Liebe Leserinnen, liebe Leser,
seit Jahren befassen sich die Chemie-Sozialpartner mit den Herausforderungen der Fachkräftesicherung. Mit den Tarifverträgen „Zukunft durch Ausbildung“ und
„Lebensarbeitszeit und Demo- grafie“ haben wir früh eine solide Basis für die Gestal-tung des demografischen
Wandels gelegt. Doch trotz dieser und anderer Maßnahmen spürt auch unsere Branche den Fachkräfteengpass. Das Kompetenzzentrum Fachkräfte sicherung (KOFA) beim Institut der deutschen Wirtschaft Köln ermittelte, dass in 18 von 35 für die Chemie relevanten Berufen ein Engpass bei Fachkräften besteht.
Neue Wege der Fachkräftesicherung sind deshalb unverzichtbar. Wie diese aussehen können, haben wir im Oktober bei unseren 13. Wiesbadener Gesprächen zur Sozialpolitik diskutiert und ent- sprechende Initiativen vorgestellt. Lesen Sie mehr dazu auf diesen Seiten.
Eine anregende Lektüre wünscht Ihr
Dirk Meyer Hauptgeschäftsführer
Qualifizierte Fachkräfte werden rar, das spürt auch die chemisch-pharmazeuti-sche Industrie. Bei den 13. Wiesbadener Gesprächen zur Sozialpolitik diskutierten Unternehmensvertreter sowie Experten aus Wirtschaft und Politik neue Wege, um dem zu begegnen.
Laut einer Studie der Goethe-Universität Frankfurt werden in fünf Jahren 174.000 Fach-
kräfte in Hessen fehlen. In seinem „Fachkräftecheck Chemie“ stellt das Kompetenz-
zentrum Fachkräftesicherung (KOFA) fest: In der Branche wiesen zuletzt 18 von
35 Berufen einen Engpass auf. „Vor diesem Hintergrund muss Personalarbeit lang-
fristig und strategisch gedacht werden“, sagte Prof. Dr. Heinz-Walter Große bei der
Eröffnung der 13. Wiesbadener Gespräche für Sozialpolitik am 17. Oktober 2019.
„Dafür brauchen wir die richtigen tarif- und sozialpolitischen Rahmenbedingungen.
Unternehmen müssen aber auch neue und unkonventionelle Wege beschreiten.“
Dass HessenChemie dies früh erkannt hat, betonte Moderator Dr. Norbert Lehmann
(ZDF) vor den rund 170 Teilnehmern im Wiesbadener Kurhaus.
Fachkräfte finden, binden und qualifizieren
Für mehr Romantik in der Wirtschaft plädierte Business-Vordenker Tim Leberecht: Unternehmen, die Gefühle wie Empathie, Intuition und Leidenschaft zulassen, seien agiler und innovativer.
Pluspunkte
EDITORIAL
Seite 2
Lebenslange WeiterbildungFrancesco Grioli (IG BCE) über die Herausforderungen der Fachkräftesicherung
Seite 3
WORK@INDUSTRY 4.0Arbeitgeber und Gewerk-schaft im Austausch über die Arbeitswelt von morgen
Seite 4
Zukunftsweisende IdeenInnovative Ansätze erleichtern den Kontakt zu potenziellen neuen Mitarbeitern
IN DIESER AUSGABE
Nr. 5/2019 Ein Newsletter von HessenChemie
Fortsetzung auf Seite 2
Bereits 2012 hatte der Arbeitgeber-
verband seine Wiesbadener Gespräche
diesem Thema gewidmet. Habe man
damals noch von „Nebelbänken“ ge-
sprochen, sei das Problem heute deut-
lich konkreter. Entsprechende Anstren-
gungen müssten Unternehmen leisten,
um attraktiv zu bleiben.
