweites Referendum lehnt die Pre- mierministerin ab. Die EU bekräf- tigte ihr Nein zu Nachverhandlun- gen, die Vorbereitungen auf einen Austritt ohne Abkommen laufen. Wie es weitergeht, weiß niemand. Meiner Meinung nach sollten gewisse Bedingungen vor einem wichtigen Referendum festgelegt werden: mindestens 50 Prozent Wahlbeteiligung und eine qualifi- zierte Mehrheit von 66 Prozent für eine erfolgreiche Abstimmung. Wichtig ist auch eine umfassende Diskussion über Vor- und Nachtei- le der Optionen. Großbritanniens Krise hat ihre Wurzeln im knap- pen Ergebnis der Brexit-Abstim- mung vom 23. Juni 2016 und in Desinformationen. Kurt Gärtner, 4600 Wels Eine zweite Karriere für Theresa May? Vielleicht bietet Deutschland The- resa May Asyl an, bürgert sie ein und sie wird die Nachfolgerin von Angela Merkel. Dann würde diese Angelegenheit wenigsten noch ei- nen humoristischen Anstrich be- kommen. Mag. Martin Behrens, 1230 Wien Zum Artikel vom 15. Jänner Raues Klima in chinesischen Fabriken Der Artikel über die wirtschaftli- che Lage Chinas wird durch ein Foto illustriert, welches Arbeite- rinnen in einer Textilfabrik in der Provinz Jiangsu zeigt. Dieses Bild hat mich nachdenklich gemacht, denn offensichtlich wird die Fa- brikshalle nicht geheizt, denn alle Arbeiterinnen sitzen in dicker Winterkleidung an ihren Arbeits- plätzen. Offenbar unabsichtlich bietet sich hier ein unverstellter Blick in die prekären Arbeitsbe- dingungen, denen chinesische Ar- beitnehmer ausgesetzt sind. Franz Medek, 2352 Gumpoldskirchen Zur Glosse von Hans-Paul Nosko, 12. Jänner Der Plural einer Gemeinschaft Die Glosse „Sportliche Rückkehr des ,Wir‘“ hat mir aus der Seele gesprochen. Ich habe mein ganzes berufliches Leben, auch in leiten- den Positionen, immer vom WIR gesprochen, denn niemand ist bei der Arbeit allein. Nach zwei Gene- rationen, die nur unter dem Motto „Nur Du – gegen alle“ stand, wur- de dies systematisch abgewöhnt. Corporate Identity ist vielleicht in großen Konzernen vorhanden, aber „werkeln“ tut jeder für sich. Charlotte Beier, 1220 Wien hrumpfen gegenüber d Leserbriefe werden nur dann abgedruckt, wenn sie mit vollständiger, nachvollziehbarer Adresse versehen sind. Wir können auch nur Leserbriefe berücksichtigen, bei denen von den Verfassern Kürzungen nicht ausgeschlossen werden. Foto: reuters
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Page 1: Ein verheißungsvoller Neustart für Europa? · Corporate Identity ist vielleicht in großen Konzernen vorhanden, aber „werkeln“ tut Kjeder für sich. Charlotte Beier, 1220 Wien

FORUM Freitag, 18. Jänner 201916

Am 22. Jänner 1963 unterzeichne-ten Charles de Gaulle und KonradAdenauer in Paris den Vertragüber die deutsch-französische Zu-sammenarbeit. In der Außenpoli-tik besteht seither Konsultations-pflicht. Im Bereich Verteidigung,Kultus, Sprachförderung, derGleichwertigkeit der Diplome undder Forschung war Kooperationangesagt. Ein gemeinsames Ju-gendwerk wurde Realität. Zahlrei-che Partnerschaften zwischenStädten, Schulen und Vereinenfolgten.

25 Jahre später ergänzten Bun-deskanzler Helmut Kohl undStaatspräsident François Mitter-rand den Vertrag mit Räten fürVerteidigung und Sicherheit so-wie Finanz-, Wirtschafts- undWährungspolitik. Im Zeichen des40-jährigen Gedenkens gab eserstmals einen deutsch-französi-schen Ministerrat sowie eine Sit-zung des Bundestags und der Na-tionalversammlung in Versailles.Ein Fonds für Kulturprogrammewurde geschaffen. Zur 50-Jahr-Feier wurde ein deutsch-französi-sches Jahr auf offizieller und zivil-gesellschaftlicher Ebene ausgeru-fen. Der Stab des Eurokorps feier-te in Straßburg.

Gescheitertes Vorhabenim Vorjahr

Die ergebnislosen Verhandlungenzur Bildung einer „Jamaika-Koali-tion“ (CDU/CSU-FDP-Grüne) inDeutschland im Herbst 2017, dasHerumlavieren der SPD in derFrage der Regierungsbeteiligungund die zähe Bildung der großenKoalition im Frühjahr 2018 mitdem anhaltenden Dauer-Clinchzwischen CDU und CSU in derMigrationsfrage schwächten diedeutsche Position in der EU. DieBundeskanzlerin war aufgrundihrer umstrittenen Migrationspo-litik durch sinkenden innenpoliti-schen und innerparteilichenRückhalt kaum noch durchset-zungsfähig. Angela Merkel ver-sagte auch in der zeitgerechtenBeantwortung der Reformvorstößedes französischen Staatspräsiden-ten. 2018 wurde so zu einem ver-lorenen Jahr für das gemein-schaftliche Europa – es droht nunein neues. Emmanuel Macron hatsich inzwischen durch die Protes-te der „Gelbwesten“ und sein lan-ges Schweigen selbst delegiti-miert und ist innenpolitisch ange-schlagen. Nun soll die Freund-schaft zwischen Bonn und Parisam 22. Jänner im Krönungssaal

des Aachener Rathauses erneuertwerden, in der Stadt des Karls-preises, den 2018 Macron verlie-hen bekam.

Es geht um ein ergänzendesVertragswerk, das an den Élysée-Vertrag 1963 anknüpfen soll. Eshat eine lange Präambel, die diedeutsch-französische Freund-schaft beschwört. In 28 Artikelnwird das Spektrum der künftigenKooperation aufgezeigt. Berlinund Paris versichern einander ei-ne möglichst enge Abstimmungin Fragen der Europapolitik unddie wechselseitige Pflicht zur Ver-tiefung ihrer Zusammenarbeit inder Außen- und Sicherheitspoli-tik. Wann und wie immer mög-lich, soll gemeinschaftliches Agie-ren folgen. Das eigenständigeHandeln der EU wird ausdrück-lich betont.

Verteidigung als Priorität,die UNO als Referenz

Berlin und Paris bekräftigen zu-dem ihren gegenseitigen Beistandim Falle eines bewaffneten An-griffs auf eines der Länder, wiedas Artikel 5 des Nato- und Arti-kel 42 des EU-Vertrages schonvorsehen. Militär- und Rüstungs-kooperation sollen effizienterwerden. Ein regelmäßig zusam-mentretender Sicherheits- undVerteidigungsrat von Ministernbeider Regierungen soll dabei be-hilflich sein. Gemeinsame Streit-kräfte mit Interventionsfähigkeit,die Macron schon seit langem in

die Debatte geworfen hat, geltenals fixiert. Zur Stabilisierung poli-tisch prekärer Drittstaaten sollzwar nicht militärisch, aber ge-heimdienstlich, justiziell und poli-zeilich agiert werden sowie eineengere europäische Partnerschaftmit Ländern Afrikas folgen.

Kooperation gilt auch für denRahmen der Vereinten Nationen,zumal Deutschland nun für zweiJahre als nichtständiges Mitgliedden Vorsitz im Sicherheitsratübernommen hat und der franzö-sische folgen wird. Die Unterstüt-zung für das deutsche Anliegenist zugesichert, einen ständigenSitz im UN-Sicherheitsrat zu er-langen, womit jedoch die Absicht,den ständigen Sitz Frankreichs ineinen EU-Sitz umzuwandeln, adacta gelegt ist – und damit auchdie Idee, mit einer „europäischenStimme“ in der Weltgemeinschaftzu sprechen.