Einen ungewöhnlichen Ansatz präsen-
tierte Key Speaker Tim Leberecht mit
seiner These: „Die Zukunft der Wirt-
schaft ist romantisch.“ In einer techno-
logiegetriebenen Zeit verschöben sich
viele Akzente in Richtung Quantifi zierung
und Optimierung, sagte der Business-
Vordenker. Dem sollten Unternehmen
begegnen, indem sie „Sinnhaftigkeit“
vermitteln. Durch die menschliche Em-
pathie, Vorstellungskraft, Intuition und
Kreativität könnten Unternehmen besser
mit Unsicherheit umgehen, seien agiler
und innovativer.
Viele Mitgliedsunternehmen von Hessen-
Chemie haben die Unternehmenskultur
als zentrales Instrument der Mitarbeiter-
bindung identifi ziert. Das wurde in drei
Filmbeiträgen deutlich: Die Infraserv
GmbH & Co. Höchst KG setzt mit ihrer
Initiative „Zusammen wachsen“ auf einen
wertschätzenden und wertebasierten
Umgang; Talente werden gefördert und
gefordert. Die Merck KGaA hat Vielfalt,
Ideenreichtum und Austausch als Poten-
zial erkannt und dafür in ihrem neuen
Innovationszentrum in Darmstadt Raum
geschaff en. Pascoe Naturmedizin ist davon
überzeugt, dass nur motivierte, zufriede-
ne und gesunde Mitarbeiter die Zukunft
des Unternehmens sichern. Mit seinen
in diesem Zusammenhang ergriff enen
Maßnahmen wurde das Gießener Unter-
nehmen bereits mehrfach im Wettbe-
werb von „Great Place to Work“ als bester
Arbeitgeber ausgezeichnet. Alle drei Film-
beiträge stehen unter hessenchemie.de
zur Verfügung.
Was sich andere Unternehmen einfallen
lassen, um bei „Great Place to Work“ zu
punkten, zeigte abschließend Marcel
Görtz, Studienleiter „Beste Arbeitgeber
Chemie“. Ihm zufolge sind Glaubwürdig-
keit, Respekt, Fairness, Stolz und Team-
geist zentrale Merkmale ausgezeichneter
Unternehmenskulturen.
Fortsetzung von Seite 1
Drei Fragen an Francesco Grioli (IG BCE)
1 Wo sehen Sie die größten Herausforderungen bei der Fachkräftesicherung?Die demografi sche Entwicklung ist nach wie vor zentral:
Immer weniger Absolventen und Berufseinsteiger stehen
zur Verfügung. Diese müssen wir für die chemische Indus-
trie gewinnen und langfristig binden. Doch auch die Tätig-
keiten und Anforderungen verändern sich, auch in der
chemischen Industrie. Deshalb ist Weiterbildung entschei-
dend. Fachkräftesicherung bedeutet, über alle Altersgruppen
hinweg Qualifi kationen und Kompetenzen zu sichern –
2
Durch gute Arbeits-bedingungen überzeugen
Francesco Grioli ist Mitglied des geschäftsführenden Hauptvorstandes der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE).
Annette Diane Pascoe, Geschäftsführerin Pascoe Naturmedizin, ist überzeugt, dass nur zufriedene und gesunde Mitarbeiter gute Arbeit leisten.
und die Arbeit so zu gestalten, dass Erfahrungswissen
eingebracht und genutzt werden kann.
2 Wo sind wir als Branche gut, wo müssen wir besser werden?Bei der Bedeutung der dualen Ausbildung und Abstimmung
der Berufsbilder sind wir in engem und gutem Austausch.
In puncto Weiterbildung haben wir neben tarifvertragli-
chen Regelungen und einer gemeinsamen Weiterbildungs-
stiftung ebenfalls schon einiges gemeinsam getan.
Jetzt müssen wir konkrete Maßnahmen im Betrieb und
Ansprüche für die Beschäftigten auf den Weg bringen.