Gemeinsame Energiewendeund Wirtschaftsraum als Ziel

Bestimmungen zu deutsch-franzö-sischen Grenzregionen sehen Ver-besserungen im Zusammenwir-ken bei Infrastruktur- sowie imGesundheitsbereich durch ge-meinsame Berufsschulzentren,Gewerbegebiete und Krankenhäu-ser mit Zweisprachigkeit vor. DieGrenzräume können dabei vonnationalstaatlichen Gesetzen ab-weichen. Nicht weniger feststel-lenswert ist das hehre Ziel, einengemeinsamen deutsch-französi-

schen Wirtschaftsraum mit ge-meinsamen Regeln zu bilden.

Ein deutsch-französisches Zu-kunftswerk soll Wissenschaft undForschung mehr zueinander brin-gen, um den gesellschaftlichenWandel in beiden Staaten zu un-tersuchen und entsprechende Lö-sungsvorschläge zu unterbreiten.Nach den Studien- sollen nunauch Schulabschlüsse gegenseitiganerkannt werden („Abibac“).

Ist eine bilaterale Energieunionnoch in sehr weiter Ferne, so sollwenigstens die Energiewende ge-meinsam vorangetrieben und er-neuerbare Energien stärker geför-dert werden. Mutig wären einrechtswirksam anzustrebendesdeutsch-französisches Einwande-rungsgesetz als Impulsgeber fürdie übrigen EU-Mitglieder wieauch eine verbindliche gemeinsa-me Energiepolitik gewesen.

Die großen Unterschiedezwischen 1963 und 2019

Der Élysée-Vertrag war schon1963 in der kleinen Sechser-Ge-meinschaft sehr umstritten. DieBenelux-Staaten waren gegen denAusschluss von Großbritanniendurch de Gaulle, den Adenauerbilligte. Heute sind es viermalmehr Staaten, und die Briten ste-hen vor dem EU-Austritt. Die Vor-behalte mittel- und osteuropäi-scher Staaten gegen das Avantgar-de-Gebaren von Berlin und Parissind nicht zu unterschätzen. Um-so schwieriger wird der Neuan-lauf mit einem innenpolitisch in-stabilen und unruhigen Frank-reich und dem größer geworde-nen vereinten Deutschland, daszum Missbehagen von Budapest,Prag und Warschau die EU vonheute weit mehr dominieren kannals die Bonner Republik die EWG.Widerstände wegen der so wahr-genommenen Bevormundungdurch das Duo sind ohnediesschon vorhanden und weiter ver-mehrt zu erwarten.

Es bleibt für Deutschland trotzaller innenpolitischen Zerrissen-heit ein regierungspolitischesZiel, deutsche und europäischeInteressen miteinander zu ver-knüpfen. Die selbsteingebundeneVormacht Europas kann sich mitdem Aachener Vertrag aus derselbstverschuldeten europäischenHandlungsschwäche wieder etwasherausmanövrieren. Ein starkerkoalitionspolitischer Konsens istdafür aber unvermeidlich, um ausder hausgemachten europäischenSelbstisolierung auszubrechen.

Mit dem Vertrag von Aachenkönnte ein Zeichen zur Überwin-dung der Krise in der EU gesetztund zumindest die permanenteNegativdebatte über das Brexit-Chaos, das alles zu überschattendroht, etwas abgebremst werden.Im Lichte der prekären Mischungaus innenpolitischer Radikalisie-rung in Frankreich, des offenenEU-Finanzrahmens infolge desBrexit und dem fraglichen Euro-Kandidaten Italien ist derdeutsch-französische Akt einHoffnungsschimmer. Wenn es je-doch nicht gelingt, andere Staatendazu zu gewinnen und miteinzu-binden, wird es kaum ein verhei-ßungsvoller Neustart. ■

Ein verheißungsvollerNeustart für Europa?

In Aachen soll am 22. Jänner ein neuer deutsch-französischer Vertrag unterzeichnet werden.Es kann ein Hoffnungsschimmer sein – wenn man genügend andere Staaten einbindet.

GastkommentarVon Michael Gehler

Zum AutorMichaelGehler

leitet das Institutfür Geschichtean der Universi-tät Hildesheimund ist Jean-Monnet-Profes-

sor für vergleichende GeschichteEuropas und der europäischen In-tegration. Foto: privat

Was Adenauer (l.) undDe Gaulle begonnen

haben . . .

. . . wollen Macronund Merkel nunerneuern.

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Großbritannienim Brexit-ChaosDie Abgeordneten im britischenUnterhaus lehnten den Brexit-De-al deutlich ab. Jetzt ist das Chaosin Großbritannien perfekt, einzweites Referendum lehnt die Pre-mierministerin ab. Die EU bekräf-tigte ihr Nein zu Nachverhandlun-gen, die Vorbereitungen auf einenAustritt ohne Abkommen laufen.Wie es weitergeht, weiß niemand.

Meiner Meinung nach solltengewisse Bedingungen vor einemwichtigen Referendum festgelegtwerden: mindestens 50 ProzentWahlbeteiligung und eine qualifi-zierte Mehrheit von 66 Prozent füreine erfolgreiche Abstimmung.Wichtig ist auch eine umfassendeDiskussion über Vor- und Nachtei-le der Optionen. GroßbritanniensKrise hat ihre Wurzeln im knap-pen Ergebnis der Brexit-Abstim-mung vom 23. Juni 2016 und inDesinformationen.

Kurt Gärtner,4600 Wels

Eine zweite Karrierefür Theresa May?Vielleicht bietet Deutschland The-resa May Asyl an, bürgert sie einund sie wird die Nachfolgerin vonAngela Merkel. Dann würde dieseAngelegenheit wenigsten noch ei-nen humoristischen Anstrich be-kommen.

Mag. Martin Behrens,1230 Wien

Zum Artikel vom 15. Jänner

Raues Klima inchinesischen FabrikenDer Artikel über die wirtschaftli-che Lage Chinas wird durch einFoto illustriert, welches Arbeite-rinnen in einer Textilfabrik in derProvinz Jiangsu zeigt. Dieses Bildhat mich nachdenklich gemacht,denn offensichtlich wird die Fa-

brikshalle nicht geheizt, denn alleArbeiterinnen sitzen in dickerWinterkleidung an ihren Arbeits-plätzen. Offenbar unabsichtlichbietet sich hier ein unverstellterBlick in die prekären Arbeitsbe-dingungen, denen chinesische Ar-beitnehmer ausgesetzt sind.

Franz Medek,2352 Gumpoldskirchen

Zur Glosse von Hans-Paul Nosko,12. Jänner

Der Plural einerGemeinschaftDie Glosse „Sportliche Rückkehrdes ,Wir‘“ hat mir aus der Seelegesprochen. Ich habe mein ganzesberufliches Leben, auch in leiten-den Positionen, immer vom WIRgesprochen, denn niemand ist beider Arbeit allein. Nach zwei Gene-rationen, die nur unter dem Motto„Nur Du – gegen alle“ stand, wur-de dies systematisch abgewöhnt.Corporate Identity ist vielleicht ingroßen Konzernen vorhanden,aber „werkeln“ tut jeder für sich.

Charlotte Beier,1220 Wien

EUROPA & WELT

Dienstag, 15. Jänner 2019

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Der Countdown läuft –

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Melden Sie Ihre Gemeinde noch bis

31. Jänner 2019 zum Infrastruktur-

Sicherheits-Wettbewerb der Gemeinden an.

Feierliche Preisverleihung am 7. März 2019

im Marmorsaal des Oberen Belvedere in Wien.

Alle Infos und Anmeldung unter:

wienerzeitung.at/sicherstegemeinde

Peking. (wak/reuters) Exportwelt-

meister China hat seine Ausfuh-

ren im vergangenen Jahr trotz des

Handelsstreits mit den USA so

kräftig gesteigert wie seit 2011

nicht mehr.

Insgesamt wuchsen die chine-

sischen Ausfuhren in die Welt um

9,9 Prozent im Vergleich zu 2017,

wie die Zollbehörde am Montag in

Peking mitteilte. Die Importe leg-

ten mit 15,8 Prozent aber deutlich

stärker zu. Der Handelsüber-

schuss Chinas mit der Welt

schrumpfte dadurch auf rund 352

Milliarden Dollar. Das ist der

niedrigste Wert seit 2013.

Sieht man sich das Verhältnis

China und USA an, dreht sich der

Trend aber um: Chinas Handels-

überschuss mit den USA wuchs

2018 auf 323 Milliarden Dollar.

Das ist laut den Berechnungen

von Reuters der höchste Wert seit

2006. Im Handelsstreit zwischen

China und den USA geht es aller-

dings genau um diesen Handels-

überschuss, der dem US-Präsiden-

ten Donald Trump ein Dorn im

Auge ist.