Darüber hinaus geht es um die Attraktivität der Branche
innerhalb der Gesellschaft. Hier haben wir mit der Nach-
haltigkeitsinitiative Chemie3 schon gemeinsam etwas
unternommen. Die chemische Industrie wird als Impuls-
geber für einen Green Deal, auch für neue umweltfreund-
liche Verfahren und umweltfreundliche Stoff e, zwingend
gebraucht. Das müssen wir als Branche nach außen noch
deutlicher machen.
3 Was können die Sozialpartner dazu beitragen?Gute tarifvertragliche Regelungen zählen zu den wesentli-
chen Themen; dazu ein deutliches Signal, dass Beschäftigte
wertgeschätzt werden und die Unternehmenskultur diese
Werte widerspiegelt. Können sich Beschäftigte auf ihren
Arbeitgeber verlassen, sind sie innovativer, off ener für Ver-
änderungen und bleiben länger im Unternehmen. Als Sozial-
partner müssen wir darüber hinaus Orte fi nden, um die
wesentlichen Themen gemeinsam zu diskutieren und nach
konkreten Gestaltungsideen zu suchen – etwa so, wie wir es
aktuell in unserem Dialogprozess WORK@INDUSTRY 4.0 tun.
Wie sollen die Arbeits- und Produktionsbedingungen der Zukunft aussehen? Darüber führen die Chemie-Sozialpartner einen intensiven Dialog.
Vor drei Jahren starteten Bundesarbeitgeberverband Chemie
(BAVC) und Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie
(IG BCE) ihren Dialog WORK@INDUSTRY 4.0. Thema sind die
digitale Transformation in der Chemie und ihre Auswirkungen
auf die Arbeitswelt: Was bedeuten die Veränderungen kon-
kret? Was lässt sich daraus für Unternehmen und Beschäftigte
ableiten? „Wir wollen die Dinge nicht einfach laufen lassen,
sondern herausfi nden, wo und wie wir sie gestalten können“,
sagte Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer von HessenChemie,
im Rahmen der Wiesbadener Gespräche.
Verstehen, bewerten und gestalten: Nach diesem Prinzip gehen
Arbeitgeber und Gewerkschaft bei WORK@INDUSTRY 4.0 vor.
In Workshops mit Experten aus Wissenschaft und Praxis ent-
wickeln die Sozialpartner ein gemeinsames Grundverständnis
über das Arbeiten in der digitalisierten Welt. Meyer bezeich-
nete dies als „off enen Dialog im geschlossenen Raum“: Die
Gespräche werden jenseits von eingespielten Rollen und tak-
tischen Erwägungen in vertraulichem Rahmen geführt.
Einig sei man sich darüber, dass man bei der Gestaltung der
Arbeitswelt von morgen an einem Strang ziehen wolle, bestä-
tigte Francesco Grioli, Mitglied des geschäftsführenden
Hauptvorstandes der IG BCE. Als zentrale Aufgabenfelder
wurden Aus- und Weiterbildung, gutes und gesundes Arbei-
ten, zeit- und ortsfl exibles Arbeiten sowie Führung und Orga-
nisation identifi ziert. Grioli unterstrich den Stellenwert der
Weiterbildung: „Unternehmen müssen nicht nur in Technolo-
gie investieren, sondern auch in die Beschäftigungsfähigkeit
und Innovationsfähigkeit der Mannschaft.“ (Siehe Interview
unten.) Unterschiedliche Auff assungen, wie etwa bei der Ge-
staltung der Arbeitszeit, müssten noch ausgehandelt werden.
Zwar seien auch die Arbeitgeber für Flexibilisierung, sagte
Meyer, diese müsse sich aber an den betrieblichen Erforder-
nissen orientieren.
3
Off ener Dialog im geschlossenen Raum
(V.l.n.r.:) Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer HessenChemie, und Francesco Grioli, IG BCE, diskutierten mit Moderator Norbert Lehmann über moderne Arbeitswelten aus Sicht der Chemie-Sozialpartner.
WWW.HESSENCHEMIE.DE
IMPRESSUM
V.i.S.d.P.: Jürgen Funk Redaktion: Dr. Ute Heinemann (Sprache + Text, Frankfurt)Jürgen Funk (HessenChemie)Chantal Kirschner (HessenChemie)Layout: Q GmbH, WiesbadenFotos: Arne LandwehrKontakt: Jürgen FunkArbeitgeberverband Chemie und verwandte Industrien für das Land Hessen e. V. (HessenChemie)Murnaustraße 12, 65189 WiesbadenTelefon 0611 7106-49, Mobil 0162 [email protected]
Fachkräftesicherung braucht innovative Ideen. Einige davon präsentierten Partner von HessenChemie im Foyer des Kur-hauses.
Oft geht es für junge Menschen zunächst einmal um Orientie-
rung. Bei „Praktikumsjahr“ haben sie deshalb die Möglichkeit,
verschiedene Berufe und Unternehmen in kurzer Zeit kennen-
zulernen: Zwischen sechs Monaten und einem Jahr lang absol-
vieren sie Praktika im zweimonatlichen Wechsel. So erhalten
sie Einblicke in unterschiedliche Berufsfelder. Dem jeweiligen
Unternehmen bietet dies die Chance, potenzielle Auszubildende
oder Mitarbeiter kennenzulernen. Die drei Gründer der Platt-
form, die bis vor Kurzem selbst noch zur Schule gingen, wurden
2018 mit dem Hessischen Gründerpreis ausgezeichnet.
Kandidatinnen und Kandidaten, die gar nicht aktiv suchen, hat
die Plattform „whyapply“ im Blick. Sie setzt dabei auf Social
Media und unkomplizierte Bewerbungswege. Vereinfachung
und Digitalisierung werden auch bei „Jobcluster“ mit dem
„One-Click-Recruiter“ großgeschrieben. Das Online-Tool er-
spart Zeit und Kosten bei der Personalsuche. Das Forschungs-
und Beratungsinstitut „Great Place to Work“ unterstützt
Unternehmen bei der Entwicklung einer leistungsfähigen und
attraktiven Unternehmenskultur. Als führender Fachkräfte-
entwickler der Industrie präsentierte sich außerdem
„Provadis“, das gleichzeitig das größte Ausbildungsunter-
nehmen in Hessen ist.
Malte Bürger (hier im Bild), Johannes Feik und Jan Herold Müller bieten jungen Menschen mit ihrer Plattform „Praktikumsjahr“ Orientierung bei der Berufswahl. Davon profi tieren auch Unternehmen.
Parcours der Möglichkeiten
Tipp Das Startup „Praktikums-jahr“ unterstützt Unternehmen bei
der Nachwuchskräftegewinnung, indem
es jungen Menschen mindestens zwei-
monatige Schnupperpraktika vermittelt.
HessenChemie ist Kooperationspartner
dieser Plattform. Für Mitgliedsunter-
nehmen bedeutet das: Sie bekommen die
einmalige Anmeldegebühr in Höhe von 250 Euro erlassen. Weitere Informationen
er halten Sie auf www.hessenchemie.de/ausbildung/praktikumsjahr.
Für den 10. Dezember 2019 lädt HessenChemie zu den Experten-gesprächen zur Europäischen Sozialpolitik in die hessische
Landesvertretung in Brüssel ein: Diskutiert wird mit Vertretern
der Mitgliedsunternehmen, des Europäischen Parlaments und
der Kommission. Als Vortragender wird unter anderem der neue
Präsident der European Chemical Employers Group (ECEG)
Dr. Klaus-Peter Stiller zur Verfügung stehen. Anmeldung bei
Daniel Schrapp, [email protected].
praktikumsjahr.dewhyapply.de
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provadis.de
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