Deswegen hatte die US-Regie-

rung vor einem Jahr zuerst ein-

mal hohe Zölle auf den Import

von Solarmodulen und Waschma-

schinen verhängt. China war be-

sonders betroffen. Mit März wur-

den Zölle auf Stahl und Alumini-

um, insbesondere Importe aus

China, verhängt.

Im Sommer verhängte Trump

Strafzölle von 25 Prozent auf chi-

nesische Importe im Wert von 50

Milliarden Dollar. Im September

belegte Trump chinesische Impor-

te im Wert von weiteren 200 Mil-

liarden Dollar mit Sonderzöllen.

China antwortete seinerseits

mit Strafzöllen, wenn auch nicht

in demselben Ausmaß. Aber viel-

leicht mit mehr Erfolg – ange-

sichts des gestiegenen Handels-

überschusses.

Schlechte Daten zum Jahresende

Doch bei all dem Muskelspiel

musste auch China Federn lassen.

Den chinesischen Exporteuren ist

Ende 2018 das Momentum verlo-

ren gegangen. Ihre Ausfuhren

schrumpften im Dezember um 4,4

Prozent zum Vorjahresmonat und

damit so stark wie seit zwei Jah-

ren nicht mehr. Das kommt über-

raschend: Ökonomen hatten drei

Prozent Wachstum erwartet.

Gründe für das schlechtere Ab-

schneiden dürften neben dem

Handelskonflikt auch die nachlas-

sende globale Nachfrage sein. Die

Importe fielen sogar um 7,6 Pro-

zent niedriger aus.

Aber auch innerhalb Chinas

macht sich der Handelskonflikt

bemerkbar: Gerechnet auf das

ganze Jahr 2018 ist der Neuwa-

genabsatz in China erstmals seit

den 1990er Jahren gesunken.

Im Dezember seien die Ver-

kaufszahlen den sechsten Monat

in Folge gefallen. Der Absatz ist

im Gesamtjahr um 2,8 Prozent

auf 28,1 Millionen Fahrzeuge ge-

sunken, teilte der Automobilver-

band CAAM mit. Als Gründe führ-

te er die höheren Zölle im Han-

delskonflikt zwischen China und

den USA sowie den Wegfall von

Steuervorteilen an. Ursprünglich

hatte der CAAM für den weltgröß-

ten Automarkt ein Plus von drei

Prozent veranschlagt.

Derweil fuhr China einer Stu-

die zufolge seine Investitionen in

Europa und Nordamerika im vori-

gen Jahr um fast drei Viertel zu-

rück. Die Direktinvestitionen

summierten sich nur noch auf 30

Milliarden Dollar, nachdem es

2017 noch 111 Milliarden waren,

wie aus einer Untersuchung der

Anwaltskanzlei Baker & McKenzie

hervorgeht.

Allein in den USA sei es zu ei-

nem Einbruch um 83 Prozent ge-

kommen.

Auch in Europa gab es einen

deutlichen Rückgang, doch konn-

ten Deutschland, Frankreich und

Spanien gegen den Trend mehr

chinesische Investitionen anlo-

cken.Die werden aber nicht immer

mit offenen Armen empfangen:

Im Sommer 2018 konnte die deut-

sche Regierung den Einstieg eines

chinesischen Konzerns in die

deutsche Stromversorgung gerade

noch verhindern. Mit einer „Lex

China“ wurden daraufhin die Re-

geln für Übernahmen in sensib-

len Bereichen verschärft. ■

2018 steigerte China Exporte – trotz Trump

Im Dezember kam es aber zu einem deutlichen und überraschenden Schrumpfen gegenüber der Vorjahresperiode.

Arbeiterinnen in einer Textilfabrik in Chinas Jiangsu-Provinz nähen Kappen für den Export. Foto: reuters

Washington. (reuters) Der rasante Aufstieg

von schwach-regulierten Fintech-Firmen

macht der US-Notenbank Fed Sorgen. Die

Federal Reserve schreckt davor zurück,

den Unternehmen eine Lizenz zu erteilen,

die ihnen wie Banken den direkten Zugriff

auf die Systeme der Notenbank erlauben

würde.

Bei den jungen Technologieunterneh-

men, die zum Beispiel im Zahlungsverkehr

oder der Kreditvergabe aktiv sind, ließen

der Verbraucherschutz und das Risikoma-

nagement zu wünschen übrig, lautet die

Kritik vieler Fed-Vertreter. Mit ihren Be-

denken stellt sich die Notenbank gegen die

US-Bankenaufsicht OCC und die Einlagen-

sicherung FDIC, die der Branche offener

gegenüberstehen und eine neue Fintech-Li-

zenz prüfen.

Rasant wachsender Finanz-Sektor

„Ich fürchte, dass die nächste Krise von

Fintechs ausgehen wird“, sagte James Bul-

lard, Präsident der Fed von St. Louis, der

Nachrichtenagentur Reuters. „Sie wollen

wahrscheinlich Zugang zum Zahlungssys-

tem, aber sie wollen sich nicht der Regulie-

rung unterwerfen, die damit verbunden

ist.“ Das fehlende Risikobewusstsein der

Branche treibt dem Präsidenten der Fed

von Atlanta, Raphael Bostic, Sorgenfalten

auf die Stirn. „Atlanta will zum Fintech-

Hub werden, sodass ich die Gelegenheit ha-

be, mit vielen Unternehmern in diesem Be-

reich zu reden“, sagte Bostic Ende 2018 bei

einer Konferenz. Dabei habe kaum jemand

Risiken als ein wichtiges Thema im Blick.

„Und das macht mich nervös.“

Die Branche wächst rasant – zwischen

2010 und 2017 sind nach Daten des US-Fi-

nanzministeriums mehr als 3300 Fintechs

entstanden. Unternehmen wie Paypal oder

der Kreditvermittler Lending Club haben

dank niedrigerer Gebühren und höherem

Komfort den Banken Millionen Kunden ab-

gejagt. Bereits die Hälfte der Amerikaner

nutzt bei Überweisungen die Dienste von

Fintechs, so eine Studie der Beratungsfir-

ma EY. Die US-Bankenaufsicht OCC schlug

im Juli eine spezielle Lizenz für Fintechs

vor, mit denen sie im ganzen Land Geschäf-

te machen können, sofern sie Kapital- und

Liquiditätsanforderungen erfüllen und Not-

fallpläne vorweisen.

Bisher nutzen Firmen wie die Kreditver-

mittler OnDeck Capital oder Kabbage ver-

schiedene Lizenzen der einzelnen Bundes-

staaten. Die dortigen Aufseher haben dabei

besonders den Verbraucherschutz im Blick

und schreiben etwa vor, dass die Kreditzin-

sen eine bestimmte Höchstgrenze nicht

überschreiten dürfen. Einige Bundesstaa-

ten verlangen zudem, dass sie die Regeln

gegen Geldwäsche einhalten oder Vor-Ort-

Überprüfungen erlauben. Dagegen ist fast

das gesamte Geschäft von Banken streng

reguliert. Die Geldhäuser müssen etwa Ka-

pital- und Liquiditätsvorschriften einhal-

ten, sich an das Bankgeheimnis halten und

Vorkehrungen gegen Geldwäsche treffen.

Für einige Fintechs ist die neue OCC-Li-

zenz nur attraktiv, wenn sie dadurch direk-

ten Zugang zum Zahlungssystem der Fed

erhalten. Dadurch könnten sie bestimmte

Bankgebühren vermeiden – einer der größ-

ten Kostenblöcke für die jungen Unterneh-

men. Die von der OCC vorgeschlagene Li-

zenz erlaubt es aber nicht, dass Fintechs

Einlagen einsammeln, die von der staatli-

chen Einlagensicherung FDIC garantiert

werden – bisher eine Voraussetzung für

den Zugang zum Fed-Zahlungssystem. ■

Fintechs krempeln

Bankenbranche in den USA um

Notenbank Fed fürchtet Gefahren für das Finanzsystem.

Von Pete Schroeder

Leserbriefe werden nur dannabgedruckt, wenn sie mit vollständiger,

nachvollziehbarer Adresse versehensind. Wir können auch nur Leserbriefe

berücksichtigen, bei denen von denVerfassern Kürzungen nicht

ausgeschlossen werden.

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